Paulus ist derjenige unter den Aposteln, welcher durch das tiefe Eindringen in das Wort und in die Person Christi und das tiefgründliche Lehrzeugnis von seiner Bedeutung und seinem Werk, wie durch die große Zahl seiner lehrschriften und durch seine Missionsarbeit als Leidensapostel, der größte und erfolgreichste (1.Kor.15,10) Mitarbeiter und Nachfolger Christi geworden ist. Auch rein menschlich betrachtet, gehört er zu den größten Männern der Geschichte.
I. Die Zeit vor seiner Bekehrung. Er war geboren zu Tarsus in Cilicien, Apg. 21,39; 22,3, vgl. 9,11 (die Nachricht des Hieronymus, er sei aus Giskala in Galiläa und sei schon als Knabe mit seinen Eltern nach Tarsus gezogen, ist schwerlich begründet). Seine Eltern waren Juden, 2 Kor. 11,22; Röm. 11,1, aus dem Geschlecht Benjamin, der Vater gehörte zu den Pharisäern, ein Vorzug, den Paulus auch gelegentlich rühmend erwähnt und benützt, Apg. 23,6; Phi. 3,5, ebenso wie den anderen, daß er durch seine Eltern schon das römische Bürgerrecht besaß, Apg. 22,25; 16,37, wohl nicht, weil die Stadt Tarsus überhaupt das röm. Bürgerrecht gehabt, sondern weil des Paulus Vater oder ein früherer Vorfahre es um irgend welcher Berdienste willen bekommen haben wird. Die Zeit seiner Geburt ist nicht sicher; eine alte Nachricht nennt das zweite Jahr nach Chr. Geburt, eine andere Berechnung führt auf das Jahr 14. Es wird etwa das Jahr 10 n. Chr. angenommen werden dürfen. Auch über die doppelte Benennung des Apostels Saulus und Paulus ist Meinungsverschiedenheit. Die Apostelgeschichte nennt ihn bis 13,9 immer Saulus, und von der Bekehrung des Prokonsul Sergius Paulus an: Paulus. Hiernach kann es scheinen, daß Paulus von diesem ersten großen Ersolg seiner Missionsarbeit an, der Bekehrung des Prokonsuls, seinen früheren Namen Saulus in Paulus umgeändert habe. Doch wird in neuerer Zeit für wahrscheinlich gehalten, daß Paulus schon von Anfang an die beiden Namen Saulus (= der Erbetene) als jüdischen, und Paulus als römisch-hellenistischen Namen gehabt, wie es in jener Zeit häufig vorkam — daß er aber, seit er mit nichtjüdischen Nationen in Verkehr trat, den römischen Namen allein geführt habe. Dies würde dann nur zufällig mit dem mer würdigen Ereignis von Apg. 13,7 zusammentreffen. Wichtiger als alle diese Fragen ist diejenige: welche Erziehung und Bildung wurde dem großen Apostel zuteil? Das Heranwachsen in Tarsus läßt an griechisch-römische Erziehung denken und von manchen wird die Bekanntschast mit der griechischen Sprache nicht nur, sondern auch mit der griechischen Literatur, die er gehabt habe (Apg. 17,28; 1 Kor. 15,33; Tit. 1,12), als Beweis dafür angesehen. Allein wenn sein Vater ein strenger Pharisäer war, ist nicht wahrscheinlich, daß der Sohn vorwiegend in griechischer Bildung aufgewachsen sei, und die wenigen Stellen, da Paulus griechische Schriftsteller zitiert, können ganz wohl allgemein bekannte Zitate und Wendungen sein. Dagegen ist begreiflich, daß Paulus die griechische Sprache, die er mit vieler Gewandtheit handhabt, hier sich aneignete. Auch konnte er hier jedenfalls das heidnisch-griechische Wesen kennen lernen und an den Verkehr mit Griechen sich gewöhnen. Dem Geist nach war gewiß seine erste Erziehung die pharisäische. Er kam wohl frühe schon nach Jerusalem. Nach Apg. 22,3 wurde er dort unterrichtet zu den Füßen des Gamaliel, des hervorragenden pharisäischen Lehrers. Der rabbinische Unterricht begann gewöhnlich etwa im 10. Lebensjahr. Dann müßte er in Jerusalem gewesen sein, als die wichtigsten Ereignisse des Lebens und Sterbens Jesu die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Die Bildungseinflüsse, die Paulus von Gamaliel erfuhr, waren diejenigen einer gründlichen Einführung in das Gesetz, in die Schriftgelehrsamkeit, Schriftauslegung nach der rabbinischen Wissenschaft (vgl. Art. Rabbi). Gamaliel war — nach dem was der Talmud andeutet — ein Mann von verhältnismäßig freierer Richtung (vgl. Apg. 5,34), und so wurde Paulus von ihm in freierer geistvoller Weise im edleren Judentum u. besseren Rabbinentum unterrichtet, natürlich aber eben auch um so tiefer die Überzeugung von der Einzigkeit und Wahrheit des Gesetzes in ihm gepflanzt. Diese Lehre und Unterweisung nahm Paulus mit der ganzen Kraft seines tiefdringenden Wesens an und bemühte sich zugleich mit Erfolg den Vorschriften des Gesetzes nachzuleben (Apg. 23,1; 26,5; Gal. 1,14; Phi. 3,6). Zu der Erziehung und Bildung eines jungen Mannes auch aus besserer Familie gehörte es aber, daß er auch ein Handwerk erlernte. Paulus wurde Zeltmacher oder Zelttuchweber (Luther: Teppichmacher), Apg. 18,3, und hat auf seinem Handwerk auch als Apostel gearbeitet, um sich sein Brot zu verdienen und frei und unabhängig dazustehen. Ein wichtiges Ereignis im Leben des Paulus war der Prozeß des Stephanus (s. d. Art.). Mit dem Auftreten desselben wurde der Kampf des um seine letzten Stellungen ringenden Judentums viel ernster. Da wollte Paulus nicht fehlen unter den Streitern für Moses und für Gottes Sache. Paulus legte nicht selbst Hand an den Märtyrer, aber er billigte die gewalttätige Unterdrückung desselben, Apg. 8,1, und nachdem er einmal an dieser Art von Christenunterdrückung „Wohlgefallen“ gefunden hatte, „schnaubete“ er bald auch gegen die Gemeinde (9,1), fand eine Freude darin, die Glaubigen zu verstören (9,21) und meinte, er „müsse viel zuwider tun dem Namen Jesu von Nazareth“, 26,9 f. Doch mag andererseits diese Gewalttat gegen Stephanus, deren Zeuge er war, einen Stachel in seinem Innern zurückgelassen haben. Soll das, wofür man so freudig und siegesgewiß in den Tod gehen kann, wie Stephanus, eine Täuschung, ein Nichts sein? Diese Frage mochte in seinem Innern aufsteigen. Bald kam darauf die Antwort. —
II. Die Bekehrung. Wir haben darüber drei Berichte in der Apostelgeschichte: Kap. 9. 22 u. 26. Nach 26,14 fielen alle zur Erde, nach 9,7 stunden die Begleiter des Paulus Nach 22,9 sahen die Begleiter das Licht, hörten aber die Stimme nicht, wogegen sie nach 9,7 eine Stimme hörten, aber niemand sahen; ein Teil der Worte Jesu 26,16-18, die er zu Paulus spricht, ist 22,15 dem Ananias in den Mund gelegt und wird 22,21 von dem Herrn zu anderer Zeit und an anderem Ort zu Paulus geredet. Für eine unbefangene Betrachtung sind diese geringen Unterschicde leicht begreiflich, aber auch sehr unerheblich. Wie ist aber die Sache selbst anzusehen? Man wollte schon auf manchfache Weise das Außerordentliche, Wunderbare auf die Seite schaffen und den ganzen Vorgang natürlich erklären: In Paulus habe der Eindruck von dem so standhaft sterbenden Märtyrer Stephanus nachgewirkt, es habe ihn wohl auch die Freudigkeit, mit welcher viele von ihm verfolgte Christen in den Tod gingen, beschäftigt, er habe unterwegs über diese ernsten Fragen nachgedacht, habe zu zweifeln angefangen an der Richtigkeit seines bisherigen Weges, da habe ihn Blitz und Donner überrascht, und in seiner Überraschung sei es ihm nun vorgekommen, als sei Christus ihm erschienen u. habe das zu ihm gesprochen, was er vorher selbst in seinen Gedanken bei sich bewegt hatte. Ist dies die ältere rationalistische Ansicht, — die sich bei einigen sogar zu der Geschmacklosigkeit verirrt hat: der nur scheintot gewesene Christus habe sich dem Paulus auf seinem Weg plötzlich zu dessen großer Überraschung hervortretend gezeigt — so hat später Holsten mit viel Scharfsinn versucht das Ganze als eine Vision zu erklären, das heißt dann wäre es nicht etwas äußerlich, objektiv, auch von den Begleitern Wahrnehmbares gewesen, sondern eine rein subjektive Erscheinung, die Paulus allein hatte, die wesentlich daraus entsprang, daß Paulus sich auf seinem Weg so angelegentlich mit dieser Frage beschäftigte, bis er endlich das Bild Christi auch äußerlich vor sich zu haben, dessen Worte (und nicht mehr bloß die Stimme seines eigenen ringenden Innern) zu hören vermeinte. (Ob aber Paulus sich damals so eisrig mit der Frage nach der Messianität Christi beschäftigte? um des Gesetzes willen, das er durch die Christen bedroht sah, verfolgte er sie, diese Frage war es wohl mehr, die sein Inneres beschäftigte). Daß auch die Begleiter etwas gehört und gesehen haben, muß dann natürlich in das Gebiet der Sage verwiesen werden. Aber für den Glauben an einen lebendigen Gott, der in wirklicher Beziehung zu den Menschen steht, der in ihre Geschicke eingreift, muß es nicht undenkbar erscheinen, daß Gott in einem wichtigen Augenblick in das Leben eines Menschen eingreife, der zu so Außerordentlichem berufen war wie Paulus — Zu der äußeren merkwürdigen Erscheinung kam das wunderbare Zusammentreffen des Ananias mit Paulus In der Christuserscheinung war ihm zugerufen worden: es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken, das heißt es wird dir schwer, ja unmöglich werden, der auf dich eindringenden Macht des Evangeliums fortgesetzten Widerstand zu leisten; Ananias als ein gottgesandter Botelöste ihn vollends aus seinem Widerstand, und wie jetzt die zeitweilige äußerliche Blendung wich, so wich auch bald die geistige Nacht und Blindheit, die bisher über ihm gelegen hatte. Jetzt war dieser „Starke dem zum Raube geworden“ (Jes. 53,12), der als ein noch Stärkerer über ihn kam und ihn so unwiderstehlich berufen hatte (Apg. 9,19 f.). —
III. Der Heidenapostel u. seine Missionsarbeit. Nach seiner Bekehrung und Taufe ging Paulus (Gal. 1,17) zuerst „nach Arabien“ (das heißt wohl nach Auranitis, südöstlich von Damaskus). Dort hat er in der Stille die Eindrücke verarbeitet, die so gewaltig auf ihn eingedrungen waren; wohl nach Gal. 1,18 etwa 2 Jahre lang. Erst jetzt ging er nach Jerusalem und „versuchte sich an die Jünger zu machen“, Apg. 9,26. Er fand natürlicherweise noch Mißtrauen (Vers 26), wurde jedoch durch Barnabas bei den Aposteln eingesührt, Apg. 9,27, aber durch die Anfeindungen der Hellenisten (Apg. 9,29) nach kurzer Zeit (Gal. 1,18) vertrieben, kam er, von den Brüdern geleitet, nach Tarsus, seiner Vaterstadt. Längere Zeit war er nun hier in der Stille, doch gewiß nicht untätig, sondern hat wohl noch manches Stück griech. Bildung sich angeeignet, manche Waffe geholt für den Kampf, und auch schon hier angefangen zu „predigen den Glauben, welchen er weiland verstörete“, Gal. 1,23, bis er dann von Barnabas aufgesucht und nach Antiochien in Syrien gebracht wurde, Apg. 11,25. 26. Dort war eine größere, aus Griechen (Heidenchristen) bestehende Gemeinde entstunden, Apg. 11,20. 21, zu deren Dienst Barnabas abgeschickt worden war, B. 22. In diese Zeit seines antiochenischen Aufenthalts fällt nach gewöhnlicher Annahme die „Entzückung“, von der Paulus 2 Kor. 12,2 ff. sagt. Etwa ein Jahr nachher ging er mit Barnabas nach Jerusalem, um die Kollekte der antiochenischen Gemeinde für die hungernden Christen in Jerusalem zu überbringen, Apg. 11,29 (im Galaterbrief wird diese Reise, wei für den dort verfolgten Zweck unerheblich, nicht erwähnt.) Bei der Rückkehr nach Antiochien nahmen sie dann den Johannes Markus (den Berf. des zweiten Evangeliums) mit, Apg. 12,25, einen Verwandten des Barnabas (Kol. 4,10), und nun wird sofort Apg. 13,1 der Anfang der Heidenmission des Apostels berichtet. Paulus war das von Gott auserwählte Rüstzeug (Apg. 9,15; 22,21) hiezu; und jetzt (Apg. 13,1) kam der innerliche Antrieb durch den Geist u. die Aufforderung, Weihung u. Sendung durch die Gemeinde. Die erste Missionsreise trat Paulus mit Barnabas und Markus wohl i. J. 45 an. Die Reise ging von Seleucia zu Schiff nach Cypern (wo Barnabas zu Haus war, Apg. 4,36), welche Insel von Salamis bis Paphos durchwandert wurde. Es wurde in Cypern der Prokonsul Sergius Paulus (s. d.) bekehrt u. der „Zauberer“ Bar Jehu (s. d.) gedemütigt. Von Paphos fuhren die Reisenden nach Perge in Pamphylien, wo Johannes Markus sich von ihnen trennte. Der Grund war wohl (Apg. 15,38) Furcht vor den Gesahren u. Beschwerden der sich länger ausdehnenden Reise. Dann kamen Paulus und Barnabas nach Antiochien in Pisidien, von hier vertrieben nach Jkonien; als sich auch dort „ein Sturm gegen sie erhob“ (14,5), nach Lystra, wo Paulus beinahe sein Leben verlor (s. d. Art.), dann nach Derbe, und wieder zurück über Lystra, Jkonium, Antiochia, Perge nach Attalia, von wo die Rückreise nach dem syrischen Antiochien zur See gemacht wurde (Apg. 14,24 ff.). Stets befolgte Paulus die Praxis, daß er sich zuerst an die Juden in der Synagoge wandte; sreilich sand er die Juden nicht nur unempfänglicher als die Heiden (13,42. 48), sondern vielfach auch feindselig und bemüht, seine Arbeit zu vereiteln und zu zerstören, was ihnen auch mehrfach gelang (13,50; 14,19). Trotzdem aber hatte Paulus manchen Erfolg. Die ganze Reise mag etwa 2 Jahre gedauert haben; auf dem Rückweg kann Paulus schon in den früher besuchten Orten „hin und her Alteste ordnen in den Gemeinden“ (14,23). In die „nicht kleine“ Zeit, welche Paulus u. Barnabas nun wieder in Antiochia zubrachten (14,28), fällt das sog. Apostelkonzil wohl 48. Paulus selbst war durch die Resultate seiner ersten Misstionsreise sehr bestärkt worden in dem Bewußtsein seiner Aufgabe für die Heiden, wie in der Anschauung von der Nichtverbindlichkeit des Gesetzes für die Heidenchristen; die großen Erfolge des Paulus machten aber die Judenchristen stutzig und es schien ihnen, um dem jüdischen Gottesvolk se inen Vorrang zusichern, nötig daß, wenn überhaupt Heiden zur Christengemeinde sollten kommen dürfen, dies wenigstens auf dem Weg durch das Judentum hindurch geschehen müsse; daher verlangten etliche, die von Judäa gekommen waren, von den Christen in Antiochien, daß sie sich beschneiden lassen sollten (15,1). Diese Zumutung brachte die heidenchristlichen Gemeindeglieder von Antiochien in Gewissensnot. Paulus und Barnabas wehrten sich für sie, aber die Sache konnte nicht hier in Antiochia zum Austrag kommen, sondern Paulus und Barnabas (seit Apg. 13,13 steht Paulus als die Hauptperson da) wurden abgeordnet nach Jerusalem, zur Besprechung mit den leitenden Persönlichkeiten. Paulus nahm auch den Titus mit, und es scheint, daß in Jerusalem wenigstens der Versuch gemacht wurde, diesen Heidenchristen Titus zur Beschneidung zu bringen; aber Paulus gab das nicht zu (Gal. 2,3), vielmehr wurde von diesem „Apostelkonzil“ die Anschauung des Paulus als berechtigt anerkannt. Petrus sieht seit der Bekehrung des Kornelius das, was etliche „von der Pharisäer Sekte, die da gläubig waren geworden“, forderten an als ein „Auflegen des Joches auf der Jünger Hälse“ (Apg. 15,10); auch Jakobus stimmt dafür, daß man den Heidenchristen „nicht Unruhe mache“ mit solchen Forderungen, nur riet er, die Heidenchristen sollten zur Vermeidung dessen angehalten werden, was auch in den Vorschriften für die Proselyten verboten sei. Paulus aber wurde von den jerusalemischen Aposteln nun ausdrücklich als der von Gott für die Heidenbekehrung berufene anerkannt und nur gebeten, der Armen und Bedürftigen in der judenchristl. Gemeinde ferner zu gedenken (Gal. 2,10). Diese Entscheidung, wesentlich durch die ausschlaggebende Persönlichkeit des Paulus Zustande gekommen, war hochwichtig. Es war Gefahr vorhanden, daß entweder eine Spaltung geschehe zwischen den Judenchristen und Heidenchristen, oder aber die jüdisch-gesetzlich Gesinnten in der Gemeinde auch die anderen in ihre Gesinnung hineinzwingen möchten, womit das Christentum mehr und mehr in jüdisch-enge Grenzen eingeschränkt worden wäre. Die Spaltung wurde glücklich vermieden, von dem Abweg der unevangelischen Gesetzlichkeit wurde abgelenkt und der evangelischen Freiheit Raum geschafft, zugleich aber die von der anderen Seite immerhin auch drohende Gefahr vermieden, daß die Freiheit zu einer ins Heidentum zurückführenden Zügellosigkeit werde. Nicht lange Zeit nach her zeigt sich Paulus wiederum als den, der mit klarem Urteil und sicherem Takt das Rechte zu treffen weiß. Als Petrus nach Antiochien kam, pflegte er zuerst Gemeinschaft mit den dortigen Heidenchristen; als aber andere Judenchristen auch nach Antiochien kamen, scheute er sich vor diesen und zog sich von den Heidenchristen zurück. Paulus findet darin eine Unlauterkeit und Heuchelei — diese hatte schon angefangen, andere, selbst Varnabas, anzustecken — u. bekämpft sie öffentlich u. siegreich, Gal. 2 (weiteres s. Art. Galaterbrief). Durch alle diese Erlebnisse und Kämpfe wurde dem Apostel immer mehr seine besondere Lebensaufgabe, die Heidenbekehrung, sicher und wichtig u. ebenso die Zuversicht, daß sein Apostolat so rechtmäßig sei, wie das der anderen. Er konnte sich nicht als ihren Schüler ansehen, sondern fühlte die völlige Selbständigkeit seiner Stellung wie seiner Aufgabe. Diese nahm er nun bald wieder ernstlich auf in der zweiten Missionsreise. Paulus wollte sie in Gemeinschaft mit Barnabas machen. Da aber Barnabas den das letztemal untreu gewordenen Markus wieder mitnehmen wollte, was Paulus nicht billigen konnte, so trennten sich beide und Paulus nahm sich den Silas zum Begleiter. Die Reise ging durch Syrien und Cilicien nach Derbe und Lystra, wo Paulus den Timotheus mitnahm, dann durch Phrygien und Galatien. Die besondere göttliche Leitung (Apg. 16,6 f.) führte ihn nun nach Europa, zunächst nach Philippi (vgl. Art. Philipperbrief), von da über Amphipolis und Apollonia nach Thessalonich (s. d.), Beröa und Athen. Manchsach wiederholten sich die Schwierigkeiten der ersten Reife, namentlich durch die Feindschaft der Juden; in Athen boten Spottsucht u. Unglaube der Heiden wieder andere Hindernisse; aber bewundernswert ist bei Paulus einerfeits die unermüdliche Geduld, mit der er, an dem einen Ort vertrieben, sofort wieder einen anderen aufsucht (wobei er aber gelegentl. ganz energisch sein röm. Bürgerrecht zu seinem Schutze geltend zu machen weiß, Apg. 16,37), andererseits das Geschick, seine Verkündigung des Evangeliums je seinen Zuhörern anzupassen, „den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche zu werden“, wovon seine Predigt zu Athen (Apg. 17,22-31) ein Beispiel gibt. Eine längere und erfolgreichere Wirksamkeit entfaltete Paulus in Korinth, wohin er von Athen kam. Es gelang ihm, eine Gemeinde zu gründen, die er auch später in Blüte und Pflege erhalten durste (vgl. Artt. Korinth, Korintherbriefe). Von hier aus schrieb er die zwei Thessalonicherbriefe (s. d. Art.). Nach einem 1½ bis 2 Jahre langen Aufenthalt in Korinth reiste er über Ephesus, bis wohin ihn Aquila und Priscilla begleiteten, und Cäsarea nach Jerusalem (Apg. 18,22) und kehrte von dort nach kurzem Ausenthalt (er „grüßte die Gemeinde“, V. 22) nach dem syrischen Antiochien zurück. Die Apostelgeschichte schließt den Bericht von der dritten Missionsreise unmittelbar an. „Er verzog etliche Zeit“ (18,23), aber dann ging er, diesmal zunächst allein, durch Galatien und Phrygien, wo er die Jünger zu „stärken“ hatte, das heißt wohl (vgl. Gal. 1,9) auch zu warnen vor den schon eingedrungenen Irrlehrern, die für ihren engen judaistischen Standpunkt die heidenchristlichen Gemeinden in z. T. sehr unlauterer, unedler Weise zu gewinnen suchten, wogegen Paulusallerdings Grund genug hatte, seine Gemeinden zum Widerstand zu ermuntern. Sodann aber wählte Paulus auf dieser Reise wieder, wie auf der letzten in Korinth, ein Arbeitsfeld zu einem längeren Aufenthalt, nämlich in Ephesus, und was er dort vollbrachte, war eine neue Reihe von Siegen (Gewinnung der Johannesjünger, 19,1 ff., Zulauf zu seiner Evangeliumsverkündigung und die Wirkung seiner Wunder, 19,8-12, Sieg über die jüd. Zauberer und Beschwörer. 19,13-20). Auch der Aufruhr des Demetrius bewies, wie sehr der Götzendienst in Erschütterung und Wanken gekommen sein muß. Paulus hat auch von hier aus den Brief an die Galater geschrieben, und ebenso unseren ersten Korintherbrief (vgl. die Artt. Galatien und Korinth). Außerdem hat Paulus wahrscheinlich in dieser Zeit von Ephesus einmal, u. zwar wohl zwischen unserem ersten und unserem zweiten Korintherbrief einen Besuch in Korinth gemacht und dann auf dem Rückweg in Makedonien unseren zweiten Korintherbrief geschrieben (vgl. S. 407). Manche nehmen auch an, der Besuch in Kreta, der nach dem Titusbrief vorausgesetzt ist, sei während dieses ephesinischen Aufenthalts gemacht worden. Von Ephesus aus ging er selbst über Makedonien nach Korinth (ob er vorher noch Illyrien bereist habe, Röm. 15,19. ist nicht sicher). In den dreimonatlichen Aufenthalt fällt die Abfassung und Absendung des Römerbriefs (vgl. d. Art.), den er schrieb, weil er nicht, wie er beabsichtigt hatte, jetzt nach Rom reisen konnte, sondern um der „Steuer“ willen zunächst nach Jerusalem reisen mußte, Röm. 15,22 ff. Diese Reise nach Jerusalem machte er bereits mit ängstlichen Ahnungen (Röm. 15,30 f.). Schon in Korinth veranlaßte ihn ein Anschlag der Juden gegen ihn, seinen Plan, direkt (zur See) nach Syrien zu fahren, aufzugeben, und (zu Land) über Makedonien zu reisen. Auf dieser Reise fand er dann in Beröa, Thessalonich u. Philippi Begleitung bis Troas (Apg. 20,4). Rührend und ahnungsvoll ist der Abschied zu Milet (Apg. 20,17 ff.), betrübend und ernst — und doch bei Paulus vergeblich — war die Warnung des Agabus (Apg. 21,10 ff.), und traurig war die Erfüllung dieser Ahnungen und Borhersagungen, die sich in Jerusalem vollzog. (Vgl. Karte IV zu Pauli Missionsreisen.) —
IV. Gesangenschaft und Ende des Apostels; Zeitbestimmungen. Es ist ein schmerzlicher Kontrast zwischen dem heiligen Liebeseiser des Apostels, der aller Warnungen ungeachtet, die Gaben der heidenchristlichen Gemeinden in Makedonien u. Griechenland selbst nach Jerusalem bringen will, — und dem sanatischen Haß der Juden, welche dem Apostel seinen Abfall von Mose nicht verzeihen konnten, und dafür Rache nehmen wollten um jeden Preis. Gott ließ es zu, daß wenigstens ein Teil der Zorngedanken der Juden sich erfüllen durfte. Da nicht nur die Juden überaus feindselig, sondern auch viele Judenchristen bedenklich waren gegen Paulus und seine Missionspraxis, so folgte Paulus dem gutgemeinten, aber wohl gar zu ängstlichen Rat des Jakobus und der Ältesten, er möge die Kosten des Reinigungsopfers für einige ärmere Judenchristen, die ein Gelübde abgelegt hatten, übernehmen (was als ein hervorragendes Zeichen von Religionseifer angesehen wurde) und selbst dieses Opfer mitmachen; Paulus, um den Juden ein Jude, den Schwachen ein Schwacher zu sein, ging darauf ein, aber er beschwor auch mit dieser Nachgiebigkeit den Sturm nicht. Die Juden hatten ihn in der Gesellschaft des Trophimus in der Stadt gesehen, 21,29; schnell wurde daraus die Beschuldigung gemacht, er habe diesen Griechen in den Tempel gebracht, also den Tempel verunreinigt; dadurch wurde ein Ausbruch des Fanatismus beim Judenvolk herbeigeführt; im Aufruhr wurde Paulus ergriffen u. zum Tempel herausgerissen; vor der Ermordung durch die aufgeregte Menge rettete ihn die Kohorte der röm. Soldaten, welche herbeieilte, zunächst eben um Ordnung zu schaffen. Der röm. Hauptmann hielt ihn, gegen den sich die Wut der Juden so heftig gestürzt hatte, für einen ägyptischen Aufrührer, erlaubte aber, als das Mißverständnis sich aufklärte, dem Paulus zu seiner Verteidigung eine Ansprache an das aufgeregte Volk. Aber auch diese Verantwortung, Apg. 22,1-21, die sich zur kräftigen, ins Gewissen dringenden Predigt gestaltete, hatte, sobald er von seinem Beruf der Heidenbekehrung redete, nur einen neuen Wutausbruch der Menge zur Folge (Vers 22), wiederum mußte ihn die röm. Wache schützen; einer ungerechten Behandlung seitens dieser entging Paulus durch Berufung auf sein röm. Bürgerrecht (22,24 ff.). Der Oberhauptmann übergab die Sache dem Synedrium; auch vor diesem muß Paulus Schmach erleiden. im Synedrium selbst entsteht eine Spaltung durch die Worte des Paulus, Apg. 23,6 (die nicht etwa als ein geschickter Griff oder Advokatenkniff zu beurteilen sind, sondern dem Wunsch entsprangen, durch Hochhaltung einer Wahrheit, die auch den Pharisäern bekannt war, Anknüpfungspunkte für weitere und höhere Wahrheiten sich zu erobern), aber aus allem Tumult, aller Bedrohung gegen sein Leben kann er nur gerettet werden durch die heimliche Überführung nach Eäsarea und Übergabe an den dort residierenden Landpfleger Felix (23,33). Aus der mehr als zweijährigen cäsareischen Gefangenschaft hätte Paulus durch Bestechung frei werden können, aber einen solchen Weg erlaubte dem Apostel und seinen Freunden ihr Gewissen nicht. Da er auch in Festus keinen gerechten Richter erwarten konnte, appellierte er an den Kaiser. Deshalb wurde er, nachdem er noch Gelegenheit gehabt hatte, vor Felix und Festus, wie vor Agrippa und Bernice ein Zeugnis abzulegen (Apg. 24-26), zuletzt von Cäsarea nach Rom geschickt, wo er nach Sturm, Schiffbruch und anderen Gefahren endlich anlangte, Apg. 28,16. Er wurde dort von den Christen, denen er ja durch den Römerbrief schon bekannt war, freundlich begrüßt, und die Art seiner Haft gestattete, daß er (ähnlich wie in Eäsarea) mit seinen Freunden verkehren u. die Evangeliumspredigt auch jetzt treiben konnte. Mit der Notiz, daß er zwei Jahre lang in dieser Weise in Rom lebte, schließt der Bericht der Apostelgeschichte (28,30 f.). Aus der Zeit der Gefangenschaft stammen noch einige Briefe; der Epheser- u. Kolosserbrief, vielleicht auch der an Philemon, s. Art. Epheserbrief u. Philemon. Über das weitere Schicksal des Apostels wissen wir nichts Unbestrittenes. Soviel ist allerdings wohl sicher, daß Paulus in Rom den Märtyrertod in einer Christenverfolgung erlitten hat; aber eine ziemlich verbreitete Ansicht geht dahin, daß Paulus aus dieser Gefangenschaft befreit und erst später nochmals gefangen und in Rom dann getötet worden sei. Hiefür spricht in der Tat manches. Ein Brief des Klemens Romanus sagt, daß Paulus noch bis an das „Ziel des Westens“, das heißt wohl, da der Schreiber in Rom war, nach einem noch westlicher gelegenen Ort, also Spanien, welches der Apostel ja nach seinen eigenen Aussprüchen zu besuchen beabsichtigte, gekommen sei. Ehe er aber nach Spanien kam, habe er, wird dann angenommen, noch Ephesus, Philippi (1 Tim. 1,3), Griechenland (2 Tim. 4,20), auch Kreta (wegen Tit. 1,5) und Epirus (Nikopolis, Tit. 3,12) bereist und in dieser Zeit auch den ersten Brief an Timotheus und den an Titus geschrieben, dann sei er bei der Rückkehr von Spanien wieder gefangen und endlich in Rom getötet worden, nachdem er noch kurz vorher den zweiten Timotheusbrief geschrieben. Diese Annahme wird wesentlich unterstützt durch einen neuen glücklichen Fund, der für die Chronologie des Paulus höchst wichtig ist. Ein französischer Gelehrter (Bourguet) hat in Delphi eine Inschrift entdeckt, aus welcher hervorgeht, daß der Apg. 18,12 genannte Gallio höchstwahrscheinlich vom 1. Juli 51 bis 1. Juli 52 Prokonsul in Achaja war. Die Apg. 18,12 ff. erzählte Geschichte muß in die erste Zeit von Gallios Amtsführung gefallen sein (Paulus war schon 1½ Jahre in Korinth, aber nun beim Eintreffen des neuen Statthalters versuchen seine Gegner energisch, ihn zu beseitigen), also in den Juli od August 51; hiezu stimmt vortrefflich, daß Aquila und Priscilla nach Apg. 18,2 „neulich aus Welschland nach Korinth kamen, infolge der Vertreibung der Christen aus Rom“, denn dieses Edikt des Klaudius, der 41-54 regierte, fällt nach alten Nachrichten (Orosius) ins neunte Jahr seiner Regierung, also ins Jahr 49. Danach wären Aquila und Priscilla im Jahr 50 nach Korinth gekommen, wo Paulus mit ihnen bald nachher zusammentraf. Von diesem Datum (der Ankunft in Korinth Anfang 50) ergibt sich nun, daß Paulus nach den Reisen in Galatien, Phrygien, dem 2 jährigem Aufenthalt in Ephesus, der Reise nach Makedonien und Griechenland etwa im Mai 55 nach Jerusalem kam, wo er gefangen wurde. Die Gefangenschaft in Cäsarea hätte dann 55-57 gedauert, die Ankunft in Rom (nach der langen Reise mit dem dreimonatlichen Aufenthalt in Malta Apg. 28,11) würde Februar 58 geschehen sein. Die röm. Gefangenschaft dauerte 2 Jahre, also 58 bis 60. Wenn Paulus in der neronischen Verfolgung Juli 64 starb, so könnte in die Zeit 60-64 die Reise nach Spanien usw. wie die Abfassung der Pastoralbriefe fallen. Natürlich ergeben sich von dem gesicherten Datum 51 auch die Zahlen der vorangehenden Ereignisse. Anfang 50 kam Paulus nach Korinth, die vorangehenden Reisen dauerten mindestens 1 Jahr, das „Apostelkonzil“ fällt dann ins Jahr 48 und der erste Besuch in Jerusalem, der nach Gal. 2,113 J. früher geschah, ins Jahr 35, die Bekehrung, nach Gal. 1,182 Jahre vorher), ins Jahr 33. Als Jahr der Geburt des Paulus wird dann etwa 9 oder 10 anzunehmen sein, da Paulus bei seiner Bekehrung doch mindestens 23 oder 24 Jahre alt gewesen sein muß. (Vgl. Lietzimann in Hilgenfeld, Zeitschr. f. wissenschaftl. Theol. 53. Jahrg. 1911, Heft 4 u. Deißmann, Paulus, eine kultur- und relig.-geschichtl. Skizze, 1911.) —