Guten Abend. Wir wollen uns heute Abend mit dem Philemonbrief beschäftigen. Es ist ein ganz kurzer Brief im Neuen Testament – eine echte Perle.
Zunächst lesen wir den Brief einfach einmal durch. Danach schauen wir uns die Details an. Auf den ersten Blick scheint dieser Brief nicht unbedingt ein Lehrbrief zu sein. Doch das ist er sehr wohl.
Der Herr Jesus hat in den Evangelien angekündigt, dass der Heilige Geist kommen wird. In Johannes 16 heißt es, dass der Heilige Geist euch in die ganze Wahrheit leiten wird. Diese ganze Wahrheit wurde uns besonders offenbart in den 21 Briefen der Apostel und Propheten.
Dazu gehört auch der Philemonbrief. Wir werden sehen, dass die Lehre sich nicht nur auf die Heilsgeschichte bezieht, sondern auch auf das praktische Leben. Und genau das finden wir im Philemonbrief in einer ganz besonderen Hinsicht – als eine besondere Perle.
Paulus, ein Gefangener Christi Jesu, und Timotheus, der Bruder, senden Grüße an Philemon, unseren geliebten Mitarbeiter, sowie an die geliebte Appia und Archippus, unseren Mitstreiter, und an die Gemeinde in deinem Haus.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Ich danke meinem Gott und gedenke allezeit deiner in meinen Gebeten, weil ich von deinem Glauben an den Herrn Jesus höre und von deiner Liebe gegenüber allen Heiligen.
Damit deine Gemeinschaft im Hinblick auf den Glauben für Christus Jesus wirksam werde, durch die Erkenntnis alles Guten, das in euch ist.
Denn wir haben viel Freude und Trost um deiner Liebe willen, denn die Herzen der Heiligen sind durch dich erquickt worden, lieber Bruder.
Darum, obwohl ich in Christus volle Freiheit hätte, dir zu gebieten, was sich geziemt, will ich doch um deiner Liebe willen vielmehr eine Bitte aussprechen. Ich tue dies in dem Zustand, in dem ich bin, nämlich als der alte Paulus und jetzt auch als ein Gefangener Jesu Christi.
Ich bitte dich für mein Kind, das ich in meinen Fesseln gezeugt habe: Onesimus, der dir einst unnütz war, jetzt aber dir und mir nützlich ist. Ich sende ihn hiermit zurück. Du aber nimm ihn auf wie mein eigenes Herz.
Ich wollte ihn bei mir behalten, damit er mir an deiner Stelle diene, in den Fesseln, die ich um des Evangeliums willen trage. Aber ohne deine Zustimmung wollte ich nichts tun, damit deine Wohltat nicht gleichsam erzwungen, sondern freiwillig ist.
Denn vielleicht ist er darum auf eine kurze Zeit von dir getrennt worden, damit du ihn auf ewig besitzen sollst – nicht mehr als ein Sklave, sondern etwas Besseres als ein Sklave, nämlich als ein geliebter Bruder. Besonders für mich, wie vielmehr aber für dich, sowohl im Fleisch als auch im Herrn.
Wenn du mich nun für einen hältst, der Gemeinschaft mit dir hat, so nimm ihn auf wie mich selbst. Wenn er dir aber Schande oder Schaden zugefügt hat oder etwas schuldig ist, so stelle das mir in Rechnung.
Ich, Paulus, schreibe es eigenhändig: Ich will es erstatten. Ich will ja nicht einmal davon reden, dass du auch dich selbst mir schuldig bist.
Ja, Bruder, lass mich von dir Nutzen haben im Herrn, erquicke mein Herz im Herrn. Im Vertrauen auf deinen Gehorsam schreibe ich dir, weil ich weiß, dass du noch mehr tun wirst, als ich dir sage.
Zugleich aber bereite mir auch eine Herberge, denn ich hoffe, dass ich euch durch eure Gebete geschenkt werde.
Es grüßen dich Epaphras, mein Mitgefangener in Christus Jesus, Markus, Aristarchus, Demas und Lukas, meine Mitarbeiter.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit eurem Geist. Amen.
Für diejenigen, die über den Livestream zugeschaltet sind: Unten können Sie das Skript für heute Abend herunterladen. Es wird hilfreich sein, um diesen Brief besser zu verstehen.
Ich habe versucht, den Philemonbrief in wenigen Sätzen zusammenzufassen und lese nun aus dem Skript vor.
Der Philemonbrief ist ein herrliches Plädoyer von Paulus für einen davongelaufenen, einst unnützen Sklaven namens Onesimus. Sein Name bedeutet „der Nützliche“, doch er trug ihn zunächst völlig zu Unrecht. Dieser Sklave kam durch den Kontakt mit dem in Rom festgehaltenen Apostel zum Glauben.
Paulus ermahnt Philemon, den Herrn von Onesimus, den Davongelaufenen als seinen Bruder in Christus liebevoll wieder aufzunehmen.
Dieser Brief ist ein Juwel christlichen Takts und zeigt große Feinfühligkeit im Umgang mit heiklen Angelegenheiten.
Es geht also darum, dass Paulus in Rom gefangen war. Es handelt sich um seine erste Gefangenschaft, die uns ganz am Schluss der Apostelgeschichte vorgestellt wird. In Apostelgeschichte 28 können wir kurz die Beschreibung lesen.
Paulus hatte sich auf den Kaiser berufen und musste deshalb unbedingt nach Rom gehen. Die Verhandlung konnte jedoch erst stattfinden, wenn die Anklagen aus Israel eingetroffen wären. Diese Anklagen kamen aber nie. So musste Paulus zwei volle Jahre in Rom in Gefangenschaft auf die Anklagen warten, die nie kommen sollten.
Es gab ein römisches Gesetz, das besagte, dass jemand freigesprochen wird, wenn nach Ablauf von zwei vollen Jahren keine Anklagen eingetroffen sind. Genau an diesem Punkt befinden wir uns in Apostelgeschichte 28, bitte Verse 30 und 31:
Paulus aber blieb zwei Jahre in einer eigenen Mietwohnung und nahm alle auf, die zu ihm kamen. Er verkündigte das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn Jesus Christus mit aller Freimütigkeit und ungehindert.
Hier haben wir also den Ausdruck „zwei ganze Jahre“ in Vers 30. Das Besondere war, dass Paulus das Vorrecht hatte, in einem gemieteten Haus in Gefangenschaft zu sein. Das bedeutete allerdings, dass er an zwei Soldaten gefesselt war, die Tag und Nacht seine Begleiter waren.
Man könnte sagen, das waren zwei verlorene Jahre in seinem Leben. Wir kennen solche Zeiten auch selbst, in denen manche sagen könnten, zum Beispiel zwei Jahre Corona seien wie verlorene Zeit gewesen. Wir waren ja alle in einer Art Gefängnis. Trotzdem haben wir gemerkt: Das Wort Gottes ist nicht gebunden.
Gerade diese Zeit war besonders fruchtbar. Wir konnten Menschen erreichen, die wir vorher gar nicht erreicht hatten. Durch die Schwierigkeiten dieser Zeit kamen auch viele zum Glauben.
So sehen wir auch hier: Der Apostel Paulus war in Gefangenschaft, doch er konnte ständig Leute empfangen und das Wort Gottes verkündigen. Im griechischen Text ist das letzte Wort hier „akolytos“, was „ungehindert“ bedeutet. In den deutschen Übersetzungen steht das wegen der deutschen Wortstellung nicht so deutlich, aber man kann wissen, dass „ungehindert“ das letzte Wort ist.
Gefangen, aber das Wort Gottes ist nicht gebunden.
Und nun werden wir sehen: Der Brief an Philemon wurde gerade am Ende dieser zwei Jahre geschrieben. Warum? Paulus kam in diesen zwei Jahren, genauer gesagt am Schluss dieser Zeit, in Kontakt mit einem Sklaven.
Dieser Sklave gehörte Philemon, einem Herrn in Kolosse. Kolosse liegt in der heutigen Westtürkei, in der Provinz Asia, die größer als die Schweiz war. Kolosse war zusammen mit Ephesus, Smyrna, Pergamos und anderen Orten eine Ortschaft mit einer Gemeinde. Diese Gemeinde traf sich, wie wir im Brief lesen, im Haus von Philemon (Philemon 1,2: „die Gemeinde in deinem Haus“).
Die Situation war dramatisch: Der Sklave war aus der Türkei entkommen. Auf unglaublichen Umwegen gelangte er nach Rom, wurde dort verhaftet und kam in Kontakt mit Paulus. Für ihn stand eigentlich die Todesstrafe an.
Doch nun war dieser Sklave zum Glauben gekommen. Paulus war besorgt, dass dieser Sklave zurückkehren würde und bat darum, dass er völlige Vergebung erhält. Die Lage war also sehr kompliziert und schwierig.
Wie schreibe ich diesem Philemon einen Brief? Gut, er hätte schreiben können: Paulus, Apostel Jesu Christi, und dabei auf seine Autorität pochen. Und diesem Philemon sagen: Schau mal, der hat sich verkehrt, jetzt musst du ihm vergeben, das ist alles klar. Und bitte betrachte ihn nicht mehr als Sklave. Aber das hat er nicht gemacht.
Wir haben gelesen: Paulus, ein gefangener Christ Jesu, und Timotheus, der Bruder, an Philemon, den Geliebten. Er nennt nicht einmal seine Autorität. Er will bewusst nicht als Apostel auftreten und Philemon etwas gebieten.
Das sagt er ihm ja schließlich auch im Brief: „Eigentlich könnte ich dir gebieten.“ Wo haben wir das gelesen? Ja, versuch es zu lesen: „Darum, obwohl ich in Christus volle Freiheit hätte, dir zu gebieten, was sich geziemt, so will ich doch um der Liebe willen vielmehr eine Bitte aussprechen.“ In dem Zustand, in dem ich bin, nämlich als der alte Paulus und jetzt auch ein Gefangener Jesu Christi.
Also, er will das nicht irgendwie durchdrücken, sondern er möchte das Herz von Philemon erreichen. Und wie macht er das? Er stellt sich einfach vor als der Kleine. Paulus heißt ja „der Kleine“, obwohl er ursprünglich den Namen Saulus hatte, und das bedeutet „der Gefragte“. Der Name sollte an einen Mann erinnern, der einen Kopf größer war als das zwölfstämmlige Volk Israel.
Aber eben, er sieht sich da als Paulus, als Gefangener, und ist dabei noch unterstützt durch Timotheus, der auch bei ihm war in Rom. Darum erwähnt er ihn hier. Er stellt sich also nicht als Übermensch dar, der keine Unterstützung braucht, sondern als Paulus mit Timotheus, der durch ihn zum Glauben gekommen war, wie das im 1. und 2. Timotheus am Anfang gesagt wird. Für ihn war es wichtig, diese Unterstützung zu haben.
Dann schreibt er an Philemon. Und wem noch? An welche Personen ist der Brief gewidmet? Diesen drei: Philemon, Appia, das ist seine Frau, und Archippus, das ist deren Sohn.
Was nun auffällt, ist, dass er Philemon den Geliebten nennt. Er zeigt also, dass Paulus zu ihm nicht nur eine positive Haltung hatte, sondern eine zutiefst wertschätzende Haltung.
Dann kommt noch mehr: Er betont auch, dass bei ihm die Gemeinde zu Hause ist. Er anerkennt bei diesem Philemon, dass das jemand ist, der sich ganz für die Sachen des Herrn einsetzt. Er war natürlich steinreich, und das war im ersten Jahrhundert so, dass besonders Reiche, je nachdem ihre Besitztümer, ihre Häuser öffneten, damit örtliche Gemeinden zusammenkommen konnten.
Das anerkennt Paulus hier: „Und die Gemeinde in deinem Haus.“
Und nun, wie gesagt, das war in Kolossä. Wieso wissen wir das? Hier haben wir ja nichts vom Kolosserbrief gelesen. Schlagen wir doch mal den Kolosserbrief auf. Er wurde zur gleichen Zeit von Paulus in Rom abgeschickt, und Tychikus war der Überbringer. Tychikus brachte den Kolosserbrief und gleichzeitig den Philemonbrief.
Diesen Tychikus musste er auch begleiten, zusammen mit dem Sklaven Onesimus, dem einzigen Sklaven, auf dieser damals weiten Reise.
Wenn wir den Kolosserbrief aufschlagen, finden wir in Kapitel 4 eine Überraschung. Man muss sich vorstellen, wie der Brief zum ersten Mal in der Gemeinde in Kolossä vorgelesen wurde, im Haus von Philemon, also auf diesem großen Grundbesitz. Am Schluss, in Vers 17 von Kapitel 4, heißt es: „Und sagt dem Archippus: Habe Acht auf den Dienst, den du im Herrn empfangen hast, damit du ihn erfüllst.“
Das ist eine Schlussermahnung im Brief, an die ganze Gemeinde gerichtet, aber speziell an eine Person – an den Sohn von Philemon. Irgendwie hatte dieser Archippus eine Schwierigkeit. Auch im Philemonbrief wird Archippus erwähnt, in Vers 2. Paulus nennt ihn „unseren Mitkämpfer“. Das war jemand, der mit dem Apostel Paulus verbunden war und sich treu im Dienst erwiesen hatte.
Doch offenbar gab es etwas, das ihn hätte bremsen oder entmutigen können. Deshalb brauchte er diese Überraschung: Beim Vorlesen des Kolosserbriefes hörten alle, wie es zu Archippus heißt: „Sieh auf deinen Dienst, den du im Herrn empfangen hast, dass du ihn erfüllst.“ Das hatte er natürlich nicht erwartet, als der Brief vorgelesen wurde.
Man könnte sich fragen, warum Paulus das in den großen Brief an die ganze Gemeinde hineingesetzt hat. Er hätte es doch ganz privat im Philemonbrief vermerken können, zum Schluss noch: „Übrigens, Archippus, lass dich ermutigen, mach weiter mit deinem Dienst, du darfst nicht aufgeben.“
Aber er hat es im Kolosserbrief hineingetan. Warum? Damit es auch die Geschwister wussten. Sie konnten ihm dann sagen: „Archippus, wir haben es ja gehört. Bitte höre nicht auf, du darfst nicht aufgeben. Mach weiter! Sieh auf den Dienst, den der Herr dir gegeben hat, und erfülle ihn.“
Wenn der Herr uns einen Dienst gibt, ist das kein „Ich kann es machen oder nicht“. Dann müssen wir es tun. Das war liebevoll von Paulus, dass er das nicht nur im Philemonbrief geschrieben hat, sondern im Kolosserbrief. So konnten die Geschwister Archippus immer wieder daran erinnern: „Wir haben es gehört, und wir sehen uns genau so wie der Apostel Paulus. Mach weiter!“
Ja, das sind alles Details, die zeigen, wie der Apostel Paulus die Fähigkeit hatte, genau zu wissen, wann er was wie sagen sollte.
Zunächst sagt er zu Philemon: Du bist ein Geliebter und unser Mitarbeiter, und in deinem Haus befindet sich die Gemeinde. Ab Vers 4 dankt Paulus Gott und berichtet, dass er immer wieder im Gebet an Philemon denkt. Das zeigt, welche enge Beziehung zwischen ihnen bestand.
Was freut Paulus besonders an Philemon? Er hebt zwei Punkte hervor: seinen Glauben und seine Liebe. Dabei meint er nicht irgendeinen Glauben, sondern den Glauben an den Herrn Jesus. Das bedeutet, dass der Herr Jesus Autorität in Philemons Leben hatte und sein Herr war.
Der zweite Punkt ist die Liebe. Aber nicht nur die familiäre Liebe oder die Liebe zu den Geschwistern in Kolossä, sondern die Liebe zu allen Heiligen. Paulus greift damit ein Thema auf, das er sehr ausführlich im Epheserbrief behandelt. Dort wird die Liebe zu allen Heiligen betont. Es lohnt sich, den Epheserbrief zu lesen und alle Stellen zu suchen, in denen von der Liebe zu allen Heiligen die Rede ist.
Der Epheserbrief behandelt nicht nur die örtliche Gemeinde, wie zum Beispiel der Erste Korintherbrief, sondern betont die weltweite Gemeinde, also alle Erlösten weltweit. Dort spricht Paulus von der Liebe zu allen Heiligen – ein Kennzeichen, das auch Philemon auszeichnete.
Paulus zählt verschiedene Dinge auf, die er an Philemon sehr wertschätzt, bevor er auf das Problem zu sprechen kommt. Das ist eine Vorbereitung. Man muss sich vorstellen, dass die Leser den Brief zum ersten Mal lesen. In den ersten Versen wissen sie noch nicht genau, was auf sie zukommt. Das geht alles bis Vers 7, erst ab Vers 8 folgt die heikle Sache.
Aber durch die vorherigen Worte ist Philemon innerlich gefestigt und vorbereitet, etwas zu akzeptieren, was für ihn ein innerer Kampf war. Das ist ganz anders als bei den Freunden Hiobs. Die Freunde von Hiob drückten ihn, der schon schwer krank war, richtig an die Wand. Sie sagten ihm, wie schlecht er sei – völlig zu Unrecht.
Paulus hingegen sagt Philemon all das, was er anerkennen kann. Das ist ganz ähnlich wie bei den Sendschreiben in Offenbarung 2 und 3. Dort hat Jesus Augen wie Feuerflammen (Offenbarung 1) und sieht alles, durchdringt alles. Wo es möglich ist, nennt Jesus zuerst alle positiven Dinge, wie in den Sendschreiben an Ephesus, Smyrna usw., und erst danach weist er auf das Schlechte hin.
In Laodizea gab es kaum etwas Positives zu sagen – das war schlimm. Aber wo es ging, nennt der Herr zuerst das Gute und dann das, was nicht in Ordnung ist. Das schafft eine Grundlage, ein Fundament, um etwas zu akzeptieren.
Wenn man jemanden ermahnen will, aber keine Vertrauensbeziehung hat und kein Interesse an der Person zeigt, ist das Mahnen problematisch. Wie kann man da das Herz erreichen? Paulus versucht, das Herz von Philemon zu erreichen, um dann das Schwierige anzusprechen.
Das ist keine Schmeichelei. Schmeicheln ist eine üble Sache. Elihu, der vierte Freund Hiobs, der seinen Freund nicht an die Wand drückte, betont, wie wichtig es ist, gerecht zu urteilen. In Hiob 32,21 sagt er: „Ich will aber für niemand Partei ergreifen und keinen Menschen schmeicheln, denn ich kann nicht schmeicheln; leicht könnte mein Schöpfer mich sonst wegraffen.“
Elihu war sich klar, dass Schmeicheln sogar gefährlich ist, in Gottes Augen so schlimm, dass er damit rechnen muss, dass der Schöpfer ihn wegnimmt. Paulus schmeichelt nicht, sondern erkennt das Gute an. Er sagt zu Philemon, dass der Wunsch besteht, dass er auch das Gute bei anderen anerkennt.
In Vers 6 heißt es: „Damit die Gemeinschaft des Glaubens wirksam werde in der Erkenntnis alles Guten, das in uns ist in Christus Jesus.“ Paulus fordert Philemon auf, weiter zu wachsen und alles Gute anzuerkennen, das bei Paulus und Timotheus zu finden ist, die den Brief geschrieben haben.
Philemon soll genauso handeln wie Paulus und Timotheus, die all das Gute anerkannt haben. Das ist ein wichtiger Punkt: Offene Augen zu haben, auch wenn man Probleme sieht, aber das Gute zu erkennen und anzuerkennen.
In Vers 7 sagt Paulus weiter: „Denn wir haben viel Freude und Trost um deiner Liebe willen; denn die Herzen der Heiligen sind durch dich erquickt worden, lieber Bruder.“
Was anerkennt Paulus hier? Dass Philemon die anderen erquickt hat – also Gläubige ermutigt und belebt hat.
Was bedeutet „erquicken“? Es heißt froh machen, beleben. Im Psalm 23, Vers 3 heißt es: „Er erquicket meine Seele.“ Das ist etwas, was der Hirte mit seinen Schafen tut. Schafe können traurig werden, wenn sie umfallen und auf dem Rücken liegen. Dann schaffen sie es nicht mehr, aufzustehen, zappeln wild und können sogar ersticken.
Wenn man das sieht, sollte man sofort helfen, sie wieder auf die Beine zu bringen. Das Schaf fällt vielleicht wieder um, weil es noch schwach ist, aber man muss es immer wieder aufrichten. Im Psalm 23, Vers 3 bedeutet „erquicken“ (hebräisch „Jeschoweh nefesch“) die Seele zu drehen, also das Schaf auf die Beine zu bringen, damit es wieder froh und belebt wird.
Das griechische Wort für „erquicken“ meint hier beleben und auch zur Ruhe bringen. Philemon hat bei den Gläubigen bewirkt, dass sie innerlich Ruhe finden konnten, wenn sie unruhig waren, durch seinen Zuspruch.
Noch mehr: In Vers 7 sagt Paulus: „Ich hatte große Freude und großen Trost durch deine Liebe.“ Philemon war also ein Auslöser großer Freude und großen Trostes.
Das ist eine ganze Reihe von positiven Dingen, die Paulus an Philemon anerkennen konnte.
Ab Vers acht behandelt Paulus ein schwieriges Thema. Er macht Philemon ganz klar, dass er als Apostel gewissermaßen die volle Freiheit hat, ihm vorzuschreiben, was er tun muss. Doch das möchte er nicht tun. Stattdessen will er es durch die Liebe erreichen.
Paulus stellt sich vor als der alte Paulus, der Gefangene. Aber nicht irgendein Gefangener, sondern ein gefangener Christ Jesu – das heißt, er leidet für Jesus Christus und für seine Sache. Das ist ein wichtiger Punkt: Er möchte um der Liebe willen handeln.
Sein Ziel ist es, das Herz von Philemon zu erreichen. Philemon soll Onesimus nicht handeln, weil er es muss, sondern weil er es möchte. Das ist ein großer Unterschied. Paulus’ Anliegen ist, dass Philemon aus Liebe handelt – aus Liebe zum Herrn Jesus, zum Vater, zu Paulus und zu Onesimus.
Wir sehen also, dass Liebe eine zentrale Rolle in diesem Brief spielt. Ist dir aufgefallen, wie oft das Wort Liebe vorkommt? Ohne Philemon selbst sind es sieben Mal.
Philemon selbst bedeutet „Liebender“. Sein Name leitet sich vom griechischen Wort „phileo“ ab, das „lieben“ oder „als Freund lieben“ bedeutet. Paulus möchte, dass Philemon wirklich aus dieser Liebe heraus handelt, weil er ein Liebender ist, nicht weil er vom Apostel gezwungen wird.
Das erste Mal taucht also der Name Philemon auf, der von „phileo“ kommt. Dann folgt das Wort „Agapetos“, was „der Geliebte“ bedeutet und vom Verb „agapao“ abstammt. Dieses Wort bezeichnet eine besondere, göttliche Liebe, die von Gott wirkt. Das wird hier betont.
Im Mehrheitstext gibt es eine kleine Änderung: Statt „der Schwester“ steht dort „der Geliebten“ (Abja). Das kann man sich so merken. Damit haben wir das dritte Mal das Wort Liebe, nämlich „Abja, die Geliebte“.
Weiter geht es in Vers fünf: „Ich höre von deiner Liebe“, in Vers sieben: „große Freude und großen Trost durch deine Liebe“ und in Vers neun: „um der Liebe willen“. In Vers 16 heißt es: „Sondern mehr als ein Sklave, als ein geliebter Bruder“.
Damit haben wir insgesamt sieben Mal das Wort Liebe, also direkt das griechische Wort für Liebe, im Brief verwendet.
Ja, und nun gehen wir weiter. Vers 10 liest du nochmals, Robin?
Ich bitte dich für mein Kind, das ich in meinen Fesseln gezeugt habe, Onesimus, der dir einst unnütz war, jetzt aber dir und mir nützlich ist. Ich sende ihn hiermit zurück, du aber nimm ihn auf wie mein eigenes Herz.
Danke. Hier sagt Paulus ganz klar, dass Onesimus durch ihn zum Glauben gekommen ist. Er sagt: „Ich habe ihn gezeugt in den Fesseln.“ Das ist also ganz analog zu 1. Timotheus 1, wo Paulus das von Timotheus sagt. Können wir kurz aufschlagen?
1. Timotheus 1,2: „An Timotheus, mein echtes Kind im Glauben.“ Genau, also Kind im Glauben.
Und dann 2. Timotheus 1,2. Das habe ich bereits gelesen. Zweiter Timotheus. Also 1. Timotheus 1,2: „Timotheus, meinem echten Kind im Glauben.“ An Timotheus, mein geliebtes Kind. Ja, genau. Kleiner Unterschied: echtes Kind, geliebtes Kind.
Und dann haben wir noch einen interessanten Ausdruck in Bezug auf die Korinther in 1. Korinther 4. Können wir kurz aufschlagen? Die Korinther kamen ja durch die Evangelisationsarbeit von Paulus zum Glauben. Lies mal 1. Korinther 4,14-15:
„Nicht zu eurer Beschämung schreibe ich das, sondern ich ermahne euch als meine geliebten Kinder, denn wenn ihr auch zehntausend Lehrmeister hättet in Christus, so habt ihr doch nicht viele Väter, denn ich habe euch in Christus Jesus gezeugt durch das Evangelium. So ermahne ich euch nun: Werdet meine Nachahmer.“
Ja, also das drückt er auch so aus: Er ist der Vater geworden, dadurch, dass er ihnen das Evangelium gebracht und sie zum Glauben geführt hat. Dadurch entstand eine besondere Beziehung.
Wir sehen das: Eine besondere Freundschaft, jetzt im Fall von Timotheus, und auch eine ganz besondere Beziehung zu diesem Onesimus. Denn er nennt ihn „mein Herz“. Und eben den Korinthern sagt er: Wenn jetzt irgendwelche Leute euch belehren würden, ihr könntet zehntausend Erzieher haben – das ist das griechische Wort „Pädagogen“ –, aber sie sind nicht das Gleiche wie ein Vater. Und dann sagt er: „Seid meine Nachahmer.“ Also er wollte sie in der Jüngerschaft auch durch sein Beispiel mitziehen.
Gehen wir zurück zu Philemon, Vers 10. Da nennt er ihn „mein Kind“, und in Vers 12 nennt er ihn „mein Herz“.
Nun macht er ein Wortspiel mit dem Namen Onesimus, den die Eltern dieses Mannes, der später ein Sklave wurde, ihm gegeben hatten. Was haben sie sich überlegt? Sie haben einfach gedacht: Unser Kind soll einmal in dieser Welt nützlich sein. Sie haben ihm diesen Namen gegeben, aber sie wussten nicht, was mit ihm einmal geschehen würde.
Dass er einmal eine ganz schwere Zeit durchmachen müsste als Sklave, dabei aber seinen verdorbenen Charakter als ein fauler Mensch zeigen würde. Aber dass er dann einmal durch den Apostel der Heiden zum Glauben kommen und nützlich werden würde – das haben sie sich nicht überlegt.
Aber das steckt in diesem Namen drin, und Paulus nutzt das aus, weil der Eigenname eben etwas ist, ein Vokabel, das für immer besonders wichtig ist.
Wenn man irgendwo am großen Bahnhof ist, ganz viel Lärm, die Leute schreien und rufen und sprechen und reden, und dann hört man seinen eigenen Namen, sofort reagiert man. Unglaublich! Wir sind so darauf eingerichtet.
Darum ist es auch so besonders kostbar, dass Gott in Jesaja 43 sagt: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“
Und das war ja auch so etwas Besonderes, als Jesus als der Auferstandene dieser weinenden und völlig am Boden zerstörten Maria sagt: „Maria!“ Und sie wendet sich um und sagt: „Rabbuni!“ Dann hat sie den Herrn erkannt.
Und darum macht Paulus hier dieses Wortspiel: Onesimus, der Nützliche, der dir einst unnütz war. Und dann sagt er: „Jetzt ist er dir, Philemon, und auch mir nützlich.“
Aber jetzt gibt es einen Interessenkonflikt. In Vers 13 sagt Paulus: Eigentlich hätte ich diesen Sklaven behalten wollen. Er ist so toll, den ich bei mir behalten wollte, damit er statt deiner mir in den Festen des Evangeliums diene.
Also wurde er wirklich diesem Paulus in der Apostelgeschichte 28 am Schluss, wo er das Wort ungehindert weitergegeben hat, so nützlich durch irgendwelche Unterstützung.
Aber dann sagt der Apostel in Vers 14: „Aber ohne dein Einverständnis wollte ich nichts tun.“ Damit anerkennt er die Position von Philemon und geht nicht einfach darüber hinweg.
Nun sehen wir wieder: Die Wohltat von Philemon sollte nicht etwas Erzwungenes sein, sondern etwas Freiwilliges. Und mehr als freiwillig haben wir gesehen, nämlich um der Liebe willen, wirklich, weil er es so möchte – aus göttlicher Liebe im Herzen heraus.
Und nun ganz schön in Vers 15, lassen wir nochmals lesen: „Denn vielleicht ist er darum auf eine kurze Zeit von dir getrennt worden, damit du ihn auf ewig besitzen sollst. Nicht mehr als ein Sklave, sondern etwas Besseres als ein Sklave, als ein geliebter Bruder, besonders für mich, wie vielmehr aber für dich, sowohl im Fleisch als auch im Herrn.“
Ja, was hier ausgedrückt wird, das ist eine Sensation. Paulus hat nie aufgerufen, Petitionen zu unterschreiben und dann an den Kaiser zu richten, dass es eine Abschaffung der Sklaverei im Römischen Reich geben muss. Er hat auch nicht gefordert, das ganze Römische Reich völlig christlich umzugestalten.
Das hat er nicht gemacht. Aber er war ja auch kein Politiker und hatte dem Römischen Reich gar nichts zu sagen. Er hat auch nicht zum Aufstand aufgerufen, dass diese Strukturen durch eine Revolution zerstört werden müssten.
Nein, aber durch das Evangelium wurde das aufgebrochen. Die Sklaverei im Römischen Reich war ein echtes Problem. Sie kam aus der Sünde des Menschen, aus dem menschlichen Herzen heraus, das meint, Menschen könnten über andere Menschen verfügen, dass Menschen gehandelt werden könnten.
Es ist aber ganz interessant: Wir haben verschiedene Abschnitte im Neuen Testament, wo Sklaven angesprochen werden, die sich bekehrt haben. Zum Beispiel in Epheser 6. Außerdem kann man mit einer Konkordanz alle weiteren Stellen in den Briefen heraussuchen, in denen Sklaven angesprochen werden.
Dort werden ihnen Verhaltensanweisungen gegeben für diesen schwierigen Stand.
Epheser 6, lies mal vor, Vers 5: „Ihr Knechte, gehorcht euren leiblichen Herren mit Furcht und Zittern in Einfalt eures Herzens als dem Christus, nicht mit Augendienerei, um Menschen zu gefallen, sondern als Knechte des Christus, die den Willen Gottes von Herzen tun.“
Dient mit gutem Willen dem Herrn und nicht den Menschen, denn ihr wisst, dass jeder, der Gutes tut, es vom Herrn empfangen wird – sei er Sklave oder Freier.
Der Apostel Paulus spricht hier diese Sklaven an. Wenn hier „ihr Knechte“ steht, kommt das griechische Wort „doulos“ zum Einsatz, das man mit Knecht oder Sklave übersetzen kann. Es zeigt die ganze Bandbreite dieser Bezeichnung.
Im Römischen Reich gab es Sklaven, die eigentlich ein gutes Leben hatten. Sie wurden oft auf hohe Positionen gesetzt, konnten zum Beispiel Lehrer der Kinder sein und hatten einen festen Platz in der Familie. Das war übrigens auch in Amerika so, bevor die Sklaverei abgeschafft wurde.
Viele Sklaven lebten in totalem Elend, was wirklich ein Gräuel war. Aber es gab auch Sklaven, die es sehr gut hatten und wie Familienmitglieder behandelt wurden. So lässt sich die Bandbreite des Begriffs „Sklave“ bis hin zu „Knecht“ verstehen.
Der Apostel Paulus ruft die Sklaven nicht dazu auf, die Flucht zu ergreifen, wie einst Onesimus. Er fordert auch nicht zu einer Revolution auf. Stattdessen sagt er den Sklaven: Wenn ihr in dieser Position seid, dann seid ein gutes Zeugnis.
Alles, was ihr tut, sollt ihr für Christus tun – als Gottesdienst, als Dienst für Gott. Paulus mahnt, nicht mit „Augendienerei“ zu arbeiten, also nicht nur dann fleißig zu sein, wenn zwei Augen auf einen gerichtet sind. Sobald der Chef weg ist, hört der Fleiß auf.
Arbeitet nicht, um Menschen zu gefallen, sondern als Knechte Christi.
Ein weiterer wichtiger Punkt findet sich im Ersten Korintherbrief, Kapitel 7. Wenn wir dort kurz nachschlagen, sehen wir, dass gerade in Korinth der Anteil der Sklaven an der Bevölkerung sehr hoch war. Viele Menschen aus der Sklavenklasse kamen durch den Apostel Paulus zum Glauben.
In 1. Korinther 7,21 heißt es: „Bist du als Sklave berufen worden, so sei deshalb ohne Sorge. Wenn du aber auch frei werden kannst, so benutze es lieber. Denn der im Herrn berufene Sklave ist ein Freigelassener des Herrn, ebenso ist auch der berufene Freie ein Sklave Christi.“ Paulus macht hier deutlich: Wenn jemand zum Glauben kommt und Sklave im römischen Reich ist, sollte er nicht unbedingt versuchen, seine Situation um jeden Preis zu ändern.
Doch wenn sich die Möglichkeit zur Freiheit bietet, soll man diese ergreifen. Es geht also nicht um eine Revolution oder gewaltsame Umstürze. Im Brief an Philemon sehen wir, wie durch Liebe dieses System aufgebrochen wird. Paulus schreibt dort, dass Onesimus, der früher ein Sklave von Philemon war und von ihm getrennt war, jetzt nicht mehr als Sklave betrachtet wird, sondern als Bruder in Christus. Damit wird die bisherige Hierarchie aufgelöst.
Diese biblische Grundlage hatte später enorme gesellschaftliche Auswirkungen. Wenn wir an die Abschaffung der Sklaverei in England und Amerika denken, war William Wilberforce eine entscheidende Persönlichkeit. Durch ihn kam es dazu, dass 1833 die englische Regierung die Sklaverei abschaffte. Bereits einige Jahre zuvor, um 1806, wurde der Sklavenhandel in England verboten, und bald darauf auch in den USA. In Großbritannien wirkte sich dieses Verbot auf das gesamte britische Weltreich aus.
Wilberforce war ein Mann, der sich bekehrte und drei Jahre später begann, sich mit voller Kraft für die Abschaffung der Sklaverei einzusetzen. Er hatte eine hohe Position als Mitglied des Parlaments und kämpfte trotz der Gefahr, seine politische Karriere zu zerstören. Sein Engagement geschah aus dem Glauben heraus.
Man kann sagen, dass die Abschaffung der Sklaverei in der westlichen Welt, der später Länder wie Frankreich folgten, eng mit diesem Mann verbunden ist. Seine Biografie, etwa von Eric Metaxas geschrieben, zeigt, wie Glauben, Christentum und die Bibel eine entscheidende Rolle spielten.
Die Grundlage für diese Veränderung wurde bereits im Philemonbrief gelegt – nicht durch Revolution, Blutvergießen oder Gewalt, sondern durch Beharrlichkeit und Liebe.
Ja, Robin. Also, ich habe zwei Punkte. Erstens: Die Sklaverei wurde irrtümlich mit der Bibel begründet, und zwar mit dem Fluch, der über Ham ausgesprochen wurde. Das wurde so ausgelegt, dass man daraus ableiten konnte, Afrikaner versklaven zu dürfen.
Zum zweiten Punkt: Paulus greift die Sklaverei auch im Kolosserbrief auf. Dieser Brief wurde in Kolossä vorgelesen, und Onesimus hat das ebenfalls gehört. Er nutzt diese Stelle im Kolosser 3,22.
Ich bin mir nicht sicher, ob du im Livestream gut zu hören warst, deshalb wiederhole ich kurz, was du gesagt hast:
Der erste Punkt ist, dass manche Leute die Sklaverei mit der Bibel begründet haben. Sie behaupteten, Ham sei von Noah verflucht worden und aus seiner Linie kämen die Schwarzafrikaner. Daraus wurde dann abgeleitet, dass die Sklaverei biblisch gerechtfertigt sei. Diese Begründung ist jedoch falsch.
Wenn man 1. Mose 9 liest, sieht man, dass nicht Ham verflucht wurde, sondern Kanaan. Kusch, der im Hebräischen „Schwarz“ bedeutet, stammt zwar von Ham ab. Später in der Bibel ist Kusch immer wieder die Bezeichnung für Äthiopien, also das Gebiet um Sudan und Äthiopien – Schwarzafrika.
Von dort aus haben sich die Nachkommen von Kusch bis nach Südafrika ausgebreitet. Doch der Fluch in 1. Mose 9 liegt nicht auf Ham oder Kusch, sondern allein auf Kanaan. Von Kanaan stammen die späteren Kanaaniter ab, die unter diesen Fluch kamen. Deshalb war die Begründung für die Sklaverei völlig falsch.
Dann hast du den Kolosserbrief, Kapitel 3, Vers 22, hinzugefügt. Wir können die Stelle kurz anschauen:
Kolosser 3,22: „Ihr Knechte, gehorcht euren leiblichen Herren in allen Dingen, nicht mit Augendienerei, um den Menschen zu gefallen, sondern in Einfalt des Herzens, als solche, die Gott fürchten. Und alles, was ihr tut, das tut von Herzen aus für den Herrn und nicht für Menschen, da ihr wisst, dass ihr von dem Herrn zum Lohn das Erbe empfangen werdet, denn ihr dient Christus dem Herrn.“
Danke. Du kannst gern noch einmal wiederholen, was du damit sagen wolltest. Hat Onesimus das auch mitbekommen?
Genau, weil er ja mitgesandt wurde oder mitgegangen ist in die Gemeinde in Kolossä. Dort hat er dann zugehört, wie der Brief vorgelesen wurde. Dabei wurde genau bestätigt, wie man mit Sklaverei umgehen soll. Die ganze Gemeinde hat das gehört, und Onesimus hat das leiblich bestätigt, indem er wieder zu seinem Herrn zurückgekehrt ist.
Ja, dann gehen wir weiter zu Philemon 1, Vers 17. Dort liest du gerade vor: „Wenn du mich nun für einen hältst, der Gemeinschaft mit dir hat, so nimm ihn auf wie mich selbst.“
Die Elberfelder Übersetzung verwendet „deinen Genossen“, und das Wort „koinonos“ meint jemanden, der Gemeinschaft hat. Diese Übersetzung ist auch in der Schlachter-Bibel korrekt. Man muss betonen, dass es kein anderes Wort für „Gemeinschaft haben“ gibt. Das abgeleitete Wort ist von „medecho“, aber hier haben wir „koinonos“. Das bedeutet eine innere, tiefe Gemeinschaft.
Also, wenn du dich wirklich als deinen Freund betrachtest, der eine tiefe Beziehung mit dir hat, dann bitte nimm ihn auf wie mich. Paulus ist bereit, sogar einzustehen, falls noch ein Unrecht da sein sollte, das geordnet und zurückbezahlt werden muss. Das macht Paulus.
Er betont, dass er den Brief mit eigener Hand geschrieben hat. Normalerweise diktiert der Apostel Paulus seine Briefe. Zum Beispiel steht im Römerbrief, Kapitel 16, „Tertius, ich Tertius, der euch den Brief geschrieben hat“. Tertius ist ein nicht sehr fantasievoller römischer Name; er bedeutet „der Dritte“, also das dritte Kind.
Das hat natürlich auch Einfluss auf den Werdegang. Das erste Kind in einer Familie muss vieles selbst erarbeiten. Als zweites Kind kann man auf den älteren Bruder oder die ältere Schwester schauen und davon profitieren. Als drittes Kind ist man oft „der Kleine“. Es kommt zwar darauf an, wie viele Kinder in der Familie sind, aber es hat Einfluss darauf, wie wir sind: ob man das erste oder auch das einzige Kind war, muss man im Leben oft mehr kämpfen. Als Zweiter oder Dritter ist es oft einfacher, weil man im Schatten und Schutz der älteren Geschwister vorangehen kann.
So hat Tertius den Römerbrief geschrieben. Nun musste Paulus einmal einen Brief ganz schnell schreiben, es war ein dringlicher Notfall, und er hatte offensichtlich niemanden, dem er diktieren konnte. Welcher Brief war das? Der Galaterbrief.
Dort wird deutlich, dass Paulus ein Problem mit den Augen hatte. In Galater 4 sagt er, die Galater wären bereit gewesen, ihm ihre Augen zu geben, wenn das möglich gewesen wäre – aus Liebe für den Apostel.
In Kapitel 6 schreibt er: „Seht, welch einen langen Brief ich euch geschrieben habe mit eigener Hand.“ So steht es im Text der Elberfelder Übersetzung. In der Fußnote heißt es auch: „mit welch großen Buchstaben ich euch geschrieben habe“. Das ist die richtige Übersetzung.
Wegen seines Augenleidens musste Paulus große Buchstaben verwenden. In Philemon hat er wenigstens Teile des Briefes eigenhändig geschrieben, um sein Angebot zu bestätigen – quasi wie eine Unterschrift. Philemon sah also diese ungewöhnlich großen Buchstaben.
Dann fügt Paulus ganz fein hinzu: „Ich will bezahlen, dass ich dir nicht sage, dass du auch dich selbst mir schuldig bist.“ Philemon verdankt dem Apostel Paulus so viel in geistlicher Hinsicht. Paulus sagt ihm ganz fein, dass er eigentlich auch eine Schuld bei ihm hat. Das sagt er so vorsichtig, dass Philemon es gut ertragen kann.
In Vers 20 liest Paulus einen Wunsch vor: „Ja, Bruder, lass mich von dir Nutzen haben im Herrn, erquicke mein Herz im Herrn.“ Paulus hat ihm schon vorher gesagt, wie nützlich Philemon war. In Vers 7 heißt es: „Ich hatte große Freude und großen Trost durch deine Liebe.“
Paulus hat also auch von Philemon profitiert, nicht nur umgekehrt. Nun sagt er ihm, dass er noch mehr Nutzen von ihm haben möchte und bittet ihn erneut: „Erquicke mein Herz in Christus.“ Das ist der gleiche Ausdruck wie in Vers 7, wo Paulus betont hat, dass Philemon andere belebt und zur Ruhe gebracht hat.
Jetzt bittet Paulus ihn, dies auch in dieser schwierigen Angelegenheit zu tun. Man merkt, wie der Apostel Paulus alles so formuliert, dass er das Herz von Philemon gewinnen will. Er möchte ihn wirklich dazu führen, dieses Problem mit dem Sklaven gottgemäß zu lösen.
Es ist auch ein Wortspiel: „Bruder, ich möchte Nutzen an dir haben.“ Onesimus ist durch die Bekehrung nützlich geworden. Paulus möchte, dass auch Philemon nützlich ist – also ein „Onesimus“ wird. Nicht nur der ehemalige Sklave soll nützlich sein, sondern auch Philemon.
In Vers 21 liest Paulus: „Im Vertrauen auf deinen Gehorsam schreibe ich dir, weil ich weiß, dass du noch mehr tun wirst, als ich dir sage.“ Das ist nochmals ein Lob. Paulus nennt Philemon einen Mann des Gehorsams und vertraut darauf, dass er auch in Zukunft so handeln wird.
Damit gerät Philemon in eine Art Zugzwang. Zugzwang kann problematisch sein, aber hier ist es liebevoll gemacht. Nach all dem, was Paulus gesagt hat, vertraut er darauf, dass Philemon die Sache mit Onesimus gut regelt.
In Vers 22 kündigt Paulus an, dass er in die heutige Türkei reisen wird. Er bittet Philemon, ihm bereits eine Herberge, also einen Ort der Unterkunft, vorzubereiten.
Paulus war am Ende seiner ersten Gefangenschaft in Rom. Wir haben hier auf dem Blatt eine Zusammenstellung von Bibelstellen, die den Zeitpunkt der Abfassung angeben: etwa 62 nach Christus.
Philemon 1,22 steht im Zusammenhang mit dem Philipperbrief, der Kolosser- und Epheserbrief sowie dem Hebräerbrief, die alle etwa zur gleichen Zeit geschrieben wurden. Diese Briefe beziehen sich auf die Zeit kurz vor der Freilassung von Paulus.
Auch in Philipper 1,26 und 2,24 spricht Paulus davon, dass er bald frei werden wird. Hebräer 3,23 macht das ebenfalls deutlich. Das ist aber verbunden mit Gebet. Paulus sagt, er habe Zuversicht, dass die Gläubigen durch ihr Gebet den Herrn bewegen, diese Befreiung zu bewirken.
So konnte Paulus noch einige Zeit reisen, wie wir zuletzt im Zusammenhang mit dem Titusbrief gesehen haben. Der Titusbrief wurde in der Zeit zwischen der ersten und zweiten Gefangenschaft in Rom geschrieben.
In der zweiten Gefangenschaft kam Paulus schließlich ums Leben. Er wurde unter Kaiser Nero geköpft, nachdem er den zweiten Timotheusbrief verfasst hatte.
Ja, und dann las er noch die Verse 23 bis 25 vor:
„Ich, Epaphras, mein Mitgefangener in Christus Jesus, Marcus, Aristarchus, Demas, Lukas, meine Mitarbeiter, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit eurem Geist!“
Hier werden noch weitere Brüder erwähnt, die bei Paulus waren, darunter auch Epaphras. Epaphras hatte eine besondere Beziehung zu Kolossä. Warum? Man lese Kolosser 1,7. Dort wird deutlich, dass die Gemeinde in Kolossä nicht durch den Dienst von Paulus entstanden ist, sondern durch Epaphras. Er hat die Kolosser zum Glauben geführt und sie weiter im Glauben begleitet. Er hatte ein großes Anliegen für sie.
Wir können dazu Kolosser 1,6-7 lesen: „Die Gnade ist zu euch gekommen, wie sie auch in der ganzen Welt Frucht bringt, so auch bei euch, von dem Tag an, an dem ihr von der Gnade Gottes gehört habt und sie in Wahrheit erkannt habt. So habt ihr es auch von Epaphras gelernt, unserem geliebten Mitknecht, der ein treuer Diener Christi für euch ist und uns auch von eurer Liebe im Geist berichtet hat.“
Ebenso lesen wir in Kolosser 4,12: „Es grüßt euch Epaphras, der einer von euch ist, ein Knecht Christi, der allezeit in den Gebeten für euch kämpft, damit ihr feststeht, vollkommen und zur Fülle gebracht werdet in allem, was der Wille Gottes ist.“
Dieser Epaphras hatte also ein großes Anliegen für die Kolosser, dass sie im Glauben wirklich wachsen und zur Reife kommen. Er wollte, dass sie völlig überzeugt sind und nicht wackeln oder unsicher. Dafür kämpfte er allezeit im Gebet für sie.
Epaphras grüßt auch hier im Philemonbrief zusammen mit Markus, der das Markus-Evangelium geschrieben hat, und Aristarchus, einem treuen Mann, der an verschiedenen Stellen im Neuen Testament als Mitarbeiter des Paulus erwähnt wird. Dann ist da noch Demas, der schließlich einen ganz falschen Weg ging. In 2. Timotheus 4,10 sagt Paulus aus der Todeszelle: „Demas hat mich verlassen, weil er die jetzige Welt liebgewonnen hat und ist nach Thessalonich gegangen.“
Und Lukas, der Schreiber des Lukasevangeliums, wird ebenfalls genannt.
Es ist wunderbar, wenn man das Blatt noch zur Hand nimmt. Im ganzen Brief finden wir auch ein Gleichnis, ein Gleichnis eigentlich vom Heilsweg.
Onesimus heißt „nützlich“. Er war ein Diener von Philemon. Wenn man das auf Seite zwei betrachtet, sieht man: Der Mensch war ursprünglich Gottes Diener. So hat Gott ihn erschaffen und in den Garten Eden mit einem Auftrag gegeben, den Garten zu bebauen und zu bewahren sowie die Schöpfung zu erhalten und zu regieren. Der Mensch war also ursprünglich Gottes Diener.
Aber Onesimus erwies sich als unnütz und lief von Philemon, dem Liebenden, davon. Der Sündenfall, beschrieben in 1. Mose 3, folgt auf diese schöne Zeit, in der der Mensch Gottes Diener war, wie in 1. Mose 1 und 2 dargestellt. Der Mensch lief von Gott, dem Gott der Liebe, weg.
Seine Werke sind ohne Wert vor Gott. In Hebräer 9,14 werden die Werke, die wir als Ungläubige getan haben, „tote Werke“ genannt. Auch gute Werke sind tote Werke, weil sie vor Gott nicht zählen. Epheser 2,1 sagt, wir waren tot in Sünden und Vergehungen.
Onesimus wurde verhaftet und kam ins Gefängnis in Rom. Nach römischem Recht drohte ihm die Todesstrafe. Hier sehen wir die Parallele: Der Mensch kam in Gefangenschaft der Sünde, und ihm droht die Todesstrafe. Römer 6,23 sagt: „Der Lohn der Sünde ist der Tod.“
Paulus setzte sich für Onesimus als Mittler ein und war bereit, seine Schuld zu bezahlen. Jesus Christus setzte sich als Mittler für uns ein, wie in 1. Timotheus 2,4 beschrieben: „Ein Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gab als Lösegeld für alle.“
Durch die Begegnung mit Paulus wurde Onesimus ein wiedergeborener Christ. Durch Jesus Christus kann der verlorene Mensch neues Leben erlangen. Johannes 3,16 sagt, dass jeder, der an den Sohn Gottes glaubt, ewiges Leben hat.
Paulus führte Onesimus zurück zu Philemon. Jesus Christus führt den verlorenen Menschen zum Vater zurück. Nach Johannes 14,6 ist der Herr Jesus „der Weg, die Wahrheit und das Leben“, um zum Vater zu kommen.
Der einst unnütze Onesimus wurde durch Umkehr ein nützlicher Mensch. Durch die Bekehrung wird der unnütze Mensch ein nützlicher Diener Gottes, wie Hebräer 9,14 sagt, um dem lebendigen Gott zu dienen.
Der Brief zeigt eindrücklich, wie wir bei schwierigen Situationen mit anderen Geschwistern umgehen können. Er lehrt uns, wie wir auf feine, taktvolle und einfühlsame Weise die richtigen Worte finden. Diese Worte sind keine Schmeichelei, sondern gewinnen die Herzen.
Aus all diesen Details können wir viel lernen – besonders für herausfordernde Situationen. Wenn wir zum Beispiel einen schwierigen Brief schreiben oder ein schwieriges Gespräch führen müssen, bietet uns dieser Brief wertvolle Orientierung.
Gleichzeitig sehen wir hier eine wunderbare Illustration des Evangeliums. Damit wollen wir hier schließen.
Vielen Dank an Roger Liebi, dass wir seine Ressourcen hier zur Verfügung stellen dürfen!
Noch mehr Inhalte von Roger Liebi gibt es auf seiner Webseite unter rogerliebi.ch