Gnade, gnädig.
1) Von Gott. Gnade bezeichnet die Liebesgesinnung Gottes, wie sie in seinem Reiche sich offenbart; und zwar nach der Seite der unbedingten Freiheit, mit der er als der unumschränkte Herr keinerlei Rücksicht auf Verdienst und Würdigkeit zu nehmen braucht und Liebe üben kann, wo und wie er will (vgl. 2 Mo. 33,19; Röm. 11,6). Dadurch unterscheidet sich die Gnade, gnädig von der Treue, gemäß welcher sich Gott selbst an seine Verheißungen bindet, und von der Barmherzigkeit, gemäß welcher er sich von dem Eindruck der Not und Bedürftigkeit der Menschen bestimmen läßt. (Siehe Treue und Barmherzigkeit). Aber diese drei sind in Gott nicht im Widerstreit, sondern in schönster Harmonie (vergl. 2 Mo. 34,6: barmherzig und gnädig, … und von großer Gnade, gnädig und Treue). Doch bildet die freie Gnade, gnädig Gottes die Grundlage sowohl für seine Treue als für seine Erbarmung und ist überhaupt der bezeichnendste und tiefste Ausdruck für das Verhalten Gottes zu uns Menschen. Gehen wir das Alte Testament. durch, so legen die Geschichtsbücher desselben dafür Zeugnis ab, daß Gott von Anfang in Gnade, gnädig sich zu den Menschen herabgelassen, aus Gnade, gnädig sie nach dem Fall nicht ganz vertilgt, aus Gnade, gnädig sich in einen Bund begeben hat mit Abraham, dessen Nachkommen zu seinem Volk erwählt, und trotz aller Verfehlungen und Undankbarkeit beschützt und geleitet hat. Steht auch der Ausdruck Gnade, gnädig nicht überall dabei (wie zum Beispiel 1 Mo. 6,8; 1 Mo. 18,3; 2 Mo. 33,12; Ri. 6,17 usw.), so beweisen doch die erzählten Tatsachen, daß Gott nicht aus blinder Willkür, noch weniger aus selbstsüchtiger Berechnung oder aus schuldiger Dankbarkeit gegen irgend jemand so gehandelt hat, sondern aus freier Gnade, gnädig Vielfach wird dem Volk Israel eingeschärft, daß seine Erwählung zum Volk eine Tat der freien Gnade, gnädig Gottes gewesen sei, 5 Mo. 7,7 f., vgl. 4,37; 10,14 f. Und wenn auch nach dem Bundesschluß die Treue Gottes in den Vordergrund tritt, so zeigt sich sofort die Gnade, gnädig Gottes in neuem Glanz, als das Volk den Bund bricht, und Gott diese Schuld aus freier Gnade, gnädig vergibt, wiedenn nach dem ersten Bundesbruch Gott sich feierlich als den gnädigen und barmherzigen proklamiert (2 Mo. 33,19). Und so tut Gott auch weiterhin nie bloß soviel, als das Volk Israel auf Grund des Bundesverhältnisses von ihm erwarten kann, sondern überschwenglich mehr, im Geben und Vergeben (zum Beispiel 2 Sa. 7,18 ff.; 5 Mo. 32,4-14; Jes. 63,7-9; Jer. 2,2-7.
4 Mo. 14,19 f.; 1 Sa. 12,18-24 usw.). Namentlich für die Zukunft verheißen die Propheten Herrliches von der Gnade, gnädig Gottes: während jetzt noch zu Zeiten es dahin kommen kann, daß Gott seine Gnade, gnädig wegnehmen muß (Jer. 16,5. 13), will er dann mit ewiger Gnade, gnädig sich Israels erbarmen (Jes. 54,8. 10). Das im Gericht übrig gebliebene Volk findet Gnade, gnädig in der Wüste (Jer. 31,2); Gott verlobt sich mit ihm in Gnade, gnädig und Barmherzigkeit (Hos. 2,21) und läßt es die gewissen Gnaden Davids genießen (Jes. 55,3). Aber diese ganze Wendung der Dinge ist kein Verdienst Israels, sondern freie Gnade, gnädig Gottes (Jes. 43,22-25); Sündenvergebung ist auch das Beste u. Notwendigste (Jer. 31,34).
Wie nun nach diesen Stellen alles Heil Israels in Gegenwart und Zukunft auf Gottes Gnade, gnädig ruht, so wird das Volk auch immer wieder angewiesen, sich auf Gottes Gnade, gnädig zu verlassen und an Gottes Gnade, gnädig zu wenden. Im hohepriesterlichen Segen wird die Gnade, gnädig Gottes über das Volk erfleht („sei dir gnädig“, 4 Mo. 6,25). In vielen Psalmen kehrt der Ruf wieder: „Gott sei mir gnädig“ (Ps. 6,3; 51,3; 56,2; 57,2; 67,2) bald als der Ruf der Bedrängten, bald als der Ruf der bußfertigen Sünder. Andere Psalmen preisen die erfahrene Gnade, gnädig Gottes (Ps. 89,2; 92,3; 100,5; 101,1; 103,4; 109,21 usw.) als des Lebens Krone und Trost. Man kann da sehen, wie die Gnade, gnädig Vertrauen (Ps. 130,7) und Demut (Ps. 115,1), Dankbarkeit (Ps. 100,4. 5) und Gehorsam (Ps. 51,19 f.) einflößt. Freilich bei den Gottlosen verfehlt auch die Gnade, gnädig ihren Zweck (Jes. 26,10). Daneben ist allerdings nicht zu übersehen, daß in manchen andren Psalmen die alttestamentlichen Frommen ihre eigene Gerechtigkeit in einer Weise rühmen, die der Gnade, gnädig Gottes noch nicht den vollen ihr gebührenden Raum läßt.
Im Neuen Testament kommt zwar merkwürdigerweise das Wort Gnade, gnädig im Munde Jesu selbst nie vor; aber es heißt nicht nur von ihm: Gottes Gnade, gnädig war bei ihm (Luk. 2,40, vgl. 52), sondern er war „voll Gnade, gnädig und Wahrheit“ (Joh. 1,14); die göttl. Gnade, gnädig selbst ist in ihm erschienen (Tit. 2,11) und hat in seiner Erscheinung ihren Höhepunkt erreicht (Joh. 1,17: die Gnade, gnädig ist durch Jesum Christ worden). Er ist die leibhaftige, verkörperte Gnade, gnädig Gottes, die den Verderbensstrom der Sünde und des Todes überwunden und sich die Herrschaft in der Welt erstritten hat (Röm. 5,15-21). Daher heißt das Evangelium von Christo auch geradezu das Evangelium von der Gnade, gnädig (Apg. 20,24, vgl. V. 32 das Wort von der Gnade, gnädig Gottes). Und es ist der Sache nach ganz dasselbe, ob die Gnade, gnädig des Vaters, die uns im Sohne widerfahren ist (Röm. 5,15), oder die Gnade, gnädig des Sohnes, der arm ward um unsertwillen (2 Kor. 8,9), als der Grund unseres Heils gepriesen wird. Dagegen läßt sich in den einzelnen Stellen unterscheiden, ob vom Ratschluß der Gnade, gnädig, nach welchem unsere Erlösung ausgeführt wurde, oder von den Gnadengaben, durch welche uns die Erlösung zu eigen wird, die Rede ist. Durch den Ratschluß der Gnade, gnädig wurde der neue Weg der Gerechtigkeit aus Glauben, nicht aus den Werken, erfunden (Röm. 3,24; 4,16; Eph. 2,5. 8; Tit. 3,7; Apg. 15,11) u. die Tilgung der Sündenschuld durch das Blut Christi beschlossen (Röm. 3,25; Eph. 1,7; Hbr. 2,9). Die Gnade, gnädig entfaltet dabei einen wahrhaft göttlichen Reichtum von Liebe und Weisheit, um uns zu lösen vom Bann des Gesetzes und der Verdammnis, ohne doch die Sünde irgendwie zu fördern (Röm. 6,1-14; Gal. 2,16-21). Aber die Gnade, gnädig zeigt sich auch in ihrer unbeschränkten Freiheit, sofern sie absieht von jedem Verdienst der Werke (Röm. 4,4; 11,6); dies namentlich auch bei der Erwählung und Berufung der einzelnen zu ihrem Heil (Röm. 9,11. 12; Gal. 1,15). Von denen, welche an der Gnade, gnädig in Christo Anteil haben, wird der Ausdruck gebraucht, daß sie „in der Gnade, gnädig stehen“ (Röm. 5,2; 1 Pe. 5,12); solche werden ermahnt, in der Gnade, gnädig Gottes zu bleiben (Apg. 13,43), um derselben nicht wieder verlustig zu werden (Hbr. 12,15; Gal. 2,21), sondern in ihr zu wachsen (2 Petr. 3,18). Dies geschieht, indem wir die Gaben der Gnade, gnädig uns aneignen und aus der Fülle Christi nehmen „Gnade um Gnade“ (Joh. 1,16). Diese Gnadengaben sind ganz dasselbe, was von anderem Gesichtspunkt aus „Geistesgaben“ heißt. Man kann auch unterscheiden zwischen den allen Christen gemeinsamen Gnadengaben u. den besonderen Berufsgaben. Erstere, welche alles in sich befassen, was zum Christenleben gehört, sind zum Beispiel gemeint, wenn am Anfang der Briefe den Lesern „Gnade und Friede“ angewünscht wird. Letztere, welche sehr mannigfaltig sind (Eph. 4,7; 1 Pe. 4,10), dienen der Erbauung u. Förderung des Reiches Gottes (s. weiter Art. Geist). Wie sehr nun das ganze Leben des Christen in der Gnade, gnädig Gottes durch Christum seinen allbeherrschenden Mittelpunkt hat, bezeugt am schönsten der Ausspruch Pauli: „Von Gottes Gnade, gnädig bin ich, das ich bin“ (1 Kor. 15,10), und der Zuruf des Herrn an ihn: „Laß dir an meiner Gnade, gnädig genügen“ (2 Kor. 12,9). Das Herz wird durch die Gnade, gnädig fest (Hbr. 13,9) und lernt es wagen, auch die Hoffnung für die Zukunft ganz auf die Gnade, gnädig zu setzen (1 Pe. 1,13). —
2) Von Menschen. Auf Menschen wird das Wort „Gnade“ und „gnädig“ nur entweder mit Rücksicht auf ihre Stellung angewendet (Luk. 22,25: die Gewaltigen heißet man gnädige Herren), oder in der aus morgenländischer Höflichkeit zu erklärenden Redeweise: Gnade, gnädig vor den Augen eines andern finden = seine Gunst erwerben, 1 Mo. 39,4; 1 Sa. 16,22; 20,3.