Heute, am 8. August, enden die Olympischen Spiele in Tokio. Ich weiß nicht, wer von euch die Olympiade verfolgt hat. Wir als Familie finden das immer sehr spannend, weil man dabei Einblicke in ganz verschiedene Sportarten bekommt.
Natürlich haben wir den deutschen Sportlern besonders die Daumen gedrückt. Einige haben es auch sehr gut gemacht. Ich glaube, wir haben insgesamt zehn Goldmedaillen durch deutsche Sportler gewonnen. Allerdings haben die Mannschaftssportarten meist eher schlecht abgeschnitten.
Das Bild von den deutschen Handballern sagt mehr als tausend Worte, oder? Enttäuschung, Versagen. Man ist mit dem Anspruch nach Japan gefahren, mindestens eine Medaille zu holen. Der Vizepräsident des deutschen Handballverbandes hat sogar das Wort „Gold“ in den Mund genommen. Und dann scheitert man kläglich, ich glaube im Viertelfinale.
Da ist man mit einem großen Anspruch rangegangen. Aber Anspruch und Versagen liegen oft sehr nah beieinander. Und das gilt nicht nur im Sport. Das kennen wir auch aus anderen Bereichen unseres Lebens.
Ein gewisser Anspruch wird vielleicht an uns gestellt oder wir stellen ihn uns selbst, zum Beispiel auf der Arbeit. Wir merken, der Chef macht Druck, er will, dass wir liefern. Gleichzeitig merken wir aber auch, dass wir es nicht schaffen. Der Druck wird zu groß. Und wir versagen.
Ich meine, wir alle kennen das Gefühl des Versagens, oder? Hier sitzen, glaube ich, im Raum nicht nur Gewinnertypen. Wir alle kennen Versagen in verschiedenen Bereichen unseres Lebens.
Besonders schmerzhaft verspüren wir als Christen Versagen in unserem geistlichen Bereich.
Einführung in das Thema: Anspruch und Versagen im Glaubensleben
Mein Predigtthema heute Morgen lautet: Gottes Anspruch und mein ständiges Versagen. Wir sind mittlerweile in Römer 7 angekommen. Dieses Kapitel liegt zwischen Römer 6 und Römer 8.
Jetzt mag das logisch erscheinen. Doch diese drei Kapitel müssen eng miteinander betrachtet werden, um die Botschaft richtig zu verstehen. In den letzten Predigten haben wir uns Römer 6 angeschaut. Dort macht Paulus deutlich, dass Gnade nicht einfach ein Freifahrtschein für die Sünde ist. Er begründet das mit zwei Punkten: Erstens sind wir mit Christus gestorben für die Sünde. Zweitens sind wir befreit von der Macht der Sünde.
In Kapitel 7 werden wir jedoch wieder ein Stück weit in eine andere Realität hineingeführt. Als Christen befinden wir uns stets in einem gewissen Spannungsfeld. Dieses Spannungsfeld besteht aus einem „schon jetzt“ und einem „noch nicht ganz verwirklicht“. Solange wir hier auf der Erde leben, werden wir immer in diesem Spannungsfeld leben.
Geistlich ist bereits etwas geschehen: Wir haben eine neue Identität. Doch wir leben noch im Fleisch. Deshalb ist der Anspruch und eigentlich auch die Befähigung, die Gott uns schenkt, manchmal eher ein Wunsch als unsere gelebte Realität. Dabei erleben wir unser Versagen.
Das hängt damit zusammen, dass wir in dieser Zwischenzeit leben und in einer gewissen Zerrissenheit stecken. In den ersten Versen von Kapitel 7 geht Paulus zunächst noch einmal ganz auf die Wahrheiten aus Kapitel 6 ein. Er stellt dar, was in Christus geschehen ist.
Im Verlauf von Römer 7 wird Paulus zunehmend die Zerrissenheit schildern, in der wir uns als Christen so oft befinden.
Kommen wir zum ersten Punkt.
Befreiung vom Gesetz durch Christus
Was ist in Christus passiert? Die Ausgangssituation ist: Wir sind befreit vom Gesetz. Paulus beschäftigt sich in Kapitel sieben sehr ausführlich mit dem Gesetz. Warum tut er das?
In Kapitel sechs, Vers 14, hat Paulus folgende Aussage gemacht: „Denn die Sünde wird nicht über euch herrschen können, denn ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade.“ Diese Wahrheit hat Paulus in Kapitel sechs nur kurz angerissen – es war nur ein Vers. Jetzt führt er diese wunderbare Wahrheit in den ersten sechs Versen von Kapitel sieben etwas weiter aus.
Lesen wir Vers 1, Kapitel 7: „Oder wisst ihr nicht, Brüder, denn ich rede zu denen, die das Gesetz kennen, dass das Gesetz über den Menschen herrscht, solange er lebt.“ Paulus geht hier zunächst auf ein Grundprinzip ein. Es betrifft nicht nur das alttestamentliche Gesetz, sondern ein Gesetz im juristischen Sinne ganz allgemein. Ein Gesetz hat immer nur einen Anspruch auf einen Menschen, solange er lebt. Das ist ja auch logisch: Von einem Toten kann man nichts mehr erwarten. Sobald ein Mensch stirbt, hat das Gesetz keinen Anspruch mehr auf ihn.
Diese Wahrheit illustriert Paulus in den nächsten beiden Versen anhand der Ehe. Dort heißt es: „Denn die verheiratete Frau ist durch das Gesetz an den Mann gebunden, solange er lebt. Wenn aber der Mann gestorben ist, so ist sie losgemacht von dem Gesetz des Mannes. So wird sie nun, während der Mann lebt, eine Ehebrecherin genannt, wenn sie eines anderen Mannes wird. Wenn aber der Mann gestorben ist, ist sie frei vom Gesetz, sodass sie keine Ehebrecherin ist, wenn sie eines anderen Mannes wird.“
Das ist für uns nachvollziehbar und ein sehr treffendes Beispiel. Die Ehe hat immer eine rechtliche Dimension, und eine Frau ist durch das Gesetz an ihren Mann gebunden. Wenn sie sich während der Ehe mit einem anderen Mann einlässt, gilt sie als Ehebrecherin. Mit dem Tod des Ehemannes endet jedoch auch die rechtliche Bindung, die juristische Dimension der Ehe.
Dieses Prinzip wendet Paulus in Vers 4 auf die römischen Christen an. Dort heißt es: „So seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus, um eines anderen zu werden, der aus den Toten auferweckt ist, damit wir Gott Frucht bringen.“ Paulus setzt hier unsere Vereinigung mit Christus voraus – das hatten wir bereits in Kapitel sechs. Sein Tod ist unser Tod. Paulus sagt: „Schaut, wir sind mit Christus gestorben.“
Wie das in der Ehe-Analogie in den Versen 2 und 3 funktioniert, so ist es auch in unserem geistlichen Leben. Wir sind gestorben und deshalb losgemacht worden vom Gesetz. Wenn der Gläubige mit Christus stirbt, stirbt er dem Gesetz. Und zwar mit einer ganz bestimmten Absicht. Hier heißt es im Text: „um eines anderen zu werden.“ Das ist die gleiche Sprache wie beim Ehebeispiel in Vers 3.
Der Tod für das Gesetz führt uns als Christen in eine neue Ehe, in eine neue Beziehung zu dem auferstandenen Jesus Christus. Diese neue Beziehung ermöglicht uns erst, ein fruchtbares Leben zur Ehre Gottes zu führen.
Diese Veränderung unterstreicht Paulus in den Versen 5 und 6, in denen er den Kontrast zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufzeigt: „Denn als wir im Fleisch waren“ – das meint nicht nur den Körper, sondern auch eine moralische Schwäche – „wirkten die Leidenschaften der Sünde, die durch das Gesetz erregt wurden, in unseren Gliedern, um den Tod Frucht zu bringen.“
Als wir im Fleisch waren – das bezieht sich auf den Zustand vor unserer Bekehrung – da waren wir bestimmt von unseren Leidenschaften und Sünden. Diese wurden durch das Gesetz erregt. Das heißt: Das Verbotene reizt uns erst recht. Das kennen wir vielleicht aus unserem Leben. Und das hat uns den Tod gebracht, den geistlichen Tod, die Trennung von Gott.
Vers 6 lautet: „Jetzt aber sind wir von dem Gesetz losgemacht, da wir dem gestorben sind, worin wir festgehalten wurden, sodass wir in dem Neuen des Geistes dienen und nicht dem Alten des Buchstabens.“ Paulus sagt also, dass der gegenwärtige Zustand eines Christen ein ganz anderer ist. Das Gesetz hat uns früher festgehalten, wie ein Gefangener an der Kette. Doch wir sind befreit worden.
Das ist genau das, was passiert ist, als wir Christus angenommen haben. Wir wurden losgemacht von dem Gesetz, das uns gebunden hat. Aber wir wurden nicht losgemacht, um jetzt so zu leben, wie wir wollen – das wird manchmal falsch verstanden. Wir wurden losgemacht, damit wir Gott dienen können. Das ist der Punkt, nicht mehr der Buchstabe.
Der Buchstabe steht hier für das Gesetz. Das hat unser altes Leben bestimmt. Aber jetzt geht es nicht mehr darum, dass einfach nur ein Anspruch von außen an uns herangetragen wird. Jetzt haben wir eine Befähigung von innen. Durch den Geist können wir den Willen Gottes tun. Das konnten wir vorher nicht – wir waren nur bestimmt durch den Druck von außen. Jetzt aber haben wir die Befähigung von innen.
Illustration: Vom Druck zur Liebe in der Beziehung zu Gott
Ich möchte euch das anhand einer fiktiven Person verdeutlichen. Ich nenne diese Person Helga. Helga ist unglaublich unglücklich verheiratet mit einem Mann, der ständig Druck ausübt. Dieser Mann hat eine Checkliste mit 25 Eigenschaften, die er von Helga fordert, damit sie für ihn eine gute Ehefrau ist. Das sagt er ihr auch ganz offen: „Wenn du die 25 erfüllst, dann bist du für mich eine gute Ehefrau, dann schätze ich dich.“
Er hat diese Checkliste, und am Ende eines jeden Tages hakt er ab, was Helga gemacht hat: Essen gekocht – Haken dran, Boden gewischt – Haken dran, auf die Kinder aufgepasst – Haken dran. Am Ende des Tages teilt er ihr das Ergebnis mit: 21 von 25, heute war es zu schlecht; 10 von 25. Helga geht mehr und mehr unter diesem Druck kaputt, jeden Tag. Sie hat doch nicht geheiratet, um an eine Checkliste gebunden zu sein. Sie wollte Liebe, aber die bekommt sie nicht.
Irgendwann stirbt dieser Mann, und von Helga fällt ein Stein der Erleichterung. Dieser Stein fällt weg, und sie ist total erleichtert. Sie ist befreit, in gewisser Weise – der Druck ist weg.
Zwei Jahre später heiratet sie noch einmal, diesmal einen Mann ohne Checkliste. Ein Mann, der sie wirklich liebt. In ihrer Ehe erfährt sie etwas, das sie noch nie erlebt hat: Ihr Mann sagt ihr einfach so, dass er sie liebt. Dieser Mann möchte, dass sie morgens mit dem Gedanken aufwacht: „Ich bin geliebt.“ Er ruft sie von der Arbeit an, und Helga denkt schon: „Was ist denn jetzt los?“ – doch er will ihr einfach nur sagen, dass er sie liebt.
Eines Tages, als Helga gerade das Haus sauber macht, findet sie die alte Checkliste des früheren Ehemannes. Sie schaut sich diese 25 Dinge an und stellt fest: Sie erfüllt alle. Aber nicht aufgrund des Drucks, sondern aus Liebe, weil sie es will.
Weißt du was? Du bist als Christ nicht mehr unter dieser Checkliste. Es wird kein Druck mehr von außen gemacht, kein Anspruch wie: „Das musst du tun, damit du angenommen wirst.“ Wir sind losgemacht worden vom Gesetz, aber nicht, damit wir jetzt tun und lassen können, was wir wollen, sondern damit wir Gottes Willen tun können, damit wir für ihn leben können.
Wir wurden befähigt durch den Heiligen Geist in unserem Inneren. Wisst ihr, wir neigen immer zu zwei Extremen: entweder zur Gesetzlichkeit oder zur absoluten Gesetzlosigkeit, zur Freizügigkeit. Entweder neigen wir dazu, auch in unserem Christsein, unsere Beziehung zu Gott von einer Checkliste abhängig zu machen: „Ich habe dies getan, ich habe das getan, deswegen bin ich ein guter Christ, deswegen bin ich angenommen.“ Das ist Gesetzlichkeit.
Aber die andere Seite ist genauso falsch: „Ich kann tun und lassen, was ich will, wir haben ja die Freiheit.“ Wisst ihr was? Wir können nicht tun und lassen, was wir wollen. Es geht darum, zur Ehre Gottes zu leben.
Das, was sich fundamental geändert hat, ist: Es ist nicht mehr der Anspruch von außen als purer Druck, sondern es ist der Geist, der in uns das Wollen wirkt und das Vollbringen.
Ich möchte euch das mitgeben und zugleich die Frage stellen: Auf welcher Seite befindest du dich? Befindest du dich auf einem der beiden Extreme – dass du nur an die Checkliste denkst oder dass du denkst: „Ja, ich habe ja die Freiheit in Christus, ich kann jetzt tun und machen, was ich will“?
Es geht um den Mittelweg des Evangeliums: Christus ist da, er liebt mich, er hat mich angenommen, er hat mich befreit, damit ich ihm dienen kann – und das mache ich, weil ich es will.
Nimm das mit.
Das Gesetz ist gut und zeigt uns unsere Sünde
In den nächsten Versen geht Paulus noch einmal auf das Gesetz ein, weil er den Eindruck hat, hier etwas klarstellen zu müssen. Man könnte denken, Paulus habe eine negative Meinung über das Gesetz oder sogar, dass er das Gesetz als Sünde bezeichnet. Deshalb kommen wir zum zweiten Punkt der Predigt: die Klarstellung, dass das Gesetz gut ist und von der Sünde überführt.
In Vers 7 heißt es: „Was wollen wir nun sagen? Ist das Gesetz Sünde?“ – „Auf keinen Fall!“ Aber die Sünde hätte ich nicht erkannt, wenn nicht durch das Gesetz. Das ist zunächst einmal das, was Paulus hier ausdrückt.
Warum greift Paulus hier ein mögliches Missverständnis auf? In Vers 5 hat er gerade gesagt: „Denn als wir im Fleisch waren, wirkten die Leidenschaften der Sünden, die durch das Gesetz erregt wurden.“ Das bedeutet, die Sünde wird durch das Gesetz erregt. Nun könnte man fälschlicherweise meinen, das Gesetz sei sündig. Das wäre ein heftiger Bruch mit dem Alten Testament. Die Juden hätten Paulus dann als Irrlehrer abgestempelt, weil er das Alte Testament so über den Haufen werfen würde.
Paulus stellt deshalb klar: Nein, das Gesetz ist nicht Sünde. Das Gesetz ist Gottes Anspruch. Wie kann Gottes Anspruch Sünde sein? Gott ist ja heilig. Doch zwischen Gottes Gesetz und der Sünde besteht ein sehr enger Zusammenhang. Diesen möchte Paulus aufzeigen. Er sagt, dass das Gesetz von der Sünde überführt.
In Vers 7 spricht Paulus in der Ich-Form, doch es geht hier nicht nur um einen streng autobiografischen Bericht. Paulus ist natürlich mit eingeschlossen, aber er bezieht sich auch auf Erfahrungen, die jeder Mensch macht. Vor allem hat er die Juden beziehungsweise das Volk Israel im Blick, weil er später noch auf das Kommen des Gesetzes eingeht. Hinter diesem Ich sollten wir also mehr sehen als nur Paulus als Einzelperson.
Weiter heißt es in Vers 7: „Denn auch von der Begierde hätte ich nichts gewusst, wenn ich nicht gesagt hätte: Du sollst nicht begehren.“ Durch das Gebot werde ich erst überführt. Ich sehe Gottes Anspruch, und dann stelle ich fest, dass ich dem nicht entspreche. Vorher dachte ich vielleicht, ich hätte kein Problem – bis Gottes Anspruch an mich herangetragen wird.
Paulus zitiert hier das zehnte Gebot. Warum gerade dieses Gebot? Ich denke, weil es besonders auf die Herzenshaltung eingeht. Bei den anderen Geboten ist das auch mitgedacht, aber das zehnte Gebot spricht vor allem vom Begehren im Herzen. Vielleicht denkst du, du bist ein guter Mensch, vielleicht sogar okay. Vielleicht hast du dich für Flutopfer eingesetzt, warst vor Ort, hast gespendet, und du kommst zu dem Ergebnis, Gott müsse mit deinem Leben zufrieden sein. Du bist okay.
Wenn du das wirklich denkst, dann beschäftige dich mal mit dem Anspruch Gottes. Nimm die zehn Gebote zur Hand und schau sie dir genau an – auch so, wie Jesus sie in der Bergpredigt erklärt hat, also den tiefsten Sinn dieser Gebote. Oder nimm einfach nur das zehnte Gebot: Hast du noch nie begehrt? Wenn der Maßstab Gottes an uns angelegt wird, zeigt uns das Gesetz unser Versagen.
Es gibt noch einen anderen Zusammenhang zwischen Gesetz und Sünde. In Vers 8 heißt es: „Die Sünde aber ergriff durch das Gebot die Gelegenheit und bewirkte jede Begierde in mir, denn ohne Gesetz ist die Sünde tot.“ Paulus sagt, ohne Gesetz kann die Sünde nicht ihre volle Kraft entwickeln. Sie ist wirkungslos ohne Gesetz. Erst durch das Gesetz entfaltet die Sünde ihre volle Kraft.
Das bedeutet: Erst wenn du gesagt bekommst, du sollst nicht begehren, willst du es plötzlich. Das kennen wir vielleicht auch von Kindern: Wenn du einem Kind eine Tüte Haribo gibst und daneben eine Milchschnitte legst, die es auf keinen Fall essen darf, dann will das Kind oft gerade die Milchschnitte immer mehr. Einige Eltern nutzen das, um ihre Kinder zu erziehen – allerdings ist das keine gute Methode. Dahinter steckt das Wissen: Wenn man einem Kind etwas verbietet, will es es erst recht.
Leider ist das bei uns Erwachsenen oft genauso. Das Verbotene hat häufig seinen Reiz. Das meint Paulus hier. Ohne Verbot kann die Sünde nicht ihre volle Kraft entfalten.
Das bestätigt auch Vers 9: „Ich aber lebte einst ohne Gesetz. Als aber das Gebot kam, lebte die Sünde auf.“ Hier müssen wir feststellen: Es geht nicht um Paulus als Einzelperson. Für Paulus gab es nie eine Zeit ohne Gesetz. Er ist als jüdischer Junge mit dem Gesetz aufgewachsen. Deshalb denke ich, Paulus identifiziert sich hier mit dem Volk Israel.
In Kapitel 5 hat Paulus bereits auf die Zeit vor dem Gesetz hingewiesen. Zwischen Adam und Mose gab es kein Gesetz. Ich denke, diese Zeit hat Paulus hier ebenfalls im Blick. Dann erhielt das Volk das Gesetz am Berg Sinai – und die Sünde lebte so richtig auf.
In Vers 10 und 11 heißt es: „Ich aber starb, und das Gebot, das zum Leben gegeben war, erwies sich mir zum Tod. Denn die Sünde ergriff durch das Gebot die Gelegenheit, täuschte mich und tötete mich durch dasselbe.“
Schaut man genau hin, wurde das Gesetz gegeben, um die Beziehung zwischen Gott und Volk beziehungsweise Gott und Mensch zu regeln – nicht um sie herzustellen. Wenn der Mensch dem Gesetz folgt, erlebt er Gottes Segen. Das war die Bestimmung für Israel: Gehorchen sie, erfahren sie Gottes Segen und echte Erfüllung in der Beziehung zu Gott.
Das Problem ist, dass der Mensch so sündig ist, und wenn das gute Gesetz kommt, will er es nicht halten. Das Problem ist also nicht das Gesetz, sondern die Sünde.
Das zeigt sich in Vers 12: „So ist also das Gesetz heilig, und das Gebot heilig, gerecht und gut.“ Das Gesetz ist gut, weil es Gottes Anspruch ist. Es kommt von Gott. Das Problem ist nicht das Gesetz, sondern der sündige Mensch.
Ich habe heute eine Milchpackung mitgebracht. Milch an sich ist gut, oder? Sie enthält Calcium und schadet eigentlich niemandem. Aber was ist, wenn eine Person Laktoseintoleranz hat? Für diese Person kann Milch ein Problem sein, obwohl Milch an sich gut ist.
Ich habe auch Erdnüsse mitgebracht. Erdnüsse sind ein leckerer Snack. Doch ich kenne jemanden, für den sind Erdnüsse aufgrund einer schweren Nussallergie tödlich. Diese Person merkt es schon, wenn Nüsse im Raum sind – so stark ist die Allergie ausgeprägt.
Das Problem sind nicht die Nüsse, sondern die Allergie in der Person. Wenn dann Erdnüsse in der Nähe sind, kommt es zu einer Reaktion.
Genau so ist das Verhältnis zwischen Gesetz und Sünde. Das Gesetz ist gut, heilig und Gottes Anspruch. Das Problem ist die Sünde in uns. Wo Gesetz und Sünde aufeinandertreffen, kommt es zur Reaktion – wie bei der Allergie.
Ohne das Gesetz hätten wir nie verstanden, dass wir Christus brauchen. Wir würden bis zum Schluss denken, alles sei gut. Doch wo das Gesetz an uns herangetragen wird, merken wir, wie verdorben wir sind.
Wenn du denkst, du bist okay, dann beschäftige dich mit dem Gesetz, damit du erkennst, wie sehr du Christus brauchst und wie verdorben dein Herz ist.
Wir müssen festhalten: Das Gesetz an sich ist gut. Es ist der Maßstab Gottes. Wenn du glaubst, du bist okay, lebst du in einem fatalen Irrglauben, der dir am Ende alles kosten kann.
Im Galaterbrief heißt es: „Das Gesetz ist ein Zuchtmeister auf Christus hin.“ Es treibt uns zu Christus, weil wir erkennen, wie sehr wir ihn brauchen. Aber das Gesetz an sich ist gut.
Die Zerrissenheit des Christenlebens zwischen Wollen und Tun
Es heißt aber nicht, dass, wenn Jesus uns neu gemacht hat, wenn wir zu ihm gekommen sind, überführt durch das Gesetz, dann in unserem Leben alles gut läuft. Dass wir es verstanden haben, wie sündig wir sind, die Gnade empfangen haben, neu geworden sind und jetzt alles gut läuft – ich wünschte, es wäre so.
Deshalb kommt Paulus in den nächsten Versen, was uns zu Punkt drei der Predigt führt, auf unsere Zerrissenheit zu sprechen: unser Leben zwischen Wollen und Tun. Unser Leben zwischen Wollen und Tun.
Fairerweise möchte ich darauf hinweisen, dass diese Verse der Auslegung umstritten sind. Es gibt Ausleger, die sagen, Paulus spricht hier nach wie vor von einer nicht wiedergeborenen Person, die diesen Kampf erlebt. Aber ich persönlich denke, Paulus spricht hier von einer wiedergeborenen Person, einer Person, die als Christ diesen Kampf mit der Sünde hat, die das Gute tun will, es aber nicht tut.
Ich möchte euch kurz die Argumente dafür einmal auflisten:
Erstens wechselt die Zeitform ab Vers 14 von der Vergangenheit in die Gegenwart. Bis jetzt hat Paulus in der Vergangenheit gesprochen: Das Gesetz kam, ich sah meine Sünde und so weiter – das war Vergangenheit. Jetzt wechselt er plötzlich in die Gegenwart. Deshalb denke ich, er spricht jetzt von sich als einer wiedergeborenen Person.
Zweitens sehen wir in den nächsten Versen, dass der Wille auf das Gute gerichtet ist. In Vers 18 heißt es: „Das Wollen ist bei mir vorhanden.“ In den Versen 19 und 21 sagt Paulus: „Das Gute, das ich will, übe ich nicht aus, aber ich will es.“ Das kann man meiner Meinung nach nicht von einer nicht wiedergeborenen Person sagen.
Drittens, in den Versen 17 und 20 sagt Paulus: „Nun vollbringe nicht mehr ich es, nicht mehr ich.“ Da hat sich etwas geändert. Deshalb denke ich, es geht hier um eine wiedergeborene Person.
Das vierte Argument für die Auslegung, die ich hier vertrete, ist: Die Spannung zwischen Wollen und Tun ist auch an anderen Stellen bei Paulus die Erfahrung eines Christen, zum Beispiel in Galater 5 und 1. Korinther 9. Das letzte Argument ist Römer 7, Vers 25, das definitiv das Fazit eines Gläubigen ist.
So viel vorab. Ich hoffe, ihr könnt mir halbwegs folgen. Wir schauen uns jetzt diese Verse einmal an. Ich lese die Verse 13 bis 20 am Stück vor:
„Ist nun das Gute mir zum Tod geworden, das sei ferne, sondern die Sünde, damit sie als Sünde erschiene, indem sie durch das Gute mir den Tod bewirkte, damit die Sünde überaus sündig würde durch das Gebot. Jetzt wechselt er in die Gegenwart, denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist, ich aber bin fleischlich unter die Sünde verkauft. Ich bin fleischlich unter die Sünde verkauft, denn was ich vollbringe, erkenne ich nicht, denn nicht was ich will, das tue ich, sondern was ich hasse, das übe ich aus. Wenn ich aber das, was ich nicht tun will, ausübe, so stimme ich dem Gesetz bei, dass es gut ist. Nun aber vollbringe nicht mehr ich es, sondern die in mir wohnende Sünde. Denn ich weiß, dass in mir, das ist in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Denn das Wollen ist bei mir vorhanden, aber das Vollbringen des Guten nicht. Denn das Gute, das ich will, übe ich nicht aus, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Wenn ich aber das, was ich nicht will, ausübe, so vollbringe nicht mehr ich es, sondern die in mir wohnende Sünde.“
Das sind Verse, ihr Lieben, die von einer regelrechten Verzweiflung sprechen, oder? Und ich glaube, wir können uns da auch ein Stück weit wiederfinden. Das ist das ständige Versagen. Paulus sagt: Ich bin fleischlich, ich werde die Sünde irgendwie nicht los. Paulus sagt: Ich verstehe selber nicht, was ich tue. Ich bin perplex. Ich will doch das Gute, und zwar ernsthaft, und ich tue das Böse, und ich hasse eigentlich das Böse, und doch tue ich es. Bin ich schizophren? Manchmal fühlt sich das so an im Leben eines Christen. Ich werde dazu gleich auch noch mehr sagen.
Es heißt nicht, dass Paulus hier sagen will, ich tue nie das Gute. Aber das, was einen Christen besorgt, ist nicht das Gute, das er tut. Das, worauf er oft den Fokus legt, ist eben sein Versagen. Auch zu Recht, daran sollten wir arbeiten. Deswegen ist auch oft unser Versagen gerade der Punkt in unserem Leben, der uns so stark beschäftigt, auch im Leben von Paulus.
Er sagt ja, indem ich ja eigentlich das Gute tun will, sage ich ja auch, dass Gottes Anspruch gut ist. Ich will es ja tun. Aber ich tue es so oft nicht.
Was hier auch wichtig ist zu erklären: Paulus verwendet keine Ausrede, wenn er in Vers 17 und Vers 20 sagt: „Nun aber vollbringe nicht mehr ich es, sondern die in mir wohnende Sünde.“ Ja, also nicht so nach dem Motto: „Ja, bin ja nicht ich, es ist halt die Sünde, die das jetzt getan hat, aber doch nicht ich.“ Denn Paulus sagt davor und danach auch: „Ich tue das Böse. Ich vollbringe das, was ich eigentlich hasse.“ Er nimmt sich da voll mit rein. Das hier ist keine Ausrede.
Aber Sünde wird hier als etwas dargestellt, das in ihm wohnt – in gewisser Weise. Aber nicht als willkommener Gast, auch nicht als Mieter, sondern als illegaler Hausbesetzer, dem man nicht loswerden kann, nicht so einfach.
Insofern wohnt die Sünde in uns drin. Sie ist nicht herzlich willkommen im Leben eines Christen, aber sie ist da. Und wir werden sie so einfach nicht los.
Ja, wir haben eine neue Identität, und das ist Kapitel sechs. Deswegen sagt Paulus ja, er steht in dieser Spannung: eigentlich nicht mehr ich, weil ich ein neuer Mensch bin. Kapitel sechs lässt grüßen. Ich bin befreit von der Macht der Sünde, aber ich lebe noch im Fleisch – das ist diese Spannung zwischen dem „schon jetzt“ und dem „noch nicht“.
Paulus merkt, diese zwei Kräfte sind in mir.
Da kommt in Vers 21 bis 23 das Fazit. Er sagt: „Ich finde also das Gesetz, dass bei mir, der ich das Gute tun will, nur das Böse vorhanden ist, denn ich habe nach dem inneren Menschen Wohlgefallen am Gesetz Gottes. Aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Sinnes widerstreitet und mich in Gefangenschaft bringt unter das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist.“
Paulus realisiert: Bei mir gibt es im Leben zwei Kräfte. Auf der einen Seite ist der Paulus in mir, der Wohlgefallen hat an Gottes Gesetz, an Gottes Anspruch. Aber es gibt eben auch in mir das Gesetz der Sünde, und das kämpft gegen mich. In mir ist etwas, das gegen mich kämpft.
Paulus verwendet oft andere Begriffe dafür. Er sagt „alter Mensch“ und „neuer Mensch“. Das müssen ja auch Christen sagen: den alten Menschen abzulegen. Das heißt, er ist noch da. Der alte Adam wurde ertränkt, aber das Biest kann schwimmen, hat mal ein Theologe gesagt. Das Biest kann schwimmen, es kommt immer wieder hoch.
Und das ist genau das, was Paulus auch in Galater 5, Vers 17 sagt: „Denn das Fleisch begehrt gegen den Geist auf, der Geist aber gegen das Fleisch; denn diese sind einander entgegengesetzt, damit ihr nicht das tut, was ihr wollt.“
Deshalb müssen wir auch als Christen erkennen: Solange wir auf der Erde sind, wird es immer diese beiden Seiten in unserem Leben geben.
Mich erinnert das an das Buch von Robert Louis Stevenson, Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Einige von euch werden das Buch sicherlich kennen. Der Autor war wohl ein gläubiger Mann, und man geht davon aus, dass er von Römer 7 inspiriert wurde, dieses Buch zu schreiben.
Ich erzähle die Geschichte einmal ganz kurz: Doktor Jekyll ist ein recht aufrichtiger Bürger, der aber immer wieder frustriert ist, weil es ihm so scheint, dass in ihm ein guter Teil und ein schlechter Teil ist. Das ist Doktor Jekyll, und er bezeichnet sich selbst als eine unpassende Mischung zwischen Gut und Böse.
Daraufhin ist er Chemiker – das ist natürlich keine wahre Begebenheit – aber er entwickelt einen Trank und trinkt ihn, so dass diese beiden Seiten in ihm absolut getrennt werden.
Tagsüber ist er Doktor Jekyll, ein absolut liebenswerter Mann. Nachts kommt der böse Teil in ihm hoch, das ist Mr. Hyde. Und das, was Dr. Jekyll nicht wusste, bevor er diesen Trank getrunken hat, ist, dass der böse Teil noch viel böser ist, als er eigentlich dachte. Er ist nachts ein absolut schrecklicher Mensch, er ermordet andere Menschen. Tagsüber ist er wieder absolut liebenswürdig.
Dr. Jekyll sagt in dem Buch: „Ich war zehnmal böser, als ich jemals gedacht hatte.“ Am Ende des Buchs erklärt der Autor Stevenson durch die Person Doktor Jekyll: „Ich entdeckte durch diesen Prozess, dass der Mensch nicht in Wirklichkeit einer ist, sondern zwei. Es ist nicht so, dass ich ein Heuchler war, beide Seiten von mir waren ganz aufrichtig.“
Als Christen, ihr Lieben, fühlen wir uns manchmal wie Jekyll und Hyde. Schon Luther hat gesagt: Simul justus et peccator – wir sind gerecht und Sünder zugleich. Beides sind wir: Gerechte und Sünder.
Das ist die Erklärung, warum wir so häufig diesen Kampf in uns haben, dass unser Wollen und unser Tun oft so weit auseinanderliegen.
Du hast dir vielleicht vorgenommen, morgens früher aufzustehen und mehr Zeit mit Jesus zu haben, und stellst fest, du bist doch länger im Bett geblieben. Du hast dir vorgenommen, geduldiger mit deinen kleinen Kindern zu sein, und musst am Ende des Tages feststellen, du bist wieder ausgerastet, warst ungeduldig und wolltest es eigentlich nicht. Aber du hast am Ende des Tages damit zu kämpfen, weil du es eben nicht willst und doch feststellst: Ich habe es getan. Ich habe es getan.
Du hast dir vorgenommen, deinem komplizierten Arbeitskollegen mit Liebe zu begegnen, und die Situation auf der Arbeit ist wieder einmal eskaliert. Du hast dir vorgenommen, mit deinen Augen treu zu sein, und er tappst dich wieder beim zweiten Blick.
Du hast dir vorgenommen, dein Geld weiser einzusetzen, und hast dir wieder Klamotten gekauft, die du eigentlich überhaupt nicht brauchst.
Du hast dir vorgenommen, allein Gott gefallen zu wollen, und musst feststellen: Vor anderen Menschen sagst du wieder etwas, was du Gutes getan hast, damit sie von dir beeindruckt sind. Und du stellst das fest, und es macht dich fertig, weil es diese Niedergeschlagenheit so fördert, diese Zerrissenheit an den Tag bringt.
Du hast dir vorgenommen, deine Abende besser zu nutzen, aber irgendwann lässt du dieses gute Vorhaben fallen und ziehst dir die nächste Serie rein.
Du hast dir vorgenommen, nicht mehr schlecht über Person X zu reden, und ertappst dich dabei, wie du wieder voll ablästerst und wieder alles, was du dir vorgenommen hast, in dem Moment, weil es sich so ergibt, über Bord wirfst.
Du hast dir vorgenommen, als Ehemann deine Familie geistlich zu leiten, das Wort Gottes auf den Tisch zu bringen, und musst feststellen, nach einiger Zeit bist du wieder passiv geworden und ziehst dich zurück, obwohl du leiden solltest.
Du hast dir vorgenommen, in deiner Einsamkeit von dir selbst wegzuschauen und die Nöte anderer Menschen im Blick zu haben, und ertappst dich nach einigen Tagen wieder dabei, nur im Selbstmitleid zu baden und Gott anzuklagen.
Ihr Lieben, wie wahr sind doch die Worte: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.
Ich kenne das aus meinem Leben. Ich bin oft traurig über mein eigenes Herz. Und manchmal kann einen das verzweifeln lassen. Da denkt man: Mann, ich hätte das schon längst lernen müssen. Manchmal sind es Lektionen, die Gott uns schon mal beigebracht hat vor einigen Jahren, und wir fallen wieder in gewisse Muster rein.
Wenn du das gerade durchmachst: Willkommen im Club! Willkommen im Club!
Solche Phasen treiben uns oft in die Verzweiflung. Manchmal kommen dann sogar Zweifel an unserem Heil: Was bin ich nur für ein Christ? Oder bin ich überhaupt ein Christ, wenn ich doch immer wieder versage? Bin ich überhaupt Christ, weil ich so zu kämpfen habe?
Weißt du was? Diesen Kampf, der hier geschildert ist, erleben wir alle. Wir alle! Paulus hat ihn sogar erlebt. Und das ist auf der einen Seite traurig und auf der anderen Seite ermutigend. Das ist irgendwie beides.
Es ist ermutigend, weil wir wissen: Wir sind kein besonderer Ausnahmefall. Das erleben alle – diese Diskrepanz aus Wollen und Tun.
Und weißt du, wenn du denkst, manchmal, wenn dir Gedanken kommen: Ich bin ein besonders schlechter Christ oder ich bin überhaupt kein Christ – weißt du, die Tatsache, dass du zu kämpfen hast, zeigt eigentlich, dass du Christ bist. Das will ich dir auch mitgeben.
Der Kampf ist das Kennzeichen des christlichen Lebens.
Schau mal: Wenn wir nicht wiedergeboren sind, dann gibt es in uns nicht die zweite Seite, den Geist Gottes. Dann sündigen wir fahrplanmäßig. Aber gerade die Tatsache, dass es beides in uns gibt – das Wollen, ich will Gottes Willen tun, aber das Versagen – das zeigt, dass der Geist Gottes in uns ist. Denn sonst würden wir das Gute nicht wollen.
Könnt ihr mir folgen?
John Owen hat einmal gesagt: Wer gegen den Strom schwimmt, wird die Kraft der Strömung zu spüren bekommen. Wer aber mit dem Strom schwimmt, weiß nicht einmal, dass es sie gibt.
Wenn du als Christ lebst, wirst du zu kämpfen haben.
Ihr Lieben, wir alle sind dazu berufen, nicht ein Larifari-Christsein zu leben, nicht einfach so daherzuleben. Unsere Bestimmung ist nicht, ein einfaches Leben ohne Kämpfe zu haben.
Wenn du gerade auch aktuell richtig zu kämpfen hast in deinem Leben: Herzlich willkommen im Christsein!
Wir alle haben zu kämpfen, manchmal stärker, manchmal schwächer, ja. Aber der Kampf wird immer da sein, und wir sind zum Kampf berufen.
Ich will dich heute ermutigen: Gib nicht auf, gib nicht auf zu kämpfen!
Die Tatsache, dass du den Kampf erlebst, heißt, es läuft prinzipiell alles ganz normal in deinem Christsein. Wir haben zu kämpfen, gib nicht auf.
Und doch, damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich will das nicht einfach nur als etwas Positives darstellen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es ist richtig, traurig zu sein über unser Versagen. Das ist auch wichtig. Und das führt uns zu einer Erkenntnis und damit auch zu meinem letzten Punkt in dieser Predigt.
Die Abhängigkeit von der Gnade als Lebensgrundlage
Die Erkenntnis lautet: Wir sind völlig abhängig von der Gnade. Paulus sagt in den Versen 24 und 25: „Ich elender Mensch, wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes? Ich danke Gott, durch Jesus Christus, unseren Herrn; also diene ich nun selbst mit dem Sinn dem Gesetz Gottes, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde.“
Der letzte Teil in Vers 25 ist eigentlich noch einmal die Zusammenfassung dessen, was Paulus die ganze Zeit schon gesagt hat. Doch dann folgt dieser Hilferuf. Paulus ist verzweifelt und sagt: „Ich bin ein elender Mensch, ein absolut elender Mensch.“
Das Adjektiv „elendig“ kommt nur noch an einer anderen Stelle im Neuen Testament vor, nämlich im Brief an die Gemeinde Laodizea. Dort schreibt Jesus in Kapitel 3, Vers 17: „Du sprichst: Ich bin reich und habe mehr als genug und brauche nichts. Doch du weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß.“
Ein lauer Christ wird nie erkennen, dass er elendig ist. Ein lauer Christ ist mit sich selbst zufrieden: „Läuft doch alles bei mir.“ Es ist das Kennzeichen eines reifen Christen, eines Christen, der schon länger mit dem Herrn lebt und das Evangelium mehr verstanden hat, dass er zu dem Ergebnis kommt: „Ich bin elendig, weil ich da nicht reinpasse, der Anspruch ist zu hoch, ich schaffe es nicht. In mir ist nichts Gutes.“
Leon Morris, der Theologe, hat treffend formuliert: „Je weiter wir geistlich vorankommen, desto klarer sehen wir die hohen Ansprüche, die Gott seinem Volk stellt, und desto mehr beklagen wir das Ausmaß unserer Unzulänglichkeiten.“
In den letzten Tagen hat es viel geregnet. Stell dir vor, du gehst abends auf dem Fußgängerweg an der Straße entlang. Da kommt ein Auto, und auf der Straße steht Wasser, weil es so viel geregnet hat. Das Auto fährt durch die Pfütze, und das Wasser spritzt auf dich. Du hast dir gerade einen neuen Mantel gekauft – super! Du merkst nur: Ich habe etwas abbekommen, aber es ist dunkel.
Weiter hinten ist eine Straßenlaterne. Du gehst immer näher an das Licht heran. Je näher du kommst, desto mehr siehst du, wie schmutzig du bist. Genau das erleben wir als Christen. Je mehr wir ans Licht gehen und je mehr wir Christus erkennen, desto deutlicher sehen wir, wie elendig wir sind und wie viel Sünde in uns ist.
Manchmal denkt man, wenn man über eine bestimmte Hauptsünde im Leben den Sieg errungen hat, dann ist man fast vollkommen. Die Wahrheit ist: Wenn der Herr dir den Sieg über diese Sünde schenkt, öffnet er dir die nächsten Baustellen, an denen er arbeiten möchte.
Die Tatsache, dass wir immer mehr erkennen, wie elendig wir sind, führt uns zu diesem Hilferuf: Wir brauchen die Gnade. Paulus fragt: „Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes? Wer wird mich retten von diesem sündigen Fleisch, in dem ich ja immer noch lebe?“
Die Antwort ist ein Lobpreis. Paulus sagt: „Ich danke Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn.“ Das ist die alles entscheidende Antwort am Ende von Kapitel 6. Wenn du gerade diesen Kampf in deinem Leben erlebst, diese Zerrissenheit, weißt du, was die Antwort ist: Christus.
Vielleicht lässt Gott gerade in deinem Leben diesen Kampf zu, damit du immer mehr erkennst, wie sehr du Jesus brauchst. John Newton, der Autor des bekannten Liedes „Amazing Grace“ (Erstaunliche Gnade), hat am Ende seines Lebens – mit 83 Jahren – noch einmal etwas über die Gnade geschrieben. Das wissen vielleicht nur wenige. Er hat einen Brief zum Thema Wachstum in der Gnade verfasst.
John Newton formuliert sinngemäß: Wachstum in der Gnade bedeutet nicht, dass wir als Christen irgendwann an den Punkt kommen, an dem wir die Gnade immer weniger oder gar nicht mehr brauchen. Wachstum in der Gnade bedeutet, dass wir immer mehr erkennen, wie sehr wir die Gnade Gottes brauchen.
Das ist es, was ich dir wünsche. Das ist das, was unser Fortschreiten im Christsein kennzeichnet: Wir erkennen immer mehr, dass Jesus das ist, was wir brauchen.
Ich erinnere mich an die Worte meines Opas kurz vor seinem Tod. Er sagte zu mir: „Andre, je näher das Ende kommt, desto wichtiger wird mir das Blut Jesu Christi.“ Übrigens ist heute sein Todestag. Je näher der Tod kommt, desto wichtiger wird mir das Blut Jesu Christi. Das ist das, was zählt – und das ist unsere Hoffnung.
Deshalb möchte ich diese Predigt auch hoffnungsvoll schließen. Wenn du zu kämpfen hast, schau auf Christus. Wenn die Sünde dich fertig macht und du sie endlich loswerden willst, weißt du was? Es gibt einen Retter. Er vergibt. Wir stehen in der Gnade (vgl. Römer 5) und haben Zugang zu dieser Gnade. Wir können immer wieder zu ihr kommen.
Er vergibt. Wir leben nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade. Seine Gnade möchte uns auch befähigen, im Sieg zu leben.
Wie kommen wir jetzt von Kapitel 6, in dem wir befreit von der Macht der Sünde sind, zur Realität in unserem Leben? Leider fallen wir noch so häufig zurück. Was der Schlüssel zum siegreichen Christsein ist, werden wir uns in der nächsten Predigt in Römer 8 anschauen.
Für heute möchte ich uns mit diesen Worten ermutigen: Die Gnade ist für uns alle da. Wenn du momentan niedergeschlagen bist, flieh jetzt einfach in die Gegenwart des Herrn. Flieh noch einmal neu in seine Gnade. Gib nicht auf!
Die Lieder, die wir jetzt gemeinsam singen wollen, sind eine wunderbare Antwort auf diese Predigt. Lasst uns dazu aufstehen und diese drei Lieder ganz bewusst als Antwort singen.