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Gebet

Gebet

Beten, Gebet.

1) Das Gebet ist der unmittelbare Verkehr der Seele mit Gott und bildet daher den Höhepunkt unseres religiösen Lebens. Gewöhnlich hat es die Form des Redens mit Gott (Ps. 19,15), doch gibt es gerade bei dem innigsten Gebetsleben Berührungen der Seele mit Gott, die, vom Geiste Gottes selbst hervorgerufen, sich nicht in menschliche Worte fassen lassen (Röm. 8,26). Die innere Bedingung oder „die wirkliche und tätliche Ursache des Gebets ist allein der Glaube an ihm selbst“ (Luther). Der Unglaube betet nicht. Denn das Gebet setzt nicht nur ein Wissen von Gott voraus, sondern auch eine herzliche Bejahung des Grundverbältnisses der Abhängigkeit, in welches uns Gott zu sich selbst gestellt hat und in welchem wir ganz auf seine Lebensfülle angewiesen sind — also zum mindesten Erkenntnis und Anerkenntnis Gottes (Hbr. 11,6). Das vollkommene Gebet aber hat zur Voraussetzung das durch Christum vermittelte Kindschaftsverhältnis (Joh. 16,26. 27; Röm. 5,2; 8,15). —

2) Ist nun das Gebet ein solches Reden des Glaubens mit Gott, so muß auch sein Inhalt zunächst auf Gott selbst sich beziehen. „Der wahre Beter bittet vor allem um Gott selber“ (Martensen). Unsere Huldigung, unser Dank, unsere Bitte beschäftigt sich mit dem, was zur Gründung, Bewahrung, Förderung und Vollendung unserer Gemeinschaft mit Gott von ihm bisher getan worden ist und noch geschehen soll (Mt. 6,9 ff.33; Luk. 11,13; Joh. 14,16; Eph. 1,17 ff.; 1 Kor. 15,57; 1 Tim. 1,12-17). Die geistlichen Lebensgüter sind der Natur der Sache nach ohne Gebet gar nicht zu gewinnen. Was zum äußeren Leben dient, gibt Gottes Güte und Langmut auch wohl ohne unser Gebet (Mt. 5,45; Röm. 2,4). Aber daß Gott auch hiefür gebeten sein will, zeigt die vierte Bitte im Gebet des Herrn. Mit allen Anliegen dürfen und sollen wir vor Gott kommen (Mt. 6,25 ff.; 10,30.31; Eph. 6,18; Phi. 4,6). Niemals aber können wir etwas erbitten, was mit dem Namen Jesu Christi, das heißt mit seiner Person, mit seinem Wort und Geiste streitet (Joh. 14,13; 15,7, vgl. Kol. 3,17). —

3) Die Hauptformen, in welchen das Gespräch unseres Herzens mit Gott zum Ausdruck kommt, sind nach 1 Tim. 2,1: Bittgebet, Lobgebet Fürbitte, Danksagung. Selten steht eine dieser Formeln für sich allein. Beispiele von Bitten um Rettung aus äußerer Not sind Ps. 3.4.5.7.42.54.70; Jes. 38,10-20; Mt. 26,39; 2 Kor. 12,8; Jak. 5,18. Bitten um Vergebung Ps. 6. 32. 38. 51. 102. 130. 143; Luk. 18,13. Bitte um Grfüllung der Verheißungen 2 Sa. 7,18 ff., um Weisheit 1 Kö. 3,5-12, um seligen Hingang Apg. 7,58, vgl. Luk. 23,46. Aufforderungen zur Fürbitte stehen Mt. 5,44; 9,38; Röm. 15,30; Eph. 6,18.19; 2 Kor. 1,11; Kol. 4,3; 2 Th. 3,1; Jak. 5,14-16. Hervorragende Beispiele von Fürbitten sind im Alten Testament 1 Mo. 18,23-32; 2 Mo. 17,11; 32,32; 33,12. 13; 4 Mo. 14,13-19; 1 Kö. 8; Jes. 37,14 ff.; Dan. 9; Esra 9. Beispiele von Fürbitten Jesu sind Mk. 7,34; Luk. 22,32; 23,34, namentlich aber das Gebet des Herrn, Mt. 6,9 ff., und das „hohepriesterliche“ Gebet um seine und seiner Jünger Verklärung, $$Job. 17::Hiob 17$$. Seine fortwährende Fürbitte: Röm. 8,34; 1 Joh. 2,1; Hbr. 7,25. Menschliche Fürbitte: Apg. 4,24-30; 7,59; 9,40; 12,5; 20,32. 36; Röm. 10,1; Eph. 1,16 ff.; 3,13 ff. Das Dankgebet, in welchem Gott für bestimmte Wohltaten gepriesen wird, geht häufig über in das Lobgebet, welches dem Wesen und Walten Gottes im allgemeinen gilt. Ps. 8. 9. 30. 33. 34. 65. 92. 100. 103. 104. 107. 118. 144-150; 2 Mo. 15; Ri. 5; Jes. 14,25; Luk. 1,46-55. 68-79; 2,13.14; Mt. 11,25; 14,19; 26,26. 30; Joh. 11,41; Apg. 27,35; Röm. 1,8; 1 Kor. 1,4; 2 Kor. 9,11-15; Kol. 1,12; 1 Tim. 1,12. 17; 4,4; 1 Pe. 1,3. (Über das Beten mit Zungen, 1 Kor. 14,13 ff. sieche Zungenreden.) —

4) Wie soll man beten? Bor allem warnt Jesus vor dem heuchlerischen Gebet, welches die Öffentlichkeit aufsucht, nur um den Schein großer Frömmigkeit zu erwecken, Mt. 6,5; 23,14. Ebenso verwirst er jene heidnische Geschwätzigkeit des Betens, welche durch die Menge der Worte Gott erst von unseren Nöten benachrichtigen u. durch Ermüdung ihn zur Erhörung zwingen zu müssen glaubt, Mt. 6,7 f. Damit es ein Beten im Geist und in der Wahrheit sei (Joh. 4,24) und nicht ein bloßes Werk der Lippen (Mt. 15,8), tut äußere und innere Nüchternheit not, Luk. 21,34; 1 Pe. 3,7; 4,8. Dazu dient das Fasten (Mt. 17,21; vgl. 4,2; Apg. 13,2; 14,23, vgl. 1 Kor. 7,5) und die Einsamkeit (Mt. 6,6; 14,23; $$Mk. 1,25::Mt 1,25$$; Luk. 6,12; 9,18). Angesichts der Majestät dessen, zu dem wir reden, muß das Gebet demütig sein (1 Mo. 18,27; Mt. 8,8; 26,39). Dem Heiligen steht der Betende bußfertig gegenüber, mit entschiedener innerer und äußerer Abkehr von der Sünde (Ps. 66,18; Jes. 1,15; 59,1-3; Luk. 18,13; 1 Pe. 3,12; 1 Tim. 2,8; Jak. 4,3; 5,16). Die Liebe Gottes fordert Vertrauen (Ps. 55,23; Mt. 8,13; 17,20; 21,22; Luk. 5,12; Jak. 1,5-7). Wenn aber Gott mit der Antwort zu zögern scheint, so steigert sich die Bitte zum Ringen mit Gott in anhaltendem und dringendem Flehen (1 Mo. 32,26; Mt. 7,7; 15,22-28; $$Mk. 10,42::Mt 10,42$$; Luk. 11,8; 18,1-8; Röm. 12,12; 2 Kor. 12,8; 1 Tim. 5,5, vgl. den Gebetskämpf Jesu in Gethsemane, Mt. 26,44; Luk. 22,44; Hbr. 5,7). Das vollkommenste Gebet ist dasjenige, welches in dem Namen Jesu geschieht, das heißt nicht etwa nur mit äußerlicher Berufung auf ihn oder nach seinem Borbild oder auf seinen Befehl, sondern in innigster Einigung des Gläubigen mit dem erhöhten Christus. Dieses Gebet, welches nur die Verherrlichung des Vaters im Sohne bezweckt, ist der Erhörung unbedingt gewiß, ja, es bedarf sogar der Fürbitte Christi nicht mehr, weil der Geist Jesu Christi selbst es ist, der in uns betet (Joh. 14,13-20; 15,7; 1 Joh. 5,14), besonders wichtig ist hiefür Joh. 16,23-27, vgl. mit 16,7.-

5) Über die äußeren Umstände des Gebets sind weder im A. noch im Neuen Testament bestimmte Vorschristen gegeben. Die das Gebet begleitenden Gebärden sind der sinnbildliche Ausdruck des Verhältnisses der Betenden zu ihrem Gott. Man betet stehend (1 Sa. 1,9 u. 26; Luk. 18,13) zum Zeichen der Dienstbereitschaft; knieend (1 Kö. 8,54; Dan. 6,10; Apg. 20,36; Eph. 3,14; Phi. 2,10) zum Zeichen der Demut, fällt wohl auch im tiefsten Gefühl der Unterwürfigkeit nieder zum Gebet (Ps. 95,6, vgl. Mt. 4,9; 26,39; Offb. 4,10). Die Hände werden zum Himmel erhoben und ausgebreitet, wie zum Empfang der göttlichen Gaben bereit (2 Mo. 9,29; 1 Kö. 8,22; Ps. 123,1; Jes. 1,15; 1 Tim. 2,8). Der Zöllner schlägt an seine Brust im Schmerz der Selbstanklage, er hebt seine Augen nicht auf aus Scham über seine Sünden (Luk. 18,13). Das Händefalten kommt in der Bibel noch nicht vor, es ist die Gebärde der Huldigung gegenüber dem Sieger und hat sich erst seit der Bekehrung der germanischen Stämme in der christlichen Kirche eingebürgert. Als Ort des Gebets ist im Alten Testament der Tempel zu Jerusalem bevorzugt. David betet in der Richtung zum Hause des Herrn (Ps. 5,8; 18,7), zum Allerheiligsten als der Offenbarungsstätte Gottes (Ps. 28,2, vgl. Ps. 121,1, das Aufheben der Augen zu den Bergen Zions als zu dem Wohnsitz Gottes, von welchem aus die Hilfe kommt, Ps. 3,5; 19,7). Hiskia betet im Hause des Herrn (Jes. 37,14). Daniel hat nach 1 Kö. 8,38. 44. 48 offene Fenster gegen Jerusalem. Pharisäer und Zöllner beten im Tempelvorhof (Luk. 18,10). Christus hat beim Gebet die Augen zum Himmel erhoben (Mk. 6,41; 7,34; Joh. 11,41; 17,1, vgl. Jak. 1,17). Doch sind die Christen an keinen Gebetsort, an keine Gebetsrichtung gebunden (Joh. 4,21. 23). Petrus und Johannes gehen noch in freiem Anschluß an die herrschende Sitte zum Gebet in den Tempel (Apg. 3,1, vgl. 2,46), aber schon vor Pfingsten hatten sich die Apostel im Söller (Obergemach) eines Privathauses zu gemeinsamem Gebet versammelt (Apg. 1,13), das Haus der Maria ist als Vereinigungsort genannt, Apg. 12,12. In Joppe betet Petrus aus dem Söller (Apg. 10,9), um jeder Störung auszuweichen, wie Jesus die einsame Wüste aufgesucht hat (Mk. 1,35) und die Bergeshöhe (Mt. 14,23). Die gewöhnlichen Gebetszeiten sind der Morgen (Ps. 5,4), der Mittag (Apg. 10,9), der Abend (Ps. 4,9; Esra 9,5; Apg. 3,1; Ps. 55,18; Dan. 6,10). Jesus bleibt auch die Nacht über im Gebet (Luk. 6,12, vgl. Ps. 6,7). Die Mahnung, ohne Unterlaß zu beten (1 Th. 5,17, vgl. Kol. 3,17), zeigt, daß der Apostel das Gebetsleben nicht auf gewisse Stunden eingedämmt wissen will. —

6) Den Gebeten ist Erhörung verheißen (Ps. 50,15; 145,18; Jes. 55,6; $$Jer. 29,12::Jer 28,12$$; Mt. 7,7 ff.). Jn Mt. 18,19 ist es aber nicht die Zahl der Beter, welche das Gebet erhörlich macht, sondern nach 18,20 der Name Jesu, auf den sie versammelt sind und zu welchem die gemeinsam Betenden einander hinleiten. Mk. 11,24 ist nicht dem willkürlichen, möglicherweise recht fleischlichen, wenn auch noch so steifen Glauben die Erhörung zugesagt, sondern dem auf Jesu Namen begründeten und in ihm begrenzten Glaubensgebet (Joh. 14,13). Da wir aber hinsichtlich dessen, was gut für uns ist, im einzelnen oft irren (Mt. 20,22), so kann Gott unsere Gebetswünsche nicht immer buchstäblich erfüllen, sondern gewährt uns nur das, was nach seinem Rat gut für uns ist (Mt. 7,11; Röm. 10,13; 2 Kor. 12,9; Jak. 1,5. 17). Gegen die Möglichkeit der Erhörung ist eingewendet worden, es streite gegen die Würde Gottes, durch menschliche Einwirkung im Gebet sich irgendwie bestimmen zu lassen. Allein es ist Gottes anbetungswürdige freie Gnade, daß er den Handlungen der Menschen überhaupt, und ihren Gebeten insbesondere, einen gewissen Einfluß auf die Weltregierung gestatten will. Er hat ein gewisses Maß von menschlicher Freiheit von Anfang an in seinen Weltplan aufgenommen, und die Menschen bleiben ihm dafür verantwortlich, welchen Gebrauch sie von ihrer Freiheit machen wollen. Tun sie es, namentlich auch im Gebet, in der rechten Einigung mit dem Willen Gottes (vgl. oben 4) „im Namen Jesu“, so kann dies nicht zur Beeinträchtigung, Sondern nur zur Verherrlichung der göttl. Majestät gereichen. Wenn man ferner eingewendet hat, eine Gebetserhörung sei, wie jedes Wunder, unstatthaft, weil es eine Aufhebung des gesetzmäßigen Zusammenhangs der Natur in sich schließen würde, so stellen wir diesem Aberglauben an Unabänderlichkeit des Naturznsammenhangs gegenüber den Glauben an einen lebendigen Gott, welcher, nachdem er die Welt geschaffen hat, sich nicht dazu verurteilen läßt, ein müßiger Zuschauer des Naturlaufs und der Geschichte zu sein. Vielmehr hat er es seiner Weisheit und Macht Vorbehalten, teils mit neuen Schöpfungen, teils durch unmittelbares Einwirken auf schon Geschaffenes in den Lauf der Welt so einzugreifen, wie es zur Vollendung seines Weltplanes, zur Verherrlichung seines Namens, zum Kommen seines Reiches am dienlichsten ist. Beispiele von Gebetserhörungen sind: 2 Mo. 15,25; 17,11; 32,14; 33,17; 1 Sa. 1,26-28; Ps. 34,7; 65,3; 118,5; 1 Kö. 3,11. 12; 18,37. 38; Jes. 37,15 ff.; 38,5; Mk. 7,34; Mt. 14,19; Joh. 11,41; 12,28; Apg. 4,31; 9,40; 10,31; 12,5 u. 7; Jak. 5,17. 18. Vgl. 2 Kor. 12,8. 9; Luk. 22,42. 43; Hbr. 5,7.