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Judentum

Juden, Judentum. Der Name Juden erscheint in der israelitischen Geschichte zuerst 2 Kö. 16,6 aus der letzten Zeit des Nebeneinanderstehens beider Reiche. Als aber das Reich der 10 Stämme aus der Geschichte verschwunden war, wurde Juda der ausschließliche Träger derselben, und so findet sich 2 Kö. 18,26 und Parallelstellen „jüdisch“ für die Sprache des Landes, sodann bei Jeremia schon ein häufigerer Gebrauch des Wortes Juden. Als vollends nach dem Exil Juda mit Jerusalem den festen Kern der Neugestaltung bildete, an welchen auch die Reste der übrigen Stämme sich anschlossen, da wurde der Name Juden für das Volk in seiner eigentümlichen Sonderheit anderen Nationen gegenüber der herrschende. So in den nachexilischen Geschichtsbüchern, Esra, Nehemia; ganz außchliesslich charakteristischerweise im Buch Esther. Übrigens war diese Verengerung der Benennung keine Verengerung des Begriffes, die theokratischen Hoffnungen erstrecken sich immer auf das ganze Volk der 12 Stämme, so noch im Neuen Testament, zum Beispiel Apg. 26,7, bes. Offb. 7,4; 21,12, auch Jak. 1,2. Im allgemeinen kann man sagen, der Name Jude bezeichnet das Volk nach seiner wirklichen Beschaffenheit, seiner natürlichen Bestimmtheit, während mit Israel mehr seine ideale Bestimmung, sein theokratischer Beruf ausgedrückt wird. So ist Joh. 1,47 mit Absicht für Nathanael der Ausdruck Israeliter gebraucht. Doch braucht Paulus Röm. 2,28, 29 für denselben Gedanken den Ausdruck: Jude. Immerhin liegt der durchgängigen Anwendung dieses Namens im Evangelium Johannis der Gegensatz des Israel nach dem Fleisch gegen das Christentum zu Grund, die Scheidung, welche sich geschichtlich zwischen ihnen vollzogen hat, wie auch die Apostelgeschichte fast ausschließlich den Namen Juden braucht. Das Judentum nun ist das Ergebnis jener gewaltigen inneren und äußeren Umwandlung, welche seit dem Exil an dem Volk sich vollzogen und nach dem vollständigen Untergang des nationalen Bestandes ihren Abschluß erreicht hat. Die heimgekehrten Exulanten bildeten keinen Staat mehr, sondern nur noch eine Gemeinde, und zwar eine religiöse, die sich mit unerbittlicher, früher nie gekannter Schärfe gegen die andern Völker, gegen die Heiden, abschloß. Damit hat Esra sein Wirken begonnen (Kap. 9 ff.). Diese schroffe Abschließung gegen die andern Völker ist ein Grundzug des Judentums. Das Nationale ist jetzt fast ganz verschlungen vom Religiösen. Die Religion ist das Lebenselement, die erhaltende Kraft dieser Gemeinde. Aber die Religion wesentlich in der Form des Gesetzes. Die Prophetie, deren letzter Vertreter Maleachi noch — selbst schon wie ein Theologe und Jurist — gegen diesen gesetzlichen Geist eifert, ist im Erlöschen; an ihre Stelle tritt die Schriftgelehrsamkeit. Durch eine sich immer steigernde Zahl von gesetzlichen Bestimmungen, welche selbst das Kleinste regeln und, von den Schriftgelehrten nicht bloß neben, sondern über Gottes Gebote gestellt, einen Zaun um das Gesetz bilden sollen, wird das Leben gestaltet. Namentlich die strengste Befolgung des Sabbatgebotes wird ein wesentliches Stück der Frömmigkeit. Auf Grund dieser strengen Gesetzesbeobachtung stellt sich das Juden, Judentum in ein Rechtsverhältnis zu Gott. Der Jude verpflichtet sich, das Gesetz aufs strengste zu beobachten, und Gott ist verpflichtet, dafür dem einzelnen den Lohn der Seligkeit zu geben, dem Volk die messianische Zeit anbrechen zu lassen. Nachdem das lebende Wort verstummt ist, wird um so mehr das geschriebene gesammelt, ängstlich gehütet und zur Autorität erhoben. Die Sammlung der heil. Schriften und die Bildung des Kanon ist ein wesentlicher Zug des Judentums. Im Kanon aber nimmt das Gesetz, die Thora, eine alles andere überragende Stellung ein. Die Thora zuerst wird regelmäßig zur Vorlesung gebracht, die Beschäftigung mit ihr zum Verdienst erhoben; ja der tote Buchstabe der Thora drängt eigentlich den lebendigen Gott in den Hintergrund. Mit diesem gottesdienstlichen Gebrauch der Thora hängt zusammen auch die gottesdienstliche Stätte, welche für das Judentum so charakteristisch ist, die Synagoge (Luther: Schule). Vermutlich ins Exil zurückreichend mit ihren Anfängen, ist sie nach der Rückkehr gleichsam zu einem zweiten Brennpunkt geworden neben dem Tempel, durch den Untergang dieses aber der alleinige Kultusort und Herd der Frömmigkeit. Bedeutsam genug, denn diese Einrichtung gewährte allein den Juden in der Zerstreuung einen Ersatz für das Heiligtum und ermöglichte den Fortbestand der jüdischen Religion in einer sogar reineren, weil vom Opferdienst zuletzt unabhängigen Form. Diese Zerstreuung unter die Heiden, beginnend mit der ersten, vollendet seit der zweiten Zerstörung Jerusalems, ist ein wesentlicher Zug in der Geschichte des Judentums. Die religiöse Abschließung von den Heiden und die Durchsetzung der Heidenwelt mit jüdischen Kolonien begleiten und bedingen sich gegenseitig. In der Diaspora hat dann das Juden, Judentum jene sozialen Eigentümlichkeiten herausgebildet, die ihm bis heute ankleben: überall rasch anzuwachsen und es zu Reichtum, Ehre, Macht, Einfluß selbst in den höchsten Kreisen zu bringen, und doch umgekehrt wieder ein Gegenstand unsäglicher Verachtung, unendlichen Hasses und nie ganz aufhörender Verfolgung zu sein. Wie das Judentum die Heidenwelt religiös beeinflußt und dadurch auch dem Christentum vorgearbeitet hat, siehe im Art. Judengenossen; wie es selbst Einwirkungen des Hellenismus in sich aufnahm, s. d. Artt. Hellenisten und Alexandrien. Die innere Geschichte und Entwicklung des Judentums liegt noch mannigfach im Dunkeln. Die äußere Geschichte kann man, soweit sie hier in Betracht kommt, einteilen in vier Abschnitte. Unter der Perserherrschaft, 536-330, ersteht wieder in Jerusalem ein jüdisches Gemeinwesen. Die beherrschende Macht wird — noch mehr als Tempel, Opferdienst und Priesterschaft — das Gesetz. Vorzüglich Esras und Nehemias Bemühungen machen aus dem Volk einen Gesetzesstaat. Die zweite Periode, das Judentum unter Alexander dem Großen und den Diadochen, zuerst den Ptolemäern, hernach den Seleueiden, 330-162, bezw. 142, führt die Berührung des Judentums mit dem Hellenismus herbei. Zuerst gewinnt dieser auf friedlichem Weg bedeutenden und zersetzenden Einfluß selbst in Judäa und Jerusalem, aber der Versuch gewaltsamer Überwindung des Judentums unter Antiochus Epiphanes ruft zugleich die endlich siegreiche Reaktion der Gesetzestreuen gegen das Griechentum herbei. Die dritte Periode umfaßt das hasmonäische Priesterkönigtum, 142 bezw. 141 bis 63: die Frommen oder Gesetzestreuen lösen den Bund mit dem verweltlichten Fürstenhaus der Hasmonäer und treten in immer schärferen Gegensatz zu ihm als die volksbeherrschende Partei der Pharisäer. Die vierte Periode ist diejenige der mittelbaren und unmittelbaren römischen Oberherrschast, 63-135 n. Chr. Unter ihr entwickeln sich aus den Pharisäern die Zeloten, welche rücksichtslos die letzte Konsequenz des Gesetzesfanatismus zogen gegen die Fremdherrschaft der Römer und dadurch den Untergang des jüdischen Staates herbeiführten. Eben diese politische Vernichtung, verbunden mit der Verwerfung des Christentums, hat dem Judentum seine endgültige Gestalt gegeben, welche im Talmudjudentum vorliegt. Weiteres siehe Geschichte Israels von Öttli (Bd. I), Schlatter (Bd. II) und Heman (Bd. III).