
Herzlich willkommen zum Podcast der EFH Stuttgart mit Thomas Povileit und Jörg Lackmann. Unser Podcast möchte zum praktischen Christsein herausfordern und zum theologischen Denken anregen.
Heute geht es um Synagogen und den Gottesdienst in Synagogen. Synagogen werden im Alten Testament nirgends erwähnt. Zur Zeit des Neuen Testaments sind sie jedoch eine feste Größe im religiösen Leben.
Jesus selbst und auch die Apostel besuchten Synagogen häufig. Die Apostel nutzten sie oft als Ausgangspunkt für die Evangelisation.
Wir betrachten den Aufbau einer Synagoge und auch einen typischen jüdischen Gottesdienst. Außerdem schauen wir uns an, welche Rolle diese Gottesdienste im Dienst der ersten Christen spielten.
Jesus war oft in den Synagogen anzutreffen. Welche Rolle spielten die Synagogen in seinem Dienst? Was weiß man darüber?
Nach meinen Recherchen stammen viele Informationen aus einem Buch eines Judaisten, Alfred Edersheim, der vor etwa hundert Jahren lebte. Sein Werk „Sketches of Jewish Social Life“ behandelt unter anderem den Aufbau der Synagogen und den Gottesdienst dort. Auf Deutsch ist er vor allem durch sein Buch „Der Tempel“ bekannt. In einem Kapitel beschreibt er den Aufbau der Synagogen, in einem anderen den Gottesdienst. Das fand ich sehr interessant, weil man darin viele Parallelen zur Bibel wiederfindet.
Zum Beispiel steht in Lukas 4: „Jesus kam nach Nazareth, wo er erzogen worden war, und ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge und stand auf, um vorzulesen.“ Jesus ging also wie jeder Jude in die Synagoge, stand auf und las vor. Was das genau bedeutet, klären wir später bei der Beschreibung des Ablaufs und der Struktur des Gottesdienstes.
Synagogen gab es im Alten Testament noch nicht, dort gab es nur den Tempeldienst. Die Synagogen entstanden erst nach der babylonischen Gefangenschaft. Warum genau, weiß man nicht so genau. Vermutlich waren sie eine Art Erweckungsbewegung, um zum Wort Gottes zu kommen. Zwar gab es den Tempel wieder, aber er hatte nicht mehr die zentrale Stellung wie zuvor, da es keinen König mehr gab und das Volk unter Fremdherrschaft stand. Das könnte eine Rolle gespielt haben.
Im Neuen Testament sind Synagogen auf jeden Fall präsent. Jesus besuchte sie regelmäßig und wirkte auch dort. Zum Beispiel heißt es in Matthäus 4, dass er in ganz Galiläa umherzog, in den Synagogen lehrte, das Evangelium vom Reich Gottes predigte und jede Krankheit und jedes Gebrechen heilte.
Man erinnert sich nicht nur an das Lehren in den Synagogen, sondern auch daran, dass Jesus dort Menschen heilte. Das kam nicht immer gut an, besonders wenn es am Sabbat geschah. In Johannes 18 sagte Jesus: „Ich habe öffentlich zur Welt geredet, ich habe alle Zeit in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen, und dem Verborgenen habe ich nichts gesagt.“ Das war eine Antwort auf eine Anklage, in der er fragte, warum man ihn nicht habe reden sehen.
Die Bibel zeigt also sehr deutlich, dass Jesus seit seiner Kindheit und auch während seines Dienstes regelmäßig in den Synagogen war. Die Synagoge war ein normaler Ort, weil dort das religiöse Leben stattfand.
Auch die Apostel handelten so. Bei der ersten Missionsreise, zum Beispiel in Zypern, verkündeten Paulus, Barnabas und Johannes Markus das Wort Gottes in den Synagogen der Juden. In Salamis, einer Stadt im Osten Zyperns, gab es sogar mehrere Synagogen. Das zeigt, dass die Synagogen auch in der Diaspora weit verbreitet waren.
Eine Zahl, die ich einmal gelesen habe, besagt, dass es zur Zeit der Apostel allein in Jerusalem etwa 480 Synagogen gegeben haben soll. Diese Zahl könnte allerdings symbolisch sein.
In Apostelgeschichte 6,9 wird gezeigt, dass Synagogen nach Nationalitäten organisiert waren. Dort heißt es, dass einige aus der sogenannten Synagoge der Libertiner, das waren freigelassene jüdische Sklaven, sowie aus der Synagoge der Kyrenäer (heutiges Libyen), Alexandriner (heutiges Ägypten), und aus der von Cilicien und Asien (heutige Türkei) mit Stephanus stritten.
In Jerusalem gab es also spezielle Synagogen, in denen Menschen aus Libyen, Ägypten und der Türkei zusammenkamen, obwohl sie in Jerusalem lebten. Das war ähnlich wie heute fremdsprachige Gemeinden in Deutschland. Diese Vielfalt war weit verbreitet.
Die Struktur der Synagogen ähnelt in vielerlei Hinsicht der von heutigen Gemeinden. Die Christenheit ist aus der Synagoge heraus entstanden. So gab es zum Beispiel auch eine Art Mitgliedschaft, wie wir sie heute in Gemeinden kennen.
In Johannes 12 steht: „Dennoch glaubten auch viele von den Obersten an ihn, doch wegen der Pharisäer bekannten sie ihn nicht, damit sie nicht aus der Synagoge ausgeschlossen würden.“ Das kann einem auch heute in Gemeinden passieren – dass Menschen aus Angst vor Ausgrenzung ihren Glauben nicht offen zeigen.
Ich finde das Thema Synagoge spannend, weil du ja schon zu Recht gesagt hast, dass es dafür keinen biblischen Beleg gibt. Im Alten Testament gibt es den Tempel, aber trotz dessen haben sich Synagogen gebildet. Das bedeutet, dass sich im Laufe der Jahrhunderte Dinge entwickeln, für die es keinen direkten biblischen Beleg gibt, die aber im Sinne der Bibel sind und das geistliche Leben fördern. Solche Dinge kann man dann natürlich auch einsetzen. Das hast du schön herausgearbeitet.
Für mich war es in Israel besonders interessant, dass ich dachte, ich lese mal das Wort „Synagoge“ auf Hebräisch. Aber das heißt ja „Beit Knesset“ und nicht Synagoge auf Hebräisch. Das ist unser Begriff dafür, logisch, denn es bedeutet „Haus der Versammlung“. Das ist natürlich, wenn man Brüdergemeindler wäre, ganz nah bei der Gemeinde, also bei der christlichen Versammlung. Daher kommt der Begriff auch.
Hatte denn jeder Ort in Israel eigentlich eine Synagoge? Wie war das, weißt du da etwas? Wenn ich ins Evangelium schaue, zu den Orten, an denen Jesus unterwegs war, wird eine Synagoge erwähnt. In der Diaspora war das nicht immer so. Außerhalb Israels konnte es durchaus vorkommen, dass es keine Synagoge gab.
Als Hintergrund: Für eine Synagoge gab es feste Regeln, wann sie entstehen durfte. Nach der Mischna, dem Vorgänger des Talmud, der etwa um 200 nach Christus entstand und das Alte Testament auslegen sollte, musste man bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Nach der Mischna, Megillah Abschnitt drei, mussten zehn erwachsene Männer anwesend sein. Erst wenn zehn erwachsene Männer da waren, konnte man eine Synagoge gründen. Vorher ging das nicht.
Das lesen wir auch in der Apostelgeschichte, als Paulus nach Europa kam, in Philippi. Dort hat er keine Synagoge gefunden. Ich lese das mal vor: „Und am Tag des Sabbats gingen wir hinaus vor das Tor an den Fluss, wo wir eine Gebetstätte vermuteten, und wir setzten uns nieder und redeten zu den Frauen, die zusammengekommen waren“ (Apostelgeschichte 16). Dort gab es keine Synagoge, sondern nur eine Gebetstätte, weil sie keine zehn Männer hatten. Deshalb redete Paulus hier auch mit den Frauen, die zusammengekommen waren, weil eben zu wenig Männer da waren.
Das ist auch heute noch so in Israel: Man braucht mindestens zehn Männer, um überhaupt einen Synagogengottesdienst zu starten. Mein Sohn war mal ein Jahr in Jerusalem und wurde auf der Straße von einem Juden angesprochen, ob er nicht mitkommen könnte, weil sie noch auf der Suche nach dem zehnten Mann waren. Das verstand ich auch, aber mein Sohn fand es nicht ganz fair, dass er als Christ in einem jüdischen Gottesdienst einfach die Zahl der Männer erhöhen sollte. Das hätte ich mich auch gefragt, denn zehn erwachsene Männer – ich hätte gedacht, das müssen beschnittene Juden sein. Das war ihm aber egal, die suchten wirklich dringend jemanden.
Natürlich gibt es immer unterschiedliche Richtungen. Strenge Gruppen hätten ihn bestimmt nicht eingeladen, aber bei anderen hätte das wohl gereicht.
In Kapernaum zum Beispiel wurde der Sohn des Hauptmanns geheilt. Die Ältesten sagten, er habe ihnen die Synagoge gebaut, also in der Heimatstadt Jesu, wo er lange gelebt hat. Das heißt, sie hatten vorher nicht die Mittel, eine ordentliche Synagoge zu bauen. Das hat sogar ein Heide, also ein Gottesfürchtiger, gespendet.
Es gab also eigentlich überall Synagogen, aber es gab diese Grenze mit der Mindestzahl von zehn Männern. Wenn wir auf die erste Missionsreise von Paulus schauen, sehen wir, dass es in Antiochia in Pisidien und in Ikonion Synagogen gab. Weiter ging er nach Lystra und Derbe, dort gab es keine Synagogen. Das liest man im Text immer eindeutig, weil die Missionsstrategie so aufgebaut war – dazu später mehr.
Genau, ja, ich kenne Synagogen eben nur heute. Wenn ich dann unterwegs war in Meerschiarim, hört man sie. Man muss sie gar nicht sehen. Man hört, wo die Leute rufen, beten und so weiter. Die Synagogen sind ganz unterschiedlich. Manchmal sind sie sehr einfach, manchmal richtig pompös gebaut.
Aber wie war das früher? Wie sahen die Gebäude früher in der Synagoge aus? Hast du da etwas darüber gefunden?
Ja, also wir haben einmal... Von der genauen Architektur gibt es nicht viel. Was immer war: Wenn du jetzt, nehmen wir an, du kommst rein und setzt dich als Gottesdienstteilnehmer hin, dann war an der anderen Wand die Torarolle. Vor der Torarolle hing ein Vorhang. Vor der Torarolle, mit dem Blick zu dir, waren die Ehrenplätze. Da saßen damals also die wichtigen Leute.
Deswegen hat Jesus auch kritisiert, in Matthäus 23, dass sich die Schriftgelehrten und die Pharisäer auf den Moses-Lehrstuhl gesetzt haben. Sie liebten aber den ersten Platz bei den Gastmählern und die ersten Sitzplätze in Synagogen. Das waren eben die Plätze mit dem Blick zu dir. Sie hatten die Tora im Rücken, also die Autorität im Rücken. Sie schauten dich an.
Vor ihnen war ein Tisch, auf dem die Torarolle zum Lesen lag. Damals gab es ja noch Rollen, Bücher gab es praktisch noch nicht. Das kam erst später, in gebundener Form. Für das Vorlesen wurde eine oder zwei Torarollen auf diesen Tisch gelegt, und da saßen dann die Leute.
Der Raum konnte ganz schlicht sein. In Kapernaum wurde so eine Synagoge ausgegraben. Dort gab es auch eine Empore für die Frauen. Die saßen oben, so ein bisschen abseits.
Ich habe gelesen, dass sie normalerweise nichts beitrugen, sondern eher zusahen und eher schwiegen. Das werden wir demnächst mal im Korintherbrief behandeln, die Frauschweige in der Gemeinde, wie es in allen Gemeinden ist und was das bedeuten könnte.
In Kapernaum war es auf jeden Fall so, soweit man das aus archäologischen Funden rückschließen kann, dass der Gottesdienst eher unten stattfand. Die Frauen und Männer saßen auf jeden Fall getrennt. Das ist ja auch eine kulturelle Sache.
Auch wenn du in die Synagoge hier in Stuttgart gehst, dann hast du gleich ein Schild, wo die Frauen hingehen – die Treppe hoch –, und die Männer gehen in den Saal rein. Das ist, denke ich, im Orient und in Afrika durchgängig so. Auch in christlichen Gemeinden habe ich das so kennengelernt, je nach Gemeinde. Aber das ist eine kulturelle Sache, und die wurde auch damals so gehandhabt.
Das wäre so das Äußere der Synagoge. Wie du gesagt hast, gab es ärmliche Synagogen, wenn sich die Leute nichts leisten konnten, und dann gab es welche, die prunkvoll ausgestattet waren.
Gibt es so etwas wie Vorschriften zur Inneneinrichtung oder zum Verhalten in der Synagoge? Hast du dazu etwas gefunden, insbesondere zum Verhalten? Ich fand es interessant, wie Alfred Edersheim das dargestellt hat, denn man findet diese Beteiligten überall in der Bibel wieder. Das finde ich spannend, auch wenn es ein Randthema ist. Es ist ganz klar kein zentrales Thema, aber dennoch interessant. Wir sprechen heute über ein Randthema, und das ist gut so. Es macht die Sache lebendiger, wenn man solche Details kennt. Man kann sich die Situationen besser vorstellen.
Es gab zum Beispiel den Diener in der Synagoge, der im Gottesdienst eine Rolle hatte. In Lukas 4,20 heißt es, dass Jesus, nachdem er das Buch – eigentlich die Rolle – zugerollt hatte, es dem Diener zurückgab und sich setzte. Alle Augen in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. Der Diener nahm also die Prophetenrolle, in diesem Fall die von Jesaja, von Jesus entgegen und legte sie später wieder in den Toraschrank zurück. Das war seine Aufgabe.
In Lukas 7 werden Älteste erwähnt, ähnlich wie heute in Gemeinden. Außerdem gab es den Synagogenvorsteher. Diesen finden wir auch öfter mit Namen, zum Beispiel in Kapernaum, wo Jesus lehrte. In Matthäus 9 war es Jairus, der Synagogenvorsteher, der zu Jesus kam, weil seine Tochter im Sterben lag. Jesus heilte sie. Der Vorsteher war praktisch der Leiter oder Chef der Synagoge, der Ansprechpartner, vergleichbar mit einem Vereinsvorsitzenden. Vereine gab es damals zwar noch nicht, aber er war der Verantwortliche für den Ablauf.
In Lukas 13 wird eine Heilung am Sabbat beschrieben. Im Vers 12 heißt es, dass der Synagogenvorsteher unwillig war, weil Jesus am Sabbat heilte. Er begann zu der Volksmenge zu sprechen und legte die Tore aus. Der Vorsteher fühlte sich also verpflichtet, einzugreifen, weil Jesus am Sabbat heilte – das war nicht erlaubt. Er musste den Fremden maßregeln, da er die Verantwortung trug. Die anderen Beteiligten hielten sich zurück.
Der Hintergrund ist folgender: Wenn jemand kam, wurde er gebeten, einen Beitrag oder eine Predigt zu halten. Das war üblich und ist es in manchen Gemeinden oder Ländern heute noch. Ein Wort konnte auch mal eine halbe Stunde dauern. Das war damals ebenso, aber in diesem Fall musste der Vorsteher einschreiten.
Es gab auch einen Gottesdienstleiter. Normalerweise war das derjenige, der nach der Vichna – einer bestimmten Lesung – aus dem Prophetentext vorlas. Er gestaltete große Teile der Liturgie und bestimmte, wie der Gottesdienst ablief. Darüber sprechen wir gleich noch genauer.
Eine weitere, sehr spezielle Rolle war die des Übersetzers. Teilweise wurde der hebräische Text ins Aramäische oder andere einheimische Sprachen übersetzt. Dabei durfte der Übersetzer nicht aus der griechischen Übersetzung lesen, auch wenn er ins Griechische übersetzte. Er musste frei aus dem Hebräischen übersetzen. Das war damals Pflicht. Edersheim erklärt, dass dies auch der Grund ist, warum wir im Neuen Testament manchmal freie Zitate aus dem Alten Testament finden. Man nutzte nicht einfach die Septuaginta, sondern übersetzte frei.
Das Thema ist allerdings komplexer, denn es gibt auch eindeutige Septuaginta-Zitate. Die Übersetzungen halfen den Menschen, die damals nicht mehr fließend Hebräisch sprachen. Deshalb wurde der Text ins Aramäische oder in die jeweilige Landessprache übersetzt, etwa in Ägypten oder Kyrene, je nachdem, was die Juden dort sprachen.
Dann gab es den Vorleser, der die Tora vorlas, und den Prediger. In Apostelgeschichte 13,15 heißt es: „Nach dem Vorlesen des Gesetzes und der Propheten sandten die Vorsteher der Synagoge zu ihnen und sagten: Ihr Brüder, wenn ihr ein Wort der Ermahnung an das Volk habt, so redet!“ Hier haben wir also bereits alles: das Vorlesen des Gesetzes und der Propheten, den Vorsteher, der zum Predigen auffordert – alles in einem Vers. Das sind die äußeren Personen, die beim Gottesdienst anwesend sind.
Dann ist es ja mal interessant, dass wir uns mit dem Ablauf beschäftigen. Im Neuen Testament haben wir in dem Sinne ja keinen festen Ablauf für unseren Gottesdienst. Manche Elemente haben wir auch aus dem Alten Testament übernommen, wenn man so will.
Wie ist es denn in der Synagoge? Woher haben sie das oder wie läuft es dort ab? In der Mischna und anderen Quellen finden sich Abläufe, die variieren können. Zum einen über die Zeit hinweg – nicht in jedem Jahrzehnt war alles gleich. Zum anderen hing es davon ab, ob Sabbat, Neumond oder ein anderer Festtag war. Dann wurden die Abläufe etwas variiert.
Oder war es unter der Woche? Oft gab es ja nicht nur einen Synagogengottesdienst am Sabbat, sondern auch unter der Woche, zum Beispiel an Markttagen. Dort wurde ebenfalls ein Gottesdienst abgehalten. Die Menschen kamen zum Markt zusammen, teilweise wurde auch Gericht gehalten, je nachdem, in welcher Zeit es war. Außerdem gab es einen Synagogengottesdienst, und es wurde geheiratet. Es gab bestimmte Tage, die besonders beliebt waren – das habe ich mir früher mal gemerkt.
Die Liturgie war normal aufgebaut: Am Anfang gab es einen liturgischen Block, dann eine Lesung der Schrift, danach die Predigt und zum Abschluss noch ein Gebet – ganz grob gesagt.
Jetzt die Liturgie etwas aufgesplittet: Am Anfang standen normalerweise zwei Gebete, dann das Schma Israel, also „Höre Israel“. Das ist eine Kombination aus mehreren Stellen aus dem fünften und vierten Buch Mose. Danach folgten Segnungen. Insgesamt gibt es achtzehn Segnungen, die ich in dem Buch alle aufgeführt habe.
Je nach Sabbat wurden mal die ersten drei und die letzten Segnungen gelesen, die anderen nicht. Das wurde also etwas variiert, wie gesagt. Es gab sehr viele Segenstexte. Danach folgten auch freie Gebete nach diesen Segnungen.
Wir haben also, wie gesagt, zwei Gebete, das Schma Israel, Segnungen und dann freie Gebete. Diese freien Gebete konnten durchaus auch missbraucht werden. Jesus sagt das ja auch in Matthäus 6: „Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, denn sie lieben es, in den Synagogen und an den Ecken der Straßen zu beten, damit sie von den Menschen gesehen werden.“
Das finde ich spannend – freie Gebete. Ich war ja viel in Synagogen und habe auch Juden mit ihren Gebetsbüchern erlebt. Das habe ich noch nie erlebt, dass Juden frei beten. Heutzutage nicht. Sie haben ihre Gebetsbücher, und das hat sich dann verloren. Aber damals, nach der Quelle, die mir zugänglich ist, gab es freie Gebete.
Danach wurde der aronitische Segen durch einen Priester gespendet, wenn einer da war. Ansonsten übernahm das der Gottesdienstleiter. Es folgte noch einmal ein Segen, eventuell noch ein Gebet, eine weitere Segnung.
Dann kam die Lesung der Tora, und die war ganz klar geregelt. Es wurde einmal die Tora, also das Gesetz, gelesen – und zwar von sieben Personen am Sabbat. An Wochentagen waren es drei, an Neumond und Festtagen vier oder fünf, am Versöhnungstag sechs. Alles genau festgelegt.
Später gab es dann einen Zyklus, einen ein- bis dreieinhalbjährigen Lesezyklus, der festlegte, wann welcher Text gelesen wurde. Nach der Toralesung gab es auch die Lesung eines Abschnitts aus den Propheten.
Dabei musste derjenige, der aus dem Propheten vorlas, mindestens drei Verse lesen. Er durfte auch mal etwas überspringen, aber nur so viel, dass der Übersetzer keine Pause machen musste. Die Rolle durfte also nicht zu weit auseinander sein.
Jesus hat ja auch in Nazareth aus den Propheten gelesen und dabei durchaus zwei Stellen verknüpft. Bei dem Abschnitt aus den Propheten war man also etwas freier.
Dann kam die Predigt und zum Abschluss das Gebet.
Was auffällt: Thema Musik – Fehlanzeige. Es gab keine Musik, obwohl wir im Tempel seit David Musik haben.
Ja, das stimmt. Aber eine Synagoge war damals keine Bühne für Musik, heute ja durchaus. Es gibt ja auch, dass die Schrift teilweise rezitiert wird – ich würde das als Musikfass bezeichnen. Der Kantor singt dann, ja, das ist eigentlich ein Singen.
Der hebräische Text hat auch Kantorzeichen, die anzeigen, wie der Text entsprechend vorgetragen wird.
Das ist der grobe Ablauf, und wir sehen, dass er unserem Ablauf doch schon relativ stark ähnelt.
Du hast gesagt, es gibt eine Predigt. Das finde ich auch spannend. Ich war jetzt doch schon öfter in Israel in Synagogen, aber eine Predigt habe ich dort noch nie gehört. Wahrscheinlich war ich einfach nie zur richtigen Zeit da. Dort gab es viel Gebet und viel Liturgie, das habe ich mitbekommen.
Wie waren die Predigten damals? Hast du da etwas herausgefunden? Ja, es gab eine große Sache, und das lesen wir auch im Evangelium: Die Leute waren verwundert, wie Jesus gepredigt hat. Er predigte nämlich mit Vollmacht.
Damals war es oft so, dass es sogenannte Perlenpredigten gab. Dabei wurden verschiedene Schriftworte aneinandergereiht, das kennen wir ja auch heute noch. Man nennt das auch Sprungbrettpredigten. Wir nennen sie nicht Perlenpredigten, aber das klingt doch viel schöner, oder? Für jeden Bruder, der gerne Sprungbrettpredigten benutzt: In Zukunft predigt er Perlenpredigten – es ist dasselbe.
Ein Stichwort aus einem Text leitet dann zum nächsten über, also mehr thematisch. In den Diskussionen wurde meistens gesagt: „Rabbi Soundso hat gesagt“ oder eine andere Autorität wurde zitiert. Jesus hat das nicht gemacht. Er sagte: „Ich erfülle das.“ Das war ungewöhnlich, denn normalerweise mussten andere zitiert werden.
Die Vorväter und berühmten Rabbis wurden zitiert, aber Jesus sprach mit eigener Autorität. Das hat die Leute sehr verwundert. Ansonsten waren die Predigten von der Art her ähnlich wie bei uns. Allerdings waren sie manchmal etwas „gesprungen“. Man mischte auch gerne mal Texte und setzte voraus, dass die Zuhörer wissen, dass gerade zwei Texte vermischt werden, weil man eine bestimmte Aussage machen will.
Das sehen wir auch bei manchen neutestamentlichen Zitaten. Dort ist der Anfang eines Textes etwas verändert, und dann ist plötzlich eine andere Stelle mittendrin. Das war durchaus üblich. Die Leute konnten sich die Rollen natürlich nicht leisten, denn die waren unglaublich teuer. Deshalb lernten sie die Schriften auswendig. Normalerweise konnte das ziemlich jeder, das Alte Testament auswendig.
Heute kann man sich die richtigen Rollen kaum noch leisten. Aber ich finde es wichtig, weil du ja gesagt hast, dass diese Praxis im Neuen Testament immer wieder auftaucht. Jesus wurde die Rolle gereicht, und das ist auch wichtig für das Verständnis der Predigt. Man weiß so, in welchem Kontext das lief.
Dann macht es auch Sinn, dass Jesus Schriftstellen zitiert, die gar nicht beieinander stehen. Er hätte ja theoretisch die Rolle immer wieder drehen müssen, bis er die richtige Stelle gefunden hat. So habe ich das verstanden: Die Rolle lag auf dem Tisch, und Jesus konnte vom einen Ende bis zum anderen gehen.
Es durfte aber nicht so weit auseinanderliegen, dass der Übersetzer nicht nachkam oder eine Pause machen musste. Jesus hat sich wohl vorher angeschaut, wo die Stellen lagen. Wenn sie zu weit auseinander waren, war es nicht erlaubt. Die Stellen in Jesaja sind zum Beispiel nur zehn, höchstens zwanzig Kapitel auseinander.
Ich glaube, eine Jesajarolle ist etwa 13 oder 17 Meter lang. Das müsste man genau ausrechnen, wie weit die Stellen auseinanderliegen. Das ist dann aber anders als heute. Oder war die Rolle neun Meter lang und aus 17 Tierhäuten gemacht? Ich weiß es nicht mehr genau. Also nehme ich alles zurück.
Heute liegt die Rolle einfach menschenbreit vor einem, und man rollt entsprechend weiter.
Ja, am Anfang wurden Christen noch als Teil des Judentums gesehen. Deshalb wurden sie auch nicht verfolgt, denn man betrachtete sie als eine Gruppe innerhalb des Judentums. Mit der Zeit entwickelten sie sich jedoch auseinander.
Anfangs waren es Juden, die zum Glauben kamen. Auch an Pfingsten waren es Juden aus der ganzen Welt, die zusammenkamen. Es handelte sich um Juden oder Proselyten, wie im Text eindeutig steht. Proselyten waren Heiden, die zum Judentum übergetreten waren.
Spannend ist, dass die Bezeichnung „Christen“ in der Apostelgeschichte kaum vorkommt. Einmal finden wir sie in Apostelgeschichte 11 in Antiochia, wo die erste große heidenchristliche Gemeinde war. Dort heißt es, in Antiochia wurden die Jünger zuerst Christen genannt. Allerdings war das eher fast ein Schimpfwort als eine positive Bezeichnung – „Sklaven Christi“ oder „Nachfolger Christi“, also „Christia“ neu.
Ansonsten ist der Begriff „Christen“ fast nie zu finden. Ein anderer Begriff, der etwas esoterisch klingt, aber in der Bibel vorkommt, ist „der Weg“. Zum Beispiel in Apostelgeschichte 18 lesen wir, dass Apollos unterwiesen war im Weg des Herrn. Er redete und lehrte genau über den Herrn, kannte aber nur die Taufe des Johannes. Er war also unterwiesen im Weg des Herrn.
Man könnte meinen, das sei kein fester Begriff, aber in Apostelgeschichte 19, Vers 9 heißt es: „Dabei etliche sich verstockten und sich weigerten zu glauben, sondern den Weg vor der Menge verleugneten.“ Der Weg war also das Evangelium, so wurde es damals genannt.
Paulus verteidigte sich vor Felix und Festus, wie in Apostelgeschichte 22 und 24 berichtet wird: „Ich verfolgte diesen Weg bis auf den Tod.“ Später sagte er: „Das bekenne ich dir, dass ich nach dem Weg, den sie eine Sekte nennen, dem Gott der Väter auf diese Weise diene.“ Als Felix das hörte, verwies er sie auf eine spätere Zeit, da er über den Weg recht genau Bescheid wusste. Es war einfach eine Sekte des Judentums.
Am Anfang wurde also der Begriff „der Weg“ benutzt, und mit der Zeit kam der Begriff „Christen“ auf.
Eine weitere spannende Stelle ist Jakobus 2, Vers 2. Dort steht: Wenn ihr in eine Synagoge kommt – ursprünglich steht dort tatsächlich „Synagoge“ und nicht „Versammlung“, wie es oft übersetzt wird. Die Christen versammelten sich am Anfang noch in der Synagoge, wo es möglich war, so wie an vielen Orten. Soweit die Menschen freundlich gesinnt waren, nutzten sie diese Struktur.
Man muss aber ehrlich sagen, dass sie von Anfang an nie Juden im eigentlichen Sinne waren. Paulus nennt sie im Galaterbrief auch Judentum. Das heißt, es war eine Lehre mit zusätzlichen Regeln, bei der sie versuchten, Gott irgendwie zu gefallen. Sie waren zwar Christusgläubige, aber am Anfang waren die hauptsächlich jüdischen Christen noch sehr verbunden mit dem Judentum.
Das änderte sich natürlich mit der Zeit, als immer mehr Heiden dazukamen. Das Apostelkonzil in Apostelgeschichte 15 war notwendig, um das Verhältnis zwischen Juden- und Heidenchristen zu klären und zu regeln, wie man das alles gestalten kann.
Im Laufe der Apostelgeschichte wird deutlich, dass die Missionsstrategie meist so war: Man ging an einen Ort, schaute, ob es dort eine Synagoge gab, und verkündete dort. Wenn die Menschen reagierten, war das gut, wenn nicht, ging man weiter.
Ein Beispiel finden wir in Antiochia, Apostelgeschichte 13, Vers 42. Dort muss man drei Gruppen unterscheiden: Juden, Proselyten – das sind Heiden, die zum Judentum übergetreten waren, also Männer mit Beschneidung – und Gottesfürchtige. Gottesfürchtige waren gläubig, aber hatten den letzten Schritt der Beschneidung nicht gemacht. Diese Gruppen werden in der Bibel unterschieden, wenn auch nicht in jeder Übersetzung klar.
In Apostelgeschichte 13 spricht Paulus in der Synagoge beide Gruppen an: „Ihr Männer und Brüder, Söhne des Geschlechts Abrahams“ – das sind die Juden – „und die unter euch, die Gott fürchten“ – das sind die Heiden, die noch nicht beschnitten waren. Unter diesen war die Mission oft sehr fruchtbar.
Lesen wir weiter: Die erste Verkündigung in Antiochia, Vers 42, Kapitel 13: „Als aber die Juden aus der Synagoge gegangen waren, baten die Heiden darum, dass ihnen diese Worte auch am nächsten Sabbat verkündet würden.“ Die Evangelisation war besonders erfolgreich unter den Heiden, denn die Juden waren schon gegangen.
Nachdem sich die Synagogenversammlung aufgelöst hatte, folgten viele Juden und gottesfürchtige Proselyten Paulus und Barnabas nach. Hier wird also immer unterschieden zwischen Juden und Gottesfürchtigen beziehungsweise Proselyten.
Besonders fruchtbar war die Mission unter den Gottesfürchtigen. Lydia war nur Gottesfürchtige, wie es im Text steht. Sie kam aus Thyatira, das heißt aus Asien, dem heutigen Gebiet der Türkei, und lebte in Europa. Sie nahm das Wort Gottes ernst. Genau das war die Basis in Philippi – nicht eine Jüdin, sondern eine Ausländerin als Heidin, die aber gottesfürchtig war.
Weiter in Antiochia: Als die Juden die Volksmenge sahen, die ganze Stadt war versammelt, wurden sie voll Eifersucht. Natürlich wollten sie nicht, dass Fremde und Heiden angezogen wurden. Paulus sagte ihnen: „Euch musste das Wort Gottes zuerst verkündigt werden. Da ihr es aber von euch stoßt und euch selbst des ewigen Lebens nicht würdig achtet, siehe, so wenden wir uns zu den Heiden.“ Als die Heiden das hörten, wurden sie froh und priesen das Wort des Herrn. Alle, die zum ewigen Leben bestimmt waren, wurden gläubig.
Die Juden reagierten nun, und interessant ist, wie sie es machten: Sie reizten die gottesfürchtigen Frauen und die angesehenen und vornehmsten der Stadt gegen Paulus auf. Dann kam es zu Verfolgung. Die Juden hetzten also die gottesfürchtigen Griechen oder in Pisidien auch andere Völker auf, nicht die jüdischen Frauen, die besser in der Stadt verankert waren.
So war es am Anfang: Die Synagoge war der Ort der Verkündigung. Wurde man abgelehnt, bildete sich immer mehr eine eigene Gemeinde. Im Laufe der Zeit trennte sich das Christentum immer mehr von den Wurzeln der Synagoge, auch wegen Verfolgung und Streitigkeiten.
Das Christentum entwickelte sich heraus. Anfangs gab es viel Verfolgung, weshalb man sich in Häusern traf. Nicht, weil man Hauskreise so toll fand, sondern weil man sich nicht in größeren Gruppen versammeln durfte – Punkt.
Mit der Zeit wuchs das alles mehr und mehr. Der Gottesdienstablauf und andere Dinge im Christentum stammen aus der Synagoge. Das wäre das Fazit zum Umfeld.
Das ist sehr hilfreich, um zu verstehen, dass bei einer Gemeindeneugründung nicht nur Leute von außen dazukommen, sondern auch Christen, die vielleicht keine eigene Gemeinde haben. Solche Leute sollte man im Blick haben, denn sie bilden oft einen Grundstock einer neuen Gemeinde.
Ein sehr spannender Text, den du gelesen hast. Ich dachte, da müsste man nochmal extra einen Podcast darüber machen. Du hast gelesen, dass sie zum ewigen Leben bestimmt sind und es trotzdem ablehnen können.
Rate mal, was ich auf der Hinfahrt zum Podcast gehört habe – genau über dieses Thema. Ein super Podcast, den ich dir unbedingt erzählen muss, weil er wirklich hervorragend ist.
An dieser Stelle machen wir jetzt einen Cut. Das war der Podcast der evangelischen Freikirche Evangelum für alle in Stuttgart. Wir hoffen, er hat euch geholfen, auch wenn es ein Randthema war, wie Jörg gesagt hat.
Es hilft zu verstehen, dass im Neuen Testament diese Dinge vorkommen und es ein Stück weit jüdische Kultur ist, die aber durch den Glauben an Jesus anders gefüllt wird. Man darf Juden und Christen hier nicht vermischen.
Wenn Fragen oder Anmerkungen zum Podcast bestehen, schreibt gerne an podcast@efa-stuttgart.de.
Wir wünschen euch offene Augen beim Lesen des Neuen Testaments, damit ihr an der einen oder anderen Stelle etwas mitnehmen könnt und euch an manches erinnert, was ihr in diesem Podcast gehört habt.
Bis zum nächsten Mittwoch! Wenn ihr mögt, seid ihr gerne wieder dabei. Und wenn ihr sagt, der Podcast hat euch wirklich geholfen, dann dürft ihr ihn gerne liken, damit auch andere ihn angeboten bekommen.