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Freiheit

Frei, Freiheit. Von der äußeren Freiheit = Unabhängigkeit des einzelnen wie der Völker (jenes zum Beispiel 1 Kor. 7,21, dieses zum Beispiel Joh. 8,33) ist nicht weiter zu reden. Sie gilt überall in der Schrift als ein hohes Gut; aber überall ist auch darauf hingewiesen, daß nicht nur ihre Erhaltung von der rechten Stellung zu Gott abhängt (s. bes. Jeremia und Mt. 22,21). sondern daß überhaupt ein noch höheres Gut gerade die innere Frei, Freiheit ist, die auf jener rechten Stellung zu Gott ruht. Ebenso bedarf die Freiheit im Reden = Offenheit (zum Beispiel Mk. 8,32), oder = Freimütigkeit, Freudigkeit (zum Beispiel Apg. 14,3) keiner weiteren Erklärung. Wichtig ist aber eben die innere geistige Freiheit, wie man zunächst im allgemeinen sagen mag. I. Die Bibel braucht das Wort „Freiheit“ nicht in dem Sinne, wie wir oft von dem freien Willen des Menschen reden, das heißt von seiner Wahlfreiheit, von der Fähigkeit, sich entweder für das Böse oder für das Gute zu entscheiden.

1) Sofern diese Frage mit der ersten Entstehung der Sünde zusammenhängt, s. d. Art. Sündenfall. Hier ist nur die Rede von der Wahlfreiheit in der sündigen Menschheit.

2) Versteht man dieselbe als eine in jedem einzelnen Fall unbeschränkte, so weiß die heilige Schrift überhaupt nichts von ihr, so wenig als die Erfahrung. Beide stimmen darin überein, daß die einzelnen Handlungen der Grundrichtung des Willens, dem Charakter eines Menschen entsprechen, daß dieser Charakter nicht gut, sondern böse ist, ein fauler Baum, der nicht gute Früchte bringen kann, Mt. 7,17-19, oder, wie Paulus mit einem andern Vergleiche sagt: Der Mensch ist tot in Sünden, Eph. 2,5 f.

3) Trotzdem ist eine gewisse Wahlfreiheit damit nicht ausgeschlossen, vielmehr in der heiligen Schrift vorausgesetzt. Nicht nur ist, obwohl kein Mensch wahrhaft Gutes tun oder sich selbst gut machen kann, doch ein Unterschied zwischen den einzelnen Sündern in der sündigen Menschheit — man lese aufmerksam Röm. 2,6-16 — sondern, und das ist die Hauptsache, das Evangelium von der Gnade Gottes in Christus wendet sich an den Willen des Menschen. Gottes Gnade ergreift den Willen, aber der menschliche Wille soll sich ergreifen lassen. Oder, um bei jenen tiefsinnigen Gleichnissen der Schrift selbst zu bleiben, der Baum kann nicht von sich aus ein guter Baum werden, der Tote nicht aus sich lebendig; aber weil beides Menschen, Personen bezeichnet, so ist es notwendig, daß das Einpfropfen des edlen Reises und die Erweckung in dem Willen des Menschen vor sich gehen muß. Sonst wären Worte, wie das des Herrn an Jerusalem, „ihr habt nicht gewollt“, Mt. 23,37, ein bloßer Schein. Das hindert den Gläubigen nicht, die mit ihm vorgegangene Veränderung ganz als Gottes Werk, Eph. 2,8-10, als eine wirkliche Wiedergeburt, Joh. 3,3 f., anzusehen, denn er hätte von sich aus auch nicht einmal eine klare und wahre Erkenntnis dessen, was ihm fehlt, zustande bringen, geschweige dieses Fehlende sich geben können. Die Gewißheit, daß Gott Wollen und Vollbringen wirkt, ist ihm gerade die dringendste Ermunterung, seine Seligkeit mit h. Furcht und Zittern zu schaffen, Phi. 2,12 f. 4) Diese Gedanken sind aber nicht zu einer Lehre darüber ausgeführt, wie sich überhaupt Frei, Freiheit des Menschen mit der Allwirksamkeit Gottes reimen lasse. Diese Frage, im Grunde eins mit der allgemeineren, wie der persönliche Gott habe ihm ebenbildliche, persönliche Wesen schaffen können, ist aber, wie die ganze Geschichte des christlichen Nachdenkens beweist, überhaupt nicht in einer vollbefriedigenden Formel lösbar, sozusagen nicht eine Frage menschlicher, sondern göttlicher Erkenntnis. Denn sie betrifft das Geheimnis unseres Daseins, dessen völlige Durchsichtigkeit für unseren Verstand es als ein solches unmöglich machen würde, als welches es der Christ erlebt; wir könnten nicht im christlichen Sinn an Gott „glauben“, wenn sein Verhältnis zu uns wie ein Rechenexempel durchsichtig wäre.

Nun ist aber nochmals zu betonen, dass, was bisher unter dem Titel „Freiheit“ besprochen wurde und werden mußte, weil wir daran zu denken gewohnt sind, wenn wir das Wort Frei, Freiheit hören, in der heiligen Schrift selbst nicht mit diesem Wort bezeichnet wird, obwohl von der Sache, wie wir sahen, die Rede ist. Das Wort aber wird nur in einem erhabeneren, vornehmeren Sinn gebraucht, nämlich nicht von der Möglichkeit, sich für das Gute (oder Böse) zu entscheiden, sondern von der wirklichen tatsächlichen Übereinstimmung des menschlichen Willens mit dem Willen Gottes.

II. 1) Diese übereinstimmung des menschlichen Willens mit dem Willen Gottes wird Frei, Freiheit genannt, weil derselbe nur so seine Bestinmung erreicht, mithin erst so mit dem Gefühl des Lebens, der Seligkeit verbunden ist, Jak. 1,25. Der sündige Mensch, der frei zu sein glaubt, weil er seinen eigenen Gedanken und Gelüsten folgt, ist in Wahrheit der Sünde Knecht, Joh. 8,34; Röm. 6,12. 16, Kap. 7. Umgekehrt ist der Knecht Gottes, 1 Pe. 2,16; Röm. 6,22. oder der Gerechtigkeit, Röm. 6,19, der wahrhaft Freie. Sich selbst befreien kann der Sünder nicht, Röm. 7,24. Das tut der Sohn, Joh. 8,36, oder die Wahrheit, 8,32, oder das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christus Jesus, Röm. 8,2, oder der Geist des Herrn, 2 Kor. 3,17. Immer ist, wie auch der Ausdruck wechsle, von einer gottgewirkten Veränderung der Willensrichtung die Rede. 2) Diese wahre Frei, Freiheit unseres Willens in der Abhängigkeit von Gott wird manchmal eine Freiheit vom Gesetz genannt. Das kann nach allem Bisherigen nicht eine Unabhängigkeit von dem ewigen Willen Gottes bedeuten. Vielmehr ist dabei das Gesetz gemeint als ein äußerlich forderndes, dem Willen fremd gegenüberstehendes, besonders auch in einzelnen Geboten von nur zeitweiliger Bedeutung (Kol. 2,8. 14. 16) gegenüberstehendes, dessen Forderung der Wille selbst bei besserer Erkenntnis, ja einer gewissen Schnsucht, es tun zu können, nicht erfüllen kann, Röm. 7,19 ff. Dagegen wird der Freie (als Kind Gottes) vom Geist getrieben, Röm. 8,14, das Gebot ist ihm nicht schwer, 1 Joh. 5,3, er steht im Gesetz. 1 Kor. 9,21, in innerem Einverständnis mit demselben; und wenn er gleich in den einzelnen Fällen prüfen muß, welches der Wille Gottes ist, ist ihm dieser doch als ein einheitlicher offenbar, nämlich in dem Gebot des Neuen Bundes, das alle zusammenfaßt, Mt. 22,37 ff.; Röm. 13,8 usw.: „Liebe deinen Nächsten als dich selbst“. 3) Alles das, die Frei, Freiheit von den dem Willen fremd gegenüberstehenden, und zwar vielen einzelnen Forderungen des Gesetzes, und die Gebundenheit an den Willen Gottes (s. Ziff. 2), in dem zu leben unser wahres Leben, weil unsere eigentliche Bestimmung ist (s. Ziff. 1), ist zusammengefaßt in dem schönen Wort vom vollkommenen oder königlichen Gesetz der Frei, Freiheit, Jak. 1,25; 2,12. Der Gläubige herrscht wie ein König, gerade indem er ganz in Gottes Willen lebt. Noch tiefer den eigentlichen Grund dieser Frei, Freiheit hervorhebend, sagt Paulus Gal. 4,6. 7, daß der Sohn vom Gesetz befreit ist, und nennt sein Amt, seinen Dienst einen Dienst des Geistes gegenüber dem des Buchstabens, 2 Kor. 3,16 f. Dabei erinnern uns andere Schriftworte, daß diese Frei, Freiheit vom Gesetz, obwohl für die, welche in Christus sind, wirklich vorhanden, während dieses Lebens im Kampfe zwischen Geist und Fleisch sich entwickelt, Gal. 5,16. 17. Da diese Stelle jedenfalls von dem Wiedergeborenen redet, fällt jeder Grund weg, Röm. 7 anders als wie dort Zusammenhang und einzelne Ausdrücke verlangen, zunächst nicht auf diesen zu beziehen; in seiner Anwendung auf den Wiedergebornen ist es eben durch Gal. 5,16 f. gerechtfertigt.

4) Mit der eben besprochenen Freiheit vom Gesetz hängt eine Frage zusammen, die christliche Gemüter schon viel beschäftigt hat, nämlich die nach dem Erlaubten. Das Gebiet, auf welchem, und die Art, in welcher der einzelne Christ die gemeinsame Aufgabe, den in Christus offenbaren Willen Gottes zu tun, mitzuarbeiten in dem Reiche Gottes, löst, ist gerade so verschieden als der einzelne von allen andern nach Ausrüstung und Verhältnissen verschieden ist. Darüber kann also unmöglich einer dem andern eine bindende Vorschrist geben, sondern jeder nur sich selbst. Es ist alles erlaubt, 1 Kor. 6,12. Aber jeder soll prüfen, was ihm frommt, 1 Kor. 6,12, in seinem Verhältnis zu Gott, dem Nächsten, zu seiner eigenen Nation und zur Welt außer ihm; insbesondere was zu dem ihm eigenen Berufe paßt, der seine Stelle im Reich Gottes ausmacht, s. bes. 1 Kor. 9,3 ff., insofern ist für Paulus nicht erlaubt, was für Petrus. Und jeder sei in seiner Meinung gewiss, Röm. 14,5, denn was nicht aus dem Glauben geht, ist Sünde, V. 23, er muß mit voller Klarheit aus dem Willen Gottes ableiten, was jetzt für ihn dieser Wille ist. Jeder soll namentlich nicht an sich allein denken; gerade der Freie setzt sich in freier Liebe die Schranke der Rücksicht, zwar nicht auf die unverständigen begehrlichen Ansprüche anderer, wohl aber auf das wirkliche Heil der andern, Röm. 14; 1 Kor. 10. Nach allen diesen Stellen ist Eines ganz klar: ein Christ, der immer begierig fragen wollte, ob dies und das ihm „noch“ erlaubt sei, das heißt ob er mit einer Handlung die Schranke des göttlichen Willens offenkundig überschreite, oder sich gerade noch innerhalb derselben halte, läuft Gefahr, auf den Boden des Gesetzes und damit der Knechtschaft zurückzusinken, hat also von der wahren christlichen Freiheit noch wenig Verständnis. Umgekehrt, wer auf seine Freiheit pocht, steht in Gefahr, sie zum Deckel der Bosheit zu machen, 1 Pe. 2,16.

5) Im Bisherigen ist von der Freiheit des Willens und Handelns die Rede gewesen. Denkt man diesem bibl. Begriff nach, so wird man von selbst auf seinen tiefsten Grund geführt, nämlich auf die Freiheit von der Sündenschuld, nicht nur von der Forderung, sondern auch vom Fluch des Gesetzes. So gewiß aber diese Befreiung der tiefste Grund der (II, 1-4) beschriebenen Frei, Freiheit ist, so wird doch das Wort nicht ausdrücklich darauf angewendet. Vgl. daher die Artt.: Versöhnung, Erlösung, Rechtfertigung, Kindschaft. Dieser Begriff des „Erlaubten“ bezieht sich im letzten Grund immer darauf, daß der Christ durch die Versöhnung mit Gott eine ganz neue Stellung zu aller Welt gewinnt. Weil er durch Christus Gottes ist, ist alles sein, weil alles Gottes ist; er steht über allem, weil Gott über allem ist, 1 Kor. 3,23. Über dem Unterschied der Speisen, der Feiertage, aller menschlichen Autoritäten, aller äußeren Beschränkung im Lebensgenuß: „Du sollst das nicht berühren“. Aber wie er sich nun im einzelnen Fall wirklich zu verhalten hat, kann nur sein eigenes in Gott gegründetes Urteil (s. o.) feststellen. Diese wunderbare Frei, Freiheit üben Kinder Gottes schon jetzt in allen Fällen aus durch die Gewißheit, daß alles ihnen zum Besten dient, Röm. 8,28. und nichts sie von Gottes Liebe in Christo scheidet, Röm. 8 Schluß; ja gerade im äußern Unterliegen zeigt sich diese innere Erhabenheit am herrlichsten, 2 Kor. 6,4 ff. Aber noch ist sie doch auch verborgen, 1 Joh. 3,2; Kol. 3,4. Erst mit der Erlösung des Leibs vollendet sich diese Frei, Freiheit, Röm. 8,23, und heißt darum eine „Frei, Freiheit der Herrlichkeit“.