Mose. Israels Gewißheit, daß Gott es berufen, ihm seine Erkenntnis gewährt und es zu der ihm geheiligten Gemeinde gemacht habe, hatte ihren stärksten Grund in der Erinnerung an Moses Sendung und Werk. Das erste, wichtige Merkmal seiner Sendung, woran Israel die Offenbarung Gottes wahrgenommen hat, besteht darin, daß er zum Retter Israels aus der ägyptischen Not geworden ist. In den von ihm erzählenden Geschichten wird mit dem größten Nachdruck hervorgehoben, daß er in Gottes Kraft, nicht durch seinen eigenen Willen und nicht durch menschliches Vermögen, seinem Volk die Erlösung verschafft habe. Obwohl er in der Zeit der größten Bedrückung Israels in Ägypten geboren wird, wird er dennoch so am Leben erhalten, daß die ägyptische Königstochter selber seine Retterin wird, und als er, obwohl er am ägyptischen Hofe aufgewachsen war, dennoch die Gemeinschaft mit seinem Volk bewahrt, erfährt er, daß er nicht durch seinen Zorn und seine Stärke die Fesseln Israels zerreißen soll. So wird er aus Ägypten flüchtig und bei den Hirten im Südosten der Sinaihalbinsel von ihrem Priester aufgenommen und nun erst durch eine Begegnung mit Gott am heiligen Berg Horeb zum Retter Israels berufen und gegen seinen eigenen Willen nach Ägypten zurückgeschickt. Den Freiheitskampf in Ägypten führt er nicht mit den Mitteln menschlicher Gewalt, sondern er überwindet als der, durch den Gott seine Gnade und seine Gerichte offenbart, die Zaubermacht der Ägypter und die trotzige Gewalt des Pharao. Darum war die Frucht dieses Kampfes für Israel dies, daß es durch die Passahfeier zum Volk Gottes geheiligt wird. Als darauf der ägyptische König die bereits Befreiten mit Heeresmacht wieder in sein Land zurücktreiben will, gewinnt Mose wieder nicht als Heerführer mit den Waffen, sondern dadurch den Sieg, daß Gott dem Volk die Bahn durch das Rote Meer öffnet und das Heer der Ägypter vernichtet. Deshalb schließt der ganze Bericht 2 Mo. 15 mit dem Psalm, mit dem Israel Gott als seinen Erlöser u. König verherrlicht. Darum ist durch die Erinnerungen an Moses Werk diejenige Religion entstanden, die an die Heilandstat Gottes glaubt, der sich selber durch die wunderbare Allmacht seiner Gnade seine Gemeinde schafft.
Das zweite Merkmal, das Moses Werk zur Offenbarung Gottes machte und auf dem das ganze spätere Leben des Volkes beruht, besteht darin, daß die Erlösung aus Ägypten ihr Ziel in der Erteilung des Gesetzes hat. Deshalb führt Mose das Volk zuerst zum heiligen Berg Sinai, wird dort des Verkehrs mit Gott gewürdigt, der seine Gegenwart in einer machtvollen Erscheinung dem ganzen Volk kundtut, und erhält von ihm das von nun an für die Gemeinde gültige Gesetz. Die Hauptpunkte dieses Rechts sind durch die zehn Gebote festgesetzt. Israel darf sich nur dem Gott, der sich ihm geoffenbart hat und den es mit dem Namen Jahveh anruft, in Gehorsam und Dienst unterwerfen. Die Vielgötterei ist dadurch beseitigt und im Zusammenhang damit verschwindet auch das Götterbild. Der Gottesdienst der Gemeinde bekommt sein wesentliches Merkmal dadurch, daß alle ihre Glieder je den siebenten Tag als heiligen Tag durch die Befreiung desselben von menschlicher Arbeit begehen. Sodann werden für jedes Glied der Gemeinde Leben, Ehe, Eigentum und Ehre unverletzlich gemacht und unter Gottes Schutz gestellt. Da sich die Gemeinde zum Gehorsam gegen das ihr verliehene Gesetz verpflichtet, kommt es zum Abschluß eines Bundes, bei dem Mose als Vertreter Gottes seine Verheißung und sein Recht verkündet und Israel die gehorsame Bewahrung seiner Gebote gelobt. Das hat zur Folge, daß für die wandernde Gemeinde ein Zelt als Heiligtum errichtet wird, das kein Gottesbild, sondern nur die Lade beherbergt, in der das göttliche Gesetz lag. Für dieses wird der Stamm der Leviten als priesterliches Geschlecht geweiht und ihnen eine Opfer- und Festordnung vorgeschrieben. Diese Gesetzgebung wird sodann je nach dem Bedürfnis der Gemeinde während ihres Aufenthalts in der Halbinsel des Sinai ausgebaut, teils durch kultische Ordnungen, teils durch Satzungen, die die rechtlichen Verhältnisse der Volksgenossen regeln, und die Arbeit Moses findet deshalb darin ihren Abschluß, daß er dem Volk vor seinem Tod in eindringender Mahnung nochmals die Rechte seines Gottes bezeugt und sie ihm als den Weg ins Leben beschreibt. Darum hat die Religion, die aus der Erinnerung an Moses Werk entstand, ihr Merkmal darin, daß sie mit der Zuversicht zur erlösenden Hilfe Gottes die Verpflichtung verbindet, daß das Volk sein Leben in allen seinen Verhältnissen nach Gottes Willen ordne und das von ihm festgesetzte Recht bewahre. Zur Bezeugung der göttlichen Gnade in ihrer wunderbaren Herrlichkeit und zur Einführung des Menschen in den Gehorsam Gottes in allen Verhältnissen seines Lebens fügen aber die Erzählungen über Moses Werk noch eine dritte Erkenntnis hinzu, die für den Fortgang der Geschichte ebenfalls die größte Wichtigkeit besaß. Nach der Erteilung des Gesetzes wird die Arbeit Moses zu einem beständigen Ringen mit der Sünde u. Unfolgsamkeit des Volks. Schon am Sinai folgt sofort die Aufrichtung eines Gottesbilds und die Schwierigkeiten, die die Wanderung durch die Wüste und die Eroberung Kanaans begleiten, bewegen das Volk immer wieder zum Aufruhr, weshalb sich die göttlichen Strafen mit schwerem Ernst an ihm vollstrecken. Ebenso regt sich die Eifersueht gegen Moses regierendes Amt und gegen das von ihm angeordnete Priestertum. Auch an der Geschichte Bileams wird nicht nur gezeigt, daß der Zauberspruch des heidnischen Propheten Israel nicht schaden kann, sondern auch wie er es durch die Erweckung der wilden Leidenschaften straucheln macht. Daher wird nicht schon dem Geschlecht, dem die Befreiung gewährt worden war, auch der Einzug in das verheißene Land verliehen und unter Moses Führung werden erst die östlich vom Jordan liegenden Gegenden vom Arnon bis nach Basan hinauf gewonnen, und da auch Mose von diesem Kampf erschüttert wird und es selbst erlebt, wie schwer der Mensch die Zuversicht zu Gottes Regierung und Hilfe festhält, darf auch er den Jordan nicht überschreiten, sondern stirbt auf dem Nebo, jedoch der Vollendung seines Werks gewiß. Daher haben die Erinnerungen an Moses Werk den Blick Israels nicht nur rückwärts auf die Vergangenheit gerichtet, sondern sie zeigten ihm auch für die Gegenwart im Fortgang seiner Geschichte immer neu seinen Beruf, sich mit unermüdlicher Wachsamkeit vor dem Fall zu hüten und in beständigem Kampf dem Bösen zu widerstehen. So ist in den Erzählungen über Mose mit unvergleichlicher Kraft alles gesammelt, was das heilige Erbe Israels bildet: die Bezeugung der göttlichen Gnade in ihrer wunderbaren Herrlichkeit, die Unterordnung des menschlichen Lebens in allen Verhältnissen unter den göttlichen Willen, und die Berufung des Volks zur beharrlichen Buße u. Zucht und zur immer neuen Aneignung der Versöhnung mit Gott, wozu ihm auch die göttlichen Strafen behilflich sind. Darum ist der Versuch, die Existenz Moses aus der Geschichte zu streichen, als rationalistische Willkür zu unterlassen. Sein Werk ist so gewiß ein Teil der menschlichen Geschichte, als ihr die Religion Israels mit ihrer einzigartigen Gewißheit Gottes angehört. Richtig ist dagegen, daß die Erinnerungen an Mose nicht gleichzeitig mit seinem Werk aufgezeichnet und fixiert worden sind, sondern Israel zunächst als mündliche Überlieferung in seine spätere Zeit begleiteten. Das hat den Bericht über die mosaische Zeit sowohl verkürzt als erweitert; er wird auf das beschränkt, was den Späteren an Moses Werk als fruchtbar und lehrreich erschien, und er wird zugleich mit dem verschmolzen, was im Gesetz u. Gottesdienst Israels aus Moses Ordnungen allmählich entstanden war. Der Pharao der Bedrückung und der des Auszugs läßt sich noch nicht sicher nennen, weshalb auch über die Zeit Moses noch keine sichere Angabe möglich ist. Vielleicht fällt der Auszug aus Ägypten in den Anfang des 14. Jahrhunderts v. Chr. (vgl. Art. Auszug). Die zunehmende Erkenntnis der religiösen und politischen Zustände und Bewegungen in Ägypten und Vorderasien wird vielleicht noch manchen Zug in den bibl. Bericht einfügen und uns die Verpflanzung Israels aus Ägypten nach Kanaan, manche Einzelheiten seiner rechtlichen u. kultischen Ordnungen, vielleicht sogar die Kraft, mit der die monotheistische Überzeugung Mose und das Volk ergriff, verständlicher machen. Bis jetzt sind aber die Beiträge, die uns die ägyptische und babylonische Geschichte zum Verständnis Moses und seines Werks verschafften, gering und mehrdeutig. Wie die erzählenden Stücke uns nicht überall und exakt den Einblick in den Gang der Ereignisse verschaffen, so läßt sich auch in den Sammlungen der Gesetze, namentlich in den Regeln für den Fest- u. Opferbrauch, das Ursprüngliche vom Späteren nicht mehr trennen. Dennoch ist der Zusammenhang dieser Satzungen mit dem Werk Moses deutlich, da sie mit tiefem Ernst den Satz durchführen: es gebe keinen eigenmächtigen Gottesdienst, kein willkürliches Priestertum, kein Opfer, durch das der Mensch nach seinem eigenen Gutdünken Gott mit sich versöhnen könnte; nur innerhalb des Gesetzes gibt es Gottesdienst und nur diejenige Gabe, die nach Gottes Gebot ihm dargebracht wird, bewirkt die Versöhnung. Diese Erkenntnis entstand aber in Israel durch Moses Werk; sie ist eins mit dem Grundgedanken, der alle Erinnerungen an Mose durchdringt, sowohl den Bericht über den Auszug aus Ägypten, als die Erzählungen über die Wanderung durch die Wüste.