Nehmen wir an, Sie hätten einen Freund, mit dem Sie seit Jahren verbunden sind. Jeden Tag wird telefoniert und jedes Jahr miteinander Urlaub gemacht. "Ein treuer Freund ist mit keinem Geld noch Gut zu bezahlen", sagt Jesus Sirach. Und dann hören Sie, dass er hintenherum über Sie lacht, Lügen in die Welt setzt und keinen guten Faden an Ihnen lässt. Was werden Sie tun? Natürlich den Freund fallen lassen. Unter diesen Umständen hat der Freundschaftsbund keinen Bestand.
Oder nehmen wir an, Sie hätten einen Kompagnon, mit dem Sie seit Jahren wirtschaften. Jedes Problem wird besprochen und jeder Gewinn miteinander geteilt. "Ich hatt' einen Kameraden, einen besseren find'st du nicht", singt Ludwig Uhland. Und dann hören Sie, dass er dunkle Geschäfte betreibt, fingierte Rechnungen ausstellt und nur in die eigene Tasche wirtschaftet. Was werden Sie tun? Natürlich den Kompagnon laufen lassen. Unter diesen Umständen hat der Geschäftsbund keinen Bestand.
Oder nehmen wir an, Sie hätten einen Ehepartner, mit dem Sie seit Jahren verheiratet sind. Jede Sorge wird ausgesprochen und jede Last miteinander getragen. "Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein, wer ein holdes Weib errungen, mische seinen Jubel ein", dichtet Friedrich Schiller. Und dann hören Sie, dass der andere fremd geht, sich mit andern vergnügt und die Treue in den Dreck zieht. Was werden Sie tun? Natürlich den Ehepartner sitzen lassen. Unter diesen Umständen hat der Ehebund keinen Bestand.
Wer Bünde mit Lügen beschwert, mit Schmutz belastet, mit Dreck bewirft, der macht sie kaputt.
Das aber gilt nicht nur für Freundschafts-, Geschäfts- und Ehebünde, sondern auch für den Gottesbund. Der Bundesgott hat einen Bundesgenossen, mit dem er seit Jahren verbündet ist. Jeder Atemzug erinnert an den Auszug aus der ägyptischen Sklaverei und jeder Herzschlag an die Fürsorge auf dem strapaziösen Wüstenweg. "Ihr sollt mein Volk sein und ich will euer Gott sein", lautet die Magna Charta des Bundes zwischen Gott und Israel. Und dann hört er, dass vor einem goldenen Kalb, das im do-it-yourself-Verfahren auf die Beine gestellt wurde, gesungen wird. Und dann sieht er, dass vor einem goldigen Vierbeiner, der in Ermanglung von Edelmetallen wahrlich mickrig ausgefallen ist, getanzt wird. Und dann merkt er, dass der Götze mehr gilt als Gott. Was wird er tun? Natürlich den Bundesgenossen in die Wüste schicken. Unter diesen Umständen hat der Gottesbund keinen Bestand. Der Fall ist klar. Die Liebe ist aus. Das Glück ist verspielt.
In diese trostlose Lage hinein kommt Gottes Befehl an Mose: "Haue dir zwei steinerne Tafeln und steig auf den Gipfel." Nun also wird er zitiert. Gott ist kein Hanswurst, den man an der Nase herumführen kann. Nun also wird er vorgeladen. Gott ist kein Hampelmann, den man in die Ecke stellen kann. Nun also werden ihm die Tafeln um die Ohren geschlagen. Bei diesem Gipfeltreffen fliegen die Fetzen, ganz bestimmt. Aber, und darin steckt die unglaubliche Frohbotschaft dieses Sonntags, der Bundesgott bindet nicht endgültig los, sondern bindet wieder an.
1. Der Bundesgott bindet an
Mose steigt also hinauf. Wer noch nicht selber den Berg Horeb bestiegen hat, weil er seine Israelreise wie ich auf den Ruhestand verschoben hat, der lese folgende Sätze aus Peter Bamms Buch "Frühe Stätten der Christenheit". "Es geht zunächst etwa zwei Stunden einen gewundenen, nicht allzu steilen Pfad hinauf. Der Berg ist 2 500 Meter hoch. Der Blick weitet sich. Der Pfad läuft eine Meile entlang einer achtzig Meter hohen senkrechten Wand und verschwindet dann zwischen den Felsen. Von dieser Stelle aus geht ein Pfad, aus mächtigen, steinernen Stufen bestehend, noch etwa 500 Meter zur Spitze des Berges hinauf. Es ist eine mühsame Kletterei. Steil stürzen die Hänge nach beiden Seiten in die Tiefe. Endlich ist die Kuppe des Berges erreicht, eine flache Felsplatte von 20 mal 30 Metern Fläche. Da die Steilhänge nicht zu sehen sind, kommt das Gefühl auf, zwischen Himmel und Erde zu schweben."
Auf dieser von Bamm beschriebenen Felsplatte steht jetzt Mose. Eine Wolke hüllt alles ein. Gleich wird das Donnerwetter losgehen. Wer nicht hören will, muss fühlen. Wer nicht lieben will, muss mit dem Hass leben. Jeder löffelt die Suppe aus, die er sich einbrockt. Aber Gott macht gut Wetter. Aus der Wolke ruft er: "Barmherzig und gnädig und geduldig ist der Herr." Der Himmel reißt auf.
Wer nicht hören will, zu dem wird noch einmal geredet. Wer nicht lieben will, zu dem kommt noch einmal ein Antrag. Jeder schmecke und sehe, wie freundlich der Herr ist. Unbegreiflich, unerklärlich, unergründlich, aber wahr. Gott beugt sich ganz tief, hebt das zerrissene Band aus dem Dreck auf und bindet es wieder an.
Und seit diese Barmherzigkeit, Gnade und Geduld Gottes in Jesus Christus leibhaftig geworden ist, wissen wir, dass kein Bund mehr irreparabel ist.
Damals bei der Konfirmation haben wir es doch gelobt: "Herr Jesus, dir leb ich, dir leid, dir sterb ich, dein bin ich tot und lebendig." Dann sind wir niedergekniet und haben den Segensspruch empfangen. Aber nach vier Wochen wussten wir nur noch von den Geschenken. Die Bibel ist im Bücherregal verschwunden. Der Sonntagmorgen gehörte dem Fußballverein. Jeder Kontakt ist abgerissen, aber Gott will wieder anknüpfen. "Eher sollen Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens nicht hinfallen."
Oder damals auf der Freizeit haben wir es doch versprochen: "Herr Jesus, mein Leben soll nur noch dir gehören." Dann sind wir zum Abendmahl gegangen und haben ganze Sache gemacht. Aber nach vier Monaten hatte uns die Arbeit. Zur Stillen Zeit blieb keine Zeit. Das Geschäft besetzte alle Gedanken. Jede Verbindung hat aufgehört. Aber Gott will wieder anfangen. Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen. Der Treuebund kann neu werden.
Oder damals bei der Hochzeit haben wir es doch gesagt: "Ich will mit meinen Ehegefährten nach Gottes Gebot leben, ihn als Gottes Gabe ehren und lieben und in Freude und Leid ihm treu bleiben bis der Tod uns scheidet." Dann sind wir aus der Kirche gegangen und haben gemeinsam angefangen. Aber nach vier Jahren verstanden wir uns nicht mehr. Das Gespräch erstarb wie eine Pflanze im Herbst. Einer ging dem andern auf die Nerven. Jede Brücke ist abgebrochen. Aber Gott will wieder aufbauen. "Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen! Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen." Der Ehebund kann neu werden. Er schickt nicht weg. Er lässt nicht los. Er erlaubt einen neuen An fang.
Alle, die mit zerrissenen Bünden und deshalb mit zerrissenen Herzen leben, sollen dies Erste hören: Der Bundesgott bindet an.
2. Der Bundesgott bindet ab
Mose sieht von seiner Felsenplatte aus zurück. Peter Bamm bekennt in seiner Reisebeschreibung: "Ich habe viel auf Erden gesehen. Ich kenne nichts, was so einsam, so erhaben, so großartig ist wie der Blick vom Gipfel des Berges Horeb auf die Welt hinab. Weiße Wolkenschiffe ziehen langsam über den Himmel dahin. Das Meer glänzt in der Sonne. So hat die Erde am fünften Tag nach der Schöpfung ausgesehen."
Aber Mose sieht weiter, tiefer. Dort unten haben sie die Ringe aus den Ohren gerissen und in einen Kessel geworfen. Dort unten haben sie das Gold geschmolzen und einen Götzen gegossen. Dort unten haben sie lauthals geschrien: "Das ist dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat." So hat die Erde am ersten Tag nach dem Sündenfall ausgesehen! Nein, das war kein Patzer, das war kein Ausrutscher, das war kein Fehltritt. Das war die Schuld, die das Konto Israel belastet und gleichsam als böse Mitgift in den neuen Bund einfließt. Es gehört zum Wesen der Schuld, dass sie nicht verwelkt wie ein Blatt, nicht verwittert wie ein Stein, nicht verwest wie ein Leichnam, sondern bleibt durch Generationen hindurch.
Wir merken's doch selber, wenn wir mit einem Freund neu anfangen wollen. Es geht uns nicht aus dem Kopf, wie er uns mit seinen Gemeinheiten wehgetan hat. Wir spüren's doch selber, wenn wir mit einem Ehegefährten neu anfangen wollen. Es geht uns nicht aus dem Sinn, wie er uns mit seinen Seitensprüngen zertrampelt hat. Wir wissen's doch selber, wenn wir mit Gott neu anfangen wollen. Es geht uns nicht aus dem Herz, wie wir mit unseren Sünden sein Vertrauen zerstört haben. Schuld bleibt Schuld, auch in neuen Bünden.
Weil dem so ist, sagt Gott nicht: Vergiss! Schwamm drüber! Die Dinge nicht so eng sehen! Schuld lässt sich nicht vergessen, nicht wegwaschen, nicht übersehen. Gott spricht deshalb vom Vergeben. Vergeben aber heißt wegräumen. Vergeben heißt aus der Welt schaffen. Vergeben heißt, wie in einem negativen Schöpfungsakt, vernichten.
Auf Golgatha ist es für alle sichtbar geworden. Ein Holz wurde in die Erde getrieben. Der Sohn Gottes wurde hochgezogen. Am Kreuz Jesu ist mein Kreuz der Schuld mitgekreuzigt, weil er Tausenden Gnade gewähren will und ich nicht befürchten muss, mit der Nummer 1001 abgestempelt zu sein.
Mose kann nicht anders, als auf den Fels zu fallen und betend dieses Wort anzunehmen. Können wir anders? Gott will beim Wort genommen sein. Sollen wir anders? Gott will mit jedem neu anfangen. Dürfen wir anders? Er bewältigt die Vergangenheit. Er bezahlt die Schuld. Er bereinigt das Konto.
Alle, die mit schweren Hypotheken belastet sind, sollen dies hören: Der Bundesgott bindet ab.
3. Der Bundesgott bindet fest
Mose steigt wieder hinab. Vor ihm der Golf von Suez, dahinter in dunkelblauem Glanz ein Hochgebirgszug, der bis ins heutige Äthiopien reicht. Geradeaus ein paar Inseln an der Spitze der Halbinsel Sinai im Roten Meer. Durch diese Welt wird der Weg weitergehen. Dass es kein Spazierweg ist, denkt Mose und deshalb fragt er: Was kommt auf uns zu? Dass es kein Panoramaweg ist, ahnt Mose und deshalb bangt er: Welch Banditen lauern uns auf? Dass es kein Höhenweg ist, weiß Mose und deshalb fürchtet er: Wie wird's sein, wenn die Sonne sticht, die Kälte beißt, der Sturm tobt. Herr, wie wird's sein?
Und der antwortet! Wunderbar wird es sein. Gott bleibt auf dem Horeb nicht zurück. Er ist kein Buddha, der stumm lächelnd an einem bestimmten Platz thront. Jahwe ist der mitziehende Gott, der keinen Zentimeter von seinem Volk weicht. Nicht dass er ihm auf den Fersen wäre, nicht dass er ihm meilenweit voraus rennte. Nein, in seiner Mitte bindet er sich fest und macht jene Verheißung schon damals wahr: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage."
Ich kenne keinen Lebensweg, der ein Spazierweg wäre, immer schön geschottert und gut ausgeschildert. Ich kenne keinen Lebensweg, der ein Panoramaweg wäre, immer schöne Aussicht und gute Ruhebänkchen. Ich kenne keinen Lebensweg, der als Höhenweg von Gipfel zu Gipfel stürmt. Talwege sind unser Schicksal, die sich durch viel Dunkel und Leid winden. Deshalb fragen wir auch: Wie wird's, wenn die Hitze des Tages kommt und ich bei all den vielen Aufgaben nicht mehr durchblicke? Und Gott antwortet: Wunderbar wird's sein, weil ich an dir das Wunder der Durchhilfe tun werde: "Lasset euch die Hitze nicht befremden", sagt Petrus. Und wenn wir fragen: Wie wird's, wenn die Kälte der Nacht kommt und ich an der Einsamkeit leide?, antwortet Gott: Wunderbar wird's sein, weil ich an dir das Wunder der Gemeinschaft tun werde: "Mit ihm haben wir Gemeinschaft untereinander", sagt Johannes. Und wenn wir fragen: Wie wird's sein, wenn meine letzte Stunde schlägt und ich davon muss?, antwortet Gott: Wunderbar wird's sein, weil ich an dir das Wunder der Auferstehung tun werde: "Ich lebe und ihr sollt auch leben", sagt Jesus.
Auf dem Weg des Herrn eilt man nicht von Sieg zu Sieg, aber von Wunder zu Wunder. Mag manchen diese Zusage wunderlich erscheinen, mir ist sie nicht verwunderlich, weil Gott Wunder tut, auch heute. Doch, wunderbar wird sein, was ich an dir tun werde. Der Bundesgott bindet an, ab und fest.
Amen
[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]