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23.06.19845. Mose 6,4-9
Moses letzter Wille stellt im Auftrag Gottes klar: Mensch, Du gehörst mir: allein, ganz und immer. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart

Hier wird angeordnet. Hier wird vereinbart. Hier wird festgeschrieben. Mose macht sein Testament, liebe Gemeinde. Es handelt sich um kein sogenanntes Seemannstestament, das in Seenot vor dem Kapitän und drei Zeugen gesprochen werden kann. Es handelt sich auch um kein sogenanntes Dorftestament, das auf die Schnelle vor dem Bürgermeister und zwei Zeugen abgegeben werden kann. Es handelt sich erst recht um kein sogenanntes Militärtestamant, das mitten im Gefecht vor nur einem Zeugen niedergelegt werden kann. Das Mose-Testament ist überhaupt kein Nottestament, sondern eine öffentliche Verfügung, die rechtsgültig vor vielen Zeugen bekanntgegeben wird. Was ist sein Inhalt?

Diejenigen unter uns, die schon ihr Testament gemacht haben, meinen es zu wissen. In kluger Voraussicht haben sie ihre Siebensachen rechtzeitig in Ordnung gebracht. Mancher Familienkrach könnte vermieden werden, wenn auch schwarz auf weiß festgehalten würde: Das Haus mitsamt dem Mobiliar soll dem Buben gehören. Das Grundstück mitsamt den Bäumen soll der Tochter gehören. Das Sparbuch mitsamt den Zinsen soll dem Patensohn gehören.

So hat sicher Mose seinen Nachlass geordnet. Das Zelt mitsamt den Teppichen soll den Aarons gehören. Das Kamel mitsamt dem Sattelzeug soll den Kurs gehören. Der Tonkrug mitsamt den Goldmünzen soll den Levis gehören. Ein Testament klärt die Besitzverhältnisse. Ein Testament regelt die Eigentumsverhältnisse. Ein Testament stellt klar: Das gehört dir!

Aber das Mose-Testament redet nicht von Sachen, sondern von Personen. Das Mose-Vermächtnis handelt nicht von Gütern, sondern von Gott. Die Mose-Verfügung verfügt über das Gottesvolk. Die Besitzverhältnisse der Kinder Israel werden geklärt. Die Eigentumsverhältnisse des Volkes Gottes werden geregelt. Moses letzter Wille stellt im Auftrag Gottes klar: Du gehörst mir! Ich habe dich aus der Sklaverei Ägyptens herausgeführt. Die Ansprüche sind endgültig vom Tisch. Der Pharao hat keine Rechte mehr. Du gehörst mir! Ich führe dich durch die Wüste Zin. Die Feinde haben gar keine Chance. Die Moabiter und Midianiter sind ungefährliche Pappkameraden. Du gehörst mir! Ich werde dich in das gelobte Land führen. Das Jordantal wird kein Hindernis mehr sein. Gutes und Barmherzigkeit werden dir folgen ein Leben lang. Du gehörst mir! Du kannst gar niemand anders gehören. Du darfst auch niemand anders hörig werden. Höre Israel, du gehörst mir!

Dieses alte Testament ist im Laufe der Jahrhunderte nicht außer Kraft gesetzt worden. Jesus Christus ist als Erblasser an die Stelle Moses getreten und hat dies Vermächtnis über das Volk Israel hinaus an alle Völker weitergegeben. So gilt es als neues Testament jedem Gläubigen: Du gehörst mir! Ich habe dich aus der Sklaverei der Schuld herausgeführt. Die Ansprüche sind endgültig vom Tisch. Der Teufel hat kein Recht mehr. Du gehörst mir! Ich führe dich durch die Wüste des Lebens. Die Feinde haben gar keine Chance. Selbst die Mächtigsten sind nur Schachfiguren auf meinem Brett. Du gehörst mir! Ich werde dich in das himmlische Reich führen. Das Todestal wird kein Hindernis mehr sein. Gutes und Barmherzigkeit werden dir folgen ein Leben lang und du wirst bleiben im Hause des Herrn immerdar. Du gehörst mir! Und wenn andere Ansprüche auf dich erheben. Du kannst gar niemand anders gehören. Und wenn sich viele um dich streiten. Du darfst niemand anders hörig werden. Und wenn du selbst nicht mehr weißt, wem du eigentlich gehörst. Höre Mann, höre Frau, höre Bub, höre Mädchen, höre jeder: Du gehörst mir!

Ja, diese wenigen Zeilen erläutern die Eigentums- und Besitzverhältnisse durch drei kleine, aber entscheidende Zusätze, nämlich: Du gehörst mir allein, ganz und immer.

1. Du gehörst mir allein

Seit dem Biwak am Sinai müsste dies klar sein. Damals stellte sich kein Theologe ans Katheder und verkündigte eine '’Gott-ist-tot-Theologie". Diese Denk- bzw. Fehlleistung blieb erst unserem Jahrhundert vorbehalten. Damals lief auch kein Halbwüchsiger durch die Lagerstatt und sprühte an die Zeltwände: Gott ist tot, es lebe der Götze! Diese Wandsprühereien sind erst eine Kunstrichtung unserer so fortschrittlichen Zeit. Keiner dachte an die Abschaffung Gottes, trotzdem wurde ein Zweitgott angeschafft. Warum? Man brauchte doch nicht nur einen fernen und unfassbaren Gott, sondern auch einen nahen und fassbaren, einfach einen Gott zum Anfassen. Zwar fiel er etwas mickrig aus, weil die schnell angeleierte Edelmetallsammlung nur Material für ein schwaches Goldkälblein anstatt eines mächtigen Goldstieres erbrachte, aber der Zweck war erfüllt: ein Tanzgott, ein Streichelgott, ein Hätschelgott, einfach goldig. So wie aus unserer Briefmarkensammlung oder Münzsammlung oder Wertpapiersammlung oder Antiquitätensammlung auch kein großes Ding geworden ist, sondern nur ein kleiner Fisch, aber unser Herz hängt eben dran, und "wo dein Herz hängt, dort ist dein Gott”. Dann aber erschien Mose auf der Bildfläche. Rot vor Zorn schleuderte er die zwei Gesetzestafeln durch die Luft. Mit einem lauten Knall zerbarsten sie auf dem Tanzboden: "Der Herr ist unser Gott, der Herr allein!" Was fällt euch ein? Gott der Herr ist absolut. Was denkt ihr euch! Gott der Herr ist exklusiv! Was kommt euch in den Sinn? Gott der Herr ist intolerant.

Seit den Tagen seiner Selbstoffenbarung ist dieser Gott kompromisslos in der Bewahrung seiner Heiligkeit und Ausschließlichkeit. Und diese "Eiferheiligkeit", wie es ein Ausleger formulierte, ist der Grund seiner Eifersucht. Er hat den Menschen das Leben eingehaucht. Er hat ihn wachsen lassen. Er hat ihm Nahrung und Kleider gegeben. Mehr: Er hat seinen einzigen Sohn für ihn geschlachtet. Er hat im Heiligen Geist seinen Beistand angeboten. Er hat ihm eine helle Zukunft in Aussicht gestellt. Deshalb hat er und nur er das Recht zu sagen: Du gehörst mir allein und keine andere Puppe soll sich unterstehen, mir diesen Absolutheitsanspruch streitig zu machen.

Liebe Freunde, wir mögen einen Zweitwagen fahren, weil ein Auto in der Familie nicht mehr ausreicht. Wir mögen eine Zweitausbildung machen, weil mit dem Gelernten keine Stelle zu bekommen ist. Wir mögen eine Zweitfrisur tragen, weil die Haartracht etwas mager geworden ist. Einen Zweitgott gibt es nicht und darf es nicht geben. "Gott ist der", hat Luther gesagt, "der dir etwas ist, so dass alles andere dir nichts ist." Dies Testament macht’s aktenkundig: Du bist allein mein.

2. Du gehörst mir ganz

Im Biwak am Sinai verebbte der Lärm. Die Musiker klemmten ihre Instrumente unter den Arm. Die Tänzer verdrückten sich in den Zelten. Die Claqueure suchten das Weite. Nur der Goldgötze blieb zurück wie ein verlorenes Kalb. Sicher wagte sich dann eine kleine Menschengruppe an Mose heran, der immer noch stumm am Rande des Platzes stand. Sie wollten wieder gut Wetter machen und die Dinge ins Lot bringen: Du darfst die Dinge nicht so eng sehen, Mose, sagten die Leute in ihrem Plädoyer: Wir haben nur ein billiges Kettchen in den Sammeleimer geworfen, weil wir keine Außenseiter spielen wollten. Wir haben nur ein paar Lieder mitgeträllert, weil wir den Leuten ihren Spaß nicht vermiesen wollten. Wir haben nur für ein paar Takte das Tanzbein geschwungen, weil wir nicht aus der Reihe tanzen wollten. Wir haben nur äußerlich etwas mitgemischt, aber innerlich waren wir ganz bei der Sache. Mose, an unserer Gottgläubigkeit darfst du nicht zweifeln!

An unserer Gottgläubigkeit ist nie zu zweifeln, liebe Gemeinde. Natürlich bewahren wir ihm ein ehrendes Gedenken und zelebrieren ihm auch in unserer inneren Privatkapelle. Aber mit unserem Mund müssen wir einfach manche Liedlein mitsingen, wenn wir nicht Spielverderber sein wollen. Mit unseren Händen müssen wir einfach manche Dinger drehen, wenn wir nicht abgeschrieben sein wollen. Mit unseren Füßen müssen wir einfach manche Schritte tun, wenn wir den Anschluss an die Zeit nicht ganz verpassen wollen. An Gott glauben wir trotzdem.

Aber Mose weist dieses Plädoyer zurück. Liebe zu Gott ist unteilbar, so wie schon die Liebe zu einem Menschen unteilbar sein muss. Oder ist es vorstellbar, dass ein Ehemann zu seiner Frau sagt: Im Grunde meines Herzens liebe ich nur dich, aber mit meinem Munde muss ich andere küssen, mit meiner Hand muss ich andere umarmen und mit meinem Fuß muss ich ein paar Seitensprünge machen. Mose sagt, und Jesus hat es wiederholt: Du sollst Gott liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Viele haben es verstanden und bekannten: Nur sein ist mein Herz, das oft beschwert ist. Nur sein ist mein Denken, das oft durcheinander gerät. Nur sein ist meine Arbeit, die oft Mühe macht. Nur sein ist meine Freude, die oft überschäumt. Nur sein ist meine Traurigkeit, die oft überfällt. Nur sein ist alles, ganz, ja: "Es sei in mir kein Tropfen Blut, der nicht Herr deinen Willen tut."

Dies Testament macht’s offenkundig: Du bist ganz mein.

3. Du gehörst mir immer

Über dem Biwak am Sinai stieg Rauch in den Himmel. In den lodernden Flammen schmolz das goldige Kälblein dahin. Der schäbige Schmelzrest wurde aufs Wasser gestreut und dann auf Befehl Mose allen zu trinken gegeben, ein Mixgetränk magenfeindlicher Sorte, an dem sie schwer zu schlucken hatten. Aber diese Aktion sollte zur Lektion werden: An eurer Zugehörigkeit zu Gott sollt ihr immer dauen. An eurer Abhängigkeit von Gott sollt ihr immer herummachen. Euer Gottgehören soll euch immer auf dem Magen liegen, oder so, wie es jetzt hier heißt: "soll euch immer zur Hand sein", euch immer vor Augen stehen, euch immer und jederzeit bewusst bleiben.

Mose weiß, was für vergessliche Gesellen wir alle miteinander sind. Wir haben doch kein Gedächtnis wie ein Computer, sondern wie ein Sieb, das alles durchlässt. Deshalb brauchen wir Merkzeichen, die wir in unsere Bibeln malen. Deshalb brauchen wir auch die Buchzeichen, die wir mit einem Gotteswort in unsere Bücher legen. Deshalb brauchen wir auch die Kartenzeichen, die wir vielleicht vorne am Armaturenbrett unseres Autos stecken. In unser Gedächtnis muss das Gotteswort so tief eingegraben sein, dass es jederzeit abrufbar ist, in krisenhaften Situationen: "Der Herr ist mein Hirte!", in schlaflosen Nachtstunden: "Mir wird nichts mangeln!", in der dunkelsten Sterbestunde: "Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir!" Ohne Auswendiglernen wird das weder bei uns noch bei unseren Kindern klappen. Wir sollen ihnen dabei behilflich sein. Im Kindergarten darf nicht nur der Wolf und die sieben Geißlein bekannt werden, sondern soll auch die biblische Geschichte verkündigt werden. Im Religionsunterricht darf nicht nur der Islam und der Hinduismus behandelt werden, sondern soll auch das Evangelium von Jesus Christus zur Sprache kommen. Im Kinderzimmer soll nicht nur Asterix und Obelix herumliegen, sondern soll auch das biblische Bilderbuch seinen Platz haben. Im Haus soll nicht nur das erste, zweite und dritte Programm eingeschaltet werden, sondern soll auch Jesu neues Programm aufklingen. Ja, so wie manchmal eine Melodie mit uns geht und uns bei Tag und Nacht nicht mehr loslässt, so soll diese Melodie uns immer begleiten, selbst dann, wenn der Lärm des Tages uns wieder überfällt: "Du birst immer mein und niemand kann dich aus meiner Hand reißen."

Liebe Freunde, wer dies Testament so hört, wird ihm gehören, allein, ganz, immer.

Amen


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]