Wunder. Das Wunder wird darum in der Bibel mit großem Nachdruck hervorgehoben, weil es uns in besonderer Weise Gott in Erinnerung bringt und uns in Gottes Gegenwart stellt. Der göttliche Rat durchdringt freilich alles, was geschieht, und die göttliche Kraft umfaßt den ganzen Lauf der Natur. Das ist uns auch überall deswegen spürbar, weil nichts unserer Erkenntnis und Herrschaft vollständig untergehen ist. Es bleibt in allem, was geschieht und besteht, für uns ein Geheimnis zurück, vor dem wir uns bewundernd beugen müssen, weil wir es nicht durch unsern Verstand auflösen und in unsere Macht bringen können. Dadurch nötigt uns die Natur fortwährend, zum Unsichtbaren aufzusehen. Der Weltlauf hat aber auch eine für uns offene Seite; denn er ist in allen seinen Gliedern einer festen Regel unterstellt. Darin wird offenbar, daß die Kräfte, die hier tätig sind, den Dingen selbst gegeben sind als ihr stetiges und bleibendes Eigentum. Auf diesem Gebiete stellt sich darum Gottes Wirken als etwas Vermitteltes dar. Es verbirgt sich hinter dem der Natur gegebenen Maß und Gesetz. Da nun der Mensch nur schwer Gottes gedenkt und in seinem Herzen sich bemüht, ihn zu vergessen, hat er die Natur dazu benützt, sich Gott zu verbergen und sich in seinem Denken und Trachten gottlos zu machen. Darum war es eine Tat der göttlichen Gnade, daß es im Weltlauf Ereignisse gibt, die unmißverständlich von ihm reden, weil die hier sichtbar werdende Kraft das überragt, was der Naturlauf hat und vermag. Dadurch veranschaulichen uns diese Vorgänge den Reichtum Gottes, der größer ist als die Natur, und werden zu Gottes Zeugen, die auch dann noch zu uns reden, wenn uns die Natur unheilig und ungöttlich scheint. Darum war der Auszug Israels aus Ägypten, an welchem sich für immer Israels Erkenntnis Gottes bildete, mit großen Wundern verbunden. Deswegen waren auch die Propheten, die den lebendigen und einigen Gott gegen die falschen Götter vor dem Volk vertraten, wie Elia und Jesaja, ermächtigt zu wunderbaren Taten. Darum hat vor allem Jesus das Wunder als ein kräftiges Werkzeug benützt, durch welches er seinen Heilandsberuf und die Wahrheit und Tiefe seiner Einheit mit dem Vater der Glaubenden wie den Widersachern sichtbar machte. Ebenso haben auch wieder die Apostel mit dem Wunder den Beweis für das Evangelium geführt. Diese erweckliche Kraft hat das Wunder zunächst dadurch, daß es eine Macht offenbart, die nicht dem Naturlauf eigen ist und nicht nach dem Gesetz desselben wirkt. Es ist mit dem Siegel der Allmacht versehen und tritt als ein schöpferischer Akt ans Licht. Darum ist das Wort das einzige wahrnehmbare Mittel, durch welches es herbeigeführt wird. „Ich will es, sei rein,“ sprach Jesus, Mt. 8,3, und es geschah. Daß er in der Macht Gottes handelte, wurde darin offenbar, daß er „nur ein Wort zu sagen brauchte“, weil sein Wort als Befehl in den Naturlauf hineinwirkte und Gehorsam fand, Mt. 8,8. So wurde auch der Prophet nur dadurch zum Täter des Wunder, daß er dasselbe im Auftrag Gottes ankündigte, wie Mose vor Pharao. Dadurch daß das Wort das Wunder einleitet, wird zugleich verhindert, daß dasselbe bloß eine stumpf staunende Bestürzung hervorbringe. Das Wort erklärt das Wunder nach seinem Grund und Zweck und macht offenbar, daß Gott hier handelt. Am Grab des Lazarus sprach Jesus dies ausdrücklich aus, Joh. 11,41. 42. Am wesentlichen Charakter der wunderbaren Tat wird dadurch nichts geändert, wenn neben oder statt des Wortes eine sichtbare Gebärde, ein Zeichen und Symbol auftritt, wie Moses Stab, die eherne Schlange, die Weise, wie sich Elia über den toten Knaben legte, Jesu symbolisches Verhalten bei einigen Heilungen. Mk. 7,33; 8,33; Joh. 9,6, die Verwendung des Gewands als Vermittlung für die heilende Kraft, Mt. 14,36; Apg. 19,12. Nicht diese Zeichen sollen als die Träger der wunderbaren Wirkung gelten; der das Wunder Wirkende ist auch hier einzig Gott. Auch die Handauflegung und Salbung mit Öl, Mk. 6,13; Jak. 5,14. gehören zu den Zeichen, durch welche das göttliche Verheißungs- u. Segenswort und die gläubige Aneigung desselben sichtbar wird. Gottes Wesen und Herrlichkeit besteht jedoch nie bloß in seiner Macht; deshalb ist auch zu einem heil. Wunder, das Gott offenbart, noch mehr erforderlich als übernatürliche Macht. Es gibt auch im finstern Jenseits höhere Mächte, als sie die sichtbare Welt aufweist, weshalb die Schrift auch von verführerischen Wundern spricht, welche das Heidentum und die menschl. Selbstvergöttesrung unterstützen und aus der teuflischen Region hervorgehen, 2 Thess. 2,9; Offb. 13,14. Das heil. Wunder, das von oben kommt, hat sein Siegel darin, daß die Macht hier der Wahrheit, Gerechtigkeit und Gnade untergeben ist. Die Wunder des Auszugs aus Ägypten sind nicht nur deswegen für Israels Geschichte das Fundament geworden, weil sie Allmacht kundtun, sondern deswegen, weil es die Allmacht eines Vaters ist, der seine Söhne zu sich beruft und erlöst und erhält, damit sie in seiner Gemeinschaft und in seinem Dienste stehen. Jesu Zeichen machen ihn nicht nur deswegen als den Herrn im Himmelreich offenbar, weil er sprach als einer, dem Gewalt gegeben ist, sondern weil sie aus seinem Erbarmen hervorgehen, das die Sünde vergibt und das Sterben und Verderben heilt und Leben schafft. So ist an den Wundertaten der Apostel das Bedeutsame dies, daß sie, ob sie strafender oder aufrichtender Art seien, nicht den Apostel selbst verherrlichen, sondern Christo zur Ehre geschehen und sein Leben u. Regiment offenbaren. Die harmonische Gleichartigkeit der Wunder mit dem übrigen Geschichtslauf, dessen Glieder sie sind, ihre Übereinstimmung mit der Predigt der Propheten und Apostel und mit den sichtbaren und bleibenden Früchten ihrer Wirksamkeit, gibt denselben, trotzdem uns ihr Hergang vollständig unerforschlich ist, eine durchsichtige Vernünftigkeit, welche das Siegel ihrer Wahrheit ist. Weil das Wunder uns Gott nahe bringt, will und vermag es Glauben in uns zu wirken. Es ist uns als kräftiger Grund zum Glauben geschenkt. Deshalb hat Jesus vor ungläubigen Augen das Wunder nicht getan, Mt. 6,5; Mk. 12,39; 16,2; Joh. 6,26 ff., nicht als hätte ihm erst der Glaube seine Macht gegeben und der Unglaube ihn ohnmächtig gemacht, sondern weil das Wunder für den Ungläubigen keine Gabe ist, sondern ihm nur zum Gericht ausschlägt und seine Schuld groß macht und sein Widerstreben fest. Ebenso sehr wie der Glaube erwächst auch die Buße aus dem Wunder, weil jede kräftige Bezeugung Gottes uns von unserem gottlosen und verdorbenen Willen trennt. Darum hat Jesus Kapernaum verurteilt, weil auch seine Zeichen sie nicht zur Buße gebracht haben, Mt. 11,20. Übrigens ist es selbstverständlich, daß vom Wunder, wie von allen heil. Worten und Taten, eine Doppelwirkung ausgeht, so daß es nicht nur den Geruch des Lebens zum Leben, sondern auch des Tods zum Tod verbreitet, 2 Kor. 2,16. Es kann auch dem Unglauben zur Begründung dienen, weil sich jeder Versuch, die Welt ohne Gott zu begreifen, gegen dasselbe heftig sträuben muß. Die Einrede, die Naturgesetze würden durch dasselbe gestört, ist töricht. Die Bibel schreibt die Wunder nicht den natürlichen Dingen zu, als sollten dieselben bald in ihrer regelmäßigen, bald in wunderbarer Weise wirksam werden, sondern sie beschreibt dieselben als Gottes Taten, der nach dem Gesetz seines eigenen Willens handelt. Nicht vom Leichnam des Lazarus sagt sie, daß er wieder Leben in sich erzeugt habe, was allerdings die Naturgesetze aufhöbe, sondern von Gott sagt sie, daß er ihn lebendig gemacht habe, womit das natürliche Gesetz, nach welchem die Verwesungsprozesse vor sich gehen, an seinem Ort vollständig unerschüttert bleibt. Nur die Leugnung Gottes, der in seiner Freiheit und Obmacht über allem steht, kann die Möglichkeit des Wunder nicht zugeben; gerade deswegen ist das Wunder ein wesentliches Stück des Evangeliums. Wir können aber das Wunder nicht nur so mißbrauchen, daß es uns zum Unglauben reizt, sondern auch so, daß es uns zum Trotz verführt, der die Natur verachtet und nur die Tat der übernatürlichen Allmacht als Gottes Gabe anerkennen will. So hat die Judenschaft Jesus verachtet, weil er ihr nicht Manna vom Himmel gab, Joh. 6,31. Auch damit ist das innerste Wesen des Glaubens zerstört. Der Glaube stellt sich unter Gott, ehrt ihn als den, der frei regiert, macht sich mit Gottes Willen eins, und nimmt die Hilfe so, wie Gott sie gibt, sei es durch den Dienst natürlicher Mittel, sei es über alle Natur hinaus, wenn es Gott gefällt. Der Glaube blickt freilich zu dem empor, der mit wenig Broten Tausende speiste und Tote aus dem Grabe rief, erkennt aber in ihm den, der uns seine allmächtige Gnade dazu geoffenbart hat, damit wir in unsern natürlichen Verhältnissen an ihn glauben, ihm gehorchen und ihn loben.
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