Bileam, Sohn Beors, heidn. Seher zu Pethor (assyr. Pitru) am Euphrat, wurde vom Moabiterkönig Balak herbeigerufen, um die nach ihrem Sieg über die Amoriter in den Gefilden Moabs gelagerten Israeliten zu verfluchen. Er war demnach nicht bloß Seher, sondern nach Art der chaldäischen Magier zugleich Beschwörer, so daß man ihm die Kraft zutraute, wirksam segnen und fluchen zu können. Siehe über ihn 4 Mo. 22-24; 5 Mo. 23,5; dann weiterhin 4 Mo. 31,8. 16; Jos. 13,22; Offb. 2,14.
In seiner Person und Sehergabe tritt uns eine gewisse Zwiespältigkeit entgegen. Einerseits redet Gott wirklich zu ihm (4 Mo. 22,9 ff.), und er ist von Jahvehs, des wahren Gottes, Allmacht so durchdrungen, daß er sich bewußt ist, gegen ihn nicht das Mindeste ausrichten zu können (22,13. 18. 38; 23,12. 26; 24,12 f.). Anderseits ist er ein Heide, treibt seine Seherkunst als Gewerbe (vgl. 2 Petr. 2,15); dieselbe ist eine Art Hellseherei ohne höhere prophetische Weihe, und sein Streben steht von Anfang an in einem gewissen feindlichen Gegensatze zu Gott, indem er gerne den heidnischen Freunden mit seiner Kunst beispringen möchte. Aus dieser seiner eigenen Unlauterkeit und Zwiespältigket, welche an Simon Magus (Apg. 8) erinnert, ist die scheinbar sich widersprechende Stellung des Herrn gegen ihn zu erklären. Der Herr verbietet ihm erst, dem Ruf Balaks zu folgen, dann erlaubt, ja gebietet er es ihm, tritt ihm aber schon unterwegs feindlich entgegen. Bileam soll dem Zug seines Herzens folgen, aber von Anfang an wissen, daß der Fluch wider Israel eigentlich wider den Herrn selbst gerichtet ist. So bereitet der Herr ihn innerlich vor auf die Verwandlung des Fluches in Segen, deren er sich nicht erwehren kann. Was die feindliche Begegnung betrifft, die Bileam unterwegs mit dem Herrn hatte, so verdient sie nicht den wohlfeilen Spott, der ihr von Gelehrten und Ungelehrten geworden ist. Der heidnische Seher wird tief erschüttert von der Wahrnehmung, daß sein unvernünftiges Tier, dessen Sprache in Anbetracht dessen, was es Bileam sagt, nichts Unnatürliches hat, die vom feindlichen Engel drohende Gefahr besser erkennt als er, der Seher.
Nach seiner innern Beschaffenheit ist Bileam ein rechtes Werkzeug für Gott, um seine Obmacht über die heidn. Seher und Beschwörer zu zeigen und die Unwiderruflichkeit der Israel zugesprochenen Segnungen zu bewähren. Er ist gekommen zu fluchen; allein im Augenblick, wo die göttliche Begeisterung ihn erfaßt, muß er segnen und wieder segnen. Je öfter Balak den Versuch mit ihm anstellt, desto reichlicher ergießt sich aus seinem Munde der Strom der Segnungen und Verheißungen auf Israel, bis das volle Maß derselben über dem Volke Gottes ausgeschüttet ist.
Die vier Sprüche Bileam, in welchen das geschieht, sind auch durch poetische Schönheit und steigende Begeisterung ausgezeichnet. Sie schildern Israel als das gottgefällige, gottgesegnete Volk. Wenn die Schatten, welche sonst israelitische Propheten stark genug auftragen im Bilde ihrer Nation, in diesem Gemälde gänzlich fehlen, so rührt dies daher, daß eben ein Heide redet, auf welchen dieses von dem Herrn so gnädig geführte, von ihm mit allen Segnungen des Bundes ausgestattete und durch die Zucht seines heil. Gesetzes vor allen Verirrungen und Greueln des Heidentums bewahrte Volk einen überwältigenden Eindruck machen mußte. Er steht dasselbe unter Jahveh, seinem König, unermüdlich und unbezwinglich seinen Siegeslauf vollenden, dann selber zu einer königlichen Macht heranwachsen, welche über die Völker ringsum triumphiert, während die heidnischen Weltmächte, selbst das zuletzt allgewaltige Assur nicht ausgenommen, dahinsinken (24,17 ff.). Nachdem er so vom „Ende der Tage“ geredet, verschwindet Bileam wieder, gleichsam ein prophetisches Meteor, das auf einen Augenblick Israel mit hellstem Glanze beleuchten sollte. Nach 4 Mo. 31,16 hat er jedoch den Moabitern und Midianitern den arglistigen Rat gegeben, durch ihre Weiber die Israeliten zum unzüchtigen Dienst des Baal Peor zu verlocken und sie so mit ihrem Gott zu entzweien und zu Fall zu bringen, welcher Anschlag nur zu gut gelang, 25,1 ff. Bei dem Rachekrieg gegen die Midianiter wurde deshalb Bileam nach 31,8; Jos. 13,22 mit dem Schwerte getötet. Bei der oben angegebenen innerlichen Verfassung Bileam, der, nur durch höhere Macht gezwungen, Israel segnete, ist ein solcher Rat wohl denkbar, der auch von seiner Einsicht zeugte. Er sah, daß man das Gottesvolk durch keine äußere Gewalt, auch nicht durch dämonische, sondern nur durch seine eigene Sünde, welche es von seinem Gotte scheiden mußte, bezwingen könne. Diese Nachrichten 4 Mo. 31 sind also mit den früheren wohl zu vereinigen, wenn sie auch verschiedenen Erzählern angehören. An 4 Mo. 31,16 lehnt sich die Verwendung Bileam oder Balaams, Offb. 2,14 f., wo mit seinem Verführungsrat die Irrlehre der Nikolaiten (vgl. Nikolaos, „Volksbesieger“ mit Bileam, das heißt „Volksverschlinger“) verglichen wird, die das Essen von Götzenopferfleisch und die Unzucht beschönigten und so die christliche Gemeinde zu Fall brachten.