Ruth, die für ihre Selbstverleugnung und Aufopferung reich belohnte Moabitin, die das Weib des Boas und die Urgroßmutter Davids wurde. In den Verhältnissen des Orients war es fast unmöglich, daß ein Weib für sich allein stehen und sich selbst erhalten konnte. Standen ihr nicht Männer zur Seite, ein Gatte oder Söhne oder Brüder und Verwandte, so war sie dem Hunger, roher Vergewaltigung, vielleicht der Sklaverei preisgegeben. Die Lage der durch den Tod ihres Mannes und ihrer beiden Söhne völlig vereinsamten Naemi und ihrer beiden Schwiegertöchter, Ruth und Orpa, war darum höchst schwierig und dunkel. Die beiden jüngeren Frauen konnten allerdings leicht eine Versorgung finden durch neue Verheiratung, doch dies nicht in der Fremde, sondern nur unter ihren Stammesgenossen. Darum fordert sie Naemi, nicht auf ihr eigenes Wohlergehen, sondern auf dasjenige ihrer Schwiegertöchter bedacht, dringend zur Umkehr auf. Die Heldentat Ruths besteht nun darin, daß sie im Blick auf die völlige Verlassenheit Naemis, die nirgends eine Heimat hat, wenn sie ihr nicht eine solche im Hause ihres künftigen Mannes bieten kann, mit Naemi in die Fremde zieht, so unwahrscheinlich es auch ist, daß sich dort ein Mann finde, der sie, die Fremde, von der Not und Schmach der Ehe- und Kinderlosigkeit befreien wird. Diese mutige Zuversicht der Liebe wird nicht zu Schanden. Sie findet in Bethlehem den Helfer, der sie zu seinem Weibe macht und ihr damit nicht nur Obdach und Schutz für sie und Naemi, sondern auch die Ehre und Freude des mütterlichen Berufs gewährt. Die Freundlichkeit, mit der Boas ihr auf dem Felde begegnet, gibt den beiden Frauen Mut, ihn darum anzugehen, daß er Ruth die Ehre gewähre. Dies ist der Sinn des Besuchs der Ruth bei Boas auf der Tenne während der Nacht (Ru. 3). Es war eine Tat des Vertrauens zu Boas: Ruth gibt sich in seine Hand in der Zuversicht, daß er ehrenhaft an ihr handeln werde, und auch hier wird ihr Vertrauen nicht getäuscht. Es war selbstverständlich ein ungewöhnlicher Schritt, aber gerechtfertigt durch die Sachlage der beiden Frauen, und zugleich erleichtert dadurch, daß Boas mit Naemi verwandt ist. Der Geschlechtsverband war aber im alten Israel sehr eng, es lag auf den Verwandten die heilige Pflicht, füreinander einzustehen in Not und Gefahr. Boas schließt nun am andern Morgen die Ehe öffentlich in allen Formen des Rechts, indem er zugleich den Acker, der Elimelech gehört hatte, an sich bringt. Die Gebräuche bei diesem Kauf erinnern an das, was 5 Mo. 25,5 ff. über die Schwagerehe vorgeschrieben ist, decken sich aber nicht völlig mit jener Verordnung, es liegt auch, da Boas nicht der Bruder Mahlons war, keine eigentliche Schwagerehe vor, wohl aber ist das Verhalten des Boas sowohl nach seinen innern Motiven als nach den äußern Formen, in denen es rechtskräftig wird, jener Institution des Gesetzes verwandt. Wenn Boas die Übernahme des Ackers an die Eheschließung Ruths bindet, so daß jene nicht ohne diese geschehen darf, 4,5, so tritt hierin das im Volke lebendige Rechtsbewußtsein zu Tage, das es für unbillig achtete, das Gut des Verstorbenen zu erben, sein Weib dagegen zu verstoßen, und so sein Geschlecht, das sich doch durch dieses noch fortpflanzen konnte, untergehen zu lassen. Ob der Acker in den Händen eines dritten Eigentümers war, der entschädigt werden mußte, oder nicht, läßt sich nicht entscheiden; wahrscheinlich ist immerhin, daß Elimelech bei seiner Auswanderung denselben an einen dritten verkauft hatte. Das aber ist vorausgesetzt, daß das ursprüngliche Eigentumsrecht der Ausgewanderten an ihren heimatlichen Grund und Boden durch die Zeit ihrer Abwesenheit nicht erloschen ist, vielmehr mit ihrer Rückkehr sosort wieder in Kraft tritt. So fest knüpfte das Recht Israels das Band zwischen dem Israeliten und seinem väterlichen Erbe. Die glückliche Wendung im Geschick der Ruth erlangt ihre Vollendung in der Geburt Obeds, durch die Naemi das Geschlecht ihres Mannes, das so völlig untergegangen schien, neu erblühen sieht.
Der Verfasser und die Zeit, in der das Büchlein geschrieben wurde, lassen sich nicht bestimmen; jedenfalls setzt es die Erhöhung des davidischen Hauses voraus, und die Sprache der Erzählung weist auf ziemlich späte Zeit. Zweifellos ist das Interesse des Erzählers an Ruth dadurch erhöht, daß sie die Stammutter des Königshauses ist, doch kann man nicht sagen, daß er die Verherrlichung des davidischen Geschlechts beabsichtige; das wesentliche Interesse der Erzählung richtet sich auf die Tat Ruths an sich selbst in ihrer hingebenden Treue und auf die göttliche Hilfe und Güte, die ihr widerfährt.