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Johannes, der Apostel

Johannes der Apostel, Sohn des Zebedäus, Mk. 3,17, und (wie man aus der Vergleichung von Mt. 27,56 mit Mk. 15,40 geschlossen hat) der Salome; Bruder des Jakobus (Mk. 3,17); einer der drei Lieblingsapostel Jesu (s. Apostel). Ohne Zweifel war er einer der zwei vorher dem Täufer zugetanen Jünger, deren erste Bekanntschaft mit Jesu Joh 1,35 ff. erzählt ist. Ihre Berufung in die dauernde Nachfolge Jesu s. Mk. 1,19 f., wo wir erfahren, dass die beiden Brüder früher gleich ihrem Vater Fischer waren. Von einem stürmischen Feuereifer, den er gleich seinem Bruder besaß und in seiner Hingabe an Jesum betätigte, zeugt der Name Boanerges (Luther: Bnehargem) = Donnerskinder, welchen Jesus den beiden Brüdern beilegte (Mk. 3,17); ebenso die Erzählung, dass sie über das ungastliche Samariterdorf Feuer vom Himmel fallen lassen wollten (Luk. 9,52 ff.). Wie hier, so musste ihnen Jesus auch entgegentreten, als sie mit ihrer Mutter ihm die Bitte um den Ehrensitz in seinem Reich vortrugen (Mt. 20,20 ff.; Mk. 10,35 ff.). Doch hat er zugleich bezeugt, dass er allerdings Großes von ihnen erwarte. Und so widerspricht es diesen synoptischen Nachrichten nicht, wenn man in dem vom 4. Evangelium besonders hervorgehobenen namenlosen Jünger, „den Jesus lieb hatte“, eben Johannes den Apostel erkennt (vgl. Evangelien 2). Nach diesen Nachrichten nahm er beim letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern den Platz neben dem Herrn ein (13,23), und war mit ihm vertrauter als irgend ein anderer (13,24. 25); er folgte ihm nach in des Hannas Palast, da er mit Hannas selbst verwandt war (18,15). Ebenso fand er sich unter dem Kreuze ein und erhielt noch einen besonderen Vertrauensbeweis dadurch, dass ihm Jesus seine Mutter übergab (19,26. 27). Am Ostermorgen ist freilich auch er noch unter den Verzagten (20,9), doch glaubt er zuerst (Vers 8) und sein von der Liebe geschärftes Auge erkennt auf dem Galiläischen Meer vor den übrigen Jüngern den Auferstandenen (21,7). Schon bei diesen letzten Veranlassungen ist er fast immer mit Petrus zusammen genannt, und so erscheint er mit ihm vereint auch wieder in der Apostelgeschichte. Sie heilen zusammen den Lahmen, werden zusammen deswegen vor Gericht gestellt (Apg. 3 u. 4), gehen zusammen nach Samaria (8,14). Allerdings ist dabei immer Petrus der Redende, auch auf dem Apostelkonzil (Apg. 15) ist keine Rede des Johannes des Apostels erwähnt. Doch gilt er unbestritten neben Petrus und Jakobus, dem Bruder des Herrn, als Säulenapostel (Gal. 2,9). Von da an verschwindet seine Spur im Neuen Testament Nur das deutet der Nachtrag des Johannesevangeliums. (21) an, dass sich von einem missverstandenen Wort des Herrn aus die Meinung im Jüngerkreis bildete: „dieser Jünger stirbt nicht“ (Vers 23). Dagegen versichert die einstimmige Überlieferung des 2. Jahrhundert, dass Johannes der Apostel später in Ephesus gelebt habe und dort auch gestorben und begraben sei. Ja mehr als bei irgend einem anderen Apostel sind auch die einzelnen außerbiblischen Nachrichten von seinem späteren Leben bis zu einem gewissen Grad zuverlässig: dass er mit dem Irrlehrer Cerinth habe nicht einmal im Badhaus unter einem Dach zusammen sein wollen (vgl. 2 Joh 10); dass er einen hoffnungsvollen Jüngling, der zum Räuberhauptmann gesunken war, durch die Macht seines Wortes wieder auf den rechten Weg gebracht habe; dass sein zuletzt einziges, stehendes Ermahnungswort gelautet habe: Kindlein, liebet euch untereinander. Erst unter der Regierung Trajans (98-117) soll er, und zwar eines natürlichen Todes, gestorben sein; darnach muss er bei seinem Eintritt in Jesu Nachfolge noch sehr jung gewesen sein. Über die Nachricht von seiner Verbannung nach Patmos s. Offenbarung Johannis. In die Zeit seines späteren Alters sind ohne Zweifel auch die 3 Briefe und das Evangelium, welche seinen Namen tragen, zu verlegen, während die Offenbarung, wenn sie auch von ihm verfasst ist (s. Offenbarung), in früherer Zeit schon geschrieben wurde. Über die Abfassung des 4. Evangeliums durch den Apostel Johannes und über den merkwürdigen Unterschied desselben von den drei ersten ist schon im Art. „Evangelien“ gehandelt worden. So haben wir an dieser Stelle nur die innere Anlage u. den Zweck des Evangeliums noch zu untersuchen. Schon der Eingang des Evangeliums, 1,1-18, stellt in einem allgemeinen Rückblick auf die Erscheinung Jesu in der Welt die zwei Tatsachen einander gegenüber: die traurige und unbegreifliche Verwerfung Jesu von Seiten der Welt (1-11) und die selige Erfahrung seiner Jünger von der in ihm sich darbietenden Gnadenfülle (12-18). Und so bildet Glaube und Unglaube gegenüber von Jesu Person den Grundgedanken aller Erzählungen aus Jesu Leben und aller Reden aus Jesu Munde. Da wird im ersten Abschnitt gezeigt, wie auf das selbstlos vorbereitende und bestimmt auf Jesum hinweisende Zeugnis des Täufers hin sich die ersten Jünger in frischem Anfangsglauben an Jesum anschließen und in dem ersten Zeichen zu Kana eine Bestätigung ihres Glaubens erlangen (1,19-2,12). Aber schon der nächste Abschnitt (2,13-3,36) zeigt, wie auch seine Jünger manches Wort Jesu nicht sogleich verstanden, wie Jesus unter den Glaubenden nicht alle vertrauenswürdig erfand; wie bei manchen schwere Bedenken, aus ihrem bisherigen Lebensgang entstammend, zu überwinden waren, wenn sie zum Glauben durchdringen wollten: bei einem Nikodemus der Ruhm eines Lehrers von Israel, bei anderen die alte Anhänglichkeit an den Täufer — Bedenken, denen allerdings dort Jesus, hier Johannes der Apostel selbst mit ernstem Wort entgegentreten. Ein dritter Abschnitt (4,1-54) zeigt an zwei Beispielen einen Glauben, der sich von der niederen Stufe des bloßen Weissagungs- und Wunderglaubens (vgl. V. 39. 48) zu der höheren Stufe des von Jesu Persönlichkeit überwältigten Glaubens aufschwingt. Nun aber folgen im vierten Abschnitt (K. 5 u. 6) zwei große Beispiele entschiedenen Unglaubens trotz vorangegangener Wunder. Kap. 5 trifft Jesus mit dem Gesetzeseifer der Juden in Jerusalem zusammen, die sich an der Sabbatheilung und an seinem Anspruch auf Gottgleichheit stoßen. Ihnen gegenüber zeigt Jesus, dass, wer sich den überwältigenden Zeugnissen für das Einzigartige seiner ganzen Person und seines Wirkens absichtlich verschließt, freilich über vieles Einzelne an ihm sich wundern muss, aber eben damit auch des Widerstrebens gegen Gott selbst, ja auch des Widerspruchs mit dem Wort Moses sich schuldig macht. In Kap. 6 dagegen ist es die auf falschen Messiashoffnungen ruhende Begeisterung der Volksmassen in Galiläa, die doch schließlich zum gleichen Ziel des Unglaubens führt wie das Ärgernis der Jerusalemiten. Denn Jesus hält ihnen entgegen, dass, wenn sie keinen Sinn haben für die in seiner Person liegenden himmlischen Gaben, sie bei ihm ihre Rechnung nicht finden, aber auch des ewigen Lebens verlustig gehen. Am Schluss dieses Abschnittes folgt übrigens noch ein kurzer Hinweis darauf, wie der Glaube der Jünger Jesu diesen Schwierigkeiten gegenüber standgehalten hat, ja noch leuchtender hervorgebrochen ist — mit Ausnahme des Verräters (6,67-71). Abschnitt 5 (Kap. 7 u. 8) zeigt die Verlegenheit, in der sich der Unglaube und Halbglaube Jesu gegenüber befindet: sie kommen nicht ins reine mit ihren Urteilen über ihn, sie dürfen auch, solange seine Stunde noch nicht gekommen ist, sich nicht an ihm vergreifen und müssen, auch wo sie einen Anlauf zum Glauben nehmen, doch schliesslich nur noch tiefer im Unglauben sich verstocken, weil sie im Stolz auf die ererbten Ansprüche, das auserwählte Volk zu sein, sich nicht beugen wollen vor der überlegenen Größe des Sohnes Gottes. Der sechste Abschnitt, K. 9-11, zeigt, wie gegenüber zwei letzten ganz unwidersprechlich für Jesum Zeugnis ablegenden Wundertaten (Heilung des Blindgeborenen und Auferweckung des Lazarus) und gegenüber den herrlichsten Zeugnissen von der opferfreudigen Liebe Jesu (vom guten Hirten) der Unglaube seiner Feinde nur Gedanken und Plane des Hasses ausbrüten kann. Abschnitt 7 (K. 12) enthält allerlei Vorzeichen, dass trotz des bevorstehenden Todes Jesu seine Person und Sache nicht unterliegen, sondern siegen werde, und dass der Unglaube nur sein eigenes Gericht herbeiführe. Nach diesen sieben Abschnitten ist im Evang. selbst eine deutliche Grenzmarke. Bis dahin ist Jesu Wirken in der Welt geschildert, dem gegenüber Glaube und Unglaube sich entwickelte; nun kommt Jesu Hingang aus der Welt zum Vater (13,1). Zunächst wendet sich Jesus ganz seinen Jüngern zu, um von ihnen Abschied zu nehmen (13-16). Es zeigt sich zwar, dass auch ihr Glaube noch viel zu überwinden und viel zu lernen hat (zum Beispiel 13,6 ff.; 36 ff.; 14,5. 8 ff. 22; 16,12. 17 ff.; 31 f.); aber Jesus tut auch alles, um ihren Glauben zu stärken (13,19; 14,1. 11; 16,1 ff.). Und das hohepriesterliche Gebet (Kap. 17), in dem er sich und die Seinen seinem himmlischen Vater übergibt, lässt uns ahnen, dass wir für die, welche an ihn glauben, trotz aller hereinbrechenden Stürme nicht bange sein dürfen; sie stehen unter höherem Schutze. Die Geschichte des Leidens, Sterbens und Auferstehens aber (Kap. 18-20) wird bei Johannes der Apostel eine fortgehende Geschichte der Verklärung Jesu; zuerst vor dem geistigen, dann auch vor dem leiblichen Auge der Jünger tritt in immer steigendem Maße seine Königsherrlichkeit hervor (vgl. 18,6. 37; 19,19; 20,17. 28). Und auch in diesen Stunden überwindet der Glaube der Jünger zuletzt alle Trübungen und Zweifel. Dass Kap. 21 ein von anderer Hand beigesetzter Anhang ist, s. Evangelien 2). Überblicken wir das Ganze, so ist klar, dass Johannes der Apostel nicht eine vollständige Erzählung des Lebens und Wirkens Jesu geben wollte (vgl. zum Beispiel den halbjährigen Zwischenraum zwischen Kap. 6 und 7), sondern ausgewählte Bilder, die zeigen, wie mit Jesu ganzer Erscheinung sich ein Gericht an der Menschheit vollzog; denn die einen, welche an ihn glauben, erlangten dadurch das ewige Leben; die anderen waren eben damit, dass sie nicht glaubten, schon gerichtet. Doch ist auch das klar, dass diese Beispiele nicht nach einem vorausgemachten Plan erdichtet und zusammengestellt sind, sondern an dem Gang des Lebens Jesu selbst ihren wirklichen Zusammenhang haben; sonst wäre dieser Plan viel absichtlicher herausgestellt. Der Zweck aber dieser Beispiele ist, die Leser in ihrem Glauben zu besestigen (20,31), indem ihnen vorgehalten wird, wie herrlich Jesus sich als den Sohn Gottes erwiesen hat, aber auch wie manche Schwierigkeiten der Glaube zu überwinden hat und wie gefährlich der Abweg des Unglaubens ist. Wir haben im Art. Evangelien 4) gesehen, dass Johannes der Apostel bei diesen Schilderungen immer schon das verklärte Bild Jesu vor sich hatte und ihn demgemäß von Anfang an offen von seinem messianischen Beruf, von seinem einzigartigen Verhältnis zu Gott, von seiner himmlischen Abkunft reden lässt, was Jesus nach den Synoptikern anfangs aus pädagogischen Gründen vermieden hat. Immerhin mag dies ein Grund mit sein, dass Johannes der Apostel vorherrschend nicht sowohl Szenen und Reden aus dem alltäglichen Wirken Jesu gewählt hat, sondern außerordentliche Veranlassungen, wie die Besuche in Jerusalem und dergleichen. So wird eine tiefere Erfassung gerade der Eigentümlichkeiten des Johannesevangeliums immer wieder dazu führen, in demselben eine Ergänzung der Synoptiker zu finden, nur nicht in dem rein äußerlichen Sinn, dass man mit Verkennung aller Schwierigkeiten und aller Eigentümlichkeiten beide ganz unvermittelt zusammenschweißen will.

Einen weiteren Blick in die Kreise der ursprünglichen Leser des Evangeliums und in ihr Verhältnis zu Johannes dem Apostel lässt uns der erste seiner Briefe tun. Denn wir dürfen so wenig zweifeln, dass es im ganzen dieselben Leser sind, wie jedenfalls derselbe Schriftsteller. Seinen Namen nennt er zwar nicht, aber die Ähnlichkeit der Gedanken und der Ausdrucksweise mit dem Evangelium ist zu groß, als dass man mit Recht zweifeln könnte, derselbe Mann habe beide Schriften geschrieben. Und zwar ohne Zweifel den Brief später. Die Stellung des Apostels zu seinen Adressaten erscheint als die eines ehrwürdigen und zärtlich liebenden Vaters. Insgesamt redet er sie als „Kindlein“ an, oder als „Geliebte“, auch wenn er im einzelnen Väter und Jünglinge unterscheidet (2,12 ff.). Der Zweck des Briefes ist Erinnerung an das, was sie als Christen längst haben und wissen; dies soll ihnen zur Befestigung dienen gegenüber von Irrlehren, die den Grund des Glaubens untergraben. Namentlich aber erinnert er an die sittlichen Bedingungen: Reinigung von der Sünde, Halten der Gebote Gottes, Bruderliebe, durch welche der Adel der Gotteskindschaft und die Gemeinschaft mit Gott allein bezeugt und bewahrt wird. Die Irrlehrer, vor denen er warnt, scheinen Vorläufer der späteren Gnostiker gewesen zu sein, welche unter dem Vorgeben einer höheren Erkenntnis die Wahrheit der menschlichen Natur Christi leugneten, es dabei aber häufig mit den sittlichen Forderungen des Christentums nicht genau nahmen. Der Gedankengang des Briefs bewegt sich in einer dreifachen Widerlegung dieser beiden „Lügen“, wobei immer klarer gezeigt wird, wie eng beides zusammenhängt: der Glaube an Christus als die Offenbarung der Liebe Gottes, und der Wandel im Licht, das Halten des Gebots der Bruderliebe. Nach dem Eingang (1,1-4) umfasst die erste Widerlegung 1,5 bis 2,17 und 2,18-27; die zweite 2,28 bis 3,24 und 4,1-6; die dritte 4,7-21 und 5,1-12; 5,13-21 ist der Schluss. Einen ähnlichen Inhalt, nur viel kürzer und in der Form eines Privatbriefs, hat der zweite Brief Johannis. Er nennt sich hier und im dritten Brief der „Älteste“, was in der nachapostolischen Zeit überhaupt Ehrenname der noch in die apostolische Zeit zurückreichenden Männer gewesen zu sein scheint. Er ist gerichtet an die „auserwählte Herrin“ oder „auserwählte Kyria“ und ihre Kinder (fälschlich auf eine Gemeinde bezogen). Voll Freude über das Gute, das er bisher von ihnen vernommen, bittet er sie, im Gegensatz zu den Verführern festzuhalten an der Wahrheit und Liebe und sich streng zu scheiden von den Irrlehrern. Der dritte Brief, an einen Gajus gerichtet, gibt diesem Verhaltungsmaßregeln gegenüber von schmierigen persönlichen Verhältnissen (vgl. Diotrephes). Die Schriften des Apostels vervollständigen uns sein Charakterbild in der Richtung, dass sie uns erkennen lassen, wie sein natürlicher Feuereifer sich verklärte zu einem auf tiefe Erkenntnis gegründeten Zeugenernst voll Entschiedenheit; wie aber daneben die innige Liebe zu seinem Herr sich gleich blieb, ja noch inniger und tiefer wurde, je mehr er seine Herrlichkeit erkannte.