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Schwören

Eid, Schwur, schwören. Es ist eine allgemein menschliche Sitte, die Wahrhaftigkeit einer Aussage oder die Zuverlässigkeit eines Versprechens durch Beteuerungen zu bekräftigen. Man setzt da etwas Wertvolles, Teueres, zum Beispiel sein Leben, zum Pfand und erklärt sich bereit, den Verlust desselben als Strafe für den Bruch seines Wortes tragen zu wollen. Schon auf solche Beteuerungen ohne eigentlich religiösen Charakter wird in der Bibel, wie sonst, oft das Wort „schwören“ angewandt, zum Beispiel Jos. 2,14: „unsere Seele soll für euch des Todes sein,“ (vgl. V. 12: „schwöret mir“); Mt. 5,36: „bei seinem Haupte schwören“. Auffallen kann nur, daß so häufig im Alten Testament die Wendung vorkommt: „so wahr deine Seele lebt“, namentlich bei dem Schwur, der einem Höherstehenden geleistet wird (zum Beispiel 1 Sa. 17,55; 2 Sa. 11,11; 14,19). Es erklärt sich dies aus der morgenländischen Höflichkeit, welche das Leben des anderen als etwas Wertvolleres bezeichnen will und darum zum Pfande setzt. Ähnlich ist die Beteuerung Josephs: „beim Leben Pharaos“ (1 Mo. 42,15 f.); scherzhaft die des Hohelieds: „bei den Rehen oder Hinden“ (3,5). Zum eigentlichen Schwur im religiösen Sinn aber erhebt sich die Beteuerung, wenn das Heilige als das Höchste und Wertvollste, was der Mensch kennt, von ihm zum Pfand seiner Wahrhaftigkeit eingesetzt wird. Und dies war beim Volk Israel, wie übrigens bei den meisten Völkern des Altertums, fast durchweg der Fall. Daher die häufige Schwurformel im Alten Testament: „so wahr der Herr lebt“ (zum Beispiel 1 Sa. 14,39; 2 Sa. 4,9; 1 Kö. 17,1 usw.), manchmal verbunden mit dem anderen: „so wahr deine Seele lebt“ (1 Sa. 20,3; 25,26). Diese Formel will das Dasein Gottes nicht bloß als das Allergewisseste bezeichnen, sondern auch als das Allerwertvollste für den Menschen; der Schwörende setzt seinen Anteil an dem lebendigen Gott, als sein höchstes Gut, zum Pfand für seine Wahrhaftigkeit. Daher treten zu „der Herr“ oft noch solche Beifügungen hinzu, welche sagen, was der Herr dem Schwörenden ist; zum Beispiel der Herr, vor dem ich stehe (1 Kö. 17,1; 2 Kö. 3,14), der Herr, der mich bestätigt hat (1 Kö. 2,24), der Herr, der die Kinder Israel aus Ägyptenland geführt hat (Jer. 16,14) usw. Aber weil der lebendige Gott nicht nur ein totes Unterpfand ist für die Wahrhaftigkeit des Schwörenden, sondern ein lebendiger Zeuge des Eidschwurs, so gestaltet sich dieser zu einer unmittelbaren Anrufung Gottes, zu der Bitte, er möge Zeuge sein (vgl. 1 Mo. 31,50; Jos. 22,22 f.; Ri. 11,10; 1 Sa. 20,42; Jer. 42,5), ja er möge auch als unparteiischer und unerbittlicher Richter über die Heiligkeit des geschworenen Eid, Schwur, schwören wachen (1 Mo. 31,49. 53; Jos. 22,23). Letzteres geschieht namentlich häufig durch die Formel: „Gott tue mir dies und das“ (1 Sa. 14,44; 2 Sa. 19,14; 1 Kö. 2,23 usw.), das heißt was er nur will — wenn ich meinen Eid, Schwur, schwören breche. Wird diese Herausforderung der Rache Gottes noch stärker ausgedrückt, so wird der Schwur geradezu zur Selbstverfluchung (Mt. 26,74). Übrigens kam bei den Israeliten neben dem Schwur, den man selbst freiwillig leistete, auch noch häufig die Form der Beschwörung vor, da ein anderer Gottes Zeugenschaft und Rächeramt über den anrief, der die Wahrheit sagen oder etwas versprechen sollte. Zu solchen Beschwörungen dienten dieselben Formeln wie beim einfachen Schwur (1 Sa. 3,17, Gott tue dir dies und das u. dgl.), namentlich auch die Fluchformeln (Jos. 6,26; 1 Sa. 14,24). Als äußere Zeremonie beim Schwören wird das Aufheben der Hände zum Himmel (1 Mo. 14,22; 5 Mo. 32,40; Dan. 12,7; Offb. 10,5) oder auch das Legen der Hand unter die Hüfte des Beschwörenden erwähnt (1 Mo. 24,2. 9; 47,29). Letztere Sitte hängt wohl mit der Beschneidung, durch welche das Zeugungsglied geheiligt ist, zusammen. Alles Bisherige ist nun aber — dies ist wohl zu beachten — eine Beschreibung der natürlichen Volkssitte Israels. Was ist das göttliche Urteil darüber, insbesondere für Christen? Das Gesetz gibt für den Eid zwei Hauptvorschristen:

1) das in das zweite Gebot miteingeschlossene Verbot des falschen Eides und des Eidbruchs (3 Mo. 19,12).

2) Das Verbot, beim Namen anderer Götter als bei dem Jahvehs zu schwören (5 Mo. 6,13; Jos. 23,7), vgl. Art. Bekenntnis. Befohlen ist die öffentlich (gerichtliche) Anwendung des Eides in verhältnismäßig seltenen Fällen: nämlich 1) wenn ausgeliehenes Vieh zugrunde geht, soll der Entlehner beschwören, daß er es sich nicht angeeignet hat, 2 Mo. 22,9 f.: ein sogenannter Reinigungseid, der nach 3 Mo. 5,19 ff. auch in andern ähnlichen Fällen zur Anwendung kam, wo es sich um keinen Zeugenbeweis handeln konnte (vgl. 1 Kö. 8,31 f.). Wenn jemand nachträglich selbst bekannte, daß er einen solchen Eid fälschlich geschworen habe, so durfte er durch ein Schuldopfer nebst Erstattung des Unterschlagenen (unter Zuschlag von ⅕ des Wertes) sein Vergehen sühnen (3 Mo. 5,19 ff.). Ein Reinigungseid wurde auch einem Weib, welches das Fluchwasser trinken mußte, auferlegt (siehe Ehe). 2) Zeugeneide sind nirgends ausdrücklich geboten, werden aber 3 Mo. 5,1 vorausgesetzt und zwar in der Form, daß die Zeugen vorher beschworen werden („den Fluch aussprechen hören“) und dann auszusagen haben, was sie wissen (vgl. Spr. 29. 24). Von außergerichtlichen Eiden erwähnt das Gesetz den Gelübde-Eid, um zu bestimmen, daß das Gelübde einer unselbständigen Frauensperson (Ehegattin oder Tochter) durch sofortige Einsprache des Gatten oder Vaters seine Gültigkeit verliert, sonst aber gleich jedem anderen Gelübde unbedingt verpflichtet (4 Mo. 30; 5 Mo. 23,22-24). Dagegen zeigen die geschichtlichen Bücher, daß der Eid im täglichen Leben häufig vorkam zur Bekräftigung von Aussagen und Versprechen (vgl. die oben angeführten Stellen), auch im Munde frommer Männer. Aber während früher die Heiligkeit des Eid, Schwur, schwören in Israel hochangesehen war, müssen später die Propheten im nördlichen und südlichen Reich viel über Meineid klagen, ein bedenkliches Zeichen des sittlichen Verfalls (Hos. 4,2, Grundtext; Jer. 5,2; Sach. 5,4; 8,17; Mal. 3,5, vgl. 24,4). Überblicken wir den ganzen Sachverhalt im Alten Testament, so zeigt sich, daß der Eid, Schwur, schwören zwar keineswegs aus dem Bodender Offenbarung selbst erwachsen, aber als allgemein menschliche Einrichtung und Gewohnheit in seinem Bestand belassen worden und gegen Mißbrauch durch das Gesetz geschützt worden ist. Dagegen regt sich in einigen Apokryphenstellen wahrscheinlich unter dem Eindruck der Zunahme leichtsinniger Schwüre das Bewußtsein, daß das viele Schwören überhaupt vom Übel und ein Mißbrauch des göttlichen Namens sei (Sir. 23,9-17; 27,15). Und Christus hat für seine Jünger das Schwörenüberhaupt verboten als einen für das geschärfte Gewissen nicht erlaubten Gebrauch des göttlichen Namens (Mt.5,33-37). Allerdings haben auch die Pharisäer ein solches Bedenken gekannt, aber in ihrer äußerlichen Weise geraten, deshalb statt bei Gott lieber beim Himmel, bei der Erde, bei Jerusalem oder bei dem eigenen Haupt zu schwören. (Wie dann weiter noch durch heillose Rechenkunst mit diesen „geringeren“ Eiden dem Meineid die Tür geöffnet wurde, zeigt der Herr Mt. 23,16-22.) Dies verwirst Jesus und weist darauf hin, daß in all diesen Schwurformeln der Name Gottes doch darin stecke und daß der Mensch überhaupt kein Recht habe, Dinge, über die er so gar keine Macht habe („du vermagst nicht ein einiges Haar weiß oder schwarz zu machen“), zum Pfand seiner Wahrhaftigkeit anzubieten. Diese letztere Wendung lehrt uns überhaupt das Verbot Jesu recht verstehen: es ist ein Mißbrauch des Namens Gottes, denselben wie eine tote, in unserer Gewalt besindliche Sache als Psand unserer Wahrhaftigkeit zu gebrauchen. Also ist eben nur das Schwören von Christus verboten, das heilige Namen in Beteuerungssormeln einsetzt. Dagegen kann ein eigentliches Anrufen Gottes als des Zeugen der Wahrheit kein Mißbrauch des göttlichen Namens und also ein solches Schwören, wenn man das überhaupt so nennen will, nicht verboten sein. Damit stimmt die Sitte des Apostels Paulus, sich öfters einer solchen Anrufung Gottes zu bedienen (Röm. 1,9; 2 Kor. 1,23; Gal. 1,20; Phi. 1,8; 1 Th. 2,5). Von anderem Gesichtspunkt aus sind die Selbstverfluchungen, wie sie nach dem Obigen auch im Alten Testament vorkommen, auf christlichem Boden zu verwerfen: sie enthalten für ein schärferes Gewissen eine Herausforderung der göttlichen Gerichte, die kein Sünder wagen darf.

— Über die Verwendung des Eids von seiten der Obrigkeit läßt sich unmittelbar überhaupt nichts aus dem Wort Jesu entnehmen; denn er redete mit seinen Jüngern als Privatpersonen, und nach damaligem jüdischem Gerichtsverfahren hatten solche vor Gericht gar nie zu schwören, sondern wurden vom Richter beschworen; es lag also die Verantwortung dafür, daß ein Eid, Schwur, schwören vorkam, ungeteilt auf dem Gewissen des Richters. Auch Jesus hat nicht, wie man gewöhnlich sagt, vor Gericht geschworen, sondern wurde beschworen und hat einfach mit „du sagest’s“ geantwortet. Die Entscheidung, ob auch eine christliche Obrigkeit den Eid, Schwur, schwören gebrauchen dürfe, ist (ähnlich wie bei der Ehescheidung) daraus zu entnehmen, daß dieselbe gegenüber der menschlichen Herzenshärtigkeit nicht die vollkommenen Himmelreichsordnungen zur Anwendung bringen und so auch den Eid, Schwur, schwören nicht entbehren kann (vgl. Hbr. 6,16); aber sie muß ihn als einfache Anrufung Gottes gestalten. Der Eid Gottes, gewöhnlich in der Form: „so wahr ich lebe“ (4 Mo. 14,28; Jes. 49,18; Röm. 14,11), führt solche Drohungen und Verheißungen Gottes ein, die unabhängig von dem späteren Verhalten der Menschen zur Ausführung kommen (Hbr. 6,17 f.). Er ist einerseits eine göttliche Herablassung zur menschlichen Glaubensschmäche, andererseits steht es gerade der göttlichen Majestät zu — was beim Menschen immer eine Art Anmaßung ist — das eigene Leben zum Pfand der Wahrheit einzusetzen.