Ich möchte alle herzlich begrüßen. Wir gehen gleich ins Thema ein. Wir sind immer noch bei den sieben Dialogen mit Frauen im Johannesevangelium. Wir haben gesehen, dass diese nur im Johannesevangelium vorkommen. Dort wird Jesus uns bereits in Kapitel 1, Vers 1 vorgestellt als das Wort. Gott ist der Gott, der spricht.
Ich weiß, es gibt Menschen, die sich vorstellen können, dass vielleicht ein Gott existiert. Aber das Universum erscheint ihnen einfach stumm und leer. Die Bibel zeigt uns jedoch, dass es einen Gott gibt, der spricht. Er hat alles durch sein Wort ins Dasein gerufen. In 1. Mose 1 heißt es: „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.“ Immer wieder spricht Gott, insgesamt zehnmal.
Jesus wird im Johannesevangelium, Kapitel 1, Vers 1, eben als das Wort bezeichnet. Das zeigt, dass Gott ein Gott ist, der spricht und kommuniziert. Jesus ist in diese Welt gekommen, um als Mensch vollständig zu zeigen, wer Gott ist und um mit uns zu sprechen.
Gerade im Johannesevangelium haben wir deshalb die Besonderheit, dass Jesus ganz persönliche Gespräche mit Frauen führt. Da Frauen grundsätzlich mehr beziehungsorientiert sind als Männer, geht es in diesen Gesprächen ständig um das Thema Beziehung.
In Johannes 2 haben wir rückblickend das Gespräch mit seiner irdischen Mutter Maria betrachtet. Dabei ging es um die Hochzeit zu Kana, also um die Beziehung von Mann und Frau in der Ehe. Jesus war zu dieser Hochzeit eingeladen, und dies zeigt die Grundlage für eine glückliche Ehe: Jesus in der Mitte.
Im Gespräch mit der samaritanischen Frau in Johannes haben wir gesehen, dass es um eine Frau ging, die fünfmal verheiratet war und beim sechsten Mal im Konkubinat lebte. Diese Frau hatte große Nöte. Jesus, als das Wort, spricht zu ihr und verändert ihr Leben grundlegend, sodass sie aus den Nöten der Sünde herauskommen konnte.
Dann haben wir in Johannes eine Frau kennengelernt, die die Ehe gebrochen hatte. Jesus schenkt ihr einen völligen Neuanfang.
In Johannes 11 erzählte man die Geschichte von Lazarus, der gestorben war. Dies war sehr schrecklich für seine zwei ledigen Schwestern, die mit Lazarus, ihrem Bruder, zusammen in einem Haus auf dem Ölberg wohnten. Es ging also um zwei ledige Frauen und darum, wie Jesus in ihr Leben auf eine ganz besondere Weise hineingewirkt und hineingesprochen hat.
Wir hatten eine Beziehung zu dem Herrn, die ganz außergewöhnlich war.
Nun kommen wir zu Johannes 19. Hier geht es wieder um ein Gespräch mit der Mutter Jesu, ähnlich wie in Johannes 2. Es sind also sieben Dialoge, aber nicht mit sieben verschiedenen Frauen. Es gibt eine Verdopplung: Die einzige Wiederholung betrifft Maria, und zwar in der Situation, als Jesus am Kreuz war.
Ich lese aus Johannes 19, zunächst Vers 17:
„Und er trug sein Kreuz hinaus zur Stätte, die Schädelstätte genannt wird, auf Hebräisch Golgatha. Dort kreuzigten sie ihn und zwei andere mit ihm, auf dieser und jener Seite, Jesus aber in der Mitte.“
Nun lesen wir Vers 25:
„Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Kleopas, und Maria Magdalena. Als nun Jesus seine Mutter und den Jünger, den er liebte, dabeistehen sah, spricht er zu seiner Mutter: ‚Frau, siehe, dein Sohn!‘ Dann spricht er zu dem Jünger: ‚Siehe, deine Mutter!‘ Und von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich.“
Danach, da Jesus wusste, dass alles schon vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: „Mich dürstet.“ Es stand nun ein Gefäß voll Essig da. Sie füllten einen Schwamm mit Essig, legten ihn um einen Isop und brachten ihn zu seinem Mund.
Als Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: „Es ist vollbracht.“ Dann neigte er das Haupt und übergab den Geist.
Eine ganz schreckliche Situation: Maria hat ihren erstgeborenen Sohn hier vor sich am Kreuz. Sie wusste um diese Schrecken, um diese schrecklichen Stunden, die einmal kommen würden.
Wenn wir in Lukas 2 nachschlagen, sehen wir, dass etwas mehr als einen Monat nach der Entbindung in Bethlehem Maria und Joseph als Vater und Mutter mit dem Kind nach Jerusalem gingen, um dort den Erstgeborenen darzubringen. Simeon, der offensichtlich ein Priester war – denn Priester mussten dieses Ritual des Freikaufs des Erstgeborenen durchführen – nahm das Kind in seine Arme.
Wir wissen ganz genau, wo das war: an dem Tor der Erstgeborenen. Dieses Tor führte in den innersten Vorhof des Tempels hinein. Vor wenigen Tagen war ich dort mit einer Gruppe von Chinesen und habe ihnen genau gezeigt, wo diese Stelle auf dem Tempelplatz ist, an der das Tor der Erstgeborenen lag.
Ich lese aus Lukas 2, Vers 25: "Und siehe, in Jerusalem war ein Mensch mit Namen Simeon, und dieser Mensch war gerecht und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels. Und der Heilige Geist war auf ihm, und von dem Heiligen Geist war ihm ein göttlicher Ausspruch zuteil geworden, dass er den Tod nicht sehen sollte, ehe er den Christus des Herrn gesehen habe."
Er kam durch den Geist in den Tempel, und als die Eltern das Kind Jesus hereinbrachten – das Hineinbringen war eben das Einführen durch das Tor der Erstgeborenen, um mit ihm nach der Gewohnheit des Gesetzes zu handeln – nahm auch er das Kind auf die Arme, lobte Gott und sprach: "Nun, Herr, entlässt du deinen Knecht nach deinem Wort in Frieden, denn meine Augen haben dein Heil gesehen."
Er wusste ganz genau: Dieses Kind ist der Messias, der nun alle Verheißungen auf den kommenden Retter erfüllen würde. "Dein Heil gesehen, das du bereitet hast vor dem Angesicht aller Völker, ein Licht zur Offenbarung für die Nationen und zur Herrlichkeit deines Volkes Israel."
Joseph und Maria verwunderten sich über das, was über das Kind gesagt wurde. Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: "Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und Aufstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird. Aber auch deine eigene Seele wird ein Schwert durchdringen, damit die Überlegungen vieler Herzen offenbar werden."
Maria durfte erleben, was der Wunsch unzähliger Frauen in Israel aus dem Stamm Juda war: eventuell einmal die Mutter des Messias zu werden. Darum wird der Messias in Daniel 11, Verse 36 bis 39, erwähnt, wo es um den Antichristen geht, der sich über alles hinwegsetzt, was Gott heißt – und eben auch über die Sehnsucht der Frauen.
Die Sehnsucht der Frauen war der Messias, der Gott und Mensch sein sollte. Aber die Sehnsucht war auch, wenn sie nur die Mutter werden dürften. Schließlich wurde Maria aus Nazareth erwählt, niemand anders. Dieses Vorrecht war überaus gewaltig, was in Lukas 1 sehr eindrücklich beschrieben wird.
Doch hier sehen wir, dass dieses Privileg auch mit einem Trauma verbunden war, das sie erleben sollte. Simeon sagt prophetisch: "Auch deine eigene Seele wird ein Schwert durchdringen." Ein Schwert durch die Seele – das ist so schmerzhaft!
Als Mutter den Sohn am Kreuz zu erleben, mit 33 Jahren, das kann nur ein Trauma sein. Es war ja auch ein Trauma für andere Menschen, die das miterlebten. Aber für die Mutter erst recht. Und...
Hier in Johannes 19 sehen wir, dass die Mutter beim Kreuz stand, ebenso weitere Frauen, darunter Maria Magdalena.
In Vers 26 heißt es: Als Jesus die Mutter und den Jünger, den er liebte, dabei stehen sah, spricht er zu seiner Mutter: „Frau, siehe, dein Sohn.“ Das ist beeindruckend. Der Herr hat in den Stunden größter Leiden und Schmerzen noch die Kraft, seiner Mutter beizustehen.
Er gibt ihr Johannes, den Jünger, der ihn am besten kannte und die tiefste Beziehung zu ihm hatte. Im Johannesevangelium nennt sich Johannes wiederholt den Jünger, den Jesus liebte. Damit wollte er nicht sagen, dass der Herr nur ihn liebte und die anderen nicht. Vielmehr war er der Jünger, der sich der Liebe des Herrn in besonderer Weise bewusst war.
Beim letzten Passahmahl, beim letzten Abendmahl, lag Johannes unmittelbar vor dem Herrn. Er hatte offensichtlich den ersten Platz. Danach kam der Herr, dann Judas und so weiter. Petrus saß am letzten Platz an dem Triklinum, einem dreifachen Tisch.
In Johannes 13 heißt es, Johannes lag im Schoß Jesu. Wenn er beim Essen den Kopf nach hinten legte, kam er an die Brust, an das Herz des Herrn Jesus.
Der Herr sagt hier zu seiner Mutter: „Siehe, dein Sohn.“ Mit über zwanzig Jahren adoptiert man normalerweise niemanden mehr. Trotzdem war dies eine Art Adoption. Er sagt der Mutter, dass hier ein Mutter-Sohn-Verhältnis entsteht, und zwar eines, wie es unter Erwachsenen üblich ist. Johannes soll sie auffangen.
Daraufhin sagt Jesus auch zu Johannes: „Siehe, deine Mutter.“ Johannes versteht die Bedeutung dieser Worte. Diese wenigen Worte reichen aus. Von da an nimmt er sie zu sich und unterstützt sie in dieser Zeit des unbeschreiblichen Traumas, das wie ein Schwert durch ihre Seele geht.
Man fragt sich, warum der Herr die Halbbrüder nicht mit der Verantwortung betraut hat. Da waren Jakobus, Judas und auch Schwestern, doch Jesus übergab diese Aufgabe Johannes. Warum?
Ein möglicher Grund ist, dass seine Brüder nicht an ihn glaubten. Ja, sie waren gläubige Juden, aber sie glaubten nicht, dass Jesus der Messias ist. Wo steht das? Wir können dazu kurz in Johannes 7 nachschlagen.
Ich lese ab Vers 3: Da sprachen seine Brüder zu ihm, also zu Jesus Christus: „Zieh von hier weg und geh nach Judäa, damit auch deine Jünger die Werke sehen, die du tust. Denn niemand tut etwas im Verborgenen und sucht dabei, selbst öffentlich bekannt zu sein. Wenn du diese Dinge tust, so zeige dich der Welt.“
Man erkennt hier auch ihre Ambitionen. Das sind die Ambitionen von Ungläubigen, die Ehre und Ruhm von der Welt suchen. Sie sagen: „So zeige dich der Welt.“ Johannes fügt hinzu: „Denn auch seine Brüder glaubten nicht an ihn.“
Der Schreiber, Johannes, der Jünger, den Jesus liebte, berichtet hier von den Brüdern, an denen Jesus vorbeigewählt wurde, um sich seelsorgerlich um Maria zu kümmern. Diese Brüder waren eben ungläubig.
Jakobus wurde gläubig. Biblisch wird bezeugt, dass er im Zusammenhang mit der Auferstehung zum Glauben kam. Danach spielte er sogar eine wichtige Rolle in der Gemeinde. In der Apostelgeschichte wird er als Jakobus, der Bruder des Herrn, erwähnt. Er nahm eine besondere Stellung in der Gemeinde ein, auch im Galaterbrief wird er genannt. Er ist außerdem der Autor des Jakobusbriefes.
Auch ein weiterer Halbbruder, Judas, kam zum Glauben. Er schrieb später den Judasbrief.
Aber damals hat der Herr Maria diesem jungen Mann anvertraut. Es waren zwei Generationen, die sich hier begegneten. Jesus sah in Johannes einen Sohn, und Maria sah in Johannes einen Sohn. Das war etwas sehr, sehr Ungewöhnliches.
Vielleicht gibt es etwas Vergleichbares wie Ruth, die Witwe, die jung verwitwet war und mit ihrer Schwiegermutter, die ebenfalls verwitwet war, aus Moab nach Israel, nach Bethlehem, zurückkehrte. In Ruth 2 wird beschrieben, wie Ruth zufällig auf das Feldstück von Boas kommt und dort arbeitet, um sich selbst zu ernähren. Sie wollte in Israel nicht von Almosen abhängig sein.
Boas erkennt ihr Potenzial und fördert sie. Er nennt sie immer wieder „Bitti“, ein hebräisches Wort für „meine Tochter“. Das macht deutlich, dass sie eigentlich eine Generation jünger war und er sie wie eine Tochter betrachtete. Das Heiraten kam erst später. Zunächst sah er in ihr eine Aufgabe und sprach sie als „Bitti“ an.
Hier zeigt sich das Umgekehrte: Eine Frau der älteren Generation hat einen Sohn, der ihr speziell helfen und beistehen soll.
Es gibt noch etwas höchst Erstaunliches. Wir haben von den Frauen gelesen, die beim Kreuz standen: Maria, die Mutter Jesu; dann Maria, die Frau des Kleopas. Kleopas ist übrigens eine andere Umschrift im Griechischen für den Namen Alpheus. Alpheus wird in Matthäus 10, Vers 3 erwähnt, wo die zwölf Apostel aufgezählt werden: „Jakobus, der Sohn des Alpheus“. Alpheus und Kleopas sind im Prinzip der gleiche Name. Das hebräische „Chelphi“ kann man im Griechischen als Alpheus oder als Kleopas umschreiben. Es sind zwei verschiedene Transkriptionen desselben Namens. Diese Maria war also auch die Mutter eines der Apostel.
Dann gab es noch Maria Magdalena. Aber am Kreuz waren noch mehr Frauen, zum Beispiel Salome. Das können wir kurz in Markus 15 nachlesen, Vers 40: „Es waren aber auch Frauen, die von weitem zusahen, unter denen auch Maria Magdalena war und Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen und von Joses, und Salome, die ihm, als er in Galiläa war, nachgefolgt war.“
Diese Salome wird hier erwähnt, die wir in Johannes nicht erwähnt hatten. Es wird gesagt, dass sie noch weit weg vom Kreuz standen. Im Jahr 2019 ist es schon eine andere Phase: Einige Frauen hatten sich wirklich bis zum Kreuz gewagt. Es war ein Risiko für alle, die sich noch zu dem Gekreuzigten bekannten, verhaftet zu werden. Deshalb sind die Jünger, die Jüngeren, praktisch alle geflohen. Diese Frauen aber waren überaus mutig, dass sie es wagten, bis ans Kreuz zu gehen.
Salome wird auch in Matthäus 27, Vers 55 erwähnt: „Es waren aber viele Frauen dort, die von weitem zusahen, solche, die Jesus von Galiläa nachgefolgt waren und ihm gedient hatten. Unter diesen waren Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus und Joses, und die Mutter der Söhne des Zebedäus.“
Diese Maria, die Frau von Kleopas beziehungsweise Alpheus, war die Mutter von Jakobus, genannt der Kleinere, damit man ihn von einem anderen Apostel namens Jakobus unterscheiden konnte. Außerdem war sie die Mutter der Söhne des Zebedäus, nämlich Jakobus und Johannes. Diese beiden wurden von Jesus unter den ersten Jüngern am See Genezareth berufen.
Nun wissen wir also: Die Mutter der Söhne des Zebedäus wird in Matthäus nicht namentlich genannt, aber in Markus schon, und das ist Salome. Es ist klar, dass die Mutter von Johannes, dem Jünger, den Jesus liebte, Salome hieß. Salome war damals ein sehr verbreiteter Name, ähnlich wie Maria.
Darauf wollte ich hinaus: Johannes stand am Kreuz, und der Herr sagt in Bezug auf seine Mutter: „Sehe deine Mutter.“ Doch seine leibliche Mutter war noch am Leben. Das ist nicht ganz einfach. Wenn Salome sagte: „Ich bin die Mutter von Johannes“, dann musste Johannes quasi eine besondere Aufgabe übernehmen und Maria wie seine eigene Mutter sehen.
Für Maria war es nicht einfach, das zu akzeptieren. Aber der Herr verteilte diese Aufgabe so und gab Maria in dieser schrecklichen Stunde einen ganz besonderen Beistand. Und...
Was ich natürlich jetzt noch weggelassen habe: Warum braucht es Johannes? Dass die ungläubigen Brüder, dass sie diesen Dienst nicht tun sollten, ist klar. Aber bitte, da ist doch noch Joseph. Aber wo ist Joseph? Wie, ja, Joseph – aber der sollte doch Maria in dieser Zeit unterstützen.
Gut, er wird nicht erwähnt, aber du hast schon die richtige Schlussfolgerung gezogen: Er wird tatsächlich nicht mehr erwähnt. Und überhaupt, wenn man die Evangelien betrachtet, insbesondere die drei Jahre des öffentlichen Dienstes des Herrn Jesus, werden die Brüder und Schwestern, also Halbbrüder und Halbschwestern, erwähnt, zum Beispiel in Matthäus 13. Maria wird ebenfalls erwähnt, aber Joseph kommt nie mehr vor.
Das heißt also: Maria hatte damals geheiratet. Wenn das übliche Alter damals im Judentum vor zweitausend Jahren galt – in früheren Zeiten war das Heiratsalter höher, aber vor zweitausend Jahren war es extrem niedrig – dann war es üblich, wie wir aus der jüdischen Literatur wissen, dass ein Mädchen sich mit zwölf verlobte und mit vierzehn heiratete. Ein Junge verlobte sich mit sechzehn und heiratete mit achtzehn. Das war verbreitet.
Wenn das so war, könnte man denken, dass Maria vielleicht fünfzehn oder sechzehn Jahre alt war, als sie den Herrn gebar. Und jetzt sind wir 33 Jahre später. Je nachdem war sie keine fünfzig und verwittert. Das war schon ein schweres Los: Sie war verwittert und musste dann erleben, wie der Sohn, von dem sie wusste, dass er der Messias ist, auf brutalste Weise durch Kreuzigung getötet wurde. Sie erlebte das Leiden aus direkter Nähe. Darum eben diese besondere Aufgabe.
Das ist auch das Rührende. Wir haben ja am Kreuz die sieben Worte des Herrn Jesus. Man muss alle Evangelien zusammennehmen und übrigens den Mehrheitstext berücksichtigen. Denn das Wort „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ fehlt im Minderheitstext von Estland. Aber die Masse der Handschriften bezeugt klar, dass es original ist.
So gibt es dieses Design von sieben Worten am Kreuz. Hier haben wir eines dieser sieben Worte, in denen Jesus sagt: „Frau, siehe deinen Sohn!“ und zu Johannes: „Siehe deine Mutter!“ Dann noch ein weiteres Wort, „Mich dürstet“ in Vers 28. Und das gewaltige Wort, übrigens das Wort Nummer sechs, in Vers 30: „Es ist vollbracht!“ Er neigte das Haupt und übergab den Geist. Und was war das siegreiche Wort? „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist!“
Im Johannes-Evangelium, wo gezeigt wird, dass Jesus das vollkommene Brandopfer ist und alles vollkommen vollendet hat, wird hier das Wort „Es ist vollbracht“ überliefert. Aber eben dieses Wort an Maria, um sie in dieser schrecklichsten Stunde zu stärken, von der sie Jahrzehnte zuvor wusste, dass sie kommen würde.
Man könnte sich fragen, warum er sie nicht schon längst, Monate vorher, so vorbereitet hat und warum er nicht selbst da war, um sie aufzufangen. Aber man sieht auch hier wieder: Der Herr kommt spätestens rechtzeitig. Das kann man so sagen. Für sie ist Johannes quasi wie ein Lichtblick, jemand, der so zuverlässig ist und sie unterstützt.
Dann gehen wir weiter zum siebten Gespräch, und zwar in Johannes 20. Dort geht es um Maria Magdalena.
Ich lese bereits in Kapitel 20, Vers 1: „Am ersten Tag der Woche“ – das ist im Hebräischen die Ausdrucksweise für Sonntag. Am ersten Tag der Woche kommt Maria Magdalena früh, als es noch dunkel war, zur Gruft und sieht, dass der Stein von der Gruft weggenommen ist.
Sie läuft nun zu Simon Petrus und zu dem anderen Jünger, den Jesus lieb hatte. Sie berichtet ihnen: „Sie haben den Herrn aus der Gruft weggenommen, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“
Daraufhin gingen Petrus und der andere Jünger hinaus zur Gruft. Die beiden liefen zusammen, aber der andere Jünger lief voraus, schneller als Petrus. Johannes vermerkt, dass er sportlicher war als Petrus. Er war schneller, aber auch seine Beziehung zum Herrn war sehr stark. Deshalb hatte er die Motivation, schneller zu sein, und kam als Erster zur Gruft.
Man muss sich vielleicht vorstellen, dass es falsch wäre zu sagen, er war sportlicher. Petrus war zu dieser Zeit innerlich völlig zerbrochen. Wenn man innerlich zerbrochen ist, hat man nicht mehr die Energie, sportlich zu sein. Es ist klar, dass der andere Jünger schneller war. Petrus hatte den Herrn verleugnet, er hatte darüber geweint und Buße getan. Aber das Gespräch mit dem Herrn allein hatte noch nicht stattgefunden. Auch das Gespräch vor den Jüngern, in dem der Herr ihn öffentlich vor den anderen wiederhergestellt hat, war noch nicht geschehen. Trotzdem konnte Petrus rennen, was zeigt, dass er den Herrn liebte. Aber eben der andere Jünger war noch schneller.
In Vers 4 heißt es: „Die beiden aber liefen zusammen, und der andere Jünger lief voraus, schneller als Petrus, und kam als Erster zur Gruft.“ Sich vornüberbeugend sieht er die Leinentücher liegen. Doch ging er nicht hinein.
Dann kommt Simon Petrus und folgt ihm. Er geht in die Gruft hinein und sieht die Leinentücher liegen und das Schweißtuch, das auf seinem Haupt war, nicht bei den Leinentüchern liegen, sondern für sich zusammengewickelt an einem Platz.
Dann ging der andere Jünger, der als Erster zur Gruft gekommen war, hinein. Er sah und glaubte – denn sie kannten die Schrift noch nicht, dass er aus den Toten auferstehen musste. Danach gingen die Jünger wieder heim.
Es ist eigenartig, diese zwei Männer wollen sich ganz klar überzeugen, was mit dem Grab geschehen ist. Für sie ist es wichtig, diese Fakten zu sehen. Die Leinentücher liegen dort, also kein Körper, nur die Leinentücher, in die der tote Körper eingewickelt war. Und dann das Schweißtuch, nicht bei den Leinentüchern, sondern schön zusammengelegt an einem separaten Ort.
Jeder, der ein bisschen etwas von Kombination versteht, merkt: Sie haben ihn aus der Gruft weggenommen. Das war also irgendeine Überfallaktion. Dann legt man nicht mehr das Schweißtuch schön zusammengelegt an einem separaten Ort hin. Da muss alles schnell gehen.
Darum sind diese Fakten sehr aufschlussreich für die beiden gewesen. Sie können jetzt noch nicht einordnen, was wirklich geschehen ist, aber das war für sie wichtig.
Hier meine ich, dass Männer eher sachbezogen sind, während Frauen eher beziehungsorientiert sind. Für die Männer war es schon befriedigend, diese Fakten sammeln zu können.
Aber da ist Maria auch wieder, Maria Magdalena, in Vers elf. Jetzt kommen wir zu unserem Thema: Maria aber stand bei der Gruft draußen und weinte.
Sie sagt ja, sie haben den Herrn aus der Gruft weggenommen (Vers 2). Für sie ist es nicht einfach ein Durcheinander zu sehen, dass das Schweißtuch schön zusammengelegt ist. Nein, für sie bedeutet das einfach, der Herr ist nicht da, und sie weint.
Als sie nun weinte, bückte sie sich vornüber in die Gruft und sah zwei Engel in weißen Gewändern sitzen – einen zu dem Haupt und einen zu den Füßen, da, wo der Leib Jesu gelegen hatte. Diese fragten sie: „Frau, warum weinst du?“ Sie antwortete ihnen: „Weil sie meinen Herrn weggenommen haben und ich nicht weiß, wo sie ihn hingelegt haben.“
Es geht ihr einfach um die Beziehung. Es geht ihr nicht um irgendwelche interessanten Fakten im Grab, sondern sie weiß, der Herr ist nicht mehr da, und sie haben ihn weggenommen. Das zeigt etwas von dieser Beziehung, diese Art und von dieser Beziehungsorientierung. Für sie war das so schrecklich.
Es ist irgendwie vergleichbar mit jemandem, der mit einer Irrlehre konfrontiert wird, bei der zum Beispiel behauptet wird, Jesus Christus sei gar nicht das, was man immer gehört hat. Er sei nicht Gott, sondern im Prinzip einfach ein besonderer Mensch gewesen. Es gibt Gläubige, die mit solchen Lehren konfrontiert wurden und irgendwie verwehrt wurden. Sie realisieren, wenn das stimmen würde, dann hätten sie alles verloren. Das wäre ja ein anderer Jesus.
So kann ein Gläubiger in eine Glaubenskrise kommen, in der er das Gefühl hat, er habe den Herrn nicht mehr, er sei nicht da, er habe ihn verloren. Und darum weint sie einfach nur noch. Aber...
Dann geht es weiter in Vers 14: Als sie dies gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen. Sie erkannte jedoch nicht, dass es Jesus war. Ihre Sicht war offenbar getrübt.
Jesus spricht zu ihr: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ Sie glaubt, es sei der Gärtner, und antwortet ihm: „Herr, wenn du ihn weggetragen hast, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast, und ich werde ihn holen.“
Interessant ist hier die Frage, warum bei dem Grab ein Gärtner sein sollte. Sie denkt, dieser Mann sei der Gärtner.
Wir müssen dazu kurz in Kapitel 19, Vers 41 nachschauen. Dort heißt es: „An dem Ort, wo er gekreuzigt wurde, war ein Garten, und in dem Garten eine neue Gruft, in die noch nie jemand gelegt worden war. Dorthin nun legten sie Jesus wegen des Rüsttags der Juden, weil die Gruft nahe war.“
Also sehen wir hier, dass bei der Kreuzigung ein Garten war. Die Gruft, das Grab, das Joseph von Arimathäa zu Lebzeiten aus dem Felsen hatte hauen lassen, war ebenfalls dort.
Es ist also klar: Die Kreuzigung geschah außerhalb der Stadt. In Kapitel 19, Vers 17 hatten wir gelesen: „Und er, sein Kreuz tragend, ging hinaus zu der Stätte, genannt Schädelstätte.“ Das war also außerhalb der Stadt.
Das bestätigt auch Hebräer 13, Vers 12: „Darum hat auch Jesus, damit er durch sein eigenes Blut das Volk heiligte, außerhalb des Tores gelitten.“
Jerusalem hatte mehrere Tore. Warum steht hier „außerhalb des Tores“? Es gab ein Stadttor, das direkt hinausführte nach Golgatha. Dort befand sich vor 2000 Jahren ein Steinbruch, ein ausgedienter Steinbruch.
Dort blieb ein Felsblock von etwa zwölf Metern Höhe übrig. Das Steinmaterial war zu weich, um als Baumaterial verwendet zu werden. Deshalb begannen die Römer, in diesem Steinbruch zu kreuzigen.
Dieser Ort lag an einer viel frequentierten Straße, die vom Gennad-Tor Jerusalems ausging. Erstaunlich ist, dass dieses Gennad-Tor nach dem Sechstagekrieg wieder ausgegraben wurde.
Nach dem Sechstagekrieg, als die israelische Armee die Altstadt und den Tempelberg eroberte, herrschte zunächst Schrecken, als man ins jüdische Viertel zurückkehrte.
1948/49 hatte die jordanische Armee mit ihren Verbündeten alle Juden dort getötet oder zur Flucht getrieben. Das Viertel wurde „judenrein“ – um einen Ausdruck der Nazis zu verwenden.
Die Jordanier trennten die Altstadt durch eine Mauer von der Neustadt ab. Kein Jude durfte mehr dorthin gehen. Das jüdische Viertel wurde schändlich verwüstet.
Zum Beispiel wurde die gewaltige alte Synagoge aus dem Mittelalter, die Churwa-Synagoge, stark beschädigt. Auch weitere Synagogen wurden entweiht, indem man sie in Ställe oder Toiletten umfunktionierte.
Das war wirklich eine Katastrophe.
Nach dem Sechstagekrieg kehrte man am dritten Tag ins jüdische Viertel zurück. Man fragte sich, wie man vorgehen sollte. Bevor man wieder aufbaute, wollte man archäologische Untersuchungen durchführen.
So konnte vieles ausgegraben werden, was sonst nie hätte entdeckt werden können, da Häuser oft ein Problem für Archäologen sind.
Diese Möglichkeit wurde genutzt, und man fand phantastische Dinge – unter anderem das Gennad-Tor, das hinausführt nach Golgatha.
„Gennad“ bedeutet auf Deutsch „Gartentor“. Im Johannes-Evangelium lesen wir, dass dort draußen, in Golgatha, eben ein Garten war.
Deshalb meinte Maria, es sei der Gärtner.
Wieder geht es ihr darum: „Herr, wenn du ihn weggetragen hast, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast.“ Sie möchte einfach den Herrn haben und bei ihm sein. Und...
Dann kommt die große Wende. Jesus spricht zu ihr: „Maria.“ Ein Wort. Sie wendet sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: „Rabbuni.“ Das heißt „Lehrer“.
Das ist ganz interessant: Mit den Augen hat sie ihn, den Verwandten, nicht erkannt. Aber in dem Moment, in dem er ihren Eigennamen ausspricht, erkennt sie auch seine Stimme. Es ist einfach so, dass eines der wichtigsten Wörter in unserem persönlichen Vokabular unser Eigenname ist.
Man kann irgendwo sein, es kann laut sein, viele Leute reden gleichzeitig, und plötzlich hört man seinen eigenen Namen. Dann reagiert man, oder? Das ist tief in der Seele verankert, der Eigenname. Darum ist es für Gott auch so wichtig, uns bei unserem Namen zu rufen.
Schlagen wir die bekannte Stelle in Jesaja 43 auf. Jesaja 43, Vers 1: „Und nun, so spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und der dich gebildet hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“
Hier sehen wir, wie wichtig es für Gott ist, uns bei unserem eigenen Namen zu rufen. Und genau so spricht der Herr zu ihr: Maria.
Übrigens: Maria ist dasselbe wie Miriam. Warum? Im Althebräischen hat man nicht „Miriam“ gesagt, sondern „Mariam“. Zur Zeit des Alten Testaments, wenn der Name Miriam vorkommt, wurde er als Mariam gelesen.
Im Mittelalter begannen die Masoreten, Punkte und Striche in die Bibel einzufügen, um zu zeigen, wie man den alttestamentlichen Text aussprechen muss. Denn im Hebräischen schreibt man nur die Konsonanten. Wer die Sprache beherrscht, kann die Konsonanten lesen und die Vokale richtig einsetzen.
Aber in späterer Zeit, als viele Juden das Hebräisch verloren hatten, ergänzten die Masoreten die Vokale mit Punkten und Strichen. Sie vokalisierten „Mirjam“. Das war ein sprachgeschichtlicher Wandel. Die Sprache ändert sich ständig. So wechselte die Aussprache von Mariam zu Miriam.
Dasselbe gilt für die Verkürzung von Namen, so wie wir heute auch Namen abkürzen. Statt Markus sagt man Mark. Ebenso wurde Maria als Kurzform verwendet. Es ist im Prinzip derselbe Name.
Jesus spricht also zu ihr: Maria. Das ist noch die alte Vokalisierung entsprechend Mariam, nicht Mirjam. Die Aussprache Mirjam wurde erst in den folgenden Jahrhunderten im Hebräischen üblich.
Sie wendet sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: „Rabbuni.“ Was bedeutet „Rabbuni“? Lehrer? Ja, das wird auch von Johannes erklärt. Er übersetzt nämlich, dass es „Lehrer“ heißt. Das hat nicht Maria selbst gesagt, sondern Johannes fügte es hinzu, um zu erklären.
Was hat sie gesagt? Meister, Lehrer, Lehrmeister? Es ist so: Wie sagt man auf Hebräisch Rabbiner? „Rav“. Das ist das normale Wort für Rabbiner.
Dann gibt es die Form „Rabbi“, die einfach ein „i“ an „Rav“ anhängt. Man spricht das „v“ nicht mehr weich als „w“ aus, sondern als „b“. Rabbi heißt eigentlich „mein Großer“.
„Rav“ heißt „Großer“, „Rabbi“ heißt „mein Großer“, also mein Großer, Lehrer oder Lehrmeister. Es gibt eine Abstufung: Jemand, der einfach „Rav“ genannt wird, ist ein Bibellehrer. „Rabbi“ ist schon eine höhere Stufe.
Im Hebräischen gibt es noch eine höhere Stufe: „Rabbuni“ oder „Rabbuni“, je nach Aussprache. Das ist ein noch höherer Titel.
In den Evangelien finden wir, wie die Menschen den Herrn Jesus „Rabbi“ genannt haben. Maria benutzt hier den noch höheren Titel. Das ist also das Höchste, was man als Rabbiner haben konnte: „Rabbuni“ genannt zu werden. Aber...
Ganz wichtig: Der Herr Jesus hat gesagt, dass die Jünger sich nicht mit solchen geistlichen Titeln ansprechen lassen sollen. Es wäre daher völlig falsch, wenn wir uns solche Titel zulegen würden.
Es gibt Menschen, die messianische Gemeinden gegründet haben und sich selbst Rabbi nennen. Sie sagen nicht Pastor, sondern lassen sich Rabbi nennen. Das steht in deutlichem Widerspruch zu Matthäus 23.
Jesus sagt dort: „Lasst euch nicht Rabbi nennen, denn einer ist euer Lehrer.“ Können wir das kurz nachschlagen? Jesus greift in diesem Kapitel die Pharisäer an. In Vers 6 heißt es unter anderem:
„Sie lieben den ersten Platz bei den Gastmählern und die ersten Sitze in den Synagogen, die Begrüßungen auf den Märkten und von den Menschen ‚Rabbi, Rabbi‘ genannt zu werden.“
Jesus fordert: „Ihr aber lasst euch nicht Rabbi nennen, denn einer ist euer Lehrer, ihr alle aber seid Brüder.“
Interessanterweise nennt Maria Magdalena den Herrn nicht nur Rabbi, sondern Rabbuni. Das zeigt ihre besondere Wertschätzung für das, was sie von ihm gelernt hat.
Was war ihr Hintergrund? Wir wissen nicht viel über Maria Magdalena, aber was wissen wir von ihr? Und zwar, was für eine kleine Vergangenheit sie hatte.
In Lukas 8, ab Vers 1, steht:
„Und es geschah danach, dass er nacheinander Stadt und Dorf durchzog, in dem er predigte und das Reich Gottes verkündigte. Und die zwölf waren bei ihm, und einige Frauen, die von bösen Geistern und Krankheiten geheilt worden waren: Maria, genannt Magdalene, von der sieben Dämonen ausgefahren waren, und Johanna, die Frau Chuzas, eines Verwalters des Herodes, und Susanna und viele andere Frauen, die ihm mit ihrer Habe dienten.“
Der Herr reiste also durchs Land in einer ganzen Reisegesellschaft. Dabei waren unter anderem diese zwölf Männer, die Jünger, aber auch einige Frauen, die lernten und Jüngerinnen waren. Das war damals sehr ungewöhnlich. Denn die, die lernten, waren eben die Jünger.
Auf Hebräisch sagt man für Jünger „Talmid“. Das ist das normale Wort für Schüler oder Student. Ein Jünger ist also ein Student, der nicht nur fachlich lernt, sondern sich auch am Vorbild des Lehrers orientiert. Jesus hat Männer und Frauen im Wort unterwiesen und gegründet.
Es ist wichtig, dass Männer und Frauen die Heilige Schrift studieren und sie wirklich durch und durch kennen, immer mehr. Und da war also diese Maria. Wir sehen, dass sie eine unglaubliche Dankbarkeit hatte.
Der Herr hatte sie von einer sehr starken, okkulten, dämonischen Bindung befreit – von Dämonen. Das führte dazu, dass sie, wie auch andere Frauen, ihm mit ihrer Habe diente. Sie unterstützte also finanziell die Arbeit des Herrn, lernte von ihm und war sehr dankbar.
Darum hatte sie eine so tiefe Beziehung zu Jesus. Sie war todunglücklich, als sie dachte, man habe ihren Herrn weggenommen.
Und jetzt ist er da. Maria wendet sich um und spricht zu ihm, wie wir in Johannes 20, Vers 16 lesen:
„Jesus spricht zu ihr: Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater.“
Wir merken, dass die Bibel anders geschrieben ist, als wir selbst schreiben würden. Wir haben alle die Tendenz, Dinge so zu beschreiben, wie man sie in einem Roman beschreibt: ausführlich, mit vielen Details, die oft gar nicht wichtig sind. Stimmungsbilder werden durch Worte allmählich aufgebaut.
Die Bibel gibt ebenfalls Stimmung wieder, aber alles sehr knapp und nur das, was nötig ist. Darum steht hier nicht, dass Maria zu dem Herrn hinging und ihn an den Füßen festhielt. Es wird einfach gesagt: „Rabbuni“. Der Herr antwortet: „Rühre mich nicht an.“ Doch dahinter steckt einiges.
Wir müssen uns immer vorstellen, dass das Ganze dynamisch ist, aber ganz knapp und kurz beschrieben wird. Das Alte Testament macht schon klar: Der Weise macht nicht viele Worte. So ist das Wort Gottes kurz und knapp, kein Wort zu viel. Aber das, was da steht, ist ganz wichtig.
Nun die Frage: Warum sagt der Herr „Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater“? Warum sollte sie ihn nicht berühren?
Wir wissen, dass Maria, die Schwester von Lazarus, in der Passionswoche am Mittwoch den Herrn auf dem Kopf und auf den Füßen gesalbt hat und sie mit ihren langen Haaren getrocknet hat. Das war alles rechtens.
Warum sagt der Herr nun zu Maria Magdalena „Rühre mich nicht an“? Ein Gedanke dazu: Die Frage kommt ständig. Jesus hat ja einen Auferstehungsleib. Natürlich ist der Leib, der im Grab war, auferstanden und erweckt worden. Und jetzt sagt der Herr „Rühre mich nicht an“. Aber dann hätte ich eine Gegenfrage: Wenn man den Auferstehungskörper nicht berühren sollte, warum sagt der Herr ein paar Verse weiter, in Johannes 20,26:
„Und nach acht Tagen, also wieder am ersten Tag der Woche, am Sonntag, waren seine Jünger wieder drinnen, und Thomas war bei ihnen. Da kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, steht in der Mitte und spricht: ‚Friede euch!‘. Dann spricht er zu Thomas: ‚Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände. Reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite. Sei nicht ungläubig, sondern gläubig.‘“
Der Herr ermutigt ihn also, den Körper zu berühren, sogar in die noch sichtbaren Wunden des Auferstehungskörpers hinein.
Maria wollte ihn festhalten, weil sie ihn schon erkannt hatte. Thomas musste ihn auch fast so gut sehen wie Maria. Darum wollte sie ihn festhalten, weil sie wusste, wer er ist. Und er sagt: „Rühre mich nicht an.“
Die Antwort liegt hier im Griechischen. Mit einer guten Übersetzung wie der Elberfelder kommt man dem griechischen und hebräischen Grundtext unglaublich nahe. Ich staune immer wieder, wenn ich das Mittelgriechische oder Hebräische lese, wie treffsicher die Elberfelder ans Original heranführt.
Aber es gibt einzelne Stellen, da ist es wichtig, noch mehr Erklärung zu geben. Im Deutschen ist es nicht immer klar, und darum wird die Frage auch ständig gestellt: Warum durfte Maria ihn nicht berühren?
Im Griechischen gibt es drei Befehlsformen, also Imperative. Im Deutschen kennen wir nur den Imperativ. Im Griechischen gibt es den Imperativ-Aorist, den Imperativ-Perfekt und den Imperativ-Präsens. Diese Formen drücken unterschiedliche Nuancen aus.
Zum Beispiel kann man unterscheiden, ob ein Befehl einmalig oder wiederholt ausgeführt werden soll. Hier haben wir eine durative Befehlsform, aber verneint. Das bedeutet nichts anderes als „Stopp, hör auf!“
Maria hatte ihn also schon berührt, und wenn er sagt „Rühre mich nicht an“, heißt das eigentlich „Hör auf, mich zu berühren!“
Dann sagt er: „Denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater.“ Sie dachte, jetzt lebt der Messias, er ist auferstanden. Man hätte erwarten können, dass er nun die Herrschaft über die Welt antritt und den Thron in Jerusalem besteigt. Aber er sagt: Nein, der Plan ist ganz anders. Er geht zurück zum Vater.
Er wird erst viel später wiederkommen als König über alle Könige und dann den Thron in Jerusalem besteigen. Also noch nicht jetzt.
Maria musste lernen, dass der Messias nicht mehr als Mensch bei den Jüngern und Jüngerinnen bleiben wird. Er muss zurück in den Himmel gehen und wird später von dort wiederkehren.
Darum sagt der Herr: „Ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. Das muss jetzt geschehen.“
Dann sagt er weiter: „Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott.“
Das ist ganz speziell. Jesus sagt: „Ich fahre auf zu meinem Vater“, und dieser Vater ist auch euer Vater. Das ist sehr wichtig.
Im Hebräischen heißt „mein Vater“ „Avi“. Im Judentum lernt man, dass man Gott nie „Avi“ nennen darf, also „mein Vater“. „Unser Vater“ ist erlaubt, zum Beispiel im Gebet „Avinu shebashamayim“ – unser Vater, der du bist in den Himmeln.
Vater ist hier im Sinn von Schöpfer gemeint, so wie es in Jesaja heißt: „Du bist unser Vater und unser Bildner.“ Gott hat uns als Schöpfer geformt.
Jesus aber kennt Gott von Ewigkeit her als den ewigen Vater und nennt ihn deshalb „Avi“. Darum sind die jüdischen Führer in Johannes 5 schockiert, als Jesus den Vater seinen eigenen Vater nennt. Sie sagen, er habe sich gottgleich gemacht.
Sie haben verstanden, dass „Avi“ quasi bedeutet: Er ist Gott gleich. Das haben sie nicht akzeptieren wollen.
Jesus sagt: „Ich fahre auf zu meinem Vater, zu Avi, und das ist euer Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott.“
Das bedeutet: Er nimmt die Gläubigen, die ja Kinder Gottes sind, in dieselbe Beziehung hinein, sodass sie den Vater so kennen dürfen, wie er ihn als ewiger Sohn kennt.
Diese Botschaft gibt er einer Frau. Er sagt ihr nicht, sie soll in der Gemeinde predigen – das ist nach 1. Timotheus 2,11-14 nicht erlaubt. Aber er gibt ihr den Auftrag: „Geh zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen.“
Es gibt nicht nur die Gemeindezusammenkunft, wo man predigen kann, sondern auch alle Beziehungen, die wir miteinander haben, und spezielle Zusammenkünfte wie Jugendgruppen, Frauenfrühstück und Generationen-Anlässe.
Das sind keine offiziellen Gemeindetreffen, und dort dürfen Frauen sprechen.
Maria hat diesen Auftrag: „Geh zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen.“
Diese wunderbare Beziehung zu dem ewigen Vater, dieselbe Beziehung, die Jesus hat, soll sie den Jüngern weitergeben.
Jesus nennt die Jünger „meine Brüder“. Das ist sehr speziell, denn das ist im Prinzip die Erfüllung von Psalm 22. Dies können wir zum Schluss noch kurz aufschlagen.
Psalm 22 beschreibt prophetisch die Kreuzigung und spricht anschließend auch von der Auferstehung. Die Leiden des Herrn am Kreuz werden in Psalm 22, ab Vers 2 bis einschließlich Vers 22, dargestellt. Dort ruft der Herr noch am Kreuz: „Rette mich aus dem Rachen des Löwen!“
Dann wendet sich das Bild: „Ja, du hast mich erhört von den Hörnern der Büffel. Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern; inmitten der Gemeinde will ich dich loben.“
Der auferstandene Messias will also inmitten der Gemeinde den Lobgesang in den Herzen der Gläubigen anstimmen. Und er sagt: „Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern.“ Welchen Namen?
Genau das ist die Erfüllung, die Maria Magdalena zum ersten Mal umsetzen durfte. Sie sollte zu den Brüdern gehen und ihnen den Namen Gottes verkündigen. Diese einzigartige Beziehung wird im Neuen Testament auch anders genannt. Anstatt „Avi“ heißt es „Abba“. Jesus hat den Vater „Abba“ genannt. Im Judentum lernt man, dass man Gott in den Gebeten nicht „Abba“ nennen soll. Das sei zu intim, zu nahe, eine zärtliche Ausdrucksweise für Vater.
Doch Römer 8 und Galater 4 sagen, dass wir jetzt durch den Heiligen Geist Gott „Abba“ nennen dürfen. So wie Jesus in Markus 14 in Gethsemane sagt: „Abba, Vater, alles ist dir möglich.“
Diese Beziehung sollte eine Frau leben, die sehr beziehungsorientiert war, den Herrn wirklich brennend liebte und eine völlige Herzenshingabe zeigte – aus Dankbarkeit für all das, was der Herr an ihr getan hatte. Damit wurde sie auch für die Gemeinde ein großer Segen.
Maria Magdalena kommt und verkündet den Jüngern, dass sie den Herrn gesehen hat und dass er ihr dies gesagt habe.
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