
Wir kommen jetzt zum Hohenlied, zweite Seite auf dem Skript. Salomo schrieb tausendfünf Lieder, so steht es in 1. Könige 5. Das schönste aller Lieder nannte er das Lied der Lieder, hebräisch Shir haschirim. Das ist die hebräische Art zu sagen, dass etwas das Höchste ist – das Lied der Lieder, das schönste Lied.
Der junge König beschreibt in diesem Lied seine in jeder Hinsicht erfüllte Liebesbeziehung zu Sulamit. Das ist für uns ein Wortspiel: Er heißt Salomo, hebräisch Shlomo, was Frieden bedeutet. Sie heißt Sulamit, hebräisch Sulamit, was ebenfalls Frieden heißt – also die Frau des Friedens, der Mann des Friedens.
Der junge König beschreibt in diesem Lied seine in jeder Hinsicht erfüllte Liebesbeziehung zu Sulamit, seiner jung vermählten Ehefrau. Das Buch beschreibt nicht die Verlobungszeit – das ist ganz wichtig, dass man das festhält –, sondern die eheliche Intimität. Natürlich wird das Wort „Braut“ immer wieder gebraucht. Das hebräische Wort „Kalla“ bedeutet jedoch auch die jung vermählte Braut.
Das Hohelied hat vier verschiedene Bedeutungsebenen. Zuerst einmal ganz wörtlich.
Das ist auch der Grund, warum die Rabbiner Personen unter dreißig Jahren verboten haben, das Buch zu lesen. Dieses Verbot ist allerdings kein biblisches Verbot. Die Rabbiner haben sich etwas dabei gedacht: Sie wollten verhindern, dass das Buch missbraucht und unwürdig verwendet wird. Mit dreißig gilt man im Judentum als wirklich erwachsen, eigentlich schon ab fünfundzwanzig, da ist auch die Stimme ausgereift. Bis 25 ist die Stimme noch nicht vollständig entwickelt. Die Rabbiner haben also aus Vorsicht bis zum Alter von dreißig Jahren das Lesen untersagt, um einen Missbrauch zu vermeiden.
Wörtlich beschreibt das Hohelied die eheliche Liebe zwischen Salomon und Sulamit. Es ist ein Lob auf die Ehe und die Schönheit dieser Beziehung auf allen Ebenen – in der körperlichen und seelischen Einheit. Ganz im Sinn von Hebräer 13,4: „Die Ehe sei geehrt in allem.“ Das heißt, in allen Aspekten, eben auch in dem, was gerade im Hohelied beschrieben wird. Die Ehe soll unbefleckt sein, aber Hurerei und Ehebruch wird Gott richten. Hier wird ganz deutlich gezeigt, dass alles, was Gottes Gedanken über die eheliche Liebe zerstört, unter Gottes Gericht fällt.
Das Hohelied ist indirekt eine Verurteilung aller Verdrehungen der göttlichen Gedanken: voreheliche Beziehungen, die die Bibel als Hurerei bezeichnet, Ehebruch, Polygamie, Zölibat, das Verbot der Ehe, Homosexualität und so weiter. Das Hohelied betont einfach das Schöne der ehelichen Sexualität. Dies steht im Kontrast zu allem Schmutz auf diesem Gebiet. Es ist ein wohltuender Gegensatz zu dem, was in unserer Gesellschaft überall unflätig angeboten wird.
Die Sexualität wird in einer blumigen Sprache der Reinheit beschrieben und vermeidet alles Derbe und Widerliche. Man kann sagen, das Hohelied ist eigentlich eine Ausdeutung von 1. Mose 2,24. Ich schlage das gerade auf: Dort wird beschrieben, wie Gott die Ehe eingesetzt hat. Er hat sie erfunden und einen Mann und eine Frau zum Ehepaar zusammengeführt. Nachdem dies beschrieben ist, sagt Mose, inspiriert durch den Heiligen Geist: „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden ein Fleisch sein.“ Genau dieses wird im Hohelied beschrieben.
Wichtig ist gerade in diesem Satz, den Mose so klärend hinzufügt: Man muss die Eltern verlassen. Das ist tatsächlich ein Problem, das in der Seelsorge immer wieder auftaucht. Männer – und es betrifft auch Frauen – haben sich oft nicht von den Eltern gelöst. Das bringt nur Probleme. Es ist also ein ganz wichtiger göttlicher Grundsatz, den man beachten muss. Es braucht eine Ablösung, eine Distanz. Dann entsteht aber eine ganz neue Beziehung und Nähe zu den Schwiegereltern, die wertvoll und schön ist.
Die zweite Ebene ist die Übertragung auf Israels Geschichte.
Im Hohen Lied findet sich eine gleichnishafte Beschreibung der Geschichte Israels, beginnend bei Abraham bis hin zum tausendjährigen Reich des Messias. Die Verse und Kapitel folgen dabei dem Ablauf der gesamten Geschichte Israels.
Dann gibt es aber noch eine dritte Ebene, und sehen wir, das ist eben Gottes Weisheit. Er kann ein Buch schreiben lassen, das auf allen Ebenen so komplex ist. Das stimmt, und es erinnert an neuere Erkenntnisse aus der Genetik.
Es war ja schon ein großer Schritt, überhaupt herauszufinden, dass das Erbgut mit vier Basen auf dem DNA-Strang aufgeschrieben ist. Also vier Basen, vier Buchstaben, und in welcher Reihenfolge sie vorkommen, bedeutet immer etwas Bestimmtes. In jeder meiner Zellen ist im Zellkern in der DNA beschrieben, wie man Milch baut, bei einem Krokodil, wie man ein Krokodil baut, und bei einer Erbse, wie man eine Erbse baut.
Man hat gesehen, dass diese Informationen in der Zelle abgelesen werden. Neuere Erkenntnisse zeigen jedoch, dass manchmal die Ablesung „springt“ – nicht von Anfang an, sondern zwischendurch. Dann bedeutet es etwas anderes, und das wird in der Zelle umgesetzt.
Was wäre das für ein Buch? Es wäre so, als würde ich eine Geschichte schreiben, die man versteht, wenn man vom ersten Buchstaben an liest. Aber jemand setzt bei Buchstabe 101 ein, und es entsteht eine ganz andere Geschichte. Das ist fantastisch! So ist das auch mit dem Hohen Lied.
Darum gibt es eine dritte Ebene: die Übertragung auf den Überrest Israels. Der gläubige Überrest wird ja nach der Entrückung der Gemeinde zum Glauben kommen. Zuerst 144.000, die evangelisieren werden, und dann in der großen Drangsal im Land wird sich ein Drittel der Bevölkerung dem Herrn in größter Not zuwenden.
Das wären nach den heutigen Zahlen bereits zwei Millionen Menschen. Wir können also sagen: Mehr als zwei Millionen werden umkehren. Dieser gläubige Überrest wird im Hohen Lied beschrieben als Sulamit, und Salomo ist eben der Messias.
Genau so gilt das eigentlich schon für die Geschichte Israels, die zweite Ebene. Dort ist ebenfalls Sulamit Israel, und Salomo der Messias beziehungsweise Gott, der Bundesgott Israels.
Drittens gibt es die Übertragung auf den Überrest Israels. Die Gläubigen aus dem Volk Israel werden sich nach der Entrückung mit dem Messias, Jesus, verbinden – so wie Sulamit mit Salomo verbunden ist.
Und dann gibt es eine vierte Ebene, nämlich die Übertragung auf die Gemeinde. In Epheser 5,22-33 wird dargestellt, dass Christus der Ehemann ist. Dort ist nicht Israel, sondern die Gemeinde die Ehefrau.
Man sollte nicht auf die ungewöhnliche Idee kommen, dass der Herr zwei Bräute hat. Israel ist das irdische Volk Gottes, während die Gemeinde das himmlische Volk Gottes ist.
Man kann auch sagen, Israel ist wie ein Schattenbild, eine irdische Abschattierung der Gemeinde als dem himmlischen Volk Gottes. So ist die Gemeinde als die himmlische Braut das Urbild für die Abschattierung Israels als Braut des Messias.
Und ich möchte als besonderen Höhepunkt aus Kapitel 8 lesen, wo Sulamit sagt: „Lege mich wie einen Siegelring an dein Herz, wie einen Siegelring an deinen Arm.“
Der Siegelring hinterlässt ja einen Abdruck. Doch der Abdruck hier ist nicht aus Ton, sondern im Herzen. Wirklich, Jesus wurde am Kreuz mit einem Speer durchbohrt, wie im Evangelium nach Johannes beschrieben wird. Dieser Stich drückt genau das aus: der Siegelring am Herzen.
Dann spricht Sulamit auch von einem Siegelring an deinem Arm. Der Herr Jesus wurde durch Nägel an der Stelle durchbohrt, wo die Handfläche in den Unterarm übergeht. Das ist die Stelle, an der ein Nagel am besten hält. Dort trifft man auch einen Nerv, der einen der stärksten Schmerzen auslöst, die es gibt, wenn er verletzt wird.
Ja, und da sagt Sulamit: „Wie einen Siegelring an deinem Arm.“ Der Herr wird diese Zeichen tragen, so wie er sie nach der Auferstehung immer noch getragen hat (Johannes 20). Diese Nägelmale und auch die Wunde in der Seite.
Und wenn er wiederkommen wird, lesen wir im Buch Sacharja 12, Vers 10, vom Überrest: „Und sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben, und werden über ihn wehklagen.“
Und darum sagt Sulamit: Die Liebe ist gewaltsam wie der Tod, hart wie der Scheol, ihr Eifer.
Das Wort „Eifer“ ist dasselbe Wort, das auch „Eifersucht“ bedeutet. Was bedeutet das? Der Herr Jesus wollte uns unbedingt haben. Er will uns mit nichts und niemandem teilen, auch nicht mit deinem Handy. Das ist nur ein harmloses Beispiel – oder vielleicht nicht ganz harmlos. Man könnte noch viele weitere Beispiele nennen. Aber der Herr möchte uns nicht teilen mit irgendetwas anderem, auch nicht mit der Sünde, auch nicht mit den Ansprüchen von Satan oder dieser Welt. Er will uns ganz für sich.
Er war bereit, dafür alles zu geben. Darum war seine Liebe gewaltsam wie der Tod. Er gab alles, um uns ganz zu haben, hart wie der Scheol. Ihr Eifer – eben im Sinne von Eifersucht – zeigt, dass er uns mit niemandem teilen will.
Dann heißt es: „Ihre Gluten sind Feuergluten, eine Flamme, Shalhevedja.“ Dieses Wort kommt in der Bibel nirgends sonst vor. Shalhevedja bedeutet „eine Flamme des Ewigen“. Es ist ein spezielles Wort in der Schaf'el-Bildung, das das Flammen und Flattern der Flamme ausdrückt, das Lohen.
Weiter heißt es: „Große Wasser vermögen nicht die Liebe auszulöschen, und Ströme überfluten sie nicht.“ Jesus war am Kreuz und sagt in Psalm 69, dass das Gericht Gottes über ihn gekommen ist wie eine Flut, die ihn überspült hat. Doch auch das Gericht Gottes am Kreuz konnte seine Liebe zu uns nicht mindern oder auslöschen, sodass er vorher aufgegeben hätte. Er ging bis zum Schluss und konnte sagen: „Es ist vollbracht.“
Darum konnte dieses große Wasser seine Liebe nicht auslöschen. Ich denke gerne an Momente, in denen ich bei den Wasserfällen von Iguazu stand. Die Indianer – die Guarani – haben sie so genannt. Iguazu bedeutet in ihrer Sprache „große, große Wasser“. Genau dieser Ausdruck: „große Wasser“ – sie vermögen die Liebe nicht auszulöschen.
Es ist so gewaltig, wenn dort über drei Kilometer das Wasser in die Tiefe stürzt. Ich war früher bei den Niagara Falls, die auch beeindruckend sind. Aber ein amerikanischer Politiker war in Iguazu und sagte: „Poor Niagara Falls, es ist einfach nichts dagegen.“
Dieser gewaltige Eindruck von den großen Wassern zeigt, dass sie die Liebe des Herrn Jesus nicht auslöschen können.
Ja, und so kann uns das Hohelied wirklich eine Hilfe sein, um unsere Beziehung zu dem Herrn Jesus auszudrücken – eine Beziehung, die wirklich eine Herzensbeziehung ist. Natürlich nicht im Sinne davon, dass wir uns individuell als Braut des Herrn bezeichnen oder sehen würden. Kollektiv ist es die Gemeinde, die die Braut ist. Doch die Gefühle und Empfindungen für den Herrn werden durch die einzelnen Gläubigen zum Ausdruck gebracht. Dabei ist das Hohelied eine enorme Hilfe, um die Tiefe der Beziehung zum Herrn wirklich zu erfassen.
Man kann auch eine Beziehung zur Stiftshütte herstellen. Wir haben jetzt drei Bücher von Salomo betrachtet: Prediger, Sprüche und das Hohelied. Der Prediger spricht immer wieder, insgesamt 29 Mal, von allem, was unter der Sonne ist, also unter dem Himmel – auf der Erde, auf der Erde, auf der Erde! Der Vorhof ist der Teil der Stiftshütte, der unter der Sonne steht. Dort befindet sich auch der Altar, ein Bild vom Kreuz, das auf dieser Erde steht, vor den Toren Jerusalems auf Golgatha.
Doch dann muss man hineingehen ins Heiligtum. Dort gibt es einen Raum ohne Fenster, dessen Lichtquelle die Menora ist. Hier sind wir im Zusammenhang mit dem Buch der Sprüche, wo Gott uns sein Licht, seine göttliche Weisheit gibt – sieben Lampen, vollkommenes Licht –, und uns anleitet, wie wir den Weg gehen sollen. Die Priester müssen, bevor sie ins Heiligtum eintreten, immer noch im Waschbecken Hände und Füße waschen. So müssen auch wir uns täglich fragen: Habe ich etwas getan, das nicht richtig ist? Bin ich einen falschen Weg gegangen? Deshalb müssen wir unsere Hände und Füße immer wieder waschen, damit wir in die Gemeinschaft mit dem Herrn eintreten können. Er gibt uns dann sein Licht.
Das Hohelied, auch Shir Hashirim genannt, spricht vom Allerheiligsten, das in der Bibel Kodesch Hakodaschim heißt – das Heilige der Heiligen. Dort haben wir die herzensnahe Beziehung zu Gott, im Allerheiligsten. Und genau das ist das Thema des Liedes der Lieder.
Ja, wir gehen weiter zu Jesaja. Dabei fühle ich mich eigentlich wie ein Esel am Berg. Wie soll man Jesaja in ein paar Sätzen zusammenfassen? Das ist völlig frustrierend.
Gut, im Internet gibt es eine Serie von früheren Bibelschulentagen, die alle Kapitel von Jesaja behandeln. Wir sind Abschnitt für Abschnitt durchgegangen und haben dabei auch gesehen, auf welche Zeit sich die jeweiligen Prophetien beziehen. Das ist ganz wichtig: Wenn man Prophetie studiert, ist es entscheidend, eine Gesamtübersicht zu haben. Nicht nur über Jesaja, sondern auch über Jeremia, Hesekiel, Daniel, die zwölf kleinen Propheten, die Offenbarung und alle prophetischen Abschnitte in den übrigen Büchern.
Diese Übersicht ist Voraussetzung für eine saubere Auslegung der biblischen Prophetie. Fehlt sie, führt das dazu, dass man Dinge nicht richtig einordnet. So entstehen falsche Behauptungen, etwa dass die Entrückung nicht vor der Drangsal, sondern während oder am Ende der Drangsal stattfinde. Das ist alles Ergebnis dieses Chaos. Man muss diese Vorarbeit leisten.
Nun zu Jesaja mit seinen 66 Kapiteln. Ich habe versucht, das Buch Jesaja zusammenzufassen: Es behandelt Gottes Rettung für Israel und die Völker durch den Messias. Schon der Name Jesaja bedeutet „Der Ewige rettet“ oder „Der Ewige ist Rettung“. Tatsächlich behandelt das Buch dieses Thema: Gottes Rettung, nicht nur für Israel, sondern auch für die Völker der Welt.
Dabei wird klar, dass der Messias, also der Herr Jesus Christus, im Zentrum der Prophetie steht. Darum ist Jesaja 53 ein ganz entscheidendes Herzstück des Buches. Aber auch davor und danach wird der Herr Jesus ausführlich beschrieben, wenn man das ganze Buch durchgeht.
Jesaja ist mit 66 Kapiteln das längste und ausführlichste prophetische Buch der Bibel. Es bietet eine besonders umfassende Gesamtschau von Gottes Heilsplan – von den Tagen Jesajas, der etwa 700 Jahre vor Christus lebte, bis zum Friedensreich des Messias und sogar darüber hinaus bis zum neuen Himmel und der neuen Erde.
In den Kapiteln 65 und 66 wird über das tausendjährige Friedensreich gesprochen. Plötzlich taucht in einzelnen Versen auch der neue Himmel und die neue Erde auf. Was dann beschrieben wird, ist das tausendjährige Reich, aber ganz kurz. Quasi als Flash Forward, als Vorausblick, wird sogar der neue Himmel und die neue Erde erwähnt. Das wird im Neuen Testament, in Offenbarung 21,1-8, noch ausführlicher beschrieben.
Weiterhin wird in wunderbarer Weise das erste Kommen des Messias, also des leidenden Messias, sehr ausführlich und detailliert geschildert. Ebenso sein zweites Kommen in Macht und großer Herrlichkeit als König und Richter der Welt.
Es lohnt sich also, das ganze Buch sorgfältig zu lesen. Vieles versteht man zunächst nicht, aber man freut sich an dem, was man verstanden hat, und liest es immer wieder. So ist es in der ganzen Bibel: Der Herr gibt immer mehr Klarheit und Freude.
Eine besondere Freude ist es, ganz speziell die messianischen Prophetien zu lesen, also jene, die auf den Herrn Jesus hinweisen. Das ist so gewaltig und formt unsere Herzen, bildet sie zu ihm hin. Jesaja 53 ist dabei wirklich eine ganz besondere Krone.
Ich behaupte, die meisten Juden, die im Laufe der vergangenen 2000 Jahre zum Glauben gekommen sind, sind durch Jesaja 53 zum Glauben gekommen. Man kann auch sagen, Jesaja 53 hat eine ganz entscheidende Schlüsselrolle bei der Bekehrung gespielt.
Meine Frau warnt mich immer wieder, dass ich ja nicht alle befragt habe. Natürlich, wie sollte ich 300 Juden, die heute leben und bekehrt sind, jeden einzelnen fragen, wie es mit Jesaja 53 war? Aber aus vielen Zeugnissen kommt das immer wieder klar hervor: Das war eine Schlüsselstelle.
Zum Beispiel ein Freund von mir, Jacques Gabisson in Montreal. Er ist in Casablanca aufgewachsen, in einer orthodoxen Familie. Als er Jesaja 53 zum ersten Mal las, sagte er sich: Das hat man uns in die Bibel reingeschmuggelt. Wirklich, beim ersten Lesen spricht es so die Herzen an.
Darum lohnt es sich, wenn man mit Juden zu tun hat, ihnen wenigstens den Hinweis zu geben: Lies Jesaja 53! In der Synagoge wird dieses Kapitel nie vorgelesen, weil es nicht zur Haftarah gehört – dem Leseverzeichnis, das weltweit in den Synagogen genau vorgeschrieben ist. So kommt man durch den Synagogenbesuch nie zu Jesaja 53.
Die Lesung in der Synagoge umfasst die fünf Bücher Mose, die in einem Jahr komplett durchgelesen werden, und dazu bestimmte Abschnitte aus den Propheten. Dort ist ein Abschnitt in 5. Mose, und in der Haftarah heißt es: „Und jetzt Jesaja 52“, aber nicht bis zum Schluss, also nicht bis Vers 11. Am nächsten Sabbat geht es weiter mit 5. Mose, und dann steht in der Prophetenlesung Jesaja 54 ab Vers 1.
Also genau dort, wo es heißt: „Siehe, mein Knecht wird einsichtig handeln, er wird erhoben und erhöht werden und sehr hoch sein, gleich wie sich viele über dich freuen...“ Ab dort wird nicht in Jesaja 54 weitergelesen. Darum lohnt es sich, auf dieses Kapitel hinzuweisen.
Man muss dabei nicht nur an Juden denken. In Apostelgeschichte 8 kommt ein Afrikaner durch Jesaja 53 zum Glauben. Auch Nichtjuden werden von der Prophetie der Bibel angesprochen, besonders von Jesaja 53.
Dort heißt es: „Um unserer Übertretungen willen wurde er verwundet, die Strafe lag auf ihm zu unserem Frieden, und durch seine Striemen sind wir geheilt.“ Es spricht von Heilung von der Sündenkrankheit.
So lohnt es sich, dieses Kapitel auswendig zu lernen und immer griffbereit zu haben.
Wir wenden uns nun Jeremia zu. Jeremia wirkte zur Zeit des Untergangs von Jerusalem im Jahr 586 v. Chr. Bereits in den Jahren davor hatte er das jüdische Volk vor dem Gericht gewarnt. Weil sie nicht auf seine Warnungen hörten, kam die Katastrophe im Jahr 586 v. Chr. Wie Donnerschläge fiel sie über Jerusalem herein. Die Stadt wurde dem Erdboden gleichgemacht und verbrannt. Der Salomonische Tempel wurde in Staub und Asche gelegt.
Jeremia lebte in einer äußerst schwierigen Epoche, in der alles vor seinen Augen zusammenbrach. Das ist interessant, weil es viele Parallelen zu unserer Zeit gibt. Auch heute merken wir langsam, dass eine Stütze nach der anderen zusammenbricht. Die Menschen fragen sich: Wohin führt das? Mit Seuchen, Kriegen, Wirtschaftskrisen und so weiter.
So war es auch zur Zeit Jeremia. Alles brach zusammen, und er lebte in einer Art Endzeit, denn es war das Ende der Zeit des Königreichs von David. Damit ging dieses Königreich unter. Diese Endzeit ist auch ein Bild für unsere Endzeit. Wir leben am Ende der langen Zeit zwischen dem ersten und zweiten Kommen des Herrn Jesus. Das ist die Endzeit – nicht der Weltuntergang, aber die Endzeit. Es gibt viele Parallelen, und von Jeremia können wir lernen.
Er lebte in einer schwierigen Epoche, in der alles vor seinen Augen zusammenbrach, bis schließlich der totale Zusammenbruch kam. Als junger Prophet zum Dienst berufen, erwies er sich dem Herrn gegenüber als treuer Nachfolger, trotz Einsamkeit und vehementem Widerstand. Gottes Wille war, dass Jeremia nicht heiraten sollte. Das hatte nichts mit Zölibat zu tun oder damit, dass er hässlich gewesen wäre. Vielmehr ging es darum, dass er seine ganze Kraft für diese besondere Arbeit einsetzen konnte, für die der Herr ihn vorgesehen hatte.
Das, was Jeremia durchgemacht hätte, hätte seine Frau zerbrochen. So erlebte dieser junge Mann, der nach all den Jahren – jung berufen – schließlich doch ein Alter erreichte, in dem er sich hätte sagen können: Andere heiraten, ich nicht. Er erlebte viel Einsamkeit und vehementen Widerstand wegen seiner Prophezeiungen und Warnungen.
Das Buch Jeremia ist daher eine Ermutigung. Es zeigt, wie der Herr uns durch schwierige Zeiten hindurchführt. Jeremia war ein leuchtendes Zeugnis. Ohne das Buch Jeremia hätten wir ein riesiges schwarzes Loch in der Bibel. Seine Prophezeiungen betrafen große Teile seiner eigenen Zeit. Ihre nachweisbare Erfüllung bestätigte ihn zu seinen Lebzeiten als wahren Propheten des Herrn, dem geglaubt werden kann.
Auch wenn er detailliert über die in ferner Zukunft liegende Wiederherstellung Israels in der Endzeit sprach, war das für seine Zeitgenossen bereits erkennbar. In den dreißig Kapiteln des Buches finden wir eine wunderbare Serie von Prophezeiungen, die die zukünftige Wiederherstellung Israels voraussagen. Ebenso wird die Rückkehr der Juden aus aller Welt zurück ins Land ihrer Vorfahren beschrieben – etwas, das wir heute vor unseren Augen erleben.
Jeremia hat all dies so wunderbar vorausgesagt. Weil seine Prophezeiungen zu seiner Zeit so treffend in Erfüllung gingen, konnten die Menschen damals schon erkennen: Jeremia ist ein Prophet des Herrn. Sein Buch ist kein menschliches Buch, sondern Gottes Wort.
Wir wenden uns nun den Klageliedern zu. Doch bevor wir das tun, möchte ich noch eine Kostprobe aus Jeremia geben. Ich bringe es nicht übers Herz, diese Worte einfach so hinter mich zu lassen.
Jeremia 16,14: "Denn siehe, Tage kommen, spricht der Herr, da nicht mehr gesagt werden wird: So wahr der Herr lebt, der die Kinder Israel heraufgeführt hat aus dem Land des Nordens; so wahr der Herr lebt, der die Kinder Israel aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat."
Doch jetzt, in Vers 15, heißt es: "So wahr der Herr lebt, der die Kinder Israel heraufgeführt hat aus dem Land des Nordens und aus allen Ländern, wohin er sie vertrieben hatte. Und ich werde sie in ihr Land zurückbringen, das ich ihren Vätern gegeben habe."
Früher, wenn ein Israelit schwor, dann schwor er auf den Gott, der in der Geschichte gehandelt hat – nicht auf einen weit entfernten Gott, der irgendwo draußen lebt, sondern auf den Gott, der Israel aus Ägypten herausgeführt hat. Deshalb schwor man: "So wahr der Herr lebt, der die Kinder Israel aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat."
Jeremia sagt jedoch, es wird eine Zeit kommen, da wird man nicht mehr so schwören. Wenn man dann schwört, zum Beispiel vor Gericht – der Herr sagt zwar, wir sollen im Alltag gar nicht schwören, aber es kann sein, dass man vor Gericht eidesstattlich aussagen muss –, dann macht die Bibel einen Unterschied. Dann heißt es: "So wahr der Herr lebt, der die Kinder Israel herausgeführt hat aus dem Land des Nordens und aus allen Ländern, wohin er sie vertrieben hatte."
Das Ereignis des Exodus aus Ägypten wird in der Endzeit durch ein noch größeres Ereignis überhöht: Juden werden gesammelt aus dem Land des Nordens und aus allen anderen Ländern.
Ab 1882 begannen Juden in großen Mengen zurückzukehren ins Land der Väter. Woher kamen sie damals? Aus Russland! Tausende aus Jemen kamen gleichzeitig, sie wohnten dann in Gräbern in der Davidstadt oder bei der Davidstadt. Doch die meisten kamen aus Russland. Das war die erste Welle.
Dann kam die zweite Welle, nachdem die erste 1903 versiegte, im Jahr 1904. Woher kamen sie? Wieder zum großen Teil aus Russland und auch aus anderen Orten. So ging das weiter. Schließlich, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989, kamen eine Million Juden zurück. Das heißt: Mehr als ein Drittel aller Rückkehrer – etwa drei Millionen an der Zahl aus allen fünf Kontinenten – kamen aus dem Land des Nordens, aus Russland, der Sowjetunion, der GUS.
Das wird hier betont: "heraufgeführt hat aus dem Land des Nordens und aus allen anderen Ländern." Man kann auch die aus anderen Kontinenten dazu zählen. Und dann sagt Gott: "Ich werde sie in ihr Land zurückbringen, das ich ihren Vätern gegeben habe." Das erleben wir heute.
Hier erklärt Gott auch, wem das Land gehört – denn die UNO weiß das ja nicht. Es heißt: "in ihr Land."
Vers 16: "Siehe, ich will zu vielen Fischern senden, spricht der Herr, dass sie sie fischen, und danach will ich zu vielen Jägern senden, dass sie sie jagen von jedem Berg und von jedem Hügel und aus den Felsenklüften. Denn meine Augen sind auf alle ihre Wege gerichtet, sie sind vor mir nicht verborgen."
Zwei Phasen: zuerst Fischer, dann Jäger.
Wenn man die moderne Geschichte des Judentums ab 1750 betrachtet – das ist die Neuzeit, darum sage ich moderne Geschichte und nicht vor dreitausend Jahren bis heute –, kann man sie in zwei Perioden einteilen.
Zuerst die Periode der Zionisten. Das waren Autoren und Referenten, die Vorträge hielten, Bücher schrieben und Juden weltweit motivieren wollten: "Kommt, wir kehren zurück ins Land der Väter! Die Reisemöglichkeiten sind heute ganz anders als früher. Das könnte jetzt möglich sein. Wir müssen Industrie aufbauen, Landwirtschaft entwickeln. Das wäre eine Lösung."
Sie sagten: "So können wir die Judenfrage lösen. Wir werden überall gehasst, nur weil wir Juden sind. Also kehren wir zurück!" Manche gingen schon.
Das ging dann bis Basel, 1897, zum ersten Zionistenkongress. Die Stadt Basel spielte eine ganz wichtige Rolle. Dort sagte Herzl bei der Vorstellung: "Wir müssen einen Staat von Juden im Land unserer Väter gründen." Und er sagte in Basel: "Wenn ihr wollt, ist das kein Märchen. Vielleicht in fünf, vielleicht in fünfzig Jahren."
Es waren dann etwa fünfzig Jahre. 1948 wurde der Staat Israel gegründet. Herzl war kein Prophet, er war ein Zionist. Die Zionisten versuchten, die Juden zu motivieren.
Doch was wirklich wirkte, war die Judenverfolgung. Am Ende des 19. Jahrhunderts gab es massive Pogrome in Russland, das heißt Verfolgungen gegen Juden. Das führte dazu: "Jetzt gehen wir, jetzt gehen wir!"
So kam es zur ersten großen Auswanderungswelle. Danach gab es eine zweite Verfolgung, und dann die Hitlerzeit mit erneuter Verfolgung.
Hunderttausende konnten noch fliehen. Mein Kompositionslehrer war damals ein Teenager. Er konnte aus der Tschechoslowakei vor den Nazis fliehen und rettete sich nach Tel Aviv. Dort studierte er später am Konservatorium und wurde Lehrer.
Warum erzähle ich das? Um zu zeigen, wie diese wirkliche Geschichte direkt mit unserem Leben zusammenhängt.
So haben diese Fischer gejagt. Die meisten kamen durch die Jäger. Verfolgung war das Hauptmittel, dass Juden wieder heimkehrten.
Wir haben also viele Fischer, und danach heißt es: "Danach will ich zu vielen Jägern senden." Es war wirklich so: zuerst die Epoche der Zionisten, dann die Epoche der Jäger.
So entstand der Staat Israel wieder.
Zumindest ein bisschen detaillierteres aus Jeremia.
Wir wenden uns den Klageliedern zu, den Klageliedern Jeremias. Wir wissen, dass Jeremia Jerusalem vor dem kommenden Gericht warnte. Da die Mehrheit sich jedoch nicht warnen ließ, kam es im Jahr 586 v. Chr. zum Untergang der Stadt mit unzähligen Toten. Die Babylonier waren so brutal und grausam, dass alles zusammenbrach.
Jeremias Reaktion darauf war nicht einfach Genugtuung. Er hätte sagen können: „Schaut mal, ich habe es euch jahrelang gesagt, und ihr habt nicht gehört. Jetzt geschieht es euch recht.“ Doch nein, der Mann hat geweint. Deshalb durfte er die Klagelieder schreiben. Man nennt ihn auch den „weinenden Propheten“. Dieser Mann hat in seinem Leben sehr viel geweint, und deshalb durfte er das Buch der Klagelieder verfassen.
Man muss daran denken, dass es in der gesamten Heilsgeschichte drei Verwüstungen Jerusalems gibt, die eine ganz besondere, herausragende Bedeutung haben. Im Blick auf all diese drei Katastrophen haben die Klagelieder ihre Bedeutung.
Die Klagelieder beziehen sich direkt auf den Untergang Jerusalems zur Zeit Jeremias. Darüber hinaus haben sie eine prophetische Bedeutung für diejenigen, die später eine weitere Katastrophe erlebten: die Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahr 70 nach Christus wegen der Verwerfung des Messias. Auf dem Skript sind einige Bibelstellen vermerkt, die sich auf diese Zerstörung beziehen: Jesaja 8,14; Daniel 9,26; Lukas 21,20 und folgende, wo der Herr Jesus selbst darüber spricht.
Auch bei dieser schrecklichen Belagerung, bei der über eine Million Menschen umkamen, hatten die Klagelieder eine ganz besondere Bedeutung. Jerusalem weint in diesem Kapitel. Zum Beispiel heißt es in Klagelieder 1,12: „Merkt ihr es nicht, alle, die ihr des Weges zieht, schaut und seht, ob ein Schmerz ist wie mein Schmerz, der mir angetan wurde, mir, die der Herr betrübt hat am Tag seiner Zornblut.“
Man merkt, hier spricht eine Frau, nicht ein Mann. In der Bibel werden Städte oft als Frauen dargestellt. So sprechen wir von der Jungfrau Zion oder von der Jungfrau Babel, weil das Wort „Stadt“ im Hebräischen wie im Deutschen weiblich ist. Deshalb spricht hier diese Frau: „Merkt ihr es nicht, alle, die ihr des Weges zieht, schaut und seht, ob ein Schmerz ist wie mein Schmerz.“ Jerusalem beschreibt, dass der Herr sie für ihre Sünden bestraft hat. Das wird hier klargemacht: Es ist wegen unserer Schuld.
Dieses Buch war natürlich auch in der Zeit der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 für alle, die damals überlebt hatten oder vor der Tötung standen, von großer Bedeutung.
Drittens gibt es die Zerstörung durch den König des Nordens zu Beginn der großen Drangsalzeit. Das wird zum Beispiel beschrieben in Jesaja 29, Joel 2 (das ganze Kapitel sollte man lesen) und Sacharja 14,1-3. Eine Koalition von Völkern aus dem Norden wird Israel zu Beginn der Drangsal vollständig überrennen. In Joel heißt es: „Vor der Armee ist das Land wie der Garten Eden.“ Man muss sich anschauen, wie das Land heute blüht, und überall, wo diese Völker durchgezogen sind, ist es verbrannt.
Der König des Nordens, wie er in der Prophetie Daniels genannt wird, umfasst das Gebiet von Syrien, Libanon, Türkei, Aserbaidschan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan, Pakistan, Iran und Irak. Dort wird eine Front aufgebaut, eine islamische Front gegen Israel, die mit Raketen aufgerüstet ist. Der Iran hat Raketen in Libanon und Syrien stationiert – das ist kaum vorstellbar. Das ist ein Albtraum, und dieser Albtraum wird wahr werden. Aber erst in der Zukunft, wenn die Mehrheit in Israel den Antichristen als Messias akzeptiert, wird Gott die Hand wegnehmen. Dann wird dieser Angriff kommen, und Jerusalem wird in allergrößter Bedrängnis sein.
Doch dann wird der Herr Jesus schließlich auf dem Ölberg erscheinen und den Überrest in Jerusalem befreien, der nicht flieht, wie der Überrest aus Judäa, aus der größten Not. Diese Menschen werden Klagelieder beten können. Darum stehen diese drei Zerstörungen in besonderer Beziehung zum Buch der Klagelieder.
Wenn man zum Beispiel Klagelieder 1,12 liest: „Merkt ihr es nicht, alle, die ihr des Weges zieht! Schaut und seht, ob ein Schmerz ist wie mein Schmerz, der mir angetan wurde“, könnte man sagen, das passt genau zu dem Herrn Jesus am Kreuz. Ja, er war draußen im Steinbruch vor dem Prätorium, und dort führte eine belebte Straße vorbei, auf der die Menschen gingen. Es passt genau. Bei Jerusalem hat er gelitten.
Doch hier spricht Jerusalem von sich selbst, ganz genau so, aber es bezieht sich nicht auf ihn, denn es heißt: „mir, die der Herr betrübt hat am Tag seiner Zornblut.“ Das Buch besteht aus fünf Kapiteln. Bei fünf ist die Mitte das dritte Kapitel. Kapitel drei beginnt mit dem „Mann der Schmerzen“, vertraut mit Leiden und wie einer, vor dem man das Angesicht verbirgt.
Er war verachtet und verlassen von den Menschen, ein Mann, wie er in Jesaja 53 beschrieben wird. Hier sagt er: „Ich bin der Mann, der Elend gesehen hat durch die Rute seines Grimms. Mich hat er geleitet und geführt in Finsternis und Dunkel. Nur gegen mich kehrt er immer wieder seine Hand, den ganzen Tag.“
Vers sieben: „Er hat mich umzäunt, dass ich nicht herauskommen kann. Er hat schwer gemacht meine Fesseln. Wenn ich auch schrei und rufe, so hemmt er mein Gebet. Meine Wege hat er mit Quadern vermauert, meine Pfade umgekehrt. Ein lauernder Bär ist an mir, ein Löwe im Versteck. Er hat mir die Wege entzogen und hat mich zerfleischt, mich verwüstet. Er hat seinen Bogen gespannt und mich wie ein Ziel für den Pfeil hingestellt. Er ließ die Söhne seines Köchers in meine Nieren dringen. Meinem ganzen Volk bin ich zum Gelächter geworden, bin ihr Seitenspiel den ganzen Tag. Mit Bitterkeiten hat er mich gesättigt und mit Wehrmut mich gedrängt, und er hat mit Kies meine Zähne zermalmt.“
Was sagt da ein Zahnarzt dazu? Schrecklich, was da beschrieben wird! Er hat mit Kies meine Zähne zermalmt, er hat mich niedergedrückt in die Asche, und du verstößt meine Seele vom Frieden. Ich habe das Gute vergessen und ich sprach: „Dahin ist meine Lebenskraft und meine Hoffnung auf den Herrn.“
Hier beschreibt der Herr Jesus, wie er im Gericht Gottes stand, weil er unsere Sünden auf sich genommen hatte und sich zur Sünde machen ließ. Da erfahren wir wirklich, was im Herzen des Herrn Jesus am Kreuz war.
In den Evangelien haben wir sieben letzte Worte des Erlösers, die schon viel zeigen. Doch es war noch mehr, was im Herzen des Herrn Jesus war. Das finden wir zum Beispiel hier in Klagelieder 3.
Dann sagt er in Vers 19: „Gedenke meines Elends.“ Er spricht zum Vater „Gedenke!“ Und der Erlöste sagt: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Wir merken, das Abendmahl ist nicht für uns, es ist für den Herrn, es ist sein Wunsch. Für uns ist wichtig, dass wir unser Leben ständig ordnen. Wenn wir es vor dem Herrn geordnet und bekannt haben, dürfen wir in Freimütigkeit kommen und diesen Wunsch erfüllen: „Gedenke meines Elends.“
So finden wir also inmitten der Klagelieder den Mann der Schmerzen, der nicht wie Jerusalem wegen ihrer eigenen Sünden leidet, sondern weil er unsere Schuld zu seiner eigenen gemacht hat.
Das erklärt übrigens Psalm 69, der im Neuen Testament klar als messianischer Psalm ausgewiesen ist. Dort wird klargemacht, was es bedeutet, wenn der Herr Jesus sagt – und damit möchte ich schließen – Psalm 69 beschreibt den Herrn Jesus am Kreuz in seinen Leiden.
In Vers 5 heißt es: „Mehr als die Haare meines Hauptes sind der, die ohne Ursache mich hassen. Mächtig sind meine Vertilger, die ohne Grund mir Feind sind.“ Es wird also klargemacht: Er ist unschuldig. Alle, die ihn hassen, hassen ihn ohne Grund.
„Was ich nicht geraubt habe, muss ich dann erstatten.“ Er ist unschuldig, aber das, was wir an Schaden angerichtet haben, muss er als Schuldopfer am Kreuz zurückzahlen – über den Schaden hinaus.
Dann kommt Vers 6: „Du, o Gott, weißt um meine Torheit, und meine Vergehungen sind dir nicht verborgen.“ Wie geht das zusammen? In Vers 5 ist er schuldlos und bezahlt für andere, und hier spricht er von „meiner Torheit, meinen Vergehungen“. Das ist das Schreckliche von Golgatha: Der Herr Jesus hat sich mit unseren Sünden so eins gemacht, als wären es seine eigenen.
Darum war es für ihn so schrecklich. Im Garten Gethsemane sagte er: „Wenn dieser Kelch an mir vorübergeht, wenn es möglich ist.“ Er wollte nicht eins werden mit der Hässlichkeit unserer Sünde, doch es gab keinen anderen Weg. Gott schlug ihn so, wie wir es gesehen haben: wie ein Bär im Versteck, wie ein Löwe, bildlich seine Zähne mit Kies zermahlen und die Pfeile des Köchers in seine Nieren eindringen.
Dort ist man besonders schmerzempfindlich. Wer Nierenprobleme hatte, weiß das. Es ist grauenhaft, dort Pfeile hineinzubekommen. Der Herr Jesus hat das auf sich genommen, weil der höhere Wille Gottes unsere Rettung war. Deshalb ist er diesen Weg gegangen und war bereit, unsere Sünde auf sich zu nehmen, als wäre es seine eigene Schuld.
Das erklärt diesen schockierenden Vers, den man auch in anderen messianischen Psalmen findet.
Wenn man die Klagelieder liest, bekommen sie eine ganz besondere Bedeutung. Jesus ist immer unser Vorbild im Leiden. Wenn wir von ihm lernen, werden wir immer mehr wie er.
Was wir auch aus den Klageliedern lernen, ist, dass wir, wenn wir andere gewarnt haben und es für sie schief ausgeht, niemals mit Genugtuung reagieren sollten. „Jetzt bin ich befriedigt“ – so etwas gibt es nicht.
Der Herr gibt uns andere Möglichkeiten, wie wir über Frustration und Trauer hinwegkommen, aber nicht durch den üblen Ausdruck „Rache ist süß“. Nein, wir übergeben das dem Herrn. Wir können über die weinen, die in Not geraten, auch wenn sie es verdient haben.
Das lernen wir ebenfalls aus den Klageliedern. Damit wollen wir schließen.
Vielen Dank an Roger Liebi, dass wir seine Ressourcen hier zur Verfügung stellen dürfen!
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