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Assur

Assur, Assyrien, Assyrer. Der Name Assur (so Luther nach dem Hebräischen) bezeichnet im Alten Testament abgesehen von einigen Stellen, wo damit ein Teil der Sinaihalbinsel gemeint ist (siehe → Assuriter), das Land östlich vom mittleren Tigris bis hin zu den medischarmenischen Bergen (Zagrosgebirge); seine Südgrenze war der untere Zab, seine Nordgrenze ging nicht weit über die spätere Hauptstadt Ninive, gegenüber vom heutigen Mosul, hinaus. Es ist aber bezeichnend, dass die älteste Hauptstadt Assur (auch A-usar), die heutige Ruinenstätte Kileh-Schergat, am westlichen Tigrisufer, also in Mesopotamien, dem breiten Steppengebiet zwischen dem mittleren Euphrat und Tigris, lag, was darauf schließen lässt, dass schon früh auch Mesopotamien mit zu Assyrien gehörte.

Assyrien war eine um 2050 vor Chr. gegründete Kolonie Babyloniens; das Gros der Bevölkerung bestand indes aus westsemitischen, erst babylonisierten Einwanderern, deren Hauptgott Aschur oder Aschir (das heißt die männliche Form der Aschera, eine Erscheinungsform des von den Assyrern auch Ai genannten Mondgottes), dann dem aus Babylonien übernommenen Pantheon an die Spitze gesetzt wurde. Der Volkstypus (vergleiche die Denkmäler) ist infolgedessen auch viel reiner semitisch als die viel mit sumerischen Elementen gemischte Bevölkerung des babylonischen Mutterlandes. Auch die Schrift wie überhaupt die ganze Kultur entlehnten sie von den Babyloniern. Da man die babylonische Kultur zunächst aus den assyrischen Abschriften ihrer Literaturdenkmäler und die semitische babylonisch-assyrische Sprache zuerst meist aus den assyrischen Königsinschriften kennen lernte, so nennt man oft die ganze Sprache irrtümlich assyrisch, statt diesen Ausdruck nur auf die speziell assyrischen Inschriften zu beschränken; vollends nicht mehr auszurotten ist der eingebürgerte Name Assyriologie für die babylonisch-assyrischen Sprach- und Altertumswissenschaft.

Die Assyrien bewässernden Flüsse sind (von Norden nach Süden aufgezählt) der kleine, vom Dschebel-el-Maklûb (assyrisch: Maganubba) kommende Choser, der mitten durch Ninive fließt, und der obere und untere Zab — alle drei östliche Rebenflüsse des Tigris. Das Land hat ein kühleres Klima als Babylonien und ist fruchtbar (vergleiche 2Kö 18,32 und Jes 36,17) und wildreich; die von den assyrischen Königen gejagten Löwen werden sich jedoch nur in den Schilfdickichten des Tigris mehr nach der babylonischen Grenze zu gefunden haben. Ein poetischer Name Assyriens war in altbabylonischer Zeit Su-edin oder Su-ri, woraus wohl der Name Syria entstanden ist; wenn die klassische Überlieferung auch in Kleinasien Leuko-syrer kennt, so ist das vielleicht durch die große Zahl von assyrischen (nicht babylonischen) Kontrakttafeln aus der Zeit vor 2000 vor Chr. zu erklären, die beim kappadokischen Cäsarea gefunden worden sind und die bereits den Aschir als Hauptgott aufweisen, also von alten assyrischen (aus Mesopotamien eingewanderten?) Kolonisten herrühren. Später (so zum Beispiel Esra 6,22) wurde Assur missbräuchlich für Persien gebraucht.

Die Geschichte Assyriens lässt sich jetzt bis vor die Zeit der sogen. 1. Dynastie der Stadt Babel, also bis vor 2000 v. Chr., inschriftlich zurückverfolgen. Dabei zeigt sich, daß die biblische Angabe 1Mo 10,11 „aus selbigem Lande (Babylonien) zog er (der Jagdheros Nimrod, das heißt der babylonische Städtegründer Gilgamis) aus nach Assur (so ist zu übersetzen) und gründete Ninive und Rechobot Jr/Ir (eine Vorstadt Ninives) und Kalach (südlich von Ninive) und Resen zwischen Ninive und Kalach“ durchaus auf guter alter Überlieferung beruht; hiebei ist das als Orakelsitz und Kultort der Istar oft in den Inschriften erwähnte ziemlich weit nach Osten zu gelegene Arbela (Arba-ilu, „Viergöttersitz“) wohl absichtlich übergangen. Die meiste Bereicherung hat unsere Kenntnis der ältesten Geschichte Assyriens in dem letzten Jahrzehnt durch die systematisch durchgeführte Ausgrabung der alten Stadt Assur von seiten der deutschen Orientgesellschaft in Berlin erfahren, nachdem schon früher die Engländer und Franzosen durch die Bloßlegung der assyrischen Königspaläste von Ninive, Kalach und Dûr-Sarrukin (Khorsabad) in großartiger Weise vorangegangen waren.

Während in Assur der Reichsgott Assur und der ihm nah verwandte Himmelsgott Anu (letzterer zusammen mit dem Wettergott Hadad, dem babylonischen Rammân) besonders verehrt wurden, war der Stadtgott von Ninive der Jagd- und Kriegsgott Rin-ib mit seiner Schwester und Gemahlin, der „Istar von Ninive“. Und zwar war die Mutterstadt Ninives ein wohl ebenfalls schon Ninua genannter Ort im babylonischen Osttigrisgebiet unweit Bagdads, Ischanna-ki — beide mit dem gleichen Ideogramm geschrieben — und die Resens die südbabylonischen Stadt Nisin (spätere Aussprache Risin); die Gründung Assurs verliert sich in die Urzeit zurück. Die ältesten Herrscher des Landes nannten sich nicht Könige, sondern Patesi oder issaku, das heißt Stellvertreter (nämlich des Gottes Assur). Einer der ersten war Bel-kapkapu, der noch „vor der Urzeit des (babylonischen) Königs Sulilu“, also noch vor 2036 vor Chr., regierte. Der Zeitgenosse des Sulilu (Sumula-ilu) war der Patesi Irisu, Sohn des Ilu-suma, und der des Hamu-rapi (1948 v. Chr. bis 1906) Samsi-Hadad, während ein späterer Samsi-Hadad, Sohn des Isme-Dagan, für ca. 1821 v. Chr. durch eine Inschrift Tiglatpilesers I. (ca. 1120-1100) bezeugt ist. In dieser ältesten Zeit Assyriens waren seine Fürsten noch mehr oder weniger babylonischer Vasallen; seit der Erhebung zum selbsttätigen Königtum (um 1500 oder vorher) wurden sie gefährliche Rivalen des Mutterlandes, und die Grenzstreitigkeiten, in denen meist die Assyrer Sieger blieben, zogen sich viele Jahrhunderte hindurch hin. Merkwürdig sind die Beziehungen Assyriens zum alten Königreich Mitanni, welches um 1400 v. Chr. blühte und dessen Hauptsitz die alte Mondstadt Harran gewesen zu sein scheint. Dieses Harran, offenbar eine Gründung der durch die kappadokischen Keilinschriften bekannt gewordenen arischen Charrileute, eines Teiles der sonst alarodischen (hethitischen?) Mitannier, galt den Assyrern auch noch in späterer Zeit als hochheiliger Kultort ihres Reiches. Umgekehrt war Ninive zeitweilig ein Besitz von Mitanni, da der Mitannikönig Tusratta das Bild der Istar von Ninive dem kranken Pharao von Ägypten leihweise überschickt; noch zu Sargons Zeit hatte deshalb diese Göttin gelegentlich den mitannischen Namen Sa’uskas.

Der assyrische König, welcher um 1400 v. Chr. mit dem Pharao Amenophis IV. korrespondierte (die betreffenden Schreiben stammen aus dem berühmten Tontafelfund von Tell el Amarna), war Assur-uballit; aber auch schon sein Ahne Assur-nadin-achi hatte 1478 v. Chr. eine Gesandtschaft nach Ägypten, an Thutmes III., geschickt. Der babylonische Zeitgenosse des Assur-uballit war Burnaburias. Besonders tatkräftige Nachfolger auf dem assyrischen Thron waren Hadadnirâri (um 1300 v. Chr.), Sohn des Arik-dîn-ilu (geschr. Bu-di-ilu, und daher früher Pudi-ilu gelesen), sein Sohn Salmanassar I., und sein Enkel Tuklât-Ninib, welch letzterer zeitweilig Babylonien eroberte, während die beiden ersten (Hadad-nassar und Salmanassar) ganz Mesopotamien in ihren Besitz brachten. Ganz hervorragend aber war der Aufschwung Assyriens unter Tiglatpileser I., der den Anfang zu der späteren Weltmacht vorbereitete, indem er nicht bloß Babel eroberte und demütigte (babylonischer Zeitgenosse Marduknadin-achi), sondern seine Kriegszüge bis nach Kappadokien und bis Nordphönizien, wo er bis ans Mittelmeer vordrang, ausdehnte (um 1100 v. Chr.). Nach einem politischen Stillstand von mehreren Jahrhunderten, in welchen bezeichnenderweise die Macht Israels unter Saul, David und Salomo fällt, setzt unter Tuklâti-Ninib II. (890-885) ein Wiederausschwung der Eroberungen Assyriens ein, worüber uns von hier an mit kurzen Unterbrechungen die zahlreichen historischen Inschriften der Assyrerkönige berichten; kurz vorher beginnt auch die für die assyrische und biblische Chronologie so wichtige Liste der assyrischen jährlichen Verwaltungsbeamten, der sogenannten Eponymen-Kanon. Das erst kürzlich entdeckte Annalenbruchstück des Tuklâti-Ninib berichtet ausführlich über seine mesopotamischen Feldzüge bis hin nach Commagene; ebenso erfolgreich scheint er aber auch nach Norden und Osten (nach dem Urmiasee) zu gewesen zu sein. Diese Siege bildeten die Basis für die noch ausgedehnteren Unternehmungen seiner beiden großen Nachfolger, seines Sohnes Assur-nazir-pal (884-860) und seines Enkels Salmanassar II. (859-825). Dem ersteren bringen die großen phönizischen Küstenstädte Tribut, nachdem er bis an den Orontes siegreich vorgedrungen; schon vorher hatte er im Osten unter anderem das Land Mannai (Jer. 51,27 falsch Minni vokalisiert) und am Euphrat das kleine auch im Alten Testament (2Kö 19,12 die „Söhne Edens“) genannte aramäische Fürstentum Bit-Adini wie auch die alte Hethiterstadt Karchemis, die Residenz eines der auf den Trümmern des Hethiterreiches entstandenen Kleinstaaten, und zwar des mächtigsten derselben, gedemütigt. Unter Salmanassar II. aber wird zum erstenmal ein biblischer König Achabbu der Sir’ilite, das heißt Ahab von Israel, im Jahr 854 als Bundesgenosse des bei Karkar in Coelesyrien geschlagenen Königs Irchulini von Hamath, erwähnt, und ferner im Jahr 842 bei Gelegenheit des Sieges über den syrischen König Hasa-el (Haza-ilu) von Damaskus, der auch biblisch dargestellte Tribut des Ja’ûa von Bît-Chumri, das ist des biblischen Jehu von Israel, welches hier nach der kurz vorher gestürzten Omridynastie noch „Haus ‛Omri“ genannt ist. Salmanassars Sohn Samsi-Hadad IV. (824-812) und dessen Sohn Hadad-nirâri IV. (817-783) hatten besonders nach Medien zu Erfolge; für den letzteren, der sehr jung auf den Thron kam, regierte anfangs seine in der Sage berühmt gewordene Mutter Sammu-ramat, die Semiramis der Klassiker, eine babylonische Prinzessin, auch war er der erste, dem so südlich gelegene Gebiete wie Edom und Philistaea (Palastu) Tribut zahlten. Nun folgt von 782-745 unter drei kurz regierenden Königen eine Periode des Niederganges, der durch das Aufblühen einer benachbarten Macht, des armenischen Königreiches von Van (Biaina) oder Ararat (Urartu), bedingt ist; auch für Israel ist infolgedessen wieder ein politischer Aufschwung (unter → Jerobeam) zu verzeichnen. Aber aufs neue erhebt Assyrien unter Tiglatpileser IV. und seinen Nachfolgern, besonders unter den vier Sargoniden, und hier wieder vorzugsweise unter Senacherib und Asarhaddon, das Haupt. Alle diese Herrscher, deren Regierung den Gipfelpunkt der assyrischen Weltmacht, aber unter Assurbanipal, Asarhaddons Sohn, dem biblischen Asnaphar, dem Sardanapal der Griechen, auch schon den deutlichen Anfang des baldigen jähen Sturzes bezeichnet, sind in besonderen Artikeln behandelt, auf welche hier der Kürze halber verwiesen sei (für die Bauten vergleiche die Artikel → Ninive und → Kalach). Nachdem es Asarhaddon und Assurbanipal gelungen, sogar Ägypten zu erobern, und der letztere den Aufstand seines rebellischen Bruders Samas-sum-ukin (Sammuges), den er in Babylonien zum König eingesetzt hatte, glücklich niedergeschlagen und dem gefährlichen Bundesgenossen Salmanassars, Elam, ein Ende gemacht hatte, kam unverhältnismäßig schnell der Zusammenbruch der assyrischen Weltmacht. Vorbereitet war er schon durch die zu Anfang des 7. Jahrhunderts erfolgten Kimmeriereinfälle (678 vor Chr.) und die der sakischen Skythen, die im drittletzten Jahrzehnt des gleichen Jahrhunderts fast ganz Vorderasien verheerten (vergleiche Jer 5,15; Joel 2,2ff. und den Rückblick bei Hes 38); gewiss steht in Zusammenhang mit dieser Völkerwanderung eranischer Horden das siegreiche Erstarken der Meder (siehe den Artikel), deren Könige denn auch im Verein mit dem Babylonierkönig Nabopolassar, einem Chaldäer, Assyrien durch die Eroberung und Zerstörung Ninives 607 vor Chr. ein definitives Ende bereiteten. Die letzten Könige Assyriens waren Assurbanipals Sohn Assur-etil-ilâni (625-?) und sein Bruder Sin-sar-iskun (Sarakos), unter dem die Katastrophe erfolgte.

Anhang: Die Assyrerkönige von Assuruballit an.

  • Assur-uballit um 1400 (babylonischer Zeitgenosse Burnaburias II.)
  • Enlil-nirâri (babylonischer Zeitgenosse Kuri-galzu II.)
  • Arik-dîn-ilu Hadad-nirâri (babylonischer Zeitgenosse Nazi-maraddas)
  • Salmanassar I., um 1300
  • Tuklâti-Ninib I. (babylonische Zeitgenossen Kastilias II., ca. 1254 ff., und seine Nachfolger)
  • Assur-nazir-pal I.
  • Bel-kudur-uzur
  • Ninib-pal-ekur (babylonischer Zeitgenosse Meli-sipak) ca. 1200
  • Assur-dajan I. (babylonische Zeitgenossen Marduk-pal-idin, Zamama-sum-idin und Bel-sum-idin)
  • Mutakkil-Nusku
  • Assur-ris-isi (babylonischer Zeitgenosse Nebukadrezar I.)
  • Tiglatpileser I. (babylonischer Zeitgenosse Marduk-nadin-achi) um 1100
  • Assur-bel-kala Samsi-Hadad III.
  • Assur-nazir-pal II.
  • Hadad-nirâri II. (babylonischer Zeitgenosse Simmas-sipak)
  • Tiglatpileser II. ca. 1025 vor Christus
  • Assur-irbi (drang bis zum Mittelmeer vor)
  • Assur-ris-isi II. (babylonischer Zeitgenosse Nabu-ukin-apli ca. 960-925)
  • Tiglatpileser III, um 950
  • Assur-daian II., ca. 930
  • Hadad-nirâri III. 912-891 (babylonischer Zeitgenosse Samasmudammik)
  • Tuklâti-Ninib II. 890-885 (babylonischer Zeitgenosse Nabusum-iskun)
  • Assur-nazir-pal III. 884-860 (babylonischer Zeitgenosse Nabu-bal-idin)
  • Salmanassar II. 859-825 (babylonischer Zeitgenosse Marduksum-idin und Marduk-bel-usâti)
  • Samsi-Hadad IV. 824-812 (babylonischer Zeitgenosse Mardukbalatsu-ikbi, vergleiche )
  • Hadad-nirâri IV. 811-783 (war auch gleichzeitig König von Babylonien)
  • Salmanassar III. 782-773
  • Assur-Dajan III. 772-755
  • Assur-nirâri II. 754-745
  • Tiglatpileser IV. 745-727 (babylonischer Zeitgenosse Nabonassar; von 732 Tiglatpileser selbst unter dem Namen Phul)
  • Salmanassar IV 726-722 (als Babylonischer-König hieß er Elulai)
  • Sargon 721-705 (babylonischer Zeitgenosse Merodach-baladan, siehe den Artikel)
  • Senacherib (bei Luther → Sanherib, siehe den Artikel) 704-681
  • Asarhaddon 680-668
  • Assur-bani-pal 668-626 (in Babylonien bis 648 Samas-sum-ukin, und dann Kandalânu)
  • Assur-etil-ilâni (625-?)
  • Sin-sar-iskun (?-607).
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