Guten Abend, ich möchte alle ganz herzlich begrüßen. Wir wollen in zwei Teilen eine Übersicht über das Buch der Apostelgeschichte erarbeiten.
Zu Beginn schlage ich vor, dass wir die Eingangsverse der Apostelgeschichte gemeinsam lesen.
Apostelgeschichte 1,1-14:
Den ersten Bericht habe ich verfasst, o Theophilus, von allem, was Jesus anfing sowohl zu tun als auch zu lehren, bis zu dem Tag, an dem er aufgenommen wurde. Nachdem er den Aposteln, die er sich auserwählt hatte, durch den Heiligen Geist Befehl gegeben hatte, hat er sich ihnen nach seinem Leiden in vielen sicheren Kennzeichen lebendig dargestellt. Er erschien ihnen vierzig Tage hindurch und redete über die Dinge, die das Reich Gottes betreffen.
Als er mit ihnen versammelt war, befahl er ihnen, sich nicht von Jerusalem zu entfernen, sondern auf die Verheißung des Vaters zu warten. Diese Verheißung habt ihr von mir gehört, sprach er. Johannes taufte zwar mit Wasser, ihr aber werdet mit Heiligem Geist getauft werden, und zwar nach nunmehr nicht vielen Tagen.
Sie nun, als sie zusammengekommen waren, fragten ihn und sagten: Herr, stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich wieder her? Er sprach aber zu ihnen: Es ist nicht eure Sache, Zeiten oder Zeitpunkte zu wissen, die der Vater in seine eigene Gewalt gesetzt hat.
Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommt, und ihr werdet meine Zeugen sein – sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde.
Und als er dies gesagt hatte, wurde er emporgehoben, indem sie es sahen. Eine Wolke nahm ihn auf von ihren Augen weg. Und wie sie unverwandt zum Himmel schauten, als er auffuhr, siehe, da standen zwei Männer in weißen Kleidern bei ihnen. Diese sprachen: „Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht hinauf zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird ebenso kommen, wie ihr ihn habt auffahren sehen in den Himmel.“
Dann kehrten sie nach Jerusalem zurück, von dem Berg, der Ölberg heißt, der nahe bei Jerusalem liegt, einen Sabbatweg entfernt. Als sie hineingegangen waren, stiegen sie in den Obersaal hinauf, wo sie blieben.
Sowohl Petrus als auch Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, Simon der Eiferer und Judas, der Bruder des Jakobus – diese alle verharrten einmütig im Gebet. Ebenso einige Frauen, Maria, die Mutter Jesu, und seine Brüder.
Überblick über den historischen Rahmen und das Ende der Apostelgeschichte
Auf dem Skript über die Apostelgeschichte habe ich gleich vermerkt, was das Thema dieses Buchs ist, als Untertitel: Die ersten drei Jahrzehnte der Weltmission, 32 bis 62 nach Christus.
Wir befinden uns also im Jahr der Kreuzigung und Auferstehung des Herrn Jesus. Nach strenger biblischer Chronologie war das genau das Jahr 32 nach Christus. Am Schluss der Apostelgeschichte finden wir Paulus in Rom. Er kommt im Jahr 60 nach Rom und verbringt dort zwei Jahre in Gefangenschaft.
Ich lese gleich die Schlussverse, Apostelgeschichte 28,30-31: „Er aber blieb zwei ganze Jahre in seinem eigenen gemieteten Haus und nahm alle auf, die zu ihm kamen. Und predigte das Reich Gottes und lehrte mit aller Freimütigkeit ungehindert die Dinge, die den Herrn Jesus Christus betreffen.“
So schließt die Apostelgeschichte mit zwei vollen Jahren, was uns zum Jahr 62 nach Christus bringt. Es hat eine besondere Bedeutung, dass Lukas, der Schreiber der Apostelgeschichte, sagt „zwei ganze Jahre“ oder „zwei volle Jahre“. Das war im römischen Recht ein fester Begriff. Wenn Ankläger zwei volle Jahre nicht zum Gerichtsprozess erschienen, wurde der Angeklagte automatisch freigesprochen.
Tatsächlich haben wir Hinweise in den weiteren Briefen, zum Beispiel im Philemonbrief, im Philipperbrief und noch mehr, dass der Apostel Paulus nach dieser Gefangenschaft wieder frei wurde und erneut herumreiste. In diese Zeit fallen zum Beispiel der erste Timotheusbrief und auch der Titusbrief. Letzterer spricht von einer Überwinterung in Nikopolis. Das findet man nicht in der Apostelgeschichte im Zusammenhang mit den vier Missionsreisen des Paulus. Das war also nach der Zeit, die in der Apostelgeschichte beschrieben wird.
Schließlich wurde Paulus dann nochmals verhaftet und kam erneut in die Todeszelle nach Rom. Er wurde im Jahr 66 durch Enthauptung hingerichtet, und zwar auf Befehl von Kaiser Nero. Kurz davor hatte er noch seinen letzten Brief, den zweiten Timotheusbrief, verfasst.
Diese zwei ganzen Jahre in Rom sind also sehr wichtig.
Vielleicht noch zu dieser Zwischenzeit zwischen der ersten und der zweiten Gefangenschaft, die man im zweiten Timotheusbrief findet: Paulus kam schließlich auch nach Spanien. Das war sein großer Wunsch, den er in Römer 15 ausgedrückt hatte, nämlich einmal über Rom hinaus bis nach Spanien zu reisen.
Außerbiblisch wird das in der Frühzeit erwähnt, nämlich im sogenannten Clemensbrief, der um 100 nach Christus verfasst wurde und an Rom gerichtet ist. Dort wird berichtet, dass Paulus tatsächlich bis nach Spanien gekommen ist.
Das ist aber schon ein bisschen vorgegriffen. Wir gehen jetzt wieder zum Anfang der Apostelgeschichte zurück und beschäftigen uns mit der Stellung der Apostelgeschichte innerhalb der Bibelbücher.
Die Stellung der Apostelgeschichte im Kanon und ihre Verbindung zum Lukasevangelium
Was ist die Besonderheit der Apostelgeschichte?
Es ist sehr wichtig, wenn man irgendein Bibelbuch betrachtet, sei es im Alten oder im Neuen Testament, dass man sich mit der Besonderheit eines Buches auseinandersetzt. Die Apostelgeschichte ist ein Fortsetzungswerk, und zwar des Lukasevangeliums.
In Apostelgeschichte 1,1 lesen wir: „Den ersten Bericht habe ich verfasst, o Theophilus, von allem, was Jesus anfing sowohl zu tun als auch zu lehren.“
Der erste Bericht ist das Lukasevangelium. Schlagen wir dort Lukas 1,1-4 auf, so lesen wir: „Da es ja viele unternommen haben, eine Erzählung von den Dingen zu verfassen, die unter uns völlig geglaubt werden, so wie es uns die überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes gewesen sind, hat es auch mir gut geschienen, der ich allem von Anfang an genau gefolgt bin, es der vortrefflichste Theophilus der Reihe oder in geordneter Abfolge der Reihe nachzuschreiben, damit du die Zuverlässigkeit der Dinge erkennst, in denen du unterrichtet worden bist.“
Wir sehen also, dass sich das Lukasevangelium ebenfalls an Theophilus richtet, wie auch die Apostelgeschichte. Lukas erzählt zu Beginn seines Evangeliums, dass er als Historiker viele Augenzeugen besucht und deren Berichte gesammelt hat. Er hat also als Historiker gearbeitet und schließlich unter der Inspiration des Heiligen Geistes alles zusammengefasst zum Lukasevangelium.
Dabei geht es, wie Apostelgeschichte 1,1 sagt, um das, was Jesus anfing zu tun und zu lehren bis zu dem Tag, an dem er aufgenommen wurde – also bis zur Himmelfahrt. Am Ende des Matthäusevangeliums wird die Himmelfahrt nicht erwähnt, am Ende des Johannesevangeliums ebenfalls nicht. In Markus wird sie schon erwähnt, und in Lukas auch.
Das muss so enden, gemäß dieser Stelle. Schauen wir dazu auf Lukas 24,50-53: „Er führte sie aber hinaus bis nach Bethanien, das ist eine Ortschaft auf dem Ölberg, auf dem östlichen Abhang. Er führte sie hinaus bis nach Bethanien, hob seine Hände auf und segnete sie. Und es geschah, während er sie segnete, dass er von ihnen schied und hinaufgetragen wurde in den Himmel. Sie warfen sich vor ihm nieder und kehrten nach Jerusalem zurück mit großer Freude. Sie waren allezeit im Tempel und lobten und priesen Gott.“
Daraus wird klar: Die Apostelgeschichte ist das Fortsetzungswerk des Lukasevangeliums, also dessen Teil 2.
Weiter kann man sagen, dass die Apostelgeschichte die Brücke zwischen den Evangelien – nicht nur Lukas, sondern auch Matthäus, Markus und Johannes – und den 21 Briefen des Neuen Testaments ist.
In den 21 Briefen des Neuen Testaments finden sich viele Bezüge auf die Zeitgeschichte von etwa 32 bis 62 nach Christus. Deshalb hilft die Apostelgeschichte, diese Briefe beziehungsweise einen wichtigen Teil davon im geschichtlichen Zusammenhang einzuordnen.
Die Bibel als geordneter Kanon und die Einteilung der Schriften
Im Weiteren kann man also sagen, dass die Apostelgeschichte in ihrer Stellung innerhalb der ganzen Bibel den fünften Teil der Bibel bildet. Dazu sind einige Erklärungen notwendig.
Das Alte Testament, im Judentum nennt man es den Tanach, ist eine Abkürzung aus T, N und Ch. Dabei steht T für Tora, das Gesetz, N für Nevi'im, die Propheten, und Ch, weich ausgesprochen wegen des vorangehenden Vokals, für Ketuvim, die Schriften. Das Alte Testament hat im Judentum also eine Dreiteilung: erstens Gesetz, zweitens Propheten und drittens Schriften.
Diese Einteilung hat auch der Herr Jesus anerkannt. Das finden wir in Lukas 24. Auf dem Weg mit den Emmausjüngern erklärt der Auferstandene ihnen das Alte Testament im Zusammenhang mit der messianischen Prophetie. Lukas 24,26 sagt: "Musste nicht der Christus, hebräisch der Messias, dies leiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und von Mose und von allen Propheten anfangend erklärte er ihnen in allen Schriften das, was ihn selbst betraf." Hier haben wir also Mose, Propheten und Schriften.
Weiter spricht der Auferstandene zu den Aposteln in Vers 44 desselben Kapitels: "Er sprach aber zu ihnen: Dies sind meine Worte, die ich zu euch redete, als ich noch bei euch war, dass alles erfüllt werden muss, was über mich geschrieben steht im Gesetz Moses, den Propheten und Psalmen." Dann öffnete er ihnen das Verständnis, die Schriften zu verstehen. Hier sehen wir die Einteilung in Mose, Propheten und Psalmen.
Es ist interessant, dass im dritten Teil, den Ketuvim, den Schriften, in den üblichen Bibelausgaben im Judentum das Buch der Psalmen am Anfang steht. Das findet man übrigens auch in den Schriften von Qumran. Dort wird der dritte Teil ebenfalls mit den Psalmen in Verbindung gebracht, eben weil die Psalmen am Anfang stehen. So drückt sich nochmals die Dreiteiligkeit des Alten Testaments aus: Mose, Propheten, Psalmen.
Das Neue Testament besteht aus vier Teilen. Diese Einteilung machte der Herr Jesus in seinen Abschiedsreden am Vorabend der Kreuzigung. Dort, im Obersaal, in Johannes 14 bis 16, kündigt er das Kommen des Heiligen Geistes an Pfingsten an.
In Johannes 14,26 sagt er: "Der Sachwalter aber, der Heilige Geist, den der Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe." Diese Verheißung hat sich auf ganz besondere Weise erfüllt in der Abfassung der vier Evangelien des Neuen Testaments. Denn dort haben wir die Erinnerung an die Worte Jesu. Der Heilige Geist würde also die Jünger des Herrn an alle Worte des Herrn erinnern. Das führte zur Abfassung der Evangelien.
So können wir sagen: Der erste Teil des Neuen Testaments sind die Evangelien, die Erinnerung.
Zweitens, in Johannes 15,26, sagt der Herr Jesus: "Wenn aber der Sachwalter gekommen ist, den ich euch vom Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, so wird er von mir zeugen; aber auch ihr werdet zeugen, weil ihr von Anfang an bei mir seid." Der Heilige Geist würde also kommen, um das Zeugnis der Jünger zu ermöglichen, und er selbst wird Zeugnis ablegen.
Die Apostelgeschichte beschreibt die ersten drei Jahrzehnte der Kirchengeschichte. Sie ist die einzige Kirchengeschichte, die vom Heiligen Geist inspiriert ist. Die Apostelgeschichte zeigt, wie der Heilige Geist durch die Jünger Zeugnis abgelegt hat. So können wir sagen: Der zweite Teil im Neuen Testament ist die Apostelgeschichte, das Zeugnis.
Dann in Johannes 16,12 sagte der Herr Jesus: "Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten; denn er wird nicht von sich selbst reden, sondern was er hören wird, wird er reden. Und das Kommende wird er euch verkündigen."
Der dritte Teil des Neuen Testaments ist der Teil, den wir als Lehrbriefe bezeichnen. Die 21 Briefe der Apostel und neutestamentlichen Propheten enthalten die volle Wahrheit. Gerade in den Paulusbriefen finden wir die acht Geheimnisse über die Gemeinde. Diese Wahrheiten sind im Alten Testament nicht zu finden, auch nicht in den Evangelien. Sie werden erst in den Lehrbriefen offenbart.
Das gehört zu dem, was der Herr sagt: "Noch vieles habe ich euch zu sagen, das ihr jetzt noch nicht tragen könnt." Deshalb finden wir in den Lehrbriefen vieles, was in den Evangelien noch nicht gesagt worden war. Den dritten Teil können wir also als die Wahrheit bezeichnen, denn der Heilige Geist wird uns in die ganze Wahrheit führen.
Schließlich sagt der Herr: "Das Kommende wird er euch verkündigen." Das einzige vollumfänglich prophetische Buch im Neuen Testament ist die Offenbarung. Zwar finden wir auch Prophetie in den Evangelien, zum Beispiel in den Kapiteln über die Ölbergrede, und auch in den Briefen, doch das ausgesprochen prophetische Buch des Neuen Testaments ist die Offenbarung ganz am Schluss.
So können wir sagen: Der vierte Teil ist die Offenbarung, das Kommende.
Zusammen ergeben sich somit sieben Teile. Die Bibel ist abgeschlossen und endet mit der Ermahnung in Offenbarung 22: "Wehe dem, der noch etwas hinzufügt zu diesem Buch!" Dieses Buch, die biblische Offenbarung, bildet den siebten Teil und steht für die Zahl sieben, die Zahl der Vollkommenheit.
Wer etwas hinzufügt, wird unter das Gericht Gottes kommen. Die Bibel ist mit diesen sieben Teilen abgeschlossen. Die Apostelgeschichte bildet den fünften Teil der biblischen Offenbarung und nimmt damit als einzelnes Buch, das einen Teil ausmacht, eine sehr bedeutende Stellung ein.
Die Vollständigkeit der Offenbarung und die Bedeutung des überlieferten Glaubens
Jetzt bleibt uns nur noch das, was in Judas Vers 3 gesagt wird, zu tun. Wir müssen nicht mehr auf neue Offenbarungen oder prophetische Enthüllungen warten.
In Judas Vers 3 heißt es: „Geliebte, während ich allen Fleiß anwandte, euch über unser gemeinsames Heil zu schreiben, war ich genötigt, euch zu schreiben und zu ermahnen, für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen.“
Dieser Glaube, das Glaubensgut, ist uns überliefert. Die Heilige Schrift enthält diese Offenbarung abschließend. Wir können nicht erwarten, dass Gott diese Offenbarung noch einmal gibt. Das Wort „einmal“ ist ein Zahlwort, das die Einmaligkeit und Endgültigkeit betont.
Jetzt müssen wir zu dieser Wahrheit stehen. Das bedeutet, für diese Wahrheit zu kämpfen.
Lukas als Autor: Arzt und Historiker
Nun ein Wort zum Autor des Buches: Es ist Lukas, derselbe Schreiber, der auch das Lukasevangelium verfasst hat. Er war Arzt, wie uns in Kolosser 4,14 mitgeteilt wird: „Es grüßt euch Lukas, der geliebte Arzt, und Demas.“ Interessanterweise wird er hier nicht als der berühmte Arzt bezeichnet, sondern als der geliebte Arzt. Das zeigt uns, dass es wichtiger ist, in dem Beruf, in den Gott uns gestellt hat, treu zu sein, als eine Karriere anzustreben, die weltliche Anerkennung bringt. Deshalb wird Lukas nicht als hochberühmter Arzt, sondern als geliebter Arzt beschrieben.
Zweitens war Lukas Historiker. In Lukas 1,1-4 sehen wir, dass er wie ein Historiker systematisch den Quellen nachging – so wie Historiker damals und auch heute vorgehen. Er konnte sich auf viele Augenzeugen berufen. Das war besonders wichtig als Ergänzung zu Matthäus und Johannes, die selbst Augenzeugen des Herrn waren. Lukas hat nicht alles miterlebt, was Matthäus und Johannes sahen, aber er befragte viele Augenzeugen. Dadurch hat sein Evangelium den Wert nicht nur eines Zeugen, sondern einer Vielzahl von Zeugen.
Markus konnte sich übrigens auch auf andere Augenzeugen stützen. Er hatte eine besondere Beziehung zu Petrus, von dem er viele Informationen erhielt. Da die Gemeinde in Jerusalem in der Frühzeit im Haus von Petrus’ Mutter zusammenkam, hatte Markus engen Kontakt zu den Augenzeugen der Anfangszeit und konnte so viele Informationen sammeln. Sowohl Markus als auch Lukas sammelten also Berichte von vielen Augenzeugen, für die sie mit ihren Evangelien stehen.
Im 19. Jahrhundert ging man in der liberalen Theologie, insbesondere bei der berühmten Tübinger Schule, davon aus, dass die Apostelgeschichte eine Fälschung sei – ein sogenannter „Fake“ eines Schreibers aus dem späteren zweiten Jahrhundert, der alles erfunden habe. William Ramsay reiste damals in das Osmanische Reich, das heutige Gebiet der Türkei, und untersuchte die Städte, die in der Apostelgeschichte eine große Rolle spielen. Am Ende seines Lebens schrieb er ein bekanntes Werk, in dem er feststellte: Lukas steht in seiner Präzision als Historiker den besten Historikern der Antike in nichts nach.
Ramsay ging mit dem Vorurteil heran, dass alles erfunden sei. Doch er stellte fest, dass Lukas die Dinge genau so beschreibt, wie sie damals waren. In der Apostelgeschichte werden viele Beamte genannt, die je nach Stadt unterschiedlich waren. Doch die Apostelgeschichte nennt stets die richtigen Beamten am richtigen Ort. Ein späterer Erfinder hätte sich hier ständig geirrt, doch Lukas ist sehr präzise.
Obwohl Ramsays Forschung aus dem 19. Jahrhundert stammt, ist dies nicht mehr der aktuelle Stand der Forschung. Seine Arbeit wurde im 20. Jahrhundert weitergeführt. Ein gewisser Hemer verfasste vor einigen Jahren ein Werk über die Apostelgeschichte, in dem er das neueste archäologische Material zusammengetragen hat. Dieses Material zeigt noch viel genauer, wie präzise die Apostelgeschichte in allen scheinbar nebensächlichen Details ist.
Durch diese Forschung wurde deutlich, dass Lukas ein erstklassiger Historiker ist. Was er schreibt, ist keine einfache Geschichte, sondern eine sehr präzise Berichterstattung. Wenn die Apostelgeschichte so genau ist, können wir sicher sein, dass auch das Lukasevangelium ebenso präzise verfasst wurde.
Aus menschlicher Sicht verleiht das Lukasevangelium Matthäus, Markus und Johannes ein zusätzliches, man könnte sagen wissenschaftliches Gewicht. Diese Argumente sind besonders wichtig, wenn man mit Menschen spricht, die sagen, das Neue Testament oder die Bibel sei nicht zuverlässig, sondern Märchen. So kann man helfen, Vertrauen zum Bibeltext zu gewinnen – ein Vertrauen, das nicht auf einem Sprung ins Dunkle beruht, sondern auf nachweislichen Fakten.
Darum habe ich hier besonders betont: Lukas war Arzt und Historiker. Dass er Arzt war, sieht man auch in seinen Berichten sehr deutlich. Das Lukasevangelium enthält viele Geschichten, die in den anderen Evangelien nicht vorkommen, besonders solche, in denen Jesus Kontakt mit Armen und Kranken hat. Das zeigt, dass Lukas ein besonderes Herz für diese Menschen hatte – für Arme, Menschen am Rand der Gesellschaft und Kranke.
Man kann auch an kleinen Details erkennen, dass Lukas Arzt war. So finden wir mehrmals in den Evangelien die Aussage Jesu, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht als ein Reicher ins Himmelreich. Im Lukasevangelium wird im Griechischen ein anderes Wort für „Nadel“ verwendet als zum Beispiel im Matthäusevangelium. Es ist genau das typische Wort für eine Medizinernadel. Selbst an solchen Details lässt sich die Handschrift des Arztes erkennen.
Lukas als Nichtjude und die Ausbreitung der Gnade Gottes
Eine weitere Besonderheit ist, dass Lukas der einzige Bibelautor ist, von dem wir wissen, dass er kein Israelit war. Diese Information stammt aus der Überlieferung der frühen Christenheit, die weitergibt, dass Lukas ein Nichtjude war. Zweitens lässt sich dies auch aus dem Kolosserbrief entnehmen.
Wir haben den Gruß von Lukas in Kolosser 4,14 gelesen: "Es grüßt euch Lukas, der geliebte Arzt." Die Grüße sind in Vers 10 so aufgebaut, dass zuerst drei Juden und dann drei Nichtjuden grüßen. Ich lese aus Kolosser 4,10: "Es grüßt euch Aristarchus, mein Mitgefangener, und Markus, der Neffe des Barnabas, betreffs dessen ihr Befehle erhalten habt; wenn er zu euch kommt, so nehmt ihn auf. Und Jesus, genannt Justus, die aus der Beschneidung sind." Diese drei sind Mitarbeiter am Reich Gottes und haben Paulus Trost gewesen.
Hier wird also gesagt, dass diese drei Juden sind, die aus der Beschneidung stammen. Danach folgen noch drei weitere Grüße. Es grüßt Epaphras, ein Nichtjude. Übrigens war Epaphras der Name, den seine heidnischen Eltern ihm gegeben hatten; er bedeutet "der Aphrodite Geweihte". Aber Epaphras kümmerte sich nicht weiter darum, das war nur ein Name. Es grüßt euch Epaphras, der von euch ist, ein Knecht Christi Jesu, der alle Zeit für euch ringt in den Gebeten, damit ihr steht, vollkommen und völlig überzeugt in allem Willen Gottes. Denn ich gebe ihm Zeugnis, dass er viel arbeitet für euch und die Laodizäer und die Hierapolis.
Dann folgt der dritte Gruß: "Es grüßt euch Lukas, der geliebte Arzt, und Demas." Diese drei – Epaphras, Lukas und Demas – sind folglich nicht aus der Beschneidung. Das bestätigt die außerbiblische Überlieferung, dass Lukas kein Jude war.
Diese Tatsache hat eine besondere Bedeutung. Darum hat Gott Lukas ausgewählt, um das Lukasevangelium zu schreiben. Das Lukasevangelium betont wie kein anderes Evangelium, dass die Gnade Gottes die Grenzen Israels sprengt. Dies lässt sich vom Anfang bis zum Ende des Lukasevangeliums nachweisen.
Wie ein roter Faden zieht sich hindurch, dass das Heil in Christus, dem Messias, nicht nur für Israel, sondern auch für die Völker gekommen ist. Zum Beispiel betont Simeon in Lukas 2, im Zusammenhang mit der Weihnachtsgeschichte, dass dieses Kind für Israel gekommen ist und um Licht zu bringen den Nationen, den Heiden. Dies findet sich nur im Lukasevangelium.
Ein weiteres Beispiel ist Lukas 4: Der Herr Jesus predigt in der Synagoge in Nazareth. Das ist die erste Predigt, die Lukas von seinem Herrn berichtet. Jesus sagt, dass es zur Zeit Elijas viele Witwen in Israel gab, aber Elija wurde nur nach Sarepta zu einer Witwe geschickt, die eine Libanesen war. Zur Zeit des Elisas gab es viele Aussätzige in Israel, aber Elisa heilte nur Naaman, den Syrer.
Daraufhin werden die Leute in der Synagoge so wütend, dass sie Jesus töten wollen. Sie wollten ihn über die Klippe außerhalb von Nazareth in die Hügellandschaft stürzen. Aber der Herr ging aus ihrer Mitte weg. Damit zeigt Lukas, und das kommt in keinem anderen Evangelium vor: Die Gnade Gottes geht über die Grenzen Israels hinaus, zu den Libanesen und zu den Syrern. Sie sind ebenso Gegenstand der Gnade wie alle anderen Menschen.
Dies ließe sich im Lukasevangelium an weiteren Beispielen zeigen. Nun zur Apostelgeschichte: Hier geht es um die Weltmission. Das große Thema ist, dass das Evangelium bis an das Ende der Erde verkündet werden soll. Der Schlüsselvers ist Apostelgeschichte 1,8. Dort sagt der Herr Jesus auf dem Ölberg: "Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommt, und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde."
Diese Sicht ist ganz klar: Alle Völker sollen erreicht werden. Darum zeigt die Apostelgeschichte, wie die Punkte eins bis drei erfüllt wurden: zuerst Mission in Jerusalem, dann in Judäa, anschließend in Samaria. Danach geht das Evangelium zu den Heiden.
Lukas beschreibt ausführlich die vier Missionsreisen des Apostels Paulus, wie das Evangelium in die Heidenwelt gebracht wird. Er schildert auch, wie das Evangelium zu allen drei Kontinenten gelangt, die über das Land Israel verknüpft sind: in Asien, in Afrika – der Kämmerer aus Schwarzafrika, Äthiopien – und dann ausführlich in Europa mit den Reisen des Apostels Paulus.
Warum war das Lukas so wichtig? Weil er selbst kein Jude war. Für ihn war es wunderbar zu sehen, dass die frohe Botschaft allen Völkern gilt.
Was man noch hervorheben muss: Sein Griechisch, insbesondere im Lukasevangelium, ist stark jüdisch geprägt. Es ist erstaunlich, wie dieser Mann im Judentum zu Hause war. Das lässt sich durch die gesamte Apostelgeschichte und schon im Lukasevangelium zeigen. Lukas war ein Kenner des Judentums bis ins kleinste Detail. Er war ein Spezialist für das Judentum.
Trotzdem, dass er kein Jude war, war er vollkommen zu Hause, um zu zeigen, wo die Wurzeln des Evangeliums sind und wie es vor dem Hintergrund des Judentums zu verstehen ist.
Lukas als Begleiter des Paulus und die Wir-Berichte
Ja, wir werden es dann sehen: In der Apostelgeschichte spielt Lukas eine wichtige Rolle, denn einen Teil davon hat er selbst miterlebt. Das wird aber erst ab Kapitel 16 deutlich, wo der erste Wir-Bericht erscheint.
Können wir das kurz aufschlagen? Apostelgeschichte 16 beschreibt, wie der Apostel Paulus mit seinen Mitarbeitern nach Europa kam. Das ist für uns natürlich sehr wichtig. Die erste Stadt, die er in Europa evangelisiert, ist Philippi. Dort lesen wir in Vers 10: Bevor Paulus nach Philippi kommt, hat er einen Traum. Wenn ich aber den Traum schon vorher lese, nämlich Vers 9, sind sie in Troas, dem heutigen Gebiet der Türkei. Paulus erscheint in der Nacht ein Gesicht – das ist ein Nachtgesicht, also ein Traum. Ein gewisser mazedonischer Mann stand da, bat ihn und sprach: „Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns.“
Als Paulus das Gesicht gesehen hatte, suchten wir sogleich nach Mazedonien abzureisen, da wir schlossen, dass Gott uns gerufen habe, ihm das Evangelium zu verkündigen. Ganz interessant: In den Versen davor sehen wir das Missionsteam mit Paulus. Sie gehen in eine gewisse Richtung, doch dann heißt es, dass der Geist Gottes sie verhindert. Danach gehen sie in eine andere Richtung, werden aber wieder durch den Heiligen Geist gehindert. Es wird nicht gesagt, wie diese Hinderung konkret geschah.
Dann kommt dieser Traum: Paulus sieht einen Europäer, er träumt von einem Europäer. Das müssen Sie sich vorstellen: ein mazedonischer Mann. Warum ein mazedonischer Mann? Das konnte Paulus an seiner Kleidung ablesen. Ein Europäer sagt also: „Kommt herüber zu uns!“ Man könnte sagen, Paulus träumt von einem Europäer, der vom Evangelium träumt.
Nun ist es ein Problem: Ist das jetzt ein Traum von Gott oder einfach nur ein Traum? Schon im Prediger lesen wir, dass Träume durch viel Beschäftigung entstehen. Es ist sehr wichtig, dass wir träumen. Wenn man zum Beispiel 70 oder 80 Jahre lebt, kann man zurückblicken und sagen, man habe ungefähr drei Jahre oder mehr geträumt im Leben. Dabei geht es nicht nur ums Schlafen, sondern um die Traumphase, die wir jahrelang verbringen. Irgendwie muss das ja eine Bedeutung haben.
Der Prediger sagt, Träume entstehen durch viel Beschäftigung. Man verarbeitet im Traum Wesentliches, was man erlebt hat. Es ist auch der Moment, in dem wichtige Dinge vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis übertragen werden – aber eben nur die Dinge, die einem wichtig erschienen. Im Langzeitgedächtnis muss man keine Angst haben, denn das Leben reicht nicht aus, um es auszuschöpfen. Das Kurzzeitgedächtnis hat weniger Speicherplatz, deshalb können wir die meisten Dinge gut vergessen.
Das ist auch wichtig: Das Unwichtige muss man loswerden, das Wichtige wird nachts übertragen. Man hat sogar getestet, dass Menschen, denen über längere Zeit die Traumphase entzogen wurde, seelisch gestört wurden – und zwar irreversibel. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir träumen. Wir sind also nachts ein bisschen verrückt, um tagsüber wieder normal zu sein.
In der Bibel sehen wir, dass Gott, der durch viele verschiedene Arten zu den Vätern gesprochen hat, laut Hebräer 1 auch durch direkte Offenbarungen am Tag redete. Er sprach über akustisch hörbare Stimmen, durch Psalmen, Lieder und eben auch durch Träume. Das war noch in biblischer Zeit. Paulus hat einen Traum, aber selbst damals, als es noch prophetische Zeiten waren, war nicht immer klar, ob ein Traum von Gott kam oder nicht.
Das Neue Testament ist auch nicht voller Träume. Wenn man in Matthäus 1 beginnt, sieht man dort schon Träume, zum Beispiel bei Joseph. Aber das sind keine alltäglichen Träume, sondern Schlüsselstellen in der Heilsgeschichte, an denen Gott Orientierung gibt. Auch hier ging es um eine Schlüsselstelle: Soll Paulus nach Europa gehen oder nicht?
Offensichtlich hat Paulus seinen Freunden von dem Traum erzählt, denn es heißt: „Als er das Gesicht gesehen hatte, suchten wir sogleich nach Mazedonien abzureisen, da wir schlossen, dass Gott uns gerufen habe, ihnen das Evangelium zu verkündigen.“ Zusammen haben sie das besprochen und sind alle zum Schluss gekommen, dass es ein Traum von Gott ist. Das bedeutet: Wir müssen in Europa das Evangelium verkündigen.
Das Schöne daran ist, dass dies das erste Mal in der Geschichte ist, dass es heißt „wir“. Vorher heißt es immer „sie“ – zum Beispiel in Vers 6: „Sie durchzogen aber Phrygien und die galatische Landschaft.“ In Vers 7: „Als sie aber gegen Mysien hingekamen, versuchten sie…“ Hier aber zum ersten Mal „wir“.
Der geneigte Leser, damals Theophilus, muss merken: Ach so, da war Lukas mit dabei. Er hat mit Paulus diesen Schluss gezogen. Aber dieser geliebte Arzt und fähige Historiker ersten Ranges sagt nicht zu Theophilus: „Jetzt musst du wissen, dass ich ab diesem Moment in Troas mit dem berühmten Apostel der Heiden auf die Reise nach Europa ging.“ Nein, er ist so bescheiden, dass er einfach von „sie“ auf „wir“ wechselt. Der Leser muss also genau lesen, sorgfältiger als bei einem Roman, falls man ihn überhaupt lesen sollte, und merken: Ach so, jetzt ist er dabei.
In den weiteren Versen kommen sie nach Philippi und verkünden das Evangelium – das beschreibt alles Lukas. Und aufgepasst: In Kapitel 17, Vers 1, heißt es, als Paulus von Philippi weitergeht: „Nachdem sie aber durch Amphipolis zu Apollonia gereist waren, kamen sie nach Thessalonich, wo eine Synagoge der Juden war.“ Ab da heißt es wieder „sie, sie, sie, sie.“
Was bedeutet das? Theophilus muss merken: Jetzt war Lukas nicht mehr mit dabei. Wo blieb er? In Philippi. Was machte er? Gemeindeaufbauarbeit in Philippi. Aber er sagt nicht zu Theophilus: „Stell dir vor, weißt du was ich in Europa gemacht habe? In dieser ersten Stadt habe ich die Gemeinde weiter gepflegt und aufgebaut, die Paulus als Erster gegründet hatte.“ Nichts davon. Das zeigt seine Bescheidenheit.
Aber er wusste: Jetzt ist es seine Aufgabe, hier zu sein und hier zu wirken. Ich habe dann im Skript angegeben, dass der nächste Wir-Bericht ab Kapitel 20, Vers 6 beginnt und bis zum Schluss der Apostelgeschichte geht. Das zeigt also, dass Lukas im Weiteren selbst miterlebt hat, was er berichtet.
Abfassungszeit und historische Einordnung der Apostelgeschichte
Nun zum nächsten Punkt: Abfassungszeit und das Jahr 62 nach Christus habe ich bereits erklärt. Die Apostelgeschichte endet mit der zweijährigen Gefangenschaft des Apostels Paulus in Rom im Jahr 62 nach Christus und berichtet nichts mehr über den Ausgang des Prozesses vor Kaiser Nero. Das habe ich noch nicht erwähnt.
Ich habe nur gesagt, dass der Ausdruck „zwei volle Jahre“ ganz wichtig ist. Nach römischem Recht sollte man nach zwei Jahren Gefangenschaft freikommen.
Im Philipperbrief, der etwa zur Zeit der Apostelgeschichte Kapitel 28 geschrieben wurde, sagt der Apostel Paulus, dass er bald hofft, freizukommen. Im Philemonbrief, den er ebenfalls um diese Zeit schrieb, bittet er Philemon, ihm eine Herberge bereitzumachen. In Vers 22 heißt es: „Bereite mir auch eine Herberge, denn ich hoffe, dass ich durch eure Gebete euch geschenkt werde.“ Auch hier erwartet Paulus, dass er bald frei wird, und betont, wie wichtig das Gebet für seine Befreiung ist.
Man könnte also auch im Philipperbrief zeigen, dass sich die Dinge zugunsten des Apostels Paulus wenden. Doch auffällig ist, dass die Apostelgeschichte dieses besondere Ereignis – den Schlussprozess und die Freilassung des Paulus – nicht beschreibt.
Was folgt daraus? Lukas hat die Apostelgeschichte offenbar abgeschlossen, noch bevor dieser Schlussprozess in Rom stattfand und der Freispruch erfolgte.
Daraus lässt sich genau datieren: Die Apostelgeschichte wurde um das Jahr 62 nach Christus geschrieben, und zwar noch vor der letzten Gerichtsverhandlung.
Was folgt daraus weiter? Das Lukasevangelium, der erste Teil, wurde natürlich deutlich vor 62 nach Christus, also jedenfalls vor der Apostelgeschichte, geschrieben. Das Jahr 62 ist das späteste Datum für die Abfassung.
Was folgt daraus? Die Prophetie in Lukas 21 über die Zerstörung Jerusalems und die darauffolgende Zerstreuung der Juden unter allen Nationen ist echte Prophetie.
In der liberalen Theologie wird oft behauptet, diese Evangelien seien nach dem Jahr 70 geschrieben worden. Man unterstellt, sie hätten das so beschrieben, als hätte Jesus Christus das vorausgesagt. Diese Theologen betrachten das als gefälschte Prophetie oder als etwas Unmögliches – nämlich, dass jemand die Zukunft wirklich voraussagen kann.
Doch wir können klar zeigen: Das Lukasevangelium wurde vor 62 geschrieben, also vor dem letzten Prozess. Das ist natürlich echte Prophetie gewesen.
Noch etwas ganz besonders Schönes: Die Apostelgeschichte ist damit ein Buch, das, obwohl es abgeschlossen ist, irgendwie doch nicht fertig ist. Es hat ein offenes Ende.
Stellt man sich das vor: Ein Anfänger liest die Apostelgeschichte und kommt einige Kapitel vor dem Ende zu der Stelle, wie Paulus sich vor Agrippa auf den Kaiser beruft. Nach diesem Konsultativverfahren sagt Agrippa zum Landpfleger Felix in Caesarea, dieser Mann hätte freigelassen werden können, denn er tut nichts Todeswürdiges.
Diese Rede von Paulus hat König Agrippa völlig überzeugt: Paulus ist unschuldig (Apostelgeschichte 26). Es war ein Konsultativverfahren vor König Agrippa und Landpfleger Felix. Dort heißt es schließlich, dieser Mann hätte freigelassen werden können, wenn er sich nicht auf den Kaiser berufen hätte. Paulus hat sich auf den obersten Gerichtshof des Römischen Reiches berufen, und deshalb musste er dorthin gehen.
Danach liest man die spannende Geschichte des Schiffbruchs auf der Reise nach Rom, wie Paulus auf der Insel Melite gerettet wird, wie er schließlich doch nach Italien kommt, mit einem weiteren Schiff, und dann diese Fußreise macht bis nach Rom.
Dort muss er zwei Jahre auf den Prozess warten, bis die Ankläger aus Israel kommen, die ihm aber nie erscheinen.
Wer das zum ersten Mal liest, denkt: Wie endet das? Das ist die Pointe, die man erwartet – und die Pointe kommt nicht.
Wenn eine Geschichte erzählt wird und die Pointe ausbleibt, ist das normalerweise eine schlechte Erzählung. Hier hat der Heilige Geist das aber bewusst so inspiriert. Warum?
Um zu zeigen: Das sind die ersten drei Jahrzehnte der Weltmission, aber damit ist die Weltmission nicht zu Ende. Alles, was danach weiterging, die Evangeliumsverkündigung bis heute, geschah gewissermaßen in den Fußstapfen der ersten Zeugen.
Deshalb ist dieses offene Ende ganz wichtig. Es zeigt, dass dies nur der Anfang ist. Dieses Werk geht weiter, und wir gehören – so viele wir uns dem Herrn zur Verfügung stellen – mit dazu.
Literarische und geografische Besonderheiten der Apostelgeschichte
Auf dem Blatt habe ich weiterhin charakteristische Ausdrücke und Besonderheiten notiert. Literarische Besonderheiten habe ich bereits erwähnt. Ein Punkt, den ich hier als Nummer zwei aufgeführt habe, ist der offene Schluss.
Noch etwas anderes fällt auf: Im Gegensatz zu Paulus, der in seinen Briefen immer Provinznamen verwendet, werden in der Apostelgeschichte vor allem Gebietsnamen als geografische Bezeichnungen genutzt. Das ist ein wichtiger Hinweis, wenn man die Bibel zusammen mit einem Atlas liest. Es lohnt sich durchaus, die Bibel mit einem Atlas zu studieren. Dabei sollte man jedoch beachten, dass für dieselben Gebiete in den Briefen oft unterschiedliche Ausdrücke gebraucht werden. Paulus verwendet Provinznamen, Lukas hingegen in der Apostelgeschichte Gebietsnamen.
Es kann also sein, dass man vom gleichen Ort oder der gleichen Landschaft spricht, aber verschiedene Begriffe verwendet werden. Das ist einfach eine andere Art, sich auszudrücken und zu schreiben. Wichtig ist, dass man das weiß, wenn man mit einem Atlas arbeitet.
Nun noch etwas zur Geographie und Weltmission: Das Evangelium ging, wie gesagt, von Jerusalem aus. Auf dem Ölberg, der sich gerade östlich von Jerusalem befindet, hat der Herr Jesus den Auftrag zur Weltmission gegeben. Von dort aus breitet sich das Evangelium in alle Welt aus.
Das Besondere ist, dass der Ölberg und die Stadt Jerusalem an einem Knotenpunkt der drei Kontinente Europa, Asien und Afrika liegen. Das Land Israel nimmt eine ganz einzigartige Position ein. Es ist eine Landbrücke zwischen diesen drei Kontinenten und strategisch ideal gelegen, um möglichst schnell diese miteinander verbundenen Kontinente zu evangelisieren. Amerika und Australien sollten erst später erreicht werden.
Darum ist es wichtig: Die Auffahrt Jesu ging vom Ölberg aus. Das haben wir am Anfang in Apostelgeschichte 1,9-12 gelesen. Dort an diesem Knotenpunkt hat der Heiland der Welt, bevor er in den Himmel aufgefahren ist, den Auftrag gegeben, die ganze Welt zu evangelisieren – in vier Punkten: Jerusalem, Judäa, Samaria und bis an das Ende der Erde.
Interessant ist auch, was die Engel den Jüngern sagen: „Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird ebenso kommen, wie ihr ihn habt auffahren sehen in den Himmel.“ Das bedeutet, er wird auch auf dem Ölberg wiederkommen, so wie es in Sacharja 14 beschrieben wird. Dort geht es um die Wiederkunft des Herrn Jesus als Richter der Welt.
In Sacharja 14,2-5 heißt es: „Und der Herr, hebräisch Jahwe, der ewig Seiende, Unwandelbare, wird ausziehen und gegen jene Nationen kämpfen, wie an dem Tag, da er kämpft, an dem Tag der Schlacht. Seine Füße werden an jenem Tag auf dem Ölberg stehen, der vor Jerusalem im Osten liegt, und der Ölberg wird sich in der Mitte spalten, nach Osten und nach Westen hin. Und am Schluss kommt der Herr, mein Gott, und alle Heiligen mit dir.“
Jesus Christus wird also als Richter der Welt auf dem Ölberg wiederkommen. Als Heiland der Welt ist er vom Ölberg aufgefahren. So steht der Ölberg gewissermaßen am Anfang der letzten zweitausend Jahre und auch in der baldigen Zukunft, wenn der Herr Jesus wiederkommt.
Diese 2000 Jahre, in denen das Evangelium alle fünf Kontinente erreicht hat, liegen also zwischen dem Ölberg und dem Heiland der Welt sowie dem Ölberg, dem Richter der Welt. In dieser Zwischenzeit ist es unsere Aufgabe, allen fünf Kontinenten von dem Retter der Welt zu erzählen, der für jeden Menschen der Retter sein möchte.
Doch man muss umkehren, seine Schuld vor Gott bekennen, bereuen und das Opfer des Herrn Jesus am Kreuz im Glauben annehmen. Sonst wird man den Herrn Jesus als Richter der Welt kennenlernen.
Schlüsselwörter und Ausdrucksweisen in der Apostelgeschichte
Und dann noch etwas zu besonderen Wörtern und Ausdrücken in der Apostelgeschichte. Fangen wir hinten an. Man hat gemerkt, ich habe heute öfters von hinten begonnen. Das erinnert mich an unseren ältesten Sohn: Als er klein war, hat er bei Büchern, die er lesen wollte, zuerst mal hinten geschaut, ob spannende Wörter vorkommen. Dann wusste er, ob es sich lohnt, das Buch von Anfang an zu lesen. Er hat mir einmal erzählt, dass er als kleiner Junge gezählt hat, wenn das Wort „plötzlich“ drin vorkommt. Für ihn war klar: Das Buch muss spannend sein.
Nun, ein Schlüsselwort in der Apostelgeschichte, ganz am Schluss, ist das Wort „ungehindert“. Nochmals 28,30: „Er aber blieb zwei ganze Jahre in seinem eigenen gemieteten Haus und nahm alle auf, die zu ihm kamen, und predigte das Reich Gottes und lehrte mit aller Freimütigkeit die Dinge, die den Herrn Jesus Christus betreffen, ungehindert.“ Das ist das Wort Akolytos. Ich habe das extra in der Satzstellung am Schluss jetzt im Deutschen zitiert, weil es im Griechischen das letzte Wort der Apostelgeschichte ist: ungehindert.
Das zeigt eben, dieses Buch ist ein offenes Buch, und die Evangeliumsverkündigung geht weiter. So wie Paulus in 2. Timotheus 2 sagt: Auch wenn er gebunden ist, das Wort Gottes ist nicht gebunden. Ja, auch da ist er gebunden in Rom, aber das Wort Gottes ist ungebunden, es geht ungehindert weiter. Das Wort Gottes kann man nicht aufhalten. Menschen kann man aufhalten, aber das Wort Gottes nicht. Und das ist so schön, dass das Buch so endet: Akolytos – ungehindert.
Und nun am Anfang auch ein ganz spannendes Wort, das uns schon einiges über den Charakter dieses Buchs verrät. Lukas sagt, Jesus ist auferstanden, und er sagt in 1,3, dass er dann den Jüngern erschienen ist, denen er sich auch nach seinem Leiden in vielen sicheren Kennzeichen lebendig dargestellt hat. Und dieser Ausdruck „sichere Kennzeichen“ – im Griechischen ist das das Wort „Tekmerion“. Tekmerion heißt „durchschlagender, überzeugender Beweis“ und steht hier in der Mehrzahl. Also: Durch durchschlagende, überzeugende Beweise hat er sich ihnen lebendig dargestellt.
Das zeigt uns, Lukas war nicht, wie das die liberalen Theologen gerne hätten, ein Mythen-Erzähler, sondern es ging ihm um Fakten, die historisch wirklich geschehen sind. Jesus ist wirklich in diese Welt gekommen, geboren worden in Bethlehem, er hat auf dieser Erde seinen Dienst getan, wurde schließlich vor den Toren Jerusalems gekreuzigt und ist am dritten Tag auferstanden. Diese Auferstehung ist auch belegt durch durchschlagende, überzeugende Beweise. Die Jünger haben ihn eben erlebt: Vierzig Tage ab der Auferstehung haben sie mit ihm gesprochen, mit ihm gegessen. Die Sache war völlig klar, kein Zweifel.
Sehen wir, das ist ein wichtiges Anliegen von Lukas: Die Dinge müssen ganz klar und eindeutig sein. Der Glaube ist etwas Eindeutiges, Gewisses, Sicheres – nicht von Zweifeln behaftet. Und das hat er diesem Theophilus auch schon im Evangelium am Anfang gesagt, nicht wahr? Da ging es noch nicht um die Auferstehung, sondern um das Leben des Herrn Jesus. Aber er sagt, er schreibt das alles so genau, nach Augenzeugenberichten, Lukas 1,4: „Damit du die Zuverlässigkeit der Dinge erkennst, in denen du unterrichtet worden bist.“
Es geht wirklich um Klarheit, Eindeutigkeit. Und so ist es wichtig: Missionarische Verkündigung ist nicht so, dass es verschiedene Ansichten gibt und man nicht genau wissen kann, was stimmt, und wirklich wissen wir es dann im Himmel. Nein, es gibt wirklich klare Gewissheiten, auf denen wir unseren Glauben aufbauen können.
Bekehrungsgeschichten als exemplarische Zeugnisse der Weltmission
Unter dem Titel Bekehrungsgeschichten beschreibt Lukas die ersten drei Jahrzehnte der Weltmission. Eingeflochten in diese Erzählungen finden sich drei Bekehrungsgeschichten von Einzelpersonen.
In Kapitel 9 wird die Bekehrung von Saulus geschildert, die außerdem noch zweimal berichtet wird: in Kapitel 22,1-21 und in Kapitel 26,1-29.
Besonders interessant ist, dass in diesem Abschnitt, dem zweitletzten Punkt, drei Bekehrungsgeschichten der Söhne Noahs vorgestellt werden.
Erstens die Bekehrung des Äthiopiers in Apostelgeschichte 8,26-40. Dieser Äthiopier war ein Sohn Hams, denn Kusch – das hebräische Wort für Äthiopien – war ein Sohn Hams, wie die Völkertafel in 1. Mose 10 zeigt.
Zweitens die Bekehrung von Saulus von Tarsus in Kapitel 9,1-21. Saulus war ein Sohn Sems.
Drittens die Bekehrung des Hauptmanns Cornelius. Als Römer war er ein Sohn Jafets. In 1. Mose 10 wird erklärt, wie die Nachkommen Jafets Europa besiedelten: die Iyim (hebräisch für Inseln) sind die Inseln des Mittelmeers auf der europäischen Seite. Dazu gehören auch die Küstengebiete der Türkei, der Balkan, Griechenland, Italien und bis nach Spanien.
Paulus hat all diese Gebiete besucht. Er reiste von der Türkei aus in den Balkan, erwähnt Illyrien in Römer 15 – das entspricht dem ehemaligen Jugoslawien – und predigte in Griechenland, Rom und bis nach Spanien.
Der Hauptmann Cornelius steht somit für die Söhne Jafets.
Es ist bemerkenswert, dass diese drei Söhne, die als Stammväter der gesamten Menschheit gelten, in der Apostelgeschichte exemplarisch durch drei Bekehrungen vorgestellt werden. Diese entsprechen genau den Bekehrungen der Söhne Noahs.
Besonders bewegend ist, dass Ham zuerst genannt wird, vor Sem und Jafet. Ham war der jüngste Sohn, Jafet der älteste und Sem der wichtigste. Noah nennt Gott bereits den Gott Sems, der in seinen Zelten wohnen wird. Das bedeutet, dass Gott sich ganz besonders durch die Linie Sem offenbaren sollte. Aus dieser Linie kam der Messias, zuerst für Israel, dann der Messias aus der Linie Sem.
Es gibt jedoch Menschen, die behaupten, Ham sei verflucht wegen einer üblen Tat gegenüber seinem Vater. Das stimmt nicht. Manche haben sogar versucht, die Sklaverei der Schwarzen mit dem Fluch über Ham zu rechtfertigen. Dabei muss man nur 1. Mose 9 lesen: Dort wird ein Fluch über Kanaan ausgesprochen. Kanaan war einer der Söhne Hams und wurde speziell verflucht. Von ihm stammen die Kanaaniter ab, nicht die Schwarzafrikaner.
Die Schwarzafrikaner stammen ebenfalls von Ham ab, aber über Kusch, dessen Name „Schwarz“ bedeutet. Daher kann man nicht sagen, Ham oder die Schwarzafrikaner seien von Noah verflucht worden.
Jafet hingegen erhielt einen Segen: „Weit mache es Gott Jafet“ – Jafet bedeutet „Ausdehnung“. Die Jafetiten breiteten sich weltweit in ihren Kolonien aus: von Europa aus nach Afrika, Südamerika, Mittelamerika, Nordamerika, Asien bis in den fernen Osten, nach Australien und Neuseeland. So hat sich das erfüllt.
Ham war nicht verflucht, aber er erhielt keinen Segen. Das ist zwar nicht besonders schön, aber man kann daraus keine Rechtfertigung für die Sklaverei der Schwarzen ableiten. Diese war so schlimm, wie sie war.
Es ist schön, dass gerade derjenige, der keinen Segen hatte, als Erster beschrieben wird, wie er durch das Evangelium für alle Ewigkeit gesegnet wurde.
Deshalb hat es eine ganz besondere Bedeutung, dass Lukas diese Bekehrungsgeschichte als erstes Einzelporträt vorstellt, dann die von dem Juden und schließlich die von dem Jafetiten. Die Apostelgeschichte legt den Schwerpunkt auf die Evangelisierung Europas, der Jafetiten.
Das hat seinen Grund, denn damals war noch nicht klar, welcher Kontinent, ausgehend vom Land Israel, am meisten durch das Evangelium geprägt werden würde. Es hätte Asien sein können, aber Asien wurde kein christlicher Kontinent. Es hätte Afrika sein können, aber Afrika wurde in den vergangenen Jahrhunderten ebenfalls kein christlicher Kontinent. Erst seit dem 19. Jahrhundert wurde Schwarzafrika stark christianisiert.
Europa aber hat in besonderer Weise auf diese Botschaft gewartet – im Zusammenhang mit der Vision des Mannes, der sagt: „Komm herüber zu uns und hilf uns!“
Deshalb wird in der Apostelgeschichte dieses Gewicht auf Europa gelegt.
Wir sind für heute am Ende und werden beim nächsten Mal zügig weitermachen. Am Anfang muss man oft ganz detailliert vieles aufbauen, um später darauf aufbauen zu können.
