Einführung und Überblick über das Buch der Richter
Wir haben gestern mit einer Einführung in das Buch der Richter begonnen. Dabei haben wir festgestellt, dass es das Buch des Fallens und des Niedergangs ist. Ein wichtiger geografischer Ausgangspunkt im Buch der Richter ist Bochim, der Ort des Weinens.
Das wird uns in einem ersten Panorama dargestellt, das von Kapitel 1,1 bis 2,5 reicht. Dort haben wir gesehen, dass es am Anfang mit einem teilweisen, man könnte sagen halben Gehorsam beginnt. Dieser führt zu einer Spirale des Niedergangs. Am Ende zeigt uns das Buch, wie Individualismus und Relativismus alles zerstört haben.
Im Buch der Richter gibt es einen siebenfachen Refrain über den Abfall. Er erscheint erstmals in Kapitel 3, Vers 7: „Und die Kinder Israel taten, was böse war in den Augen des Herrn, und vergaßen den Herrn, ihren Gott. Sie dienten den Ba'alim und den Asherot.“
In diesem Zusammenhang beginnt die erste Hauptgeschichte im Buch der Richter. Alles, was vorher kommt, ist eine Einleitung.
Zwei Einleitungen und der Beginn des Hauptteils
Was wir gestern im Zusammenhang mit der Einleitung ins Buch Richter betrachtet haben, war die Einleitung im Buch der Richter.
Es gibt jedoch zwei Einleitungen, wie wir sehen werden. Die erste Einleitung umfasst 1,1 bis 2,5, die zweite Einleitung 2,6 bis 3,4. Danach beginnt der Hauptteil des Buches mit dem ersten Abfall von Gott.
In Kapitel 3, Vers 12 lesen wir: „Und die Kinder Israel taten wieder, was böse war in den Augen des Herrn.“ Hier beginnt die zweite Abfallgeschichte.
Kapitel 4, Vers 1 berichtet von der dritten Abfallgeschichte: „Und die Kinder Israel taten wieder, was böse war in den Augen des Herrn.“ In dieser Geschichte begegnet uns die Richterin Deborah.
Im zweiten Abfall lernen wir den Richter Ehud kennen, im ersten den Richter Otniel.
In Kapitel 6, Vers 1, wo die Geschichte mit Gideon beginnt, steht: „Und die Kinder Israel taten, was böse war in den Augen des Herrn.“ Das ist die vierte Geschichte.
In Kapitel 8, Vers 33 folgt ein leicht variierter Refrain: „Und es geschah, als Gideon gestorben war, da wandten sich die Kinder Israel wieder ab und hurten den Baalim nach.“ Hier beginnt die fünfte Geschichte mit Abimelech.
Die sechste Abfallgeschichte finden wir in Kapitel 10, Vers 6: „Und die Kinder Israel taten wieder, was böse war in den Augen des Herrn.“ Im Folgenden wird die Geschichte des Richters Jephtha vorgestellt.
Schließlich gibt es die siebte Geschichte in Kapitel 13, Vers 1: „Und die Kinder Israel taten wieder, was böse war in den Augen des Herrn.“ Das ist die Geschichte von Simson, die bis Kapitel 16 reicht.
Damit ist die Geschichte des Richterbuches eigentlich zu Ende.
Die Anhänge und ihre Spiegelstruktur
Was nachher kommt, von Kapitel siebzehn bis einundzwanzig, ist ein Anhang – und zwar ein doppelter Anhang. Es gibt zwei Anhänge oder zwei Schlusswörter, ähnlich wie wir am Anfang zwei Einleitungen haben. Diese spiegeln sich gegenseitig wider. Das ist ganz fantastisch.
Ich habe gestern bereits vorgelesen, dass es neben dem siebenfachen Refrain vom Abfall, der den Hauptteil des Buches Richter in sieben Teile unterteilt, noch einen vierfachen Königsrefrain im Anhang gibt, und zwar in den beiden Schlusswörtern. Wir haben gestern gelesen: „In jenen Tagen war kein König in Israel.“ Dies kommt viermal vor: in 17,6, 18,1, 19,1 und 21,25.
In Verbindung mit diesem vierfachen Königsrefrain beim ersten und letzten Mal, also in 17,6 und 21,25, steht der zweifache Refrain des Relativismus: „Ein jeder tat, was recht war in seinen Augen.“ Das habe ich auch beim letzten Mal schon verdeutlicht.
Diese Hinweise helfen uns, eine Übersicht über die Struktur des Buches zu gewinnen. Wir sehen, dass der Heilige Geist die Bibel so inspiriert hat, dass man auf solche Referenzen oder Markierungen im Text achten muss. Sie geben eine ganz natürliche Einteilung vor und helfen uns, das Ganze viel besser zu verstehen.
Die zwei Einleitungen: Politischer und religiöser Niedergang
Also, wir haben zunächst zwei Einleitungen. Die erste, oder hier A, behandelt den politischen Niedergang von Kapitel 1, Vers 1 bis Kapitel 2, Vers 5.
Wir haben gesehen, dass es hier um die Misserfolge bei der Landnahme geht. Es wird gezeigt, wie Israel es versäumt hat, das Gute zu tun. Das Gute zu tun wäre gewesen, Gottes Befehl zu folgen und das gute Land in Besitz zu nehmen. Doch sie kamen nicht voran – hier nicht, dort nicht und an anderer Stelle ebenfalls nicht. Schließlich wurden sie sogar zurückgedrängt.
Dies beschreibt den politischen Niedergang und die Unterlassung des Guten.
Dann folgt Kapitel 2, Vers 6 bis Kapitel 3, Vers 4. Hier wird uns der religiöse Niedergang gezeigt. Es wird dargestellt, wie Israel in dieser Zeit in Götzendienst verfiel und durch Abfall von Gott wegkam. Wir sehen hier das Problem des Tuns des Bösen.
Der zeitliche Rückgriff und die Bedeutung der Vajigdol-Form
Und um zu zeigen, dass das wirklich ein zweites Vorwort ist, muss man einmal Kapitel 2, Vers 6 aufschlagen. Was steht dort?
Wir hatten gestern gerade bis zu diesem Höhepunkt mit der Erscheinung des Engels des Herrn in Bochim gelesen. Aber dann heißt es im nächsten Vers: „Und Josua entließ das Volk, und die Kinder Israel gingen hin, jeder an sein Erbteil.“ Das ist ein bisschen überraschend, nicht wahr?
Denn in Kapitel 1, Vers 1 lesen wir: „Und es geschah nach dem Tode Josuas, da befragten die Kinder Israel den Herrn.“ Das Buch der Richter beginnt also nach dem Tod Josuas. Und in Kapitel 2, Vers 6 entlässt Josua das Volk. Jetzt lebt er plötzlich wieder? Nein. Hier haben wir einen zeitlichen Rückgriff.
Man könnte mit Fug und Recht die Vajigdol-Form im Hebräischen hier mit „Und Josua hatte das Volk entlassen“ übersetzen. Es ist also ein Rückgriff in die Vergangenheit. Das kommt in der Bibel immer wieder vor. Wenn man das nicht beachtet, fällt man leicht in eine Falle und versteht die Bibel nicht richtig.
Ein anderes Beispiel findet sich in 1. Mose 2. Dort wird im Detail beschrieben, wie Gott Adam erschafft, und dann heißt es: „Und Gott schuf die Tiere und brachte sie zu ihm.“ Aus 1. Mose 1 wissen wir jedoch, dass Gott die Tiere am fünften Tag und dann auch am sechsten Tag schuf – noch bevor er Adam erschuf.
Da kommen die Bibelkritiker und sagen: Seht ihr, Kapitel 2 ist ein anderer Schöpfungsbericht, der dem ersten widerspricht. Wie bitte? Haben wir nicht im Hebräischunterricht gelernt, dass die Vajigdol-Form immer wieder Vorzeitigkeit bedeuten kann?
Gott erschuf Adam, und dann erschuf Gott die Tiere? Nein. Vielmehr ist das ein zeitlicher Rückgriff: „Und der Herr hatte die Tiere geschaffen und so brachte er sie zu Adam.“ So muss man übersetzen.
Man könnte noch weiter darauf eingehen, aber ich denke, das reicht erst einmal. Hier ist es so offensichtlich: Josua ist gestorben, und trotzdem entlässt Josua das Volk – das ist ein Rückgriff.
In den weiteren Versen, die wir gleich anschauen werden, sehen wir dann das Problem von Götzendienst und Abfall. Erst danach folgt der Hauptteil mit den sieben Abfallgeschichten.
Die Schlussworte: Spiegelung der Einleitungen
Aber zuerst möchte ich noch auf die Schlussworte hinweisen. In den Kapiteln 17,1 bis 18,31 wird der religiöse Niedergang beschrieben. Dabei geht es um Götzendienst und Abfall.
Anschließend folgt Kapitel 19, Vers 1 bis zum Schluss. Dort wird der politische Niedergang dargestellt, nämlich der Bürgerkrieg Israels, bei dem der Stamm Benjamin fast ausgerottet worden wäre.
Man erkennt, dass das erste Vorwort „A politischer Niedergang“ sich mit dem zweiten Schlusswort „A' politischer Niedergang“ spiegelt. Ebenso spiegelt sich „B religiöser Niedergang“ im Vorwort mit „B' religiöser Niedergang“, also Götzendienst und Abfall.
Der zeitliche Rückgriff in den Schlusskapiteln
Und noch ganz wichtig: Wenn man einfach so liest, im Buch der Richter, dann geht die Geschichte von Simson bis Kapitel sechzehn. Danach denkt man, es geht weiter mit Kapitel siebzehn. Doch das ist zeitlich ein totaler Rückgriff. Kapitel siebzehn beschreibt Ereignisse, die Jahrhunderte vor Simson stattfinden.
Ich kann das kurz beweisen. Wir schlagen auf in Kapitel 18, Vers 30: „Und die Kinder Dan richteten sich das geschnitzte Bild auf, und Jonathan, der Sohn Gershoms, des Sohnes Moses, er und seine Söhne waren Priester für den Stamm der Daniter bis auf den Tag, der das Land in Gefangenschaft führte.“
Hier wird von Jonathan, dem Sohn Gershoms, gesprochen. Mose hatte in der Fremde, während der vierzig Jahre, in denen Gott ihn vorbereitete, um später das Volk Israel 40 Jahre lang zu führen, Kinder bekommen. Einer davon war Gershom. Dieser Gershom hatte einen Sohn namens Jonathan.
Diese Generation, der Enkel von Mose, wird in dieser Geschichte beschrieben. Es wird erzählt, wie er ein Götzendiener wurde, ein Götzenpriester – das ist ganz schrecklich. Der Enkel von Mose, ein Götzendiener.
Das soll uns zeigen, wie dramatisch der Niedergang stattgefunden hat. Man denkt, in einer so guten Familie sei so etwas nicht möglich. Doch ja, es ist möglich. Das ist das Thema des Buchs der Richter.
Die Rolle von Pinehas im zweiten Nachwort
Und jetzt das zweite Vorwort, Verse 19 bis 21. Dort sollten wir in Kapitel 20, Vers 27 lesen: „Und die Kinder Israel befragten den Herrn, denn die Lade des Bundes war dort.“ Übrigens war die Lade des Bundes damals in Bethel, in jenen Tagen.
Pinehas, der Sohn Eleasars und Enkel Aarons, stand vor der Lade in jenen Tagen. Pinehas war bereits ein Held am Ende der vierzigjährigen Wüstenwanderung. In 4. Mose 25 wird im Zusammenhang mit der schlimmen Sünde und dem Abfall zum Baal Peor berichtet, wie Pinehas Eifer bewiesen hat. Er durchbohrte mit einem Spieß einen israelitischen Mann, der Hurerei mit einer fremden Frau im Zusammenhang mit Baal Peor begangen hatte. Dadurch wendete er den Zorn des Herrn von Israel ab.
Dieser Pinehas erscheint auch in der Geschichte des zweiten Vorworts als Hohepriester. Damit wird klar, dass hier zeitlich wieder ganz an den Anfang zurückgegriffen wird. In beiden Geschichten wird deutlich, wie schnell der Niedergang bereits in der dritten Generation von Aaron und Mose kam.
Es wird uns nochmals aufgezeigt, wie problematisch es ist, sich vom Herrn zu entfernen. Das kann sehr schnell geschehen, und dann geht es furchtbar abwärts. Was wir in diesen beiden Schlussworten an Verdrehung und Perversion des Rechts finden, lässt einem fast den Atem stocken.
Doch es soll einfach zeigen, was möglich ist – sogar in den besten gläubigen Familien –, wenn man nicht beim Herrn bleibt. Das Buch der Richter ist wirklich dazu da, einen eindringlichen Appell zu geben. Niemand sollte denken: „Ich komme aus einer guten Familie, in der viel Gottesfurcht herrscht.“ Auch das bewahrt nicht, wenn man nicht selbst den Weg entschieden gehen will.
Übersicht des Hauptteils mit den sieben Abfallgeschichten
Jetzt schauen wir uns in der Übersicht den Hauptteil an. Ab Kapitel 3, Vers 5 haben wir zuerst die Geschichte von Otniel.
Dann, wie ich gesagt habe, ab Kapitel 3, Vers 12, folgt die Geschichte mit Ehud, danach Deborah und Barak und schließlich Gideon. Ich habe das so durchgezählt: A, B, C, D.
Die weitere Geschichte habe ich hier mit D', C', B', A' bezeichnet. Dieser ganze Hauptteil ist zweigeteilt. Es gibt eine Spiegelachse in der Geschichte von Gideon, und die beiden Teile spiegeln sich. So wie die Vorwörter sich mit den Nachwörtern spiegeln, spiegelt sich auch der Hauptteil in der Mitte, nämlich in der Geschichte von Gideon.
Wir sehen in der Geschichte von Gideon, dass Gideon Israel aus dem Götzendienst herausführt. Das ist die einzige Geschichte, bei der das wirklich das Thema ist: Der Richter führt Israel aus dem Götzendienst heraus.
In der zweiten Hälfte sehen wir jedoch, dass derselbe Richter Israel wieder in den Götzendienst hineinführt. So spiegelt sich alles Weitere.
Die Spiegelung der Geschichten im Hauptteil
In der ersten Geschichte mit Othniel geht es darum, dass das Volk auf dem Gebiet der Liebe und Ehe versagt. Viele gehen Mischehen mit Götzendienern, mit Kananitern ein, was Gott ausdrücklich verboten hatte – ein klares No-Go! Jemand aus dem Volk Gottes darf sich nicht mit jemandem aus der Welt, aus dem Heidentum, verheiraten. Doch genau das haben sie massenweise getan. Das führte zum ersten Abfall.
In dieser Situation schickt Gott Othniel. Dieser Mann ist, wie wir noch sehen werden, ein Vorbild auf dem Gebiet von Liebe und Ehe. Er führt eine fantastische Ehe mit Aksa, einer Frau aus dem Volk Gottes. Sie ist nicht einfach nur eine Israelitin, wie es viele gab, sondern eine, die wie er Eifer und Hingabe für die Sache des Herrn hat.
Diese Geschichte spiegelt sich in der letzten Geschichte wider, der Geschichte von Simson (Richter 13,1–16,31). Der Richter Simson versagt völlig auf dem Gebiet der Liebe und Ehe. Es ist eine Katastrophe. Man fragt sich, wie ein Führer im Volk Gottes so tief fallen kann wie dieser Mann. Er hat ein echtes Frauenproblem – und mit seinen Augen ein großes Problem gehabt. Am Ende werden ihm die Augen ausgestochen, das Problem wird buchstäblich am Schluss beseitigt.
So sehen wir: Das Volk versagt auf dem Gebiet der Liebe und Ehe. Doch am Ende ist die Situation viel schlimmer. Nicht das Volk selbst, sondern derjenige, der das Volk führen sollte und ein Vorbild auf diesem Gebiet sein sollte, hat das große Problem.
Die Geschichte von Ehud und ihre Spiegelung bei Jephtha
Wenn wir die zweite Geschichte kurz betrachten, nämlich die von Ehud, finden wir sie in Kapitel 3, Vers 12 und den folgenden Versen. Ehud wendet das Wort Gottes als zweischneidiges Schwert in seiner ganzen Schärfe an. Das werden wir noch genauer untersuchen. Das ist wirklich die besondere Pointe dieser Geschichte.
Ehud und das zweischneidige Schwert – er sagt dem Feind: „Ich habe ein Wort Gottes an dich.“ Dann sticht er mit dem Schwert zu und befreit Israel.
Diese Geschichte spiegelt sich in der Geschichte von Jephtha wider, die im Plan als B' bezeichnet wird. Jephtha wendet das Wort Gottes auf den feindlichen König an, aber nicht in seiner vollen Schärfe. Das werden Sie in Kapitel 11, Verse 12-27 sehen. Dort hält er eine sehr lange, richtig diplomatische Rede.
Er sagt: „Ihr Ammoniter, was habt ihr für ein Problem mit uns? Euer Gott Kamos hat euch euer Land gegeben. Der Herr hat uns dieses Land gegeben. Wir können doch einfach im Frieden existieren, und jeder hat das Seine.“ Wie bitte? Er spricht von diesem Götzen und falschen Gott Kamos, als wäre das vergleichbar mit dem Herrn, der Israel das verheißene Land gegeben hat.
Wo ist die Schärfe des Wortes geblieben? Es ist nur noch stumpf und eine lange, lange diplomatische Rede. Das ist der Gegensatz.
Die Parallelen zwischen Deborah und Abimelech
Schauen wir uns Geschichte C an, insbesondere die erste Hälfte mit Deborah und Barak.
Auf dem Höhepunkt der Geschichte sehen wir, wie eine Frau Israel rettet, indem sie den Schädel des Feindes zerschlägt. Es handelt sich um Jaël, die mit einem Zeltpflock den Schädel des Generals der Kanaaniter, Sisera, zertrümmert.
Diese Szene spiegelt sich in der Geschichte bezeichnet als C' mit Abimelech wider. Auch hier ist es eine Frau, die Israel rettet, indem sie den Schädel des Feindes zerschlägt. Sie lässt einen Mühlstein von einem Turm auf den Schädel von Abimelech fallen, woraufhin er stirbt.
Diese Parallele ist wirklich bemerkenswert. Doch die Situation ist in der Geschichte mit Abimelech noch viel schlimmer. Bei Deborah und Barak war der Feind außerhalb des Volkes Gottes. Die Kanaaniter waren die Feinde, und Sisera war ein Kanaaniter.
In der Geschichte mit Abimelech hingegen ist der Feind ein Israelit. Abimelech ist ein Feind, der jedoch aus dem Volk Gottes hervorgegangen ist.
Die Spiegelung in der Mitte: Gideon führt heraus und hinein
Wir befinden uns nun in der Mitte von Gideon. In der ersten Hälfte führt er das Volk aus dem Götzendienst heraus. In der zweiten Hälfte jedoch führt er das Volk wieder in den Götzendienst hinein.
Wie können wir diese Entwicklung grafisch darstellen?
Übrigens hat David Gooding diese Strukturen als Erster beschrieben. Er war ein Bruder, der wunderbare Bücher geschrieben hat. In eingeweihten Kreisen galt er als einer der größten Spezialisten für die Septuaginta-Übersetzung, die älteste griechische Übersetzung der Bibel. Er war ein großer Gelehrter, ein bescheidener Mann mit einer tiefen Liebe zum Herrn und zu seinem Wort.
Gooding hat zum Beispiel auch einen Kommentar über das Lukasevangelium verfasst. Dieser ist bei CLV auch auf Deutsch erhältlich. Darin hat er die gesamten Spiegelstrukturen im Lukasevangelium herausgearbeitet – eine überwältigende Leistung. Diese Arbeit ist ein wunderbarer Beweis für die Inspiration der Schrift.
Man ist einfach nur sprachlos, wenn man sieht, wie schön das Lukasevangelium rein literarisch aufgebaut ist. Dabei haben diese Spiegelstrukturen auch noch eine geistliche Bedeutung. Das werden wir hier ebenfalls sehen.
Weitere Parallelen in den Geschichten von Ehud und Jephtha
Übrigens noch etwas, das ich nicht erwähnt habe: In der Geschichte mit Ehud wird berichtet, wie Israel dem Feind die Furten des Jordans nimmt und dort den Übergang beim Jordan blockiert (Richter 3,28).
Genau dasselbe finden wir in der parallelen Geschichte bei Jephtha. Auch hier nimmt Israel dem Feind die Furten des Jordans. Nur ist der Feind diesmal ebenfalls Israel.
Auch in dieser Geschichte wird wieder betont, dass die Furten des Jordans blockiert werden.
Man merkt: Es geht in der zweiten Hälfte der Erzählungen noch tiefer hinab. Genau das ist die Belehrung des Buchs Richter. Es geht immer tiefer und immer weiter hinab.
Das ist eine wichtige Lektion.
Die Gnade Gottes trotz des Niedergangs
Ich habe gesagt, dass das Buch Richter wunderbar die Gnade Gottes zeigt. Es gibt einen Weg zurück, auch wenn man gefallen ist. Genau das wird hier dargestellt: Israel fällt siebenmal, und trotzdem bekommt es die Gelegenheit, wieder umzukehren.
Diejenigen, die vielleicht Paul Kiene noch gekannt haben, wissen, dass er der Bruder war, der das Buch „Das Heiligtum Gottes in der Wüste Sinai“ geschrieben hat. Aus meiner Sicht ist es das schönste Buch über die Stiftshütte, mit wunderbaren farbigen Bildern. Es lohnt sich wirklich, dieses Buch zu kaufen – es ist ein Muss.
Paul Kiene war früher sehr beweglich und hat Langlauf-Ski gemacht. Jedes Mal, wenn er gefallen ist, hat er aus den Sprüchen zitiert: „Der Gerechte fällt siebenmal und steht wieder auf.“ Genau das will uns das Buch Richter zeigen. Auch bei einem siebenfachen Abfall gibt es eine Möglichkeit, zurückzukommen.
Aber das darf uns nicht dazu verleiten, mit der Gnade zu spielen und zu denken: „Beim nächsten Mal kann ich ja wieder umkehren.“ Nein, das Buch Richter zeigt, dass es mit jedem weiteren Abfall wie eine Spirale immer tiefer nach unten geht.
Das möchte ich gleich jetzt zeigen, indem wir das zweite Vorwort lesen: den religiösen Niedergang, in der Übersicht dargestellt.
Der Generationenwechsel und seine Herausforderungen
2. Mose 6, Vers 2: Und Josua entließ das Volk, und die Kinder Israel gingen jeder in sein Erbteil, um das Land in Besitz zu nehmen.
Das Volk diente dem Herrn alle Tage Josuas und auch alle Tage der Ältesten, die ihre Tage nach Josua verlängerten. Diese Ältesten hatten das ganze große Werk des Herrn gesehen, das er für Israel getan hatte.
Josua, der Sohn Nuns, der Knecht des Herrn, starb im Alter von hundertzehn Jahren. Man begrub ihn im Gebiet seines Erbteils zu Timnath-Heres, auf dem Gebirge Ephraim, nördlich vom Berg Ga'asch.
Das ganze selbe Geschlecht wurde zu seinen Vätern versammelt. Danach kam eine andere Generation, die den Herrn nicht kannte und auch nicht das Werk, das er für Israel getan hatte.
Hier wird uns das Problem des Generationenwechsels gezeigt. Dieses Thema wird übrigens an vielen anderen Beispielen in der Bibel ebenfalls dargestellt. Man könnte all diese Beispiele zusammenfassen und daraus ein Thema machen: den Übergang der Generationen.
Es gibt dazu auch ein Büchlein von Georges André mit dem Titel Le Passage des Générations. Ich bin nicht ganz sicher, ob es auch auf Deutsch übersetzt wurde, denn manche seiner Bücher wurden übersetzt. In diesem Buch geht es genau um dieses Thema: den kritischen Übergang von einer Generation zur nächsten.
Wie kann die Treue zum Herrn und die Liebe zum Wort an die nächste Generation weitergegeben werden? Das ist sehr kritisch. Wir sehen hier Josua, einen treuen Mann. Er war übrigens kein Einzelkämpfer, auch wenn er führend war. Es gab auch die Ältesten, die ebenfalls dem Herrn treu standen.
Doch Josua geht, diese Mitarbeiter gehen, und dann kommt eine neue Generation. Bei diesem Übergang hat es mit der Weitergabe nicht geklappt.
Das wird weiter beschrieben in Vers 11: Die Kinder Israel taten, was böse war in den Augen des Herrn und dienten den Baalim.
Die Bedeutung von Baal und der Kult der Kanaaniter
Baal war einer der wichtigsten, nein, man kann sagen der wichtigste Gott der Kanaaniter. Er wurde als Blitz- und Regengott verehrt. Dabei galt er als Sohn Gottes, sein Vater wurde El genannt, ein anderes Wort für Gott in der Bibel. Somit war Baal der Sohn Gottes.
Die Mythologie der Kanaaniter erzählt, dass Baal stirbt und ins Totenreich hinabsteigt, später aber wieder aufersteht. Er wurde als Sohn Gottes verehrt, der stirbt und wieder aufersteht. Dieser Glaube war verbunden mit einem abscheulichen Kult, der Prostitution einschloss.
Man erkennt hier, dass der Teufel das Wesen Gottes und auch die Dreieinheit Gottes kennt. Deshalb versuchte er, in den Religionen eine perverse, verdrehte und lästerliche Abbildung davon zu schaffen. Das ist auch der Grund, warum man in manchen Religionen eine Dreiheit von Göttern findet, etwa im Hinduismus oder in der altägyptischen Religion. All das hängt damit zusammen, dass der Teufel die Wahrheit in Lüge verdreht. Das zeigt sich auch bei Baal.
Baal war also der Blitz- und Regengott, der für Fruchtbarkeit sorgen sollte. Man muss wissen, dass das Land Kanaan, dieses gute Land, vom Regen abhängig war. Im Gegensatz zu Ägypten, wo es sehr wenig regnet und man auf den Nil angewiesen ist, der auch in Trockenzeiten Wasser aus Schwarzafrika bringt.
Deshalb konnte Abraham bei einer Hungersnot in Kanaan nach Ägypten ziehen. Auch die Söhne Jakobs, die in Kanaan Hunger litten, konnten zu Joseph nach Ägypten gehen und dort überleben.
Kanaan war also auf Regen angewiesen. Die Kanaaniter glaubten, dass Baal durch ihre Verehrung bewirkt, dass im Herbst der Frühregen kommt. Dieser Regen markiert den Beginn der Regenzeit, die das ganze Winterhalbjahr bis zum Frühjahr dauert. Die letzte Phase, der Spätregen, fällt etwa in den April. Wenn dieser Regen gut ausfällt, gibt es im Frühjahr eine gute Ernte.
Doch nach einigen Monaten scheint die Sonne immer heißer, und etwa im Juli vertrocknet die Pflanzenwelt in Israel. Die Kanaaniter sagten, dass Baal, der im Frühjahr Fruchtbarkeit schenkt, im Juli stirbt, um im nächsten Frühjahr wieder aufzuerstehen und erneut Fruchtbarkeit zu bringen.
So wurde Baal verehrt. Man glaubte, dass durch Prostitution zu seinen Ehren die Fruchtbarkeit gefördert wird. Deshalb war der Übergang vom Leben in der Wüste Sinai, wo Israel 40 Jahre verweilte, in das verheißene Land sehr kritisch.
In der Wüste bekamen sie Manna, und dort spielte Regen keine Rolle. Ackerbau begann erst im verheißenden Land. Dann kam die Angst auf: Was, wenn der Regen nicht ausreicht und Hunger droht?
Deshalb waren die Israeliten anfällig, die Religion der Kanaaniter zu übernehmen. Damit einher ging auch die Zerstörung von Ehe und Familie. Denn dieser abscheuliche Kult wurde auf vielen Hügeln betrieben.
Die Bibel spricht in späteren Büchern ausführlich über diese Unzucht und die Gefahr, die von ihr für Israel ausgeht – insbesondere für ein Israel, das nicht auf den Herrn vertraut.
Wenn das Vertrauen zum Herrn da war, war diese Religion nicht gefährlich. Doch wenn sie dachten: „Wenn wir Hungersnot haben, könnte Baal vielleicht helfen“, dann wurden sie anfällig für diesen falschen Glauben.
Elija und der Kampf gegen den Baalskult
Jetzt versteht man übrigens auch die Geschichte mit Elija besser. Elija lebte in der Zeit von Ahab, der den Baalskult in Israel in einer Weise verbreitet hatte, wie nie zuvor. Elija sagte damals, der Himmel solle verschlossen sein. Er betete, dass Gott den Himmel verschließt. Dreieinhalb Jahre lang regnete es nicht mehr. Damit gab er den Beweis: Baal ist gar nichts. Wenn der Herr den Himmel verschließt, dann können die Baalsanhänger tun, was sie wollen – es kommt kein Regen vom Himmel.
Als es dann darum ging, auf dem Karmel Gottesbeweis zu liefern, forderte Elija die Baalspriester auf, Baal zu rufen, damit er Feuer vom Himmel sende. Ein Blitzgott sollte schließlich in der Lage sein, einen Blitz vom Himmel zu schicken und ein Opfer zu entzünden. Die Baalspriester schrien und schnitten sich sogar. Interessanterweise schnitten sie sich – das ist ein aktuelles Thema. Sie tanzten und tobten ekstatisch.
Elija sagte daraufhin, sie müssten ein bisschen lauter sein, vielleicht höre Baal sie nicht, oder er sei unterwegs oder schlafe gerade. Er wollte die ganze Torheit des Baalskults ans Licht bringen. Heute würde man sagen, Elija war polemisch. Es gibt Stellen, wo man polemisch sein darf, und das war so eine Situation. Nicht immer, da muss man sehr aufpassen, nicht polemisch und verletzend zu sein. Aber es gibt Momente, in denen man die Bosheit wirklich polemisch darstellen muss. Das hat Elija getan.
Dann betete er schlicht, und Feuer kam vom Himmel. Israel wusste: Der Herr ist Gott, der Herr ist Gott. Warum diese Zeichen? Eben weil es um Baal ging. Wir sehen, dass das damals schon begann. Es war dieser kritische Übergang von der Wüste ins Land. Die Menschen waren sehr anfällig dafür, zu sagen: Das darf ja gar nicht geschehen.
Verzeihung, ich habe mir eben überlegt: Wenn ich einen Vortrag halte und plötzlich ein Telefon klingelt, müsste ich sagen: „Ich halte gerade einen Vortrag, ich kann jetzt wirklich nicht telefonieren, das geht gar nicht.“ Aber man sollte nicht vergessen, am Schluss wieder einzuschalten. Das ist mir jetzt untergegangen. Also, Verzeihung, wir fahren weiter.
Die Mehrzahl Baalim und die örtliche Dämonenanbetung
Es ging also darum, bei Elija die ganze Torheit des Baalskultes zu zeigen. Wir sehen, dass Israel gleich nach dem Einzug ins verheißene Land in Gefahr war, in diesen Kult hineinzufallen.
Aber warum steht hier „den Baalim“? Baal ist die Einzahl, Baalim die Mehrzahl. Jeder Katholik kann das gut verstehen. Es gibt doch nur eine Maria in der Bibel. Aber warum gibt es die Madonna von dort, die Madonna von dort und die Madonna von dort? Und warum offenbart die eine Madonna etwas, während man bei der anderen Visionen und Heilungen empfängt?
Das ist typisch im Götzendienst: Man verehrt den gleichen Gott an verschiedenen Orten örtlich unterschiedlich. Das hängt damit zusammen, dass in 1. Korinther 10 gesagt wird, dass hinter den Götzenbildern der Heiden Dämonen stehen. Diese Dämonen wollen so verehrt werden, als wären sie Gott. Dämonen sind gefallene Engel, und sie sind örtlich beschränkt. Sie sind nicht allgegenwärtig wie Gott.
So gibt es Dämonen, die sich an diesem Ort hinter dieser Madonna verstecken, und an jenem Ort hinter einer anderen. Deshalb gibt es diese unterschiedlichen Erscheinungsformen. Das war bei Baal genau gleich: Der Baal von dort wurde von Dämonen geleitet, die an diesem Ort wirkten, und der Baal dort von anderen Dämonen, die an jenem Ort wirkten. Diese Verehrung wurde also örtlich unterschiedlich gestaltet.
Darum finden wir immer wieder „Baalim“ in der Mehrzahl. Ebenso bei Ascherot, einer weiblichen Göttin. Die Einzahl ist Aschera, die Mehrzahl Ascherot. Auch hier gab es örtliche Ausprägungen, wie es im Heidentum üblich ist, weil Dämonen lokal wirken.
Im Buch Daniel wird zum Beispiel von einem dämonischen Fürsten gesprochen, dem Fürsten von Persien, und vom Fürsten von Griechenland. Das sind Engelfürsten, die an der Spitze bestimmter Nationen stehen und sie leiten. Ebenso wird von Israel in Daniel 12 gesagt, dass ein Engel Gottes, Michael, der Erzengel, an der Spitze Israels steht.
Gut, jetzt haben wir schon fünf Minuten Überzeit. Wir machen jetzt eine Viertelstunde Pause bis fünf nach.