
Wir gehen zurück zu Matthäus 27, und zwar jetzt zu Vers 29. Liest du nochmals, Christian, Vers 29?
„Und sie flochten eine Krone aus Dornen, setzten sie auf sein Haupt, gaben ihm ein Rohr in seine rechte Hand, fielen vor ihm auf die Knie und verspotteten ihn mit den Worten: ‚Sei gegrüßt, König der Juden!‘“
Danke, bis hierhin! Auch hier ist die Sprache so gestaltet, dass man diese Geschichte allen erzählen kann, sogar kleinen Kindern. Trotzdem dürfen wir wissen, wie das mit Dornen im Land Israel ist.
Dort gibt es verschiedene Pflanzen, die als Anwärter für diese Dornenkrone infrage kommen. Es gibt Gewächse in Israel, bei denen die Dornen wirklich drei, vier, fünf, sechs oder sogar sieben Zentimeter lang sein können. Die Haut wurde an unzähligen Stellen durchstochen, Rinnsale liefen über das Gesicht des Herrn herab, und sein Aussehen wurde entmenschlicht.
Genau das beschreibt der Geist Gottes durch Jesaja. Wenn wir kurz aufschlagen in Jesaja 53 – allerdings mit dem Wissen, dass die Kapiteleinteilung dort im Mittelalter nicht ganz treffend war – beginnt die Beschreibung des leidenden Gottesknechtes, des Messias, eigentlich schon in Kapitel 52, Vers 13.
Durch das ganze Kapitel 53. Christian, darf ich dich bitten, lies doch Verse 13 bis 14 in Kapitel 52. Dort heißt es: „Siehe, mein Knecht wird einsichtig handeln, er wird erhoben und erhöht werden und sehr hoch sein. Wie sich viele über dich entsetzt haben, so entstellt war sein Aussehen, mehr als das irgendeines Mannes, und seine Gestalt mehr als die der Menschenkinder. Ebenso wird er viele Nationen in Staunen versetzen, über ihn werden Könige ihren Mund schließen.“
Der Heilige Geist beschreibt zuerst den Messias und seinen Sieg in Vers 13, bevor er die schrecklichen Leiden des Herrn prophetisch, also lange im Voraus – etwa 700 Jahre vorher – beschreibt. Gott sagt: „Siehe, mein Knecht wird einsichtig handeln.“ Das ist eine Zusammenfassung des gesamten Lebens des Herrn Jesus.
Dann wird gesagt, er wird erhoben, erhöht und sehr hoch sein – drei Stufen. Am dritten Tag wurde er aus dem Grab erhoben, das ist die Auferstehung. Vierzig Tage später, bei der Himmelfahrt, wurde er erhöht in den Himmel. Im Himmel hat er sich schließlich als Mensch zur Rechten Gottes gesetzt, so wie das Markus-Evangelium endet. Dieses Evangelium beschreibt den vollkommenen Knecht Gottes.
Hier geht es darum: „Siehe, mein Knecht wird einsichtig handeln. Er wird erhoben und erhöht werden und sehr hoch sein.“ Er hat sich auf den Thron gesetzt.
Ab Vers 14 heißt es: „Wie sich viele über dich entsetzt haben, so entstellt war sein Aussehen mehr als das irgendeines Mannes, und seine Gestalt mehr als die der Menschenkinder.“ Hier wird beschrieben, was durch die Geißelung der Römer und durch die Misshandlung mit der Dornenkrone ausgelöst wurde. An der Parallelstelle erfahren wir auch, dass ihm mit einem Rohrstab auf den Kopf geschlagen wurde.
Ein Hinweis zur Übersetzung: Die Stelle ist schwierig vom Althebräischen ins Deutsche zu übertragen. Der Ausdruck „so entstellt war sein Aussehen“ und „mehr als irgendeines Mannes“ hat im Hebräischen die Bedeutung „weg von dem eines Mannes“ und „weiter seine Gestalt mehr als die der Menschenkinder“ – also „weg von dem der Menschenkinder“. Das heißt, sein Aussehen war durch die schreckliche Misshandlung nicht mehr menschlich, es wich vom normalen menschlichen Erscheinungsbild ab.
In Vers 15 wird dann gesagt, dass die Botschaft von diesem leidenden Messias hinausgehen wird über Israels Grenzen hinweg zu den Heidenvölkern. Wirklich über alle fünf Kontinente wurde diese Nachricht durch die Evangeliumsverkündigung verbreitet. Das Leiden des Herrn Jesus ist die Grundlage des Evangeliums.
Darum heißt es: „Ebenso wird er viele Nationen in Staunen versetzen, denn das, was er da erlebt hat, soll weltweit verbreitet werden. Über ihn werden Könige ihren Mund verschließen.“
Christian, du hast in deiner Übersetzung „besprengen“ gelesen, nicht wahr? Lies noch einmal Vers 15. Dort steht eine Fußnote. Du hast im Text „besprengen“ gelesen, richtig? Soll ich es noch einmal vorlesen? Ja, gerne.
„Ebenso wird er viele Nationen besprengen.“
Es ist richtig, dass das hebräische Wort „besprengen“ bedeuten kann. Aber in der Satzkonstruktion hier in Jesaja 52 wird das Wort so verwendet, dass es nicht „besprengen“ bedeuten kann, sondern man muss es mit „aufbeben lassen“ übersetzen. Das heißt, die Menschen werden, wenn sie davon hören, in ihren Empfindungen in Bewegung versetzt.
Aber, wie gesagt, nicht durch ein übertriebenes Darstellen der Grausamkeit und Brutalität im Detail. Das soll nicht geschehen. Wir sollen darüber sprechen, aber in einer Art und Weise, die nicht verletzend wirkt. Das ist wichtig.
Aber wenn wir sehen, was der Herr bereit war, auf sich zu nehmen, um diesen Weg schließlich bis ans Kreuz zu gehen und bis in diese drei Stunden der Finsternis, in denen er konkret mit unseren Sünden beladen wurde, dann erkennen wir, wie er unter dem Gericht Gottes zusätzlich zu dem, was er von den Menschen gelitten hat, gelitten hat. Der Zorn Gottes kam über ihn wegen unserer Sünde, und Gott musste ihn schließlich verlassen. Wie wir gleich noch im selben Kapitel Matthäus 27 sehen werden, rief der Herr: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Das muss in unseren Herzen eine Antwort auslösen, wenn wir diese Liebe sehen, die bereit war, alles zu geben. Der Herr will dadurch unsere Herzen gewinnen und überzeugen.
Eine ganz kleine Episode aus dem Hohen Lied möchte ich an dieser Stelle anführen. Im Hohen Lied, das ja die Liebe zwischen Mann und Frau in der Ehe beschreibt, ist die Braut die jung Verheiratete. In Kapitel fünf gibt es einen Tiefpunkt. Sulamit ist schon schlafen gegangen, und dann kommt Salomo in der Nacht zurück. Seine Haare sind feucht vom nächtlichen Tau, und er klopft an. Sie denkt: „Jetzt soll ich wieder aufstehen.“ Wenn sie aufsteht, werden die Füße am Boden beschmutzt, und sie zögert. Das ist natürlich verletzend. Schließlich steht sie doch auf, aber er ist weg. Das trifft sie sehr. Sie geht auf die Suche in der Stadt, will ihn finden, doch vergeblich. Ganz dramatisch, was dort geschehen ist.
Warum beschreibe ich das? Aus einem besonderen Grund. In der Zeit der biblischen Geschichte gab es neben der Tür eine kleine Öffnung, ein Guckloch. Das ist vergleichbar mit modernen Türen, durch die eine gewisse Kommunikation möglich ist, ohne einem Fremden die Tür zu öffnen. Salomo hielt seine Hand durch diese Öffnung, und dann ging er weg.
Im Hohen Lied wird später alles wieder gut. Die Liebe wächst sogar noch mehr als zuvor. Die Beschreibung von Salomo ist so schön wie nirgends sonst im Hohen Lied. Ein Tiefpunkt kann also zu einem Höhepunkt führen.
Mir geht es jetzt darum, dass wir Hohelied 5 aufschlagen. Man kann das gerne selbst nachlesen. Ab Vers 2 beginnt dieses Drama: „Ich schlief, aber mein Herz wachte.“ Sie schläft unruhig. Dann kommt er, klopft an, und sie macht nicht auf. Doch in Vers 4 heißt es: „Mein Geliebter streckte seine Hand durch die Öffnung, und mein Inneres wurde seinetwegen erregt. Ich stand auf, um meinem Geliebten zu öffnen, und meine Hände tropften von Mörre und meine Finger von fließender Mörre am Griff des Riegels. Ich öffnete meinem Geliebten, aber mein Geliebter hatte sich umgewandt, war weitergegangen. Ich war außer mir, während er redete.“
Das heißt, er hat seine Hand durchs Guckloch gesteckt, und das hat etwas ausgelöst.
In der Übertragung werden die Erlösten als die Braut Christi dargestellt, die Frau des Messias. Der Herr Jesus zeigt uns immer wieder seine Hände, so wie damals am Auferstehungstag, als er plötzlich in der Mitte der Jünger erschien und sagte: „Schalom, Alechem! Friede euch!“ (Johannes 20). Dann zeigte er ihnen seine Hände und Füße, und sie freuten sich, als sie den Herrn sahen.
Der Herr zeigt uns durch sein Wort, wie viel er für uns getan hat, um unsere Herzen völlig von seiner Liebe zu überzeugen. Wenn wir das lesen, können wir uns diese Situation vorstellen: Vielleicht sind unsere Herzen etwas abgestumpft, unempfänglich. „Ich schlief, aber mein Herz wachte.“ Die Tür ist eigentlich zu, aber der Herr will diese Unempfänglichkeit überwinden, hält die Hand hin und löst etwas aus. Dann geht er weg, und sie fühlt sich verlassen. Doch innerlich ist er nicht weg. Das sollte nur etwas auslösen, und es hat eine tiefere Gemeinschaft bewirkt, tiefer als alles, was in den Kapiteln 1 bis 4 beschrieben ist.
In diesem Sinn wollen wir in Matthäus 27 weitergehen. In Vers 30 spotten sie, indem sie ihn als König begrüßen: „Sei gegrüßt, König der Juden!“ Auf Griechisch steht hier „Chaire“, was „Sei gegrüßt“ bedeutet. Es ist die normale Begrüßungsformel im Griechischen. „Chaire“ heißt wörtlich „Freue dich!“
Das ist abscheulich. Das Gesicht war aufgerissen, so dass man allein daran hätte sterben können, völlig entstellt. Und dann sagen sie: „Freue dich!“ Natürlich sprachen sie Griechisch, nicht Latein. Es waren zwar römische Soldaten, aber im östlichen Teil des Römischen Reiches war Griechisch die erste Sprache. Latein war die typische Sprache im weströmischen Reich, im westlichen Teil, auch vor der Teilung des Reiches. Im östlichen Teil war Griechisch die Hauptsprache, was auch erklärt, warum man in Israel aus dieser Zeit kaum lateinische Inschriften findet. Viele Spuren der Römer sind da, aber kaum Latein, dafür griechische Inschriften, denn das war die Sprache der Besatzungsmacht.
Die Juden sprachen Hebräisch und Aramäisch, beide Sprachen wurden im Land verwendet. Daraus können wir klar erkennen, dass Jesus, wie damals üblich, Hebräisch, Aramäisch und auch Griechisch sprach. Besonders in seiner Unterhaltung mit Pilatus, die ausführlich in Johannes 18 dargestellt wird, spricht er über die Wahrheit. Pilatus fragt: „Was ist Wahrheit?“ Diese Unterhaltung muss man sich auf Griechisch vorstellen.
Der Herr sprach also verschiedene Sprachen. Die römischen Soldaten im Osten des Reiches sprachen üblicherweise Griechisch. Deshalb sagten sie wirklich „Chaire, freue dich, König der Juden!“ So etwas Übles, nicht wahr?
Man denkt dabei an etwas ganz anderes, wie der Apostel Paulus es macht. Als Gefangener in Rom schreibt er den Philipperbrief, obwohl er es schwer hat. In seiner zweijährigen Gefangenschaft, in der er blockiert ist, könnte er so viele Gemeinden neu gründen, wie auf seinen vier Missionsreisen zuvor. Doch er ist blockiert und fragt sich: Warum blockiert mich der Herr? Trotzdem schreibt er den Philipperbrief und fordert auf: „Freut euch in dem Herrn allezeit! Nochmals will ich sagen: Freut euch!“ Das ist kein billiges „Freut euch“, sondern ein echtes, tiefes Freuen im Herrn.
Aber den Herrn, der so litt, als „Freue dich, König der Juden!“ zu spotten, ist abscheulich.
Hier hat diese Verspottung noch eine besondere Note: Sie sagen „König der Juden“. Diesen Ausdruck findet man nirgends im Alten Testament. Natürlich saßen auf dem Thron Davids Könige über Juda, aber der Ausdruck „König der Juden“ ist kein biblischer Begriff.
Geschichtlich wird das greifbar: Um 37 v. Chr. beschloss der römische Senat, dass ein Edomiter namens Herodes König über das jüdische Volk werden soll. Das war ein Affront, ein brüskierendes, verletzendes Wort. Einen Edomiter, einen Nachkommen Esaus, über Israel, die Nachkommen Jakobs, zu setzen, widersprach Gottes Plan. Schon vor der Geburt der Zwillinge war klar: Der Jüngere wird dem Älteren dienen. Bei der Geburt kam Esau zuerst heraus, dann Jakob. Jakob sollte den Erstgeburtssegen erhalten, obwohl er nicht Erstgeborener war. Der Jüngere sollte über den Älteren herrschen.
Doch hier wurde das durch den römischen Senat umgekehrt. Ein Edomiter, ein gottloser Mann, ein Götzendiener, ein unmoralischer Mann und Massenmörder, wurde zum König der Juden ernannt.
Nun versteht man auch besser, wenn man die ersten Folgen über Matthäus betrachtet – wir sind ja über achtzig Folgen mit Matthäus unterwegs – muss man zurückgehen zu den ersten Folgen. In Matthäus 2 kamen die Weisen aus dem Morgenland, aus Persien. Sie wussten, dass mit dem neuen Stern, den sie gesehen hatten, ein König in Israel geboren worden sein musste. Das wussten sie offensichtlich durch die Prophetie in 4. Mose 24,17, dass ein Stern aufgehen würde, wenn der Messias kommt.
Sie wussten, dass der Messias-König geboren war, aber nicht wo. Deshalb gingen sie zur Hauptstadt, zum Palast von Herodes. Das war der Ort, wo später das Prätorium stehen sollte, das gleiche Gebäude.
Sie fragten: „Wo ist der König der Juden, der geboren worden ist?“ Herodes war außer sich, gelinde gesagt. Das hat ihn aufgebracht. Ausländer aus Persien fragten nach einem König der Juden. „Das bin ich!“ dachte er. Doch sie fragten nicht nach dem König der Juden, der vom römischen Senat ernannt worden war, sondern nach dem König der Juden, der geboren wurde, der also nicht nur durch politische Entscheidung, sondern wesensmäßig als solcher geboren war.
Das führte dazu, dass der ernannte König der Juden sich des geborenen Königs der Juden entledigen wollte.
Und jetzt hier, an diesem Ort, sagen sie: „Sei gegrüßt, freue dich, König der Juden!“ Der König der Juden, der geboren war zwölf Kilometer südlich in Bethlehem, ist jetzt 33 Jahre später in demselben Gebäude und wird so verspottet als König der Juden.
Sie speien ihn an, und wie ich in der Parallelstelle sagte, nehmen sie einen Rohrstab und schlagen ihm auf das Haupt.
Die ganze Verspottung endet damit, dass sie ihm den roten Mantel wieder ausziehen, er seine ursprünglichen Kleider zurückbekommt und dann weggeführt wird, um gekreuzigt zu werden.
Nun, die Propheten haben viel darüber gesagt. Wir schlagen nochmals Jesaja auf. Es gibt ja fünf Gottesknechtgedichte in Jesaja. Wo genau? Jesaja 42, dann? Nein, nicht 57, sondern 42, 49, 50, dann, wie du sagst, 52 und 53. Ja, eben unser Kapitel, das wir angeschaut haben, und dann noch 61. Also diese fünf Gottesknechtgedichte.
Wir schlagen auf Kapitel 50 auf. Ich muss sagen, die Gottesknechtgedichte sprechen vom Messias. In Jesaja wird auch vom Knecht Gottes Israel gesprochen, beides kommt vor. Wenn Israel gemeint ist, wird von dem Knecht Gottes gesagt, er sei blind und schuldig. Wenn jedoch vom Messias die Rede ist, heißt es, er sei vollkommen und habe keine Sünde getan.
Es gibt also den Knecht Gottes, der unvollkommen ist, und den Knecht Gottes, der vollkommen ist. In diesen fünf Abschnitten ist der Knecht Gottes vollkommen. Jetzt lesen wir Jesaja 50, Verse 3 und folgende:
„Ich kleide die Himmel in Trauerschwärze und lege ihnen Sacktuch als Kleidung an.“ Darf ich kurz unterbrechen? Gleich einige Verse später sehen wir, dass am Kreuz von zwölf Uhr mittags bis drei Uhr eine Finsternis herrscht. Prophetisch wird hier darauf hingewiesen: „Ich kleide den Himmel in Schwarz.“
Weiter mit Vers 4: „Der Herr, Herr hat mir die Zunge eines Jüngers gegeben, damit ich erkenne, den Müden durch ein Wort aufzurichten. Er weckt mich, ja, morgen für morgen weckt er mir das Ohr, damit ich höre, wie Jünger hören.“
„Der Herr, Herr hat mir das Ohr geöffnet, und ich bin nicht widerspenstig gewesen, bin nicht zurückgewichen.“ Danke. Also der Herr Jesus hat sich so erniedrigt, er ist ein Diener geworden. Es geht hier um den Knecht Gottes. Er hat sich so erniedrigt, dass er als Mensch jeden Morgen gehört hat, was der Vater ihm an Aufträgen gibt. Die Zunge der Belehrten wurde ihm gegeben, oder man kann auch sagen, die Zunge eines Jüngers, also eines, der göttlich unterwiesen ist.
Wir sollten dem Herrn Jesus nachahmen und von ihm lernen. „Lernt von mir“, sagt er selbst in Matthäus 11. Lernen, dass der Herr zu uns spricht und uns unterweist, wie wir andere wieder ermutigen und weiterführen können. Jeden Morgen weckt er mir das Ohr – so soll es auch bei uns sein.
Vers 5: „Der Herr, Herr hat mir das Ohr geöffnet, und ich bin nicht widerspenstig gewesen, bin nicht zurückgewichen. Ich bot meinen Rücken den Schlagenden und meine Wangen den Raufenden, mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel.“
„Aber der Herr, Herr hilft mir. Darum bin ich nicht zu Schanden geworden, darum habe ich mein Gesicht hart wie Kieselstein gemacht. Ich habe erkannt, dass ich nicht beschämt werde. Nahe ist der mir zur Rechtschaft. Wer will mit mir einen Rechtsstreit führen? Lasst uns zusammen hintreten. Wer ist mein Rechtsgegner? Er trete herzu. Er trete her zu mir! Siehe, der Herr, Herr hilft mir. Wer ist es, der mich schuldig erklären will? Siehe, allesamt werden sie zerfallen wie ein Kleid, die Motte wird sie fressen.“
Hier spricht Jesus. Er konnte den Menschen in Johannes 8 sagen: „Wer von euch überführt mich der Sünde?“ Und niemand konnte etwas sagen. Hier sehen wir genau das. Wenn jemand eine Rechtssache hat, dann soll er kommen. Übertragen wir das auf uns, würden wir sagen: „Oh, das würde ich ja nie, nie, nie sagen, denn dann könnten Leute aufstehen und sagen: ‚Da, da, da bist du schuldig geworden.‘“ Darum werden wir so etwas nie tun. Da müssen wir dem Herrn nicht nachahmen, da ist er einzigartig.
Was aber sein Leiden betrifft: Der Vater, der Herr, Herr hat ihm das Ohr geöffnet und ihn unterwiesen, seinen Weg zu gehen – schließlich bis nach Golgatha. Jeden Morgen hat er ihm gezeigt, was an diesem Tag zu tun ist, wie er Menschen ermutigen, stärken, belehren und weiterführen soll. Und es hat ihn bis ins Prätorium geführt.
Vers 6: „Ich bot meinen Rücken den Schlagenden.“ Sie haben ihn gegeißelt, wie wir gesehen haben, und „meine Wangen den Raufenden.“ Sie haben ihn misshandelt, indem sie ihm raufen. Dabei kneifen sie nicht nur in die Wange, sondern raufen – das benötigt Haare auf den Wangen. Das war klar, denn der Herr trug einen Bart, wie es in Israel üblich war. Männer trugen Bärte. Es war ein bärtiges Volk.
Darum wird auch in der Tora gesagt, man soll den Rand des Bartes nicht verletzen. Das ist die Übergangsstelle, also soll man den Bart vollständig erhalten. Das war ein Gebot für Israel, denn Israel ist das Volk, das Gottes Wort bekommen hat. Kein anderes Volk erhielt Gottes Wort im Alten Testament.
In 5. Mose 4 sagt Mose: „Die Nationen werden einmal sagen, welch ein weises Volk, das so gerechte Satzungen und Gebote besitzt wie dieses Volk.“ Diese Weisheit sollte zum Ausdruck kommen. Ältester heißt auf Hebräisch „Zaken“ und Bart heißt „Zakan“. Man merkt das Wortspiel.
Darum haben Kinder keine Bärte, weil sie nicht reif sind. Das kommt erst später. Das sollte das symbolisieren. Der Herr Jesus wurde ein wirklicher Mensch, ein wirklicher Israelit, ein wirklicher Jude. Und er trug einen Bart. Doch das Zeichen seiner Weisheit durch das Wort Gottes wurde geschändet, indem man ihm am Bart riss.
„Ich bot meinen Rücken den Schlagenden und meine Wangen den Raufenden.“ Jetzt wissen wir also etwas, wie der Herr Jesus ausgesehen hat: Er hatte einen Bart. Aber wir wissen immer noch nicht, wie er genau aussah. Das Wort Gottes schweigt über jegliche Details. Es sagt nichts über Augenfarbe oder Haarfarbe.
Gut, das kann man erraten, weil man genetisch weiß, dass ursprünglich im genetischen Pool des jüdischen Volkes dunkle Haare das Übliche waren. Es gibt im Nahen Osten auch rötliche Farben und andere Farbtöne, aber das war das Verbreitetste.
Das Wort Gottes sagt uns jedoch nichts darüber, um nicht unsere Fantasie in eine falsche Richtung zu lenken.
Jetzt beantworte ich eine häufig gestellte Frage: Hatte der Herr Jesus lange Haare? Man könnte denken, er sei ein Asirelle, aber ist das lang genug? Ja, das sollte ich beantworten.
In der Bibel soll man nicht antworten, bevor jemand gefragt hat. Aber es war mir klar, dass diese Frage kommt, weil der Herr Jesus lange Haare hatte.
Wir können alle Bilder aus dem Mittelalter verwerfen, die Christus mit langen Haaren zeigen. Lange Haare hatten nur ausnahmsweise Männer in Israel. Bei Frauen war es normal, aber bei Männern nicht. Die Haare wurden geschnitten.
Nur die Naziräer sollten nach 4. Mose 6 ihre Haare wachsen lassen, solange sie das Naziräergelübde hatten. Johannes der Täufer war göttlich dazu bestimmt, von Kindesbeinen an Naziräer zu sein. Darum hatte er langes, frei wachsendes Haar. Das war sehr ungewöhnlich.
1. Korinther 11 sagt, für den Mann ist es eine Schande, lange Haare zu haben. Aber als Pharisäer und Naziräer brachte Johannes zum Ausdruck: „Ich bin bereit, auf meine persönliche Ehre zu verzichten.“ Das war die Aussage des Nazireats.
Naziräer durften auch nie Trauben essen, keinen Traubensaft trinken im Herbst, keinen Sauser im Spätherbst und keinen Wein. Sie durften auch nie in Kontakt mit einem Gestorbenen kommen.
Der Herr Jesus hatte jedoch Kontakt mit Verstorbenen und trank auch Wein. Er war kein Naziräer und hatte deshalb garantiert keine langen Haare.
Übrigens hatten nicht alle Naziräer lange Haare. Man konnte Naziräergelübde auch für drei Monate ablegen. In drei Monaten wächst noch keine Mähne. Das war wirklich speziell, diese Ausnahmen von Naziräern.
Der Herr Jesus war kein Naziräer und hatte kurzgeschnittenes Haar. Das können wir wissen. Aber das Wort Gottes sagt uns keine Details über sein Aussehen, und das müssen wir beachten.
Weiter lesen wir: „Mein Angesicht verbarge ich nicht vor Schmach und Speichel.“ Es ist eine tiefe Demütigung, wenn ein Mensch angespuckt wird. Das hat der Herr Jesus erlebt, wie wir gesehen haben.
Dann sagt der Herr in Vers 7: „Aber der Herr, Herr hilft mir!“ Jesus wusste, dass der Vater ihm durch diesen ganzen Leidensweg hindurch helfen würde. Das war noch vor dem Kreuz, dann am Kreuz. Am Kreuz wurde er schließlich verlassen – ein ganz heikles Thema.
Einmal hat ein Jude, also ein nicht messiasgläubiger Jude, einen gläubigen Christen gefragt: „Wo war Gott in Auschwitz?“ Das ist wirklich eine Frage, die an den Abgrund führt.
Ich habe das einmal in einer Debatte mit einem Rabbi erlebt. Er merkte, dass er mit seinen Argumenten, dass Jesus nicht der Messias sei, nicht durchkam. Das war Gott, das ist klar. Dann versuchte er, mich an den Abgrund zu führen und mich zu stürzen. Er sprach mich in der Öffentlichkeit auf Auschwitz an.
Wenn man in so einem Moment ist, ist das ein Abgrund. Wenn man da etwas falsch sagt, ist man erledigt. Der Herr hat mir dort spontan wirklich Gnade geschenkt.
Gläubige wurden so an den Abgrund geführt: Wo war Gott in Auschwitz? Viele fühlten sich völlig verlassen vom Herrn. Nicht nur nicht messiasgläubige Juden waren in den Konzentrationslagern, sondern auch Juden, die an den Messias glaubten. Dort waren auch Christen aus den Nationen, die Juden geschützt und versteckt hatten.
Zum Beispiel war da ein alter Bekannter, der schon lange beim Herrn ist, Hank Jacob. Er war auch im Konzentrationslager. Oder denken wir an Corrie und ihre Schwester Betsy ten Boom, die dieses Schrecken der Konzentrationslager erlebt haben. Sie mussten sich fragen: „Wo ist der Herr?“ Jeden Tag schreien und keine Antwort bekommen, jeden Tag mit diesen Schrecken konfrontiert sein – das ist furchtbar.
Jetzt komme ich auf den Punkt: Was hat Jesus geantwortet? Mit einer Gegenfrage. Jüdisch, ja. In manchen Fällen ist eine Gegenfrage unhöflich, aber es gibt Momente, auch beim Herrn Jesus, wo sie hilfreich ist.
Jemand fragte: „Wo war Gott, als Jesus Christus am Kreuz war?“ Jesus antwortete: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Er war wirklich verlassen, nicht nur gefühlt. Wir können uns zwar gefühlt verlassen fühlen, aber das Wort zeigt uns immer wieder: Wenn wir uns gefühlt verlassen fühlen, sind wir doch nicht verlassen.
Gerade in Psalm 22 schreibt David, dass die Väter, die früher gelebt haben, nie diese Verlassenheit erlebt haben, die der Herr Jesus wirklich erlebt hatte. Denn im Abgrund der Gottesverlassenheit, als er Sündenträger war, musste Gott sich von ihm als Menschen trennen. Das hat er erlebt.
Darum sollen uns diese Worte tief ins Herz gehen: „Wo war Gott, als der Herr Jesus am Kreuz war?“ Denn das beantwortet letztlich auch die Frage: „Wo war Gott in Auschwitz?“ Auch dort war allen, die ihn anriefen, nahe.
Wir gehen zurück zu Matthäus 27. In Vers 32 ist der Herr unterwegs. Er wurde vom Prätorium in Richtung Golgatha, der Schädelstätte, geführt. Diese lag in einem Steinbruch außerhalb der zweiten Stadtmauer von Jerusalem. Die dritte Stadtmauer gab es damals noch nicht; sie wurde erst in den Vierzigerjahren gebaut. Jesus wurde im Jahr 32 gekreuzigt.
Vor einigen Tagen stand ich wieder vor dem Gennator, dem Stadttor von Jerusalem, das direkt nach Golgatha hinausführt. Es ist jedes Mal etwas Wunderbares, dort zu stehen. Jesus wurde also hinausgeführt zu diesem Steinbruch vor dem Gennator, wo die Römer üblicherweise kreuzigten.
Jetzt wird auch klar, dass die Via Dolorosa in der Altstadt von Jerusalem, die vom Burg Antonia ausgeht, an der Nordwestecke des Tempelplatzes, nicht der tatsächliche Leidensweg ist. Die katholische Tradition ist auch hier falsch. Das ist typisch, dass Traditionen manchmal nicht korrekt sind, und auch hier ist es so. Dies ist nicht die Via Dolorosa.
Was ist geschehen? Man hat die Burg Antonia mit dem Praetorium verwechselt. In der Bibel wird nämlich das Praetorium genannt, im Originaltext „Praetorion“, und in der deutschen Bibel sowie in der Apostelgeschichte 20, 21 und 23 taucht immer wieder der Ausdruck „Parembole“ auf. Elberfelder Bibelübersetzungen haben diesen Begriff mit „Lager“ übersetzt, aber ich habe am Rand überall „Burg“ geschrieben. „Parembole“ bedeutet Lager, Militärlager oder Burg. Dort ist ganz klar die Burg Antonia gemeint.
Sogar die Treppe, die vom Tempelplatz hinaufführt, wo Paulus seine Rede an das Volk gehalten hat, bevor er in die Burg evakuiert wurde, wird in der Apostelgeschichte erwähnt. Das ist die Burg Antonia, „Parembole“ – nicht das Praetorium. Die katholische Tradition verwechselt also die Burg mit dem Praetorium, und deshalb ist der Leidensweg falsch. Das macht nichts; man kann trotzdem durch die Via Dolorosa gehen. Es ist alles interessant.
Die Via Dolorosa führt also vom Jaffator nach Golgatha, zu diesem Steinbruch. Dort ist der Herr den Weg gegangen. In Vers 32 lesen wir: „Als sie aber hinauszogen, trafen sie einen Mann von Kyrene mit Namen Simon. Den zwangen sie, dass er sein Kreuz trage. Als sie an einen Ort gekommen waren, genannt Golgatha, das heißt Schädelstätte, gaben sie ihm mit Galle vermischten Wein zu trinken. Als er davon gekostet hatte, wollte er nicht trinken. Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider, indem sie das Los warfen.“
Danke, bis hierhin. Wir werden jetzt gleich zum Schluss kommen. Ich gehe noch einmal auf Vers 32 ein, und beim nächsten Mal betrachten wir dann ab Vers 33 den Text detailliert.
Mir geht es um diesen Simon aus Kyrene. Er kam genau im richtigen Moment. Wäre er früher gegangen, hätte er die Gelegenheit verpasst, dem Herrn diesen Dienst zu tun und sein Kreuz zu tragen. Jesus musste es zuerst selbst tragen. Immer wenn in der Bibel steht, dass jemand das Kreuz trägt, ist damit nicht das vollständige Kreuz gemeint, sondern der Querbalken.
Im Griechischen kann das vollständige Kreuz mit „Stauros“ bezeichnet werden, aber auch der Querbalken wird so genannt. Dem Gekreuzigten wurde je nach Situation der Querbalken auferlegt. Der Längsbalken war bereits von den Soldaten an der Hinrichtungsstätte fixiert. Der Mensch, der gekreuzigt werden sollte, trug also den Querbalken. Im Lateinischen heißt dieser Querbalken „Patibulum“.
So trug der Herr dieses Patibulum mit seinem aufgerissenen Rücken. Dann kam der Moment der Begegnung: Simon kam gerade aus dem Feld. Was er vorher gemacht hat, wird nicht gesagt. Er war nicht bei der Feldarbeit, denn es war Pessach. Er kam von außen, aber genau im richtigen Moment. Die Römer sahen das und fanden es willkommen; dieser Mann konnte unterstützen. So durfte er diesen Dienst tun und trug das Kreuz, eben das Patibulum, für den Herrn, damit dieser es nicht selbst tragen musste.
Simon aus Kyrene – wo liegt Kyrene? Im heutigen Ostlibyen, also in der Nachbarschaft von Ägypten. Meine Frau sagt immer, man solle es nicht so zeigen, wie man es sieht, sondern so, wie die Leute es sehen. Also Ägypten und daneben Libyen, und zwar Ostlibyen. Dort gab es seit Jahrhunderten vor Christus eine jüdische Gemeinschaft in Kyrene.
Simon kam also aus Libyen nach Jerusalem. Er kam im richtigen Moment von dort und in Jerusalem vom Feld her. Ist es nicht schön, dass der Herr uns in unserem Leben führt, auch wenn wir nicht genau wissen, wann wir wo sein sollen? In manchen Dingen müssen wir uns entscheiden, rechtzeitig dort zu sein. Aber manchmal ist es nicht so klar. Trotzdem sehen wir, dass der Herr uns führt.
Ich hoffe, dass Simon diesen Dienst im Nachhinein als Dienst empfunden hat. Im Text steht ja, dass sie ihn zwangen. Vielleicht war es für ihn anfangs ein Widerstand.
Manchmal wird gesagt, Jesus sei zusammengebrochen, aber das steht nicht in der Bibel. Sehr wichtig, dass wir das erwähnen. Die Bibel sagt nicht, dass Jesus zusammengebrochen ist. Die Römer hatten aber wohl die Überlegung, dass jemand kommen könnte, der die letzte Strecke tragen kann. Es war nicht so, dass Simon das freiwillig wollte, aber der Herr führte es so, dass die Römer ihm diese Aufgabe auftrugen.
Interessant ist, dass am 10. November 1941, noch vor der Staatsgründung Israels, El-Azhar Sukenik im Kidrontal gegraben hat. Sukenik ist bekannt für seine Rolle bei der Entdeckung und Identifizierung der Schriftrollen von Qumran. Er war der Vater von Yigael Yadin, einem hohen General im Unabhängigkeitskrieg Israels 1948/49.
Sukenik entdeckte eine Grabkammer aus dem ersten Jahrhundert mit Ossuarien, kleinen Särgen, in denen man Knochen aufbewahrte. Das Grab wurde nie geplündert. Archäologisch lässt sich die Epoche bestimmen. Auf einem Ossuarium steht die Inschrift: „Simon, Vater von Alexander, der Kyrenäer“.
Schlagen wir Markus 15,21 auf: „Und sie zwangen einen Vorübergehenden, einen gewissen Simon von Kyrene, der vom Feld kam, den Vater von Alexander und Rufus, sein Kreuz zu tragen.“ Auf diesem Ossuarium aus dem ersten Jahrhundert in Jerusalem steht also der Name Simon mit dem Hinweis auf Kyrene und dass er Vater von Alexander war.
Es gibt noch weitere Inschriften. Es ist klar, dass Alexander in diesem Grab war, und sein Vater Simon wird erwähnt. Er könnte ebenfalls dort beigesetzt sein. Die Verbindung zu Kyrene ist grandios.
Warum erwähnt Markus noch, dass Simon Vater von Alexander und Rufus ist? Offensichtlich waren diese Personen unter den Christen bekannt. Im Römerbrief, Kapitel 16, wird Rufus besonders erwähnt.
Es gibt viele Ossuarien mit dem Namen Simon; das ist nicht ungewöhnlich. Aber Alexander ist ein seltener Name. Deshalb ist die Kombination – Simon mit Alexander und der Hinweis auf Kyrene – besonders.
Daher kann man verantwortungsvoll sagen, dass Sukeniks Fund ein Volltreffer ist. Im Römerbrief, geschrieben im Jahr 57, lebte Rufus noch. Alexander wird nicht mehr erwähnt, aber Simon schon.
Das soll uns daran erinnern, dass der Herr unseren Zeitplan in der Hand hat. Manchmal müssen andere Menschen uns etwas auferlegen, was wir selbst nicht entschieden haben, um dem Herrn zu dienen.
Wir wollen hier schließen.
Vielen Dank an Roger Liebi, dass wir seine Ressourcen hier zur Verfügung stellen dürfen!
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