Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Amen.
Lasst uns noch einmal beten:
Herr, nun zeige uns Dein königliches Walten. Bring Angst und Zweifel zur Ruhe. Du wirst allein ganz Recht behalten.
Herr, mach uns still und rede Du. Amen!
Einführung in die Bedeutung der Josefsgeschichte
Liebe Gemeinde hier in Hannover und liebe Mitverfolger dieser Bibelauslegung, auch über den Livestream, unserer Josefs-Geschichte: Ich hoffe, dass heute deutlich wird, wie viel Mut diese Geschichte macht. Sie ist ein Beweis dafür, wie der allmächtige Schöpfer normale Menschen zu einem neuen Leben befreit.
Menschen, die in ihrem alten Leben gefangen waren, Menschen, die sich verrannt hatten, Menschen, die anderen und auch sich selbst schwere Beschädigungen zugefügt haben – solche realen Menschen befreit Gott aus ihrem alten Leben zu einem neuen Leben.
Darum geht es heute in Genesis 44, das unser Titel trägt: Auf dem Weg zum neuen Menschen. Der neue Mensch in der Bibel ist das in Christus begnadigte Kind des ewigen Schöpfers. Der neue Mensch des Transhumanismus dagegen ist das erniedrigte Zerrbild selbsternannter Pseudoeliten.
Deshalb müssen wir immer genau nachfragen, wen wir eigentlich meinen, wenn wir vom neuen Menschen sprechen.
Kritik an totalitären Ideologien und Transhumanismus
Wie oft haben in der Geschichte totalitäre Systeme ihre Schreckensherrschaft mit der Parole begründet: „Wir schaffen den neuen Menschen“?
Der Kommunismus versprach den neuen Menschen als den klassenlosen Menschen, mit dem die Herrschaft des Proletariats das Paradies auf Erden bereiten würde. Der Nationalsozialismus entwarf den neuen Menschen als Vertreter einer Herrschaftsrasse, die dazu bestimmt sei, über alle anderen zu triumphieren, diese zu versklaven und letztlich auszulöschen.
Wann immer ein System sich den neuen Menschen auf die Fahne schreibt, sollten bei uns sämtliche Warnlämpchen rot aufleuchten. Denn alle diese Versuche, den neuen Menschen zu schaffen, mündeten in Gulags und Vernichtungslagern. An ihnen haftet der Verwesungsgeruch, den totalitäre Systeme ihren Nachkommen immer als giftiges Erbe hinterlassen.
Es sind immer sündige Menschen, die sich anmaßen, ihresgleichen zu einem Ding herabzuwürdigen. Einem Ding, das man nach seinen ideologischen Vorstellungen umerziehen, genetisch umprogrammieren oder medizinisch umoperieren will.
C. S. Lewis hat den berühmten Satz gesagt: „Die Macht des Menschen, aus sich zu machen, was ihm beliebt, bedeutet die Macht, einiger weniger aus anderen zu machen, was ihnen beliebt.“ So schreibt es C. S. Lewis in seinem Aufsatzband „The Abolition of Man“ (also „Die Abschaffung des Menschen“), veröffentlicht 1943.
Das Endstadium, so schreibt Lewis, sei erreicht, wenn der Mensch mit Hilfe der Eugenik, vorgeburtlicher Konditionierung und dank einer Erziehung, die auf perfekt angewandter Psychologie beruht, absolute Kontrolle über sich selbst erlangt hat.
Er fügt hinzu: Die menschliche Natur wird das letzte Stück Natur sein, das vor dem Menschen kapituliert, also das letzte, was ausgelöscht wird – die menschliche Natur. Und...
Transhumanismus als Angriff auf die menschliche Natur
Darauf zielt der Transhumanismus ab: Er strebt die Unterwerfung der menschlichen Natur an. Einige seiner Vertreter haben erklärt, dass sie den Menschen als Maschine oder als Algorithmus betrachten.
Der Mensch wird dadurch nicht mehr als Wesen mit einer unverfügbaren, eigenen Würde gesehen. Er ist nicht mehr gegeben, sondern nur noch ein von anderen Menschen hergestelltes Produkt.
Dann kommt alles darauf an, wer diese Macher sind, wer die Ingenieure des Menschen sind, von wo sie ihre Baupläne und Ziele beziehen und woher sie sich das Recht nehmen, den real existierenden Menschen – also uns – nur als eine Zwischenstation zu betrachten. Diese Zwischenstation wollen sie in ihre eigenen Hände nehmen und weiterentwickeln.
Das ist die Zielperspektive des sogenannten Transhumanismus. Dieser nimmt sich heraus, nicht nur den neuen Menschen, sondern den Übermenschen zu schaffen. Professor Paul Kuhlen bezeichnet den Transhumanismus deshalb zu Recht als eine Religion, die sich als Wissenschaft tarnt.
Heute versprechen die Ingenieure des Transhumanismus, den Menschen über sich selbst hinaus zu erhöhen. In Wirklichkeit degradieren sie ihn jedoch zu einem Ding. Einem Ding, das nach funktionalen Kriterien optimiert wird und damit der totalen Kontrolle unterworfen ist.
Man lockt die Naiven mit der unerfüllbaren Aussicht, dass sich sämtliche Mängel am Körper durch menschliche Ingenieurskunst beseitigen ließen. So entwirft man den Menschen, wie es der Theologe Oliver Dürr formuliert hat, als Maschine, deren Prozesse informationstheoretisch erfasst und gesteuert werden können.
Der Philosoph Professor Sören Hoffmann weist darauf hin, dass selbst Sklaven in voraufgeklärter Zeit mehr Würde zugestanden wurde als den Opfern im System des Transhumanismus. Warum? Auch Sklaven, so Professor Hoffmann, wurden zwar entrechtet und darauf reduziert, nützliche Biomasse zu sein. Aber selbst deren Unterdrücker hätten nicht versucht, diese Biomasse selbst noch einmal zu manipulieren und zu optimieren.
Deshalb sei in einem gewissen Sinne, so Hoffmann, das bloße Leben der Rechtlosen immer noch heilig und dem Zugriff der Massen entzogen gewesen. Von dieser Grenze aber wüssten die Menschenoptimierer von heute nichts mehr.
Letztlich zielt aller Totalitarismus darauf ab, wie Lewis bereits sagte, die gottgegebene, menschliche Natur selbst zu zerstören. Das gilt auch für die Zweigeschlechtlichkeit.
Widerstand der menschlichen Natur gegen Totalitarismus
Warum? Weil die menschliche Natur, so wie sie ist, sich ständig dem totalitären Prozess entgegenstellt.
Der letzte Halbsatz stammt aus der berühmten Schrift von Hannah Arendt über das Wesen totalitärer Herrschaft. Darin sagt Hannah Arendt: „Das eigentliche Ziel totalitärer Ideologie ist nicht die revolutionäre Neuordnung der gesellschaftlichen Ordnung, sondern die Transformation der menschlichen Natur selbst, die sich, so wie sie ist, dem totalitären Prozess immer entgegenstellt.“
Das müssen wir verstehen: Jedem Menschen eignet, wenn auch noch so verzerrt, immer eine natürliche Würde, die sich dem Schöpfer verdankt und die sich der Degradierung zum Objekt widersetzt.
Das biblische Menschenbild ist der erklärte Gegner all jener, die den Menschen zu einem Ding unter Dingen degradieren wollen, das man weiterentwickeln, optimieren oder kontrollieren könnte.
Darum leben alle ideologischen Versuche, den „neuen Menschen“ zu schaffen, in ihrem innersten Antrieb von einer Kampfansage gegen den Gott der Bibel. Sie leben zudem von einem verzweifelten Hass gegen das in der Bibel offenbarte jüdisch-christliche Menschenbild.
Die einzige Quelle für den neuen Menschen
Darum ist das Ziel des sogenannten Menschen, des sogenannten neuen Menschen, eine existenzielle Gefährdung für die wirkliche Menschheit, solange Menschen sich anmaßen, diesen Prozess zu gestalten und zu bestimmen.
Es gibt nur einen, der uns Menschen wirklich verwandeln kann, denn Gott allein hat die schöpferische Vollmacht, aus einer Menschheit von Sündern wahrhaft neue Menschen zu machen. So schreibt der Apostel Paulus in 2. Korinther 5,17: „Ist jemand in Christus, dann ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ In Christus bist du eine neue Kreatur.
Der Transhumanismus, sagt Paulus, kommt viel zu spät. Auch unsere Josefsgeschichte ist ein Beweis dafür, wie der allmächtige Schöpfer Menschen, die in ihrem alten Leben gefangen waren, zu einem neuen Leben befreit.
Darum heißt unser Thema heute Morgen „Auf dem Weg zum neuen Menschen“. Unser vierundvierzigstes Kapitel, das wir heute lesen, hält die Stunden fest, in denen dieses neue Leben zum Durchbruch kommt. Ich ermutige immer dazu, die Bibel mitzubringen und mitzulesen oder sich das Zuhause in der eigenen Bibel noch einmal durchzulesen.
Die Verwandlung der Brüder im Licht Gottes
Wir können gewissermaßen beobachten, wie unter den Händen Gottes aus alten Menschen neue Menschen werden. Nein, nicht so, dass der ganze Prozess offen vor unseren Augen abläuft. Das Entscheidende geschieht sicher über einen längeren Zeitraum unsichtbar in den Herzen. Und doch lässt die Bibel uns an einigen Momenten und Bewegungen teilhaben – hier in diesem 44. Kapitel, wo dieses neue Leben sich Bahn bricht.
Helmut Frey hat das plastisch über unser Kapitel geschrieben. Er sagt, unter der lebendigen Anrede Gottes verwandelt sich dieser rebellische Haufe – und damit meint er die Brüder Scharjosefs – in eine bekannte Gemeinde von Brüdern.
Wer den Bericht seit Kapitel 37 verfolgt hat, und viele von Ihnen haben diesen Weg ja mitverfolgt, kann den Unterschied zwischen damals und heute mit Händen greifen. Wenn Sie nicht alles gehört haben, können Sie das über die Homepage nochmal nachstudieren ab Kapitel 37. Zwischen damals und heute liegen inzwischen rund zwanzig bis zweiundzwanzig Jahre.
Damals, in Kapitel 37 – wie war das alte Leben der Brüder damals? Wir erinnern uns: Es war zerfressen von Neid und Zorn über den immer bevorzugten jüngeren Bruder Joseph. Dieser Joseph hatte sich zwar ungeschickt verhalten in seinem streberhaften Übereifer, aber er hatte den Brüdern nichts Böses getan. Die Schuld lag eigentlich beim Vater Jakob, der seine Söhne unterschiedlich behandelte, was nicht in Ordnung war.
Als sich den Brüdern dann die Möglichkeit bot, weil der Bruder ihnen bei der Begegnung in Durtan hilflos ausgeliefert war und kein anderer Mensch zugegen war, war der Mordplan gegen den ungeliebten Joseph schnell gefasst. Nur aus pragmatischen Gründen brachten sie den Mordplan dazu, ihn in einen Geschäftsplan umzuwandeln. Es war ausgerechnet Juda, der auch heute eine entscheidende Rolle spielen wird. Es war damals Juda, der den Verkauf des Bruders in die Sklaverei organisierte.
Wir konnten das lesen in Kapitel 37, Vers 26: Da sprach Juda zu seinen Brüdern: "Was hilft uns, dass wir unseren Bruder töten und sein Blut verbergen? Kommt, lasst uns ihn den Ismailitern verkaufen, also in die Sklaverei, damit sich unsere Hände nicht an ihm vergreifen." Und sie gehorchten ihm. Als aber die ismailitischen Kaufleute vorüberkamen, zogen sie Joseph heraus aus der Grube, in die sie ihn geworfen hatten, und verkauften ihn um zwanzig Silberstücke den Ismailitern, und die brachten ihn nach Ägypten.
So war es gelaufen. Und dem Vater, der dann über seinen alles geliebten Sohn verzweifelte, nahmen sie mit einer Lüge jegliche Hoffnung. Sie präsentierten Josephs in Tierblut getauchten Rock und belegten damit ihr Narrativ, dass er von einem wilden Tier getötet und zerrissen worden sei. Diese Lüge stand nun seit mehr als zwanzig Jahren zwischen den Brüdern und ihrem Vater.
Erst die globale Hungersnot, von der auch ihre Heimat in Kanaan betroffen ist, bringt Bewegung in die Situation. Wir haben es gesehen: Sie zwingt die verlogenen Brüder zu einer neuen Begegnung mit Joseph, der inzwischen durch Gottes Vorsehung in Ägypten eine starke politische Machtposition erlangt hat – das zweithöchste Amt nach dem Pharao. Man kann ihn Verwaltungschef oder Vizekönig Ägyptens nennen.
Die Brüder kommen dorthin, doch sie erkennen Joseph nicht – sein verändertes Aussehen, die ägyptische Amtstracht. Er lässt sich von einem ägyptischen Übersetzer den Brüdern gegenüber übersetzen: "Sie erkenne ich nicht." Aber Joseph weiß sofort, wen er vor sich hat.
Josefs Leben war in den zurückliegenden zwanzig Jahren von Gott geprägt worden. Er hatte in vielen Situationen Gottes Durchtragen erfahren und sich im Gehorsam gegenüber seinem Herrn bewährt. Als er jetzt den Brüdern gegenübersteht, wird es ihm von Gott geschenkt, dass er ihnen nicht mit innerem Hass begegnet. Joseph wird gepackt von dem Verlangen, das Verhältnis zu ihnen wieder zu heilen und eine tiefgreifende Versöhnung zu erreichen.
Von da an – und das macht unser Text deutlich, und das haben wir hoffentlich an den letzten Sonntagen auch gesehen – gebraucht Gott den Joseph, den er in den vorangegangenen Jahren dafür vorbereitet hatte. Er gebraucht den Joseph zum Seelsorger für seine Brüder und damit für sein Volk.
Das ist die Situation. Noch hat er sich ihnen nicht zu erkennen gegeben, aber schrittweise sucht Joseph das Gespräch. Zuletzt hatten wir in Kapitel 43 von einem bewegenden Gastmahl gelesen, das Joseph für seine Brüder gegeben hat. Dabei hat er zum ersten Mal, wie wir letzten Sonntag gesehen haben, seinen leiblichen Bruder Benjamin kennengelernt. Auch dieser Benjamin war, wie Joseph, von Jakobs Lieblingsfrau Rahel geboren worden. Benjamin war in den letzten Jahren in der Gunst des Vaters an Josephs Stelle getreten, weil man ja dachte, Joseph sei tot. Joseph war gewissermaßen der ältere Bruder Benjamins, Benjamin war jetzt der Liebling Jakobs.
Machen sich die Brüder nun erneut auf den Heimweg nach Kanaan, scheint alles bestens zu sein. Sie sind erleichtert über die guten Begegnungen mit dem ägyptischen Oberverwalter, sie sind dicht gepackt, vollgepackt mit Nahrungsgütern, die sie dem Vater freudestrahlend präsentieren werden. Sie haben eine ehrenvolle Einladung im Gepäck, beim nächsten Ägyptenbesuch auch den alten Vater mitzubringen und ihn der ägyptischen Führungsspitze vorzustellen.
Doch während sie sich unbeschwert auf die Reise begeben, werden sie mit einer Schreckensnachricht konfrontiert, die alles mühsam Aufgebaute wieder zu zerstören scheint. Und da beginnt Kapitel 44.
Ich lese es noch einmal ab Vers 1:
"Und Joseph befahl seinen Haushalter und sprach: Fülle den Männern ihre Säcke mit Getreide, so viel sie fortbringen, und lege jedem sein Geld oben in seinen Sack; und meinen silbernen Becher lege oben in des jüngsten Sack mit dem Gelde für das Getreide."
Der Haushalter tat, wie ihm Josef gesagt hatte. Am Morgen, als es Licht wurde, ließen sie die Männer ziehen mit ihren Eseln. Als sie aber zur Stadt hinaus waren und nicht weit gekommen waren, sprach Josef zu seinem Haushalter: "Jage den Männern nach, und wenn du sie ereilst, so sprich zu ihnen: Warum habt ihr Gutes mit Bösem vergolten? Warum habt ihr den silbernen Becher gestohlen? Ist das nicht der Becher, aus dem mein Herr trinkt und aus dem er wahr sagt? Ihr habt Übel getan!"
Als er sie ereilte, redete er mit ihnen diese Worte.
Der Leser weiß doch, dass die Brüder unschuldig sind, und wir fragen uns: Warum bringt Joseph sie in eine Position, wo er sie des Diebstahls überführen kann? Aus seinem bisherigen Verhalten wissen wir auch, dass Joseph etwas Gutes mit den Brüdern bewirken will. Aber was kann das in diesem Fall sein? Was ist sein Motiv?
Noch immer hat er sich den Brüdern gegenüber nicht zu erkennen gegeben. Das ist auch die Erklärung dafür, dass er sie noch in dem Glauben lässt, er würde wie andere Herrscher des Orients ein besonderes Gefäß dazu verwenden, um auf okkultem Wege Erkenntnisse über die Zukunft zu gewinnen – also diesen besonderen silbernen Becher.
Wir müssen wissen: Becher-Weissagung war im Heidentum zu jener Zeit weit verbreitet. Der Becher war wahrscheinlich auch ein Symbol, das die Autorität Josephs als Vizekönig Ägyptens symbolisierte – so ähnlich wie ein Zepter. Zugleich diente dieses Gefäß der Praxis dessen, was man Hydromantie nannte, also Mantik, Okkultismus mithilfe von Wasser.
Man träufelte Öl in das Wasser des Bechers und versuchte dann aus dem Fluss des Öls irgendwelche Rückschlüsse auf die Zukunft zu ziehen. Oder man warf Steinchen in das Wasser und versuchte, am Fallen der Steine irgendwelche Indizien für Vorhersagen zu finden.
Wir wissen, dass der Gott Israels sein Volk später vor derlei Praktiken massiv gewarnt hat. Und dass das auch Joseph sicherlich zu dem frühen Zeitpunkt schon bekannt war, dass es gegen Gottes Willen war.
Wir lesen das zum Beispiel in 5. Mose 18, Vers 10: "Es soll niemand unter dir gefunden werden, der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen lässt oder Wahrsagerei, Hellseherei, geheime Künste oder Zauberei betreibt oder Bannungen oder Geisterbeschwörungen oder Zeichendeuterei vornimmt oder die Toten befragt. Der ist dem Herrn ein Gräuel, und um solcher Gräuel willen vertreibt der Herr, dein Gott, die Völker vor dir."
Das war sicherlich auch Joseph schon bekannt, bevor Mose das aufgeschrieben hatte.
Die meisten Ausleger gehen plausibel davon aus, dass der Abgesandte hier nicht die wirkliche Praxis von Joseph beschreibt, als er sagt, der Becher sei aus diesem Becher. Vielmehr wurde dieser ehrwürdige Becher, der die königliche Autorität unterstreicht, für diese Aktion gewählt, um die Verwerflichkeit des vermeintlichen Diebstahls umso größer erscheinen zu lassen.
Wir haben nirgendwo Hinweise darauf, dass Joseph irgendwelche Kompromisse mit heidnischen Religionspraktiken gemacht hätte.
Die Brüder sind natürlich aufrichtig empört über den Vorwurf, sie wären Diebe. In Vers 7 sagen sie: "Warum redet mein Herr solche Worte? Es sei ferne von deinen Knechten, solches zu tun."
Als Beleg ihrer Integrität verweisen sie darauf, dass sie das Geld, das man ihnen beim letzten Besuch noch großzügig geschenkt hatte, wieder in ihre Taschen gelegt hatten. Eigentlich hatten sie das mitgebracht, um das Getreide zu bezahlen in der Hungersnot, aber man hatte es ihnen wieder mitgegeben. Sie hatten dieses quasi geschenkte Geld jetzt bei der zweiten Reise wieder mitgebracht und sagen: "Wir wollen uns nichts schenken lassen." Darauf verweisen sie jetzt.
Sie sagen: "Daran siehst du doch, wir wollen uns nicht bereichern. Siehe, das Geld, das wir fanden oben in unseren Säcken, haben wir wieder gebracht zu dir aus dem Lande Kanaan. Wie sollten wir da aus deines Herrn Hause Silber oder Gold gestohlen haben? Wir wollen schon gar nicht dem Verwalter des Pharaos, der uns so viel Gutes getan hat, in irgendeiner Weise hintergehen."
Um ihre Unschuld zu beteuern, formulieren sie in der Aufregung eine völlig übertriebene Strafe, die sie für den Fall des Überführtwerdens akzeptieren würden. Sie sagen in Vers 9: "Bei wem der Becher gefunden wird unter deinen Knechten, der sei des Todes; dazu wollen auch wir alle meines Herrn Sklaven sein."
Das ist wahrlich übertrieben.
Daraufhin beruhigt der Verwalter die Situation und mahnt sie zur Verhältnismäßigkeit. In Vers 10 sagt er: "Ja, es sei wie ihr geredet habt: Bei wem der Becher gefunden wird, der sei mein Sklave. Und ein wichtiger Satz: Ihr aber sollt frei sein."
Das heißt, auf keinen Fall Todesstrafe, Versklavung nur für den Überführten, von dem der Verwalter schon weiß, dass es Benjamin sein wird. Die übrige Brüderschar kann alle unabhängig und frei mit Sack und Pack die Heimreise antreten.
Und was machen die Brüder? Sie tun alles, um den Sachverhalt umgehend aufzuklären. Vers 11: "Und sie legten einen an jeder seinen Sack ab auf die Erde, und an jedem taten sie seinen Sack auf."
Der Verwalter suchte also und fing an beim Ältesten bis zum Jüngsten. Da fand sich der Becher in Benjamins Sack.
Sie sehen, wie der Text die Dramatik der Situation nachzeichnet. Damit – und das müssen wir verstehen – stellt der Mitarbeiter von Joseph die Brüder in eine zugespitzte Bewährungssituation hinein.
Benjamin hat den Becher – ausgerechnet Benjamin, der Nachfolger von Joseph, der aktuelle Lieblingssohn, den der Vater ihm am liebsten gar nicht mitgegeben hätte nach Ägypten, weil sein Herz so sehr an ihm hing. Von dem er kurz vor der Abreise noch gesagt hat: Nach Josephs Tod ist Benjamin alles, was mir noch von Rahel geblieben ist.
Damit haben wir den Brüdern auch noch mal einen Stich ins Herz gegeben, denn Benjamin war der einzige, der zählen würde.
Diese neue Konstellation jetzt – das wäre eine gute Gelegenheit, das aktuelle Vatersöhnchen in Ägypten als Sklaven verschwinden zu lassen. Verstehen Sie? Das ist die Konstellation.
Zumal der Verwalter hier sagt: "Lasst den da, ihr könnt gehen." Sie müssten sich anders als bei Joseph vor zwanzig Jahren nicht mal selber die Hände schmutzig machen und würden ihn trotzdem loswerden. Sie müssten den Dingen nur ihren Lauf lassen. Und das Problem dieses ewigen Lieblingssöhnchens würde sich ganz von selbst lösen.
Die Tür, um sich schnell ohne Benjamin davonzumachen und nicht schuld daran zu sein an seinem Verschwinden, ist weit geöffnet. Vers 10: "Ihr aber sollt frei sein."
Und in Vers 17 sagt es Joseph selbst ihnen noch einmal: "Der, bei dem der Becher gefunden ist, soll mein Sklave sein. Ihr aber zieht hinauf mit Frieden zu eurem Vater."
Die Tür steht offen, der Weg ist frei.
Und keiner wird glücklicher gewesen sein als Joseph über die Reaktion, die seine Brüder jetzt wirklich ganz spontan zeigen.
Schauen Sie hin und vergleichen Sie jetzt mit dem, was vor zwanzig Jahren geschehen ist.
Da zerrissen sie ihre Kleider, Vers 13, und ein jeder belud seinen Esel, und sie zogen wieder in die Stadt, alle zusammen. Und Juda ging mit seinen Brüdern in Josefs Haus, denn er war noch dort, und sie fielen vor ihm nieder auf die Erde.
Joseph aber sprach zu ihm: "Wie habt ihr das tun können? Wusstet ihr nicht, dass ein solcher Mann, wie ich bin, wahr sagen kann?"
Also sie kommen jetzt gemeinsam dahin. Sie lassen den jungen Bruder nicht im Stich – das ist das Entscheidende. Sie machen Benjamin auch keine Vorwürfe. Im Gegenteil: Was machen sie? Sie verknüpfen ihr eigenes Schicksal mit dem vermeintlich Überführten.
Und was das bedeutet, das verstehen wir nur im Vergleich mit der alten Geschichte von vor zwanzig Jahren.
Zwanzig, zweiundzwanzig Jahre vorher hatten sie alles arrangiert, um Josef in die Sklaverei zu verkaufen. Und jetzt sind sie bereit, obwohl unschuldig, um Benjamins Willen selber in die Sklaverei zu gehen – auf dem Weg zum neuen Menschen.
Zweiundzwanzig Jahre vorher hatten sie den Vater gewissenlos in Verzweiflung gestürzt. Er sollte ruhig glauben, dass sein geliebter Sohn getötet sei. Und sie hatten das zynisch ausgewiesen durch das blutbefleckte Kleidungsstück, das sie einfach mal in Tierblut getunkt hatten.
Und jetzt? Jetzt können sie den Gedanken nicht ertragen, welches Leid sie über den Vater bringen würden, wenn sie ohne Benjamin wieder zu Hause aufkreuzen würden.
Verstehen Sie, hier in Kapitel 44 haben wir den Beweis für die massive Veränderung, die in diesen Männern vorgegangen ist – auf dem Weg zum neuen Menschen.
Am allerdeutlichsten sehen wir diese Veränderung in jenem Juda, der hier entschieden vorangeht, wie wir das auch in Kapitel 43 schon gesehen hatten.
Ich erinnere noch einmal: Das ist derselbe Juda, der den Deal mit Josephs Verkauf in die Sklaverei organisiert hatte. Kapitel 37 war seine Idee gewesen. Es ist derselbe Juda, der seine Schwiegertochter verraten hatte. Es ist derselbe Juda, der sich mit einer vermeintlichen Prostituierten eingelassen hatte vor etlichen Jahren. Es ist dieser Juda auf dem Weg zum neuen Menschen.
Aber wie ist das möglich?
Von Joseph haben wir ja immer schon gehört, aus früheren Kapiteln: Letztlich handelt Gott. Das wusste Joseph. Gott ist nahe dran an unserem Leben. Er führt unseren Weg. Er setzt uns nicht nur als Geschöpfe in diese Welt, um uns dann uns selbst zu überlassen.
Joseph war völlig überzeugt: "Mein Weg nach Ägypten war von Gott geführt. Er hat mich auch dort beschützt und seine Hand an mir drangehalten."
Gott schaut jetzt auch nicht unbeteiligt zu, wie meine Brüder sich immer tiefer in ihre Sünde verstricken. Er schaut nicht unbeteiligt zu.
So hatte Joseph von Gott den Auftrag gesehen, seinen Brüdern seelsorgerlich zurechtzuhelfen bis zur wirklichen Klärung ihrer Situation. Auch Joseph wusste: Das Herz meiner Brüder kann nur Gott verändern.
Das Herz meiner Brüder kann nur Gott verändern – nur der Erschaffer des alten Menschen kann auch den neuen Menschen schenken, wie es dann später auch der Prophet Hesekiel sagen wird, in Hesekiel 36.
Gott verheißt dort in Vers 26: "Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben. Ich will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Ich will meinen Geist in euch geben", sagt Gott, "und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun."
Ich will euch ein neues Herz geben – darauf hoffte Joseph für seine Brüder.
Darum hatte Joseph dieses Manöver mit dem Zauberbecher. Er hatte es sicher unter Gebet vorbereitet. Dass er den Becher bei Benjamin versteckte, war kein Spielen mit den Emotionen seiner Brüder, wie man auf den ersten Blick denken könnte.
Das war auch nicht einfach ein knallharter, herzloser Test, ob ihr Charakter für diese Herausforderung schon geläutert genug wäre, nach dem Motto: Ob sie zu Benjamin halten oder ob sie einfach von der Fahne gehen werden. Schauen wir mal, wie weit sie sind.
Nein, so kalt und herzlos war es nicht. Joseph hat mit dieser Aktion, das wird immer deutlicher, um seine Brüder gerungen.
Das sehen wir doch immer wieder in diesen Kapiteln. Joseph kann aus seelsorgerlichen Gründen diese feste Linie gegenüber seinen Brüdern, die er ja halten muss, damit das Ziel erreicht wird, nur dadurch durchhalten, dass er sich immer wieder zum Weinen zurückzieht, weil er es einfach nicht anders erträgt.
Wir hatten das ja gesehen in Kapitel 43, Vers 30. Nachdem er ihnen begegnet war, war er so ergriffen, dass er erst mal eine Runde geweint hat.
Und am Beginn von Kapitel 45, also nach unserem jetzigen Kapitel, werden wir auch sehen, dass er wieder in Tränen ausbrechen wird.
Also, er war alles andere als hartherzig.
Ich denke, das ist auch ein wichtiger Hinweis für unseren seelsorgerlichen Dienst: Können wir über die Menschen, denen wir dienen wollen und die Gott uns gewiesen hat, können wir über diese Menschen auch weinen – über ihre Schuld, über ihre Irrwege? Können wir mit ihnen fiebern? Geht uns das ans Herz?
Dem Joseph ging es ans Herz.
Dann ergreift Juda das Wort – dieser Juda. Mit seinen Worten, und das ist der letzte Teil unseres Textes, gibt Juda uns einen atemberaubenden Einblick, was in seinem Herzen geschehen ist.
Er spricht hier wohl stellvertretend für diese Brüderschar, aber er spricht zuallererst auch für sich selber – auf dem Weg zum neuen Menschen.
Hier können wir einige Schritte erkennen in diesem letzten Abschnitt, was da geschieht, wenn ein Mensch neu wird durch die gnädige Seelsorge Gottes.
Es geht los mit dieser Rede in Vers 16:
Juda sprach: "Was wollen wir meinem Herrn sagen, oder wie wollen wir reden, und womit können wir uns rechtfertigen? Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden", sagt er zu Joseph, "siehe, wir und der, bei dem der Becher gefunden ist, sind meines Herrn Sklaven."
Er sagt: "Wie sollen wir uns rechtfertigen? Gott, Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden."
Das ist der erste Schritt auf dem Weg zum neuen Menschen: gepackt im Gewissen.
Wenn nicht im Herzen Judas Entscheidendes passiert wäre, müssten wir einen völlig anderen Einstieg seiner Rede erwarten. Dann würde er nicht sagen: "Womit können wir uns rechtfertigen? Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden." Sondern dann würde er sagen: "Zunächst mal, wir haben uns nichts zu Schulden kommen lassen. Ich lege meine Hand auch für meinen jüngsten Bruder ins Feuer, der von dieser Entdeckung in seinem Reisesack genauso entsetzt und verstört ist wie wir alle. Ich würde ihm das auch nicht zutrauen, der ist integer. Und zugegeben, großer Vizekönig, die Indizien sprechen gegen uns, aber ich kann nur beteuern, dass wir ein reines Gewissen haben und dass wir alles tun werden, um den Vorgang aufzuklären."
Ein Hinweis auf ihre Ehrlichkeit, sagte ich schon, ist dem Diener doch, dass sie das Geld, das er ihnen beim letzten Mal mitgegeben hat, wieder zurückgebracht haben.
Dann käme noch mal die Argumentation von Vers 8.
Aber all das sagt Juda nicht.
Was sagt er stattdessen? "Womit sollen wir uns rechtfertigen? Wir haben nichts vorzubringen, nicht weil wir den Becher etwa doch gestohlen hätten – nein, das haben wir eindeutig nicht – aber Gott hat diesen Vorgang benutzt, um uns an eine viel größere Schuld zu erinnern, die wir wirklich auf uns geladen haben."
Und dann dieser Hammer: "Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden."
Also, was uns jetzt zu Unrecht als Tat unterstellt wird – die Sache mit dem Becher – ist nur die Erinnerung an eine viel schlimmere Tat, die wir wirklich begangen haben.
Wir haben unseren Bruder verkauft, wir haben unseren Vater getäuscht und in dieses Leid hineingestürzt.
Hochinteressant: In seiner frühen Zeit in Ägypten hatte Joseph einmal dem Mundschenk des Königs seine eigene Versklavungsgeschichte erzählt. Dabei hatte er mit einem Bild gesagt, was seine Brüder mit ihm gemacht hatten.
In Kapitel 40, Vers 15 kann man das nachlesen: "Ich bin aus dem Lande der Hebräer heimlich gestohlen worden."
Verstehen Sie, ich bin aus dem Lande der Hebräer heimlich gestohlen worden – also meine Brüder haben mich hinterrücks beseitigt und meinen Vater beraubt.
Vielleicht hat ihn das auf die Idee gebracht, die damalige Schuld seiner Brüder – sie haben ihn heimlich geraubt – jetzt mit dem Vorgang des heimlich geraubten Bechers wieder in Erinnerung zu bringen: "Sie haben ihn heimlich geraubt."
Jedenfalls erreicht Joseph mit dieser Aktion genau die Wirkung, die er erhofft hatte: dass seine Brüder im Gewissen getroffen werden, dass sie sich ihrer Schuld bewusst werden.
So geschieht es.
Juda sieht jetzt immer klarer, was ihm in Kapitel 42 schon mal gedämmert hatte – bei der ersten Reise, als Joseph sie drei Tage lang zum Nachdenken in sein Gefängnis geschickt hatte, auch aus seelsorgerlichen Gründen. Er hat viele Möglichkeiten, seinen Brüdern seelsorgerlich zu helfen und dadurch die Schuld in ihrem Gewissen anklopfen zu lassen.
Als sie dort im Gefängnis viel Zeit zum Nachdenken hatten, diese Schuld, die sie zwanzig Jahre vorher relativ erfolgreich verdrängt hatten, begann sie zu dämmern.
Ich erinnere noch einmal an Kapitel 42, Vers 21: "Sie übersprachen untereinander: Das haben wir an unserem Bruder verschuldet, also damals an Josef, denn wir sahen die Angst seiner Seele, als er uns anflehte, und wir wollten ihn nicht erhören. Darum kommt nun diese Trübsal über uns."
Und Ruben antwortete ihnen und sprach: "Sagt ich's euch nicht, als ich sprach: Versündigt euch nicht an dem Knaben? Doch ihr wolltet nicht hören. Nun wird sein Blut von uns gefordert."
Verstehen Sie, da dämmerte es ihnen schon.
Und genau dieselbe Erkenntnis packt sie nun mit umso größerer Klarheit, und Juda spricht es aus.
Er spricht es aus, immer noch ohne zu wissen, wem er das in diesem Moment beichtet, und sagt in Vers 16: "Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden."
Damit sehen wir einen zweiten Schritt auf dem Weg zum neuen Menschen: erstens gepackt im Gewissen, zweitens geständig vor Gott.
Juda sagt nicht zu Joseph: "Du bist jetzt auf die Schliche gekommen, Joseph, wir fühlen uns von dir ertappt und überführt."
Nein, nicht der Vizekönig ist die entscheidende Instanz, vor der wir uns verantworten müssen, und auch nicht der Pharao, sondern Gott selbst.
"Geständig vor Gott" – er hat unsere Missetat gefunden, sagt Juda.
So spricht einer, der sich ertappt fühlt, so spricht einer, der sich gestellt sieht von Gott.
So ist es, wenn einer Christ wird: Ich merke, ich kann mich mit meiner Sünde nicht vor Gott verstecken.
Ich kann mich vor Menschen verstecken mit meiner Schuld, aber nicht vor Gott. Er sieht mein Herz, er sieht meinen Unglauben, er sieht meinen Stolz, er sieht meine Widerborstigkeit gegenüber seinem Herrschaftsanspruch, er sieht meine Bequemlichkeit, mit der ich mir selber immer das Beste heraussuchen will und mein eigener Gott sein will und Gott vielleicht in der einen oder anderen Situation mal so als kleinen Hilfsgott dazunehme.
Er sieht es: Ich kann mich mit meiner Schuld vor Gott nicht wegdecken, wegducken, verstecken.
Nochmal Helmut Frey zu dieser Szene: Er sagt, alles, was um den Becher geredet wurde, ist doch nur noch wie die Fingerspitze Gottes, die auf die verborgene Schuld zeigt.
Und vor der Fingerspitze Gottes, die auf ihre Sünde weist, und dann kommt dieser Satz: "Verwandelt sich dieser rebellische Hauf in eine Gemeinde von Brüdern."
Und dann fügt Helmut Frey den Satz hinzu: "Judas Bekenntnis fast nach dem Knoten der Verwicklung."
Und genau das ist es.
In diesem Bekenntnis hat er den Knoten, in dem alles gebündelt ist: Gott hat mich mit meiner Sünde gefunden, und er hat uns mit unserer Sünde gefunden.
Hast du diesen Moment in deinem Leben erlebt, dass du sagen kannst: "Gott hat mich gefunden mit meiner Sünde. Ich kann nicht mehr ausweichen, ich kann nicht mehr so tun, als wäre ich ein leidlich guter Mensch. Ich bin auf Gedeih und Verderb angewiesen auf seine Gnade und auf sein Erbarmen."
"Gott hat mich gefunden mit meiner Sünde" – das ist das Bekenntnis dessen, der Christ wird.
Und verstehen Sie, geständig vor Gott, so bleibt das Gewissen gepackt.
Im Gewissen geständig vor Gott – das Gewissen bleibt keine nebulöse Instanz.
Das ist nicht nach dem Motto: "Das Gewissen, das Gewissen, ich muss mit mir selbst irgendwie ins Reine kommen."
Sondern das Gewissen weist mich zu einer Person, zu einer Person, vor der ich mich verantworten muss.
Das Gewissen weist mich zu einer Person, die mich bis in die letzten Winkel meines Herzens durchschaut, zu einer Person, die ein Urteil über mich sprechen wird.
Und das, was du, ehrenwerter Vizekönig, gestern Abend beim großen Mahl dem Benjamin gewünscht hast, als du ihm sagtest: "Gott sei dir gnädig, mein Sohn" (Kapitel 43, Vers 29), das brauchen wir jetzt alle: dass Gott uns gnädig ist.
Und Juda begreift: Es genügt nicht, wenn der Verwalter uns begnadigt, sondern geworfen sind wir auf Gottes Gnade.
Jetzt schauen Sie, was geschieht.
Nach diesem Bekenntnis gewinnt Juda den Mut, dem hohen Herrn ihre Familiengeschichte der letzten Wochen und Monate kurz zu berichten.
Vers 20: Da sagt er: "Wir haben einen Vater, der ist alt, und einen jungen Knaben in seinem Alter geboren, und sein Bruder ist tot, und er ist allein übrig geblieben von seiner Mutter und seinem Vater. Er hat ihn lieb."
Damit erfährt Josef, was in seiner Heimat die offizielle Lesart über seine Existenz ist. Verstehen Sie? Er gilt als tot.
Das war der Erkenntnisstand Jakobs seit zwanzig Jahren. Möglicherweise rechneten die Brüder, die diese Legende damals erfunden hatten, inzwischen selbst damit, dass Josef in der Sklaverei Ägyptens gestorben sei, nachdem sie nie mehr etwas von ihm gehört hatten.
Jetzt schauen Sie, wie die Rede weitergeht.
Ab Vers 21 sagt Juda: "Da sprachst du zu deinen Knechten: Bringt ihn herab, nämlich den jungen Bruder, ich will ihm Gnade erweisen."
Ihr antwortetet meinem Herrn: "Der Knabe kann seinen Vater nicht verlassen. Wenn er ihn verließ, würde der sterben."
Da sprachst du zu deinen Knechten: "Wenn euer jüngster Bruder nicht mit euch kommt, sollt ihr mein Angesicht nicht mehr sehen."
Da zogen wir hinauf zu deinem Knecht, meinem Vater, und sagten ihm meines Herrn, also Josephs, Rede.
Da sprach unser Vater: "Zieht wieder hin und kauft uns ein wenig Getreide."
Wir aber sprachen: "Wir können nicht hinabziehen, nur wenn unser jüngster Bruder mit uns ist, wollen wir hinabziehen, denn wir dürfen des Mannes Angesicht nichts sehen, wenn unser jüngster Bruder nicht mit uns ist."
Da sprach dein Knecht, mein Vater, zu uns: "Ihr wisst, dass mir meine Frau zwei Söhne geboren hat. Einer ging von mir, nämlich Joseph, und ich musste mir sagen, er ist zerrissen, und ich habe ihn bisher nicht gesehen."
"Werdet ihr diesen, also diesen Benjamin, auch noch von mir nehmen? Und widerfährt ihm mein Unglück, so werdet ihr meine grauen Haare mit Jammer hinunter zu den Toten bringen."
Nun, wenn ich heimkäme, sagt Juda zu deinem Knecht, meinem Vater, und der Knabe wäre nicht mit uns, an dem er mit ganzer Seele hängt, so wird es geschehen, dass er stirbt.
Wenn er sieht, dass der Knabe nicht da ist, so würden wir deine Knechte die grauen Haare deines Knechtes, unseres Vaters, mit Herzeleid hinunter zu den Toten bringen.
Martin Luther sagt zu dieser Stelle: "Ich wollte viel darum geben, dass ich vor unserem Herrn so wohlkund beten könnte wie hier Juda vor Joseph betet."
Also Luther sagt: So will ich gern vor Gott beten können, wie hier Juda vor Joseph hintritt.
Was für ein Plädoyer!
Und schauen Sie hin: Ein Plädoyer, in dem er darum wirbt, dass Benjamin unbedingt mit nach Hause kommt, weil sein Vater dessen Verlust wohl nicht mehr verkraften würde.
Das ist ein dritter großer Schritt, an dem das neue Leben Judas greifbar wird: gepackt im Gewissen, geständig vor Gott und drittens gerührt zum Mitleiden.
Haben Sie es herausgehört, wie Juda in diesen Versen innerlich mit dem Vater mitleidet? Und zwar genau wegen der Sache, die ihn früher in den Neid und zum Zorn getrieben hat.
Das ist hier der springende Punkt. Das müssen Sie sehen.
Worin besteht denn die große Not, die jetzt über Jakob hängt wie ein Damoklesschwert, von dem er noch gar nichts ahnt?
Sie besteht darin, dass, nachdem sein erster Lieblingssohn Joseph vermeintlich gestorben ist, auch sein zweiter Lieblingssohn Benjamin in der Gefahr steht, den Vater nicht mehr wiederzusehen und ihm ebenfalls genommen zu werden.
Und wir hatten ja gesagt, dass es als Vater von Jakob nicht richtig war, diese Ungleichbehandlung zwischen seinen Kindern zu praktizieren. Das wird hier auch in keiner Weise beschönigt.
Aber schauen Sie hin: Hier geht es nicht um das Herz von Jakob, sondern um das Herz von Juda.
Und Juda schildert diese Not seines Vaters wegen der Lieblingssöhne ohne jeden Hauch von Bitterkeit.
Das ist die Veränderung hier.
Er schildert die Not seines Vaters wegen dieses favorisierten Lieblingssohnes ohne jede Kritik oder gar Schadenfreude nach dem Motto: "Das hat er davon, wenn er sich so einen Liebling raussucht."
Sondern Juda lässt sich rühren vom subjektiven Leiden seines Vaters.
Das ist das Erstaunliche.
Juda ist bereit, sich in diesen Momenten quasi in Jakobs Schuhe zu stellen und vor Joseph zu plädieren, dass er doch Benjamin auf alle Fälle freilassen möge, um damit letztlich auch dem Vater das Leben zu retten.
Das ist so ergreifend.
Dabei bringt es Juda sogar über das Herz und über die Lippen ohne Groll und ohne Unterton jenen Satz Jakobs zu zitieren, mit dem Juda und dessen Mutter Lea und auch die anderen Brüder letztlich ins zweite Glied zurückgesetzt hat.
Sogar diesen Satz zitiert er.
Er sagt im Vers 27: "Als wir Benjamin jetzt mit nach Ägypten nehmen wollten, da sprach mein Vater zu uns: Ihr wisst, dass mir meine Frau zwei Söhne geboren hat."
"Ihr wisst, dass mir meine Frau zwei Söhne geboren hat", weil noch viel mehr – die anderen Frauen gab es ja auch.
"Einer von mir ging, als Joseph, und ich musste mir sagen, er ist zerrissen."
"Werdet ihr diesen auch noch von mir nehmen? Dann bringt ihr meine grauen Haare mit Jammer hinunter zu den Toten."
Und er zitiert das.
Juda nennt Jakob einerseits "meinen Vater" und zitiert dann doch seine Aussage, als wären nur Joseph und Benjamin seine Söhne.
Warum macht Juda das? Warum macht Juda das?
Weil er den Vizekönig um jeden Preis dafür gewinnen will, dem Vater nicht noch mehr Qual und Traurigkeit zuzumuten.
Das wird er am Ende seiner Rede noch einmal wiederholen.
In Vers 34 sagt er am Schluss: "Denn wie soll ich hinaufziehen zu meinem Vater, wenn der Knabe, also Benjamin, nicht mit mir ist? Ich könnte den Jammer nicht sehen, der über meinen Vater kommen würde. Ich würde es nicht."
Also zu Joseph: "Ich bin Bürge geworden für den Knaben von meinem Vater, und ich sprach: Bringe ich ihn dir nicht wieder, so will ich mein Leben lang die Schuld tragen."
"Darum lass deinen Knecht hierbleiben an des Knaben statt als Sklave meines Herrn, und lass den Knaben mit seinen Brüdern ziehen."
Und das ist das Letzte, was wir hier sehen, woran wir diesen neuen Lebensinhalt sehen:
Gepackt im Gewissen, geständig vor Gott, gerührt zum Mitleiden und viertens gewillt zur Selbsthingabe.
Das ist das Letzte: gewillt zur Selbsthingabe.
Schauen Sie diese Verwandlung.
Juda sagt: "Ich gebe mein Leben für seins. Ich trete ein als Bürge für meinen kleinen Halbbruder, für diesen Liebling des Vaters."
Es ist so, als ob Juda ihre beiden reisenden Säcke gegeneinander austauschen würde.
Als würde er sagen: Die Tasche, in der ihr den gestohlenen Kelch gefunden habt, lasst sie als meine Tasche gelten, und meine Tasche, in der alles sauber war, die soll zu Benjamin gehören, so als wäre es seine Tasche.
Tauscht einfach die Taschen aus.
Das ist das Geheimnis der Stellvertretung, verstehen Sie?
So werden wir jetzt gleich nach der Predigt singen.
Da wird nur die Reisetasche ersetzt durch ein Kleid – sein Kleid für meins, ein Tausch.
So wunderbar: "Ein Schuldgewand trug er, das meines war."
Die verräterische Tasche mit dem gestohlenen Kelch übernahm er, obwohl es eigentlich meine Tasche war.
Juda übernimmt das für Benjamin, gewillt zur Selbsthingabe.
Darin zeigt sich die Liebe, die bei Juda zu seinem Vater gewachsen ist.
Er ist bereit, sein eigenes Leben, seine eigene Freiheit für seinen Bruder zu opfern, der ihm vorgezogen wird, damit der Vater, der diesem Bruder vorzieht, nicht im Leid vergeht.
Verstehen Sie, das ist die Quintessenz.
Juda ist bereit, seine eigene Freiheit, sein Leben für einen Bruder zu opfern, der ihm vorgezogen wird, damit der Vater, der diesem Bruder vorzieht, nicht im Leid versinkt.
Was hat Gottes Geist aus diesem Juda gemacht?
Und die anderen Brüder scheinen das mitgetragen zu haben.
Was für eine Wandlung des Herzens auf dem Weg zum neuen Menschen!
Damit war für Joseph der letzte Vorbehalt gegenüber den Brüdern beiseite geräumt.
Damit war für Joseph die letzte Ungewissheit gegenüber ihrer Herzenshaltung überwunden.
Jetzt, das werden wir nächsten Sonntag sehen, brechen auch bei Joseph alle Dämme.
Wir werden nächsten Sonntag miterleben, wie er sich seinen Brüdern gegenüber nun endlich offenbart und sich unter Tränen ihnen als Bruder zu erkennen gibt.
Aber von heute an verstehen wir vielleicht etwas besser, warum Gott am Ende von den Stämmen Israels, also von den zwölf Brüdern, ausgerechnet den Stamm Juda erwählt hat.
Dass aus diesem Stamm Juda, aus diesem Nachkommen Judas, einmal der Messias kommen sollte.
Heute verstehen wir besser, warum es dann im Stammbaum Jesu heißt: "Dies ist das Buch von der Geschichte Jesu Christi: Matthäus 1, Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob, Jakob zeugte Juda und seine Brüder."
Aus der Linie Judas kommt dann Jesus, der Messias.
Juda wird ausgewählt von Gott, weil Juda es war, der im kritischen Moment dieser Versöhnungsgeschichte bereit war, alles einzusetzen, sein eigenes Leben zu opfern, als Stellvertreter, um das Leben des Bruders zu retten und um des Vaters willen.
Was für ein helles Licht!
Was für ein helles Licht aus dem ägyptischen Palast des Joseph strahlt weit voraus auf jedem Hügel von Golgatha, wo Jesus sein vollkommenes Leben für uns opfern wird.
Wo Jesus sein vollkommenes Leben für uns opfern wird als Stellvertreter, der unsere Strafe, der unsere Gottlosigkeit auf sich nimmt und die Strafe dafür trägt, damit wir freikommen.
Nicht nur freikommen aus der ägyptischen Sklaverei, sondern freikommen aus der viel schlimmeren Sklaverei der Sünde und der Gottlosigkeit.
Jesus hat nicht nur angeboten, unsere Strafe zu tragen, wie Juda, dem ja dann der letzte Vollzug seines Versprechens erspart blieb – glücklicherweise bei Juda.
Nein, Jesus hat unsere Schuld mit all ihren Konsequenzen wirklich getragen bis zum bitteren Ende.
Deshalb, und damit kommen wir zum Schluss, können noch heute ganz normale Menschen – ganz normale Menschen, die gefangen sind in ihrem alten Leben – zu neuen Menschen werden.
Aber das schafft keine Ideologie, das schafft keinen Transhumanismus, das schafft kein therapeutisches Programm, die neuen Menschen alle auf ihre Fahnen schreiben und sie doch immer wieder in die nächste Sklaverei reinführen und am Ende ins Verderben ohne Gott.
Nur Gott, der heilige Schöpfer, nur Gott, dem jeder von uns dieses alte Leben verdankt, das er uns geschenkt hat – dieses alte Leben, das wir dann mit so viel Schuld beschmutzt haben – nur Gott selbst kann uns alten Menschen wirklich neue Menschen machen, ohne uns zu zerstören.
Das Mittel, das Gott dazu verwendet, ist die gute Botschaft von Jesus Christus, von Jesus Christus aus dem Stamm Juda, der unser Stellvertreter wurde, der unsere Tasche übernahm.
Wo dieses Evangelium nach unserem Leben greift, da passiert das Wunder.
Da werden wir zu neuen Menschen wie Juda.
Da werden wir gepackt im Gewissen, da werden wir ständig vor Gott, da werden wir gerührt zum Mitleiden und gewillt zur Selbsthingabe.
Herr Jesus Christus, dafür danken wir dir, dass du in Vollkommenheit vollendet hast, was wir am Beispiel von Juda ansatzweise sehen können – dass er bereit war, sein ganzes Leben in die Waagschale zu werfen für den Bruder.
Herr, wir danken dir für deine Macht, Menschenherzen zu verwandeln.
Danke, dass es deswegen vor dir keine hoffnungslosen Fälle gibt.
Herr, danke, dass du das vielen von uns geschenkt hast, dass du unser altes Leben zu einem neuen Leben verwandelt hast, und lass das noch in vielen, vielen Herzen geschehen.
Herr, uns sollte diesen Text jetzt gehört und gelesen haben jemand, der noch in seinem alten Leben festhängt, der noch nicht die Gewissheit der Vergebung seiner Sünde hat, der noch nicht weiß, dass er vor dir längst entdeckt ist in seiner Schuld.
Dann klopfe du doch in seinem Gewissen an, überführe ihn, wie du Juda überführt hast, wie du viele von uns überführt hast, und lass ihnen nach diesem einzigen einzigartigen Rettungsseil greifen, dass du, Herr Jesus, selber für uns geworden bist, du lieber, guter Herr.
Amen.
Die Hungersnot und die Begegnung mit Joseph in Ägypten
Erst die globale Hungersnot, von der auch ihre Heimat in Kanaan betroffen ist, bringt Bewegung in die Situation. Wir haben es gesehen: Sie zwingt die verlogenen Brüder zu einer neuen Begegnung mit Joseph. Dieser hat inzwischen durch Gottes Vorsehung in Ägypten eine starke politische Machtposition erlangt – das zweithöchste Amt nach dem Pharao. Man kann ihn Verwaltungschef oder Vizekönig Ägyptens nennen.
Die Brüder kommen nach Ägypten, doch sie erkennen Joseph nicht. Sein verändertes Aussehen und die ägyptische Amtstracht machen ihn ihnen fremd. Joseph lässt sich von einem ägyptischen Übersetzer gegenüber den Brüdern übersetzen. Die Brüder sagen: „Wir erkennen ihn nicht.“ Joseph hingegen weiß sofort, wen er vor sich hat.
Josefs Leben war in den zurückliegenden zwanzig Jahren von Gott geprägt worden. Er hatte in vielen Situationen Gottes Durchtragen erfahren und sich im Gehorsam gegenüber seinem Herrn bewährt. Als er jetzt den Brüdern gegenübersteht, wird es ihm von Gott geschenkt, dass er ihnen nicht mit innerem Hass begegnet.
Stattdessen wird Joseph von dem Verlangen gepackt, das Verhältnis zu seinen Brüdern wieder zu heilen und eine tiefgreifende Versöhnung zu erreichen. Besonders bewegt ihn, dass gerade diese Brüder ihn damals in die Sklaverei verkauft hatten.
Joseph als Seelsorger für seine Brüder
Und von da an – und das macht unser Text deutlich, was wir hoffentlich an den letzten Sonntagen auch gesehen haben – gebraucht Gott den Josef. Gott gebraucht Josef, den er in den vorangegangenen Jahren dafür vorbereitet hatte. Er gebraucht Josef als Seelsorger für seine Brüder und damit für sein Volk.
Das ist die Situation. Noch hat Josef sich ihnen nicht zu erkennen gegeben, aber schrittweise sucht er das Gespräch.
Zuletzt hatten wir in Kapitel 43 von einem bewegenden Gastmahl gelesen, das Josef für seine Brüder gegeben hat. Dabei hat er zum ersten Mal, wie wir letzten Sonntag gesehen haben, seinen leiblichen Bruder Benjamin kennengelernt. Auch Benjamin war, wie Josef, von Jakobs Lieblingsfrau Rahel geboren worden.
Dieser Benjamin war in den letzten Jahren an die Stelle Josephs in der Gunst des Vaters getreten, weil dieser ja dachte, Joseph sei tot. Joseph war gewissermaßen der ältere Bruder Benjamins, doch Benjamin war jetzt der Liebling Jakobs.
Die Rückkehr der Brüder und die neue Krise
Machen sich die Brüder nun erneut auf den Heimweg nach Kana, scheint alles bestens zu sein. Sie sind erleichtert über die guten Begegnungen mit dem ägyptischen Oberverwalter. Ihre Vorratsbehälter sind dicht gepackt, voll mit Nahrungsgütern, die sie dem Vater freudestrahlend präsentieren wollen.
Außerdem haben sie eine ehrenvolle Einladung im Gepäck: Beim nächsten Ägyptenbesuch sollen sie auch den alten Vater mitbringen und ihn der ägyptischen Führungsspitze vorstellen.
Doch während sie sich unbeschwert auf die Reise begeben, werden sie mit einer Schreckensnachricht konfrontiert. Diese droht, alles mühsam Aufgebaute wieder zu zerstören.
Und da beginnt Kapitel 44.
Das Prüfungsmanöver mit dem silbernen Becher
Ich lese es noch einmal ab Vers 1:
Und Joseph befahl seinem Haushalter: „Fülle den Männern ihre Säcke mit Getreide, so viel sie fortbringen können. Lege jedem sein Geld oben in seinen Sack. Und meinen silbernen Becher lege oben in den Sack des Jüngsten, zusammen mit dem Geld für das Getreide.“
Der Haushalter tat, wie Josef ihm gesagt hatte. Am Morgen, als es hell wurde, ließen sie die Männer mit ihren Eseln ziehen.
Als sie jedoch die Stadt verlassen hatten und nicht weit gekommen waren, sprach Josef zu seinem Haushalter: „Jage den Männern nach! Wenn du sie einholst, sprich zu ihnen: Warum habt ihr Gutes mit Bösem vergolten? Warum habt ihr den silbernen Becher gestohlen? Ist das nicht der Becher, aus dem mein Herr trinkt und aus dem er die Wahrheit sagt? Ihr habt Übles getan!“
Als der Haushalter sie eingeholt hatte, redete er mit ihnen diese Worte.
Der Leser weiß jedoch, dass die Brüder unschuldig sind. Deshalb fragt man sich, warum Joseph sie in eine Lage bringt, in der er sie des Diebstahls überführen kann. Aus seinem bisherigen Verhalten wissen wir, dass Joseph etwas Gutes mit den Brüdern bewirken will.
Aber was kann das in diesem Fall sein? Was ist sein Motiv?
Noch immer hat er sich den Brüdern gegenüber nicht zu erkennen gegeben. Das erklärt auch, warum er sie noch im Glauben lässt, er würde – wie andere Herrscher des Orients – ein besonderes Gefäß benutzen, um auf okkultem Wege Erkenntnisse über die Zukunft zu gewinnen. Dieses besondere Gefäß ist der silberne Becher.
Der silberne Becher als Symbol und Praxis der Hydromantie
Wir müssen wissen, dass Becherweissagung im Heidentum zu jener Zeit weit verbreitet war. Der Becher war wahrscheinlich auch ein Symbol, das die Autorität Josephs als Vizekönig Ägyptens darstellte, ähnlich einem Zepter. Zugleich diente dieses Gefäß der Praxis dessen, was man Hydromantie nannte – also Mantik, Okkultismus mithilfe von Wasser.
Man träufelte Öl in das Wasser des Bechers und versuchte dann, aus dem Fluss des Öls Rückschlüsse auf die Zukunft zu ziehen. Alternativ warf man Steinchen in das Wasser und versuchte, am Fallen der Steine Hinweise für Vorhersagen zu finden.
Wir wissen, dass der Gott Israels sein Volk später massiv vor derlei Praktiken gewarnt hat. Auch Joseph war dies sicherlich schon zu einem frühen Zeitpunkt bekannt, dass solche Praktiken gegen Gottes Willen waren.
Wir lesen das zum Beispiel in 5. Mose 18,10: Dort offenbart Gott Mose, dass niemand unter euch gefunden werden soll, der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen lässt oder Wahrsagerei, Hellseherei, geheime Künste, Zauberei, Bannungen, Geisterbeschwörungen, Zeichendeuterei vornimmt oder die Toten befragt. Solche Menschen sind dem Herrn ein Gräuel, und um solcher Gräuel willen vertreibt der Herr dein Gott die Völker vor dir.
Dieses Wissen war sicherlich auch Joseph schon vor der schriftlichen Fixierung durch Mose bekannt. Die meisten Ausleger, was auch plausibel ist, gehen davon aus, dass der Abgesandte hier nicht die tatsächliche Praxis Josephs beschreibt, als er sagt, der Herr war aus diesem Becher. Vielmehr wurde dieser ehrwürdige Becher, der die königliche Autorität unterstreicht, für diese Aktion gewählt, um die Verwerflichkeit des vermeintlichen Diebstahls umso größer erscheinen zu lassen.
Wir finden in den gesamten Kapiteln keinerlei Hinweise darauf, dass Joseph Kompromisse mit heidnischen Religionspraktiken eingegangen wäre.
Die Reaktion der Brüder auf den Diebstahlsvorwurf
Die Brüder sind natürlich aufrichtig empört über den Vorwurf, sie seien Diebe (Vers 7). Sie sagen: „Warum redet mein Herr solche Worte? Es sei ferne von deinen Knechten, so etwas zu tun.“
Als Beleg ihrer Integrität verweisen sie darauf, dass sie das Geld, das man ihnen beim letzten Besuch noch großzügig geschenkt hatte, wieder in ihre Taschen gelegt hatten. Eigentlich hatten sie das Geld mitgebracht, um das Getreide in der Hungersnot zu bezahlen. Doch man hatte es ihnen wieder mitgegeben. Dieses quasi geschenkte Geld hatten sie nun bei der zweiten Reise wieder mitgebracht.
Sie sagen: „Wir wollen uns nichts schenken lassen.“ Darauf verweisen sie jetzt und betonen: „Daran siehst du doch, wir wollen uns nicht bereichern. Siehe, das Geld, das wir oben in unseren Säcken fanden, haben wir wieder zu dir gebracht aus dem Lande Kanaan.“
Sie fragen: „Wie sollten wir da aus deines Herrn Hause Silber oder Gold gestohlen haben? Wir wollen schon gar nicht dem Verwalter des Pharaos, der uns so viel Gutes getan hat, in irgendeiner Weise hintergehen.“
Um ihre Unschuld zu beteuern, formulieren sie in der Aufregung eine völlig übertriebene Strafe, die sie im Falle einer Überführung akzeptieren würden. Sie sagen in Vers 9: „Bei wem der Becher gefunden wird unter deinen Knechten, der sei des Todes. Dazu wollen auch wir alle meines Herrn Sklaven sein.“
Das ist wahrlich übertrieben. Und...
Die Reaktion des Verwalters und die Suche nach dem Becher
Daraufhin beruhigt der Verwalter die Situation und mahnt zur Verhältnismäßigkeit (Vers 10). Er sagt: Ja, es sei, wie ihr gesagt habt. Wer den Becher findet, soll mein Sklave sein. Ein wichtiger Satz folgt: Ihr aber sollt frei sein. Das bedeutet, es gibt auf keinen Fall die Todesstrafe. Die Versklavung trifft nur den Überführten, von dem der Verwalter bereits weiß, dass es Benjamin sein wird. Die übrigen Brüder können unabhängig und frei mit Sack und Pack die Heimreise antreten.
Und was machen die Brüder? Sie tun alles, um den Sachverhalt umgehend aufzuklären (Vers 11). Sie legen jeweils einen Sack auf die Erde und öffnen ihn. So sucht der Verwalter, angefangen beim Ältesten bis zum Jüngsten. Schließlich findet sich der Becher in Benjamins Sack. Und...
Die dramatische Bewährungssituation der Brüder
Sie sehen, wie der Text die Dramatik der Situation nachzeichnet. Damit – und das müssen wir verstehen – stellt der Mitarbeiter von Joseph die Brüder in eine zugespitzte Bewährungssituation hinein.
Benjamin hat den Becher. Ausgerechnet Benjamin, der Nachfolger von Joseph, der aktuelle Lieblingssohn, den der Vater am liebsten gar nicht mitgegeben hätte nach Ägypten, weil sein Herz so sehr an ihm hing. Kurz vor der Abreise hat er noch gesagt: Nach Josephs Tod ist Benjamin alles, was mir noch von Rahel geblieben ist. Damit haben wir den Brüdern auch noch einmal einen Stich ins Herz gegeben, denn Benjamin ist der einzige, der wirklich zählt.
Diese neue Konstellation ist jetzt eine gute Gelegenheit, das aktuelle Lieblingssöhnchen in Ägypten als Sklaven verschwinden zu lassen. Verstehen Sie, das ist die Situation. Zumal der Verwalter hier sagt: „Lasst den da, ihr könnt gehen.“ Sie müssten sich, anders als bei Joseph vor zwanzig Jahren, jetzt nicht einmal selbst die Hände schmutzig machen und würden ihn trotzdem loswerden. Sie müssten den Dingen nur ihren Lauf lassen, und das Problem dieses ewigen Lieblingssöhnchens würde sich ganz von selbst lösen.
Die Tür, um sich schnell ohne Benjamin davonzumachen und nicht schuld an seinem Verschwinden zu sein, ist weit geöffnet (Vers 10: „Ihr aber sollt frei sein“). In Vers 17 sagt es Joseph selbst ihnen noch einmal: „Der, bei dem der Becher gefunden ist, soll mein Sklave sein, ihr aber zieht hinauf mit Frieden zu eurem Vater.“ Die Tür steht offen, der Weg ist frei.
Die Reaktion der Brüder auf die Bewährung
Und keiner wird glücklicher gewesen sein als Joseph über die Reaktion, die seine Brüder jetzt wirklich ganz spontan zeigen.
Schauen Sie hin und vergleichen Sie das jetzt mit dem, was vor zwanzig Jahren geschehen ist. Damals zerrissen sie ihre Kleider (Vers 13), und jeder sattelte seinen Esel. Gemeinsam zogen sie wieder in die Stadt.
Judah ging mit seinen Brüdern in Josefs Haus, denn er war noch dort, und sie fielen vor ihm nieder auf die Erde. Joseph aber sprach zu ihnen: „Wie habt ihr das tun können? Wusstet ihr nicht, dass ein solcher Mann wie ich wahr sagen kann?“
Sie kommen jetzt gemeinsam dahin. Sie lassen den jungen Bruder nicht im Stich – das ist das Entscheidende. Sie machen Benjamin auch keine Vorwürfe, sondern im Gegenteil: Was machen sie? Sie verknüpfen ihr eigenes Schicksal mit dem des vermeintlich Überführten.
Was das bedeutet, verstehen wir nur im Vergleich mit der alten Geschichte von vor zwanzig Jahren. Zwanzig, zweiundzwanzig Jahre zuvor hatten sie alles arrangiert, um Josef in die Sklaverei zu verkaufen.
Und jetzt sind sie bereit, obwohl sie unschuldig sind, um Benjamins Willen selbst in die Sklaverei zu gehen – auf dem Weg zum neuen Menschen.
Die Veränderung der Brüder als Zeichen des neuen Menschen
Zweiundzwanzig Jahre zuvor hatten sie den Vater gewissenlos in Verzweiflung gestürzt. Sie ließen ihn glauben, dass sein geliebter Sohn getötet worden sei. Zynisch wiesen sie diesen Glauben durch ein blutbeflecktes Kleidungsstück nach, das sie einfach in Tierblut getaucht hatten.
Und jetzt? Jetzt können sie den Gedanken nicht ertragen, welches Leid sie dem Vater bringen würden, wenn sie ohne Benjamin wieder zu Hause auftauchen würden.
Hier, in Kapitel 44, haben wir den Beweis für die massive Veränderung, die in diesen Männern vorgegangen ist – auf dem Weg zum neuen Menschen. Am deutlichsten sehen wir diese Veränderung in jenem Judah, der hier entschieden vorangeht, wie wir es bereits in Kapitel 43 gesehen hatten.
Ich erinnere noch einmal daran: Das ist derselbe Judah, der den Verkauf Josephs in die Sklaverei organisiert hatte. Es war seine Idee, wie in Kapitel 37 beschrieben. Es ist derselbe Judah, der seine Schwiegertochter verraten hatte. Es ist derselbe Judah, der sich vor etlichen Jahren mit einer vermeintlichen Prostituierten eingelassen hatte. Es ist dieser Judah, der auf dem Weg zum neuen Menschen ist.
Gottes Führung und Josephs seelsorgerliche Aufgabe
Aber wie ist das möglich? Von Joseph haben wir ja schon in früheren Kapiteln gehört: Letztlich handelt Gott. Das wusste Josef. Gott ist nahe an unserem Leben, er führt unseren Weg. Er setzt uns nicht nur als Geschöpfe in diese Welt, sondern auch uns Menschen, um uns dann sich selbst zu überlassen.
Josef war völlig überzeugt: Mein Weg nach Ägypten war von Gott geführt. Und er hat mich auch dort beschützt und seine Hand an mir drangehalten. Gott schaut jetzt auch nicht unbeteiligt zu, wie meine Brüder sich immer tiefer in ihre Sünde verstricken. Er schaut nicht unbeteiligt zu.
So hatte Joseph von Gott den Auftrag erhalten, seinen Brüdern seelsorgerlich zurechtzuhelfen, bis zur wirklichen Klärung ihrer Situation. Auch Joseph wusste: Das Herz meiner Brüder kann nur Gott verändern. Nur der Erschaffer des alten Menschen kann auch den neuen Menschen schenken, wie es später der Prophet Hesekiel sagen wird.
In Hesekiel 36 verheißt Gott in Vers 26: „Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben. Ich will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Ich will meinen Geist in euch geben“, sagt Gott, „und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun.“
Ein neues Herz will Gott geben. Darauf hoffte Joseph für seine Brüder.
Josephs Manöver mit dem silbernen Becher als seelsorgerlicher Akt
Darum hatte Joseph dieses Manöver mit dem Zauberbecher vorbereitet. Er hatte dies sicher im Gebet bedacht. Dass er den Becher bei Benjamin versteckte, war kein Spiel mit den Emotionen seiner Brüder, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte.
Es war auch kein knallharter, herzloser Test, um zu prüfen, ob ihr Charakter für diese Herausforderung bereits geläutert genug war. Nicht nach dem Motto: Halten sie zu Benjamin oder werden sie einfach fliehen? Nein, so kalt und herzlos war es nicht.
Joseph rang mit seinen Brüdern, und das wird in diesen Kapiteln immer deutlicher. Wir sehen immer wieder, dass er aus seelsorgerlichen Gründen eine feste Linie gegenüber seinen Brüdern einhält. Diese Linie muss er wahren, damit das Ziel erreicht wird. Er hält sie nach dem Prinzip „hart, aber herzlich“. Das kann er nur durchhalten, weil er sich immer wieder zum Weinen zurückzieht – er erträgt es einfach nicht anders.
Das hatten wir schon in Kapitel 43, Vers 30 gesehen. Nachdem er Benjamin begegnet war, war er so ergriffen, dass er erst einmal eine Runde weinte. Und am Anfang von Kapitel 45, also nach unserem jetzigen Kapitel, werden wir ebenfalls sehen, dass er wieder in Tränen ausbricht.
Joseph war alles andere als hartherzig. Ich denke, das ist auch ein wichtiger Hinweis für unseren seelsorgerlichen Dienst: Können wir über die Menschen, denen wir dienen wollen und die Gott uns anvertraut hat, auch weinen? Können wir über ihre Schuld weinen? Wir haben ja selbst Schuld. Können wir über ihre Irrwege mitfühlen? Geht uns das ans Herz?
Joseph ging es ans Herz.
Judahs Bekenntnis als Ausdruck der inneren Wandlung
Und dann ergreift Judah das Wort – dieser Judah. Mit seinen Worten, und das ist der letzte Teil unseres Textes, gibt Judah uns einen atemberaubenden Einblick in das, was in seinem Herzen geschehen ist. Er spricht hier wohl stellvertretend für diese Brüderschar, aber vor allem spricht er auch für sich selbst auf dem Weg zum neuen Menschen.
Hier können wir einige Schritte erkennen, die in diesem letzten Abschnitt deutlich werden: Was geschieht, wenn ein Mensch durch die gnädige Seelsorge Gottes neu wird?
Es beginnt mit dieser Rede in Vers 16: Judah sprach: „Was wollen wir meinem Herrn sagen? Oder wie wollen wir reden, und womit können wir uns rechtfertigen? Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden“, sagt er zu Joseph. „Siehe, wir und der, bei dem der Becher gefunden ist, sind meines Herrn Sklaven.“
Er fragt also: Wie sollen wir uns rechtfertigen? Gott hat die Missetat unseres Lebens gefunden – und das ist der erste Schritt auf dem Weg zum neuen Menschen: gepackt im Gewissen.
Wenn Sie mitschreiben, notieren Sie: Das Erste ist „gepackt im Gewissen“.
Wäre nicht im Herzen Judas etwas Entscheidendes passiert, dann müssten wir einen völlig anderen Einstieg seiner Rede erwarten. Er würde nicht sagen: „Womit können wir uns rechtfertigen? Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden.“ Stattdessen würde er sagen: „Also zunächst mal, wir haben uns nicht zu Schulden kommen lassen. Und ich lege meine Hand auch für meinen jüngsten Bruder ins Feuer, der von dieser Entdeckung in seinem Reisesack genauso entsetzt und verstört ist wie wir alle. Ich würde ihm das auch nicht zutrauen, der ist integer. Und zugegeben, großer Vizekönig, die Indizien sprechen gegen uns, aber ich kann nur beteuern, dass wir ein reines Gewissen haben und alles tun werden, um den Vorgang aufzuklären.“
Ein Hinweis auf unsere Ehrlichkeit – ich sagte es schon – seinem Diener ist doch, dass wir das Geld, das du uns beim letzten Mal mitgegeben hast, wieder zurückgebracht haben.
Dann käme noch einmal die Argumentation von Vers 8. Aber all das sagt Judah nicht. Stattdessen sagt er: „Womit sollen wir uns rechtfertigen?“ Wir haben nichts vorzubringen. Nicht, weil wir den Becher etwa doch gestohlen hätten – nein, das haben wir eindeutig nicht. Aber Gott hat diesen Vorgang benutzt, um uns an eine viel größere Schuld zu erinnern, die wir wirklich auf uns geladen haben.
Und dann dieser Hammer: „Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden.“
Also, was uns jetzt zu Unrecht als Tat unterstellt wird – die Sache mit dem Becher – ist doch nur die Erinnerung an eine viel schlimmere Tat, die wir wirklich begangen haben. Wir haben unseren Bruder verkauft, unseren Vater getäuscht und in dieses Leid hineingestürzt.
Hochinteressant: In seiner frühen Zeit in Ägypten hatte Joseph einmal dem Mundschenk des Königs seine eigene Versklavungsgeschichte erzählt. Dabei hatte er mit einem Bild gesagt, was seine Brüder mit ihm gemacht hatten. In Kapitel 40, Vers 15 kann man das nachlesen. Da hatte er gesagt: „Ich bin aus dem Lande der Hebräer heimlich gestohlen worden.“
Verstehen Sie? „Ich bin aus dem Lande der Hebräer heimlich gestohlen worden.“ Also haben meine Brüder mich hinterrücks beseitigt und meinen Vater beraubt. Vielleicht hat ihn das auf die Idee gebracht, die damalige Schuld seiner Brüder – sie haben ihn heimlich geraubt – jetzt mit dem Vorgang des heimlich geraubten Bechers wieder in Erinnerung zu bringen. Sie haben ihn heimlich geraubt.
Jedenfalls erreicht Joseph mit dieser Aktion genau die Wirkung, die er erhofft hatte: dass seine Brüder im Gewissen getroffen werden, dass sie sich ihrer Schuld bewusst werden.
So geschieht es. Judah sieht jetzt immer klarer, was ihm in Kapitel 42 schon einmal gedämmert hatte – bei der ersten Reise, als Joseph sie drei Tage lang zum Nachdenken in mein Gefängnis geschickt hatte, auch aus seelsorgerlichen Gründen. Er hat eben viele Möglichkeiten, seinen Brüdern seelsorgerlich zu helfen. Dadurch klopfte die Schuld in ihrem Gewissen an, als sie dort im Gefängnis viel Zeit zum Nachdenken hatten – diese Schuld, die sie 20 Jahre vorher relativ erfolgreich verdrängt hatten.
Schon damals hat es ihn zum ersten Mal gedämmert. Ich erinnere noch einmal an Kapitel 42, Vers 21: „Sie übersprachen untereinander: Das haben wir an unserem Bruder verschuldet“, also damals an Josef, „denn wir sahen die Angst seiner Seele, als er uns anflehte, und wir wollten ihn nicht erhören. Darum kommt nun diese Trübsal über uns.“
Und Ruben antwortete ihnen und sprach: „Sagt’ ich’s euch nicht, als ich sprach: Versündigt euch nicht an dem Knaben? Doch ihr wolltet nicht hören. Nun wird sein Blut von uns gefordert.“
Verstehen Sie? Da dämmerte es ihm schon.
Und genau dieselbe Erkenntnis packt sie nun mit umso größerer Klarheit, und Judah spricht es aus. Er spricht es aus, immer noch ohne zu wissen, wem er das in diesem Moment beichtet, und sagt in Vers 16: „Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden.“
Damit sehen wir einen zweiten Schritt auf dem Weg zum neuen Menschen: Erstens, gepackt im Gewissen, und zweitens, geständig vor Gott.
Judah sagt nicht zu Joseph: „Du bist jetzt auf die Schliche gekommen, Joseph, wir fühlen uns von dir ertappt und überführt.“ Nein, nicht der Vizekönig ist die entscheidende Instanz, vor der wir uns verantworten müssen, und auch nicht der Pharao, sondern Gott selbst.
Geständig vor Gott sagt Judah: „Er hat unsere Missetat gefunden.“
So spricht einer, der sich ertappt fühlt, so spricht einer, der sich von Gott gestellt sieht. So ist es, wenn einer Christ wird: Ich merke, ich kann mich mit meiner Sünde nicht vor Gott verstecken. Ich kann mich vor Menschen mit meiner Schuld verstecken, aber nicht vor Gott.
Er sieht mein Herz, er sieht meinen Unglauben, meinen Stolz, meine Widerborstigkeit gegenüber seinem Herrschaftsanspruch. Er sieht meine Bequemlichkeit, mit der ich mir selber immer das Beste heraussuchen will und mein eigener Gott sein will – und Gott vielleicht in der einen oder anderen Situation mal so als kleinen Hilfsgott dazunehmen.
Er sieht es. Ich kann mich mit meiner Schuld vor Gott nicht wegdecken, wegducken oder verstecken.
Nochmal Helmut Frey zu dieser Szene: Er sagt, alles, was um den Becher geredet wurde, ist doch nur noch wie die Fingerspitze Gottes, die auf die verborgene Schuld zeigt. Und vor der Fingerspitze Gottes, die auf ihre Sünde weist.
Dann kommt dieser Satz: „Verwandelt sich dieser rebellische Haufen in eine Gemeinde von Brüdern.“
Und dann fügt Helmut Frey den Satz hinzu: Judas Bekenntnis ist fast der Knoten der Verwicklung.
Und genau das ist es. In diesem Bekenntnis hat er den Knoten, in dem alles gebündelt ist: Gott hat mich mit meiner Sünde gefunden – und er hat uns mit unserer Sünde gefunden.
Hast du diesen Moment in deinem Leben erlebt, dass du sagen kannst: „Gott hat mich gefunden mit meiner Sünde“? Ich kann nicht mehr ausweichen, ich kann nicht mehr so tun, als wäre ich ein leidlich guter Mensch. Ich bin auf Gedeih und Verderb angewiesen auf seine Gnade und auf sein Erbarmen.
„Gott hat mich gefunden mit meiner Sünde“ – das ist das Bekenntnis dessen, der Christ wird.
Und verstehen Sie: Geständig vor Gott bleibt das Gewissen gepackt im Gewissen. Das Gewissen bleibt keine nebulöse Instanz. Es ist nicht nach dem Motto: Das Gewissen, das Gewissen – ich muss mit mir selbst irgendwie ins Reine kommen.
Sondern das Gewissen weist mich zu einer Person, vor der ich mich verantworten muss. Das Gewissen weist mich zu einer Person, die mich bis in die letzten Winkel meines Herzens durchschaut, zu einer Person, die ein Urteil über mich sprechen wird.
Und das, was du, ehrenwerter Vizekönig, gestern Abend beim großen Mahl dem Benjamin gewünscht hast, als du ihm sagtest: „Gott sei dir gnädig, mein Sohn“ (1. Mose 43,29) – was du dem Benjamin gestern gewünscht hast, das brauchen wir jetzt alle: dass Gott uns gnädig ist.
Und Judah begreift: Es genügt nicht, wenn der Verwalter uns begnadigt, sondern geworfen sind wir auf Gottes Gnade.
Judahs Bericht über die Familie und die Bitte um Gnade
Und jetzt sehen Sie, was geschieht. Nach diesem Bekenntnis gewinnt Judah den Mut, dem Hohen Herrn kurz die Familiengeschichte der letzten Wochen und Monate zu berichten.
Vers 20: Da sagt er: „Wir haben einen Vater, der ist alt, und einen jungen Knaben in seinem Alter geboren. Sein Bruder ist tot, und er ist allein übriggeblieben von seiner Mutter und seinem Vater. Er hat ihn lieb.“
Damit erfährt Josef, wie in seiner Heimat offiziell über seine Existenz gedacht wird. Verstehen Sie? Er gilt als tot. Das war der Erkenntnisstand Jakobs seit zwanzig Jahren. Möglicherweise rechneten die Brüder, die diese Legende damals erfunden hatten, inzwischen selbst damit, dass Josef irgendwie in der Sklaverei Ägyptens gestorben sei, nachdem sie nie mehr etwas von ihm gehört hatten.
Und jetzt sehen Sie, wie die Rede weitergeht. Ab Vers 21 sagt Judah: „Da sprachst du zu deinen Knechten: ‚Bringt ihn herab, nämlich den jungen Bruder, ich will ihm Gnade erweisen.‘ Ihr antwortetet meinem Herrn: ‚Der Knabe kann seinen Vater nicht verlassen. Wenn er ihn verließ, würde der sterben.‘ Da sprachst du zu deinen Knechten: ‚Wenn euer jüngster Bruder nicht mit euch kommt, sollt ihr mein Angesicht nicht mehr sehen.‘“
Da zogen wir hinauf zu deinem Knecht, meinem Vater, und sagten ihm, meines Herrn, also Josephs Rede. Da sprach unser Vater: „Zieht wieder hin und kauft uns ein wenig Getreide.“ Wir aber sprachen: „Wir können nicht hinabziehen, nur wenn unser jüngster Bruder mit uns ist, wollen wir hinabziehen. Denn wir dürfen des Mannes Angesicht nicht sehen, wenn unser jüngster Bruder nicht mit uns ist.“
Da sprach dein Knecht, mein Vater, zu uns: „Ihr wisst, dass mir meine Frau zwei Söhne geboren hat. Einer ging von mir, als Joseph, und ich musste mir sagen: Er ist zerrissen. Und ich habe ihn bisher nicht gesehen. Werdet ihr diesen, also diesen Benjamin, auch noch von mir nehmen? Und widerfährt ihr meinen Unfall, so werdet ihr meine grauen Haare mit Jammer hinunter zu den Toten bringen.“
Nun, wenn ich heimkäme, sagt Judah zu deinem Knecht, meinem Vater, und der Knabe wäre nicht mit uns, an dem er mit ganzer Seele hängt, so wird es geschehen, dass er stirbt. Wenn er sieht, dass der Knabe nicht da ist, so würden wir, deine Knechte, die grauen Haare deines Knechtes, unseres Vaters, mit Herzeleid hinunter zu den Toten bringen.
Martin Luther sagt zu dieser Stelle: „Ich wollte viel darum geben, dass ich vor unserem Herrn so wohlkund beten könnte, wie hier Judah vor Joseph betet.“
Also sagt Luther: So will ich gern vor Gott beten können, wie hier Judah vor Joseph hintritt. Was für ein Plädoyer! Und schauen Sie hin: Ein Plädoyer, in dem er darum wirbt, dass Benjamin unbedingt mit nach Hause kommt, weil sein Vater den Verlust wohl nicht mehr verkraften würde.
Die innere Veränderung Judas: Mitleid und Selbsthingabe
Und das ist ein dritter großer Schritt, an dem das neue Leben Judas greifbar wird: gepackt im Gewissen, geständig vor Gott und zum Mitleiden gerührt.
Haben Sie es herausgehört, wie Judah in diesen Versen innerlich mit dem Vater mitleidet? Und zwar genau wegen der Sache, die ihn früher in Neid und Zorn getrieben hat. Das ist hier der springende Punkt, den Sie sehen müssen.
Worin besteht die große Not, die jetzt über Jakob hängt wie ein Damoklesschwert, von dem er noch gar nichts ahnt? Sie besteht darin, dass sein erster Lieblingssohn Joseph vermeintlich gestorben ist und sein zweiter Lieblingssohn Benjamin in Gefahr steht, den Vater nicht mehr wiederzusehen und ihm ebenfalls genommen zu werden.
Wir hatten ja gesagt, dass es als Vater von Jakob nicht richtig war, diese Ungleichbehandlung zwischen seinen Kindern zu praktizieren. Das wird hier auch in keiner Weise beschönigt. Aber schauen Sie hin: Hier geht es nicht um das Herz von Jakob, sondern um das Herz von Judah.
Judah schildert die Not seines Vaters wegen der Lieblingssöhne ohne jeden Hauch von Bitterkeit. Das ist die Veränderung hier. Er beschreibt die Not seines Vaters wegen dieses favorisierten Lieblingssohnes ohne Kritik oder gar Schadenfreude nach dem Motto „Das hat er davon, wenn er sich so einen Liebling raussucht“.
Stattdessen lässt sich Judah vom subjektiven Leiden seines Vaters rühren. Das ist das Erstaunliche: Judah ist bereit, sich in diesen Momenten quasi in Jakobs Schuhe zu stellen und vor Joseph zu plädieren, Benjamin auf jeden Fall freizulassen, um damit letztlich auch dem Vater das Leben zu retten.
Das ist so ergreifend. Dabei bringt es Judah sogar über das Herz und über die Lippen, ohne Groll und ohne Unterton, jenen Satz Jakobs zu zitieren, mit dem Judah, dessen Mutter Lea und auch die anderen Brüder letztlich ins zweite Glied zurückgesetzt wurden.
Sogar diesen Satz zitiert er. Er sagt im Vers 27: „Als wir Benjamin jetzt mit nach Ägypten nehmen wollten, sprach mein Vater zu uns: Ihr wisst, dass mir meine Frau zwei Söhne geboren hat.“
Judah nennt Jakob einerseits „meinen Vater“ und zitiert dann doch seine Aussage, als wären nur Joseph und Benjamin seine Söhne. Und warum macht Judah das? Warum tut er das?
Weil er den Vizekönig um jeden Preis dafür gewinnen will, dem Vater nicht noch mehr Qual und Traurigkeit zuzumuten. Das wird er am Ende seiner Rede noch einmal wiederholen.
In Vers 34 sagt er zum Schluss: „Denn wie soll ich hinaufziehen zu meinem Vater, wenn der Knabe, also Benjamin, nicht mit mir ist? Ich könnte den Jammer nicht sehen, der über meinen Vater kommen würde. Ich würde es nicht.“
Zu Joseph sagt er: „Ich bin Bürge geworden für den Knaben von meinem Vater, und ich sprach: Bringe ich ihn dir nicht wieder, so will ich mein Leben lang die Schuld tragen. Darum lass deinen Knecht hierbleiben an des Knaben statt als Sklave meines Herrn und lass den Knaben mit seinen Brüdern ziehen.“
Und das ist das Letzte, was wir hier sehen, woran wir diesen neuen Lebensinhalt erkennen: gepackt im Gewissen, geständig vor Gott, gerührt zum Mitleid und viertens gewillt zur Selbsthingabe.
Das ist das Letzte: gewillt zur Selbsthingabe. Schauen Sie diese Verwandlung! Judah sagt: „Ich gebe mein Leben für seins.“ Er tritt ein als Bürge für seinen kleinen Halbbruder, für diesen Liebling des Vaters.
Es ist so, als ob Judah die beiden reisenden Säcke gegeneinander austauschen würde. Als würde er sagen: „Die Tasche, in der ihr den gestohlenen Kelch gefunden habt, lasst sie als meine Tasche gelten, und meine Tasche, in der alles sauber war, die soll zu Benjamin gehören, so als wäre es seine Tasche. Tauscht einfach die Taschen aus.“
Das ist das Geheimnis der Stellvertretung, verstehen Sie? So werden wir jetzt gleich nach der Predigt singen. Dort wird nur die Reisetasche ersetzt durch ein Kleid – sein Kleid für meins, ein Tausch.
So wunderbar: Ein Schuldgewand trug er, das meines war. Die verräterische Tasche mit dem gestohlenen Kelch übernahm er, obwohl es eigentlich meine Tasche war. Judah übernimmt das für Benjamin, gewillt zur Selbsthingabe.
Darin zeigt sich die Liebe, die bei Judah zu seinem Vater gewachsen ist. Er ist bereit, sein eigenes Leben, seine eigene Freiheit für seinen Bruder zu opfern, der ihm vorgezogen wird. Damit der Vater, der diesen Bruder vorzieht, nicht im Leid vergeht.
Verstehen Sie, das ist die Quintessenz: Judah ist bereit, seine eigene Freiheit, sein Leben für einen Bruder zu opfern, der ihm vorgezogen wird. Damit der Vater, der diesen Bruder vorzieht, nicht im Leid versinkt.
Was hat Gottes Geist aus diesem Judah gemacht? Und die anderen Brüder scheinen das mitgetragen zu haben. Was für eine Wandlung des Herzens auf dem Weg zum neuen Menschen!
Ausblick auf die Offenbarung Josefs und die Bedeutung des Stammes Judah
Und damit war für Josef der letzte Vorbehalt gegenüber den Brüdern beiseitegeräumt. Ebenso war die letzte Ungewissheit gegenüber ihrer Herzenshaltung überwunden.
Und jetzt – das werden wir nächsten Sonntag sehen – brechen auch bei Josef alle Dämme. Wir werden miterleben, wie er sich seinen Brüdern nun endlich offenbart und sich unter Tränen als Bruder zu erkennen gibt.
Aber von heute an verstehen wir vielleicht etwas besser, warum Gott am Ende von den Stämmen Israels, also von den zwölf Brüdern, ausgerechnet den Stamm Juda erwählt hat. Aus diesem Stamm, aus dem Nachkommen Judas, sollte einmal der Messias kommen.
Heute verstehen wir besser, warum es im Stammbaum Jesu heißt: „Dies ist das Buch von der Geschichte Jesu Christi. Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob, Jakob zeugte Juda und seine Brüder“ (Matthäus 1). Aus der Linie Judas kommt dann Jesus, der Messias.
Juda wird von Gott ausgewählt, weil er es war, der im kritischen Moment dieser Versöhnungsgeschichte bereit war, alles einzusetzen. Er war bereit, sein eigenes Leben zu opfern – als Stellvertreter, um das Leben des Bruders zu retten und um des Vaters Willen.
Was für ein helles Licht! Was für ein helles Licht strahlt aus dem ägyptischen Palast des Josef weit voraus auf jedem Hügel von Golgatha. Dort wird Jesus sein vollkommenes Leben für uns opfern.
Jesus wird sein Leben als Stellvertreter geben, der unsere Strafe und unsere Gottlosigkeit auf sich nimmt und die Strafe dafür trägt, damit wir freikommen. Nicht nur aus der ägyptischen Sklaverei, sondern aus der viel schlimmeren Sklaverei der Sünde und der Gottlosigkeit.
Und Jesus hat nicht nur angeboten, unsere Strafe zu tragen – wie Juda, dem ja glücklicherweise der letzte Vollzug seines Versprechens erspart blieb. Nein, Jesus hat unsere Schuld mit all ihren Konsequenzen wirklich getragen – bis zum bitteren Ende.
Schlussfolgerung: Die Kraft des Evangeliums zur Erneuerung des Menschen
Und deshalb, und damit kommen wir zum Schluss: Auch heute können ganz normale Menschen, die gefangen sind in ihrem alten Leben, zu neuen Menschen werden.
Aber das schafft keine Ideologie, kein Transhumanismus und kein therapeutisches Programm. Solche Programme schreiben die neuen Menschen zwar auf ihre Fahnen, führen sie aber immer wieder in neue Formen der Sklaverei – und am Ende ins Verderben ohne Gott.
Nur Gott, der heilige Schöpfer, kann das. Nur Gott, dem jeder von uns dieses alte Leben verdankt, das er uns geschenkt hat – dieses alte Leben, das wir dann mit so viel Schuld beschmutzt haben. Nur Gott selbst kann uns alten Menschen wirklich neue Menschen machen, ohne uns zu zerstören.
Das Mittel, das Gott dazu verwendet, ist die gute Botschaft von Jesus Christus – von Jesus Christus aus dem Stamm Juda, der unser Stellvertreter wurde und unsere Last auf sich nahm.
Wo dieses Evangelium in unser Leben greift, da geschieht das Wunder. Da werden wir zu neuen Menschen wie Juda. Da werden wir im Gewissen gepackt, ständig vor Gott geführt, zum Mitleiden gerührt und zur Selbsthingabe gewillt.
Herr Jesus Christus, dafür danken wir dir, dass du in Vollkommenheit vollendet hast, was wir am Beispiel von Juda ansatzweise sehen können: dass er bereit war, sein ganzes Leben in die Waagschale zu werfen für seinen Bruder.
Herr, wir danken dir für deine Macht, Menschenherzen zu verwandeln. Danke, dass es vor dir keine hoffnungslosen Fälle gibt. Danke, dass du vielen von uns geschenkt hast, unser altes Leben in ein neues Leben zu verwandeln. Lass das noch in vielen, vielen Herzen geschehen.
Herr, wenn jetzt jemand diesen Text hört oder liest, der noch in seinem alten Leben festhängt, der noch nicht die Gewissheit der Vergebung seiner Sünden hat und noch nicht weiß, dass er vor dir längst entdeckt ist in seiner Schuld: Klopfe du doch in seinem Gewissen an. Überführe ihn, wie du Juda überführt hast, wie du viele von uns überführt hast.
Lass sie nach diesem einzigen, einzigartigen Rettungsseil greifen, das du, Herr Jesus, selbst für uns geworden bist, du lieber, guter Herr. Amen.
