Einführung in den intimen Bereich des Johannesevangeliums
Wir kommen heute zu Johannes 13. Zunächst lesen wir das ganze Kapitel durch.
In den Kapiteln 1 bis 12 haben wir gesehen, wie der Herr Jesus seinen Dienst hauptsächlich in der breiten Öffentlichkeit getan hat. Ab Kapitel 13 treten wir jedoch in einen viel intimeren Bereich ein. Hier erleben wir den Vorabend der Kreuzigung, das letzte Passa. Die Schatten von Golgatha lagen bereits auf dem Herrn, und wir sehen eine vertraute Szene: der Herr mit seinen zwölf Aposteln.
Dieser intime Bereich wird jedoch von Judas Iskariot verlassen. In den Kapiteln 14 bis 16 finden wir einen noch engeren Kreis. Der Herr ist hier wirklich allein mit den Elf, die wahre Gläubige und wiedergeborene Christen waren.
Wenn wir dann zu Kapitel 17 weitergehen, begegnen wir einem einzigartigen Gebet des Sohnes Gottes zum ewigen Vater. Dieses Gebet ist in der Bibel einmalig. Man könnte sagen, dass wir hier im allerintimsten Bereich sind, denn wir erhalten einen Einblick in die Beziehung innerhalb der Gottheit zwischen dem ewigen Sohn und dem ewigen Vater.
Ab Kapitel 18 treten wir wieder in die Öffentlichkeit hinaus. Dort erleben wir den Prozess Jesu, die anschließende Kreuzigung und schließlich die Auferstehung.
Man könnte sagen, dass das Johannesevangelium dem Aufbau der Stiftshütte entspricht. Zuerst haben wir den Vorhof, der dem öffentlichen Bereich von Kapitel 1 bis 12 entspricht. Kapitel 13, in dem der Herr die Füße seiner Jünger wäscht, entspricht dem Waschbecken unmittelbar vor dem Eingang zum eigentlichen Tempelhaus.
Die Kapitel 14 bis 16 entsprechen dem Heiligen, dem inneren Bereich des Tempels, in dem der Herr seine letzten Worte darlegt. Kapitel 17, in dem wir einen tiefen Einblick in die Gottheit erhalten, entspricht dem Allerheiligsten.
Mit Kapitel 18 befinden wir uns wieder außerhalb des Allerheiligsten, im Vorhof, dem Bereich, zu dem auch der Altar gehörte. So ist der Aufbau des Johannesevangeliums gestaltet.
Die Liebe Jesu bis zum Tod und das letzte Passa
Der Herr Jesus liebte nach Vers 1 die Seinigen, die in der Welt waren. Er liebte sie bis ans Ende, eis telos auf Griechisch. Im Griechischen kann telos – Ende – auch speziell den Tod bezeichnen. Das ist hier die Bedeutung.
Der Herr liebt sie also nicht einfach bis zu einem bestimmten Punkt, an dem dann das Ende wäre. Er liebt sie bis ans Ende, das heißt: Er liebt sie bis aufs Blut, bis in den Tod.
Eindrucksvoll ist, dass der Herr diesen letzten Abend mit den Aposteln im vollen Bewusstsein verbrachte, was am nächsten Tag auf ihn zukommen sollte. Dabei sollte das Passa-Lamm, das sie zusammen aßen, in ihm seine Erfüllung finden.
Das ist nicht einfach eine spätere Interpretation. Der Herr hat dieses letzte Passa selbst im Bewusstsein gefeiert, dass dieses Lamm von ihm spricht und von seinem Tod.
Wir sind hier also am Donnerstagabend angelangt, wenn wir von der letzten Woche sprechen. Welcher Tag wäre das im jüdischen Kalender damals gewesen? Wann feiert man Pessach?
Das Passa im Alten Testament und seine Bedeutung
Wir können das kurz in 2. Mose 12 aufschlagen, wo das Passa eingesetzt wurde, im Zusammenhang mit der Erlösung Israels aus Ägypten. Wer liest Vers 1 und folgende?
2. Mose 12, Vers 1:
Der Herr sprach zu Mose und Aaron im Land Ägypten: "Dieser Monat soll für euch der Anfangsmonat sein. Er sei euch der erste von den Monaten des Jahres. Redet zur ganzen Gemeinde Israel und sagt: Am zehnten Tag dieses Monats nehmt euch ein Lamm für ein Vaterhaus, ein Lamm für das Haus. Wenn aber das Haus für ein Lamm nicht zahlreich genug ist, dann nehme er es mit seinem Nachbarn, der seinem Haus am nächsten wohnt. Nach der Zahl der Seelen, nach dem Maß dessen, was jeder isst, sollt ihr das Lamm anrechnen.
Ein Lamm ohne Fehler, ein männliches, einjähriges soll es für euch sein, von den Schafen oder von den Ziegen sollt ihr es nehmen. Und ihr sollt es bis zum vierzehnten Tag dieses Monats aufbewahren. Dann sollt ihr die ganze Versammlung der Gemeinde Israel zwischen den zwei Abenden schlachten. Sie sollen von dem Blut nehmen und es an die beiden Türpfosten und an die Oberschwelle streichen, an den Häusern, in denen sie essen. Das Fleisch aber sollen sie noch in derselben Nacht essen, am Feuer gebraten. Dazu sollt ihr ungesäuertes Brot mit bitteren Kräutern essen."
Bis hierhin.
Wir sehen hier eine wichtige Änderung: Der Monat Nisan, der Passamonat, wird zum ersten Monat des Jahres erklärt. Im bisherigen Kalender war das der siebte Monat, denn der Kalender begann eigentlich im Herbst mit dem Monat Tishri. Das war der Monat der Erschaffung der Welt. Die Welt wurde also im Herbst erschaffen, im Monat der Tag-Nacht-Gleiche.
Jetzt wurde der siebte Monat zum ersten Monat gemacht. Das entspricht übrigens dem Monat der Tag-Nacht-Gleiche im Frühjahr. Astronomisch ist jeder Monat speziell durch die Tag-Nacht-Gleiche markiert.
Am zehnten Tag musste das Lamm in Ägypten in Verwahrung genommen werden. Am vierzehnten Tag wurde es dann geschlachtet. Der Abend darauf war bereits der fünfzehnte Tag, denn im Judentum beginnt der neue Tag immer am Vorabend, im Durchschnitt um 18 Uhr.
Dieser vierzehnte Tag entspricht dem Tag, an dem Petrus und Johannes ein Lamm, wie wir in den synoptischen Evangelien sehen, zum Beispiel im Lukas-Evangelium und Matthäus, in den Tempel bringen und dort schlachten mussten. Danach bereiteten sie das Abendessen vor. Das geschah also am vierzehnten Tag am Nachmittag. Bezogen auf die Passionswoche wäre das Donnerstagnachmittag gewesen.
Übrigens steht in 2. Mose 12, Vers 6: "Zwischen den zwei Abenden soll das Lamm geschlachtet werden." Das bezeichnet die Zeit zwischen 15 und 18 Uhr. Das war also die Zeit, in der man die Passalämmer schlachtete. Mit dem Beginn des neuen Tages um 18 Uhr begann dann die Zeit des Abendessens. Damit sind wir bereits am fünfzehnten Nisan, wie in Johannes 13 beschrieben.
Interessant ist Folgendes: In Ägypten musste das Lamm am zehnten Tag in Verwahrung genommen werden. Wann ist der Herr nach Jerusalem eingeritten? Das haben wir im Bericht in Johannes 12 gelesen. Es war am Palmsonntag, also am zehnten Nisan, als das Lamm quasi in die Stadt gebracht wurde.
Am vierzehnten wurde das Lamm geschlachtet und am fünfzehnten gegessen. Diese beiden Tage bildeten eine ganz besondere Einheit.
Man kann also sagen: Am gleichen Tag, an dem der Herr das Passa mit den Jüngern gegessen hat, wurde er auch gekreuzigt. Das liegt daran, dass der Vorabend ebenfalls der fünfzehnte Tag ist. Für uns sind diese Ereignisse in unserem Denken getrennt, aber in Wirklichkeit sind sie Teil desselben Tages.
Judas als Verräter und die Fusswaschung
Wie gesagt, Judas ist noch mit dabei, aber der Herr kennt den Verräter (Vers 2). Der Teufel hatte ihm schon fest ins Herz gegeben, diesen Verrat auszuüben.
Was so eindrücklich ist: Der Herr steht hier als Sohn Gottes vor uns. Er weiß alles, was auf ihn zukommt, aber mit einer unwahrscheinlichen Souveränität ist er in einer Ruhe während dieses Abendessens mit den Jüngern zusammen. Jesus wusste, dass der Vater ihm alles in die Hände gegeben hatte und dass er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe.
Bevor das Abendessen eingenommen wird, kommt das Ereignis der Fußwaschung. Auch das müssen wir im jüdischen Kontext einordnen und verstehen. Wir gehen gerade mal davon aus, als Petrus sich die Füße waschen lassen sollte, war er dagegen. Der Herr sagt zu ihm: Du musst, sonst hast du keinen Anteil mit mir, keinen Teil, keine Gemeinschaft mit mir. Und da möchte er alles.
Der Herr sagt in Vers 10: Warum keine totale Reinigung? Er ist schon gebadet, spricht also getaugt. Kann das sein? Dann wäre das die Taufe von Johannes. Johannes spricht zu ihm, die übrigen Jünger sind nicht getauft worden. Mit anderen Worten: Johannes der Täufer hat ja getauft, alle, die Buße getan haben. Es wird nicht ausdrücklich gesagt, dass die Jünger auch dabei waren, aber es ist anzunehmen, dass diese ganz klar auf diese Seite des kommenden Messias gestellt haben.
Er sagt aber: Wer gebadet ist, hat nicht nötig, sich zu waschen. Wann hat sich Petrus zum letzten Mal gebadet? Das ist der Punkt. Niemand denkt daran? Bei der Wiedergeburt. Es ist ja noch in einer Geschichte erwähnt, aber nicht in Johannes. Dort heißt es: „Es hergehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch.“ Ja, gut, aber du machst schon jetzt die geistliche Übertragung, oder? Aber ich meine jetzt im wörtlichen Sinn: Wenn der Herr sagt, wer gebadet ist, hat nicht nötig, nochmals ganz gewaschen zu werden, nur die Füße, wann hat sich Petrus wörtlich zum letzten Mal gebadet?
Wo er hier ist, am Seeufer, wo er sich dann ein Geld geworfen hat, oder? Das wäre schon ein bisschen lange her, denke ich. Im Judentum hat man mehr Hygiene gepflegt als das. Johannes 11 sagt nichts von Baden, aber schlagen wir mal auf Johannes 11,55 auf: „Es war aber nahe das Passa der Juden, und viele gingen aus dem Land hinauf nach Jerusalem vor dem Passa, um sich zu reinigen.“
Worin besteht diese Reinigung? Im Ritualbad. In Jerusalem gab es viele Ritualbäder, und vor dem Passa musste man rituell rein sein. So haben sich alle Juden in diesen öffentlichen oder auch in privaten Ritualbädern zuvor gereinigt. Man musste sich vollständig untertauchen im Wasser.
Manche Ritualbäder waren sogar so eingerichtet, dass sie zwei Wege hatten: einen breiten Weg, auf dem man hinunterging im unreinen Zustand, sich untertauchte, 180 Grad drehte und dann den schmalen Weg wieder hinaufkam. Das ist übrigens der Hintergrund der Worte in der Bergpredigt vom breiten Weg, der ins Verderben führt, im unreinen Zustand, und vom schmalen Weg, der zum Leben führt.
Weil wir von Natur aus alle auf dem breiten Weg waren, wie kommt man auf den schmalen Weg? Eben durch eine 180-Grad-Umkehr und eine Reinigung, eine totale Reinigung, die nötig ist.
Nun, Petrus hatte sich gebadet, wie alle Juden, die sich für das Passafest bereitgemacht haben. Darum sagt der Herr: Wer gebadet ist, hat nicht nötig, sich zu waschen, ausgenommen die Füße.
Es gab, man hat das in der Nähe des Tempelbezirks ausgegraben, kleine Fußwaschbecken. Wenn man zum Tempel ging, hat man sich in solchen Fußwaschbecken wie diesem aus Stein nochmals die Füße gereinigt. Dann konnte man auf den Tempelberg gehen.
Die allgemeine Eintrittsordnung beim Tempel war immer so: Alle Leute kamen barfuß, man durfte keine Sandalen tragen. Aber die staubigen Füße hat man eben nach dem Ritualbad nochmals schnell gereinigt, und so ging man zum Tempelberg hoch.
Nun reinigt der Herr Jesus nochmals die Füße der Jünger, ganz entsprechend dem, wie man sich bereit machte, wenn man in die Gegenwart Gottes auf den Tempelplatz kam.
Die geistliche Bedeutung des Ritualbades und der Fusswaschung
Und jetzt kommt die Übertragung. Was bedeutet im übertragenen Sinn dieses Untertauchen im Ritualbad?
Der Herr sagt dann plötzlich: „Ihr seid rein, aber nicht alle.“ Jetzt merken wir, aha, hier zielt er auf Judas ab. Judas hat ja auch äußerlich ein Ritualbad genommen, wie alle anderen, aber er war innerlich unrein. Die anderen dagegen waren innerlich rein.
Nun können wir die Übertragung vornehmen. Worauf weist das Ritualbad hin? Schlagen wir Titus 3, Verse 4 bis 7 auf:
„Als aber die Güte und die Menschenliebe unseres Heilandgottes erschien, errettete er uns nicht aus Werken, die in Gerechtigkeit vollbracht wir getan hätten, sondern nach seiner Barmherzigkeit durch die Waschung der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, welchen er reichlich über uns ausgegossen hat durch Jesus Christus, unseren Heiland, auf dass wir, gerechtfertigt durch seine Gnade, erben würden nach der Hoffnung des ewigen Lebens.“
Hier wird von der Waschung der Wiedergeburt gesprochen. Das hat nichts mit der Taufe zu tun. Diese Waschung wurde irrtümlicherweise auf die Taufe übertragen. Deshalb meinte man in der Kirchengeschichte später, die Kindertaufe bringe die Wiedergeburt, und so könne man die Kinder retten.
Doch diese Waschung der Wiedergeburt spielt auf die Ritualbäder an, die ein Bild für die innere Erneuerung sind, die bei der Bekehrung geschieht. Das ist die Waschung der Wiedergeburt.
Wir wollen das noch etwas untermauern, damit es nicht nur als leere Behauptung dasteht.
Epheser 5, Verse 25 bis 27:
„Ihr Männer, liebt eure Frauen, gleichwie auch der Christus die Gemeinde geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, damit er sie heilige, nachdem er sie gereinigt hat durch das Wasserbad im Wort, damit er sie sich selbst darstelle als eine Gemeinde, die herrlich sei, so dass sie weder Flecken noch Runzeln noch etwas Ähnliches hat, sondern dass sie heilig ist und tadellos.“
Das Wasserbad oder die Waschung mit Wasser durch das Wort ist wieder eine Anspielung auf das Ritualbad. Gleichzeitig wird hier erklärt, was dieses Wasser eigentlich bedeutet: das Wort Gottes, das reinigt.
Wie reinigt die Bibel? Wenn wir als verlorene Menschen die Bibel lesen und dabei erkennen, was Gottes Heiligkeit ist und was Gott Sünde nennt, dann überführt uns die Bibel. Das kann dazu führen, dass wir unsere Schuld vor Gott bekennen. Aufgrund von Reue und Sündenbekenntnis erhalten wir Vergebung.
So steht es in 1. Johannes 1, Vers 9:
„Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit.“
Durch das Lesen der Bibel, die uns überführt, erfahren wir Reinigung. Auf diese Weise wirkt die Bibel als ein Wasserbad.
Wenn der Mensch so umkehrt, echt und reuig ist und das Opfer von Jesus Christus zur Vergebung in Anspruch nimmt, dann erlebt er das Wasserbad der Wiedergeburt nach Titus 3.
In 1. Johannes 1, Vers 9 heißt es, dass uns die Sünden vergeben und uns von aller Ungerechtigkeit gereinigt werden. Das griechische Wort „Katharizo“ ist ein typisches oder technisches Wort für die rituellen Reinigungen. Hier sehen wir erneut die Verknüpfung, diesmal im eigentlichen innerlichen Sinn. An manchen Stellen ist das Äußere das Bild für das Innere.
Noch eine Stelle zu diesen Ritualbädern und ihrer geistlichen Bedeutung:
Hebräer 10, Verse 19 bis 22:
„Da wir nun Brüder durch das Blut Jesu Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum, den er uns bereitet hat als einen neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang, das ist durch sein Fleisch, und einen großen Priester über das Haus Gottes, so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen und voller Gewissheit des Glaubens, der Herzen besprengt und damit gereinigt vom bösen Gewissen und den Leib gewaschen mit reinem Wasser.“
Hier geht es um den Zugang zu Gott in seinen Tempel. Es wird ganz klar auf die Ritualbäder angespielt und auf den Leib, der mit reinem Wasser gewaschen wird.
Im Judentum achtete man sehr streng darauf, dass das Reinigungswasser der Ritualbäder nicht irgendein Wasser war. Es musste genau bestimmten Erfordernissen entsprechen. Es musste lebendiges Wasser sein, also Wasser aus einer Quelle, das geflossen ist. Deshalb heißt es hier „den Leib gewaschen mit reinem Wasser“.
Auch hier wird auf die Wiedergeburt angespielt, mit dem Bild des Ritualbades.
Alttestamentliche Grundlagen der Ritualbäder
Vielleicht noch der Vollständigkeit halber: Wo findet man im Alten Testament Stellen, die von einem solchen Wasserbad sprechen? Also im Alten Testament, wo werden diese Ritualbäder erwähnt?
Es ist wichtig zu zeigen, dass diese nicht irgendwelche rabbinischen Erfindungen aus späterer Zeit sind, sondern wirklich alttestamentlich verankert. Die Priester mussten sich doch vor ihrem Dienst waschen, oder? Ja, gut, Hände und Füße. Aber wie sieht es mit dem vollständigen Bad aus? Wo findet man das in der Bibel?
Vor der Priesterweihe, ja. Aber das betrifft nur die Priester. Das Ritual war jedoch so, dass alle Juden zum Beispiel zum Passah ein solches Bad nahmen. Zum Beispiel 3. Mose 15. Vers 16: "Wer liest? Wenn einem Mann im Schlaf der Same abgeht, der soll sein ganzes Fleisch mit Wasser abwaschen und unrein sein bis zum Abend." Hier ist mit "sein ganzes Fleisch im Wasser baden" das Ritualbad gemeint.
Im gleichen Kapitel finden wir das auch in Vers 5: "Er soll seine Kleider waschen und sich im Wasser baden", ebenso in Vers 6, 7, 8, 10, 11, 13 und 16. Dann in Vers 18 und weiter in Vers 21. In Vers 25 geht es um eine Frau, die Blutfluss hat, und in Vers 27: "Und jeder, der es anrührt, wird unrein sein und soll seine Kleider waschen und sich im Wasser baden."
Also haben wir in diesem Kapitel viele Hinweise auf das Ritualbad. Und so könnte man weitermachen. In 3. Mose 16 finden wir das Ritualbad des Hohenpriesters am Jom Kippur. Dort heißt es in Vers 4: "Er soll sein Fleisch im Wasser baden", ebenso in den Versen 24, 26, 28 und so weiter.
Oder zum Beispiel in Kapitel 17, Vers 15, wo es heißt: "Und jeder, der ein Aas oder Zerrissenes isst, ob eingeborener oder Fremdling, der soll seine Kleider waschen und sich im Wasser baden und wird unrein sein bis an den Abend." Auch durch Kontakt mit einem Aas ist also Waschen nötig.
Vielleicht noch 4. Mose 19: Auch dort finden sich verschiedene Hinweise auf Ritualbäder, zum Beispiel nach der Berührung von toten Menschen.
Das reicht aus, um zu zeigen, dass das Ritualbad alttestamentlich begründet ist. Der Herr überträgt das also auf die Wiedergeburt und sagt von den elf Aposteln: "Ihr seid rein im Blick auf Judas, aber nicht alle."
Die Bedeutung der Fusswaschung für die Gemeinschaft mit Christus
Trotzdem will er also den Jüngern nun die Füße waschen. Petrus will das nicht, und der Herr erklärt ihm in Johannes 13, Vers 8b: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil mit mir.“
Man kann das eben geistlich verstehen, muss es aber nicht unbedingt so interpretieren. Die Wiedergeburt ist eine Sache. Aber wenn wir als Bekehrte durchs Leben gehen, werden wir immer wieder mit Staub und Schmutz konfrontiert. Die Füße kommen mit dem Staub dieser Welt in Kontakt.
Um die Gemeinschaft mit dem Sohn Gottes kontinuierlich pflegen zu können, muss dieser Staub immer wieder neu entfernt werden. Das ist die Bedeutung der Fußwaschung, die der Herr da einsetzt. Übrigens kommt das Beispiel mit der Fußwaschung noch vor dem Abendmahl.
Er sagt zu Petrus: „Du hast das nötig, kein ganzes Bad mehr.“ Ein Wiedergeborener muss nicht nochmals wiedergeboren werden, aber eben die Füße müssen immer wieder neu gewaschen werden. Sonst kann man die Gemeinschaft mit dem Sohn Gottes nicht pflegen. „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du keinen Teil mit mir.“
Im Blick auf die elf Jünger können wir noch lesen – und im Gegensatz zu Judas deutlich machen – Johannes 17. Da greifen wir etwas vor. Wer liest Verse 11 bis 12?
„Und ich bin nicht mehr in der Welt, diese aber sind in der Welt, und ich komme zu dir, heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, gleich wie wir. Als ich bei ihnen in der Welt war, bewahrte ich sie in deinem Namen, die du mir gegeben hast, habe ich behütet, und keiner von ihnen ist verloren gegangen, als nur der Sohn des Verderbens, damit die Schrift erfüllt würde.“
Jawohl, also da spricht der Herr über die Jünger als ein Geschenk, das der Vater ihm, dem Sohn, gegeben hat. Und er hat sie alle bewahrt. Das sind die Elf, aber einer ist nicht bewahrt geblieben. Das ist der Sohn des Verderbens, Judas, der eben nicht rein war.
Dazu noch eine Stelle aus Johannes 15. Man beachte, es ist alles im gleichen Kontext, Kapitel 13 bis 17. Johannes 15: Der Herr sagt zu den Elf – Judas Iskariot ist schon weg –, Vers 3: „Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.“
Jawohl, ihr seid schon rein, ganz klar wieder auf die Elf bezogen.
Die Fusswaschung als Beispiel gegenseitigen Dienens
Nun hat der Herr also ein Beispiel vom Fußwaschen gegeben. Die geistliche Bedeutung der Fußwaschung ist, dass Christen sich gegenseitig die Füße waschen sollen. Das heißt, einander behilflich sein, um den Staub an den Füßen zu erkennen und zu entfernen.
Dies ist eigentlich die gegenseitige seelsorgerliche Bemühung der Gläubigen, damit wir einen praktischen Zustand haben können, in dem wir Gemeinschaft mit dem Sohn Gottes pflegen. Darum hat der Herr dieses Beispiel gegeben.
Er hat als Herr und Lehrer das Beispiel gegeben, dass man gerade als Führer eine Stellung des Dienens einnehmen soll. In Vers 15 sagt er: "Denn ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe."
Das sagt er, nachdem er deutlich gemacht hat, in Vers 13: "Ihr nennt mich Lehr und Herr, und ihr sagt es richtig, denn ich bin es, der die Füße gewaschen hat." So seid auch ihr schuldig, in Vers 14, einander die Füße zu waschen.
Ganz wichtig, nicht nur für dieses Thema allgemein, ist Vers 17: "Wenn ihr dies wisst, seid ihr glücklich, wenn ihr es tut."
Es gibt also zwei Stufen: Zuerst müssen wir eine Sache erkennen, und dann können wir sie umsetzen. Es ist eine praktische Wahrheit, dass, wenn Gott uns etwas deutlich macht und uns dieses Wissen gibt, wir es umsetzen müssen. Wenn wir es nicht tun, können wir nicht damit rechnen, dass Gott uns ständig neues Licht gibt, wenn wir ungehorsam sind.
Positiv ist hier: "Wenn ihr dies wisst, seid ihr glücklich, wenn ihr es tut."
Darf ich da etwas fragen? Ja? Also, wenn ich das bei mir selbst erkenne, dann geht das in Ordnung, und ich weiß, was ich zu tun habe. Genau. Aber wenn ich das jetzt, also das gegenseitige Füße waschen, bei einem anderen anwende, wenn ich ihm etwas sage, was ich bei ihm erkenne – das haben die Menschen doch nicht so gerne.
Nein, das ist etwas vom Schwierigsten. Darum ist es wichtig, dass man eine Stellung als Dienender einnimmt. Es kommt immer darauf an, wie man dem anderen begegnet. Wenn wir in Überlegenheit auftreten, ist es sowieso schwieriger, das anzunehmen.
Wenn man es aber so macht wie der Herr, der den Jüngern dient, dann können die meisten es annehmen. Petrus nicht zuerst, aber später doch.
Ich möchte sagen, das ist vielleicht etwas vom Schwierigsten. Es braucht Takt und Feingefühl. Eine Perle in der Bibel, wo uns diese Art von Takt und Feingefühl gelehrt wird, ist der Philemonbrief.
Es ist ein ganz kurzer Brief, aber dort finden wir wirklich, wie Paulus einem Philemon die Füße hätte waschen können – aber eben auf so eindrückliche, gewinnende und liebevolle Art. Als Apostel hätte er sagen können: "Du, Philemon, der Fall ist klar, so und so." Aber er hat es anders getan.
Das ist uns nun ein praktisches Beispiel für Fußwaschung. Aber daran lernen wir das ganze Leben lang. Es ist wirklich etwas vom Schwierigsten.
Die geringe Praxis der Fusswaschung in der Kirche und ihre geistliche Bedeutung
Es ist interessant, dass dieses Symbol in der gesamten christlichen Kirche kaum praktiziert wird. Eine Ausnahme bildet die katholische Kirche, in der der Papst diese Praxis, soweit ich weiß, zu Ostern durchführt. Sicher gibt es auch weitere Orte, an denen sie praktiziert wird.
Wichtig ist jedoch, dass in Johannes 13 deutlich wird, worum es bei der Fußwaschung wirklich geht: um den geistlichen Gehalt. Die Fußwaschung hat im Nahostraum einen ganz anderen Stellenwert als bei uns. Jesus macht klar, dass es um die geistliche Bedeutung geht und dass wir auf diese Weise einander geistlich dienen sollen.
Im Gegensatz dazu steht das Abendmahl, bei dem der Herr ausdrücklich sagt, dass es um die geistliche Bedeutung und das wörtliche Praktizieren des Essens von Brot und Trinkens von Wein geht. Bei der Fußwaschung hingegen wird die geistliche Komponente betont. Jesus erklärt: „Ihr seid schon rein, aber nicht alle.“ Es braucht diese Fußwaschung, um ein Teil mit dem Sohn Gottes zu sein.
In Vers 18 macht Jesus zudem eine Anspielung auf Judas: „Ich rede nicht von euch allen, ich weiß, welche ich auserwählt habe.“ Er weist darauf hin, dass sich nun das Wort aus Psalm 41, Vers 9 erfüllt: „Der das Brot isst, hat seine Verse gegen mich aufgehoben.“
Psalm 41 ist ein messianischer Psalm, der prophetisch auf Christus hinweist. Vers 9 beziehungsweise 10 (je nach Verseinteilung) lautet: „Unheil ist über ihn ausgegossen, und wer so da liegt, wird nicht wieder aufstehen. Auch mein Freund, den ich vertraute, der mein Brot aß, hat mich mit Füßen getreten.“
Kurz nach dieser Stelle, zu Beginn des Essens, nimmt Judas einen Bissen (Johannes 13,26). Jesus antwortet: „Jener ist es, dem ich den Bissen, wenn ich ihn eingetaucht habe, geben werde.“ Als er den Bissen eingetaucht hatte, gab er ihn Judas, Simons Sohn, dem Iskariot.
Vor dem Passahmahl wird traditionell ein Entrée serviert. Jesus nahm ein Stück Matze, tauchte es in eine Soße der Vorspeise und gab es Judas. Das war das Zeichen für den geehrtesten Gast bei der Einladung. Der Hausherr gab zu Beginn dem auserwählten, geehrtesten Gast einen Bissen – und dieser war Judas.
Wenn man Psalm 41, Vers 10 liest, wird klar: „Selbst der Mann meines Friedens, das heißt mein Freund“ – ein hebräischer Ausdruck für Freund – „auf den ich vertraute“, Judas Iskariot, der im Johannesevangelium die Kasse trug und dem viel Vertrauen geschenkt wurde, „der mein Brot aß“, also diesen Bissen, „hat mich mit Füßen getreten.“
Dieser Bissen hat nichts mit dem Abendmahl zu tun. Nach diesem Zeichen verlässt Judas den Raum und begeht seine betrügerische, hinterlistige Tat.
Die Tischordnung beim letzten Abendmahl und die besondere Stellung von Johannes und Judas
Der Herr sagt also schon vorher in Vers 18, damit die Schrift erfüllt werde. Dieser Vers wird sich noch erfüllen. Danach folgt die eindrückliche Szene mit dem Bissen.
Die Jünger lagen zu Tisch. In Vers 23 heißt es zum Beispiel: „Einer aber von seinen Jüngern, den Jesus liebte, lag zu Tische.“ Ursprünglich saß man im Judentum am normalen Tisch, so wie wir es heute tun. Doch im Jahr 63 vor Christus marschierten die Römer ein, und mit ihnen kam auch die römische Kultur. Die reichen Römer lagen zu Tisch, die Armen nicht. Die Armen aßen so, wie wir es heute tun. Die reichen Römer hingegen lagen zu Tisch.
Die Rabbiner erklärten, dass man am Passafest alle zu Tische liegen soll. Das Passafest erinnert daran, dass man aus Ägypten frei geworden ist. Die Reichen waren die Freien, und deshalb nahm man vor zweitausend Jahren im Judentum das Passa liegend zu Tisch ein – auch die Armen. Man sagte: „Wir sind Freie, und darum liegen wir zu Tisch.“ Die Römer führten mit dieser Sitte auch den typischen Tisch ein, das Triklinum. Das ist ein dreiteiliger Tisch, der wie ein Hufeisen geformt ist. Entlang dieses Triklinums aß die Gesellschaft.
In 2. Mose 12 lesen wir, dass ein Lamm für ein Vaterhaus bestimmt war. So wurde es auch zur Zeit Jesu praktiziert. Familien oder Gruppen nahmen zusammen ein Lamm. Darum hatte der Herr mit seinen zwölf Aposteln an diesem Abend ein Lamm.
Wir können uns nun ein wenig vorstellen, wie die Sitzordnung war. Petrus wollte Auskunft haben, wie das gemeint ist. Offensichtlich war er ziemlich weit entfernt von der Liegeordnung und gab ein Zeichen hinüber zu Johannes. Wenn wir alles zusammennehmen, können wir uns das sehr plastisch vorstellen: Auf dem ersten Rang lag Johannes, dann der Herr auf Platz zwei, was üblich für den Hausherrn war. Platz drei war für den geehrtesten Gast reserviert, und dort saß Judas.
Warum sehen wir Johannes auf dem ersten Platz? Von ihm heißt es, er lag in dem Schosse Jesu (Vers 23). Außerdem lehnte er sich an die Brust Jesu (Vers 25). Wenn Johannes also, wie die Römer es üblich machten, zu Tisch lag, kam er mit dem Kopf an die Brust Jesu. So hatte er einen besonderen Platz, von dem aus er schnell aufstehen oder etwas holen konnte. Judas hatte hingegen den geehrtesten Platz auf Platz drei, direkt neben dem Hausherrn.
Wenn Johannes mit dem Kopf an die Brust Jesu kam, konnte der Kopf Jesu an die Brust von Judas stoßen. Das muss sehr peinlich gewesen sein. Das Herz schlug wohl in ungewöhnlichem Tempo. Wenn der Herr so nahe war, wie Johannes es erleben konnte, muss man sich das ganz plastisch vorstellen.
Auch Petrus’ Sitzplatz an diesem Abend können wir uns vorstellen. Einer hatte ein besonderes Problem mit seiner Stellung an diesem Abend, und das war Petrus. Er hatte gesagt, er werde alle nicht verlassen. Er saß wohl am letzten Platz, auf Platz Nummer dreizehn. Von dort aus winkte Johannes hinüber, um zu klären, wer der Verräter sein sollte.
Es ist eindrücklich, wie der Herr das arrangiert hat. Jeder hatte seine spezielle Aufgabe. Petrus hatte sein Problem auf dem dreizehnten Platz, Judas sein Problem auf dem geehrtesten Platz. Johannes hingegen richtete sich nicht so sehr auf die Frage, sondern hatte die tiefste Beziehung zu seinem Herrn. Deshalb nennt er sich in seinem Evangelium wiederholt „der Jünger, den Jesus liebte.“ Er sagt nicht „der Jünger, der Jesus liebte“, sondern „der Jünger, den Jesus liebte“. Das drückt sein tiefes Bewusstsein der Liebe Jesu aus.
Der Herr liebt ja alle Jünger, aber Johannes hatte ein ganz besonderes Bewusstsein dieser Liebe. Dieser Mann, der so im Schosse Jesu lag, wurde später erwählt, um das Johannesevangelium zu schreiben. Dieses Evangelium beschreibt den Sohn Gottes, wie es in Johannes 1,18 heißt: „Niemand hat Gott jemals gesehen. Der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, der hat ihn kundgemacht.“
Vielleicht noch der Anfang des Verses: „Niemand hat Gott jemals gesehen.“ Der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, hat ihn kundgemacht. Jetzt verstehen wir Johannes 1,18 besser. Es geht hier nicht um das Bild eines Kindes im Schoß des Vaters, sondern um die Tischgemeinschaft. Der Sohn in ewiger Gemeinschaft mit dem ewigen Vater. So wie Johannes ganz natürlich beim Liegen und Essen mit dem Kopf an die Brust Jesu kam.
Das ist ein Bild für die Beziehung des ewigen Vaters und des ewigen Sohnes. Johannes wurde ausgewählt, um etwas von dieser Beziehung in seinem Evangelium zu offenbaren, was kein anderes Evangelium so tut wie hier.
Übrigens heißt es: „Der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist.“ Im Griechischen ist das Partizip hoon, der Seiende im Schoß des Vaters. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass Gott in 2. Mose 3 zu Mose aus dem feurigen Dornbusch spricht und sagt: „Ich bin hat mich zu euch geschickt.“ In der griechischen Übersetzung, der Septuaginta, die von den Aposteln benutzt wurde und im Neuen Testament zitiert wird, steht „hoon“ für „ich bin“, den Seienden.
Wenn Johannes also diesen Ausdruck hier aufnimmt, meint er mit „der eingeborene Sohn, der Seiende im Schoß des Vaters“ nichts anderes als Yahweh im Schoß des Vaters. Es geht wirklich um die ewige Sohnschaft Christi in Johannes 1,18.
Johannes hat dafür besondere Einsicht bekommen, weil er selbst eine so enge und tiefe Beziehung zu seinem Herrn und Erlöser hatte.
Judas’ Verrat und seine Folgen
Aber wenn man sich das so vorstellt mit Judas: Wie konnte es dazu kommen, dass er sprechen musste? Er hatte vor, Jesus zu verraten. Trotzdem erhielt er den Ehrenplatz an diesem Abend. Niemand wusste von seiner Tat, und er saß an diesem ehrwürdigen Platz.
Dann kam diese beklemmende Nähe zu Jesus Christus. Sobald Jesus sich ein wenig zur Seite lehnte, kam er in den Bereich von Judas’ Brust und Herz. Wenn man sich das noch einmal vorstellt, wird Psalm 41 noch dramatischer: „Selbst der Mann meines Friedens, der mein Brot aß, hat seine Ferse gegen mich erhoben.“
Jetzt machen wir eine kurze Pause von zwanzig Minuten. Dann fahren wir mit Judas fort.
Wir haben gesehen, dass er an diesem Vorabend einen besonders geehrten Platz hatte. Doch das erreichte ihn im Gewissen offenbar nicht. In dem Moment, als er den ehrenden Bissen bekam, heißt es in Vers 27: „Da fuhr der Satan in ihn.“ Judas hätte an diesem Abend noch eine neue Gelegenheit gehabt, gerade durch diesen Ehrenplatz. Doch innerlich ging er seinen falschen Weg weiter.
Hier erkennen wir das Prinzip: Wenn jemand sich der Sünde öffnet, öffnet er sich auch Satan. Deshalb konnte es bei Judas zu dieser Besessenheit kommen, wie in Vers 27 beschrieben. Durch die Öffnung gegenüber der schweren Sünde öffnete er sich auch gegenüber Satan.
Dann geht Judas hinaus. Eindrücklich schreibt Johannes in Vers 30: „Es war aber Nacht.“ Das ist sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinn zu verstehen.
Später, als Judas den Herrn im Garten Gethsemane findet, um ihn zu verraten, können wir kurz in Matthäus 26, Verse 47-50 nachschlagen. Ich nehme diese Stelle hier, weil wir sie im Johannesevangelium nicht finden.
Dort heißt es: „Während er noch redete, siehe, da kam Judas, einer der Zwölf, mit einer großen Menge mit Schwertern und Stöcken von den Hohenpriestern und Ältesten des Volkes. Der ihn aber überlieferte, hatte ihnen ein Zeichen gegeben und gesagt: ‚Wen ich küssen werde, der ist es; den ergreift.‘ Und zugleich trat er zu Jesus, sprach: ‚Sei gegrüßt, Rabbi!‘ und küsste ihn. Jesus aber sprach zu ihm: ‚Freund, wozu bist du gekommen?‘ Dann traten sie heran, legten die Hände an Jesus und ergriffen ihn.“
Das war nochmals eine Gelegenheit, könnte man sagen. Der Herr versucht, sein Herz zu erreichen, als er ihn küsst und „Freund“ nennt. „Wozu bist du gekommen?“
Der Mann meines Friedens, der mein Brot aß, hat seine Ferse gegen mich erhoben. Doch Judas ging seinen falschen Weg weiter.
Tragisch ist, dass der Judas-Kuss berühmt wurde. Wie abscheulich das war, ist uns klar. Doch über den „Judas-Gruß“ wird kaum gesprochen. Er sagt: „Sei gegrüßt, Rabbi.“ Höchstwahrscheinlich sprach Judas den Herrn auf Aramäisch an und sagte als Gruß „Schlamach“. Das bedeutet „Frieden“ und entspricht dem hebräischen „Shalom“.
„Shalom“ auf Aramäisch bedeutet Frieden, Wohlfahrt und Unversehrtheit. Es hat eine große Bedeutungsbreite und umfasst Wohlstand und Glück. Das wünscht Judas Jesus als Gruß.
Unglaublich, wenn man sich das so überlegt. Und dann sagt der Herr: „Freund, wozu bist du gekommen?“ Aber Judas kehrte nicht um. So endete das schließlich im Selbstmord.
Prophetische Psalmen über Judas
Im Zusammenhang mit Judas haben wir bereits die prophetische Stelle aus Psalm 41 gelesen. Es gibt jedoch noch weitere Passagen, die relevant sind.
Schlagen wir erneut in den Psalmen auf, und zwar Psalm 55, Verse 13 bis 15. Wer liest?
„Wenn mein Feind mich schmähte, wollte ich es ertragen; wenn einer, der mich hasst, groß tut wider mich, wollte ich mich vor ihm verbergen. Aber nun bist du es, mein Gefährder, mein Freund und mein Vertrauter, mit dem wir freundlich miteinander waren, der mit mir in Gottes Haus ging inmitten der Menge.“
Das beschreibt genau die Situation von Judas. Es war nicht ein Feind, sondern jemand, der ihn lange Zeit begleitet hatte – während der drei Jahre des öffentlichen Dienstes Jesu. Judas ging ständig mit ihm zum Tempel. Sie pflegten einen vertrauten Umgang miteinander, gingen gemeinsam in das Haus Gottes und waren Teil der Menge bei den großen Festen wie Passa, Pfingsten und dem Laubhüttenfest. Gerade dieser Freund hat sich so am Messias vergangen.
Eine weitere wichtige Stelle findet sich in Psalm 109. Petrus bezieht diesen Psalm in Apostelgeschichte 1 direkt auf Judas. Psalm 109 ist ein messianischer Psalm, der auf Jesus Christus hinweist.
Wer liest Vers 9?
„Seine Kinder sollen Waisen werden.“
Zuvor, in Vers 8, heißt es: „Seiner Tage sollen wenige werden, und sein Amt soll ein anderer empfangen.“
Diese Verse deuten auf Judas’ frühen Tod hin sowie darauf, dass sein Apostelamt auf einen anderen überging – nämlich auf Matthias, wie in Apostelgeschichte 1 am Schluss beschrieben wird.
Prädestination, Vorkenntnis Gottes und Judas
Ja, wenn wir diese prophetischen Stellen betrachten, muss eigentlich die Frage aufkommen: Wie war das mit Judas? War er prädestiniert zu dieser Tat? War er also prädestiniert zum Verlorengehen? War er ein tragischer Mensch, der einfach tat, was er tun musste und dafür bestraft wurde? Wie müssen wir das biblisch einordnen?
Wichtig ist: Die Bibel spricht ja über Prädestination, also Vorbestimmung. Aber wir müssen genau schauen, wozu und für wen. Die Bibel spricht auch über die Vorkenntnis Gottes. Schlagen wir mal auf: In Apostelgeschichte 2, in der Pfingstpredigt, sagt Petrus in Vers 23: „Der nach Gottes festgesetzten Ratsschluss und Vorsehung der Hände gegeben worden war, habt ihr genommen und durch die Hände der Gesetzlosen als Kreuz geheftet und getötet.“
Jawohl, Petrus spricht hier über den bestimmten Ratsschluss und über die Vorsehung. Bei ihm steht „Vorsehung“, bei mir „Vorkenntnis Gottes“. Das griechische Wort für Vorkenntnis lautet „Prognosis“. Ja, wir kennen das von der Wetterprognose. Die Leute von der Wetterprognose bestimmen ja nicht, dass es morgen schneien muss, sondern sie erkennen im Voraus das Wetter. Es ist völlig unabhängig von ihnen, ob sie es zuvor erkennen oder nicht – es wird sowieso schneien, wenn es schneien muss.
Also ist wichtig: Die Vorkenntnis hat nichts mit dem Vorbestimmen zu tun, sondern ist das Vorherwissen. Und bei Menschen ist das natürlich sehr unvollkommen, aber Gottes Prognose ist perfekt und vollkommen.
Nun schauen wir in 1. Petrus 1. Nein, jetzt habe ich nicht an die Stelle gedacht, sondern an 1,2. Dort spricht Petrus die Erlösten an, denen er das Schreiben widmete: „1,1,2 Petrus, Apostel Jesu Christi, den Fremdlingen von der Zerstreuung von Pontus, Galatien, Kapadozien, Asien und Bithynien: ‚Auserwählt nach Vorkenntnis Gottes des Vaters durch Heiligung des Geistes zur Gehorsam und zur Gutbesprengung Jesu Christi, nahe dem Kriege sei euch vermehrt.‘“
Hier heißt es also von diesen Menschen: Sie sind auserwählt nach Vorkenntnis Gottes. Das bedeutet, die Prognose geht der Auserwählung voraus. Sie sind auserwählt auf der Grundlage der Prognose, des Vorherwissens.
Wenn wir nun die Goldene Kette anschauen in Römer 8, so nannten nämlich die Reformatoren diese Abfolge in Römer 8, Verse 28 bis 30:
„Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind. Denn die er zuvor ersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichgestaltet zu werden, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die hat er aber vorherbestimmt, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerechtfertigt; die er aber gerechtfertigt hat, die hat er auch verherrlicht.“
Jawohl, da haben wir die Goldene Kette: In Vers 29 „zuvor erkennen, dann zuvor bestimmen“, in Vers 30 „berufen, rechtfertigen, verherrlichen“. Und das ist alles in einer ganz bestimmten Ordnung.
Also: Die, die zuvor erkannt worden sind, sind zuvor bestimmt. Und die, die zuvor bestimmt sind, sind berufen. Die Berufenen sind gerechtfertigt, und die Gerechtfertigten sind verherrlicht.
Jetzt haben wir hier das Substantiv „Prognosis“ in Apostelgeschichte 2, Kapitel 1, Vers 2, und hier nun das verwandte Tätigkeitswort. Gott hat zuerst zuvor erkannt, und aufgrund dieser Vorkenntnis hat er Menschen zuvor bestimmt. Wozu?
Jawohl, das bedeutet, Söhne Gottes zu werden, Söhne und Töchter Gottes. In 2. Korinther 6 wird über Söhne und Töchter gesprochen – das ist die Sohnschaft, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein.
Also ist es wichtig: Gott hat nicht einfach so zuvor bestimmt, sondern aufgrund seines Vorherwissens. So können wir sagen: Gott wusste genau im Voraus, vor Erschaffung der Welt, wer dem Ruf des Evangeliums folgen wird und wer sich dagegen bis zum Schluss versperren wird.
Aufgrund dieses Vorwissens hat Gott beschlossen: Diese Menschen, die ich zuvor erkannt habe und die sich erlösen lassen, bestimme ich auch zur Sohnschaft. Diese zuvor Bestimmten sollen dann auch durch das Evangelium berufen werden. Wenn sie den Ruf des Evangeliums hören und zur Bekehrung kommen, werden sie durch Glauben gerechtfertigt. Durch die Wiedergeburt werden sie eine neue Schöpfung, verherrlicht.
Das ist diese Abfolge. Es ist also ganz wichtig: Der Auserwählung in 1. Petrus 1 und der Zuvorbestimmung geht beides Mal die Vorkenntnis Gottes voraus.
Das war auch die übliche Ansicht der sogenannten Kirchenväter – so nennt man die frühen Kirchenlehrer in den ersten Jahrhunderten. Sie glaubten, dass Gott das so gemacht hat: Vorkenntnis, und aufgrund der Vorkenntnis hat er zuvor bestimmt.
Um 400 n. Chr. hat der große Kirchenlehrer Augustin, der ja eine eindrückliche Bekehrung erlebt hatte, das früher auch so geglaubt. Später aber kam er zur Überzeugung, dass „Vorkenntnis“ und „zuvor erkennen“ etwa das Gleiche wie „zuvor bestimmen“ sind. Er entwickelte eine Prädestinationslehre, nach der Gott einfach gewisse Menschen zum Heil bestimmt hat und andere nicht.
Später, in der Reformationszeit, berief sich vor allem Calvin stark auf Augustin. Augustin war natürlich ein eindrücklicher Bibellehrer, schrieb wunderbar über die Gnade Gottes und hatte viele Dinge messerscharf gesehen. Calvin hängte sich stark an Augustin an, und von daher stammt seine Prädestinationslehre.
Übrigens sagte Calvins Prädestinationslehre: Die Menschen sind alle verloren. Eine bestimmte Zahl von Menschen hat Gott einfach dazu bestimmt, errettet zu werden. Diese Menschen kommen zum Glauben, weil Gott sie dazu bestimmt hat. Die anderen Menschen gehen verloren, weil sie auch nicht errettet werden wollen. Damit gehen sie verloren, wie sie es verdient haben. Nach Calvin gibt es für sie keine Möglichkeit, errettet zu werden.
Er hatte also nicht die doppelte Prädestinationslehre, nach der Gott bestimmt, dass diese Menschen verloren gehen und diese errettet werden. Nein, er sagte, Gott hat bestimmt, diese Menschen sollen errettet werden, und die anderen rettet er einfach nicht. Sie gehen verloren, weil sie böse sind, nicht wollen und gegen Gott rebellieren – das ist ihr eigenes Tun. Aber sie können auch nicht anders.
Dann gibt es aber solche, die über Calvin hinausgegangen sind. Sie sagen: Nein, Gott hat sogar doppelt bestimmt – diese Menschen sollen verloren gehen und diese sollen errettet werden. Calvin lehrte das nicht so extrem. Das findet man in seinem grundlegenden Werk über das Christentum, seine „Institutio“.
Der Denkfehler bei Augustin, um nur auf Römer 8 zurückzukommen, ist folgender: Er sagt, „zuvor erkannt“ sei eigentlich das Gleiche wie „zuvor bestimmt“. Aber das würde im Klartext bedeuten: „Die, welche er zuvor bestimmt hat, die hatte er auch zuvor bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein.“ Das ist nicht einleuchtend.
Sachlich ist das etwas anderes, denn die Kette ist so: Welche er zuvor erkannt hat, die hat er zuvor bestimmt; welche er zuvor bestimmt hat, die hat er berufen; die Berufenen hat er gerechtfertigt; und die Gerechtfertigten hat er verherrlicht.
So können wir sagen: Gott hat auch in seiner Vorkenntnis gewusst, was Judas tun wird – dass er die Gnade Gottes ablehnen würde. Und so hat er in seinem Ratschluss festgelegt, dass die Verwerfung seines Sohnes über den Verrat des Judas gehen wird.
Aber Judas wird nie vor dem Thron Gottes sagen können: „Ich bin ein Opfer gewesen, ein tragisches Opfer.“ Das Wort „tragisch“ betone ich, weil die griechischen Tragödien quasi das Schicksal von Menschen behandeln – das tragische Schicksal von Menschen, die böse Dinge tun, ohne es eigentlich zu wollen. Das Schicksal der Götter hat sie dazu bestimmt, und darum müssen sie tragisch schlimme Dinge erleben, aber eigentlich sind sie nicht schuldig. Das ist der tragische Mensch.
In Gottes Augen gibt es keinen tragischen Menschen. Judas wollte diesen Weg gehen. Er hat die Gnade Gottes angeboten bekommen, sogar noch in dem Moment: „Freund, wozu bist du gekommen?“ Da hätte er zusammenbrechen können. Auch Besessene können noch gerettet werden. Ich denke, mit der Besessenheit war jegliche Chance endgültig vorbei.
Es gibt auch Besessene, die geheilt worden sind. Aber Judas ist nicht zusammengebrochen. So hat Gott in seinem Ratschluss diesen Mann seinen Weg gehen lassen. Damit wurde sowohl die Prophetie aus dem Alten Testament erfüllt, aber niemand kann sagen: „Armer Judas, er musste das tun, denn es stand ja schließlich in Psalm 40, Psalm 55, Psalm 109.“ So ist es nicht.
Der Herr gibt diesem Judas einen ganz schrecklichen Namen. Das haben wir schon gelesen in Johannes 17,12: „Keiner von ihnen ist verloren als nur der Sohn des Verderbens, auf dass die Schrift erfüllt werde.“
Wer heißt in der Bibel noch „Sohn des Verderbens“ außer Judas? Satan? Nein. Oder gibt es eine Stelle dazu?
Der Herr Jesus nennt doch Petrus irgendwann einmal „Sohn“ – aber „Sohn des Verderbens“? Nein. Er sagt zu Petrus: „Weiche von mir, Satan“, als er sich von Satan beeinflussen ließ.
Der Zauberer Elymas? Nein. Paulus nennt ihn anders: „Du Sohn des Teufels, Feind aller Gerechtigkeit“ (Apostelgeschichte 13).
Wer ist der Gesetzlose? Ja, wer ist das? Der Antichrist, siehe 2. Thessalonicher 2.
Diese zwei Personen sind also: der Verräter des Messias und der Antichrist, der die Gesetzlosigkeit und Rebellion des Menschen in der Weltgeschichte auf den Höhepunkt führen wird.
2. Thessalonicher 2, Verse 3 bis 4: „Denn dieser Tag kommt nicht, es sei denn, dass zuerst der Abfall gekommen und der Mensch der Gesetzlosigkeit offenbart worden ist, der Sohn des Verderbens, der sich widersetzt und sich überhebt über alles, was Gott heißt oder ein Gegenstand der Verehrung ist, sodass er sich in den Tempel Gottes setzt und sich ausweist, dass er Gott sei.“
Dort haben wir nochmals diesen Ausdruck „Sohn des Verderbens“.
Gibt es dazu noch eine Frage zum Thema Judas?
Bei mir ist hier beim „Sohn des Verderbens“ noch ein Hinweis in Offenbarung 13,1. Dort ist einfach das Tier aus dem Meer beschrieben, der kommende Diktator über das Widerstehende – das Römische Reich.
Wobei es eigentlich besser wäre, man hätte Offenbarung 13, Vers 11 genannt, denn das zweite Tier aus der Erde ist der Antichrist. Das erste Tier ist nur sein Freund, oder der Herrscher in Europa – das wird das erste Tier aus Offenbarung 13 sein. Der kommende falsche Messias in Israel wird der Antichrist sein, der „Sohn des Verderbens“.
Ja, und sonst zur Frage Judas und Prädestination ist das nun ein bisschen klarer.
Der Glaube als Geschenk Gottes und die Verantwortung des Menschen
Nur eine ganz kurze Frage: Ich habe schon Menschen sagen hören: „Ich möchte glauben, aber ich kann nicht.“ Ja, es ist natürlich so, dass Gott den Glauben schenkt. In Epheser 2,8 heißt es: „Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch; Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich niemand rühme.“
Mittels des Glaubens geschieht also die Errettung, und es wird betont: „Und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es.“ Gott muss den Glauben schenken. Gleichzeitig will Gott, dass alle Menschen errettet werden, wie es in 1. Timotheus 2,4 steht.
Übrigens hatte Calvin an dieser Stelle seine Mühe, was wir gut verstehen können. Er sagte, dass „alle“ alle Arten von Menschen meint, aber nicht, dass Gott jeden einzelnen Menschen liebt und dass jeder errettet werde. Dennoch ist die Stelle ganz klar: Gott will, dass alle Menschen errettet werden. Auch Johannes 3,16 zeigt, dass Gottes Liebe universell ist: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab.“ Gott will das Heil jedes einzelnen Menschen.
Eine zweite Tatsache ist, dass kein Mensch Gott sucht. Das steht in Römer 3,11: „Da ist keiner, der Gott sucht.“ Der Mensch ist in sich so verdorben und rebellisch, auch wenn er ein guter Bürger ist, dass er Gott nie von sich aus suchen würde. Der Mensch sucht prinzipiell woanders. Er ist zwar ein Sucher, aber nicht nach Gott.
Es ist auch so, dass der Mensch in diesem Sinn keinen freien Willen hat. Luther schrieb dazu ein Buch über die „Knechtschaft des Willens“. Der Mensch ist ganz gefallen, auch sein Wille ist gefallen und steht unter der Herrschaft Satans.
Doch wir lesen, dass der Vater die Menschen zieht. In Johannes 6,44 heißt es: „Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, dass der Vater, der mich gesandt hat, ihn ziehe.“ In Johannes 16,8 wird der Heilige Geist erwähnt: „Und wenn er gekommen ist, wird er die Welt überführen von Sünde.“ Der Heilige Geist überführt von Sünde. Drittens sagt Lukas 19,10: „Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist.“
Also wirkt der dreieinige Gott im Blick auf die Rettung des Menschen: Der Vater zieht, der Heilige Geist überführt, der Sohn sucht. Das geschieht in Bezug auf jeden Menschen.
Nun kommt es aber darauf an. In Römer 2,4-5 steht: „Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte und Geduld und Langmut? Nicht wissend, dass die Güte Gottes dich zur Buße leitet? Nach deiner Störrigkeit und deinem unbußfertigen Herzen häufst du dir selbst Zorn auf am Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes, der einem jeden vergelten wird nach seinen Werken.“
Der Mensch hat von sich aus kein Interesse, Gott zu suchen, aber Gott zieht an ihm. Wenn ein Mensch Gott sucht – nicht Götter oder Abgötter, sondern Gott – dann ist das das Wirken Gottes.
Wir lesen jedoch weiter in Römer 2,4: Wenn der Mensch störrisch bleibt, öffnet oder befreit Gott den Willen des geknechteten Menschen so weit, dass er sich bekehren könnte. Wenn Gott das nicht tun würde, könnten wir nicht glauben. Unser freier Wille, der in Wahrheit ein gebundener Wille ist, würde Gott nicht suchen.
Gott bringt uns dazu. Wenn der Mensch dann aber immer noch Widerstand leistet, häuft er sich noch mehr Zorn Gottes auf. Er macht sich dadurch noch mehr verantwortlich, weil er die Gnade ablehnt.
Der Pharao in Ägypten ist ein Prototyp dafür. Siebenmal, sechsmal verhärtete er sein Herz in 2. Mose, und beim siebten Mal verhärtete Gott es bis zum zwölften Mal. Dort war seine Gnadenzeit abgelaufen. Aber vorher hat Gott an seinem Herzen gewirkt, und er hat sich selbst verstockt.
Jeder Mensch muss sich klar sein, dass es Gottes Güte ist, die zur Buße leitet. Wenn jemand sagt: „Ich kann nicht glauben“, dann kann ich das leider nicht so glauben. Das heißt: „Ich kann nicht glauben“ bedeutet oft „Ich will nicht glauben.“
Wer würde denn glauben, wenn nicht die Reue über die Schuld da ist? Wenn der Mensch nicht bereit ist, seine Schuld vor Gott zu offenbaren und sie nicht wegzuerklären, kann Gott den Glauben nicht schenken.
Glaube ist also ein Geschenk, wenn der Mensch bereit ist, seine Schuld ans Licht zu bringen. Das müssen wir tun, und wir können es, weil Gott es möglich macht. Von uns aus könnten wir es nicht. Niemand kann sagen: „Ich habe mich bekehrt, also habe ich ein Werk gemacht.“ Nein, die Bekehrung ist Gottes Werk.
Gott bringt mich bis zu dem Punkt, an dem ich die Gnade empfangen könnte. Wenn ich sie dann nicht annehme, macht mich Gott dafür verantwortlich.
Darum ist es auch nicht so, dass der Mensch sich zu jeder Zeit bekehren könnte und später sagt: „Ich bekehre mich später.“ Wir können nie den Zeitpunkt der Bekehrung selbst festlegen. Gott bringt uns in besonderen Momenten unseres Lebens an den Punkt, an dem wir die Gnade Gottes empfangen könnten. Dann müssen wir sie annehmen.
Deshalb warnt der Hebräerbrief heute: „Wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht!“ Das wird immer wieder betont.
Wir können nicht selbst unser Timing bestimmen. Plötzlich kommt der Moment, in dem ein Mensch merkt: „Jetzt ruft mich der Herr, jetzt muss ich mich bekehren.“ Menschen können eindrücklich erzählen, wie sie genau in dem Moment wussten, dass der Herr sie ruft. Wenn sie sich jetzt nicht bekehren, ist es zu spät.
Manche haben sogar gesagt, sie hätten die innere Gewissheit, dass das die letzte Gelegenheit ist, auf die Gott sie ruft, und sie haben sich dann bekehrt. Das ist ernst.
Natürlich würde ich jemandem, der sagt: „Ich kann nicht glauben“, nicht zu hart begegnen. Aber ich würde versuchen, herauszufinden, woran es wirklich liegt. Sind Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Bibel da? Dann kann man das erklären und helfen.
Letztlich kommt es auf die Frage an: Will ich die Gnade Gottes empfangen oder nicht? So weit bringt uns Gott, aber er zwingt uns nicht, uns zu bekehren, wenn wir die Gnade eigentlich nicht wollen.
Darum gibt es Menschen, die verloren gehen, aber Gott zieht sie zur Rechenschaft. Es gibt auch Menschen, die errettet werden. Diese können sich nicht rühmen: „Ich habe es geschafft, ich habe den Glauben gehabt.“ Nein, Gott hat ihnen den Glauben gegeben. Gott hat sie zur Buße geleitet – reine Gnade.
So können wir das ganze scheinbare Problem gut lösen.
Eine sehr betagte Christin fragte mich, ob es richtig sei, für Menschen zu bitten, die einem wichtig sind, damit sie ihre Schuld erkennen. Ja, das ist richtig.
Wenn wir für unsere Angehörigen, Freunde und Bekannten beten, verstärkt das das Wirken Gottes an ihnen. Aber Gott wird einen Menschen nicht zur Bekehrung führen, wenn dieser letztlich, wenn Gott die Gelegenheit gibt, die Gnade zu empfangen, sie ablehnt.
Die Verantwortung bleibt.
So bringen wir das Problem zusammen: Der Mensch hat keinen freien Willen, und trotzdem ist er verantwortlich. Das ist kein Widerspruch.
Es ist aber möglich, dass jemand einmal sagt: „Ich will nicht“, und später doch glaubt. Zum Beispiel der Pharao: Das erste Mal wollte er nicht, aber beim sechsten Mal hätte er noch kommen können.
Auch bei Judas sehen wir, wie der Herr ihm mehrfach Gelegenheit gab: „Freund, wozu bist du gekommen?“ Es ist nicht nur das Wort, das der Herr gesprochen hat. Judas hätte die Augen des Herrn sehen können oder sehen wollen. Er ist nicht zusammengebrochen.
Anders bei Petrus: In Lukas 22 sehen wir, wie der Herr ihn ansieht, und Petrus bitterlich weinend hinausgeht. Er ist über seine Sünde zusammengebrochen.
Gut, wir müssen zum Schluss kommen.
Wir wollen doch zusammen beten!