Einführung: Kontext und Tempelbezug in Johannes 10
Wir haben in Kapitel 7 das Laubhüttenfest erlebt, den Herrn Jesus im Tempel gesehen. Dann, im vorletzten Abschnitt in Johannes 8, haben wir ebenfalls gesehen, wie alles mit dem Tempel in Verbindung steht. Die Reden im Tempel und auch Kapitel 9 mit dem Blindgeborenen stehen in Verbindung mit dem Tempel. Denn der Herr traf diesen Blindgeborenen gerade, als er aus dem Tempel herauskam.
Hier in Kapitel 10, ab Vers 22, ist es ausdrücklich wieder der Tempel zu Jerusalem. Diese Verse dazwischen, Johannes 10,1-21, müssen ebenfalls im Zusammenhang mit dem Tempel gesehen werden.
In Johannes 10,7 nennt der Herr Jesus sich „die Tür der Schafe“. Von dieser Tür oder diesem Tor haben wir schon gelesen – aber wo genau? Nicht in der geistlichen Bedeutung, sondern in der materiellen. Im übertragenen Sinne sagt er: „Ich bin die Tür der Schafe.“ Aber wo ist dieses Tor materiell zu finden? Das wäre in Johannes 5, Vers 2.
Wer liest Johannes 5,1-2? Dort heißt es: Danach war ein Fest der Juden, und Jesus ging hinauf nach Jerusalem. In Jerusalem befindet sich bei dem Schaftor ein Teich, der auf Hebräisch Bethesda genannt wird und fünf Säulenhallen hat.
Das Schaftor war das nördliche Zugangstor zum Tempelplatz. Links davon, wenn man durch dieses Tor ging, lag ein großer Teich, der in seiner Struktur noch immer vorhanden ist. Er wurde allerdings Ende des 19. Jahrhunderts aufgefüllt und ist heute ein Parkplatz. Dieser Teich, der Israel-Teich, diente dazu, die Opfertiere zu waschen. Anschließend wurden die Opfertiere durch das Schaftor auf den Tempelplatz geführt.
Der Herr nimmt nun Bezug darauf. In Johannes 10, Vers 7 sagt er: „Ich bin die Tür der Schafe.“ Und in Vers 9: „Ich bin die Tür. Wenn jemand durch mich eingeht, wird er errettet werden.“ Der Herr macht hier deutlich: Wer zu Gott kommt auf der Grundlage des stellvertretenden Opfers – wobei er selbst dieses Opfer ist und dieser Zugang – wird errettet.
Für die damaligen Hörer war dieser Bezug zum Nordtor des Tempels verständlich. Nun müssen wir den weiteren Text in diesem Zusammenhang sehen.
Der Hof der Schafe und seine Bedeutung
Der Herr spricht also bereits in Vers 1 über den Hof der Schafe. Er beschreibt, wie die Schafe aus diesem Hof herausgeführt werden.
Das Wort „Hof“ wird im Griechischen mit „Aule“ übersetzt. In der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, wird „Aule“ als Übersetzungswort für die Ausdrücke verwendet, die den Vorhof der Stiftshütte und des Tempels bezeichnen. Somit besteht ein Bezug zum Tempelbezirk. Es ist also nicht nur das Schaftor, das Nordtor, gemeint, sondern der Hof der Schafe entspricht dem Tempelbezirk insgesamt.
Dazu können wir Psalm 100 betrachten. Dieser bekannte Psalm lädt ein: „Jauchzet dem Herrn, alle Welt! Dient dem Herrn mit Freuden, kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken! Erkennt, dass der Herr Gott ist, er hat uns gemacht und nicht wir selbst. Wir sind sein Volk und die Schafe seiner Weide. Geht zu seinen Toren ein mit Danken, zu seinen Vorhöfen mit Loben. Danket ihm, lobet seinen Namen! Denn der Herr ist freundlich, und seine Güte währt ewig, und seine Wahrheit für und für.“
Hier geht es also um eine Einladung, in die Gegenwart Gottes im Tempel zu kommen, in die Vorhöfe. Dabei wird das Volk als die Herde seiner Weide gesehen. Das Volk im Tempel wird als die Herde Gottes im Schafhof Gottes dargestellt.
Eine weitere Stelle, die diesen Bezug deutlich macht, findet sich in Hesekiel 36,38: „Wie eine geheiligte Herde, wie die Herde Jerusalems an seinen Festen, so werden die verödeten Städte voll Menschenherden sein, und sie werden wissen, dass ich der Herr bin.“
Hier wird das Volk ausdrücklich als eine geheiligte Herde, als die Schafherde des Heiligtums bezeichnet – wie die Schafherden Jerusalems zu den Tempelfesten. Gemeint sind also die Tempelfeste. So sollen auch die verödeten Städte wieder voll Menschenherden werden.
Die Schafherden des Heiligtums sind somit ein Bild für das Volk, das als Schafherde im Schafhof, also im Tempel, gesehen wird.
Symbolik der Tür und des Hirten
Und der Herr erklärt, dass er die Tür der Schafe ist. Es gibt jedoch noch einen Zusammenhang, den man dabei im Blick haben muss. Neben diesem Schaftor im Tempel hat man im Nahen Osten festgestellt, dass es bestimmte Hirten gab, die ihren Hof – wie alle – so aufgebaut haben: Sie nahmen Steine, bauten eine Ringmauer und ließen eine Öffnung offen. Doch anstatt ein Tor einzusetzen, legten sich diese Hirten nachts in die Öffnung hinein. So waren sie gewissermaßen die Wache und die Garantie für die Sicherheit der Herde.
Sie selbst waren das Tor, indem sie in diese Öffnung hineingingen. Diese Hirten waren nicht wie die Mietlinge, von denen wir gelesen haben, die bei Gefahr fliehen. Nein, sie setzten sich voll und ganz bis zum Letzten für die Herde ein. Diesen doppelten Bezug zu Jesu Worten können wir hier herstellen.
Nun sagt der Herr in Johannes 10, Vers 1: Wer nicht durch die Tür in den Hof der Schafe eingeht, sondern anderswo hinübersteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür eingeht, ist Hirte der Schafe. Diesem tut der Türhüter auf.
Der Türhüter entspricht hier dem Tempel und der levitischen Torwache, die es an allen Toren gab. Diese Wächter kontrollierten, wer in den Tempelbezirk hineinkam. Jesus stellt sich in diesem Kapitel als der Hirte Israels vor. So wurde der Messias im Alten Testament angekündigt. Wir können dazu Jesaja 40 aufschlagen.
Ein paar Verse daraus: Zuerst Vers 3, den Peter vorliest: „Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bahnet den Weg des Herrn, ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott.“ Das bezieht sich hier auf Johannes den Täufer, der den Messias eingeführt und Israel bekannt gemacht hat.
Dann Vers 5: „Und die Herrlichkeit des Herrn wird sich offenbaren, und alles Fleisch miteinander wird sie sehen, denn der Mund des Herrn hat geredet.“ Und nun Vers 11: „Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte, die Lämmer wird er auf seinen Arm nehmen und in seinen Busen tragen; die Säugenden wird er sanft leiten.“ Hier haben wir den Hirten.
Also zuerst Johannes den Täufer in Vers 3, dann Vers 5, wo die Herrlichkeit des Herrn sich offenbart. In Johannes 1 lesen wir: „Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater.“ Das Wort wurde Fleisch. Im gleichen Kapitel finden wir Johannes den Täufer, der Christus bezeugt als „Siehe, das Lamm Gottes.“
Nun, in Jesaja 40, Vers 11, ist der Messias der Hirte Israels. So stellt sich der Herr Jesus nun als der Hirte vor, der aber nicht irgendwo über die Mauer steigt. Ein Hirte braucht das nicht zu tun; er kommt ganz offiziell durch das Tor, und der Türhüter öffnet ihm.
Johannes der Täufer war gewissermaßen dieser Türwächter, der Jesus Christus offiziell als Messias in Israel bekannt gemacht und eingeführt hat. Doch der Herr sagt, es gibt andere, die anderswo hinübersteigen. Das sind Diebe und Räuber.
Solche falschen Messiasse gab es immer wieder, auch im ersten Jahrhundert. Im zweiten Jahrhundert war ein besonders wichtiger falscher Messias Bar Kochba. Er hetzte die Juden zum Aufstand gegen die Römer an, was zu einer Katastrophe führte: mehr als eine Million Tote unter dem jüdischen Volk, etwa 560 durch Kämpfe und ähnlich viele durch Hunger und Krankheit.
Bis heute sind im Judentum vielleicht etwa 40 falsche Messiasse aufgetreten. Doch keiner konnte sich durch erfüllte Prophetie aus dem Alten Testament ausweisen. Keiner konnte sich als ein beglaubigter Prophet zeigen, wie es Johannes der Täufer tat, der ihn offiziell eingeführt hätte.
Ein weiterer besonders wichtiger falscher Prophet war um 1666 Schabetai Zwi. Er bewegte große Teile des Weltjudentums. Wenn er redete, gerieten die Menschen in Ekstase, und Frauen begannen, in Zungen zu reden. Später wurde er von Muslimen gefangen genommen. Er musste zum Islam übertreten, und damit brach die ganze Bewegung zusammen.
Dies zeigt, wie bedeutend es ist, wenn der Herr von diesen Dieben und Räubern spricht. Denken wir an Bar Kochba: Er führte das Volk ins Elend und in die Katastrophe.
Der größte falsche Messias wird noch kommen: der Antichrist. Er wird Israel in eine Katastrophe führen. Doch der Herr sagt: Wer aber durch die Tür eingeht, ist Hirte der Schafe. Diesem tut der Türhüter auf, und die Schafe hören seine Stimme. Er ruft seine eigenen Schafe mit Namen und führt sie heraus.
Die Schafe und ihre Stimme
Dieses Heraus ist in Verbindung mit dem Kapitel vom letzten Mal sehr interessant. Dort hatten wir den Blindgeborenen, der schließlich den Herrn Jesus als Sohn Gottes erkennt. Doch in Verbindung damit, dass er sich zu dem Herrn bekennt, wurde er aus dem Judentum gewissermaßen hinausgeworfen. Ganz wörtlich haben sie ihn hinausgeworfen (Johannes 9,35).
Zuvor lesen wir noch den Beschluss, der schon früher bestand (Vers 22). Vers 22b kann man so lesen: Die Juden waren schon übereingekommen, dass, wenn jemand Jesus als Christus bekennen würde, er aus der Synagoge ausgeschlossen werden sollte. Deshalb sagten seine Eltern: „Er ist mündig, fragt ihn.“
Und jetzt, Vers 35: Jesus hörte, dass sie ihn hinausgeworfen hatten. Als er ihn fand, sprach er: „Glaubst du an den Sohn des Menschen?“ Er antwortete und sprach: „Und wer ist es, Herr, dass ich an ihn glaube?“ Jesus sprach zu ihm: „Du hast ihn gesehen, und der, der zu dir redet, der ist es.“ Er aber sprach: „Ich glaube, Herr,“ und warf sich vor ihm nieder.
Den Messias, den Herrn Jesus, erkannte er also. Doch zuvor wurde er ganz wörtlich durch die Führer des Volkes hinausgeworfen – schon am Schluss von Vers 34, wo es heißt, dass sie ihn hinauswarfen. Dann kommt: Jesus hört, dass sie ihn hinausgeworfen hatten. Damit wird dieser Blindgeborene quasi zum Prototyp eines Schafes in diesem Schafhof Israel. Er erkennt den Messias, lernt seine Stimme kennen und folgt ihm. Doch das führt dazu, dass er aus diesem Schafhof hinausgeführt wird.
Dieser Ausdruck hat eine tiefe Bedeutung. Am Ende von Vers 3 ruft der Herr seine eigenen Schafe mit Namen und führt sie heraus. Wenn er seine eigenen Schafe alle herausgebracht hat, geht er vor ihnen her. Die Schafe folgen ihm, weil sie seine Stimme kennen. Das Typische bei Schafen ist, dass sie eine starke Prägung auf den Hirten haben und seiner Stimme folgen.
Der nächste Vers sagt (Vers 5), dass einem Fremden die Schafe nicht folgen, sondern vor ihm fliehen. Denn sie kennen die Stimme des Fremden nicht. Es ist nicht so, dass sie sagen könnten, wer der Fremde ist, aber sie merken, dass es nicht der Richtige ist.
Das ist auch das Entscheidende für Christen: Wenn sie die Stimme des guten Hirten kennen, müssen sie dieser Stimme folgen. Es gibt so viele andere Stimmen. Es geht nicht darum, dass jeder genau jede falsche Lehre, Abweichung oder ungesunde Lehre sofort definieren, erklären und widerlegen kann. Aber man muss einfach merken: Das ist ein Fremder, dem folgen wir nicht. Das ist das Kennzeichen der wahren Schafe Jesu.
Diese Verse 1 bis 6 bilden also einen geschlossenen Abschnitt. Dann kommt eine neue Rede ab Vers 7. Dort spricht der Herr über die Tür der Schafe. Bis jetzt hatten wir Vers 1 bis 6, den Schafhof, das ist der Tempelbezirk. Wir hatten den Türhüter und den Hirten der Schafe. Nun erklärt Jesus in dieser symbolischen Sprache, dass er nicht nur der Hirte, sondern auch das Schaftor ist.
Auf der Grundlage des stellvertretenden Opfers wird der Mensch vor Gott angenommen und gerettet. Darum kann Jesus in Vers 9 sagen: „Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich eingeht, wird er errettet werden.“
Dabei verweist er nochmals auf falsche Messiasse vor ihm, in Vers 10: „Alle, die vor mir gekommen sind, sind Diebe und Räuber; aber die Schafe hörten nicht auf sie.“ Die wahren Gläubigen in Israel haben diese falschen Messiasse immer wieder abgelehnt.
Übrigens ist das auf der Hand liegend, aber trotzdem wichtig, sich das vor Augen zu halten: Im zweiten Jahrhundert, um 132, als Bar Kochba den Aufstand gegen die Römer startete, haben die messianischen Juden – also die Judenchristen, die an Jesus als den Messias glaubten – nicht mitgemacht. So wurden sie vor dieser Katastrophe bewahrt, als Kaiser Hadrian in glühendem Zorn den Aufstand brutal niederschlug.
Dadurch blieben sie verschont, weil sie eben dem Falschen nicht folgten. Und da sagt der Herr schon in Bezug auf die früheren wahren Schafe: Sie haben nicht auf diese verführerischen Stimmen gehört. Die Wahrheit, den Erlöser zu kennen, ist der Schutz vor jeglicher Verführung.
Aber eine Frage bleibt: Warum werden dann echte Gläubige trotzdem verführt? Eigentlich hängt das Bewahrbleiben davon ab, inwiefern sie wirklich in praktischer Nachfolge und in der Nähe des Herrn leben. Selbst ein wahres Schaf, das nicht in Beziehung mit dem Herrn lebt, kann verführt werden.
Wenn der Herr so über seine Schafe schreibt, geht er von Menschen aus, die neues Leben haben und in diesem neuen Leben auch wandeln. Diese können dann auch wirklich bewahrt bleiben. Gibt es eine bessere Erklärung?
Der gute Hirte und die Mietlinge
In Vers elf sehen wir, wie der Herr erneut das Bild wechselt und zurückkehrt zur Tatsache, dass er der Hirte ist. Er sagt: „Ich bin der gute Hirte.“ Nun erklärt er, wie der Hirte bereit ist, alles zu geben. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.
Dann kommt der Gegensatz: die Mietlinge. Das sind Schafhirten, die gegen Geld angestellt wurden, aber keine innere, gefühlsmäßige Beziehung zu den Schafen haben. Die Mietlinge sind ganz anders. Der Mietling, der nicht Hirte ist und dem die Schafe nicht eigen sind, sieht den Wolf kommen, verlässt die Schafe und flieht. Der Wolf raubt sie und zerstreut die Schafe.
Bei den Dieben und Räubern haben wir gesehen, dass es sich um falsche Messiasse handelt. Auf wen können wir dann die Mietlinge deuten? Zum Beispiel auf Bischöfe und Pfarrer, die gar nicht selbst gläubig sind, sondern nur beruflich so tun, als wären sie Gläubige. Das wäre eine Anwendung auf die spätere Geschichte der Christenheit.
Direkt in dieser Rede richtet sich der Herr an Israel. Doch in der Anwendung ist es genau das. Die Führer sind die Mietlinge. Die damaligen Führer – könnte man nicht sagen, es sind letztlich die Pharisäer? Nicht nur sie, auch die Sadduzäer. Der Hohe Rat, die 72 obersten Richter, waren eine Gruppe, die aus Pharisäern und Sadduzäern zusammengesetzt war. Zwei theologisch ganz verschiedene Richtungen, die zusammengebunden wurden, aber die Führung innehatten.
Wie sie über das Volk denken, sieht man eindrücklich in Johannes 7. Dort kehrt die Tempelpolizei unverrichteter Dinge zurück, weil sie Jesus Christus nicht verhaften konnten. Die Führer fragen sie: „Habt ihr euch auch verführen lassen? Glaubt denn einer von den Oberen oder Pharisäern an ihn? Nur das Volk tut es, das nichts vom Gesetz weiß. Verflucht ist es.“
Diese verächtliche Haltung gegenüber dem einfachen Volk ist sehr deutlich. Es gibt keine innere Beziehung, keine Fürsorgeaufgabe für das Volk, das ihnen von Gott anvertraut wurde. Überheblich wird das Volk als verflucht bezeichnet, weil es das Gesetz nicht kennt. Das ist genau die Gesinnung eines Mietlings.
Der Herr zeigt den Gegensatz: Er geriet von Anfang an im Johannes-Evangelium mit dieser Führerschaft in Konflikt. Er ist der gute Hirte, sie sind die Mietlinge, denen das Wohl der Schafe nicht am Herzen liegt. Die grausame Handlung im Kapitel neun zeigt das deutlich: Der Blindgeborene, der ihnen in seiner Herzensinnigkeit auf alle Fragen offene, klare und durchsichtige Antworten gab, wurde hinausgeworfen.
Es ist erstaunlich, dass noch nie jemand gehört hat, dass einem Blindgeborenen die Augen geöffnet wurden, und sie wissen nicht, wer das getan hat. Trotzdem werfen sie ihn hinaus. Johannes 9,34: „Du bist ganz in Sünden geboren, und du lehrst uns.“ Und sie warfen ihn hinaus.
Solche Handlungen, wie das Verbrennen der Gläubigen auf dem Scheiterhaufen, sind noch schlimmer als die Flucht des Mietlings. Das finden wir in Hesekiel 34, wo Gott die Hirten Israels hart ins Gericht zieht.
Ab Vers 1 beginnt die Weissagung gegen die Hirten Israels. In Vers 3 heißt es: „Ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle, das fette Vieh schlachtet ihr, die Herde weidet ihr nicht. Die Schwachen habt ihr nicht gestärkt, das Kranke nicht geheilt, das Verwundete nicht verbunden, das Versprengte nicht zurückgeführt und das Verlorene nicht gesucht. Mit Strenge habt ihr über sie geherrscht und mit Härte. So wurden sie zerstreut, weil sie ohne Hirten waren.“
In Vers 18 wird weiter geklagt: „Ist es euch zu wenig, dass ihr die gute Weide abweidet und das übrige euer Weide mit euren Füßen zertretet? Das abgeklärte Wasser trinkt ihr und trübt das Übergebliebene mit euren Füßen. Meine Schafe sollen abweiden, was ihr mit euren Füßen zertreten habt, und trinken, was ihr mit euren Füßen getrübt habt.“
Darauf spricht der Herr, der Ewige, zu ihnen: „Siehe, ich bin da, und ich werde richten zwischen fetten und mageren Schafen, weil ihr die Schwachen mit Seite und Schulter verdrängt und mit euren Hörnern stößt, bis ihr sie zerstreut habt.“
Das ist genau die Gesinnung, die es im Judentum gab und die sich später in der Christenheit wiederfand. Es ist dieselbe Haltung, die heute in manchen Gemeinden zu beobachten ist, wenn Strukturen völlig geändert und modernisiert werden. Die Jugend gilt als Zukunft, aber was ist mit den Alten? Wenn sie nicht mitziehen wollen, können sie gehen. Genau diese Gesinnung verdrängt die Schwachen und stößt sie mit Hörnern, bis sie zerstreut sind.
Doch Gott antwortet: „So will ich meine Schafe retten, damit sie nicht mehr zur Beute werden. Ich werde richten zwischen Schaf und Schaf.“ Dann kommt die Verheißung des Messias als Hirte, in Vers 23: „Und ich werde einen Hirten über sie einsetzen, meinen Knecht David, der sie weiden wird. Er wird ihr Hirte sein.“
Das ist ein Bild des Messias als David, des großen Sohnes Davids, der Hirte, der ganz anders mit seinen Schafen umgeht.
Das Ziel des Kommens Jesu: Leben in Fülle
Das Ziel des Kommens von Jesus Christus wird in Johannes 10,10, in der zweiten Hälfte des Verses, so beschrieben: „Ich bin gekommen, damit sie Leben haben und es in Fülle haben.“
Auch im Alten Testament erhielt derjenige, der sich bekehrte, neues Leben. Die Wiedergeburt ist also keine Neuerung des Neuen Testaments, sondern war bereits im Alten Testament bekannt. Deshalb sagt der Herr, als er mit Nikodemus über dieses Thema spricht: „Du bist der Lehrer Israels und weißt das nicht.“ Das ist keine neue Offenbarung, sondern etwas, das man schon aus dem Alten Testament kennt.
Dieses Leben bis in Ewigkeit wird beispielsweise in Psalm 133 beschrieben. Doch Herr Jesus ist jetzt gekommen, um dieses Leben zu bringen – und zwar in einer Form und Intensität, wie es im Alten Testament noch nicht möglich war. Er ist gekommen, um den Vater wirklich zu offenbaren. Dabei hat er sich als Sohn offenbart. So ist Leben nicht einfach nur etwas Pulsierendes, sondern letztlich Gemeinschaft mit Gott.
Das wird in Johannes 17, Vers 3 umschrieben, wo der ewige Sohn zum ewigen Vater betet. In diesem Gebet erkennen wir die besondere Beziehung zwischen dem ewigen Sohn und dem ewigen Vater. Der Herr sagt dort: „Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den alleinwahren Gott, erkennen und den du gesandt hast, Jesus Christus.“
Gott zu kennen ist also Leben – das wird durch diese Stelle absolut bestätigt. Der Inhalt des ewigen Lebens ist die Erkenntnis Gottes als des ewigen Vaters und die Erkenntnis von Jesus Christus als dem ewigen Sohn, genau so, wie wir es in Johannes 17 vorgefunden haben.
So hat der Herr Jesus durch sein Kommen und durch seine völlige Offenbarung Gottes, des Vaters, und seiner selbst als ewiger Sohn das Leben in der höchsten Form gebracht, die möglich ist. Deshalb sagt er: „Damit sie Leben haben und es in Überfluss haben.“
Das Leben des guten Hirten und seine Vollmacht
Ab Vers 14 betont der Herr nochmals, dass er die Seinigen kennt und andererseits von den Seinigen gekannt ist. Nun lässt er sein Leben für sie. Dabei unterstreicht er in Vers 18, dass niemand ihm das Leben nimmt, sondern dass er es aus eigenem Willen lässt. Er sagt: „Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Vollmacht, es zu lassen, und ich habe Vollmacht, es wiederzunehmen. Dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen.“
Das ist sehr eindrücklich. Der Herr Jesus macht hier deutlich, dass der Mensch eigentlich nicht in der Lage war, ihm das Leben zu nehmen. Er wäre nicht gestorben, wenn er nicht bereit gewesen wäre zu sterben. So haben die Menschen sich in übelster Weise an ihm vergangen. Doch der Herr ist nicht in Erschöpfung am Kreuz gestorben, sonst hätte er nicht kurz zuvor noch einen lauten Schrei von sich geben können.
Gekreuzigte, die wirklich auf grausame Weise am Kreuz sterben, sind am Ende völlig erschöpft und können nicht mehr schreien. Aber der Herr schrie, und das zeigt, dass der Mensch ihm nicht das Leben nehmen konnte. Stattdessen hat er es schließlich hingelegt, als er sagte: „In deine Hände übergebe ich meinen Geist.“
Stephanus betet bei seiner Steinigung anders: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf.“ Der Herr aber sagt aktiv: „In deine Hände übergebe ich meinen Geist.“ Das heißt: „Ich lasse mein Leben.“ Er hat Gewalt, also Vollmacht, es zu lassen, und auch Vollmacht, es wiederzunehmen.
Was bedeutet das? Dass er die Vollmacht hat, am dritten Tag wieder aufzustehen oder wieder aufzuwachen – sich also selbst auferwecken kann. Das ist ein Blick in das Geheimnis der Gottheit und Menschheit Christi in einer Person. Der Mensch Christus ist gestorben, aber er hatte nie aufgehört, Gott zu sein. So hat Jesus als ewiger Gott am dritten Tag sich selbst die Auferstehung gegeben.
Allerdings können wir sagen, dass die ganze Trinität, die ganze Fülle der Gottheit, bei der Auferweckung tätig war. In Römer 6,4 heißt es, dass Christus „auferweckt worden ist durch die Herrlichkeit des Vaters“. Auch in 1. Petrus 3,18 lesen wir: „Denn auch Christus ist einmal für Sünden gestorben, der Gerechte für die Ungerechten, damit er uns zu Gott führe; zwar getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist.“
Wörtlich heißt es sogar „in dem Geist“, also in der Kraft des Geistes. Er wurde als Mensch getötet, nach dem Fleisch, und lebendig gemacht in der Kraft des Heiligen Geistes. Der Vers fährt fort: „Und in diesem Geist ist er auch hingegangen und hat den Geistern, die im Gefängnis sind, gepredigt.“
Der Heilige Geist hat schon durch Noah gewirkt. In 1. Mose 6 hat er zu den Menschen geredet. Die Zeit bis zur Flut betrug 120 Jahre, und Noah war der Prediger der Gerechtigkeit. Gott sagt in 1. Mose 6: „Mein Geist soll nicht ewig mit dem Menschen rechten, der ja Fleisch ist, und seine Tage seien hundertzwanzig Jahre.“ So hat der Geist Gottes hundertzwanzig Jahre lang durch Noah mit den Menschen geredet.
Christus hat also diesen Menschen gepredigt, die jetzt im Gefängnis sind. Das bedeutet nicht, dass er im Totenreich zu ihnen sprach, sondern dass er damals durch Noah gepredigt hat. Die Verknüpfung wird hier gemacht: Christus ist gestorben nach dem Fleisch, getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht in dem Geist, also in der Kraft des Heiligen Geistes, in welchem er auch hingegangen ist.
So war die ganze Fülle der Gottheit bei der Auferstehung tätig. Der Herr hat das Leben als Sohn Gottes wieder an sich genommen. Der Vater hat ihn durch seine Herrlichkeit auferweckt, und der Geist Gottes hat ihn durch seine Kraft auferweckt. Hier erkennen wir, wie Gott in Einheit handelt, auch wenn es um die Erlösung geht.
Der Vater fasste den Ratschluss der Erlösung, wie es in Epheser 1 heißt. Gott hat Menschen vor Grundlegung der Welt auserwählt. Der Sohn hat diese Erlösung vollbracht, durch die wir Erlösung haben – durch sein Blut. In Hebräer 9,14 steht, dass Christus sich „durch den ewigen Geist geopfert hat“, also in der Kraft des Heiligen Geistes, der ewig ist.
Auch hier ist die ganze Trinität tätig. Wir sehen das ebenso in der Schöpfung. In 1. Korinther 8,6 heißt es: „Alle Dinge kommen von Gott dem Vater und sind erschaffen worden durch unseren Herrn Jesus Christus.“ Das bedeutet, der Vater legte die Pläne und den Ratschluss zur Erschaffung der Welt fest. Der Sohn war der Ausführende in der Schöpfung, wiederum in der Kraft des Heiligen Geistes.
Elihu sagt in Hiob 33,4: „Der Geist Gottes hat mich gemacht, und der Odem des Allmächtigen belebt mich.“ Der Geist Gottes wird hier auch der Odem des Allmächtigen genannt. Im gleichen Zusammenhang heißt es in Psalm 33,6: „Durch das Wort des Herrn sind die Himmel gemacht und all ihr Heer durch den Hauch seines Mundes.“ Das hebräische Wort „Ruach“ bedeutet sowohl Hauch als auch Geist.
Der Heilige Geist war also in seiner Kraft auch bei der Erschaffung der Welt tätig. Das ist ein kleiner Exkurs zu diesem so bedeutsamen Vers, Johannes 10,18.
Diskussion: Tod und Auferstehung Jesu
Ich habe eine Frage. In Apostelgeschichte 3 sagt Petrus zu dem Volk, dass sie den Anfänger des Lebens getötet haben. Das scheint im Widerspruch zu stehen zu der Aussage, dass Jesus ja nicht getötet wurde, sondern sich sein Leben selbst gab.
Doch die Bibel sagt wiederholt, dass er getötet wurde. Auch in 1. Petrus 3 lesen wir, dass er nach dem Fleisch getötet wurde, aber nach dem Geist lebendig gemacht ist. Es sind einfach zwei Seiten derselben Medaille.
Man muss so sagen: Wenn der Herr nicht bereit gewesen wäre, zu sterben, hätten die Menschen ihm nichts anhaben können. Er wäre nie gestorben. Aber der Mensch hat in seiner vollen Verantwortung gehandelt, und der Herr hat auch sein Leben übergeben.
Das sind einfach zwei Seiten der Medaille. Die Wahrheit ist vollkommen die, dass die Menschen ihn ermordet haben. Andererseits hätten sie es nicht tun können, wenn er nicht in diesem gleichen Moment sein Leben hingelegt hätte.
Das nimmt überhaupt nichts von der Verantwortung des Menschen weg, dass sie des Mordes an ihm schuldig geworden sind.
Moment, Hiob 33 – da ist es ein anderes Wort, das quasi den Atem des Allmächtigen meint, aber eben auch den Lebenshauch. Das steht parallel zu Ruach, ja? Ruach El Asadni – also: Der Geist Gottes hat mich gemacht, und dann der Odem des Allmächtigen, das ist ein Nischma.
Dieser Odem bei der Schöpfung ist dann wahrscheinlich das, was du meinst. Du meinst, der Geist Gottes schwebte über dem Wasser?
In der Nase, in der Nase, im Hauche, in der Nase. Ach so, das ist dann auch Nischma.
Ja, in 1. Mose 2 bläst Gott den Odem. Das ist nicht Ruach, sondern in 1. Mose 2, Vers 7, genau Nischma – Nischmat Chayim, also dieser Hauch, der Atem des Lebens.
Interessant ist die Parallele, wie der Geist Gottes eben auch Nischma genannt wird in Hiob. Es ist diese Kraft durch den Geist Gottes, die dem Menschen als Leben eingehaucht worden ist.
Wir machen jetzt Pause bis 20 nach.
Das Fest der Tempelweihe und seine Bedeutung
Nun kommen wir zum zweiten Abschnitt in Johannes 10 ab Vers 22, aber zuvor noch ein kurzer Nachtrag. Am Ende der Rede des Herrn über sich selbst als die Tür der Schafe und als den guten Hirten entsteht unter den führenden Juden ein Zwiespalt. Einige verwerfen ihn vollständig, wie in Vers 20 beschrieben, und halten ihn für dämonisch besessen. Andere hingegen sagen: „Das ist niemals das Reden eines Besessenen. Kann etwa ein Dämon blinde Augen auftun?“ Hier haben wir wieder einen Rückbezug zu dem Wunder in Johannes 9.
Johannes bringt in seinem Evangelium nur acht Wunder, was im Vergleich zu den synoptischen Evangelien recht wenig ist. Doch diese Wunder sind besonders ausgewählt. Das Wunder in Johannes 9 ist ein ausgesprochenes messianisches Zeichen, denn ein Blindgeborener, der geheilt wurde, war etwas völlig Neues. Im Alten Testament hatten Elija und Elisa zwar viele Wunder vollbracht, aber ein Blindgeborener, der geheilt wurde, war bisher unbekannt.
Deshalb hat dieses Wunder großen Eindruck gemacht. Einige sagten, das könne kein falscher Messias sein, denn ein solcher könnte dieses Zeichen nicht vollbringen. Tragisch ist jedoch, dass viele, die meinten, sie seien sehend, in Johannes 10, Vers 6 am Schluss als blind bezeichnet werden. Sie verstanden nicht, was Jesus zu ihnen sagte. Sie waren geistlich blind. Auf der anderen Seite aber konnte Jesus einem Blindgeborenen die Augen öffnen.
Kommen wir nun zu Johannes 10, Vers 22. Wir befinden uns im Dezember 31 nach Christus. Es ist das Fest der Tempelweihe in Jerusalem, und es ist Winter. Was ist das Fest der Tempelweihe? Es ist Chanukka. Chanukka ist das hebräische Wort für Einweihung, also für Tempelweihe.
Wo finden wir dieses Fest im Alten Testament oder seit wann gibt es es? Man könnte vermuten, es existiert seit der Entstehung des Salomonstempels. Doch tatsächlich entstand es erst später. Im zweiten Jahrhundert vor Christus terrorisierten die Syrer unter Antiochus Epiphanes Jerusalem und Israel. Antiochus entweihte den Tempel im Dezember 167 v. Chr. Er ließ ein Schwein schlachten und stellte eine Zeus-Statue mit seinen eigenen Gesichtszügen auf den Altar. Außerdem verbot er die Einhaltung der Gebote der Tora unter Todesstrafe. Das war eine Katastrophe.
Wenn man heute auf der normalen Hauptstraße vom Flughafen nach Jerusalem fährt, sieht man den Wegweiser Modein. Dort sagte sich ein Priester, dass das nicht so bleiben dürfe. Zusammen mit seinen fünf Söhnen begann er einen Aufstand gegen die syrische Besatzungsmacht. Dieser Widerstand wuchs immer weiter, bis die Kämpfer schließlich die Syrer aus dem Land vertrieben und den Tempel in Jerusalem wieder neu einweihten. Das geschah im Dezember 164 v. Chr.
Anschließend wurden die Tempelmauern neu befestigt, was bis Januar 163 v. Chr. dauerte. Dann war der Tempeldienst wieder gesichert. Schon bei der Einweihung im Dezember wurde ein neues Fest eingeführt: Chanukka, das Fest der Tempelweihe. Der Tempel wurde neu Gott geweiht und von dem Gräuel befreit. Den entweihten Altar riss man ab, wusste aber nicht, was man mit den Altarsteinen machen sollte. Deshalb lagerte man sie in einer speziellen Kammer im Tempel. Man wartete darauf, dass ein Prophet auftaucht, der sagt, was mit diesen Steinen geschehen soll, denn es gab keine Propheten mehr. Seit Malachi hatten die Schriftpropheten in Israel aufgehört.
Diese Zeit wird auch als die Zeit der Makkabäer bezeichnet, weil diese Familie den Aufstand führte. Einer der Söhne war Judas Makkabäus, der bekannteste. Über die Tempelweihe wird in den Apokryphen berichtet. So erzählen das erste und zweite Buch der Makkabäer von dieser Zeit. Diese Bücher sind Geschichtsbücher, die nach den Ereignissen verfasst wurden und nicht den Anspruch erheben, Gottes Wort zu sein.
Am Schluss des zweiten Buchs der Makkabäer heißt es: „Es ist nicht lustig, immer Wein zu trinken oder immer Wasser, sondern ab und zu Wein, ab und zu Wasser. So hoffe ich, dass auch mein Buch abwechslungsreich für den Leser ist.“ Diese Aussage entspricht genau dem, was Luther über nützliche Lektüre gesagt hat. Allerdings gilt das nicht für alle Apokryphenbücher. Es gibt auch Märchenbücher, wie zum Beispiel „Der Drache zu Wabel“. Einige Apokryphen sind nützlich zu lesen, andere sind im Prinzip wertlos. Wichtig ist: Keines dieser Bücher erhebt den Anspruch, Gottes Wort zu sein.
Das sollte uns nicht beeindrucken, wenn die katholische Kirche im Konzil von Trient im 16. Jahrhundert im Zuge der Gegenreformation das Dogma aufstellte, dass wer bestreitet, dass diese Bücher Gottes Wort sind, „Anathema“, also verflucht sei. Was wollen sie uns zweitausend Jahre später weismachen? Dass das Gottes Wort sein soll, obwohl es im Judentum nie als solches betrachtet wurde.
Dieses Fest wird im Judentum seitdem jährlich gefeiert. Josephus Flavius, ein Priester aus dem ersten Jahrhundert, der viel Geschichte überlieferte, nennt es das Fest der Lichter. Denn bei diesem Fest wird das Laubhüttenfest noch einmal nachgebildet.
Die sieben Feste des Herrn in 3. Mose 23 reichen vom Passah bis zum Laubhüttenfest und umfassen die Zeit vom Frühjahr bis zum Herbst. Biblische Feste in der Winterzeit, also vom Herbst bis zum Frühjahr, gibt es nicht. Nun wurde im Dezember bei der Tempelweihe ein neues Fest eingeführt, das acht Tage dauert, ähnlich wie das Laubhüttenfest, das sieben Tage dauert und einen zusätzlichen achten Tag hat.
Beim Laubhüttenfest wurden vier große Leuchter im Frauenvorhof angezündet, die über 26 Meter hoch waren. Diese Lichter wurden nachts entzündet, denn sonst fanden die Tempelfeste nur tagsüber statt. Das Laubhüttenfest war nachts mit diesen Lichtern verbunden. Dieses Licht wurde auch beim Tempelweihfest eingeführt. Die Lampen wurden wieder angezündet, man sang täglich das Hallel, die Psalmen 113 bis 118, und man kam mit Palmenwedeln zum Tempel, wie beim Laubhüttenfest.
So ist Chanukka eine Abbildung des Laubhüttenfestes im Winter, in der dunklen Jahreszeit. Das Licht erinnert an die Zeit der Dunkelheit unter der syrischen Gewaltherrschaft, die Gott dann so wendete, dass Israel wieder Licht zuteilwurde.
Es war eine grauenhafte Verfolgungszeit. Daniel hat dies vorausgesagt und auch die Dauer dieser Notzeit beschrieben. In Daniel 8 wird Antiochus Epiphanes als ein Horn beschrieben (Daniel 8). Dort heißt es: „Selbst bist du dem Fürsten des Heeres groß geworden, das Horn, und es nahm ihm das beständige Opfer weg, und die Stätte seines Heiligtums wurde niedergebrochen.“ Antiochus Epiphanes entweihte den Tempel mit dem Schwein und dem Götzenbild, sodass keine Opfer mehr dargebracht werden konnten.
Das beständige Opfer war das Morgen- und Abendbrandopfer: Das erste Opfer war um neun Uhr morgens, das letzte um drei Uhr nachmittags, im Durchschnitt das Abendopfer. Alle anderen Opfer lagen dazwischen. Diese Opfer wurden Gott, dem Fürsten des Heeres, weggenommen. Das beständige Opfer fiel aus, und die Stätte seines Heiligtums wurde entweiht. Das Heer wurde samt dem beständigen Opfer wegen des Frevels dahingegeben.
Viele Juden starben in dieser Zeit, wurden abgeschlachtet. Das hing damit zusammen, dass Israel in dieser Zeit sehr untreu war. Viel Weltlichkeit drang ins Judentum ein, und man öffnete sich der griechischen Kultur. Man war nicht mehr so stur orthodox und bibeltreu, sondern wollte modern sein. Das war eine Zucht Gottes über Israel wegen dieser Öffnung gegenüber Kultur, Heidentum und Weltlichkeit.
Man richtete sogar ein Gymnasium ein, keine Schule, sondern eine Sportanstalt, in der man nackt turnte. Das war ein Skandal im Judentum. Man wollte so sein wie die Griechen, die modernen Leute von damals, nicht mehr so engstirnig wie früher.
In dieser Zeit der Not heißt es, dass das alles „um des Frevels willen“ geschah.
Weiterhin ist zu sagen, dass die Juden zumindest das Liegen beim Essen von den Römern übernommen haben, nicht von den Griechen. Als die Römer ab 63 v. Chr. Besatzungsmacht wurden, wurde diese Sitte übernommen.
Innerhalb von etwa neunzig Jahren, von 63 v. Chr. bis 30 n. Chr., wurde diese Sitte verbreitet. Für das allgemeine Volk war es jedoch nicht üblich, dass man beim Essen lag, außer beim Paschafest. Dort lag man als Zeichen der Freiheit und der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten. Die Reichen und Freien lagen beim Essen, die Armen saßen.
Vor 63 v. Chr. saß man auf Stühlen oder am Boden, also im normalen orientalischen Stil. Das Liegen auf speziellen Matten an sogenannten Triklinien war typisch für die Römer. Dort lagen die Gäste abgestützt auf einen Arm und führten mit der anderen Hand das Essen zum Mund. Das war ein Einfluss der römischen Kultur.
Kommen wir zurück zu Daniel 8, Vers 12: „Und es warf die Wahrheit zu Boden und handelte und hatte Gelingen. Und ich hörte einen Heiligen reden, und ein Heiliger sprach zu jenem, welcher redete: ‚Bis wann geht das Gesicht von dem beständigen Opfer und von dem verbüstenden Frevel, das sowohl das Heiligtum als auch das Heer zur Zertretung hingegeben ist?‘ Und er sprach zu mir: ‚Bis zu zweitausenddreihundert Abende und Morgen, dann wird das Heiligtum gerechtfertigt werden.‘“
Hier wird gefragt, wie lange diese Katastrophe dauert. Die Antwort ist verschlüsselt: 2300 Abende und Morgen, dann wird das Heiligtum gerechtfertigt sein. Das sind nicht 2300 Tage, sondern 2300 Abende und Morgen. Das entspricht 1150 Tagen.
Warum zählen sie Abende und Morgen? Das bezieht sich auf das tägliche Brandopfer, das ausfallen musste. Die 1150 Tage passen wunderbar in den Zeitraum von der Entweihung im Dezember 167 v. Chr. bis zur Befestigung der Tempelmauern im Januar 163 v. Chr. Dann war das Heiligtum gerechtfertigt, also völlig geschützt vor weiterer Verunreinigung.
Das hat nichts mit der Lehre der Siebenten-Tags-Adventisten zu tun, die diese 2300 Abende und Morgen als 2300 Jahre deuten. Sie kommen so auf das Jahr 1844. Dort behauptete ihre falsche Prophetin Ellen White, dass Christus erst im 19. Jahrhundert ins Allerheiligste eingegangen sei und dass er nun die Versöhnung, die er am Kreuz begonnen habe, vollenden würde.
Laut dieser Lehre war das Werk Christi der Versöhnung über alle Jahrhunderte hinweg nicht vollendet. In der Endzeitphase, so die Adventisten, gehe Christus ins Allerheiligste. Dort werde Gott den Christen eine besondere Chance geben, zu erkennen, dass der Sabbat gehalten werden müsse.
Man sei geduldig mit Christen, die das nicht verstehen. Aber wenn sie diese Chance ablehnen, gehen sie verloren. Diese Lehre ist immer noch verbreitet. Die Adventisten können sehr nett sein und Evangelien verteilen, aber letztlich ist diese Geduld vorhanden, um die Erkenntnis über den Sabbat durchzusetzen.
Es ist jedoch Unsinn, denn die 2300 Abende und Morgen haben nichts mit 2300 Jahren zu tun, sondern beziehen sich auf die tatsächliche Zeit der Tempelentweihung und Wiedereinweihung.
Ich habe kürzlich mit einem Adventisten gesprochen, einem jungen Studenten, und ihm gesagt: „Ich habe ein Problem. Christus soll erst im 19. Jahrhundert ins Allerheiligste gegangen sein. Aber in der Bibel steht in Markus 16, dass er auferstanden ist, in den Himmel gefahren ist und sich zur Rechten Gottes gesetzt hat, auf seinen Thron. Der Thron Gottes ist doch im Allerheiligsten. Er ist also schon im ersten Jahrhundert ins Allerheiligste gegangen, nicht erst im 19. Jahrhundert.“
Er war offen, hörte gut zu und hat sich nicht festgelegt. Ich hoffe, dass er das auch weiter bedenkt.
Fragen zur Opferpraxis und Viehzucht im Alten Testament
Ich habe noch eine andere Frage: Wenn ich mir anschaue, wie viele Opfer geleistet wurden, wie konnten sie in diesem relativ kleinen Land so viele Tiere züchten?
Eine Gesellschaft, die Viehzucht betreibt, also ein Bauernvolk mit Ackerbau und Viehzucht, ja. Und Gott hat ja auch Verheißungen für Fruchtbarkeit gegeben. Die stammten alle aus dem Zehnten, vermutlich nicht?
Nein, nicht nur aus dem Zehnten. Es gab verschiedene Abgaben und Vorschriften. Übrigens, wenn man alle Abgaben zusammennimmt – der Zehnte ist ja nur ein Teil davon – kommt man für die bäuerliche, ländliche Gesellschaft auf etwa 40 Abgaben. Da bewegen wir uns schon im Bereich der Steuern, wie wir sie heute in Deutschland kennen.
Sie haben also nicht nur den Zehnten abgegeben, sondern noch mehr. Es gab auch freimütige Opfer und so weiter, bei denen man zusätzlich zu dem, was man abgeben musste, bewusst von seinem Vieh Gott gab – und zwar vom Besten.
Ja, aber Gott hat sie dann auch gesegnet.
Kommen wir jetzt zurück zu Daniel 8. Dort haben wir also diese Zeit und die Einweihung des Tempels, wie sie in der Prophetie vorgegeben war. Man hat dieses Fest dann jährlich gefeiert und feiert es auch heute noch im ganzen Weltjudentum, immer im Dezember.
Eindrücklich ist, dass der Herr dieses Fest offensichtlich anerkannt hat. Denn er ging auch zum Tempelweihfest nach Jerusalem, wie in Johannes 10,22 beschrieben. Dort wandelte er in der Säulenhalle Salomons. Welche Halle ist das?
Das ist die östliche Halle, die einzige Mauerlinie im Tempelbezirk, die seit Salomon nie verändert wurde. In der Zeit von König Herodes haben die Juden den Tempel nach Süden, Westen und besonders nach Norden erweitert. Die Ostlinie blieb unverändert, weil es dort steil ins Kidrontal hinuntergeht. Der Name Säulenhalle Salomons passt also gut für die Osthalle.
Dort war der Herr, und die führenden Juden wollten ihn umbringen und forderten ihn heraus zu sagen, ob er der Messias sei oder nicht.
Und da erklärt er ihnen in Vers 25: Jesus antwortete ihnen: „Ich habe es euch gesagt, und ihr glaubt nicht. Die Werke, die ich tue im Namen meines Vaters, dienen als Zeugnis für mich.“
Ja, dann müssen wir wieder den Rückbezug machen, unter anderem auf das Werk der Heilung – sie sind blind geworden – aber auch auf all die anderen Zeichen. Er hat die messianischen Zeichen vollbracht, und sie müssten eigentlich wissen, dass er der Messias ist.
Weiter sagt er: „Aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen.“ Das ist das Entscheidende. Wir haben gesehen, wie seine Schafe in Israel nicht durch falsche Messiasse verführt wurden. Doch die Schafe in diesem Schafhof Israel, die ihn nicht kennen, können ihn auch nicht erkennen. Denn die, die nicht zu seinen Schafen gehören, können ihn auch nicht erkennen.
„Ihr seid nicht von meinen Schafen.“
Dann wird der Gegensatz gezeigt: „Meine Schafe hören meine Stimme, ich kenne sie, und sie folgen mir. Ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden niemals umkommen. Niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“
Hier gibt der Herr seinen Nachfolgern Heil, Sicherheit und Heilsgewissheit. Seine Schafe sind diejenigen, die ihn als Messias erkennen und dieses Leben im Überfluss erhalten, wie in Johannes 10,11 beschrieben. Sie haben die Zusage, dass der Herr ihnen ewiges Leben gibt und sie ewig nicht verloren gehen.
Du hast Luther gelesen, oder?
Ja.
Ja, „kommen nicht um“ ist noch stärker, wenn man es übersetzt mit „nicht verloren gehen, nicht verloren in Ewigkeit“. Im Griechischen wird das „nicht“ besonders betont. Das Wort „nicht“ kann man im Griechischen betonen, indem zwei verschiedene Wörter, die „nicht“ bedeuten, nacheinander folgen.
Ja, aber zwei verschiedene Wörter sind das. Darum hat die alte Elberfelder Bibel das durch Fettdruck hervorgehoben, und das zu Recht. „Ou me ou apollontai“ heißt „nicht und nicht verloren gehen“. Man muss also lesen: „Und sie gehen nicht verloren in Ewigkeit, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben.“
Dann gibt es noch eine weitere Garantie: „Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus der Hand des Vaters reißen.“
Jawohl, also der Sohn Gottes ist die Garantie (Vers 28), und der Vater ist die Garantie.
Und dann kommt Vers 30: „Ich und der Vater sind eins.“
Im Griechischen kann man Zahlwörter nach Geschlecht unterscheiden – männlich, weiblich, sächlich. Was ist es hier wohl?
Sächlich.
Männlich?
Sächlich, ja.
Warum nicht männlich?
Ja, eben. Gott wird zwar als „der Gott“ bezeichnet, aber Gott hat kein Geschlecht im eigentlichen Sinne.
Gut, aber sonst wird ja immer männlich über Gott gesprochen – der Vater, nicht die Mutter. Es gibt keine sächliche Form, oder? Es gibt nur Vater und Mutter, was soll es sonst geben?
Gut, aber es könnte ja männlich sein. Der Herr ist der Sohn Gottes, nicht die Tochter Gottes – zum Ärgernis der Feministen. Und das ist und bleibt so.
In der reformierten oder evangelischen Kirche betet man heute „Vater und Mutter unser“, was widerlich, abscheulich und gotteslästerlich ist. Aber hier steht: „Ich und der Vater sind eins“ – sächlich.
Wenn es männlich wäre, würde das bedeuten, dass der Vater und der Sohn dieselbe Person sind. Das wäre eine Irrlehre.
Der Vater ist nicht dieselbe Person wie der Sohn. Der Sohn ist nicht der Vater. Der Vater ist nicht der Sohn. Der Sohn ist nicht der Heilige Geist. Der Heilige Geist ist nicht der Vater.
Die Bibel unterscheidet ganz klar drei Personen. Der Vater wird Gott genannt, der ewige Gott. Der Sohn wird auch Gott genannt, der ewige Gott. Der Heilige Geist wird ebenfalls Gott genannt.
Petrus sagt zu Ananias in Apostelgeschichte 5: „Du hast nicht Menschen belogen, sondern Gott.“
Wir haben heute auch Hebräer 9,14 gelesen: „Der ewige Geist, ohne Anfang und ohne Ende.“ Das entspricht Jahwe, dem Ewigen.
Trotzdem sagt die Bibel, es gibt nur einen Gott, nur einen Jahwe. Aber in Jahwe sind drei Personen unterschieden. Darum sagt der Herr: „Ich und der Vater sind eins.“
Das hat Tertullian, ein Rechtsanwalt um 200 nach Christus, sehr schön formuliert. Er sagte: „Gott ist Unum, non unus.“ Unum ist sächlich, Gott ist eins, nicht einer.
Er prägte den Begriff der Trinitas, der Dreieinheit. Das ist kein Wort aus der Bibel. Er hat viele Begriffe im Lateinischen geprägt – wohl mehrere hundert –, die biblische Tatsachen beschreiben.
Es geht also nicht darum, für das Wort „Dreieinheit“ oder „Trinitas“ zu kämpfen, sondern um die Wahrheit.
Also: „Ich und der Vater sind eins.“
Fragen zur Trinitätslehre und zur Unterordnung Christi
Wie ist es dann im Schma Jisrael? Dort heißt es: Adonai Echad. Echad ist eine zusammengesetzte Einheit. Dinge, die zusammengesetzt sind, werden mit Echad bezeichnet. Wenn man etwas als eine absolute und unteilbare Einheit bezeichnen will, verwendet man im Hebräischen ein anderes Wort.
Echad bedeutet zum Beispiel der erste Schöpfungstag, Yom Echad, ein Tag. Ein Tag ist zusammengesetzt, es war Abend und es war Morgen. Diese zusammengesetzte Einheit lässt sich immer wieder zeigen. So ist auch Adonai Echad ein Gott, aber in diesem Gott sind drei Personen. Das beschreibt der Kolosserbrief als die Fülle der Gottheit (Kolosser 2,8).
Ich habe noch eine Frage, denn ich habe Schwierigkeiten mit der Aussage „Ich und der Vater sind eins“ oder umgekehrt. Besonders mit einer Stelle im 1. Korintherbrief, Kapitel 15, Vers 28. Dort spricht Paulus davon, dass Jesus nach seiner tausendjährigen Herrschaft alles Gott zu Füßen legen wird – auch sich selbst. Lesen wir den Vers:
„Wenn aber alles ihm untertan sein wird, dann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott sei alles in allem“ (1. Korinther 15,28).
Es ist so, dass der Herr Jesus Gott und Mensch in einer Person ist. Als Mensch ist er Gott unterworfen und unterwirft sich auch Gott. Darum heißt es in 1. Korinther 11, dass Gott das Haupt Christi ist, Christus das Haupt des Mannes und der Mann das Haupt der Frau. Hier geht es um Christus als Mensch.
In diesem Sinn sagte auch der Herr Jesus im Johannes-Evangelium: „Der Vater ist größer als ich.“ Dabei geht es um seine Menschheit, denn als Mensch hat er sich erniedrigt und die Stellung eines Knechtes angenommen.
Hier geht es darum, dass der Mensch Jesus im tausendjährigen Reich in Jerusalem regieren wird. Er wird als der Sohn des Menschen auf den Wolken des Himmels zurückkehren, tausend Jahre regieren und alles sich unterwerfen. Am Ende des tausendjährigen Reiches wird er als Mensch dieses ganze Reich Gott, dem Vater, übergeben und sich ihm selbst unterwerfen.
Das ändert jedoch nichts daran, dass er als Gott nie dem Vater unterworfen ist. Der Sohn, der Vater und der Heilige Geist sind absolut gleich. Deshalb schreibt Paulus in Philipper 2,5, dass Christus es nicht für einen Raub gehalten hat, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst erniedrigte.
Oder in Sacharja 13,7 heißt es: „Schwert, erwache gegen meinen Hirten, gegen den Mann, der mein Genosse ist.“ Das Wort „Genosse“ (hebräisch Amitie) bedeutet „der mir Gleichgestellte“. An verschiedenen Stellen muss man unterscheiden, wann es um die Gottheit des Sohnes und wann um seine Menschheit geht. In seiner Gottheit ist er dem Vater gleich, in seiner Menschheit ist er dem Vater unterworfen.
Man kann nicht sagen, der Sohn Gottes nennt sich ja doch Sohn Gottes. Ist nicht allein die Tatsache, dass er sich Sohn Gottes nennt, ein Zeichen dafür, dass er sich freiwillig oder wie auch immer dem Vater unterwirft, auch als Gott? Nein.
In Johannes 5,18 lesen wir: Die Juden suchten noch mehr, ihn zu töten, weil er nicht nur den Sabbat brach, sondern auch Gott seinen eigenen Vater nannte und sich so selbst Gott gleichmachte.
Im Judentum nennt man Gott nicht „Awi mein Vater“, sondern man sagt immer „Awi nun unser Vater“, um alle einzuschließen. Deshalb stießen sie sich daran, dass er „Awi mein Vater“ sagte. Für sie war klar, wenn er so spricht und eine solche einzigartige Stellung als Sohn Gottes einnimmt, macht er sich Gott gleich.
Interessant ist, wie es weitergeht. Jesus antwortet in Vers 19:
„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich selbst tun, außer was er den Vater tun sieht. Denn was der Vater tut, das tut ebenso auch der Sohn.“
Sie werfen ihm vor, er mache sich Gott gleich, und gleich darauf sagt er, dass der Sohn nichts von sich selbst tun kann. Damit zeigt er sich als Mensch auf dieser Erde, der in allem völlig vom Vater abhängig ist.
Das ist das Wunder: Er ist Gott und Mensch in einer Person, was absolut einzigartig ist.
An dieser Stelle heißt es weiter: Wer den Sohn ehrt, ehrt den Vater; wer den Sohn nicht ehrt, ehrt den Vater nicht (Johannes 5,23). Hier geht es wieder um seine Gottheit, die denselben Anspruch wie der Vater hat.
Diese beiden Aspekte, Gottheit und Menschheit, gehen ineinander über, weil sie nicht zu trennen sind. Es sind nicht zwei Personen, sondern eine Person.
Darum sagt Johannes 3,13, im nächtlichen Gespräch mit Nikodemus in Jerusalem: „Niemand ist in den Himmel hinaufgefahren, außer dem, der vom Himmel herabgekommen ist, dem Sohn des Menschen, der im Himmel ist.“
Wer war da in Jerusalem? Natürlich Jesus. Ist Gott allgegenwärtig? Ja, natürlich. Aber er sagt nicht „Sohn Gottes“, sondern „Sohn des Menschen, der im Himmel ist“. Er benutzt gerade diesen Ausdruck, um seine Menschheit zu betonen und bringt sie in Verbindung mit seiner Allgegenwart, die er als Gott hat.
Das zeigt die Einheit von Gott und Mensch in einer Person. Das ist etwas ganz Wunderbares.
Die Reaktion der Juden auf die Aussage Jesu
Jetzt noch ganz kurz, damit wir das Kapitel doch noch abschließen können.
Die Juden haben verstanden, was das bedeutet. Sie hoben Steine auf, um ihn zu steinigen. Dann sagt der Herr: Ja, ich habe viele gute Werke getan, warum wollt ihr mich steinigen? Nicht wegen der Werke, sondern wegen dessen, was du gesagt hast, das ist Lästerung.
Er sagt, sie haben es verstanden – viele Leute heute verstehen das nicht. Sie haben es verstanden, Vers 33: „Weil du, der du ein Mensch bist, dich selbst zu Gott machst.“ Sie haben also verstanden, was es heißt: „Ich und der Vater sind eins.“ Dabei betrachtet er sich als Mensch und Gott als Gott.
Der Herr sagt dann: Ja, in eurer eigenen Bibel steht es. Gott spricht in Psalm 82, Vers 6, die Richter Israels an und nennt sie „Ihr seid Elohim“, also Götter. Auch im Alten Testament, im zweiten Buch Mose, werden die Richter wiederholt Elohim genannt. Götter, und zwar, weil sie als Richter hier auf Erden Gottes Gerechtigkeit vertreten müssen.
Sie haben also eine Vertretungsfunktion, und darum werden sie in Psalm 82 Götter genannt. Der Herr sagt: Wenn er jene Götter nannte, zu welchen das Wort Gottes geschah, und die Schrift nicht gebrochen werden kann, sagt ihr von dem, welchen der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat, dass er lästert, weil ich sagte: Ich bin Gottes Sohn.
Also, wenn schon bei Richtern der Ausdruck Elohim verwendet werden kann, wie viel mehr darf derjenige, der wirklich vom Vater in die Welt gesandt worden ist, sich als Sohn Gottes bezeichnen? Das ist die Argumentation.
Und das alles geschieht in der Säulenhalle Salomos. Salomo war der oberste Richter Israels, bekannt für sein weises Urteil, wie er Gott und Gottes Gerechtigkeit vertrat – man denke an den Prozess mit den beiden Frauen, die mit dem toten Kind kamen.
Wenn schon diese Richter den Titel Elohim tragen dürfen, dann erst recht der, der vom Vater in die Welt gesandt worden ist, darf sich Sohn Gottes nennen.
Die geistliche Bedeutung des Tempelweihfestes und die frühe Gemeinde
Was ich noch ergänzen möchte, ist der Zusammenhang mit dem Tempelweihfest.
Dieses Fest erinnert einerseits an die dunkle Notzeit in der Makkabäerzeit, in der Gott sein Volk trotz aller Schwierigkeiten durchgetragen und zum Licht geführt hat. Genau in diesem Zusammenhang müssen wir die Verheißung in Vers 27 sehen: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir. Ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen nicht verloren, ewiglich, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben.“
Gläubige können durch Dunkelheit und Not gehen, in denen man sich fragt, wie es weitergeht, ähnlich wie in Daniel 8. Doch Gott zählt jeden Morgen und jeden Abend. Die Not konnte nicht länger dauern, als Gott vorhergesehen hatte – 2300 Abende und Morgen, dann wird die Gerechtigkeit offenbar werden. So sind das Ermutigungsworte für die Erlösten, die durch die Not des Lebens hindurchgehen, aber am Ende zum Licht geführt werden. Das ist die geistliche Bedeutung des Tempelweihfestes.
Später, in Apostelgeschichte 5, finden wir nach Pfingsten die Gemeinde versammelt im Tempel, und zwar in welcher Halle? In der Säulenhalle, der sogenannten Salomonshalle. Dort hat das Christentum begonnen. Diese Halle war über 52 Meter lang und hatte eine Zedernholzdecke. Die Christen konnten sich dort täglich kostenlos im Namen Jesu versammeln.
In gewisser Weise klangen die Worte des Erlösers in dieser Halle noch nach: „Meine Schafe hören meine Stimme, ich kenne sie, sie folgen mir, ich gebe ihnen ewiges Leben, sie gehen nicht verloren, ewiglich, niemand wird sie aus meiner Hand rauben.“ Das war der Ort, an dem sich die Christen einmütig versammelten.
Was bedeutet eigentlich Salomo, Schlomo? Es heißt „der Friedliegende“, „der Friedliche“ oder „Mann des Friedens“. Schlomo hängt zusammen mit Schalom, was Frieden bedeutet. In der Friedenshalle kamen sie zusammen, und sie waren gekennzeichnet durch Einmütigkeit und Frieden – das ist das Kennzeichen des Volkes Gottes.
Aber meine Frage ist: Wie konnten die Pharisäer zulassen, dass die Christen sich im Tempel versammelten? Das widersprach doch deutlich ihren Grundsätzen. Natürlich hatten sie dann auch Probleme mit dieser Verkündigung, besonders mit der Botschaft von der Auferstehung.
Darum lesen wir in Apostelgeschichte 4, wie die Sadduzäer versuchten, die Apostel zu verhaften. Sie geboten ihnen, nicht mehr über die Auferstehung zu reden, denn in ihrer Theologie gab es keine Auferstehung. „Ihr dürft das nicht“, sagten sie. Doch die Apostel antworteten: „Ob es recht ist, vor Gott auf euch mehr zu hören als auf Gott, das müsst ihr selbst beurteilen.“
Die Gegner versuchten also, die Christen mundtot zu machen. Doch es gab verschiedene Faktoren, die sie einschränkten. Das Volk hatte Respekt vor dieser großen Gruppe, und allein am Pfingsten kamen 3000 Menschen zum Glauben.
Wenn man bedenkt, dass die Pharisäer damals eine populäre Bewegung im Judentum waren und sieben Mitglieder hatten, dann ist es beeindruckend, dass am Pfingsten allein 3000 Menschen zum Glauben kamen. In kürzester Zeit wuchs die Zahl der Männer auf 5000 (Apostelgeschichte 5). Man muss sich vorstellen, was das bedeutete.
Josephus Flavius sagt über die Sadduzäer, ihre Zahl sei gering gewesen. Wenn er von siebentausend Pharisäern spricht und die Sadduzäer als zahlenmäßig gering beschreibt, dann waren diese wirklich nicht groß in der Anzahl. Es war eine elitäre Bewegung, die vor allem aus Reichen bestand.
Diese Bewegung bestand zu Beginn aus Juden, und sie mussten von den anderen Juden akzeptiert werden, auch wenn sie nun in eine andere Richtung gingen. Deshalb mussten sie im Prinzip auch gewährt werden. Doch die Eifersucht war gewaltig, denn die Christen wuchsen so stark, während die Sadduzäer eine kleine, elitäre Gruppe blieben.
Dieser Zusammenhang ist wichtig: Die Säulenhalle Salomos – der Herr gibt Heilssicherheit und Heilsgewissheit. In dieser Halle versammelten sich einmütig die ersten Christen. Darum sollte auch das Volk Gottes heute gekennzeichnet sein durch Heilssicherheit, Heilsgewissheit und Gehorsam: „Meine Schafe hören meine Stimme, und sie folgen mir“, sowie durch Frieden.
