Einführung in die vier Evangelien und ihre Bedeutung
Ich möchte alle ganz herzlich zu diesem Bibelstudientag begrüßen. Heute Morgen werden wir gemeinsam das Markus-Evangelium in einer Übersicht betrachten.
Im Neuen Testament gibt es vier Evangelien. Viele fragen sich, warum es nicht nur eines, sondern gleich vier gibt. Diese Frage habe ich in einem früheren Bibelstudientag ausführlich behandelt. Den Vortrag dazu findet man noch unter dem Titel „Einführung in die vier Evangelien“. Dort habe ich erklärt, dass die Evangelien den Höhepunkt der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen darstellen.
Es geht darum, dass Gott als Mensch in diese Welt gekommen ist und schließlich das Erlösungswerk auf Golgatha vollendet hat. Er ist als Sieger über Sünde, Tod und Teufel erschienen. Gott wollte uns zu diesem Höhepunkt der Heilsgeschichte nicht nur ein Zeugnis geben, sondern ein besonders glaubwürdiges Zeugnis.
Nach 5. Mose 19,15 musste ein glaubwürdiges Zeugnis vor Gericht in Israel aus mindestens zwei Zeugen bestehen. Nun haben wir nicht nur zwei Evangelien, sondern sogar zweimal zwei Evangelien – ein ganz besonders glaubwürdiges Zeugnis über diesen Höhepunkt der Heilsgeschichte.
Jedes Evangelium stellt Jesus Christus mit einem anderen Akzent vor. Das Matthäusevangelium zeigt, dass Jesus Christus der König ist. Im Gegensatz dazu betont das Markus-Evangelium, dass Jesus Christus der Knecht ist. Das dritte Evangelium, Lukas, hebt hervor, dass Jesus Christus ein richtiger Mensch ist – vollkommen, aber dennoch ein Mensch. Das Johannesevangelium zeigt den Kontrast dazu und betont, dass Jesus Christus der ewige Gott ist.
So sehen wir eine Zweiergruppierung: Matthäus und Markus – König und Knecht; Lukas und Johannes – Mensch und Gott.
Damals, bei dem Bibelstudientag „Einführung in die Evangelien“, habe ich dies am Text auch mit vielen statistischen Wortuntersuchungen gezeigt. So wird deutlich, warum Matthäus den König hervorhebt und Markus den Knecht.
Heute wollen wir unser Augenmerk besonders auf das Markus-Evangelium richten, und zwar in seinem linearen Verlauf. Wie hat Markus die einzelnen Erzählungen und Geschichten aneinandergereiht? In jedem Evangelium geschieht dies ganz unterschiedlich, und das hat eine Bedeutung.
In den Evangelien finden wir nicht viele Kommentare. Doch der Kommentar, wie man das verstehen muss, ergibt sich aus der Aneinanderreihung der Geschichten. Es ist wichtig, die Evangelien so zu lesen – in ihrem Verlauf und Gedankenfluss. Dadurch wird man einen großen Gewinn haben.
Besonderheiten und Charakteristika des Markus Evangeliums
Sonst könnte man denken: Statistisch sieht das folgendermaßen aus. Das Matthäusevangelium hat 1068 Verse, Lukas 1149 und Johannes 879. Das Markusevangelium hingegen hat nur 666 Verse.
Von diesen 666 Versen finden 606 eine Parallele im Matthäusevangelium. 350 Verse haben eine Parallele im Lukasevangelium. Das bedeutet, es gibt nur 31 Verse, die absolut keine Parallelen haben.
Viele denken dann: „Ich lese lieber Matthäus und Lukas, warum sollte ich das Markusevangelium lesen?“ Aber damit hat man den Sinn nicht verstanden. Obwohl vieles auch in Matthäus und Lukas zu finden ist, ist die Anordnung im Markusevangelium anders. Man muss auch auf die Unterschiede in den Geschichten selbst achten. Gerade dort wird die besondere Botschaft deutlich: Jesus Christus ist der Knecht.
Ein typisches Wort für das Markusevangelium ist das Wort „und“. Auf Griechisch heißt es „kai“ und es kommt in diesen 666 Versen etwa 1100 Mal vor. Das ist beeindruckend, denn statistisch gesehen gibt es unter allen Büchern des Neuen Testaments kein Buch, das prozentual so oft das Wort „und“ verwendet wie das Markusevangelium. Es ist also mit Abstand am dichtesten darin.
In diesem Evangelium geht es darum zu zeigen, dass der Herr Jesus der unermüdliche Diener ist. Er ist gekommen, hat seinen Dienst bis zum Schluss durchgezogen, bis zum Tod am Kreuz, und ist schließlich als Sieger auferstanden. Diese Botschaft kommt sprachlich genau in diesem „und“ so deutlich zum Ausdruck. Wenn man das Evangelium liest, kann man zwischendurch mal das „und“ überbetonen. Dann merkt man: „und und und und und“ – das ist der unermüdliche Diener.
Ein zweites Wort, das sehr charakteristisch ist und das ich noch erwähnen möchte, ist „euthäus“ – auf Deutsch „alsbald“ oder „sogleich“. Auch dieses Wort charakterisiert das Evangelium und zeigt den Herrn Jesus, der nicht nur unermüdlich ist, sondern auch mit sofortiger Bereitschaft von Dienst zu Dienst fortschreitet.
Wichtig ist auch, was im Markusevangelium nicht steht. Das königliche Geschlechtsregister, das in Matthäus 1 gerade am Anfang vorgestellt wird, wird weggelassen, weil es nicht zum Thema passt – der Knecht. Wenn jemand dient, ist es nicht so wichtig, eine adlige Abstammung zu haben. Darum wird das auch nicht erwähnt.
Auch die Geburtsgeschichte, die in Lukas ausführlich beschrieben wird und die Menschheit des Herrn Jesus betont, fehlt völlig. Stattdessen beginnt das Markusevangelium gleich in Kapitel 1 mit dem Dienst des Herrn Jesus.
Nicht nur das, was im Markusevangelium steht, ist von Bedeutung, sondern auch das, was nicht steht – im Kontrast zu den anderen Evangelien – und die besondere Anordnung, die in jedem Evangelium anders ist.
Noch etwas fällt auf: Im Matthäusevangelium spricht der Herr Jesus in 60 Prozent der Bibelverse. In Lukas sind es 50 Prozent, ebenso in Johannes. Im Markusevangelium ist es objektiv gesehen am wenigsten – nur 42 Prozent. Das zeigt, dass der Akzent auf die Taten gelegt wird. Der Diener, der dient, steht besonders im Vordergrund. Die Worte sind ebenfalls wichtig, aber noch stärker wird der Fokus auf die Taten gelegt.
Bezug zum Alten Testament und Beginn des Markus Evangeliums
Und dann noch ein wichtiger Hinweis als Einführung: Wo wird im Alten Testament der Messias in ganz besonderer Weise als der kommende Knecht des Herrn angekündigt?
Das ist im Propheten Jesaja, in den Kapiteln 40 bis 66. Hier liegt der Akzent auf der Gnade Gottes, im Gegensatz zu den Kapiteln 1 bis 39, in denen der Schwerpunkt mehr auf dem Gericht und der Gerechtigkeit Gottes liegt. In diesem Teil über die Gnade Gottes finden wir fünf Gottesknechtgedichte. Manchmal wird gesagt, Gottesknechtlieder. In der theologischen Literatur wird das häufig so genannt, aber das ist eigentlich falsch. Es sind ja nicht speziell Lieder, sondern Gedichte.
Die fünf Gottesknechtgedichte finden sich in Jesaja 42, 49, 50, 53 und 61. Sie haben einen ganz besonderen Bezug zum Markus-Evangelium, was wir gleich zu Beginn sehen werden.
Kein Evangelium beginnt so wie das Markus-Evangelium: „Anfang des Evangeliums Jesu Christi, des Sohnes Gottes, wie geschrieben steht im Propheten Jesaja: Siehe, ich sende meinen Boten vor deinem Angesicht her, der deinen Weg bereiten wird. Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht gerade seine Steige.“
Hier steht: „Anfang des Evangeliums Jesu Christi, des Sohnes Gottes.“ Was soll das bedeuten? Wir haben es ja hier mit vier Evangelien am Anfang des Neuen Testaments zu tun. Markus schreibt: „Anfang des Evangeliums Jesu Christi.“ Das bedeutet nicht, dass hier das Evangelium – das Buch – beginnt. Das weiß ja jeder Leser. Vielmehr heißt „Anfang des Evangeliums Jesu Christi“, dass hier beschrieben wird, wie Jesus Christus gekommen ist, um die frohe Botschaft zu verkündigen.
Und da müssen wir gleich den Bezug sehen zu Jesaja 61, dem fünften Gottesknechtgedicht, wo es in Vers 1 heißt: „Der Geist des Herrn, des Ewigen, ist auf mir, weil der Herr mich gesalbt hat, um dem Sanftmütigen frohe Botschaft zu bringen.“
Auf Hebräisch heißt „frohe Botschaft verkündigen“ „levaser“. Das Hauptwort „bessorah“ ist das hebräische Wort für Evangelium. Also hat er den Auftrag, das Evangelium den Sanftmütigen zu bringen, weil er gesandt ist, um die gebrochenen Herzen zu verbinden, Freiheit auszurufen den Gefangenen und Öffnung des Kerkers den Gebundenen.
Er soll ausrufen: „Das Jahr der Annehmung des Herrn und den Tag der Rache unseres Gottes“ und alle Trauernden trösten. Den trauernden Zion soll er aufs Haupt einen Kopfschmuck statt Asche geben, Freudenöl statt Trauer, ein Ruhmesgewand statt eines verzagten Geistes. Damit sie genannt werden: „die Erbindung der Gerechtigkeit“, eine Pflanzung des Herrn zu seiner Verherrlichung.
Das Markus-Evangelium erzählt also nicht von der Geburt Jesu, wie Lukas und Matthäus, sondern beginnt gleich mit der Verkündigung der frohen Botschaft. Dabei wird auf die Propheten verwiesen.
Textvarianten und Handschriftenlage zu Beginn des Markus Evangeliums
Übrigens, im Mehrheitstext – das ist also der Text, der durch die überwältigende Mehrheit der griechischen Handschriften gestützt wird – steht hier folgendes: „Anfang des Evangeliums Jesu Christi, Sohnes Gottes, wie geschrieben steht in den Propheten.“
Nicht wahr? In Jesaja, den Propheten? Denn zuerst kommt hier sowieso ein Zitat aus Maleachi, und erst danach eines aus Jesaja. Aber die Mehrheit der Handschriften bezeugt „in den Propheten“. Dann wird Maleachi 3,1 erwähnt, diese Prophetie auf Johannes den Täufer hin, und anschließend die Stelle aus Jesaja 40,3, ebenfalls eine Prophetie auf Johannes den Täufer.
Im 19. Jahrhundert hat man plötzlich ältere Handschriften entdeckt, und im 20. Jahrhundert noch mehr, als man bisher kannte. Daraufhin haben verschiedene Gelehrte gesagt: „Ja, jetzt haben wir den richtigen Text gefunden.“ Das, was wir früher hatten, sei nicht das Optimale. Deshalb plädiert man heute allgemein für den Nestle-Aland-Text.
Dieser stützt sich jedoch auf eine Minderheit von Handschriften. Das, was man früher immer kannte, war eigentlich der Mehrheitstext. Den hat man dann so abgetan. Schon Westcott und Hort haben gesagt: „Es ist eben so, diese Handschriften haben zwar eine Einheit, eine ganz unglaubliche Einheit, aber die ist so entstanden: Im vierten Jahrhundert habe die Kirche eine Revision durchgeführt, eine Rezension des Bibeltextes, und von dort sei dann dieser einheitliche Text entstanden.“
Aber wir müssten uns auf den früheren Text vor der Rezension stützen. Das Problem ist: Wir sind heute weit über hundert Jahre nach Westcott und Hort, und in der Forschung ist man sich heute einig, dass eine solche Rezension im vierten Jahrhundert nie stattgefunden hat. Das ist ein kirchengeschichtliches Märchen.
Jetzt dreht sich natürlich der Spieß um. Trotz der Tatsache, dass es keine Revision, keine Rezension gegeben hat, finden wir eine solche Einheit in 90 Prozent der Handschriften – und es geht immerhin um fünf Handschriften.
Woher kommt diese Einheit? Ganz einfach: Sie geht zurück auf den ursprünglichen Text. Tatsächlich findet man die Besonderheiten des Mehrheitstextes auch in den älteren Handschriften. Sie sind also nicht erst ab dem vierten Jahrhundert entstanden.
Manche Gelehrte sagen heute: „Man muss sich das eben so vorstellen, dass es zwar keine Rezension gab, aber mit der Zeit eine Entwicklung, ein Prozess stattfand, der immer mehr zu einer Vereinheitlichung führte.“
Ich kann verstehen, wenn das jemand sagt, der nichts von Mathematik versteht. Denn statistisch – und Statistik ist ja ein Bereich der Mathematik – ist es völlig unmöglich, dass durch weiteres Abschreiben mit der Zeit eine Einheit entsteht. Statistisch gibt es immer mehr Abweichungen, und die Handschriften gehen statistisch immer weiter auseinander. Es ist gar nicht möglich, dass sie sich langsam in einem Prozess zusammenfinden. Das widerspricht jeglicher Grundlage der Mathematik.
Woher kommt dann diese Einheit? Eben, weil sie auf den Urtext zurückgeht.
Das war nur ein kleiner Exkurs, denn das ist ja nicht unser Thema, auch wenn es gerade hier am Anfang vorkommt.
Es ist nicht so, dass Markus nicht wüsste, dass Maleachi 3,1 nicht in Jesaja steht. Vielmehr sagt er: „Wie geschrieben steht in den Propheten: ‚Siehe, ich sende meinen Boten vor deinem Angesicht her, der deinen Weg bereiten wird. Die Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht gerade seine Steige.‘“
Und das ist nun ganz besonders interessant: Hier wird klargemacht, wer dieser Knecht ist, der da kommt. Das ist der Herr, der den Weg des Herrn bereitet. Im hebräischen Text steht „Jahwe“, der Ewige.
Also wird hier gleich von Anfang an deutlich gemacht, wenn wir im Markusevangelium diesen demütigen, erniedrigten Knecht sehen, dass wir nie vergessen dürfen: Dieser Knecht ist der ewige Gott, der gekommen ist, um zu dienen.
Beginn des öffentlichen Dienstes Jesu und Berufung der Jünger
Ab Vers 4 finden wir die Erfüllung dessen, was zuvor angekündigt wurde. Es wird beschrieben, wie Johannes der Täufer auftritt und auf Jesus Christus als den Messias Israels hinweist. Dabei bringt er ganz Judäa in Bewegung.
Besonders auffällig ist Vers 7. Dort sagt Johannes: „Es kommt der, der stärker ist als ich, nach mir, dessen ich nicht würdig bin, gebückt den Riemen seiner Sandalen aufzulösen.“ Diese Formulierung steht nur im Markus-Evangelium. In den parallelen Berichten der anderen drei Evangelien fehlt das Wort „gebückt“. Johannes betont also, dass er nicht einmal würdig ist, gebückt die Riemen der Sandalen dieses Stärkeren zu lösen.
Damit wird klargemacht, dass dieser Knecht so erhaben ist, dass selbst der größte aller Propheten des Alten Testaments – Johannes der Täufer – nicht würdig ist, ihm in dieser Weise zu dienen. Der Herr Jesus wird hier als ein so erhabener Knecht dargestellt, dass Johannes nicht einmal gebückt die Riemen seiner Sandalen öffnen darf.
In Vers 9 sehen wir dann, wie Jesus von Nazareth kommt und von Johannes getauft wird. Danach kommt der Heilige Geist wie eine Taube auf ihn herab. Es geht hier um den Knecht, von dem in Jesaja 61, Vers 1 gesprochen wird: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, frohe Botschaft zu verkündigen.“ Das ist die Erfüllung dieser Verheißung.
Gott öffnet den Himmel und sagt: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“ Diese Szene steht im Zusammenhang mit dem ersten Gottesknechtgedicht in Jesaja 42, das so beginnt: „Siehe, mein Knecht, den ich stütze, meinen Auserwählten, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt; er wird den Nationen das Recht kundtun.“
Nachdem in Jesaja 40 von der Stimme in der Wüste gesprochen wird, wird nun in Kapitel 42 der Knecht eingeführt. Gott nennt ihn seinen Auserwählten, an dem seine Seele Wohlgefallen hat. Hier sehen wir die Erfüllung: Der Himmel öffnet sich, und die Menschen können die Stimme Gottes hören: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“
In Vers 12 heißt es weiter: „Und alsbald treibt der Geist ihn hinaus in die Wüste.“ Bevor Jesus seinen öffentlichen Dienst beginnt, wird er in der Wüste getestet und vom Satan versucht. Dies geschieht, damit alle sehen können, dass er der vollkommene Diener ist, der nie gesündigt hat und dem Teufel niemals zur Sünde verführt werden konnte.
Es fällt auf, dass der Herr nach der Taufe sofort, „alsbald“, zum nächsten Punkt in Gottes Plan übergeht, um dann seinen Dienst zu beginnen.
In Vers 14 heißt es: „Nachdem aber Johannes überliefert war, kam Jesus nach Galiläa, predigte das Evangelium des Reiches Gottes und sprach: ‚Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahegekommen. Tut Buße und glaubt dem Evangelium!‘“
Nun sehen wir, wer diese frohe Botschaft verkündet. In den folgenden Versen wird berichtet, wie Jesus die ersten Jünger in die Nachfolge beruft: Simon Petrus und Andreas in Vers 16, sowie Jakobus und Johannes in Vers 19. Sie werden in die Nachfolge gerufen, um ebenfalls Diener zu werden – nach dem Vorbild des vollkommenen Dieners.
Jesus kam also nicht nur in diese Welt, um zu dienen, sondern auch, um Menschen, die in der Sünde gefangen waren, die frohe Botschaft zu verkünden und sie zu befreien. So sollten auch sie dienen können.
Persönliche Geschichte des Markus und seine Bedeutung für das Evangelium
In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass gerade Markus dieses Evangelium geschrieben hat. Markus begleitete bekanntlich Paulus und Barnabas auf deren erster Missionsreise (Apostelgeschichte 13).
Als sie in das mühsame Gebiet der Südtürkei kamen, ein sehr hohes Gebirge, das sie überqueren mussten, wurde es für Markus zu viel, und er kehrte nach Hause zurück. Später, als Paulus auf seine zweite Missionsreise gehen wollte, setzte sich Barnabas, sein Verwandter, dafür ein, Markus wieder mitzunehmen. Paulus war jedoch dagegen. Er meinte, jemand, der im Dienst versagt habe, könne nicht mitkommen und sei nicht bewährt. Deshalb nahm Paulus Markus nicht mit.
Markus galt also als ein Diener, der versagt hatte. Doch später, in seinem letzten Brief aus der Todeszelle in Rom, schreibt Paulus an Timotheus, er solle Markus mitbringen, denn er sei ihm nützlich zum Dienst (2. Timotheus 4).
Es hat also eine fundamentale Wende im Leben von Markus gegeben. Er wurde ein nützlicher Diener. Ausgerechnet dieser Mann beschreibt nun im zweiten Evangelium Jesus Christus als den vollkommenen Diener.
Dieses vollkommene Beispiel gibt uns die Kraft, richtig zu dienen. Wenn wir aus eigener Kraft dienen wollen, werden wir versagen. Aber wir müssen den Herrn Jesus als den vollkommenen Diener vor Augen haben.
Beginn des Dienstes in Kapernaum und erste Wunder
Zu Beginn beschreibt Markus 1, wie der Herr diese vier Jünger berufen hat. In Vers 21 sehen wir, wie sie danach nach Kapernaum hineingehen. Am Sabbat geht der Herr Jesus in die Synagoge und predigt. Alle sind überwältigt, denn sie erkennen: Das ist eine ganz andere Lehre. Hier lehrt jemand, der Autorität hat – nicht so wie die Schriftgelehrten.
Wie haben die Schriftgelehrten gepredigt? Das erfährt man, wenn man den Talmud liest. Dieser ist das wichtigste theologische Werk im Judentum. Ein Rabbi spricht im Namen eines anderen Rabbiners und bringt eine Lehre vor. Dabei berufen sie sich ständig auf andere Autoritäten. Je älter die Autorität, desto größer ist ihre Bedeutung – einfach durch das Alter in der Geschichte, nicht unbedingt wegen des Inhalts.
Der Herr Jesus hat nie so gepredigt. Er berief sich nie auf irgendwelche Rabbiner. Vielmehr sagte er in der Bergpredigt: „Ich aber sage euch.“ Das hatten die Menschen noch nie gehört. Keiner predigte so. Er musste die Autorität in sich selbst haben, und das merken die Zuhörer. Diese Autorität zeigt er auch, indem er in der Synagoge einen Menschen befreit, der besessen war.
Das erfüllt, was wir in Jesaja 61 lesen: Er kommt, um die Gefangenen in die Freiheit zu führen. Die von Satan Eingekerkerten werden frei. Dieses erste Wunder ist Teil einer Serie von sieben Wundern bis Markus 3,6. Dort finden wir den ersten Teil des Markusevangeliums, das erste Jahr des Dienstes des Herrn Jesus. Das erste Wunder ist also diese Befreiung aus dem Kerker der Macht Satans.
Besonders betont das Markusevangelium, dass der Dämon mit lauter Stimme schreiend ausgefahren ist (Vers 26). Warum ist diese Bemerkung so wichtig? Dieses laute Schreien ist ein Ausdruck der Hilflosigkeit Satans vor der Macht des Dieners Gottes. Natürlich gibt es Leute, die schreien, weil sie mächtig sind. Aber oft, wenn Menschen sich machtlos fühlen, schreien sie aus Verzweiflung. So ist es auch bei Satan: Er merkt, dass er keine Macht vor der Macht des Herrn Jesus hat.
Dann wird erklärt, dass der Ruf des Herrn Jesus in der ganzen Umgebung von Galiläa ausgeht (Vers 28). Danach folgt in Vers 29 eine zweite Wundergeschichte: „Und alsbald gingen sie aus der Synagoge und kamen in das Haus Simons und Andreas mit Jakobus und Johannes. Die Schwiegermutter Simons aber lag fieberkrank danieder.“
Wenn man starkes Fieber hat, fühlt man sich völlig schwach und hat keine Kraft. Lukas, der Arzt, schreibt, es war ein starkes Fieber – das steht hier nicht, ist aber bekannt. Der Herr Jesus ergreift sie bei der Hand und macht sie gesund. Danach heißt es: „Und sie diente ihnen.“ Hier sehen wir, wie der Herr kommt, um von der Macht der Krankheit zu befreien und Menschen, die keine Kraft haben, wieder fähig zu machen, wie er zu dienen.
Es ist immer noch derselbe Tag. Wir waren vorhin ab Vers 21 in der Synagoge in Kapernaum, und in Vers 29 sind sie am gleichen Tag im Haus der Schwiegermutter. In Vers 32 heißt es: „Als es aber Abend geworden war, als die Sonne unterging, brachten sie alle Leidenden und Besessenen zu ihm.“ Das ist die dritte Wundererzählung, ebenfalls am gleichen Tag beziehungsweise am Abend. Die Sonne geht unter, und der Herr dient weiter.
Diese Zusammenstellung findet man nur im Markusevangelium, das so einen ganzen Tagesablauf beschreibt. Auch der Anschluss danach ist nur hier zu finden: Vers 35 – „Und früh morgens, als es noch sehr dunkel war, stand er auf und ging hinaus an einen wüsten Ort und betete dort.“
Wir merken: Dienst bis spät abends, und am nächsten Tag, noch bevor die Sonne aufgeht, ist der Herr schon wieder auf den Beinen. Er bereitet den neuen Tag vor, um zu dienen. Dabei müssen wir besonders an Jesaja 50 denken, an das Gottesknechtgedicht:
„Der Herr, der Ewige, hat mir eine Zunge der Belehrten gegeben, damit ich wisse, den Müden durch ein Wort aufzurichten. Er weckt jeden Morgen mein Ohr, damit ich höre, gleich denen, die belehrt werden. Der Herr, der Ewige, hat mir das Ohr geöffnet, und ich bin nicht widerspenstig gewesen und bin nicht zurückgewichen. Ich bot meinen Rücken den Schlagenden und meine Wangen den Raufenden dar. Mein Angesicht verbergte ich nicht vor Schmach und Speichel.“
Hier sehen wir, wie der Herr Jesus früh am Morgen aufsteht und sich durch den Vater ausrichten lässt für den Dienst des Tages.
An diesem ruhigen Ort am Morgen kommen viele Leute zu ihm (Vers 37). „Und als sie ihn gefunden hatten, sagen sie zu ihm: ‚Jetzt kommt’s, alle suchen dich.‘“ Er antwortet: „Lasst uns anderswo hin, in die nächsten Orte gehen, damit ich auch dort predige.“ Denn dazu ist er ausgegangen. Er predigte in den Synagogen in ganz Galiläa und trieb die Dämonen aus.
Auch das zeigt seine Unermüdlichkeit: Nicht nur hier, sondern in allen Synagogen in ganz Galiläa verkündigt er die frohe Botschaft nach Jesaja 61 und befreit die Gefangenen.
Weitere Wunder und Zeichen der Macht Jesu
Und dann folgt ein fünftes Wunder. Die vierte Wundererzählung endet in Vers 39, in dem Jesus die Dämonen austreibt. Nun, in Vers 40, kommt das fünfte Wunder: die Heilung eines Aussätzigen.
Dieses Wunder ist besonders wichtig, und zwar aus folgendem Grund: Seit der Zeit von Mose wurde in Israel nie ein Aussätziger geheilt. In 4. Mose 12 kann man noch nachlesen, dass Miriam, die Schwester Moses, für kurze Zeit aussätzig war und geheilt wurde. Aber danach, durch das ganze Alte Testament hindurch, wird kein Aussätziger mehr geheilt.
Das ist umso bemerkenswerter, weil in 3. Mose 13 und 14 genau erklärt wird, wie Priester Aussatz diagnostizieren müssen. Es gab also Priesterspezialisten, die als Ärzte fungierten und Aussatz von anderen Hautkrankheiten genau unterscheiden konnten. Wenn jemand aussätzig war, musste er ausgesondert werden und außerhalb der Gesellschaft leben, damit die anderen nicht angesteckt werden.
Interessant ist nun, dass 3. Mose 13 die Diagnose für Aussatz gibt, und Kapitel 14 erklärt, welche Opfer ein Heilender im Tempel darbringen muss, nachdem ein Priester die Heilung diagnostiziert hat. Doch das wurde in der Praxis nie erlebt und nie durchgeführt.
Im Tempel in Jerusalem, zur Zeit des Herrn Jesus, gab es im Frauenvorhof in den vier Ecken spezielle kleinere Kammern. Ganz vorne rechts, beim Eingang zum Frauenvorhof, befand sich die Leprakammer. Diese war eingerichtet für solche, die von Lepra geheilt worden waren. Dort sollten sie sich scheren und alle Vorschriften aus 3. Mose 14 erfüllen.
Obwohl diese Kammer nie wirklich gebraucht wurde, existierte sie. Es war ein schöner Innenhof.
Jetzt heilte Jesus diesen Aussätzigen und sagte zu ihm in Vers 44: „Siehe zu, sage niemandem etwas, sondern gehe hin, zeige dich dem Priester und bringe das Opfer für deine Reinigung dar, wie Mose es geboten hat, zu einem Zeugnis.“
Der Heilungsgang war so: Der Geheilte musste nach Jerusalem gehen und außerhalb der Stadtmauer warten. Ein Priesterarzt wurde bestellt. Der Aussätzige durfte nicht in die ummauerte Stadt hinein. Der Priester stellte die Diagnose. Früher wurde die Krankheit schon diagnostiziert, dann wurde der Aussätzige hinausgetan. Nun kam er zurück, tatsächlich geheilt.
Das war ein Novum.
In der arabischen Literatur heißt es, ein Aussätziger sei jemand, der bei lebendigem Leib tot ist. Die Rabbiner sagten, es sei so schwer, einen Aussätzigen zu heilen, wie einen Toten wieder zum Leben zu erwecken.
Jetzt musste der Geheilte nach Jerusalem, und seine Heilung wurde offiziell bestätigt. Dieses Wunder war echt. So etwas hatte es seit Mose nicht mehr gegeben.
Ist das der Messias?
Heilung des Gelähmten und die Vergebung der Sünden
Und dann kommt das Kapitel: Nach etlichen Tagen ging er wiederum nach Kapernaum hinein, und es wurde bekannt, dass er im Haus sei.
Das ist die Geschichte, in der vier Männer einen Gelähmten übers Dach hineinbringen. Warum war es so voll? In der Parallelstelle bei Lukas, Kapitel 5, lesen wir, dass Rabbiner aus allen Städten kamen – aus ganz Galiläa, ganz Judäa und aus Jerusalem.
Warum dieser große Aufmarsch? Ganz einfach: Sie mussten jetzt untersuchen, ob Jesus von Nazaret der Messias ist. Es gibt gute Gründe, das zu denken.
In einer ersten Phase hören sie nur zu und sagen nichts. In einer zweiten Phase beginnen sie, Fragen zu stellen. Am Ende sollen sie zu dem Schluss kommen, ob er der Messias ist oder nicht.
So ist es auch bei dieser Geschichte: Die Freunde bringen den Gelähmten übers Dach herein, und der Herr Jesus heilt ihn nicht sofort. Stattdessen sagt er: „Kind, deine Sünden sind vergeben“ (Markus 2,5).
Die Schriftgelehrten, einige von ihnen, überlegen in ihren Herzen: „Was redet dieser? Er lästert! Wer kann Sünden vergeben außer Gott allein?“ Sie sagen aber nichts, sie denken nur. Denn jetzt ist die Phase, in der sie einfach zuschauen und beobachten.
Das ist eigentlich auch eine gute Sache, wenn man etwas prüfen muss: nicht sofort reden und kommentieren, sondern zuerst schauen, was da ist, was gesagt und getan wird.
Doch sie denken bereits: „Das kann nicht der Messias sein, das ist Gotteslästerung.“ Hätten sie sich jedoch überlegt, dass der Knecht in Jesaja 42 demjenigen ähnelt, von dem in Jesaja 40 steht: „Bereitet den Weg des Herrn“, dann hätten sie verstanden, dass der Messias Gott sein muss.
Natürlich ist es richtig, dass nur Gott Sünden vergeben kann. Aber sie müssten sich fragen: Wenn er Sünden vergibt, dann ist er Gott, oder? Wenn er der Messias ist, dann ist er Gott und Mensch in einer Person.
Der Herr Jesus weiß, was sie denken. Als Gott kennt er ihre Gedanken und sagt: „Was überlegt ihr euch? Was ist eigentlich leichter: einem Gelähmten zu sagen ‚Steh auf und wandle‘ oder zu sagen ‚Deine Sünden sind dir vergeben‘?“
Doch sie kommentieren nicht, sie beobachten nur. Der Herr Jesus heilt diesen Mann und lässt ihn gehen.
Ganz wichtig: In Vers 10 sagt der Herr Jesus, „auf dass sie aber wissen, dass der Sohn des Menschen“ – ein Titel des Messias nach Daniel 7,14 – „Gewalt hat auf Erden, Sünden zu vergeben.“
Warum steht hier eigentlich „auf Erden“ Sünden zu vergeben? Ganz einfach: Weil wir Menschen nur hier im Diesseits Vergebung bekommen können. Im Jenseits gibt es keine Vergebung mehr. Man muss sich hier bekehren.
Man kann nicht warten, bis man gestorben ist, und sich dann vielleicht noch entscheiden. Es gibt keine zweite Chance nach dem Tod. Wenn man hier Gott die Sünden bekennt und bereut, dann vergibt er. Aber im Jenseits ist das nicht möglich – nur auf Erden.
Wie Hebräer 9,27 sagt: „Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach das Gericht.“
Die Volksmenge kommentiert am Schluss in Vers 12 so, dass alle außer sich gerieten, Gott verherrlichten und sagten: „Niemals haben wir es also gesehen.“
Berufung des Zöllners Matthäus und Umgang mit Sündern
Dann folgt die Erzählung, in der der Herr Jesus Matthäus, auch Levi genannt, beruft. Matthäus war ein Zöllner, ein Ausgestoßener. Doch im Gottes-Knecht-Gedicht aus Jesaja 42 heißt es, dass der Knecht Gottes nicht in den Straßen wie ein Revolutionär herumschreien wird. Er wird vielmehr auf die ganz Zerbrechlichen achten. Er wird den glimmenden Docht nicht auslöschen und das gebrochene Rohr nicht abbrechen.
Wer war Matthäus Levi? Er war ein Volksverräter, der mit den Römern zusammenarbeitete. Solche Leute wurden aus der Synagoge ausgeschlossen. Doch der Herr Jesus wendet sich ihm zu und sagt: „Folge mir nach“ (Vers 14). Matthäus steht daraufhin auf und folgt ihm.
Dieser Mann, der Gottes Gnade erfahren hat, lädt in seiner Umkehr viele Zöllner – also andere Volksverräter – und auch Sünder zu sich ein. Sie dürfen mit Jesus und seinen Jüngern essen (Vers 15). Es sind also Volksverräter und ganz unmoralische Menschen, die mit Jesus zusammen sind.
Daraufhin beginnen die Rabbiner, Fragen zu stellen. Sie fragen: „Warum isst und trinkt er mit den Zöllnern und Sündern?“ (Vers 16). Jesus antwortet: „Die Starken brauchen keinen Arzt, sondern die Schwachen.“ Er ist gekommen, um gerade diese Schwachen zu retten – den glimmenden Docht und das zerbrochene Rohr wieder aufzurichten.
Manche Menschen, wenn sie an einem Schilfrohr vorbeigehen, das schon gebrochen ist, reißen es einfach heraus. Der Herr Jesus hingegen richtet das gebrochene Rohr wieder auf. So gibt er seine Antwort.
In Vers 18 heißt es, dass die Jünger von Johannes und die Pharisäer fasteten. Sie kommen zu Jesus und fragen: „Warum fasten die Jünger von Johannes und die Jünger der Pharisäer, aber deine Jünger fasten nicht?“ Jesus erklärt, dass jetzt keine Trauerzeit sei. Jetzt, wo der Messias gekommen ist, ist es Zeit, das Jahr der Annehmung Gottes auszurufen, wie es in Jesaja 61 beschrieben wird. Es ist nicht der Moment zum Fasten; das wird später wieder kommen. Er sagt, der Messias wird nicht immer da sein, dann werden sie wieder trauern. Doch jetzt ist alles anders, denn was er bringt, ist etwas völlig Neues.
Er vergleicht es mit einem Flicken aus neuem Tuch, der nicht auf ein altes Kleid genäht werden darf. Sonst reißt der Flicken, weil er sich nicht so ausdehnt wie das alte Kleid. Ebenso kann man neuen Wein nicht in alte Schläuche füllen. Wenn neuer Wein, also Traubensaft, in die Schläuche kommt, dehnt sich die Flüssigkeit durch die Gärung aus. Die alten Schläuche würden platzen, weil sie sich nicht mehr dehnen können. Daher muss neuer Wein in neue Schläuche gefüllt werden.
Die Rabbiner wussten das. Im Kommentar zum Buch Prediger, dem Midrasch Kohelet, einem mittelalterlichen Kommentar, heißt es, dass die Tora, das Gesetz, das wir heute lernen, nicht mit der Tora vergleichbar ist, die der Messias bringen wird. Die Tora des Messias ist das Gesetz Christi, also Gebote, die sich von den Geboten im Gesetz Mose unterscheiden.
Deshalb sagte der Apostel Paulus in Galater 6, Vers 3, dass jeder die Last des anderen tragen soll und so das Gesetz Christi erfüllen soll. Das ist genau der Ausdruck aus dem Midrasch Kohelet: Das Gesetz Christi ist das Gesetz des Messias.
Der Herr Jesus sagt somit, dass man diese beiden Systeme nicht miteinander vermischen kann. Es kommt etwas ganz Neues.
Konflikte mit den Pharisäern und Heilung am Sabbat
Und dann geht der Herr am Sabbat mit den Jüngern durch die Felder. Die Jünger pflücken dort ein wenig Ähren ab und essen sie, weil sie Hunger haben. Die Pharisäer hatten ein sehr kompliziertes Gesetzessystem um das Sabbatgebot herum aufgebaut. In ihrem System sind sie völlig über das Ziel hinausgeschossen und haben die eigentliche Absicht Gottes mit dem Sabbat aus den Augen verloren.
Sie fragen Jesus: Wie kann es sein, dass deine Jünger einfach das Gesetz übertreten? Jesus verweist daraufhin auf die Geschichte von David. Ihr kennt doch die Geschichte, in der David die Schaubrote essen durfte, obwohl diese eigentlich nur den Priestern vorbehalten waren. In einer Notlage durfte er sie dennoch essen, weil das Gebot der Lebenserhaltung höher steht als das Gebot des Sabbats.
Das war eigentlich nichts Neues. Schon in der Makkabäerzeit wurde im rabbinischen Judentum festgelegt, dass das Leben retten wichtiger ist als das Sabbatgebot. Die Makkabäerzeit war im zweiten Jahrhundert vor Christus. Damals verfolgten die Syrer die Juden sehr stark. Am Sabbat ließen sich die orthodoxen Juden einfach abschlachten, weil sie den Sabbat nicht brechen wollten. Danach setzten sie sich zusammen und fragten sich: Ist das richtig, was wir tun? Man kam zum Schluss, dass das Leben retten wichtiger ist als das Sabbatgebot.
Das bedeutet, am Sabbat darf man sich schützen, wenn man lebensbedrohlich unter Druck steht. Das gilt übrigens bis heute. Die israelische Armee und auch die orthodoxen Soldaten, die in der Armee dienen, kämpfen am Sabbat. Das Gebot der Lebenserhaltung steht über dem Sabbatgebot.
So erklärte Jesus, dass er genau nach der Schrift handelt, aber nicht nach der Auslegung der Rabbiner. Das ist der Unterschied.
Dann kommt Kapitel 3, Vers 1: Jesus ging wieder in die Synagoge. Dort war ein Mensch mit einer verdorrten Hand. Die Leute lauerten darauf, ob er ihn am Sabbat heilen würde. Zuerst beobachteten sie nur. Dann stellten sie Fragen. Jetzt waren sie scharf darauf, etwas Falsches bei ihm zu finden. Sie hatten schon das Ziel gefasst, ihn anzuklagen.
In Vers 2 wird klar: Sie haben die Entscheidung getroffen, dass Jesus nicht der Messias ist. Sie halten ihn für einen Verführer, weil er sich nicht nach den rabbinischen Vorschriften richtet. Sie hätten sich auch fragen können: Haben wir mit unseren Vorschriften das Wort Gottes übertroffen? Der Messias müsste uns jetzt korrigieren. Wenn nicht, dann ist er nicht der Messias.
Jesus stellt die Frage in Kapitel 3, Vers 4: „Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun, das Leben zu retten oder zu töten?“ Er spricht damit genau das an, was wir über das Gebot wissen: Leben zu retten ist wichtiger als das Sabbatgebot.
Wie reagieren sie? Sie schweigen. Sie sind wieder in die erste Phase zurückgefallen. Jesus aber blickt sie an mit Zorn und Traurigkeit über die Verstockung ihres Herzens. Dann heilt er den Menschen.
In Vers 6 ziehen die Pharisäer sofort hinaus und beraten sich mit den Herodianern, wie sie Jesus umbringen können. Jetzt ist klar: Dieser Mann muss sterben. Er ist nicht der Messias, sondern ein Verführer.
Interessant ist, warum gerade dieses siebte Wunder im ersten Teil von Markus eine verdorrte Hand betrifft. Man fragt sich: Warum hat der Mann überhaupt eine verdorrte Hand? Schlagen wir Psalm 137 auf, dort geht es um Jerusalem, die von Gott auserwählte Stadt. Die Stadt des Messias, wo er einmal regieren soll.
Psalm 137, Vers 5 sagt: „Wenn ich dein vergesse, Jerusalem, so vergesse meine Rechte. Es klebe meine Zunge an meinem Gaumen, wenn ich deiner nicht gedenke, wenn ich Jerusalem nicht erhebe über die höchste meiner Freude.“
Dieses Versprechen bedeutet: „Wenn ich Jerusalem vergesse, so versage meine rechte Hand ihren Dienst.“ Eine verdorrte Hand ist eine Hand, die man nicht mehr gebrauchen kann, die nicht mehr dient.
Dieses Zeichen hat eine besondere Bedeutung. Die verdorrte Hand steht symbolisch für das Gericht Gottes, wenn man Jerusalem, die Stadt des Messias, nicht ehrt. Jerusalem ist verbunden mit der Freude, weil dort der König, der verheißene Erlöser, kommen wird.
Der Mann mit der verdorrten Hand symbolisiert die jüdische Führung, die den Messias nicht mit offenen Armen erwartet. Doch Jesus heilt ihn. Das führt dazu, dass die jüdische Führung entscheidet: Er muss sterben.
Zeitliche Einordnung des ersten Dienstjahres Jesu
Ich habe gesagt, das war ein Jahr. Wie komme ich darauf?
In der Parallelstelle zum letzten Abschnitt, in Kapitel 2, wo die Jünger durch die Saaten gehen, wird gesagt, dass das der zweite Sabbat war. Dieser Ausdruck bezieht sich auf die Neujahrszeit nach dem Passafest. Dort hat man die Sabbate gezählt, nämlich sieben Sabbate, bis dann das Pfingstfest kommt. Man muss also die Wochen zählen.
Und dort sind wir ganz am Anfang dieser Wochenzählung. Der zweite Sabbat wird dort erwähnt, und das bedeutet, dass dieser Gang durch die Saaten im Monat Nisan, im Passamonat, stattfand.
Wann hat der Herr Jesus überhaupt seinen Dienst begonnen? In Johannes 2 sehen wir, wie der Herr Jesus in Kana in Galiläa auf einer Hochzeit das erste Wunder getan hatte. Gleich danach geht er zum Passafest nach Jerusalem.
Jetzt sind wir also ein Jahr weiter, wieder im Monat Nisan. Das zeigt, dass wir hier genau ein Jahr haben – von Markus 1 bis Kapitel 3, Vers 6. Nach diesem ersten Jahr kommt die Entscheidung: Der Messias muss sterben. Wir sind da im Jahr dreißig nach Christus.
Es ist nämlich so, dass der Herr Jesus seinen Dienst im Jahr neunundzwanzig begonnen hat. Das kann man sehr gut zeigen: Lukas 3, Vers 1 erklärt, dass der Herr Jesus im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius zu dienen begann. Man kann das überall nachschauen, auch in Wikipedia oder anderen Quellen. Kaiser Tiberius begann zu herrschen im Jahr 14.
Also bringt uns das fünfzehnte Jahr auf das Jahr 29. Ein Jahr später, im Jahr 30, kommt dieser Entscheid: Er muss sterben.
Zeichen der Verwerfung und das Ende der Gnadenzeit
Das Interessante ist, dass im Talmud, im Traktat Sanhedrin 39b, steht, dass in den 40 Jahren vor der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 das Los am Jom Kippur nicht mehr in die rechte Hand kam und die rot gefärbte Schnur nicht mehr weiß wurde.
In 3. Mose 16 wird beschrieben, dass der Hohepriester am großen Versöhnungstag, am Jom Kippur, durch Lose entscheiden musste, welcher Bock für Gott geschlachtet wird und dessen Blut ins Allerheiligste gebracht wird. Der andere Bock wurde als Sündenbock in die Wüste geschickt.
So wurde es gehandhabt: Dem Hohepriester wurde am Altar eine Box mit Deckel gereicht. Er musste mit beiden Händen gleichzeitig hineingreifen, da waren zwei Lose drin, und er nahm je ein Los in jede Hand. Dann legte er diese Lose auf die Köpfe der zwei Böcke, die vor ihm standen. Anschließend wurden die Lose geöffnet. Auf dem einen stand "Ladonai" – für den Herrn, auf dem anderen "La'azazel" – für den Bock, der weggeht.
Im Talmud wird erklärt, dass man wusste: Wenn das Los für den Herrn in die rechte Hand kam, war das ein Zeichen von Gott, dass er das Opfer am Jom Kippur annimmt. Aber der Talmud berichtet, dass in den vierzig Jahren vor der Zerstörung des Tempels das Los nie mehr in die rechte Hand kam. Von da an gab es keine Vergebung mehr am Jom Kippur.
Ab dem Jahr 70 wurde der Tempel zerstört, und bis heute konnte man Jom Kippur nicht mehr mit einem Opfer feiern.
Was die Schnur betrifft: Man band dem Sündenbock eine rot gefärbte Schnur um die Hörner, brachte ihn auf den Ölberg und jagte ihn in die Wüste. Der Talmud verweist auf Jesaja 1,18: „Wenn eure Sünden blutrot sind, sollen sie wie Schnee werden.“ Man ging dann zum Sündenbock in der Wüste, wo er verendet war, und erlebte immer wieder, dass die Schnur weiß wurde.
Doch Sanhedrin 39b sagt, dass in den vierzig Jahren vor der Zerstörung des Tempels die Schnur nicht mehr weiß wurde. Das bedeutet, wir haben Blutschuld auf uns, und Gott vergibt nicht mehr.
Dies war also genau ab Markus 3,6, als man den Messias zum Tod verurteilte. Von diesem Zeitpunkt an wurde diese Blutschuld nicht mehr vergeben. Und unbegreiflicherweise schrie die Volksmenge vor Pilatus: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ Schrecklich!
Darum sehen wir, dass dies ein ganz dramatischer Abschluss des ersten Teils im Markus-Evangelium ist.
Machen wir nun eine Viertelstunde Pause, und danach gehen wir etwas schneller durch bis Kapitel 16.
Ausbreitung des Dienstes trotz Widerstand
Wir fahren jetzt weiter in Kapitel 3, Vers 7. Nach diesem entscheidenden Einschnitt beschließt die Führerschaft des Judentums, den Knecht Gottes, den Messias, umzubringen. Vers 7 schließt direkt an: „Und Jesus entwich mit seinen Jüngern an den See.“ Er wendet sich von ihnen ab.
Das Weitere ist bemerkenswert: „Und es folgte ihm eine große Menge von Galiläa und von Judäa und von Jerusalem und von Idumea und von jenseits des Jordan und um Tyrus und Sidon eine große Menge.“ Wir sehen also weiterhin, dass eine große Menge aus dem Volk auf die Predigten des Herrn Jesus hört, auch wenn die Führerschaft solche Mordpläne hegt.
Dazu kommen viele Heiden hinzu. Idumea ist das Gebiet südlich des Toten Meeres, in Jordanien. Das war ein heidnisches Gebiet. Dann werden Tyrus und Sidon erwähnt, das ist der heutige Libanon, wo die Phönizier wohnten – ein kanaanitisches Volk. Auch von jenseits des Jordan gab es viele Heiden.
Interessant ist, dass wir nun gesehen haben, von Kapitel 1 bis 3, Vers 6, dass der Herr Jesus kam, um einen Dienst an Israel zu tun. Doch die Reaktion war enttäuschend.
Nun schauen wir im Gottesknechtgedicht in Jesaja 49 nach. Dort sagt der Gottesknecht, eben der Herr Jesus, der Messias, in Vers 4: „Ich aber sprach: Umsonst habe ich mich abgemüht, vergeblich und für nichts meine Kraft verzehrt, doch mein Recht ist bei dem Herrn und mein Lohn bei meinem Gott.“
In Vers 5 heißt es weiter: „Und nun spricht der Herr, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht gebildet hat, um Jakob zu ihm zurückzubringen: ‚Aber Israel ist nicht gesammelt worden. Aber ich bin geehrt in den Augen des Herrn, und mein Gott ist meine Stärke geworden.‘“
Ja, er spricht: „Es ist zu gering, dass du mein Knecht seist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten von Israel zurückzubringen. Ich habe dich auch zum Licht der Nationen gesetzt, um mein Heil zu sein bis an das Ende der Erde.“
Der Dienst des Gottesknechtes ist also nicht auf Israel beschränkt. Obwohl es so enttäuschend war – „umsonst habe ich mich abgemüht, vergeblich und für nichts meine Kraft verzehrt“ –, soll er doch das Licht für die Heidenvölker bis ans Ende der Erde sein.
Das sehen wir nun gleich in Markus 3, Vers 7 angedeutet, wie der Herr einen Dienst tut, bereits damals nicht nur an Israel, sondern auch an den Heiden.
Ab Vers 13 sehen wir, wie der Herr Jesus zwölf aus seinen vielen Jüngern heraus aussucht und sie als Apostel einsetzt. Der Knecht Gottes ist verworfen, sein Tod ist beschlossen, aber der Dienst soll weitergehen hier auf Erden. Er soll durch die Nachfolger des Herrn geschehen, die ebenfalls Diener geworden sind. Dabei spielen die zwölf Apostel eine ganz wichtige Rolle.
Ab Vers 20 sehen wir, wie die Schriftgelehrten sogar so weit gehen, dass sie sagen, der Herr Jesus würde Dämonen durch die Kraft des Teufels austreiben, durch den Belzebub. Das war die weitestgehende Verwerfung des Herrn: sein Werk als teuflisch zu bezeichnen.
Übrigens kommt das auch im Talmud vor. Dort wird gesagt, dass Jesus Christus Magie in Ägypten gelernt habe. Es ist interessant, dass der Talmud nicht bestreitet, dass Wunder in Israel geschehen sind – das ist gar keine Frage. Aber die Quelle wird eben als dämonisch bezeichnet.
Das ist genau das, was diese Pharisäer, diese Schriftgelehrten, in Vers 22 gesagt haben.
Der Herr Jesus erklärt dann: Es ist völlig widersinnig, denn wenn der Satan gegen sich selbst arbeiten würde, dann würde ja sein Königreich untergehen. Aber seine Macht ist voll sichtbar in dieser Welt. Sie ist nicht durch Gespaltenheit geschwächt.
Damit zeigt er, wie unsinnig diese ganze Argumentation ist. Doch das war eine ganz bewusste Ablehnung seitens der Schriftgelehrten. Der Herr bezeichnet dies als Lästerung des Geistes, die nicht mehr vergeben wird.
Das bedeutet, sie haben endgültig, definitiv und ganz bewusst den Herrn verworfen. Damit ging ihre Gnadenzeit vorüber.
Diese Stelle darf man niemals auf sich beziehen, wenn man ein Kind Gottes ist und plötzlich denkt, man habe etwas Ähnliches getan. Nein, sie bezieht sich auf Menschen, die ganz bewusst den Herrn Jesus Christus verworfen und definitiv abgelehnt haben.
Neue Verwandtschaft durch den Glauben
Gleich danach, in Vers 31, kommen seine Mutter und seine Brüder. Die Volksmenge sagt das dem Herrn Jesus: „Siehe, deine Mutter und deine Brüder sind draußen, sie suchen dich.“
Der Herr antwortet ab Vers 33: „Wer ist meine Mutter oder meine Brüder?“ Dann schaut er auf die Menschen und sagt: „Die, die auf Gottes Wort hören und es auch umsetzen, das sind meine Verwandten. Derselbe ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter.“
Der Herr Jesus macht damit deutlich, dass es nicht mehr auf die Abstammung ankommt. Es geht jetzt auch nicht mehr nur um Israel, denn die frohe Botschaft muss nun auch zu den Heiden hinausgehen. Israel hat als Nation kein besonderes Vorrecht mehr, die Botschaft zu hören; auch die anderen dürfen sie empfangen.
Selbst Maria zu sein oder seine Brüder zu sein, ist nicht mehr etwas Einzigartiges. Diejenigen, die auf Gottes Wort hören, sind mit ihm verbunden und gehören auf ganz besondere Weise zu ihm.
Gleichnisse und das Verstehen der Botschaft
Dann kommt Kapitel 4, in dem der Herr Jesus beginnt, in Gleichnissen zu sprechen. In den weiteren Versen wird auch erklärt, warum der Herr Jesus plötzlich in Gleichnissen spricht und warum die Menschen aus Israel seine Worte nicht mehr verstehen.
Warum ist das so? Er möchte doch, dass sie verstehen. Ja, das wollte er. Aber wenn die Botschaft immer und immer wieder abgelehnt wird, dann kommt der Moment, an dem Gott als Gericht bewirkt, dass man nicht mehr verstehen kann.
Denjenigen, die verstehen wollten, hat der Herr die Gleichnisse erklärt. So konnten sie durch die Gleichnisse noch besser erfassen, was er sagen wollte. Das ist ein wichtiger Grundsatz, besonders wenn man mit Ungläubigen, Atheisten oder Skeptikern spricht und manchmal starke Ablehnung oder sogar Spott erlebt.
Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es sein kann, dass ein Mensch die Wahrheit nicht erkennen kann, weil er nicht will. Es kann auch daran liegen, dass Gott ihm das Licht nimmt, so dass er nichts mehr sehen kann.
Blaise Pascal, der Erfinder einer Rechenmaschine und bedeutender Mathematiker in der Geschichte, sagte: Es gibt genügend Licht, um sehen zu können, und es gibt genügend Finsternis, um nichts sehen zu können. So kann es ein Gericht Gottes sein, dass er eine Verblendung gibt, sodass man nicht mehr verstehen kann.
Die Bibel ist ebenfalls so geschrieben: Wenn jemand nicht will, stolpert er immer wieder über bestimmte Ausdrücke und so weiter. Aber das muss so sein. In 1. Petrus 2 heißt es, dass die Ungläubigen sich an dem Messias, dem Stein des Anstoßes, stoßen. Und weiter steht dort, dass sie sich stoßen, weil sie nicht gehorchen, wozu sie auch gesetzt sind.
Das hat nichts mit Calvinismus zu tun. Es wird dort gesagt, dass sie dazu gesetzt sind, sich zu stoßen und zu Fall zu kommen, weil sie nicht gehorsam sind. Wenn sie aber gehorsam wären, würde Gott ihnen Licht geben.
Man muss sich also darüber im Klaren sein: Gott hat sein Wort so geschrieben, dass derjenige, der will, es verstehen und den Herrn erkennen kann. Derjenige aber, der nicht will, wird sich garantiert stoßen und nicht verstehen.
Gleichnis vom Sämann und Bedeutung des Ackers
Und als erstes Gleichnis spricht der Herr über den Sämann.
Er sät auf den Weg, doch die Vögel kommen und fressen es weg. Dann sät er auf das Steinige. Das geht zwar schnell auf, aber verdorrt wieder. Er sät auch unter die Dornen und schließlich auf die gute Erde.
Was bedeutet der Acker? In Matthäus 13 sagt der Herr Jesus: Der Acker ist die Welt.
Der Herr Jesus deutet hier an, dass der gute Same das Wort Gottes ist. In Lukas 8 wird das Wort nun auf die ganze Welt ausgestreut, nicht mehr nur für Israel. Der Acker ist also die Welt, aber es gibt ganz verschiedene Reaktionen.
Es gibt Menschen, die das Wort wieder verlieren. Der Satan wird durch die Vögel dargestellt, die das Wort wieder wegpicken. Es gibt solche, die das Wort zuerst freudig aufnehmen, das Steinige. Es geht ein bisschen auf, aber es hat keine Wurzel und vergeht wieder.
Man hat eine gewisse Zeit das Gefühl, dass das echte Gläubige sind, aber dann merkt man, dass alles wieder weg ist. Es waren keine echten Gläubigen.
Dann gibt es die, die unter den Dornen sind. Dort gibt es Sorgen, Reichtum und anderes, das das Wort erstickt. Und schließlich gibt es die gute Erde, wo es zur Frucht kommt.
So erklärt Herr Jesus, dass das Wort jetzt in die ganze Welt ausgeht. Auch dort wird es Ablehnung geben, aber es gibt die gute Erde, und dort wird es Frucht geben.
Gleichnis vom Licht und das Reich Gottes
Im nächsten Abschnitt zeigt Herr Jesus, wie wichtig es ist, dass die Gläubigen ihr Zeugnis, ihr Licht nicht verstecken. Sie sollen es nicht etwa durch Faulheit unter ein Bett stellen. Auch unter den Scheffel darf das Licht Gottes nicht verborgen werden. Selbst durch übertriebenes Arbeiten kann das Licht verdeckt werden.
Vielmehr soll das Licht deutlich aufgestellt werden, so dass die Menschen, die hineinkommen, es sehen können. Jesus ermutigt die Jünger also, weder durch Faulheit noch durch übertriebene Arbeit ein Hindernis zu sein, damit das Licht des Wortes Gottes zu den Menschen hinausstrahlt.
Dann folgt ein Gleichnis, das nur im Markus-Evangelium zu finden ist, in Markus 4,26-29. Jesus sagt: „Also ist das Reich Gottes, wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag. Der Same sprießt hervor und wächst, er weiß nicht wie. Die Erde bringt von selbst Frucht hervor, zuerst Gras, dann eine Ähre, dann vollen Weizen in der Ähre. Wenn aber die Frucht sich darbietet, schickt er alsbald die Sichel, denn die Ernte ist da.“
Alles, was nur im Markus-Evangelium vorkommt, hat eine ganz besondere Bedeutung für die Botschaft dieses Evangeliums. Auch hier erklärt Jesus, dass das Reich Gottes so sein wird. Er ist zuerst gekommen, um den Samen zu säen.
Dann folgt eine lange Wartezeit. Ein Bauer muss während der Zeit des Säens viel arbeiten. Wenn er keine weiteren Arbeiten hätte, könnte er in dieser Zeit Ferien machen, denn das Wachstum geschieht von selbst. Man muss es nicht antreiben.
Später aber kommt die Zeit der Ernte, in der der Bauer wieder aktiv wird. Jesus stellt die Arbeit des Bauern dar: das Säen und dann das Ernten.
So haben wir hier die Zeit des ersten Kommens des Herrn Jesus und die Zeit des zweiten Kommens, das ist die Ernte. Dann wird alles abgeschnitten und eingebracht. Das ist die Zeit, wenn er als König der Welt wiederkommt.
Die Zeit dazwischen ist genau die Zeit, in der der Herr Jesus jetzt im Himmel ist und nicht mehr auf der Erde weilt. Der Knecht kam damals und wird erst in der Zukunft ein zweites Mal kommen. Wir leben genau in dieser Zwischenzeit.
Gleichnis vom Senfkorn und die Christenheit
Und dann, ab Vers 30, folgt das Gleichnis vom Senfkorn. Ein kleiner Same wird gesät, und daraus wächst schließlich ein Baum.
Der Herr Jesus deutet damit an, dass das Christentum einen ganz kleinen Anfang hatte. Am Pfingsttag waren 120 Personen beieinander. Wer hätte gedacht, dass daraus später ein so großer Baum werden würde? Heute zählen sich etwa 2,2 Milliarden Menschen zur Christenheit. Das ist deutlich mehr als im Islam, der etwa 1,5 Milliarden Anhänger hat, und auch viel mehr als im Hinduismus und Buddhismus, die jeweils unter einer Milliarde Anhänger zählen.
Dieser riesige Baum ist ein Machtsystem geworden, besonders wenn wir an die Kirche im Mittelalter denken, aber auch bis heute. Das zeigt der Herr Jesus. Der Baum ist ein Ort, an dem die Vögel des Himmels sich niederlassen können.
In Markus 3 haben die Vögel allerdings keinen positiven Klang. Sie kommen bereits im Gleichnis vom Weg vor, wo sie das Wort wegpicken – ein Bild für Satan. So zeigt sich, dass alles Böse in diesem Baum Platz hat.
Darum sollte es nicht überraschen, warum die Christenheit so voll von Verderben ist. Viele Menschen sagen sich: „Das kann ja nicht die Wahrheit sein.“ Doch wir können ihnen antworten, dass es so kommen muss. Der Herr Jesus hat uns das auch in den Evangelien gelehrt.
In Vers 33 heißt es: „Und in vielen solchen Gleichnissen redete er zu ihnen das Wort, wie sie es hören mochten. Ohne Gleichnisse aber redete er nicht zu ihnen. Aber seinen Jüngern erklärte er alles besonders.“
Diejenigen, die nicht wollen, verstehen nicht mehr. Diejenigen, die wollen, verstehen es dann erst recht gut.
Stillung des Sturms und Macht über Natur und Dämonen
Diese Geschichte der Schiffsreise: Die Jünger gehen mit dem Herrn über den See Genezareth. Plötzlich kommt ein schrecklicher Sturm auf. Doch der Herr Jesus schläft, und die Jünger geraten in große Angst. Sie wecken ihn, und schließlich steht er auf und stillt den Sturm.
Diese Geschichte soll auch verdeutlichen, wie es mit dem Christentum weitergeht. Die Nachfolger des Herrn Jesus müssen eine Reise durch die Kirchengeschichte unternehmen. Dabei begegnen sie schweren Stürmen. Doch der Herr ist immer da.
Manchmal sieht es so aus, als würde er schlafen. Man fragt sich: Wo ist er? Warum greift er nicht ein? Wir haben Angst, dass wir untergehen. Aber er ist da. Auch in Matthäus 28 hat der Herr Jesus als Auferstandener gesagt: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters“ (Matthäus 28,20). Er ist in unserem Boot, und deshalb müssen wir keine Angst haben.
In dieser Geschichte wird deutlich, dass er Autorität über die Natur hat. Man beachte, wenn er in Vers 39 sagt: „Schweig, verstumme!“ zum Wind und zum See, dann spricht er nicht: „Im Namen Gottes, schweig!“ Er spricht in eigener Autorität, weil er der Ewige ist, der Schöpfer.
Die Jünger stellen die Frage in Vers 41: „Wer ist denn dieser, dass auch der Wind und der See ihm gehorchen?“ Diese Frage wird im nächsten Abschnitt beantwortet. Dort lesen wir die Geschichte mit dem Gadarener, der von einer Legion, also von Tausenden Dämonen, besessen war. Der Herr Jesus befreit diesen Mann.
Dort erkennen wir: Wer ist dieser? Es ist der, der Macht hat über die ganze Natur. Aber er hat auch Macht über die ganze Macht des Satans.
Heilung der Tochter des Synagogenvorstehers und der blutflüssigen Frau
Ab Vers 21 folgt die Geschichte mit dem Synagogenvorsteher, dessen zwölfjähriges Töchterlein schließlich stirbt. Doch der Herr erweckt es zum Leben. Hier sehen wir, dass er nicht nur Macht über die Macht Satans hat, sondern auch Macht über den Tod.
In diese Geschichte ist auch die Erzählung von der blutflüssigen Frau hineingewoben. Man muss wissen: Gemäß den symbolischen Anordnungen im Gesetz Mose ist eine Frau während ihrer Periode unrein. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine wirkliche Unreinheit, sondern um eine symbolische, nicht wahr? Das gilt nach 3. Mose 15 nicht nur für die Periode, sondern auch für den Samenerguss, der einen Mann unrein macht.
Warum ist das so? Gott wollte damit zeigen, dass die Quelle des Lebens verunreinigt ist. Warum? Weil der Mensch ein Sünder ist. Jedes Baby, das geboren wird, so lieblich es auch sein mag, ist ein Sünder. Anfangs können die Kinder nicht sprechen, doch sobald sie sprechen können, finden sie manchmal Worte, die für die Eltern ganz unglaublich sind. Die Eltern haben ihnen das nicht beigebracht.
Der Mensch ist ein Sünder, und das wird auch symbolisch ausgedrückt. Nun hat diese Frau einen Blutfluss, das heißt, ihr Blutfluss hört nicht mehr auf. Sie hat all ihr Vermögen an die Ärzte gegeben. Doch der Herr Jesus heilt sie. Er ist auch Herr über das Problem der Unreinheit.
Das ist ein ganz aktuelles Thema. Wie viele Menschen auf dieser Welt müssen von sich sagen: „Ich fühle mich so schmutzig!“ Dabei ist es nicht nur symbolisch, sondern oft auch wirklich so. Doch das ist kein Grund zur Verzweiflung. Der Herr ist auch Herr über dieses Problem und kann uns ganz rein machen. So sagt er in Vers 34: „Tochter, dein Glaube hat dich geheilt. Geh hin in Frieden und sei gesund von deiner Plage.“ Wunderbar, das ist eben die frohe Botschaft.
Danach geht die Geschichte weiter mit dem zwölfjährigen Töchterchen, das schließlich auferweckt wird. Dieses zwölfjährige Mädchen ist auch ein Hinweis auf Israel. Sie ist die Tochter des Synagogenvorstehers, und die Zahl zwölf erinnert uns immer wieder an die zwölf Stämme Israels. Darum hat der Herr auch zwölf Apostel eingesetzt, im Blick auf die zwölf Stämme Israels.
Doch sie wird auferweckt. Man könnte sagen: „Oh, jetzt ist alles so traurig. Israel hat die Chance verpasst, den Messias willkommen zu heißen. Die Führer wollen ihn töten, und jetzt geht die frohe Botschaft zu den Heidenvölkern!“ Aber es ist nicht das Ende mit Israel. Es gibt ein Aufleben, ein Auferstehen Israels schließlich. Das war ja auch schon in Hesekiel 37 in der Vision mit den toten Gebeinen ganz klar vorausgesagt.
Ablehnung in Nazaret und Aussendung der Zwölf
Und dann geht der Herr in Kapitel 6 nach Nazaret zurück und besucht dort die Synagoge. Er predigt und die Menschen staunen über seine Worte. Trotzdem ärgern sie sich an ihm. In Vers 2 fragen sie: „Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist? Und solche Wunderwerke geschehen durch seine Hände! Ist er nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria, und ein Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simeon? Sind nicht seine Schwestern hier bei uns?“ Sie ärgern sich an ihm.
Der Herr sagt: „Ein Prophet wird überall geehrt, außer in seinem Heimatland.“ Die Leute denken sich: „Er ist doch ein ganz normaler Mensch. Wir kennen seine Umstände.“ Sie erkennen nicht, dass er der Messias ist. Sie meinen, „das ist doch einfach der Zimmermann von Nazareth.“
Interessant ist, dass das nur im Markus-Evangelium so gesagt wird. In der Parallelstelle bei Matthäus heißt es: „Ist er nicht der Sohn des Zimmermanns?“ Hier aber, im Markus-Evangelium, wird Jesus selbst als der Zimmermann vorgestellt.
Natürlich war Joseph Zimmermann. Damals war es üblich, dass Kinder ab dem Alter, in dem es heute den Kindergarten gibt – damals gab es ihn noch nicht –, eine Lehre beim Vater machten und den Beruf erlernten. So hat Jesus bei Joseph, seinem Pflegevater, den Beruf des Zimmermanns gelernt. Er hat gearbeitet und gedient bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr. Dann begann er öffentlich zu predigen.
Jesus arbeitete und diente sein ganzes Leben lang. Auch damals, als er mit Holz umging, konnte er immer wieder daran denken, dass er einmal an einem Holz, am Kreuz, sterben würde. Er arbeitete mit Nägeln und wusste, dass man ihm eines Tages Nägel durch Hände und Füße treiben würde.
Trotzdem lehnen die Leute ihn ab. Dann ruft er die Zwölf zu sich, in Vers 6 und 7, und sendet sie zu zweit aus. Nun werden sie geübt, indem sie den Dienst des Herrn weiterführen. Ihre Aufgabe ist es, wie Jesus selbst schon in Kapitel 1, Busse zu predigen.
Sie gehen hinaus und predigen, dass die Menschen Buße tun sollen. Das bedeutet, sie sollen ihre Sünden bereuen, Gott bekennen und umkehren.
Johannes der Täufer im Gefängnis und Tod
Und dann kommt die Geschichte mit König Herodes Antipas. Er war der Herrscher von Galiläa und ein Sohn von Herodes, dem Kindermörder von Bethlehem. Dieser Mann hatte große Probleme. Er hatte die Frau seines Bruders Philippus genommen, und Johannes der Täufer sagte ihm: „Du darfst diese Frau nicht haben.“
Im Griechischen sieht man, dass Johannes das nicht nur einmal gesagt hat. Die Bibel verwendet den Durativ, was bedeutet, dass er es immer wieder gesagt hat. Das hat Herodes völlig aus der Fassung gebracht. Immer wieder kritisierte Johannes ihn wegen dieser Frau und erinnerte ihn daran, dass das, was er tat, illegal war.
Schließlich wurde Johannes verhaftet. Das geschah zu der Zeit, als Jesus begann zu predigen. Dann kam dieser fatale Geburtstag, der hier erzählt wird. Die Tochter dieser illegalen Frau, Herodias, tanzte. Aber sicher war das kein Volkstanz.
Herodes geriet völlig außer sich und sagte: „Ich will dir bis zur Hälfte meines Königreiches geben. Du kannst dir einfach etwas wünschen.“ Die Tochter ging zu ihrer Mutter, und die Mutter sagte: „Bitte fordere den Kopf von Johannes dem Täufer.“
Herodes wollte das eigentlich nicht. Es war ihm wirklich nicht recht. Aber er hatte sich vor den Leuten so exponiert, dass er unter dem Druck der Menschen um ihn herum nachgeben musste. So musste er, in Anführungsstrichen, zustimmen.
Hier wird uns ein Mensch vorgestellt, der keine Buße getan hat. Die Jünger werden ausgesandt, um zu predigen, dass die Menschen Buße tun sollen. Jetzt wird ein Beispiel gezeigt von einem Menschen, der immer wieder gehört hat, dass er in der Sünde lebt, es aber von sich gewiesen hat. Schließlich hat er sich so versündigt, dass er sogar Johannes den Täufer, den größten der Propheten des Alten Testaments, umgebracht hat.
Ruhe und Versorgung der Jünger
Die Apostel versammeln sich bei Jesus und berichten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Jesus sagt zu ihnen: „Kommt ihr selbst hier an einen einsamen Ort und ruht euch ein wenig aus.“
Die Apostel kehren also von ihrer Arbeit zurück und erzählen dem Herrn von ihren Leistungen. Doch der Herr geht darauf nicht ein. Stattdessen braucht auch er eine Pause. Ein Diener darf nicht dauerhaft im Stress sein, sonst brennt er aus.
Ich kenne einen Missionar, der in Suriname gearbeitet hat, ein Holländer. Einmal war er bei mir zu Besuch und erzählte, was er dort alles macht. Er fragte mich, wie er das alles schafft. Unglaublich, was dieser Mann geleistet hat! So etwas kann man kaum in ein Programm einbauen. Doch nicht lange danach kam die Nachricht, dass er gestorben sei – ausgebrannt.
Es ist wichtig, fleißig zu sein, aber es braucht einen Rhythmus von Spannung und Entspannung. Der Herr lehrt das auch den Jüngern: „Kommt ihr selbst hier an einen einsamen Ort und ruht euch ein wenig aus!“ So kann man den Dienst länger tun, wenn man darauf achtet, nicht auszubrennen. Ein Ausgleich ist nötig.
Dann kommen viele Menschen und versammeln sich bei Jesus. Plötzlich merkt man, dass sie hungrig sind und nicht vorgesorgt haben. In Vers 37 sagt der Herr zu den Jüngern: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Das scheint unmöglich zu sein. Schließlich hatten die Jünger doch gerade erzählt, was sie alles geleistet haben.
Doch der Herr fordert sie auf: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Die Jünger müssen erkennen, dass sie den Dienst nicht aus eigener Kraft bewältigen können. Dafür bräuchte man zweihundert Denare, also den Lohn eines Arbeiters für zweihundert Arbeitstage. Das schaffen sie nicht.
Aber da ist ein kleiner Junge, der hat fünf Brote und zwei Fische. Jesus lässt die Leute lagern und nimmt diesen kleinen Proviant, den der Junge wohl von seiner Mutter mitbekommen hat – sie hat mehr gedacht als viele Erwachsene sonst. Der Herr dankt und verteilt das Essen an die ganze Volksmenge.
Am Ende bleiben sogar zwölf Körbe voller Brocken übrig. Fünftausend Männer sowie Frauen und Kinder werden gesättigt. Der Herr zeigt den Jüngern, dass sie nicht so sehr daran denken sollen, was sie selbst tun, sondern daran, was der Herr durch sie wirkt.
Das ist auch in der Apostelgeschichte schön zu sehen: Wenn Paulus von seinen Missionsreisen zurückkehrt, erzählt er, was Gott durch sie getan hat – nicht nur, was sie selbst gemacht haben. Das ist ein wichtiger Unterschied. Natürlich berichtet er, was geschehen ist, aber es ist eine ganz andere Haltung, wenn man sich immer bewusst ist, dass die Kraft nicht von uns selbst kommt.
Rettung auf dem Wasser und Gottes Gegenwart
Und dann, in Vers 45, müssen die Jünger wieder mit dem Schiff auf den See fahren – diesmal jedoch ohne den Herrn. Sie geraten in größte Not. In dieser Not erscheint der Herr Jesus auf dem Wasser und rettet sie.
Was bedeutet das? Wir haben gesehen, in Markus Kapitel 4, dass unsere Zeit, die Zeit der Kirchengeschichte, einer Schiffsfahrt gleicht. Dabei durchqueren wir viele Stürme, doch der Herr ist immer da. Er sagt: "Ich bin bei euch alle Tage."
Hier jedoch sehen wir zwei Seiten: Der Herr ging auf einen Berg, um zu beten, während die Jünger allein auf dem See sind. Der Herr Jesus ist ja als Mensch in den Himmel zurückgekehrt. Als Mensch ist er nicht mehr auf der Erde, sondern im Himmel. Dort betet er für uns. Der Tag wird kommen, an dem er uns aus allen Stürmen des Lebens und der Kirchengeschichte herausführen wird – in die himmlische Herrlichkeit, bei der Entrückung.
Auf der anderen Seite ist der Herr auch im Boot. Denn der Herr Jesus ist Gott. Als Gott ist er allgegenwärtig. Deshalb kann er sagen: "Ich bin bei euch alle Tage." Es sind also zwei Seiten derselben Medaille, diese beiden Geschichten.
So wissen wir: Der Herr betet, und der Herr wird wiederkommen. Gleichzeitig ist der Herr da, auch wenn wir manchmal das Gefühl haben, er würde schlafen. Doch wir sind in Sicherheit, denn er ist bei uns.
Schließlich erreichen sie das Ufer. Auch dort dient der Herr Jesus wieder und heilt viele Kranke.
Kritik an den jüdischen Reinigungsvorschriften und wahre Verunreinigung
Dann kommt Kapitel sieben. Die Schriftgelehrten kritisieren die Jünger, weil sie vor dem Essen die Hände nicht waschen. Dabei geht es nicht einfach um Hygiene. Vielmehr hatten die Schriftgelehrten von den Rabbinen erfundene Zusatzgesetze über Reinigungsvorschriften, die die Jünger nicht eingehalten hatten.
Der Herr deckt auf, dass die Pharisäer und Schriftgelehrten ein riesiges System von Zusatzgeboten aufgebaut haben. Diese stehen teilweise sogar im Widerspruch zu den Geboten Gottes. Er bringt ein Beispiel, das wir aus dem Talmud kennen: Jemand erklärt sein Geld zum Korban, das heißt, es ist quasi Gott geweiht. Nun darf man dieses Geld nicht mehr verwenden, um die Eltern im Alter zu unterstützen.
Was wir aus dem Talmud wissen, ist jedoch, dass dies nicht bedeutet, dass man das Geld dem Tempel geben musste. Man durfte es für sich selbst benutzen. Der Herr sagt: Ihr übertretet das Gebot, das sagt: „Ehre Vater und Mutter.“ So habt ihr viele solche Gebote aufgebaut. Das sind Menschengebote, die auch eine Macht darstellen. Sie binden die Menschen, sodass sie die Wahrheit nicht erkennen.
In den weiteren Versen erklärt Herr Jesus ab Vers 17, was wirklich verunreinigt. Es sind nicht die symbolischen Dinge, sondern das, was echte Sünde ist. In Vers 21 heißt es: Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, gehen hervor die schlechten Gedanken: Ehebruch, Hurerei, Mord, Diebstahl, Habsucht, Bosheit, List, Ausschweifung, böses Auge – das bedeutet neidisch sein –, Lästerung, Hochmut und Torheit.
Alle diese bösen Dinge gehen von innen heraus und verunreinigen den Menschen.
Heilung eines Mädchens mit unreinem Geist bei Tyrus und Sidon
Ab Vers 24 folgt die Geschichte von einem kleinen Mädchen mit einem unreinen Geist. Erkennen wir die Verbindung? Der Herr zeigt, was wahre Verunreinigung ist, und dann kommt diese Geschichte mit einem unreinen Geist.
Doch wo hat das stattgefunden? Im Gebiet von Tyrus und Sidon im Libanon. Dort kommt eine Mutter zu Jesus und bittet ihn, sich für ihre Tochter einzusetzen. Jesus macht deutlich, dass sein Auftrag ursprünglich zuerst für Israel bestimmt war.
Diese Frau erkennt jedoch, dass der Messias von Israel auch ein Segen für die Nationen sein wird. Tatsächlich erfährt sie, dass der Segen Gottes nun auch zu den Heiden hinausgeht und dass auch sie von der Macht Satans und der Unreinheit befreit werden.
Diese Botschaft wird durch die nächste Geschichte bestätigt, die nur im Markus-Evangelium vorkommt, in den Versen 31 bis 37. Diese Geschichte gehört zu den besonderen Passagen von etwas mehr als dreißig Versen. Jesus geht von Tyrus und Sidon in das Gebiet der Dekapolis, Vers 31.
Die Dekapolis war ein Bündnis von zehn Städten, die überwiegend von Heiden bewohnt waren. Dort heilt der Herr einen Tauben, der auch stumm war. Die Menschen sind so überwältigt, dass sie in Vers 37 sagen: „Sie erstaunten überaus und sprachen: Er hat alles wohlgemacht. Er macht sowohl die Tauben hören als auch die Stummen reden.“
Hier sehen wir erneut, dass der Herr Jesus einen Dienst im Gebiet der Heiden tut. Das deutet darauf hin, dass seine Gnade sich jetzt auf die ganze Welt ausbreitet.
Vers 37 könnte man als Schlüsselvers des Markus-Evangeliums bezeichnen. Nur hier sagen die Menschen: „Er hat alles wohlgemacht.“ Ich habe bereits erklärt, dass im Markus-Evangelium besonders Wert auf die Taten Jesu gelegt wird. Dieser Vers fasst die ganze Botschaft zusammen: Er hat alles wunderbar gemacht.
Das kann auch jeder von sich persönlich sagen, der den Herrn Jesus als seinen Retter kennt: Er hat alles wohlgemacht.
Brotvermehrung für die Viertausend und Warnung vor Sauerteig
Und dann kommt Kapitel acht. Dort sind wieder viele Menschen versammelt, und erneut haben sie zu wenig zu essen. Hier findet die Brotvermehrung für die Viertausend statt.
Was bleibt dann übrig? In den Versen sechs bis acht sind es sieben Körbe voll. Bei der Brotvermehrung für die Fünftausend waren es zwölf Körbe, hier sind es sieben Körbe. Diese Zahlen haben eine wichtige Symbolik. Während die Zahl zwölf im Markusevangelium wiederholt auf Israel hinweist, steht die Zahl sieben für die Heiden im Land Israel.
In Apostelgeschichte 13 erzählt Paulus die Geschichte Israels: Wie sie aus Ägypten auszogen und dann ins verheißene Land kamen. Dort richteten sie sieben ortsansässige heidnische Völker. Diese sieben Völker waren die Jebusiter, Amoriter, Hewiter und andere, die im Land lebten. So verweist die Zahl sieben auf die Heiden, die der Herr in der Dekapolis und darüber hinaus bis nach Libanon erreicht hatte. Auch bis zum Jordan, wenn man an die Leute von Idumea denkt, die gekommen sind.
Wir sehen also, dass der Herr Jesus das Brot des Lebens ist – sowohl für Israel als auch für die Heidenvölker.
Dann geht der Herr über den See, und es kommen sofort Pharisäer, die ihn angreifen. In Vers dreizehn lesen wir: „Und er ließ sie, stieg wieder in das Schiff und fuhr an das jenseitige Ufer.“ Hier sehen wir Menschen, die gar nichts von ihm wollen, sondern nur mit ihm streiten. Daraufhin wendet er sich von ihnen ab und kehrt zurück.
Im Schiff hatten die Jünger inzwischen vergessen, Brot mitzunehmen; sie hatten nur ein Brot dabei. Dann sagt der Herr: „Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und dem Sauerteig des Herodes.“ Sie verstehen nicht recht, was das bedeutet. Aber der Herr will ihnen zeigen: Der Sauerteig ist in der Bibel immer ein Bild der Sünde.
Der Sauerteig der Pharisäer steht für den Sauerteig, der dem Wort Gottes eigene Gebote hinzufügt, wie es in Kapitel sieben beschrieben wird. Der Sauerteig des Herodes steht für das Böse, für die Unmoral, etwa wenn man meint, man könne mit irgendeiner Frau zusammen sein.
Der Herr warnt sie, denn das sind echte Gefahren für die Diener, die ihm nachfolgen wollen. Doch sie verstehen es nicht. Der Herr sagt: „Wie versteht ihr noch nicht?“ Auch sie selbst verstehen nicht gut. Dieser Gedanke zieht sich bereits durch Kapitel 6, Vers 52: Dort heißt es von den Jüngern, sie seien durch die Brote nicht verständig geworden, weil ihr Herz verhärtet war.
Wir haben auch gesehen, wie das Volk insgesamt durch eigensinnige, eigene Religion verhärtet war. Jetzt hier, in Vers 17 und 18, sagt der Herr: „Begreift ihr noch nicht und versteht auch nicht? Habt ihr euer Herz noch verhärtet?“ Eben das müssen sie sich fragen: Wie stark sind wir vom Sauerteig des Herodes und vom Sauerteig der Pharisäer beeinflusst?
Das hindert Gläubige daran, klar sehen zu können.
Heilung des Blinden in Bethsaida und Offenbarung an die Jünger
In Markus finden wir eine besondere Geschichte, die nur dort erzählt wird: Der Herr heilt bei Bethsaida einen Blinden – und zwar ausnahmsweise in zwei Stufen. Normalerweise heilt der Herr sofort und die Menschen sind sofort gesund. Deshalb ist es wichtig, aufmerksam zu sein, wenn man von Heilungswundern hört, bei denen die Betroffenen nur halb gesund werden. Dann sagt man oft, wir wissen genug. Doch hier hat der Herr das Wunder bewusst in zwei Schritten vollbracht.
Der Mann war blind, und plötzlich konnte er sehen. Aber er sah die Menschen so, als wären sie Bäume, die umhergehen. Dann vollbringt der Herr ein zweites Wunder. Am Ende, in Vers 25, heißt es: „Und er sah deutlich, und er war wiederhergestellt und sah alles klar, alles klar!“ Dieser Blinde ist ein Bild für die Jünger. Sie glaubten an den Herrn, hatten aber noch keinen klaren Durchblick. Die Menschen erschienen ihnen wie wandelnde Bäume. Es brauchte eine zweite Phase.
Später sehen wir in der Apostelgeschichte, wie die Jünger schließlich vollen Durchblick bekommen und alles klar sehen. Dann folgt der Abschnitt, in dem Jesus in der Gegend von Caesarea Philippi fragt: „Was sagen die Menschen, wer ich bin?“ Die Antworten sind sehr unterschiedlich und verrückt: Johannes der Täufer sei zurückgekehrt, oder Elia, oder einer der Propheten. Peter antwortet: „Du bist der Christus, der Messias.“ Peter hatte also schon geöffnete Augen, aber noch nicht genug Durchblick.
Im Weiteren sagt Jesus, dass er bald sterben wird, doch die Jünger verstehen das nicht. Sie sehen noch nicht alles klar. Dann sagt der Herr zu Beginn von Kapitel 9: „Es sind einige da, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie das Reich Gottes in Macht gesehen haben.“ In allen Evangelien, die dieses Ereignis erzählen, folgt direkt der Berg der Verklärung.
Auf dem Berg der Verklärung dürfen die Jünger den Herrn Jesus Christus für einen kurzen Moment als König sehen – so, wie er in der Zukunft erscheinen wird. Sein Gesicht leuchtet wie die Sonne. Für eine kurze Zeit sehen sie das Reich Gottes in Macht. Dieses Erlebnis ist ein besonderes Pfand Gottes an die Gläubigen, damit sie wissen: Beim ersten Kommen kam der Messias, um für unsere Sünden zu sterben, aber noch nicht, um das Reich Gottes in Macht aufzurichten. Das wird erst bei seinem zweiten Kommen geschehen.
Diese Erscheinung auf dem Berg der Verklärung ist eine Bestätigung, ein Pfand: Das alles kommt noch, aber in der Zukunft. Dann spricht der Herr ein zweites Mal über sein baldiges Sterben, doch die Jünger verstehen es immer noch nicht.
Im nächsten Abschnitt sehen wir, wie ein Mann seinen besessenen Sohn zu den Jüngern bringt. Diese können ihn nicht heilen – das liegt an ihrem Unglauben. Der Herr sagt, diese Art von Dämon sei besonders hartnäckig und könne nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden. Doch der Herr heilt den Jungen.
Das Zeichen ist sehr bedeutsam: Der Sohn war stumm und konnte nicht mit seinem Vater sprechen. Das ist ein Werk des Satans, wenn die Kommunikation zwischen den Generationen zerstört wird. Der Herr Jesus zeigt hier seine Macht, indem er dieses Werk des Satans vernichtet. So kann ein Sohn, der nicht mehr mit seinem Vater spricht, wieder kommunizieren.
Der Herr spricht erneut davon, dass bald die Zeit kommt, in der er leiden wird. Doch die Jünger verstehen das immer noch nicht. Im nächsten Abschnitt unterhalten sie sich darüber, wer von ihnen wohl der Größte sei. Der Herr spricht über sein Leiden am Kreuz, doch die Jünger sind mehr daran interessiert, wer von ihnen der Wichtigste ist. Das zeigt, dass sie immer noch nicht alles verstanden haben.
Dann erzählen sie Jesus, dass sie jemanden gesehen haben, der in seinem Namen Dämonen austreibt, aber nicht zu ihrer Gruppe gehört. Jesus sagt: „Lasst ihn gewähren, denn wer nicht gegen euch ist, der ist für euch.“ Die Jünger nehmen sich sehr wichtig und meinen, dieser müsse ihnen nachfolgen. Doch der Herr macht klar: Es geht nicht darum, wem man folgt, sondern darum, dem Herrn nachzufolgen.
Diese Jünger müssen noch lernen, was wirklich zählt.
Lehre über Ehe, Scheidung und ewiges Leben
Und dann, in Kapitel 10, muss ich wirklich ein bisschen schneller werden. Plötzlich geht es um die Frage der Scheidung und Wiederverheiratung. Alles wird von der Schöpfungsordnung her erklärt. Damit macht Jesus klar, dass auch in dieser neuen Zeit, in der er bald in den Himmel zurückkehrt, das Reich Gottes noch nicht in Macht aufgerichtet ist. Seine Jünger sind seine Diener hier auf Erden und verbreiten sein Wort.
In dieser Zeit gilt die Schöpfungsordnung immer noch vollkommen. Wir müssen uns nach dem richten, wie Gott die Dinge in der Schöpfung angeordnet hat, wenn wir Fragen zur Ehe, Scheidung oder Wiederverheiratung haben.
Dann kommt die Geschichte, in der ein Mann fragt: Wie kann ich ewiges Leben bekommen? Der Herr Jesus will ihm zeigen, dass er alle Gebote halten soll. Der Mann antwortet, dass er das bereits getan habe. Er hat aber nicht realisiert, dass er das gar nicht kann. Jesus wollte ihm mit dem Gesetz zeigen, dass er ein Sünder ist. Doch der Mann war so blind, dass er glaubte, er könne das schaffen.
Ich habe so etwas auch schon erlebt: Beim Verteilen von Traktaten hat mir eine Frau im vollen Ernst gesagt, sie habe noch nie in ihrem Leben gesündigt. Das ist unglaublich. Was kann man mit so jemandem anfangen? Es ist Blindheit pur. Am besten müsste man den Mann, die Kinder oder die Eltern fragen – das ist oft ein guter Gradmesser.
Jesus sagt, es sei sehr schwierig, dass ein Reicher gerettet wird. Die Jünger fragen daraufhin: Wer kann dann noch gerettet werden? Denn eben dieser Mann, der so blind war, war reich. Jesus antwortet, dass das, was bei Menschen unmöglich ist, bei Gott möglich ist. Das ist auch eine wichtige Anweisung für den Dienst. Wir haben es immer wieder mit Menschen zu tun, die durch ihren Reichtum blind sind. Aber wir dürfen Hoffnung haben, denn was bei Menschen unmöglich ist, ist bei Gott möglich.
Dann kündigt Jesus wieder an, dass er in Jerusalem bald sterben wird. Über Jericho kommt er schließlich nach Bethanien und dann nach Jerusalem. Nun beginnt die Leidensgeschichte, die zeigt, wie sich Jesaja 53, das Gottesknechtgedicht von Leiden bis zum Tod für unsere Sünden, in Jesus erfüllt hat.
Passionswoche und Einzug in Jerusalem
Ab Kapitel 11 wird die Passionswoche beschrieben, beginnend am Sonntag vor Karfreitag. Im Markus-Evangelium finden wir überall genaue zeitliche Angaben.
In Markus 11,1 heißt es: Als Jesus sich Jerusalem, Bethphage und Bethanien näherte, gegen den Ölberg hin, sandte er zwei seiner Jünger aus. Dann folgt der Einzug Jesu auf einem Esel nach Jerusalem. Das geschah am Sonntag vor Karfreitag.
In Markus 11,12 steht: „Und des folgenden Tages“, also am Montag. Das Markus-Evangelium enthält vollständig alle zeitlichen Angaben. Das ist in Matthäus nicht der Fall. Markus gibt die genaue chronologische Reihenfolge wieder. Dort wird jeder Tag bis Karfreitag beschrieben, dann folgt der Sabbat und schließlich der Auferstehungstag.
Diese Passionswoche ist in der Bibel sehr wichtig. Fast 33 Prozent des Textes der vier Evangelien beschäftigen sich mit dieser Woche – von Palmsonntag bis zum Auferstehungstag.
Der ausführlichste Tag ist der Dienstag. An diesem Tag kommen verschiedene Gruppen des Judentums, um Jesus mit Fragen zu prüfen und ihn schließlich ans Kreuz zu bringen. Doch der Herr kann alle widerlegen; sie haben keine Chance.
Am Ende dieses Dienstags verlässt Jesus den Tempel und sagt: „Dieser Tempel wird zerstört werden.“ Damit ist klar, dass der Messias verworfen ist und auch der Tempel zerstört wird.
Anschließend geht Jesus mit den Jüngern auf den Ölberg. Sie fragen ihn: „Wie wird das sein? Und wie wird es sein, wenn du wiederkommst?“ Jesus erklärt daraufhin in Markus 13, der sogenannten Ölbergrede, die Zukunft.
Besonders ist, dass nur im Markus-Evangelium an Markus 13,32 erwähnt wird, dass niemand den Zeitpunkt seiner Wiederkunft kennt: „Von jenem Tag aber oder der Stunde weiß niemand, weder die Engel, die im Himmel sind, noch der Sohn, nur der Vater.“
Das steht im Markus-Evangelium, wo betont wird, wie Jesus Mensch geworden ist und sich so tief erniedrigt hat, dass er als Mensch nicht allwissend war. Darum konnte er damals auf dem Ölberg sagen, dass er diesen Zeitpunkt, diese Stunde und diesen Tag nicht weiß.
Als Gott wusste er alles. Das ist das Geheimnis, wie man Gott und ein richtiger Mensch in einer Person sein kann. Das ist der Herr Jesus.
Von ihm heißt es in Matthäus 11,27, dass niemand den Sohn erkennt außer dem Vater. Es ist so geheimnisvoll: Nur der Vater weiß, wer Jesus ist. Typisch ist, dass genau diese Aussage im Markus-Evangelium steht.
Letzte Stunden vor dem Tod und Gebet in Gethsemane
In Kapitel 14 finden wir den weiteren Weg schön beschrieben, Tag für Tag, ganz genau chronologisch, bis hin zu diesem Vorabend der Kreuzigung. Dort feiert der Herr das letzte Passah mit den Jüngern. Anschließend geht er in den Garten Gethsemane, um dort zu beten. Er sieht nun den Schrecken von Golgatha vor sich. Nur im Markus-Evangelium sagt der Herr Jesus in Vers 36: „Aber, Vater, alles ist dir möglich, nimm diesen Kelch von mir weg; doch nicht, was ich will, sondern was du willst.“ In den anderen Evangelien kommt das „Aber, Vater“ nicht vor. Dieses „Aber“ ist viel intimer als „Av“, „Avinu“ – unser Vater.
Im Judentum lehrt man, man darf Gott nicht „Aber“ nennen. In den Gebetsbüchern des Judentums findet man viele Bezeichnungen wie „Avinu Sheba Shemayim“ – unser Vater, der du bist in den Himmeln – und „Melech Haolam“ – König der Welt –, aber nie „Abba“. Doch der Herr Jesus, der ewige Sohn, der Knecht geworden ist, nennt Gott „Abba“. Diese innige, vertraute Beziehung zeigt, dass er als ewiger Sohn, obwohl er Knecht geworden war, eine besondere Nähe zu Gott hatte.
In jener Nacht wird der Herr überliefert und ans Kreuz gebracht. Dabei erfüllen sich alle Verse aus Jesaja 53. Nach diesen furchtbaren Leiden am Kreuz und sogar der Gottverlassenheit – Markus 15, Vers 34: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – folgt in Kapitel 16 die Auferstehung.
Die Schlussverse, Markus 16, Vers 9, fehlen in einigen griechischen Handschriften. Deshalb sagen Vertreter des Nestle-Aland-Textes, die sich auf eine Minderheit stützen, diese Verse seien nicht ursprünglich. Doch über 90 Prozent der Handschriften bestätigen diesen Text. So beginnt die frohe Botschaft im Markus-Evangelium und endet eben nicht mit Vers 8: „Es ergriff sie aber Zittern und Bestürzung, und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich.“ Vertreter des Nestle-Aland-Textes sagen, hier endet der Text. Aber dann geht es weiter: „Als er früh am ersten Wochentag auferstanden war, erschien er Maria Magdalena.“
Der Herr gibt den Jüngern den Auftrag, nun als Diener in die Welt zu gehen. In Vers 15 spricht er zu ihnen: „Geht hin in die ganze Welt und predigt das Evangelium der ganzen Schöpfung.“ Danach geht der Herr in den Himmel. In Vers 19 heißt es: „Der Herr nun wurde, nachdem er mit ihnen geredet hatte, in den Himmel aufgenommen und setzte sich zur Rechten Gottes.“ Die Jünger gingen aus und predigten überall, wobei der Herr mitwirkte und das Wort durch die darauffolgenden Zeichen bestätigte.
Das ist sehr interessant: Ausgerechnet im Markus-Evangelium, in dem wir die Erniedrigung des Herrn besonders finden, sehen wir auch seine Erhöhung zur Rechten Gottes. In den anderen Evangelien wird nicht gesagt, dass er sich zur Rechten Gottes gesetzt hat. Hier zeigt sich der Grundsatz aus Matthäus 23: Der Herr Jesus sagt, „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“
Im Markus-Evangelium, wo es um den Knecht geht, wird das Sitzen zur Rechten Gottes betont. Im letzten Vers sehen wir, dass die Jünger seinen Dienst auf Erden weiterführen müssen. Deshalb steht hier: „Jene aber gingen aus und predigten überall.“ Der Herr ist nicht einfach in den Himmel gegangen, um nichts mehr zu tun. Vom Himmel her gibt er seinen Jüngern die Kraft, denn aus eigener Kraft können sie es nicht schaffen. Sie waren völlig überfordert.
Das Geheimnis der Kraft zeigt sich in Vers 20: „Jene aber gingen aus und predigten in allen Orten, wobei der Herr mitwirkte und das Wort durch die darauf folgenden Zeichen bestätigte.“ Wir sind wie Handschuhe, und der Herr ist wie die Hand im Handschuh, die die Kraft gibt, um zu handeln. Ein Handschuh kann nichts aus sich selbst, aber er wirkt durch die Diener. So bleibt der Herr der Diener auf dem Thron.
Interessant ist auch, dass er hier „der Herr“ genannt wird. In Vers 20 heißt es: „… wobei der Herr mitwirkte.“ In Philipper 2, Verse 7 und folgende heißt es, dass der Herr Jesus sich siebenfach erniedrigt hat bis zum Tod am Kreuz. Darum hat Gott ihn hoch erhoben und ihm einen Namen gegeben, der über allen Namen ist. Dieser Name ist nicht der Name Jesus, den er schon nach der Geburt erhalten hatte, sondern es geht darum, dass jede Zunge bekennt, dass Jesus Christus Herr ist – Kyrios.
Im Evangelium wird Jesus Christus meist als „Jesus“ in seiner Erniedrigung genannt. Ab der Apostelgeschichte wird es üblich, von ihm als „dem Herrn Jesus“ zu sprechen. Auch die Jünger, die durch den Geist Gottes geleitet werden, sagen nach 1. Korinther 12 in der Kraft des Geistes „Herr Jesus“.
Wenn jemand immer nur von Jesus spricht, wirkt das seltsam. Natürlich können wir, wie im Hebräerbrief, sagen: „Hinschauend auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens“, denn er hat die Schande nicht geachtet und ist als erniedrigter Diener zum Kreuz gegangen. Aber dann wurde er zum Herrn erhoben. Deshalb sollen wir das als Bekenntnis sagen: „Herr Jesus.“
Ich habe einmal eine Rüge bekommen von jemandem, der sagte: „Wieso schreiben Sie in Ihrer Doktorarbeit ‚Herr Jesus‘? In einer Doktorarbeit darf man das doch nicht schreiben!“ Sind wir zweigespalten? Da ist unser Christenleben, und da ist unser „Weiß nicht was“? Nein! Wir bekennen uns in jedem Bereich zu dem Herrn Jesus. Das ist wunderbar, denn es ist die Erfüllung von Jesaja 53.
Das beginnt bereits in Jesaja 53, Vers 12: „Siehe, mein Knecht wird einsichtig handeln, er wird erhoben und erhöht und sehr hoch sein.“ All das finden wir im Markus-Evangelium. Er wurde erhoben aus dem Grab, dann haben wir die Himmelfahrt, er wurde erhöht und jetzt ist er sehr hoch. Das ist genau das Gottesknecht-Gedicht von Jesaja 53, das diese drei Stufen zeigt, wie der Schluss des Markus-Evangeliums sie vorstellt.
Natürlich ist das der inspirierte Text. Aber warum fehlt er dann in einigen Handschriften? Das hat uns niemand überliefert. Es gibt eine Parallele: Der Bericht von der Ehebrecherin in Johannes 8 fehlt ebenfalls in einigen Handschriften. Deshalb sagen Vertreter des Nestle-Aland-Textes, dieser Abschnitt sei ebenfalls nicht echt.
Augustinus, der um 400 lebte, hat uns überliefert, dass Menschen mit wenig Glauben – wenn man überhaupt von Glauben sprechen kann – diesen Abschnitt aus ihren Handschriften entfernt haben. Sie glaubten, dieser Abschnitt könnte Frauen zum Ehebruch verleiten. Sie haben nicht verstanden, dass es nicht um Ermutigung zum Ehebruch geht, sondern darum, dass selbst dann noch durch Umkehr Gnade möglich ist.
Deshalb haben einige diesen Abschnitt herausgenommen. Im Markus-Evangelium sagt der Herr Jesus in Vers 17, nachdem er gesagt hat, die Jünger sollen das Evangelium verkündigen: „Diese Zeichen aber werden denen folgen, die glauben: In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben, sie werden in neuen Sprachen reden, Schlangen aufnehmen, und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird es ihnen nicht schaden; Schwachen werden sie die Hände auflegen, und sie werden sich wohl befinden.“
Wir sehen, wie sich das in der Apostelgeschichte erfüllt hat, auch das mit der Schlange bei Paulus auf der Insel (Apostelgeschichte 28). Das Problem ist, dass im zweiten Jahrhundert diese Zeichen aufgehört haben. Wir haben kirchengeschichtliche Bestätigungen, dass das Sprachenreden dann aufhörte. Menschen mit wenig Glauben – oder besser gesagt ohne Glauben – haben diese Zeichen aus ihren Handschriften entfernt. Sie dachten, das sei nicht möglich.
Wer von uns würde heute eine Schlange aufnehmen, um zu sehen, was passiert? Sie haben nicht verstanden, was das bedeutet. Der Herr sagt den Jüngern, sie sollen das Evangelium verkündigen, und die, die zum Glauben kommen, werden diese Zeichen erleben. Es ist aber nicht klar, ob sich das auf die Generation bezieht, die durch die Apostel zum Glauben kommt, oder auf alle nachfolgenden Generationen. Das kann man aus dem Text nicht ersehen.
Im zweiten Jahrhundert haben diese Zeichen aufgehört. Offensichtlich galten sie nicht für alle Generationen, sondern nur für die Zeit der Apostel. Wir müssen diesen Text im Evangelium belassen, denn es ist Gottes Wort. Das hat sich auch bestätigt, und der Herr hat so gewirkt. Diese Zeichen waren wichtig, um das Wort der Apostel zu bestätigen.
Das erklärt, warum einige diese Verse weggelassen haben. Doch es ist wunderbar, wie das zum Markus-Evangelium passt und die Botschaft richtig krönend, im wörtlichen Sinn krönend, abschließt.