
Ja, schön, dass ihr da seid. Wir werden sicherlich einen spannenden Nachmittag haben. Ich werde es so machen, dass ich euch zuerst in das Thema einführe. Danach haben wir die Möglichkeit, uns auszutauschen, Fragen zu stellen und Dinge zu klären, die währenddessen aus eurer Sicht noch nicht abschließend beantwortet sind.
Es geht um die Frage des Sakrilegs oder um den Da Vinci Code. Ich vermute, wenn ich euch diese beiden Begriffe vor zwei oder drei Jahren genannt hätte, hätten die meisten von euch nur mit den Achseln gezuckt und nicht gewusst, was sie dazu sagen sollen. Ich will euch damit nicht zu nahe treten, aber was soll bitte der Da Vinci Code sein? Losgelöst von dem Buch wären manche vielleicht der Meinung, das sei ein neuer Computercode oder so – denn es gibt ja Codes, neue Computerprogramme oder Sprachen, mit denen man etwas aufschreiben kann.
Vielleicht hätten sich andere daran erinnert, dass „Da Vinci“ darin vorkommt, und angenommen, es handele sich um eine Diskussion unter Kunsthistorikern über Leonardo da Vinci. Dabei liegen sie nicht ganz falsch. Allerdings ist die Diskussion um den Da Vinci Code nicht ganz ernst zu nehmen.
Wenn ich vor zwei bis drei Jahren den Begriff Sakrileg erwähnt hätte, hätten sich einige vielleicht daran erinnert, dass das Wort Sakrileg so viel wie Gotteslästerung bedeutet. Es heißt, etwas Heiliges in den Dreck zu ziehen oder sich über etwas lustig zu machen, das anderen Menschen in ihrem Glaubensleben wichtig ist.
Inzwischen hat sich das Total verändert. Heute denken die meisten, wenn sie den Begriff Sakrileg hören, an diesen Roman – ich habe es heute Morgen schon erwähnt –, der inzwischen über 50 Millionen Mal verkauft wurde. Um eine vergleichbare Größenordnung zu nennen: In den letzten hundert Jahren gibt es keinen Roman, der in so kurzer Zeit so häufig verkauft wurde. Dadurch hat dieses Buch eine ganz besondere Bedeutung bekommen.
Der Film zum Buch wurde ebenfalls relativ gut besucht. Dan Brown, der Autor des Buches und auch des Films, hat dabei sehr gut verdient. Darüber könnte man richtig neidisch werden: Er hat durch die Filmrechte und den Buchverkauf ungefähr 170 Millionen Dollar verdient – nicht schlecht.
Ich persönlich hätte auch nichts dagegen, so einen Bestseller zu schreiben. Dann könnte ich hier für die Bibelschule gratis arbeiten, noch ein paar Umbauarbeiten finanzieren und euch kostenlos zur Freizeit einladen. Das wären dann alles nur noch Peanuts – so wie es vor ein paar Jahren der Chef der Deutschen Bank mal ausgedrückt hat.
Nun, er hat dabei ganz gut verdient, das ist also so ein Bestseller. Meine persönliche Geschichte mit dem Sakrileg fing eigentlich vor ungefähr zweieinhalb Jahren an. Damals war das Buch in Deutschland noch ganz frisch.
Ich war für die Vorbereitungsarbeit bezüglich der Examen einmal bei Jutta Seidl. Einige kennen sie vielleicht, sie arbeitet hier bei uns im Büro. Wir hatten uns etwas unterhalten, und nachdem wir die Sachen geklärt hatten, erzählte sie mir, dass ihr Bruder gerade ein seltsames Buch gelesen habe. Ihr Bruder ist nicht ganz so fromm und hatte sie damit konfrontiert, dass Jesus verheiratet gewesen sei und das, was in der Bibel steht, eigentlich gar nicht stimme.
Dann fragte sie mich, welche guten Argumente sie ihrem Bruder nun sagen könne. Ich suchte einige heraus, gab ihr ein paar und meinte, es sei eine seltsame Idee, aber okay, dann könne sie das Gespräch weiterführen.
In den kommenden Monaten begegneten mir immer mehr Menschen, die diese Ideen vertraten. Das wunderte mich, und ich stellte fest, dass sie alle aus derselben Quelle stammten: Sie hatten alle diesen Roman gelesen. Damals war das Buch in Deutschland noch nicht so populär, es stand hier noch nicht auf der Bestsellerliste. In den USA dagegen schon. In Deutschland kam die Popularität erst später.
So dachte ich mir, wenn einige Leute diese Fragen haben, lese ich mir den Roman auch mal durch. Da ich neben fachlicher Literatur auch gerne mal einen guten Roman oder einen spannenden Thriller lese, kaufte ich das Buch und las es dann durch.
Ich fand die Geschichte zunächst einmal ganz spannend, muss ich sagen. Manche Dinge in dem Buch haben mich geärgert – darauf komme ich gleich noch einmal zurück. Einige Sachen fand ich einfach etwas unsinnig oder blöd, andere wiederum waren durchaus gelungen. Insgesamt entspricht der Roman sicherlich den durchschnittlichen Erwartungen an einen amerikanischen Thriller. Man erwartet keine anspruchsvolle Literatur, sondern ein bisschen Action, einige Morde, eine Handlung, die nicht zu komplex ist, und möglichst kurze Kapitel, sodass man sich nicht lange konzentrieren muss. Genau das erfüllt Dan Brown mit seinem Roman.
Deshalb ist das keine große Literatur. Ich kann ziemlich genau versprechen, dass in zehn Jahren kaum noch jemand über dieses Buch sprechen wird – höchstens als eine Randnotiz, dass es früher einmal diesen Roman gab. Denn literarisch, kulturell oder geschichtlich hat der Roman kaum Bedeutung. Das muss er auch nicht, schließlich ist es erst einmal ein unterhaltender Roman.
Da ich aber davon ausgehe, dass nicht alle von euch versierte Dan-Brown-Fans oder Spezialisten sind und das Buch nicht alle als Voraussetzung für diesen Nachmittag gelesen haben – immerhin sind es über sechshundert Seiten, auch wenn die Kapitel kurz sind – und ihr wahrscheinlich auch nicht alle gestern Abend im Kino wart, um den Spielfilm anzuschauen, werde ich für diejenigen, die das nicht kennen, die Handlung kurz zusammenfassen. So wisst ihr überhaupt, worum es geht.
In „Sakrileg“ geht es um den amerikanischen Professor Langdon. Er ist Professor an der renommierten Harvard University und hat dort den Lehrstuhl für Symbolik. Die Harvard University gibt es wirklich, einen Lehrstuhl für Symbolik allerdings nicht. Aber es ist ja ein Roman, da kann man solche Details durchaus erfinden. Langdon ist also Spezialist darin, die Bedeutung verschiedenster Symbole zu entschlüsseln.
Um ein neues Buch zu schreiben, reist er nach Paris. Dort übernachtet er in einem noblen Hotel und will sich am nächsten Tag mit dem Direktor des Louvre, des größten und bekanntesten französischen Museums, treffen, um Recherchen anzustellen. Doch dazu kommt es nicht mehr. Am selben Abend wird er von der französischen Polizei abgeholt.
Währenddessen, wir als Leser oder Zuschauer erfahren das, wird der Louvre-Direktor in seinem Museum von einem Killer niedergestreckt und erschossen. Kurz darauf trifft Langdon am Tatort ein. Was er nicht weiß: Er wird des Mordes verdächtigt. Immerhin war er einer der Letzten, der einen Termin mit dem Direktor vereinbart hatte. So gerät er in den engeren Kreis der Verdächtigen.
An dieser Stelle, ohne dass wir genau wissen, wie es weitergeht, tritt eine junge Frau auf. Sie ist hübsch und intelligent, Polizistin bei der französischen Polizei und spezialisiert auf das Entschlüsseln von Codes und Symbolen. Zufälligerweise ist sie auch noch die Enkelin des ermordeten Louvre-Direktors.
Als sie Professor Langdon sieht, ist sie sofort von ihm eingenommen. Nicht direkt als Liebe, aber sie ist überzeugt, dass er kein Mörder sein kann. Das wird im Roman nicht explizit so gesagt, aber so ähnlich kommt es heraus. Sie hintergeht sogar ihren Vorgesetzten und verrät Langdon auf der Herrentoilette, dass er verdächtigt wird, sie ihn aber für unschuldig hält.
Gemeinsam konstruieren sie eine Flucht. Der Rest des Buches handelt von dieser Flucht. Dabei werden sie von dem ominösen Killer verfolgt, der bereits den Großvater getötet hat, sowie von der französischen Polizei. Sie fliehen quer durch Paris und müssen nebenbei das Rätsel des Mordes lösen.
Der Louvre-Direktor war beim Anschlag nicht sofort tot, sondern hatte noch einige Minuten Zeit, um geheimnisvolle Andeutungen auf die Rückseite eines Gemäldes zu malen und auf dem Boden zu hinterlassen. Aufgrund dieser Hinweise gehen Langdon und die Polizistin zunächst zu einer Filiale einer Schweizer Bank in Paris. Dort löst sich das Problem nicht, aber sie finden einen Hinweis auf einen weiteren Ort.
Diesen Ort besuchen sie dann, nämlich Sir Teabing. Er ist ein reicher, etwas verrückter Engländer, der sein ganzes Leben der Erforschung des Heiligen Grals gewidmet hat.
Und jetzt werden einige von euch wieder nachdenken, sich am Kopf kratzen und fragen: Was ist denn der Gral? Nun, der Gral ist eine ganz wichtige Sache. Er ist nämlich eine Reliquie.
Jetzt werden wieder andere fragen: Was ist denn eine Reliquie? Reliquien waren im Mittelalter sehr beliebt. Wer etwas auf sich hielt, besaß einige solcher Reliquien. Diese sollten Überreste von biblischen Personen oder Heiligen der Kirchengeschichte sein. Das heißt zum Beispiel ein Zahn, der übrig geblieben ist, eine Haarsträhne oder vielleicht ein Kleidungsstück.
Man ging davon aus, dass diese Gegenstände in inniger Beziehung zu der Person standen und von Gott erfüllt waren. Deshalb müsse auch in diesem Zahn oder in diesem Hemd noch etwas von der heiligen Energie Gottes enthalten sein. Wenn wir solche Reliquien bei uns haben, dann ist auch ein Stück Gottes bei uns.
Diese Vorstellung ist übrigens nicht völlig vergangen. Bis heute besitzt jede katholische Kirche mindestens eine Reliquie, mit der die Kirche geweiht wird. Diese befindet sich normalerweise unter dem Hauptaltar und ist ein Überrest eines Heiligen. Die katholische Kirche verfolgt damit dasselbe Konzept: Die Heiligkeit strahlt auf die ganze Kirche aus und natürlich auch auf das Abendmahl, das dort gefeiert wird.
Diese Reliquien waren im Mittelalter sehr modern, und es gab bereits Romane. Einer der bekanntesten Autoren war Wolfram von Eschenbach, ein deutscher Bestsellerautor, ähnlich wie Dan Brown heute. Er hat den Gral erfunden; bis dahin gab es ihn nicht.
Wolfram von Eschenbach stellte sich vor, dass der Gral eine ganz besondere Reliquie sein müsse. In seinen Romanen taucht der Gral immer wieder auf, wird aber nie gefunden. Das ist auch wichtig, denn man wusste damals schon: Wird der Gral gefunden, ist die Geschichte vorbei. Deshalb muss immer offenbleiben, dass ein Nachfolgeroman geschrieben werden kann. So kann die Geschichte immer weitergehen, und der Gral bleibt geheimnisvoll.
Der Gral soll eine Reliquie des Kelches sein, aus dem Jesus das letzte Abendmahl mit seinen Jüngern gefeiert hat. Das ist schon etwas Besonderes. Jesus trank aus diesem Kelch und sagte in dessen Gegenwart: „Das ist mein Blut.“ Die Katholiken glauben, dass es sich dabei tatsächlich um Blut handelt, das durch die Transsubstantiation in die Hostie verwandelt wird.
Zusätzlich soll in diesem Trinkgefäß auch das Blut Jesu aufgefangen worden sein, das aus seinen Wunden am Kreuz floss. Dieses Blut wäscht unsere Sünden ab, wenn man den biblischen Aussagen Glauben schenkt. Somit befindet sich auch dieses Blut im Kelch.
Wenn man diesen Kelch findet, müsste er fast vor spiritueller und geistiger Kraft explodieren. Das war also der Gral.
Sir Teabing erzählt nun Sophie, der Polizistin, und Professor Langdon diese ganze Geschichte. Er kommt zum Höhepunkt seiner Forschungen und sagt, dass sich alle geirrt haben. Er weiß, was der Gral wirklich ist.
Der Gral ist in Wirklichkeit nicht das Trinkgefäß. Das sei ein Irrtum. Tatsächlich sei der Gral das Gefäß, in das Jesus sein Blut hineingegeben hat – aber nicht im wörtlichen Sinne, sondern als Frau. Gemeint ist seine Stammlinie, also seine Nachkommen, seine Blutlinie.
Diese Blutlinie sei weitergegeben worden. Der Gral sei eigentlich Maria Magdalena, denn Jesus hätte mit ihr zusammen Kinder gezeugt. Bis heute lebten Nachkommen Jesu unter uns. Das sei das Geheimnis.
Wenn dieses Geheimnis bekannt würde, würde die gesamte Kirche zusammenbrechen, sagt Sir Teabing.
Während sie über den Gral nachdenken, vergessen sie, dass sie noch verfolgt werden. Plötzlich steht der Killer mitten im Zimmer und will sie niederstrecken. Doch Sir Teabing ist flink auf den Beinen. Obwohl er eigentlich eine Krücke hat, schlägt er den Profikiller nieder. Der Killer war wohl nicht gut trainiert.
Sie binden ihn fest, doch gerade als sie fertig sind, steht die französische Polizei vor der Tür und will sie verhaften. Also müssen sie fliehen – buchstäblich vom Acker machen.
Sie springen in den Land Rover, jagen über den Acker und kommen zu einem Privatflughafen. Dort steht ein Privatflugzeug bereit, das gerade aufgetankt wird. Der flinke Engländer besitzt dieses Flugzeug, und sie jetten vor der französischen Polizei nach England.
Dort besuchen sie noch am selben Tag einige Kirchen und verfolgen weiter das Geheimnis des Grals. Natürlich finden sie ihn bis zum Ende nicht. Auch Dan Brown will schließlich weiterschreiben, vermutlich in seinem nächsten Roman, der noch in diesem Jahr erscheinen soll.
Der neue Roman soll „The Solomon Key“ heißen, zumindest auf Englisch. Ob das wirklich so kommt, ist noch ungewiss, aber so hat er es zumindest gesagt. Dort soll die Geschichte weitergehen.
Den Gral findet man bis zum Schluss nicht. Doch zumindest wird in London das Geheimnis der Morde gelüftet.
Von Anfang an bekommt man als Leser des Buchs und Zuschauer des Films den Eindruck, dass ein geheimer katholischer Orden, das Opus Dei, verantwortlich sein müsse. Man glaubt, sie wollten das Geheimnis in die Hände bekommen, um es zu unterdrücken und so das Überleben der katholischen Kirche zu sichern.
Doch dann wird das Geheimnis gelüftet, und tatsächlich ist es nicht der Apostel, der dahintersteckt.
Nun fragt ihr euch sicher: Wer war es denn? Das verrate ich natürlich nicht, denn falls ihr den Film noch sehen oder das Buch lesen wollt, wäre dann die ganze Spannung weg.
Für das Verständnis von Dan Browns Argumentation ist das auch nicht weiter wichtig, deshalb kann ich es hier ruhen lassen. Es gibt eine überraschende Lösung – das muss natürlich sein, sonst gäbe es ja keine Spannung.
Am Ende besuchen sie die Rosslyn Chapel an der Grenze zu Schottland. Dort löst sich zumindest ein Teil des Problems: Sophie findet ihre Großmutter wieder, die sie für verschollen gehalten hatte, und auch ihren Bruder.
Das Ganze endet unter dem Sternenhimmel. Sophie und Langdon halten Händchen und verabreden sich, sich vielleicht irgendwann wiederzutreffen. Und damit ist die Geschichte eigentlich zu Ende.
Weder wurde bewiesen, ob Maria Magdalena tatsächlich anwesend war, noch wurde der Gral gefunden oder sonst irgendein Rätsel gelöst. Es sind lediglich einige Menschen ums Leben gekommen, es gab viele Verfolgungsjagden und einige Geheimnisse rund um den Gral. Am Ende ist man jedoch nicht wirklich viel klüger geworden.
Das wäre im Grunde die Handlung des Buches beziehungsweise des Films. Und so betrachtet, könnte man durchaus sagen, dass es eine spannende Handlung ist. Es gibt ein Geheimnis, das gelöst werden muss, verschiedene Stationen und Rätsel, die es zu knacken gilt, eine hübsche junge Frau und einen intelligenten jungen Mann. Was will man mehr von einem unterhaltsamen Roman erwarten? Insofern fand ich die Geschichte durchaus lesenswert.
Zugegebenermaßen gab es einige Dinge in der Handlung, die mich etwas verblüfft oder auch geärgert haben. Als versierter Thriller-Leser erschienen mir manche Szenen doch etwas merkwürdig. Zum Beispiel der Profikiller, der den Direktor des Louvre töten soll. Er steht vor seinem Opfer und feuert ein ganzes Magazin auf ihn ab. Doch er trifft ihn nur einmal irgendwo im Bauch. Da dachte ich mir: So einen schlechten Thriller habe ich auch noch nicht gelesen. Ein Killer sollte doch besser wissen, wohin er schießt. Wenn er schon schießt, sollte er sein Opfer auch treffen, oder?
Zugegeben, es ist etwas dämmerig dargestellt. Mit modernen Waffen hat man entweder einen Laser oder eine Nachtsichtbrille auf, oder was auch immer, und geht etwas näher heran. Trotzdem steht er neben seinem Opfer, sieht ihn sich an, der sich windet und sogar mit ihm spricht. Statt ihn endgültig zu erledigen, geht der Killer einfach weg und lässt ihn halb tot liegen. So ein schlechter Killer! Er hat ihn doch gesehen. Wenn jetzt ein Wachmann vorbeikommt, kann der eine Personenbeschreibung geben, und zack, sitzt der Killer im Gefängnis. Statt noch einmal zu schießen, geht er einfach vorbei. Das fand ich von der Handlung her ziemlich unglaubwürdig.
Aber wie gesagt, wenn das nicht so wäre, wäre die ganze Geschichte am Ende. Wäre der Direktor des Louvre sofort tot, hätte er nichts mehr aufschreiben können, und es gäbe kein Rätselraten. Von daher musste das wohl so sein, auch wenn es für die Handlung etwas künstlich wirkt.
Dann gab es noch ein paar andere Dinge, die mich verblüfft haben. Der Louvre-Direktor beispielsweise. Ich habe versucht, mich in seine Rolle hineinzuversetzen: Er liegt schwer getroffen am Boden, und dennoch analysiert er sofort seine Verletzung. Er scheint sogar ausgebildeter Mediziner zu sein, denn er erkennt sofort, dass es sich um einen Magendurchschuss handelt. Woher er das weiß, ist mir unklar. Ob er selbst schon einmal eine Magenverletzung hatte? Wie kann er wissen, ob Dünndarm, Dickdarm, Niere, Leber oder Magen getroffen sind? Er weiß es einfach sofort.
Er schätzt außerdem, dass ihm nur noch zwanzig Minuten zu leben bleiben. Das ist schon sehr speziell. Ich habe in Büchern über Medizin und Bauchverletzungen nachgelesen. Dort steht, dass bei einer nicht getroffenen Aorta die Betroffenen nicht sofort sterben, sondern etwa 75 Prozent überleben. Das heißt, er hätte nach zwanzig Minuten nicht sterben müssen. Aber das musste für die Geschichte so sein, sonst wäre es kein Mordfall. Wie gesagt, das wirkte für mich etwas künstlich und problematisch.
Auch andere Details haben mich überrascht. Zum Beispiel springen die Protagonisten zusammen in Sophies Auto, einen modernen Smart. In der englischen Ausgabe heißt es, der Smart habe einen Ein-Liter-Motor und verbrauche nur einen Liter auf hundert Kilometer. Ist das nicht super? Allerdings bekommt man so einen Smart wohl nur bei Dan Brown. Beim Mercedes-Benz oder bei Smart selbst verbraucht er doch etwas mehr. Zwar ist er sparsam, aber mit einem Liter kommt er nicht aus.
Das sind Details, bei denen man sagen könnte, gut, es ist ein Roman, und man hat gewisse Freiheiten. Aber bei solchen Dingen, die sich einfach recherchieren ließen, machen sie die Geschichte doch etwas glaubwürdiger und spannender, wenn man sich wirklich hineinversetzen kann.
Als ich dann neugierig wurde und einige Details nachprüfte, fielen mir weitere Unstimmigkeiten auf. Ich hatte am Gymnasium Biologie im Leistungskurs und erinnerte mich an einige Dinge, als Professor Langdon im Roman ausführlich über Biologie und die Zahl Phi sprach, die überall in der Natur vorkommt.
Unter anderem sagte er, dass das Verhältnis der männlichen und weiblichen Bienen im Bienenstock immer der Zahl Phi entspreche. Da dachte ich mir: Das kann doch gar nicht stimmen. Vielleicht erinnert ihr euch, dass es im Winter im Bienenstock gar keine Drohnen, also keine männlichen Bienen, gibt. Im Winter ist das Verhältnis also eins zu null und nicht eins zu Phi.
Im Sommer habe ich nachgeschlagen, weil ich es nicht mehr genau wusste. Das Verhältnis liegt etwa bei eins zu fünfzig, aber nicht bei eins zu Phi. Hier erzählt er also von Naturkonstanten und biologischen Fakten, die frei erfunden sind. Er tritt dabei so auf, als ob das richtig wäre. Das frage ich mich natürlich: Das sind Fakten, die er mit einem Klick bei Wikipedia hätte nachschlagen können, und dann sind sie trotzdem falsch.
Wenn jemand auftritt und behauptet, die Geheimnisse der Kirchengeschichte zu entschleiern, habe ich da natürlich Probleme, wenn er schon bei solchen einfachen Dingen danebenliegt. Ich könnte euch noch zahlreiche weitere Beispiele nennen. In meinem kleinen Büchlein habe ich etwa 30 solcher Fälle aufgelistet, in denen er bei ganz einfachen Fakten offensichtlich falsch liegt.
Zum Beispiel Leonardo da Vinci. Er wird im Roman häufig erwähnt. Dort steht, dass Leonardo da Vinci Hunderte von Auftragswerken für den Vatikan gemalt habe. Schaut man jedoch in die Biografie von Leonardo da Vinci, sieht man, dass er nur ein einziges Werk für den Vatikan gemalt hat. Das ist doch ein erheblicher Unterschied.
Er hat zwar für andere Kirchen gemalt, aber nicht für den Vatikan. Trotzdem gibt er sich als Kenner von Leonardo da Vinci aus, interpretiert seine Gemälde und sieht darin große Geheimnisse. Dabei liegt er schon bei den grundsätzlichen Fakten total daneben.
Er spekuliert lange über die Mona Lisa, die auch auf dem Filmplakat zu sehen ist. Er schreibt, dass die Mona Lisa von Leonardo da Vinci diesen Namen bekommen habe, weil Leonardo ausdrücken wollte, dass der Mensch der Zukunft ein mannweibliches Wesen sei. Deshalb sei die Mona Lisa auch nicht ganz weiblich, aber auch nicht ganz männlich, sondern ein Zwischenwesen.
Er behauptet, in „Mona Lisa“ stecke eigentlich das Wort „Amon et Isa“, zwei ägyptische Gottheiten: Isa (Isis) als weibliche Gottheit und Amon als männliche Gottheit, die hier zusammengezogen seien.
Ein kleiner Schönheitsfehler ist, dass Leonardo da Vinci dem Gemälde gar keinen Namen gegeben hat. Der Name „Mona Lisa“ wurde erst Jahrzehnte später von seinen Erben vergeben. Er konnte also schlecht eine besondere Bedeutung hineinlegen. Das scheint ihm bei seinen Recherchen entgangen zu sein.
Das sind alles solche Details. Als Kirchengeschichtler war mir auch klar, wie es mit den Rollen von Qumran ist. Dan Brown zitiert die Qumran-Rollen immer wieder als „die eigentliche Quelle über das wahre Urchristentum“. Sir Teabing erwähnt im Roman, dass die Rollen 1950 entdeckt wurden.
Einige von euch wissen wahrscheinlich, dass das nicht stimmt. Diese Rollen wurden bereits 1947 ausgegraben. Auch hier stellt sich die Frage: Wenn jemand die großen Geheimnisse der Kirchengeschichte entschleiern will, warum liegt er schon bei den ganz einfachen Fakten daneben?
Überhaupt muss ich sagen, dass der ganze Plot, also die Idee, die Kirche würde zusammenbrechen oder Menschen würden sich umbringen lassen für das Geheimnis, dass Jesus verheiratet gewesen sei, für mich nicht nachvollziehbar ist.
Ehrlich gesagt würde ich mich nicht umbringen lassen, nur weil Jesus verheiratet war oder nicht. Wenn jemand sagt: „Jesus war verheiratet“, und ich sage nein, dann würde ich nicht erschossen werden wollen. Ich glaube, das ist mir egal. Ich weiß nicht, wie es euch geht.
In meinem Glaubensbekenntnis steht jedenfalls nicht: „Ich glaube an Jesus, den Ledigen“. Steht das bei euch drin? Ich kenne das weder von der evangelischen Kirche noch von der katholischen, noch von den Baptisten oder den Freien Evangelischen.
Das liegt daran, dass der Zivilstand Jesu im Glaubensbekenntnis und in der Bibel keine Rolle spielt. Viel wichtiger ist: Er ist der Sohn Gottes, er ist für meine Sünden gestorben, er ist auferstanden und sitzt zur Rechten Gottes. Das ist für mich wichtig. Ob er verheiratet war oder nicht, spielt keine Rolle.
Das heißt nicht, dass ich falsch verstanden werden möchte. Ich glaube nicht, dass er verheiratet war. Ich glaube nur, dass die Idee, dass sich deshalb Leute umbringen lassen oder die katholische Kirche Bestechungsgelder zahlt und Killer losschickt, ziemlich absurd klingt.
Wenn heute ein Dokument aus dem Standesamt von Nazaret gefunden würde, in dem stünde, dass Jesus von Nazaret geheiratet hat, würde mein persönlicher Glaube nicht zusammenbrechen. Jesus wäre dann immer noch Gott, er wäre immer noch für meine Sünden gestorben. Das macht keinen Unterschied.
Nebenbei gesagt glaube ich nicht, dass Jesus verheiratet war. Erstens, weil es keinen positiven Hinweis darauf gibt. Genauso gut könnte ich sagen, Jesus hat gerne Schokoladenpudding gegessen. Das könnte man auch behaupten, steht aber nicht in der Bibel.
Ein kleines Problem dabei: Schokolade kam erst später aus Südamerika, also hätte er sie nicht haben können. Aber in Gottes Reich ist das natürlich möglich. Das wäre aber reine Spekulation.
Die Bibel sagt nichts darüber, also kann man einfach eine Behauptung aufstellen. Wenn jemand eine Behauptung aufstellt, sollte er gute Argumente dafür bringen. Wenn ich keine guten Argumente dafür habe, dass Jesus verheiratet war, müsste ich erst einmal davon ausgehen, dass er es nicht war.
Wenn nirgends eine Ehefrau erwähnt wird und später alle Christen sagen, er sei nicht verheiratet gewesen, sollte ich das als Grundlage nehmen. Wenn ich das nicht tue, muss ich gute Argumente vorbringen.
Generell glaube ich nicht, dass das die größte Katastrophe der Weltgeschichte wäre. Das erscheint mir das problematischste an der gesamten Konzeption des Buches.
Ich glaube auch nicht, dass die katholische Kirche untergehen würde, wenn irgendwann einmal ein solcher Beweis erbracht werden könnte. Was ich allerdings nicht glaube.
Nun, wie sieht es bei Dan Brown aus? Nennt er irgendwelche nachprüfbaren Fakten über diese Ehe Jesu?
Zum einen sagt er – und das ist sein wichtigstes Argument –, dass zur Zeit Jesu rabbinische Gelehrte verheiratet sein mussten. Das ist sein Hauptargument. Und damit hat er auch nicht ganz unrecht, denn bei den Juden war die Ehe durchaus positiv angesehen. Anders als in der katholischen Kirche heute, wo der Priester ja unverheiratet sein muss – das sogenannte Zölibat –, war es so, dass bei den Juden normalerweise Priester und Propheten verheiratet gewesen sind.
Warum? Weil die Ehe ja schon in der Schöpfungsgeschichte als positiv erwähnt wird. Die Ehe ist nicht erst ein Ergebnis des Sündenfalls, sondern von Gott von Anfang an positiv gedacht worden. Nicht so, wie spätere Kirchenväter wie Augustinus leider sagen, dass durch die Sexualität die Erbsünde übertragen werde – das sei eine Irrlehre. Sexualität ist von Gott auch erst mal positiv, und deshalb hätte Jesus nicht gesündigt, wenn er geheiratet hätte. Das wäre total legitim gewesen.
Ich hätte es Jesus durchaus auch gewünscht. Ich bin verheiratet, ich bin gerne verheiratet, ich finde es gut, verheiratet zu sein, und ich hätte das Jesus auch gewünscht. Aber wie gesagt, er hat es nach allem, was wir wissen, nicht getan – aus freier Entscheidung. Ich glaube auch, Jesus hat es nicht getan, weil er keinen Kuddelmuddel unter seinen Nachfolgern wollte.
Er wusste nämlich mehr als Mohammed. Mohammed wusste das ja nicht, der hat gleich mehrere Frauen geheiratet, neun an der Zahl insgesamt, und hatte natürlich zahlreiche Nachkommen. Typischerweise haben sie sich gleichzeitig gestritten, wer der große Nachfolger Mohammeds sei, haben sich gegenseitig umgebracht. Da wurde der Ali umgebracht, deshalb gibt es heute die Schiiten und die Sunniten. Das wusste Jesus und hat gesagt: „Nee, spielt alles keine Rolle.“ Und dann sagt er ja: „Meine Brüder und Schwestern sind die, die den Willen meines Vaters im Himmel tun.“ Das war für ihn wichtig, nicht die leiblichen Nachkommen.
Deshalb glaube ich, dass Jesus nicht geheiratet hat. Darüber hinaus wusste er ja auch, dass er so mit 33 Jahren sterben wird, und er wollte ja nicht eine Witwe zurücklassen, die dann allein trauernd dort irgendwo sitzt und sich keiner mehr um sie kümmert. Ich glaube, auch das wird noch ein Grund gewesen sein.
Sicherlich wird auch noch ein Grund gewesen sein, dass er sich dann mehr um die Menschen kümmern konnte, wenn er sich nicht um seine Familie kümmern musste. All solche Sachen werden eine Rolle gespielt haben. Aber er hätte prinzipiell heiraten können, ohne zu sündigen.
Nun, wie sieht es mit dem Hauptargument aus? Jeder jüdische Rabbiner hätte heiraten müssen. Zum einen ist es so: Wenn ich das Alte Testament durchlese, dann scheinen mir da manche der Propheten nicht verheiratet zu sein. Ich denke da zum Beispiel an Elija. Ich weiß nicht, wie es euch geht.
Elija zieht immer durch die Gegend. Eine Frau wird nie erwähnt. Manchmal übernachtet er wochenlang im Obergemach der Witwe, nicht? Aber eine Frau ist er nicht, und scheinbar ist er unverheiratet. Dann ist er bei der Witwe von Sarepta, da ist er auch monatelang. Wenn er verheiratet wäre, hätte er doch sicherlich seine Kinder und Frau mitgenommen, sonst würden die ja verhungern – in Israel herrschte ja eine Hungersnot.
Also ich glaube, hier sind Hinweise darauf, dass Elija ledig war. Wie gesagt, nur Hinweise, kein Beweis.
Im Neuen Testament glaube ich auch, dass solche Leute wie Johannes der Täufer ledig gewesen sind. Es wird erst mal nie von einer Frau geredet. Darüber hinaus habe ich den Eindruck, dass eine Frau sicherlich in der Wüste nicht das karge Mal von getrockneten Heuschrecken und wildem Honig mit ihm geteilt hätte. Also die hätte ihm schon gesagt: „Besorg mal was Anständiges!“ Und zumindest hätte sie darauf geachtet, dass er etwas Ordentliches anzuziehen gehabt hätte.
Also meine Frau zumindest würde mich nicht Tag ein Tag aus mit einem zerlumpten Mantel da herumlaufen lassen, nur nicht. Zugegebenermaßen ist da etwas Scherz dabei, das ist jetzt nicht ganz ernst zu nehmen, weil wir es ja nicht hundertprozentig wissen, aber es ist eine Tendenz.
Von denen, von denen wir wissen, dass sie ledig waren, war im Neuen Testament Paulus einer. Denn er erwähnt es im 1. Korinther 7 und empfiehlt es auch anderen. Und das wurde nie grundsätzlich bestritten.
Da stellt sich die Frage: Wenn Paulus doch ein Zeitgenosse Jesu war, ein frommer Jude und Pharisäer, wie er selbst sagt, und sogar bei Gamaliel in Jerusalem gelernt hat – also zur geistigen Elite gehörte –, wieso konnte der Oberpharisäer sein und nicht heiraten? Dann müssen wir sagen: Warum Jesus denn nicht? Scheinbar war es möglich.
Ich habe danach im Talmud, dem jüdischen Gesetzbuch, nachgesehen. Dort werden auch andere jüdische Rabbiner erwähnt, die zur Zeit Jesu nicht verheiratet gewesen sind. Also scheinbar gab es das auch im Judentum.
Darüber hinaus, wer sich heute etwas intensiver mit den Leuten vom Qumran auseinandersetzt, weiß, dass viele dieser Qumran-Männer sehr spät geheiratet haben oder gar nicht geheiratet haben. Sie sahen die Heirat als belastend, niederziehend und unspirituell an – entgegen dem Alten Testament. Deshalb wollten sie sich damit nicht beflecken, um ihren Geist weiterentwickeln zu können.
Zumindest galten diese Qumranleute damals in Israel als besonders fromme, als vorbildliche Juden in ihrer Gesetzestreue.
Jetzt müssen wir sagen: Wenn wir alttestamentliche Propheten haben, wenn wir Paulus als Vorbild eines frommen Pharisäers haben, wenn wir im Talmud andere jüdische Gelehrte haben, die nicht verheiratet waren, und wenn wir die Qumranleute haben, die nachweislich zum großen Teil nicht verheiratet gewesen sind – warum bitte hätte Jesus dann heiraten müssen?
Dann sagen wir: Das Argument ist doch ziemlich schwach.
Wir müssen immerhin sagen: Ja, natürlich hätte er heiraten können, aber das Argument „er hätte heiraten müssen“ ist falsch. Wir haben genügend Gegenbeispiele, wo fromme Pharisäer und Juden nicht geheiratet haben, ohne dass es ihnen zum Vorwurf oder zum Verhängnis geworden ist. Also muss man bessere Argumente haben.
Aber Dan Brown kann auf kein einziges zeitgenössisches Dokument hinweisen, das darauf hinweist, Jesus sei verheiratet gewesen. Reine Fantasie.
Also könnten wir sagen, damit wäre diese Diskussion beendet. Damit wäre diese These des Buches auch erledigt.
Wir könnten dabei natürlich auch sagen: Warum beschäftigen wir uns eigentlich mit diesem Unsinn? Es ist doch nur ein Roman, oder? Und tatsächlich reagieren viele Leute so und sagen: „Roman, das liest man.“ Manche Leute lesen auch Fantasy-Romane oder Science-Fiction-Romane, da ist ja auch alles erfunden, und man kümmert sich nicht darum.
Das kleine Problem dieses Romans und von Dan Brown ist nur, dass er den Anspruch erhebt, historische Wahrheit weiterzugeben. Das sagt er im Vorwort seines Buches, auf Seite neun. Dort erwähnt er, dass alle Dokumente, die er zitiert, alle Kunstwerke, die er benennt, historisch zuverlässig und korrekt zitiert worden seien. Und das sind gerade Dokumente, die er zitiert und bei denen er darauf hinweist, dass das so und so sei.
In Interviews weist er darauf hin. Das kann man auf der Internetseite danbrown.de, auch auf der Seite des Verlages, des Lübbe-Verlages und auf anderen Seiten lesen. Dort sagt er ganz öffentlich, dass er glaubt, dass tatsächlich Jesus verheiratet war und dass das unterdrückt worden ist.
Er schreibt darin, dass er am Anfang seiner ausführlichen Recherche noch Zweifel gehabt habe, aber nach jahrelanger Suche selbst überzeugt worden sei.
Darüber hinaus gibt es in der Zwischenzeit zahlreiche sogenannte Sachbücher, die diese These aufgreifen, ausführen und nun belegen wollen, warum es tatsächlich so war.
Vor eineinhalb Jahren hatte National Geographic eine Sondernummer vor Weihnachten herausgegeben mit dem Titel „Die Ehe Jesu“. Dort wurde darauf hingewiesen, Jesus sei verheiratet gewesen – immerhin ein relativ renommiertes Nachrichtenmagazin.
Als der Film hier in Lippe angelaufen ist, wurde von der Lippischen Landeszeitung ein Pfarrer interviewt, ein Herr Jörg Langbein. Er sagte im Interview: „Na ja, die Geschichte mit dem Louvre-Direktor sei ja erfunden, aber dass Jesus verheiratet gewesen sei, das sei eine Tatsache.“
Und da merken wir: Nicht nur irgendwelche leichtgläubigen Romanleser glauben das, sondern durchaus auch gebildete Menschen.
Ich habe im letzten Jahr auch an zahlreichen Stellen Vorträge darüber gehalten, unter anderem auch an Universitäten. Dort sagten mir Studenten, dass da doch etwas dran sei, das stimme wohl.
Das ist also keine Ausnahme.
Ich habe für mein Buch, das ihr ja draußen auch seht, im Internet recherchiert – auf solchen Seiten wie Amazon.de und anderen, wo Leser kurze Rezensionen schreiben können.
Zahlreiche Leser, natürlich nicht alle – manche tun es wirklich einfach als Hirngespinst ab –, aber viele reagieren so: „Ja, ich habe mir das Gemälde angeschaut und wirklich sitzt daneben Jesus Maria Magdalena.“ Oder: „Ja, ich habe schon immer gedacht, dass die Kirche uns etwas vorenthält.“ Oder: „Ich wusste ja schon immer, die Kirche ist patriarchal und die Frauen haben eine viel wichtigere Bedeutung.“
Solche Sachen.
Das heißt, viele Leute werden bestätigt in ihren Vorurteilen, andere werden dazu angestachelt, der Bibel zu misstrauen und diesen Spekulationen, wenn auch nicht in jedem Punkt, so zumindest prinzipiell zu glauben.
Im letzten Jahr bin ich zig solcher Leute begegnet. Und wie gesagt, das waren unter anderem auch Journalisten, mit denen ich gesprochen habe, übrigens auch bei der Lippischen Landeszeitung.
Denen habe ich dann geschrieben. Sie haben dann noch ein zweites Interview mit mir gemacht, in dem ich einige Gegenargumente gebracht habe. Ich fand es immerhin gut, dass sie das getan haben.
Der Journalist hat mir auch gesagt, na ja, er war sich auch nicht so ganz sicher bei dem Interview mit dem Pfarrer. Ihm schien das auch ein bisschen seltsam, aber heute sind die Journalisten unter sehr großem Arbeitsdruck. Das heißt, sie haben gar nicht so viel Zeit zu recherchieren. Sie sind froh, wenn sie ein Interview haben, das spektakulär klingt, also Zack, kommt das rein, wenig Arbeit.
Aber wie gesagt, so haben sie dann zumindest noch eine Entgegnung abgedruckt. Finde ich ja auch ganz gut.
Das ist das Problem. Das Problem ist, dass doch relativ viele Leute, insbesondere habe ich gemerkt, junge Leute, ihm Glauben schenken.
Sie glauben, wie gesagt, nicht alles, aber so ungefähr nach dem Motto: Wo Rauch ist, da muss auch ein Feuer sein, irgendwas muss da ja dran sein.
Und diese Pseudosachbücher wie zum Beispiel „Der heilige Gral und seine Erben“, mit mehreren Hunderttausend Mal in Deutschland verkauft, ziehen das Ganze noch als Sachbuch auf und sagen, das sei wirklich so gewesen.
Übrigens schreibt dieser Pfarrer dann sogar, die Hochzeit Jesu sei in der Bibel beschrieben worden. Das sei nämlich die Hochzeit von Kana, das sei die Hochzeit Jesu. Ist doch ganz offensichtlich, oder?
Wenn das allerdings so ist, dann müsste ich schon Polygamist sein.
Warum? Weil ich schon auf vielen Hochzeiten gewesen war, aber nicht jeweils die Braut geheiratet habe, die da war.
Aber das ist scheinbar für Jörg Langbein nicht nachvollziehbar. Der meint, Jesus war auf einer Hochzeit, also logischerweise muss er Bräutigam gewesen sein.
Irgendeine komische Argumentation, nicht?
Denn wenn ich den Bibeltext lese, deutet doch gar nichts auf eine Ehe Jesu hin, zumindest nach meiner Auffassung. Er war einfach dabei, wie es früher üblich war, weil eben die ganzen Verwandten und Bekannten des ganzen Dorfs eingeladen worden waren, wenn man gefeiert hat.
Na ja.
Genau, steht das so in der Bibel? Ja. Aber dieser Pfarrer meint, das sei natürlich alles durch die Männer und die Kirche unterdrückt worden. Die hätten das dann verfälscht, aber in Wirklichkeit sei es natürlich ganz anders.
Wie gesagt, die große Verschwörungstheorie, nicht?
Also gönnen wir doch Dan Brown zumindest noch ein bisschen Zeit, um seine Argumente zu belegen.
Wir haben hier gesagt: Das erste Argument ist, Jesus war verheiratet, denn man hätte heiraten müssen.
Wir haben gemerkt, das ist falsch.
Gehen wir doch einmal davon aus, er hätte geheiratet. Dann müssten wir uns die Frage stellen: Wem denn?
Dann müssten wir sagen: Aller Wahrscheinlichkeit nach wüssten wir über diese Frau nichts. Denn normalerweise heirateten die männlichen Juden damals zwischen vierzehn und sechzehn.
Das heißt, als Jesus auftrat als Prediger, war er ja schon lange verheiratet. Und das Evangelium berichtet ja in erster Linie nach seinem Auftreten als Prediger. Vorher wird nur erwähnt, dass Jesus bis zum Alter von zwölf Jahren nicht verheiratet war. In den Jahren dazwischen, über die nichts beschrieben wird, hätte er heiraten müssen.
Das heißt, wir wüssten über Jesus nichts.
Dann könnten wir sagen: Gut, er war verheiratet, aber über seine Frau keine Ahnung, denn in der Bibel steht ja nichts.
Das wäre für Spekulanten à la Dan Brown ja langweilig. Denn was soll man damit anfangen? Sagen, er war verheiratet und man weiß nichts über sie?
Da muss ja ein bisschen mehr Brisanz dahinter sein.
Also, was machen diese Leute? Sie durchforsten das ganze Neue Testament, gehen alle Frauen durch, die darin vorkommen, und fragen: Welche kämen denn da in Frage?
Am häufigsten taucht natürlich Maria, die Mutter Jesu, auf. Aber die kann er ja schlecht geheiratet haben, denn das war ja seine eigene Mutter, und die war schon verheiratet. Das geht also nicht.
Dann muss man sehen, welche Frauen sonst noch auftauchen.
Und dann findet man, zum Glück gibt es da den Lukas, Lukas 8, die ersten vier Verse. Dort stehen nämlich alle möglichen Frauen, die Jesus auf seiner Reise begleitet haben.
Dort wird dann eine Salome erwähnt und unter anderem Maria Magdalena.
Oh, ist das nicht eine Frau, die schon in der Kirchengeschichte häufig gemalt worden ist?
Lange Zeit hat man sie identifiziert mit der großen Sünderin, die Jesus die Füße wäscht und damit ihr Haar trocknet.
Wobei da nicht steht, dass es Maria Magdalena ist. Das ist reine Fantasie.
Aber man hat sie einfach identifiziert.
Denn im Lukas 8 steht eigentlich nur, dass Maria Magdalena eine Frau war, die Jesus von sieben Dämonen befreit hat. Sie war dann so glücklich und froh, dass sie geheilt worden ist, dass sie dann mit Jesus zog.
Das ist alles, was in der Bibel steht.
Jetzt sagen die Leute: „Ja, er war verheiratet mit Maria Magdalena.“
Warum nicht auch mit der Salome oder mit der Frau des Churas Husas oder solchen Leuten? Verheiratet war er mit denen nicht, das steht da nicht.
Übrigens haben die National Geographic in ihrer Nummer sogar geschrieben, dass Jesus noch ein zweites Mal verheiratet gewesen sei.
Das fand ich ja ganz spannend.
Also erst mal die Sache mit Maria Magdalena ist ja schon überraschend genug.
Aber die Sache mit National Geographic: Die schreiben sogar von einer zweiten Ehe.
Jetzt könnt ihr mal raten, wer da noch in Frage käme.
Gute Idee, ich kann es euch verraten.
Sie sagen nämlich, er war verheiratet mit Lydia, der Purpurkrämerin.
Nun, einige Bibelleser von euch kratzen sich wahrscheinlich innerlich schon am Kopf und sagen: „Wie geht denn das? War Jesus nicht schon lange tot?“
Ja, natürlich war er tot.
Aber was hindert das daran?
Das war ja alles nur ein Scheintod.
Er ist ja geheim wieder aus dem Grab herausgekommen, ist dann natürlich ausgewandert aus Israel, und na ja, da hat er auch eine neue Lebensabschnittsgefährtin gehabt – nicht vor dem Kreuz, eine nach dem Kreuz.
Und da ja nach dem Kreuz nicht mehr so viele ledige Frauen im Neuen Testament erwähnt werden, sondern Priscilla und Aquilla, na ja, die sind schon verheiratet.
Und da gibt es halt nicht so viele Frauen.
Aber das ist doch eine besondere Frau: Lydia.
Erstmal hört sie sich toll an, ist reich, wegen Purpurkrämerin und so, erste Gläubige in Europa, das ist doch was.
Wie hat Jesus geheiratet?
In der Bibel, wie in der ganzen kirchlichen Geschichte, wie auch in der nichtchristlichen Literatur, gibt es natürlich gar keinen einzigen Hinweis darauf.
Es gibt nicht mal Gegner zur Zeit Jesu oder der ersten Christen, die so etwas phantasiert haben.
Aber heute gibt es Wissenschaftler, die sich zumindest Wissenschaftler nennen, ja, es hätte so sein können.
Ich habe den ganzen Artikel durchgelesen und immer gewartet, dass sie jetzt eine antike Quelle zitieren, in der das drinsteht.
Fehlanzeige, gar nichts drin.
Sie sagen nur: „Ja, es hätte ja sein können, man könnte sich ja vorstellen, eventuell, da...“
Man könnte mit so etwas allem behaupten.
Da könnte ich euch auch sagen: „Ja, eventuell regieren schon die Außerirdischen in Nordamerika.“
Glauben ja einige.
Ich habe mal in einem Zeitschriftenartikel gelesen, dass es in den USA etwa 20 Millionen US-Amerikaner gibt, die meinen, dass die Außerirdischen schon auf der Area 51 gelandet sind, da irgendwo in Nevada, und dass sie geheime Kontakte mit der amerikanischen Regierung haben und solche Sachen.
Also glauben ja Leute, wobei ich das schon für etwas bezweifelnswert halte.
Aber so ähnlich wäre dann diese Behauptung.
Nun, ich will ja nicht über die Außerirdischen sprechen, das wäre ein anderes Thema.
Kommen wir zurück zu Maria Magdalena.
Was nennt Dan Brown in seinem Roman für Argumente?
Er hat natürlich keine zeitgenössischen Quellen, habe ich ja erwähnt. Im ganzen ersten Jahrhundert, selbst im zweiten Jahrhundert gibt es diese Idee nicht.
Keiner redet von einer Ehe Jesu, sondern alle sagen, er sei ledig gewesen.
Aber er gräbt dann tatsächlich noch einige apokryphe Evangelien aus.
Und in diesen apokryphen Evangelien gibt es Andeutungen, die er zitiert.
Es wird dabei natürlich nie erwähnt, dass diese apokryphen Evangelien erst Ende des zweiten Jahrhunderts, Anfang des dritten Jahrhunderts abgefasst worden sind.
Da gibt es insbesondere drei, auf die er sich stützt: Das Evangelium der Maria Magdalena, die Pistis Sophia und das Philippusevangelium.
Wie benennt er sie.
Jetzt dürft ihr aber nicht den Eindruck haben, dass das Evangelium der Maria Magdalena oder des Philippus von Philippus oder Maria Magdalena geschrieben wurde.
Ich habe euch gerade gesagt, sie wurden etwa um das Jahr 200 herum geschrieben, vielleicht auch schon 180.
Können sie dann von Maria Magdalena geschrieben worden sein? Schwerlich, nicht?
Denn wir lesen ja im Psalm 90, dass das Alter von Gott festgesetzt ist: 80, höchstens 90 Jahre, aber nicht 180.
Das gab es damals auch nicht.
Das gab es dann vielleicht vor der Sintflut, aber die lebten ja schon einige Zeit danach.
Das heißt, Maria Magdalena war schon lange tot.
Wie hat sie das schreiben können?
Na ja, das war jetzt auch kein Spiritismus oder so etwas, sondern fromme Christen sind auf die Idee gekommen und haben gesagt: „Wir schreiben mal etwas.“
Aber wenn da jetzt steht: „Franz Müller hat das Evangelium geschrieben“, dann sagt man: „Gut, Franz Müller, was wollen wir daran glauben?“
Also gibt er sich irgendeinen tollen Namen.
Das wäre so ungefähr, als wenn ich jetzt ein Buch herausgebe und sage, das sind die Memoiren von Martin Luther.
Ich meine, ich lebe locker 500 Jahre später, aber was macht’s? Ich schreibe das einfach.
Dann ist das doch viel spannender, als wenn ich schreibe, das sind die Memoiren von Michael Kotsch, oder?
Das ist so ähnlich wie die Tagebücher von Hitler, die vor ein paar Jahren herausgegeben wurden.
Ist doch viel spannender, als wenn Herr Kujau geschrieben hätte: Tagebücher von Kujau.
Wer hätte das gelesen? Hätte keinen interessiert, hätte der Spiegel auch nicht abgedruckt, der Stern auch nicht.
Aber das macht sich besser.
Also wurden sie pseudonym herausgegeben, so nennt man das, das heißt unter einem anderen Namen.
Aber wie gesagt, in diesen apokryphen Evangelien findet Dan Brown tatsächlich zwei Stellen, die nach seiner Meinung eine Ehe Jesu belegen.
Ich nenne euch die erste.
Auf der ersten Stelle, ihr müsst genau zuhören, da steht ein wirklich erschütternder Bericht.
Da steht nämlich: „Und Jesus küsste Maria Magdalena.“
Ja, das war’s.
Und jetzt sagt Dan Brown ganz logisch: Das zeigt doch, er war verheiratet.
Nun, ich muss aber sagen, mir ist das nicht ganz einsichtig.
Erst einmal, wie gesagt, ist das viel später geschrieben.
Aber selbst wenn Jesus Maria Magdalena geküsst haben sollte – was ich gar nicht ausschließen will –, was sagt das über eine Ehe aus?
Zugegebenermaßen habe ich schon verschiedene Frauen geküsst.
Ich habe mir sagen lassen, dass ich als kleines Kind meiner Mutter ab und zu einen Kuss gegeben habe.
Oder jetzt ab und zu mal meiner Tochter, das ist ja eher legitim.
Darüber hinaus kommt meine Frau aus Frankreich, und da küsst man sowieso ein bisschen mehr.
Also das war schon so, als ich das erste Mal meinem zukünftigen Schwiegervater vorgestellt wurde, dann bin ich natürlich nach guter norddeutscher Manier auf ihn zugegangen, habe ihm meine Hand entgegengestreckt, um ihn zu begrüßen, und er kam auf mich zu, hat mich umarmt und erst mal so abgeküsst.
Ich kann euch aber garantieren, ich habe meinen Schwiegervater nicht geheiratet.
Obwohl ja nach der Logik von Dan Brown das heißt: „Aha, Küssen gleich Eheschließung“, nicht?
Also da muss ich sagen, das ist für mich nicht logisch, selbst wenn es diesen Kuss gegeben haben sollte.
Zumal wir am Ende des 2. Korintherbriefs lesen, wo Paulus schreibt: „Und grüßt einander mit dem heiligen Kuss der Liebe.“
Es war nämlich damals in der ersten Gemeinde üblich, dass man sich aufgrund dieser herzlichen Verbundenheit geküsst hat, und zwar auch Männer und Frauen untereinander, ohne dass es gleich sexualisiert worden ist.
Und jetzt ist die Frage, was ist denn daran so Schlimmes?
Ich würde sagen: gar nichts.
Na ja, Dan Brown, um das Ganze zu verschärfen, fügt dann noch hinzu, er küsste sie auf den Mund.
Das wäre natürlich wirklich ganz fürchterlich gewesen, nicht?
Ich meine, selbst das glaube ich wäre nicht fürchterlich gewesen.
Aber das steht im Original gar nicht drin.
Dan Brown hat das einfach gefälscht, obwohl er am Anfang schreibt, das war ganz zuverlässig zitiert.
Im Original steht „auf dem Mund“ nicht drin, sondern es steht nur „er küsste sie“.
Also diese erste Stelle halte ich für nicht ganz ausreichend, um eine Ehe Jesu mit Maria Magdalena zu begründen.
Was sagt nun die zweite Stelle?
Sie ist noch brisanter.
Da steht nämlich: „Und Maria Magdalena war die Gefährtin Jesu.“
Und dann führt Dan Brown weiter aus: „Jeder, der des Aramäischen mächtig ist, weiß, Gefährtin heißt Ehefrau.“
Das hat mich natürlich herausgefordert.
Da ich in meinem Studium neben Hebräisch, Griechisch und Latein auch ein bisschen Aramäisch gelernt habe, habe ich gleich mal nachgeblättert.
Wenn wir im Wörterbuch nachschauen, steht da: „Jeder, der des Aramäischen mächtig ist, weiß, Gefährtin heißt erst mal nicht Ehefrau.“
Da hätte man nachblechern müssen, aber wahrscheinlich hat Dan Brown ja weder Hebräisch noch Aramäisch gelernt, noch hat er ein Wörterbuch zur Hand genommen, sondern hat das ein bisschen aus den Fingern gesogen, vermute ich eher.
Die erste Bedeutung von Gefährte heißt: Begleiter einer Reise. Das heißt, du bist unterwegs mit jemandem auf der Reise, und das ist dein Gefährte.
Zweite Bedeutung ist: Mitglied einer religiösen oder politischen Vereinigung, also so ähnlich wie die SPD-Leute sagen Genosse, so sagt man dann also nicht Genosse, sondern Gefährte, der dabei ist.
Und dann ganz am Ende, also in ganz seltenen Fällen, kann es auch „Ehepaar“ bedeuten.
Aber wenn wir in der Bibel lesen, was war Maria Magdalena? Sie war Reisebegleiterin, Lukas 8, und sie war geistige Gefährtin, denn sie war als gläubige Jüngerin Jesus nachgefolgt.
Das heißt, die häufigsten Bedeutungen, wie sie im Aramäischen üblich sind, treffen tatsächlich auf Maria Magdalena zu, genauso wie es in dem apokryphen Evangelium steht.
Aber von Ehegefährtin steht da nichts.
Übrigens hat Dan Brown auch noch ein weiteres Problem.
Hätte er nämlich in dem apokryphen Evangelium ein paar Seiten weitergelesen, dann hätte er gelesen, dass da auch steht, dass Johannes der Jünger Jesu Gefährte Jesu gewesen war.
Steht im selben Evangelium.
Und wenn Gefährte gleich Ehepaar bedeutet, hat Dan Brown hier ein Problem.
Denn dann würde in demselben Evangelium stehen, er hat nicht nur Maria Magdalena geheiratet, sondern auch noch Johannes.
Ich meine, er würde wahrscheinlich den Beifall von Organisationen wie Homosexuellen und Kirche bekommen, denn die meinen ja wirklich, dass es da auch homosexuelle Geschichten in der Bibel gäbe.
Aber ich glaube, für alles, was wir in der Bibel wissen und über das Judentum der Zeit wissen: Wenn schon ein frommer Jude verheiratet sein musste, dann ganz bestimmt nicht mit einem Mann.
Das war bei den jüdischen Rabbinern total deutlich, und zumindest dann auch nicht gleichzeitig. Mann und Frau gleichzeitig heiraten geht ja auch nicht, also das ist auch nicht möglich.
Hier merken wir: Browns Argumentation basiert auf einer sehr dünnen Basis.
Als ich noch etwas weiter gesucht habe, einfach so interessenshalber, bin ich darauf gestoßen, dass dieses Evangelium, das Dan Brown zitiert, gar nicht auf Aramäisch abgefasst worden ist, sondern dass das ursprüngliche Evangelium auf Koptisch geschrieben wurde.
Insofern müssen wir sagen, ob Gefährte auf Aramäisch Ehepaar bedeuten oder nicht, spielt dabei nicht mehr eine Rolle, weil er nicht einmal recherchiert hat, dass dieses Evangelium auf Koptisch geschrieben ist.
Allerdings kann ich euch auch beruhigen: Auch auf Koptisch heißt Gefährte nicht Ehefrau.
Gefährte heißt nicht Ehefrau.
Und das sind seine zwei Hauptargumente.
Jetzt müssen wir sagen: Obwohl wir schon kein gutes Argument für die Ehe Jesu haben, haben wir erst recht keines für eine Ehe mit Maria Magdalena.
Das löst sich einfach in Luft auf.
Ich möchte noch zwei weitere Argumente von Dan Brown besprechen, die in seinem Buch vorkommen. Das erste ist die Behauptung des sogenannten Matriarchats. Er geht nämlich davon aus, dass Frauen toll und Männer blöd seien – etwas vereinfacht gesagt.
Er behauptet, dass der Louvre-Direktor, der auch der Entwickler dieser Theorie sei, dem Kult der großen Göttin angehangen habe. Jesus sei eigentlich ebenfalls ein Anhänger der großen Göttin gewesen und hätte eine weibliche Gottheit verehrt. Deshalb habe er als erste Päpstin eine Frau eingesetzt, nämlich Maria Magdalena, und nicht Petrus. Petrus sei daraufhin sehr sauer gewesen und habe Maria Magdalena verfolgt. Maria Magdalena sei dann mit Joseph von Arimathia nach Südfrankreich geflohen, wo sie sich niedergelassen und Kinder großgezogen hätten. Die Nachkommen sollen in das merowingische Königtum eingeheiratet haben und wären damit nicht nur Nachkommen Jesu, sondern auch Anwärter auf den französischen Königsthron gewesen. Diese Tatsache sei natürlich unterdrückt worden.
Das Geheimnis sei durch den Orden der Templer wiederentdeckt worden, die von der Kirche verfolgt wurden. Später habe es den Orden der Prieuré de Sion gegeben, der ebenfalls dieses Geheimnis gehütet habe, und so weiter bis heute. Übrigens soll im Roman die Figur Sophie auch eine Nachfahrin Jesu sein, also eine Urenkelin sozusagen.
Darüber hinaus zitiert Brown eine Sage, die tatsächlich existiert. Ein Ort in Südfrankreich beansprucht, Maria Magdalena dort beerdigt zu haben. Diese Sage ist im Mittelalter entstanden, und ich würde allerdings nicht auf die Wahrheitsgehalte dieser Sage wetten. Im Mittelalter gibt es zahlreiche Sagen, auf die man sich nicht unbedingt verlassen sollte.
Eine solche Sage berichtet unter anderem über Jakobus, einen Jünger Jesu. Nachdem er in Jerusalem gestorben sei, sei sein Leichnam auf wundersame Weise auf ein Floß gelangt, das ins Mittelmeer geschwommen sei – obwohl es keinen Fluss von Jerusalem gibt, der ins Mittelmeer fließt. Dennoch, so erzählt man, sei das Floß durch das Mittelmeer geschwommen, durch die Meerenge von Gibraltar, an der spanischen Küste flussaufwärts, bis Jakobus ans Ufer sprang. Die Leute, die ihn gesehen hätten, hätten sofort erkannt, dass es Jakobus sei, und hätten deshalb eine Kirche gebaut. Diese Kirche ist bis heute der zweitwichtigste Wallfahrtsort der katholischen Kirche: Santiago de Compostela.
Diese Sage hat für mich relativ wenig Glaubwürdigkeit, ist historisch nicht belegt und taucht erst im Mittelalter auf. Ähnlich verhält es sich mit der Sage, dass Maria Magdalena in Südfrankreich gewesen sei. Das ist alles ein bisschen an den Haaren herbeigezogen.
Wie gesagt: Frauen sind super, Männer sind blöd – das erwähnt dann auch Sir Teabing. Er schreibt, dass die Männer verantwortlich seien für alles Böse in der Welt. Sie seien schließlich diejenigen, die Kriege führen. Außerdem seien sie für die Umweltverschmutzung zuständig. Schließlich hätten die Menschen all diese „Dreckschleudern“ erfunden, wie Autos, Waschmaschinen, Spülmaschinen, die die Umwelt kaputt machen.
Deshalb müsse die große Göttin verehrt werden – so der Wahlspruch. Und Jesus hätte das natürlich auch getan. Brown behauptet, die ursprüngliche Religion aller Menschen sei die Verehrung der großen Göttin gewesen. Er fordert eine Feminisierung des Christentums.
Dass Jesus eine große Göttin angebetet habe, findet sich in der Bibel jedoch nicht. Auch bei Zeitgenossen gibt es keine Hinweise darauf. In der ganzen Zeit Jesu gab es keinen Kult der großen Göttin, an den alle geglaubt hätten. In der Bibel lesen wir sehr wohl, dass Frauen bei ihm einen besonderen Wert hatten. Später schreibt Paulus, dass in der Gemeinde vor Gott weder Mann noch Frau gilt, sondern alle eins sind (Galater 3,28).
Jesus hat im Gegensatz zu den Pharisäern seiner Zeit weibliche Anhänger in seine Nachfolgerschaft aufgenommen. Es gab damals den Orden der wundgeschlagenen Pharisäer – vielleicht habt ihr davon schon gehört. Diese zeichneten sich dadurch aus, dass sie nie mit Frauen zusammenkamen und deshalb besonders „rein“ waren. Sobald sie nur einen Rock flattern sahen, schlossen sie die Augen und gingen weiter. Deshalb waren sie „wundgeschlagen“ – sie liefen blind gegen Mauern oder fielen zu Boden, aber sie wollten ihre Augen nicht mit dem Anblick einer Frau „verschmutzen“. So war ihre Auffassung.
Jesus war natürlich nicht so. Er achtete die Frauen, besonders im Lukas-Evangelium. Dort begegnen wir der Witwe von Nain, der Frau mit dem Blutfluss, die ihn anfasst, und vielen weiteren Frauen, die mit Jesus zu tun hatten. Das heißt aber noch lange nicht, dass er eine große Göttin angebetet hätte – das ist ziemlich absurd.
Dan Brown nennt auch Hinweise wie „In grauer Vorzeit wurden Götterfiguren gefunden, sehr beleibte Frauenfiguren aus der Steinzeit, das seien weibliche Göttinnen, die darauf hinweisen, dass man damals weibliche Gottheiten verehrt habe.“ Nun, hier stellt sich die Frage: Woher wissen wir überhaupt, dass es Göttinnen waren? Es gibt ja keinen Beipackzettel, der sagt: „Das sind steinzeitliche Göttinnen, die wir angebetet haben.“ Man hat einfach Figuren gefunden, die erst einmal nichts aussagen.
Das könnten auch ganz andere Dinge sein. Stellt euch vor, in zweitausend Jahren gräbt jemand unsere Müllkippen aus und findet massenhaft Barbie-Puppen. Dann könnte er sagen: „Logischerweise hatten die damals den großen Kult der Barbie-Puppe und haben eine große Göttin angebetet.“ Die war zwar nicht ganz so beleibt, sondern eher schlank, aber andere Zeiten, andere Sitten, oder? Das wäre genauso ein Trugschluss. Wer weiß, ob das nicht eine steinzeitliche Barbie-Puppe gewesen ist.
Und woher kann man schließen, dass man bei einer weiblichen Figur nicht auch männliche Gottheiten gehabt haben könnte? Das ist reine Spekulation. Diese Spekulation stammt von Bachofen, der sie Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte. Heute vertreten sie vor allem Feministinnen, die überall die Herrschaft der Frauen entdecken oder durchsetzen wollen.
Wenn wir aber in die realen Religionen eintauchen, also die ältesten Religionen, von denen wir historisch wissen – neben dem Judentum etwa die in Indien, China, Ägypten, Griechenland –, zeigen die frühesten schriftlichen Aufzeichnungen immer Vater, Mutter, Kind. Warum? Weil Menschen sich ein Gottesbild von dem machen, was sie auf der Erde sehen. Dort gibt es Vater, Mutter, Kind, nicht nur Frauen. Dieses Bild wird in den Himmel projiziert.
Dann gibt es plötzlich Vater, Mutter, Kind und alle möglichen Rangeleien. Ihr kennt das ja vielleicht von Zeus: Er ist verliebt, dann bricht die Ehe, dann schlafen sie mal durcheinander, wie auf der Erde auch. Das ist typisch menschlich und schon seit Urzeiten so. Ausgenommen natürlich den Glauben an den einen Gott, der die anderen Götter verdrängt hat.
Aber dass es eine Zeit gab, in der nur die große Göttin verehrt wurde, dafür haben wir keinen Hinweis.
Vielleicht sind mir einige Frauen böse, wenn ich das sage, und hoffe, mir nicht die Sympathien zu verscherzen, aber Frauen sind, wie Dan Brown behauptet, nicht immer nur friedlich, nett und lieb. Ich spreche hier nicht aus eigener Erfahrung mit meiner Frau, nicht dass ihr das falsch versteht, aber ich habe durchaus Frauen kennengelernt, die sich radikal durchsetzen können und auch mal aggressiv werden.
Wenn ich nur Personen nenne, mit denen wir alle nicht persönlich zu tun haben, um Missverständnisse zu vermeiden, denke ich etwa an Maggie Thatcher. Sie galt als „Eiserne Lady“. Ihr Nachfolger John Major wirkte dagegen eher schwach – obwohl er ein Mann war. Oder Katharina die Große: Sie wechselte ihre Liebhaber, wie sie wollte, und ließ sie später hinrichten. Sie war härter als viele Männer ihrer Zeit.
Ich könnte zahlreiche weitere Frauen der Geschichte und Gegenwart nennen, bei denen man sagen muss: Nein, Frauen sind nicht per se die friedliebenden, harmonischen, lieben Netten. Ihr müsst jetzt auch nicht in mich hineininterpretieren, dass ich frauenfeindlich bin und sage, Frauen seien alle böse. Nein, in der Bibel sind Frauen und Männer beide sündig, beide machen Schlechtes, beide haben Aggressionen und ärgern sich mal. Die Idee, Frauen seien besser, ist schlicht absurd.
Dan Brown argumentiert zudem immer wieder mit Leonardo da Vinci. Das hätte ich fast vergessen. Er nennt als Beweis für die Ehe mit Maria Magdalena das Gemälde des letzten Abendmahls, auf dem neben Jesus Maria Magdalena sitzen soll.
Erstens: Wenn Leonardo da Vinci wirklich Maria Magdalena malen wollte, welche historische Aussagekraft hat dieses Gemälde über eine Ehe Jesu? Die Antwort lautet: keine. Warum? Weil das Gemälde etwa 1400 Jahre später entstand. Wenn jemand 1400 Jahre nach Jesus eine neue Idee aufbringt, die vorher in der Geschichte nirgends belegt ist, dann hat das keine historische Aussagekraft.
Selbst wenn Leonardo da Vinci wirklich Maria Magdalena gemalt hätte – was ich stark bezweifle – ist das nur fromme Fantasie. Das hat genauso viel Aussagekraft, als wenn heute jemand behauptet, er sei mit Maria Magdalena verheiratet. Null.
Das wäre ungefähr so, als würde ich euch sagen, Karl der Große habe gerne Bananen gegessen. Theoretisch könnte das sein, aber es gibt keine Quelle dafür. Und wenn ich das 1200 Jahre später behaupte, hat das keine Aussagekraft. Das ist reine Fantasie.
Darüber hinaus hat Leonardo da Vinci nirgends behauptet, dass er Maria Magdalena gemalt hätte. Dan Brown sagt, wenn man das Bild anschaut, sehe man, dass der Mann neben Jesus lange Haare hat und keinen Bart, deshalb müsse das eine Frau sein.
Ich kann euch garantieren: Ich bin heute auch ohne Bart da, und ich bin deshalb keine Frau. Zugegeben, mir fehlen die langen Haare, die wachsen bei mir halt nicht mehr. Aber in der Zeit, in der Leonardo da Vinci lebte, gab es viele Künstler, die bartlos und langhaarig waren, weil das damals Mode war.
Wenn ihr in die deutsche Geschichte schaut, etwa in die Hippie-Generation, gab es ebenfalls Männer mit schulterlangen Haaren, die trotzdem keine Frauen waren. Das ist also eine merkwürdige Argumentation.
Auf dem Bild sind auch andere Personen ohne Bart und mit langen Haaren. Wenn das ein Hinweis auf Maria Magdalena wäre, müssten unter den Nachfolgern Jesu viele Frauen sein. Das ist absurd.
Insofern sind viele dieser Spekulationen schlicht unsinnig.
Zum Thema Maria Magdalena und Göttinnen: Ich habe unter anderem vergleichende Religionswissenschaft an der Universität studiert und dort nachgeblättert, wie es mit Göttinnen in der Vergangenheit aussieht. Waren die alle lieb und nett?
Nein. Es gibt durchaus „ganz nette“ Beispiele wie Athene, die meist mit Schild und Helm dargestellt wird, weil sie unter anderem Göttin des Krieges war. Oder Artemis, von der berichtet wird, dass sie nachts mit einer wilden Meute umherzog, um schwangere Frauen und kleine Kinder zu verfolgen – auch nicht gerade friedlich.
Dann gibt es Amaterasu, die höchste Göttin in Japan. Von ihr wird berichtet, dass sie den ganzen männlichen Götterhimmel ausgelöscht hat, um sich an die Spitze zu setzen – auch nicht friedlich.
Oder Kali, die oft mit blutrünstigem Mund und einer Kette von Totenköpfen dargestellt wird – ebenfalls nicht friedlich. Und das ist eine der ältesten Religionen, von denen wir wissen.
Dan Brown sagt, das sei alles supertoll und friedliche Weiblichkeit, und wenn wir die große Göttin verehrten, ginge es uns allen besser. Jesus hätte die große Göttin angebetet. Das ist jedoch ziemlicher Quatsch.
Kommen wir zu einem letzten interessanten Punkt, der uns als Christen in besonderer Weise herausfordert. Dan Brown behauptet nämlich in seinem Buch – und zahlreiche Sachbuchautoren haben diese Ansicht aufgegriffen – dass die Bibel, so wie wir sie heute haben, gefälscht sei.
Er schreibt, dass Konstantin der Große, der im Jahr 312 die Macht an sich gerissen hat, alle Bibeln sowie geheime Schriften und Evangelien unterdrückt habe, in denen die „wahre“ Lehre enthalten gewesen sei. Demnach seien heute nur die ausgefilterten Evangelien überliefert, die Konstantin zugelassen habe.
Brown führt weiter aus, dass Konstantin der Große auch die Theologie verfälscht habe. Er beschreibt, dass in den Evangelien, die vor Jesus verfasst wurden, Jesus als Mensch dargestellt werde – verheiratet und mit Kindern. Erst Konstantin der Große habe Jesus zu Gott gemacht. Dies sei beim Konzil von Nicäa im Jahr 325 geschehen. Brown behauptet zudem, die Abstimmung darüber sei sehr knapp ausgefallen und nur durch den Druck des Kaisers zustande gekommen.
Als Kirchengeschichtler bin ich dieser Behauptung natürlich nachgegangen. Dabei stellte ich fest, dass die Abstimmung keineswegs knapp war. Sie fiel vielmehr mit 116 Ja-Stimmen zu 2 Nein-Stimmen aus. Eine solche Mehrheit würde man in einer Gemeinde oder im Bundestag fast als einstimmig bezeichnen. Bei Dan Brown hingegen wird daraus eine knappe Entscheidung gemacht.
Außerdem ging es beim Konzil von Nicäa nicht um die Gottheit Jesu an sich, sondern um das Verhältnis zwischen seinen menschlichen und göttlichen Eigenschaften. Die Frage war, wie Jesus Gott sein könne. Die Gottheit Jesu wurde in der Kirchengeschichte niemals bezweifelt, und das war nicht erst durch Konstantin der Große ein Thema.
Selbst in den sogenannten „unterdrückten geheimen Evangelien“, die Dan Brown häufig zitiert, wird diese Gottheit Jesu nicht infrage gestellt. Im Gegenteil: Diese Schriften behaupten das Gegenteil von dem, was Brown sagt. Dort steht, Jesus sei kein normaler Mensch gewesen, sondern nur Gott, der einen Scheinleib gehabt habe.