Einleitung: Staatsbürgerschaft als Bild für Gottes Reich
Vor einigen Monaten hat unser neuer Jugendpastor Jonathan de Oliveira die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Seitdem weiß ich aus erster Hand: Das ist gar nicht so einfach.
Ich durfte das mitverfolgen, denn er war unser Mitbewohner. Er musste wirklich viel leisten, um die Staatsbürgerschaft zu bekommen. So musste er nachweisen, dass er ordentlich Deutsch sprechen kann. Außerdem musste er einen Allgemeinwissenstest über unsere politische Ordnung und das Wirtschaftssystem bestehen. Er musste zeigen, dass er Deutschland gut kennt.
Zudem musste er beweisen, dass er nicht straffällig geworden ist und sich selbst versorgen kann, also arbeiten kann und eine Arbeit hat. Und noch einiges mehr.
Als er all das nachgewiesen hatte, hat es schließlich geklappt: Er durfte Deutscher werden.
In anderen Ländern ist das formal etwas einfacher geregelt. Ich habe zum Beispiel in Zypern gelesen, dass man die Staatsbürgerschaft einfach kaufen kann. Man muss nur zwei Millionen Euro mitbringen, und dann kann man in Zypern Staatsbürger werden. Wie heißen die eigentlich? Zyprioten? Ich weiß es nicht genau.
Wenn einem das zu teuer ist – zwei Millionen Euro –, kann man auch in die Dominikanische Republik gehen. Dort kostet die Staatsbürgerschaft nur 170 Euro.
Wir sehen also: Egal, wohin man kommt, in welches Land dieser Welt, man muss etwas mitbringen, man muss etwas leisten.
Das bringt uns zu unserem heutigen Predigttext. Er wirft die Frage auf: Was muss ich eigentlich leisten? Was muss ich tun, um ein Bürger im Reich Gottes zu werden? Und was bringt mir diese Staatsbürgerschaft?
Ich möchte uns diesen Text aus Lukas 18, Verse 15-30, vorlesen.
Begegnung mit Jesus: Kinder und das Reich Gottes
Sie brachten auch kleine Kinder zu Jesus, damit er sie anrühre. Als die Jünger das sahen, fuhren sie sie an. Doch Jesus rief die Kinder zu sich und sagte: Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes.
Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, wird nicht hineinkommen.
Ein Oberer fragte Jesus: „Guter Meister, was muss ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“ Jesus antwortete: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott allein. Du kennst die Gebote: Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst kein falsches Zeugnis geben, du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.“
Der Mann erwiderte: „Das habe ich alles von Jugend auf gehalten.“ Als Jesus das hörte, sagte er zu ihm: „Es fehlt dir noch eines: Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen. So wirst du einen Schatz im Himmel haben. Komm und folge mir nach.“
Als der Mann das hörte, wurde er traurig, denn er war sehr reich. Jesus sah seine Traurigkeit und sagte: „Wie schwer kommen die Reichen in das Reich Gottes! Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes kommt.“
Die Zuhörer fragten: „Wer kann dann selig werden?“ Jesus antwortete: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“
Petrus sagte: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt.“ Jesus erwiderte: „Wahrlich, ich sage euch: Niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen, wird es nicht vielfach wieder empfangen – in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.“
Gebet zur Eröffnung
Vater, wir wollen dir danken für dein Wort. Wir danken dir, dass du es benutzt, um uns zu zeigen, wer du bist. Gleichzeitig öffnest du uns die Augen dafür, wer wir sind und was wir brauchen – nämlich Jesus.
Wir wollen beten, dass dein Wort uns trifft und unsere Herzen bewegt. So können wir dich besser kennenlernen und verstehen, wer wir vor dir sind.
Herr, sprich du zu uns. Amen.
Die Realität der Kinder bei Jesus
Ja, der Abschnitt beginnt mit einem Konflikt. Du hast gerade gelesen, dass Eltern ihre Kinder zu Jesus brachten. Vielleicht hatten diese Eltern schon gesehen, was Jesus verwunderlich tun konnte. Vielleicht hatten sie ihn lehren hören und gemerkt: Das ist ein Mann, der wirklich einen guten Draht zu Gott hat. Das kann nicht schaden, wenn ich mein Kind zu dem bringe, damit er es segnet. Dann wird etwas aus ihm in seinem Leben.
Ich weiß nicht, ob du Bilder von dieser Szene aus Kinderbibeln kennst. Wir haben ja ein paar kleine Kinder, und ich lese ihnen gerne aus der Kinderbibel vor. In all den Kinderbibeln ist das immer eine total romantische Szene. Die Kinder sind schön gestriegelt, die Haare sind gemacht. Sie schauen alle brav und kommen fröhlich zu Jesus.
Vielleicht war es gar nicht so romantisch. Vielleicht waren die Kinder nicht gebadet, sondern eher schmutzig. Es waren Babys, vielleicht mit vollen Windeln, kleine Kinder, die im Dreck gespielt haben. Vielleicht hatten sie sich eine Wunde geschlagen. So eine Rasselbande, die da ankommt. Es ist laut. Vielleicht kennst du das vom Busfahren, wenn so eine Kindergartengruppe den Bus stürmt. Das ist nicht romantisch, das kann ganz schön nerven.
Und die Jünger fanden das auf jeden Fall so, als diese Kindergruppe ankam – die Eltern mit ihren Kindern. Sie fanden, das stört, das passt nicht. Vielleicht hatten sie noch ein paar Rotznasen gesehen. Das passt nicht zu Jesus. Und sie sagen: Stopp, nicht weiter! Wir sind hier keine Kita, geht mal schön wieder nach Hause.
Wahrscheinlich dachten die Jünger, damit hätten sie Jesus einen Gefallen getan. Dann kann er sich nämlich auf die Erwachsenen konzentrieren, kann er weiter lehren, kann er weiter seine Wunder tun. Aber Jesus sagt: Nein, stoppt, Jünger! Lasst die Kinder zu mir kommen! Wehret ihnen nicht! Haltet sie nicht davon ab, zu mir zu kommen! Denn solchen gehört das Reich Gottes.
Autsch, das hat gesessen. Die Jünger dachten, die Kinder seien nicht willkommen, und Jesus sagt: Sie sind mir sehr willkommen, lasst sie zu mir! Er sagt, ihnen gehört das Reich Gottes.
Die Bedeutung der Kinder für das Reich Gottes
Jetzt dürfen wir uns nicht darüber täuschen, warum Jesus das sagt. Er sagt es nicht, weil er glaubt, diese Kinder hätten irgendetwas Besonderes getan oder wären so besonders gut, dass sie es verdient hätten, in Gottes Reich zu kommen.
Manchmal denkt man, dass diese Kinder besonders brav sind, so wie sie in unseren Kinderbibeln dargestellt werden: brav und gut. Deshalb könnten sie vor Gott bestehen, sagt man manchmal. Wir sagen ja auch manchmal: „Das Kind ist ein Engel, es ist noch so gut und unschuldig.“ Aber genau darum geht es Jesus nicht, wenn er sagt: „Lasst die Kinder zu mir kommen, denn solchen gehört das Reich Gottes.“
Was Jesus wirklich sagen will, ist eine gute Nachricht – nicht nur für diese Kinder, sondern für jeden von uns. Zu Jesus darf jeder kommen. Wirklich jeder darf kommen. In Gottes Reich kann jeder kommen. Du musst nicht erst etwas beweisen durch Leistungen oder Dinge, die du getan hast, so wie Jonathan es mit Zertifikaten und Prüfungen bewiesen hat, dass er Deutscher werden kann und es verdient hat. So musst du nicht zu Gott kommen. Jeder darf kommen.
Jesus zeigt auf die kleinen Kinder, auf die Babys, auf die Krabbelgruppe, auf die Rotznasen, und er sagt: „Die dürfen kommen.“ Anschaulicher kann er es doch gar nicht machen, dass wirklich jeder kommen darf. Dass Menschen willkommen sind, die nichts mitbringen können, Menschen, die von der Gesellschaft übersehen werden, bei denen die Gesellschaft sagt: „Die stören gerade.“
Jesus hat sie gesehen und angenommen. Und das hat er ja nicht nur mit den Kindern gemacht. Wenn wir daran denken: Wir haben das Lukasevangelium jetzt schon eine Weile studiert. Wer hat sich wohlgefühlt bei Jesus? Wer ist alles gekommen?
Die Zöllner, die alle verachtet haben, auf die alle herabgeschaut haben und gesagt haben: „Was wollen denn die bei Jesus?“ Sie durften kommen, und sie haben sich wohlgefühlt bei ihm.
Die Prostituierten, die missbraucht waren, die wirklich auch als Abschaum angesehen wurden, waren gut genug, um sich bei Jesus wohlzufühlen. Sie haben gemerkt: „Der nimmt mich an, der hat mich lieb, der verachtet mich nicht.“
Sie durften kommen, auch wenn alle anderen sagten: „Ich bin ein Nichts, ich bin ein Niemand, ich bin Abschaum, ich bin nichts wert.“ Jesus achtet mich wert.
Diese Haltung soll auch uns prägen, soll unsere Gemeinde prägen. Darf jeder kommen? Die Geschiedenen, die Arbeitslosen, die Tätowierten, die, die rauchen, die, die kein Geld haben, um sich schöne Kleidung zu kaufen, oder die, die psychisch angeschlagen sind, die krank sind. Und die Kinder? Dürfen die Kinder kommen? Rollen wir ihnen den roten Teppich aus und sagen: „Komm her zu Jesus, du bist willkommen! Solchen wie dir, die nichts mitgebracht haben, gehört Gottes Reich. Du kannst kommen!“
Oder kommunizieren wir Menschen vielleicht – vielleicht nicht einmal mit Worten, aber doch so, wie wir ihnen begegnen –: „Werde erst mal erwachsen. Verhalte dich richtig, lebe ordentlich und anständig, und dann kannst du hier mitmachen. Dann kannst du zu Jesus kommen, dann kannst du in Gottes Reich kommen.“
Lass uns beten, dass wir diese Haltung von Jesus bekommen, diesen Blick. Die Jünger hatten ihn nicht an diesem Tag, und wir haben ihn, wenn wir ehrlich sind, oft auch nicht. Aber möge er uns wirklich verändern, sodass wir so auf Menschen schauen: Jeder kann kommen, wirklich jeder.
Und vielleicht ist das deine Geschichte, dass du erlebt hast, dass Jünger oder Christen dich davon abgehalten haben zu kommen. Sie haben dir gesagt: „Warte erst mal gut ab, bring erst mal irgendetwas mit, damit du hier mitmachen kannst.“
Ich will dir sagen: Da ist etwas ganz schön schiefgelaufen. Das sehen wir schon in diesen ersten Versen. Es tut mir von Herzen leid, wenn das deine Erfahrung ist.
Aber lass dich nicht abhalten. Jünger, lass nicht Christen dich abhalten auf dem Weg zu Jesus. Du darfst kommen, so wie du bist. Jeder darf kommen – die Kinder und auch jeder andere.
Die Haltung, mit der wir kommen müssen
In diesem Text wird deutlich: Jeder darf kommen, aber es gibt eine Voraussetzung. Man muss mit leeren Händen kommen. Jesus veranschaulicht das oft, indem er das nimmt, was gerade da ist – die Begegnungen, die er hatte, und die Welt um ihn herum. Er verwendet diese Bilder, um uns geistliche Wahrheiten zu vermitteln.
Da sind sie noch, diese Kinder. In Vers 17 sagt Jesus: „Wahrlich, ich sage euch, wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“ Was Jesus hier meint, ist, dass Kinder nicht nur kommen dürfen – auch die Schwachen und diejenigen, die wir vielleicht als niedrig ansehen, sind willkommen. Aber mehr noch: Wir können nur hineinkommen, wenn wir so werden wie sie. Unsere Herzenshaltung und unsere ganze Einstellung müssen so sein, wie sie es schon haben.
Ich kann das gerade zuhause beobachten, denn wir haben drei kleine Kinder. Ich habe das mal genau beobachtet, und es ist wirklich verblüffend. Unser Jüngster ist erst ein paar Wochen alt, da ist es vielleicht noch nicht so auffällig. Aber auch unser Dreijähriger und unsere Fünfjährige kommen nicht auf den Gedanken, für ihre Wünsche etwas anzubieten. Sie sagen nicht: „Ich möchte jetzt so gerne ein Eis haben, bitte kauf mir eins, ich verzichte morgen dafür auf den Nachtisch.“ Es gibt keine Tauschgeschäfte. Sie kommen mit einem Wunsch, mit einem Bedürfnis, und erwarten, dass wir uns darum kümmern – als Eltern.
Denn ihr Denken ist noch so: Sie können nichts dafür tun, sie haben kein Bankkonto und nichts, womit sie sich das selbst leisten könnten. Sie müssen zu uns kommen. Aber das ist für sie kein Problem, weil sie wissen, dass wir Eltern ihnen helfen können. Wir sind die einzigen, die ihnen helfen können.
So sollen wir auch zu Jesus kommen. Nur mit dieser Haltung eines Kindes kann man in Gottes Reich kommen. Ich kann es mir nicht verdienen, ich habe nichts anzubieten. Ich kann einfach nur kommen und sagen: „Bitte, hilf mir!“
Der reiche Mann: Leistung und Scheitern
Jesus stellt dem etwas entgegen, beziehungsweise es ergibt sich einfach so – oder Lukas hat es auch so aufgeschrieben, damit wir daraus lernen. Nämlich einen, der genau den anderen Weg geht, der es sich verdienen möchte, der leisten möchte.
Wir lesen das in Vers 18: Es kommt ein Oberer zu Jesus. Dieser Mann war erfolgreich. Auch in anderen Evangelien finden wir Berichte über diese Geschichte. Es war ein erfolgreicher junger Mann. Vielleicht war er Politiker, vielleicht in der Wirtschaft aktiv, vielleicht ein Pharisäer, ein Geistlicher oder ein Gelehrter, der angesehen war und dem es im Leben sehr gut ging. Doch er hat gemerkt, dass da noch etwas fehlt. Er war sich nicht sicher, ob sein Leben ausreicht, um in der Ewigkeit bei Gott zu sein, ewiges Leben zu haben und in Gottes Reich zu kommen.
Er fragt Jesus: „Guter Meister, was muss ich tun, damit ich das ewige Leben erbe?“ Das ist zunächst eine gute Frage, sie zeigt ein geistliches Anliegen. Er wollte wissen, wie die Beziehung zu Gott gelingen kann und wie er das ewige Leben bekommen kann. In den anderen Evangelien lesen wir, dass Jesus im Verlauf dieser Geschichte diesen Mann wirklich lieb gewinnt. Er merkt, dass der Mann eine gute Frage stellt und auf einer guten Spur ist. Doch sein Denken ist noch schief.
Wir haben gesehen, dass Jesus uns das Kind als Vorbild vor Augen stellt. Dieser Mann kommt nun und fragt: „Was muss ich tun? Was muss ich leisten?“ Jesus lässt sich auf dieses Gespräch ein, weil er dem Mann helfen möchte. Er ist wie ein guter Arzt, der zielgenau die Wunde behandeln will – das, was bei diesem jungen Mann falsch ist. Er will ihm helfen, das zu verstehen. Er will ihm helfen, Gott besser kennenzulernen, zu verstehen, wer Gott wirklich ist. Und er will ihm helfen, zu verstehen, wer er selbst wirklich ist. Er will ihn an den Punkt bringen, über sich selbst zu denken wie ein Kind.
Jesus nimmt die vielleicht höflich gemeinte Anrede „guter Meister“ auf und konfrontiert den Mann: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als allein Gott.“ Man könnte natürlich sagen: „Jesus ist doch Gottes Sohn, er ist in diese Welt gekommen. Lehnt er das damit ab?“ Nein, das tut er nicht. Aber dieser junge Mann hat ganz offensichtlich nicht verstanden, wen er da vor sich hatte. Er kam wahrscheinlich mit der Einstellung: „Ich bin schon ganz gut, ich habe schon viel erreicht, und jetzt möchte ich noch so ein Sahnehäubchen obendrauf. Ich möchte das ewige Leben erben, und was muss ich tun, um das zu bekommen?“ Er redet mit Jesus wie mit einem anderen guten Mann – von gutem Mann zu gutem Mann. Das können wir Menschen miteinander tun. Wir können uns als gut ansehen und auf unsere Leistungen verweisen. Aber im Vergleich zu Gott muss das schiefgehen. Jesus möchte ihm die Augen dafür öffnen.
Er sagt: „Was nennst du mich gut? Es gibt keine guten Menschen. Wenn du denkst, ich bin ein guter Mensch, dann gibt es keine guten Menschen. Es gibt nur einen, der gut ist: Gott allein.“ Dann lädt er diesen Mann zum Selbsttest ein. Er sagt: „Du kennst die Gebote.“ Gottes Gebote, die wir gerade auch im Text gelesen haben. Er nennt einige: „Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch Zeugnis reden, du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.“ Das sind gute Gebote, oder? Sie zeigen uns, wie gut der Gott dieser Welt ist, der diese Welt gemacht hat und uns gemacht hat.
Es besteht kein Zweifel: Wenn wir alle nach diesen Geboten leben würden, sähe die Welt ganz anders aus. Stell dir vor, wir würden alle die Wahrheit sagen und uns nicht mehr belügen, Männer ihren Frauen immer treu sein und umgekehrt, wir würden alle unsere Eltern wirklich ehren, für sie da sein, ihnen Respekt und die Liebe entgegenbringen, die sie verdienen – und noch vieles mehr. Diese Welt wäre eine andere. Und doch, wenn wir ehrlich reflektieren, müssen wir sagen: So leben wir nicht eins zu eins nach diesen Geboten. Die Gebote sind gut, das können wir alle anerkennen. Ich habe schon mit Atheisten gesprochen, die gesagt haben: „Die Gebote finde ich klasse, aber sie zu leben ist so schwer.“
Martin Luther hat die zehn Gebote gern als den Beichtspiegel genommen. Er hat darüber nachgedacht und reflektiert, wo er versagt hat, wo er nicht nach diesen Geboten gelebt hat. Dieser junge Mann geht ganz anders an die Sache heran. Er hört die Gebote von Jesus und sagt: „Habe ich alles gehalten von Jugend auf, alles gemacht.“ Mit anderen Worten: „Die Gebote des guten Gottes habe ich alle erfüllt. Ich bin, wenn es um diese Punkte geht, mindestens so gut wie Gott.“ Das ist ziemlich dreist. Kann er das wirklich für sich in Anspruch nehmen, das so gelebt zu haben? Man wünscht sich beinahe, dass Jesus ihm den Kopf wäscht und sagt: „Du, mein lieber Freund, du bist ganz schön selbstgerecht.“ Aber das macht Jesus nicht.
Jesus geht einen anderen Weg. Er führt den Mann dahin, dass er erkennt: „Ich halte nicht alle Gebote wirklich immer nach dem guten Willen Gottes.“ Er macht das, indem er ihn auffordert: „Es fehlt dir noch eines: Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen. So wirst du einen Schatz im Himmel haben. Komm und folge mir nach!“ Wir sehen, dass das den Mann trifft. Er wird traurig, tief traurig. An anderer Stelle heißt es, er gehe traurig weg.
Warum ist er traurig geworden? Weil er merkt: Das kann ich nicht. Ich habe so viel, ich habe Reichtümer, gute Beziehungen. Das alles loslassen, aufgeben und Jesus nachfolgen – das kann ich nicht. Vielleicht geht es dir ähnlich, wenn du darüber nachdenkst: Gerade hier im reichen München mein schönes Haus verkaufen, mein Auto verkaufen, meine Aktien für die Altersvorsorge verkaufen, alles weggeben und Jesus nachfolgen – das könnte ich auch nicht.
Dieser reiche Mann merkt, dass er es nicht kann. Wenn er vor die Wahl gestellt wird, Jesus nachzufolgen oder den Reichtum zu behalten, hängt er lieber am Reichtum. Sein Herz war ganz bei seinem Reichtum. Hätte er erkannt, wer da zu ihm spricht, dass es wirklich Gott ist, der da zu ihm spricht, hätte er sich vielleicht anders entschieden. Aber der Punkt ist nicht, dass dieser Mann etwas tun muss, um in Gottes Reich zu kommen, um gerecht zu sein. Der Punkt ist, dass er erkennen soll: Bei all dem, wie ich die Gebote bisher gehalten habe – nicht die Ehe gebrochen, Vater und Mutter geehrt, nicht gelogen – habe ich doch schon das erste Gebot nicht gehalten. Denn da heißt es: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“
Vor die Wahl gestellt, Gott oder das Geld, nimmt er das Geld, weil er darin seine Sicherheit findet. Ihm bereitet das ein schönes Leben, von dem er nicht erwartet, dass er es bei Gott bekommen kann. Vor die Wahl gestellt, kann er nicht. Er schafft es nicht. Genau an diesem Punkt will Jesus ihn haben – und uns auch. Wir wissen nicht genau, warum er traurig war. Vielleicht war es ihm einfach zu groß und er hat gar nicht verstanden, was Jesus ihm sagen wollte. Vielleicht war er auch traurig, weil er erkannte: „Ich pack’s nicht, Jesus, das ist zu groß für mich. Wenn ich so nach Gottes Gebot leben soll, schaffe ich das nicht. Ich scheitere daran.“
Das ist die Botschaft, die Gott uns lehren möchte. Der Punkt, an den er jeden führt, ist, dass er erkennt: „Ich packe es nicht. Wenn ich mir den Himmel erarbeiten will, wenn ich den Test machen will für Gottes Reich, ich schaffe es nicht. Meine Leistung wird nie ausreichen.“ Es geht nicht nur um unser Tun, sondern auch um unser Denken und Reden. Jesus sagt das in der Bergpredigt: Schon in Gedanken sündigen wir gegen Gott, schon in Gedanken brechen wir die Ehe und tun vieles anderes, was nicht Gott entspricht. Es würde nie reichen, mit Gott auf Augenhöhe zu stehen.
Es ist nicht so wie bei diesem jungen Mann, der zu Jesus kommt. Wir sind mit Gott nicht auf Augenhöhe. Er ist so weit entfernt wie der Tag von der Nacht. Wir kommen durch unsere Leistungen nicht dorthin. Wir arbeiten uns da nicht hin.
Vielleicht kann ich das an einem Bild deutlich machen: Schwimmst du gern? Ich schwimme einigermaßen gern, bin aber ein sehr durchschnittlicher Schwimmer. Vielleicht würdest du dich auf ein Wettschwimmen mit mir einlassen. Dann fahren wir zusammen nach Portugal, steigen ins Wasser und schwimmen bis nach Amerika. Ich bin mir sicher, ich gehe nach 500 Metern unter. Aber selbst wenn du fünf Kilometer, zehn, fünfzehn oder zwanzig schaffst – du wirst dort nicht ankommen. Du wirst untergehen. So ist es, wenn wir uns den Himmel verdienen wollen. Wir schaffen es nicht.
Es ist eine große Gnade von Jesus, dass er diesen Mann und auch uns dahinführt, dass wir das erkennen. Jesus sagt: Der Reichtum hat so eine Macht über uns. Es gibt viele Dinge, die Macht haben, aber besonders Geld und Besitz. Sie haben so viel Macht, dass Jesus sagt: „Es ist so schwer, dass die Reichen in das Reich Gottes kommen, dass es leichter ist, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes kommt.“ Mit anderen Worten: Das ist unmöglich.
Das ist genau das, was Jesus meint. Ein Kamel geht nicht durch ein Nadelöhr, das passt nicht hindurch. Die Jünger haben das genau verstanden, wie radikal das ist, was Jesus sagt. Sie sind entsetzt und fragen: „Wer kann denn dann selig werden?“ Jesus antwortet: „Bei den Menschen ist es unmöglich.“ So wie wir nicht nach Amerika schwimmen können, ist es unmöglich, aus eigener Kraft in Gottes Reich zu kommen.
Aber bei Gott ist es möglich. Gott kann das tun, was wir nicht können. Gott kann uns die Staatsbürgerschaft schenken, er kann uns zu Bürgern seines Reichs machen. Genau dafür ist Jesus gekommen. Wir haben diese Serie „Jesus auf dem Weg zum Kreuz“ genannt. Warum geht er dorthin? Weil er eine Leistung erbringt, einen Test besteht, den wir nicht bestehen können. Weil er stellvertretend für uns dieses Leben gelebt hat, gehorsam war, gut, durch und durch liebevoll. Wir haben vorher gesehen, wie er die Kinder liebevoll annimmt, wie er sich nicht an Besitz festklammert, wie er die Herrlichkeit beim Vater verlassen hat, die himmlischen Schätze aufgegeben hat, um bei uns zu sein und unsere Schuld ans Kreuz zu tragen.
Nur wenige Verse später sagt Jesus: „Dafür bin ich gekommen. Ich werde jetzt nach Jerusalem gehen, mich dort bespucken lassen, verspotten lassen.“ Der beste Mensch, Gott selbst, der über diese Welt gegangen ist, sagt: „Ich lasse mich bespucken und ans Kreuz schlagen, weil ihr es nicht könnt. Es ist bei den Menschen unmöglich, zum Vater zu kommen, zu Gott zu kommen. Aber bei Gott ist es möglich, und Jesus tut dieses Wunder.“
Darauf vertrauen wir – nicht auf unseren Besitz, nicht auf das, was wir tun. Es ging Jesus nicht in erster Linie darum, dass der Mann alles verkauft. Es ging ihm in erster Linie darum, dass er sein eigenes Herz besser sieht. Und erst in zweiter Linie darum, das loszulassen. Denn das ist das, was Gott tut, wenn wir in einer Beziehung zu ihm stehen: Er verändert unser Herz. Wir lernen, die Dinge dieser Welt loszulassen und uns nicht mehr an Sicherheiten zu klammern, die keine wirkliche Sicherheit sind.
Es ist eine große Illusion, zu glauben, ein Bankkonto könnte uns retten. Es kann uns nicht einmal vor dem Tod bewahren. Wir müssen alle irgendwann ins Grab steigen. Jesus befreit uns davon. Er sagt: „Vertrau mir, komm mit leeren Händen, lass das los. Du kannst es eh nicht mitnehmen. Lass es los und vertraue mir mit allem, was du hast.“
Das ist eine Einladung an uns alle – auch an uns Christen, wenn wir manchmal noch sagen: „Da sind doch noch Dinge, die mich gefangen nehmen.“ Die Jünger hatten oft noch vieles nicht verstanden, auch in diesem Abschnitt. Aber sie sind losgegangen und haben sich darauf eingelassen. Sie haben schon mehr verstanden: Ich brauche Jesus, ich brauche die Beziehung zu ihm, um in Gottes Reich zu kommen.
Die Frage nach dem Lohn und die Verheißung Jesu
Das heißt, wenn du traurig auf alles schaust, was du hast, und sagst: „Das könnte ich auch nicht loslassen, das schaffe ich nicht“, dann komm zu Jesus und bekenne ihm das. Sag: „Ich kann das nicht, für mich ist es unmöglich, aber Gott, bei dir ist nichts unmöglich. Nimm mein Leben in deine gute Hand.“
Vielleicht hat der reiche Mann auch gedacht: „Das lohnt sich nicht.“ Wir sehen, dass die Jünger sich im letzten Abschnitt gefragt haben, ob es sich lohnt. Petrus nämlich sieht diesen Mann, sieht, wie er traurig wird, und denkt nach. Er sagt: „Mensch, wenn die Bedingung ist, alles hinter sich zu lassen und Jesus nachzufolgen, dann habe ich das ja schon getan. Wir Jünger alle haben das getan.“ Er sagt zu Jesus: „Wir haben alles, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt.“
In Klammern steckt dort eine Frage: „Was bekommen wir dafür? Was ist der Lohn dafür?“ Das ist eigentlich eine etwas merkwürdige Frage. Stell dir vor, du bist in einem brennenden Haus. Ein Feuerwehrmann rettet dich unter Einsatz seines Lebens. Würdest du ihn dann fragen: „Was bekomme ich dafür, dass du mich gerettet hast?“ Petrus fragt nach dem Lohn: „Was bekomme ich dafür, dass du mich gerettet hast, dass du mein Leben in deine Hand genommen hast, Jesus?“
Aber Jesus weiß damit umzugehen. Er geht liebevoll auf ihn ein und sagt: „Sei dir sicher: Ein Leben mit mir, ein Leben, das ich gerettet habe, lohnt sich. Du wirst überreich beschenkt.“ Du siehst noch gar nicht, dass das, was du losgelassen hast, im Vergleich zu dem, was du bekommst, kaum ins Gewicht fällt. Erkenne das!
Jesus sagt: „Wahrlich, ich sage euch: Niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen, empfängt es nicht vielfach wieder – in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.“ Ihr seid also doppelt beschenkt, wenn ihr mit mir lebt und mir nachfolgt. Reich beschenkt.
Vielleicht übersehen wir das manchmal. Vielleicht kennst du das: Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich an der Grenze zu Gottes Reich stand. Jesus hat eine Zeit lang an mir gearbeitet, mich bearbeitet, wie diesen reichen Mann. Ich habe mich gefragt, ob es sich lohnt, Dinge loszulassen. Ich wusste, ich müsste manches aufgeben. Zum Beispiel aufhören, auf Partys zu gehen und mich dort zu betrinken. Ich müsste meinen Stolz loslassen, das war mir klar. Ich müsste mich bei manchen Menschen entschuldigen für das, was ich in meinem Leben angerichtet hatte. Ich müsste um Vergebung bitten, das war mir schon bewusst. Und noch manches mehr.
Ich habe mich hingesetzt und eine Rechnung aufgemacht: Lohnt sich das? Es hat mich eine Weile abgehalten, ich war traurig, weil ich das nicht loslassen wollte. Vielleicht fragst du dich auch: Lohnt sich das? Aber ich kann dir sagen: Wenn du diesen Schritt gehst, wenn du in die Nachfolge eintrittst, wird es leichter, loszulassen. Es wird nicht von einem Tag auf den anderen alles weg sein, du wirst weiterhin deine Kämpfe haben, und es werden weitere Dinge auftauchen. Aber es wird leichter.
In der Nachfolge lernen wir, dass all das nicht so wichtig ist, wie es uns vorher erschien. Es kommt auf Jesus an. Er beschenkt dich mit so vielem schon in diesem Leben. Er schenkt dir eine neue Familie, die Gemeinde, Geschwister, die liebevoll mit dir umgehen. Ich hoffe, du darfst das in unserer Gemeinde erleben – Menschen, die sich für dich interessieren und für dich beten.
Er schenkt dir die Freiheit von der Schuld. Wie viele kennen das, dass sie immer wieder von ihrem schlechten Gewissen belastet werden? Jesus nimmt dir diese Last ab. Ich denke an unsere Geschwister aus Afghanistan, dem Iran, Syrien. Für sie bedeutet Nachfolge oft, dass sie ihre leiblichen Familien verlieren, weil diese weiterhin an Allah glauben. Ehefrauen lassen sich von ihren Männern scheiden, weil sie zu Jesus Christus gefunden haben. Und dennoch kommen diese Männer in unsere Gemeinde und erzählen mit leuchtenden Augen, was sie gewonnen haben, wie Jesus ihr Leben segnet, wie sie Gemeinschaft und Familie in der Gemeinde erfahren.
Seid euch sicher: Es lohnt sich, Jesus nachzufolgen. Diese Rechnung machen wir an der Grenze zu Gottes Reich auf. Wenn wir hineingehen, erkennen wir: „Mann, was habe ich gedacht, wie wichtig das alles ist – es ist ja gar nicht wichtig.“ Jesus korrigiert unsere Sicht darauf.
Einladung zum Vertrauen und Gebet zum Abschluss
Deshalb möchte ich dich einladen: Mach diesen Vertrauensschritt und erkenne an, dass ich selbst nichts bringen kann. Es geht nicht darum, dass ich mein Leben erst aufgeräumt habe und perfekt zu Jesus komme. Wenn du so denkst, kannst du nie kommen.
Du kannst heute kommen wie ein Kind und sagen: „Ich schaffe es nicht, Jesus, nimm du mein Leben in deine Hand.“ Und wenn du ihm schon vertraust, dann schau nicht wehmütig zurück und frage dich, was du alles verlassen hast. So wie die Jünger, sie haben alles verlassen. Aber was bekommen wir dafür?
Schau nicht auf die Frage, was du dafür bekommst, sondern schau darauf, was dein Herr für dich getan hat, was er geleistet hat und wie gut er ist. Das verändert unsere Herzen. Und das macht uns übrigens auch weich für all die Menschen, die ihn noch nicht kennen. Für Menschen, die in unsere Gemeinde kommen. Gott sei Dank werden wir bald wieder erleben dürfen, dass wir gemeinsam Gottesdienste feiern.
Vielleicht haben diese Menschen im Leben vieles falsch gemacht und manchem versagt. Das macht unser Herz weich für sie, weil wir wissen, dass wir es nicht mehr verdient haben, bei Gott zu sein als sie.
Lassen wir uns ehrlich auf uns selbst schauen und erkennen, dass wir nichts haben, was Gott gefallen könnte. Aber Gott sei Dank schenkt er uns das, was ihm gefällt, weil er uns Jesus schenkt, einen guten Erlöser.
Ich möchte beten: Vater, du kennst unsere Herzen und weißt besser als wir selbst, wo wir an diesem Morgen in der Beziehung zu dir stehen. Ob wir dir wirklich vertrauen oder ob wir immer noch denken, wir müssten es selbst schaffen.
Wir wollen dich darum bitten, dass du uns von diesem Denken befreist, dass wir es könnten und dir etwas zu bringen hätten. Mach uns froh darüber, dass wir das nicht müssen, dass wir erlöst sind und Jesus uns zu Bürgern deines Reiches macht.
Jeder darf kommen, egal mit welcher Biografie, wenn du uns annimmst. Lass die Freude groß werden in uns, sodass wir nicht wehmütig auf das schauen, was wir zurücklassen, sondern voller Freude auf dich blicken und auf das, was wir jetzt schon haben.
Wir sind reich beschenkt dadurch, dass wir mit dir leben dürfen. Wir gehen auf eine wunderbare Ewigkeit mit dir zu, die noch viel schöner wird als alles, was wir uns vorstellen können.
Herr, lass das groß werden in uns, dass es auch ausstrahlt und Menschen spüren, dass wir eine Hoffnung haben, die diese Welt weit übersteigt. Wir danken dir für deine große Liebe. Ersegne du uns. Amen.