Einführung in die Stufenlieder und ihre Bedeutung
Alle haben heute Nachmittag ein Skript erhalten. Wer keines bekommen hat, soll bitte die Hand heben.
Heute Nachmittag möchten wir uns mit den fünfzehn Stufenliedern beschäftigen. Dabei handelt es sich um die Psalmen 120 bis 134. Diese Psalmen bilden zusammen eine geschlossene Einheit. Sie sind als Stufenlieder betitelt oder man könnte sie auch als Lieder der Hinaufzüge bezeichnen. Im hebräischen Text steht immer der Ausdruck Schir Ma'alot.
Diese Gesänge wurden während der drei großen Hinaufzüge nach Jerusalem gesungen, nämlich zum Passafest, zum Pfingstfest und zum Laubhüttenfest. Nach 2. Mose 23,17 war jeder männliche Israelit verpflichtet, unbedingt zu diesen Festen in Jerusalem zu erscheinen. Für die Frauen war dies nicht verpflichtend, da sie oft mit kleinen Kindern beschäftigt waren und es aus diesem Grund nicht möglich war. Sie durften zwar auch mitgehen, waren aber nicht dazu verpflichtet.
Die Gesänge wurden jeweils unter Flötenbegleitung gesungen, während der Reisen. Die Flötenbegleitung leitet man aus Jesaja 30 her, und das mit vollem Recht. In Jesaja 30 geht es im Zusammenhang um die Wiederkunft des Messias zum Gericht. Es wird beschrieben, wie der Überrest Israels Freude haben wird, wenn der Messias kommt. Diese Freude wird mit der Freude verglichen, die man jeweils bei den Hinaufzügen zu den großen Festen hatte.
Ich lese Jesaja 30,29: „Gesang werdet ihr haben, wie in der Nacht, da das Fest geweiht wird, und Freude des Herzens gleich denen, die unter Flötenspiel hinziehen, um zu kommen auf den Berg des Herrn, zum Felsen Israels.“
Die Freude bei der Wiederkunft Christi, die hier ab Vers 27 beschrieben wird, wird also verglichen mit der Freude, die das Volk jeweils bei den Hinaufzügen nach Jerusalem empfand. Sie gingen zum Berg des Herrn, das ist der Tempelberg in Jerusalem, der Berg Zion oder Moria. Es wird nicht nur vom Berg des Herrn gesprochen, sondern auch vom Felsen Israels. Dies deshalb, weil der höchste Punkt des Tempelbergs der Fels ist, auf dem heute die Al-Aqsa-Moschee steht. Auf diesem Felsen war das Allerheiligste im ersten und im zweiten Tempel errichtet.
Die Reise zum Berg des Herrn war also zugleich die Reise zum Felsen Israels. Und hier wird gesagt: „Freude des Herzens gleich denen, die unter Flötenspiel hinziehen, um zu kommen auf den Berg des Herrn.“
Daher war es üblich, insbesondere zur Zeit des Herrn Jesus, also zur Zeit der Evangelien, diese Gesänge mit Flötenbegleitung zu unterstützen. Wie auf dem Blatt steht, hat der Herr Jesus von seiner Jugend an diese Lieder mitgesungen, wenn er zu den obligatorischen Festen nach Jerusalem hinaufreiste.
In Lukas...
Jesus und die Tradition der Stufenlieder
In Lukas 2 wird von dem zwölfjährigen Jesus berichtet. In Lukas 2,41 heißt es: „Und seine Eltern gingen alljährlich am Passafest nach Jerusalem. Und als er zwölf Jahre alt war und sie nach Jerusalem hinaufgingen nach der Gewohnheit des Festes und die Tage vollendet hatten, blieb, als sie zurückkehrten, der Knabe Jesus in Jerusalem zurück, und seine Eltern wussten es nicht.“
Im Judentum zur Zeit der Evangelien galt ein Jude mit dreizehn Jahren als volljährig. Mit dreizehn Jahren feierte man die Bar Mitzwa. Das ist das Fest, bei dem ein Kind zum Sohn des Gebots wird. Bar Mitzwa bedeutet „Sohn des Gebots“. Es ist ein großes Fest, bei dem das Kind gewissermaßen den Übergang zum Erwachsenenalter vollzieht.
Noch heute, wenn in orthodoxen Familien die Bar Mitzwa gefeiert wird, betet der Vater und dankt Gott dafür, dass er nun von seiner Verpflichtung für seinen Sohn entbunden wird. Denn ab dreizehn Jahren erwartet man, dass ein Mensch aus freier Entscheidung die Gebote Gottes einhalten will.
Das ist interessant, wenn man die Verantwortung von Teenagern vor Gott beurteilt. Wann sind sie als verantwortlich anzusehen? Üblicherweise begann man schon etwas früher, etwa mit zwölf Jahren, die Kinder auf diese neue Zeit vorzubereiten. Ab dreizehn Jahren war man dann verpflichtet, an den Festen teilzunehmen.
In Lukas 2,41 sehen wir den zwölfjährigen Jesus, der mit seinen Eltern zum Fest nach Jerusalem hinaufgeht. Verpflichtend waren zwei Tage, die zwei hochheiligen Tage der Passawoche. Danach durfte man nach Hause gehen. Doch der Knabe Jesus blieb weiter in Jerusalem, weil er die ganze Passawoche mitfeiern wollte – also nicht nur die obligatorischen Tage, sondern die ganze Woche.
Die Eltern gingen nach Hause, kamen dann aber voller Sorge zurück und fanden ihn im Tempel. Dort war er zu Hause.
Das macht deutlich: Wenn der Herr Jesus von Nazareth diese große Reise nach Jerusalem unternahm, dann hat er das Stufenlied-Singen natürlich immer wieder mitgemacht. Das war üblich, denn man feierte diese Feste alle Jahre dreimal.
Die Bedeutung der Stufenlieder für das Volk Gottes
Wir sehen das auch sehr schön in Psalm 122, wie die Thematik des Hinaufgehens darin eine zentrale Rolle spielt. Psalm 122 ist ein Stufenlied oder ein Lied der Hinaufzüge von David. Dort heißt es: „Ich freute mich, als sie zu mir sagten: Lasst uns zum Haus des Herrn gehen! Unsere Füße werden in deinen Toren stehen, Jerusalem“ usw.
Außerdem sehen wir, dass der Herr Jesus als Zwölfjähriger im Tempel war. Seine Eltern waren besorgt und fragten ihn: „Was hast du uns angetan, dass du da geblieben bist?“ Darauf antwortete er: „Wusstet ihr nicht, dass ich in den Dingen sein muss, die meines Vaters sind?“ Er liebte das Haus Gottes. Das ist genau die Freude, die in Psalm 122, Vers 1 zum Ausdruck kommt: „Ich freute mich, als sie zu mir sagten: Lasst uns zum Haus des Herrn gehen.“ Dort war er zu Hause.
Diese Stufenlieder sind nur teilweise mit Angaben zu den Autoren versehen. Vier dieser Psalmen stammen ausdrücklich von David: Psalm 122, 124, 131 und 133. Ein weiterer stammt von Salomo, nämlich Psalm 127. Salomo hat über tausend Lieder gedichtet. Das berühmteste ist das „Shir Hashirim“, das Lied der Lieder. Aber auch er hat ein „Shir Ma'alot“, ein Lied der Hinaufzüge, verfasst, und dieses finden wir ebenfalls in der Bibel.
Die anderen Lieder sind ohne Angabe eines Autors. Es wird also deutlich: Die fünfzehn Stufenlieder sind zwar nicht alle von einem einzigen Autor verfasst, dennoch bilden sie eine Einheit. Dahinter steht eigentlich ein einziger Verfasser, und das ist Gott selbst.
Die Gesamtthematik dieser Stufenlieder hat folgendes Ziel: Es geht letztlich um die glückliche Gemeinschaft des Volkes Gottes im Tempel zu Jerusalem – mit dem Herrn und untereinander.
Technische Erklärungen und historische Hintergründe
Jetzt einige technische Erklärungen zum Ausdruck Stufenlieder. Wie bereits erwähnt, steht dort Malot, die Mehrzahl von Ma'allah, der Einzahl. Dieses Wort kann Treppe oder Hinaufzug bedeuten und in der Mehrzahl eben Hinaufzüge.
Der Ausdruck Ma'allah in der Einzahl kommt in Esra 7,9 vor. Dort geht es um Esra, der sich in Babylon aufhielt und mit vielen anderen Juden nach Jerusalem zum Berg Zion zurückkehren wollte. In diesem Vers, Esra 7,9, wird von diesem Hinaufzug von Babylon, dem heutigen Irak, nach Jerusalem gesprochen. Dieses Hinaufziehen wird mit dem Wort Ma'allah bezeichnet.
So wird deutlich, dass wir den Ausdruck Schir Ma'alot nicht unbedingt mit „Treppe“ übersetzen sollten, sondern besser als „Lied der Hinaufzüge“ oder „Wallfahrtslied“. Allerdings hat das Wort Wallfahrt für mich eher negative Assoziationen, deshalb bleibe ich lieber bei „Lied der Hinaufzüge“. Die Doppelbedeutung „Treppe“ ist jedoch interessant.
Im Tempel in Jerusalem zur Zeit der Evangelien, also zur Zeit des Herrn Jesus, gab es im Frauenvorhof – dem größten der inneren Vorhöfe und gewissermaßen der Synagoge unter freiem Himmel – die großen Gottesdienste. Dieser Frauenvorhof hatte vorne ein Podium mit 15 halbkreisförmigen Treppenstufen. Über diese Stufen gelangte man zum Israelvorhof und von dort zum Priestervorhof, wo sich der Altar befand, durch das gewaltige Nikanortor.
Auf diesen 15 halbkreisförmigen Treppen befand sich während der Feste der Priesterchor und das professionelle levitische Tempelorchester. Dort sangen sie die Psalmen. Die 15 Treppen wurden bewusst in Analogie zu den 15 Stufenliedern in den Psalmen gebaut.
Man kam ja hinauf nach Jerusalem, um dort diese Feste zu feiern. Die passende Reisemusik dazu waren die Psalmen 120 bis 134.
Zielgruppe und geschichtliche Bedeutung der Stufenlieder
Jetzt wollen wir uns zunächst die Frage stellen: Für wen sind eigentlich die Stufenlieder geschrieben?
Erstens wurden sie für die Periode des ersten und zweiten Tempels verfasst, also für die Zeit, als es in Jerusalem einen Tempel gab. Das bedeutet etwa ab tausend vor Christus. Im zehnten Jahrhundert baute Salomo den ersten Tempel. Bis zum Jahr siebzig nach Christus, als die Römer den zweiten Tempel zerstörten, war der Tempel das Zentrum des jüdischen Glaubens. Seitdem hat das jüdische Volk keinen Tempel mehr. In dieser Zeit waren die Stufenlieder sehr wichtig, denn sie dienten als Reiselieder zum Tempel. Für diese Epoche wurden diese Psalmen geschrieben.
Aber nicht nur das: Zweitens erhielten sie eine besondere Bedeutung in der Zeit nach der babylonischen Gefangenschaft. Diese Gefangenschaft dauerte von 605 bis 538 vor Christus. Das babylonische Reich wurde von den Persern und Medern erobert. Der damalige persische König Chores – wie es in Esra 1 beschrieben wird – gab den Juden die Erlaubnis, aus der Gefangenschaft zurückzukehren nach Zion. Viele Tausende von Juden nahmen diese Möglichkeit wahr. In mehreren Etappen kehrten sie aus Babylonien und Persien nach Jerusalem zurück.
Für diese Zeit erhielten die Psalmen eine besondere Bedeutung: Sie begleiteten den Aufstieg aus der Gefangenschaft zurück nach Zion, nach Jahrzehnten der Entfremdung vom Tempel. Doch gerade in dieser Zeit bekamen die Stufenlieder eine ganz neue Bedeutung.
Damals kehrten einige Tausend, einige Zehntausend Juden aus Babylon und Persien zurück. Was erleben wir heute? Heute erleben wir die Rückkehr des jüdischen Volkes aus allen fünf Kontinenten ins Land der Väter, nach Zion. Deshalb haben diese Psalmen heute eine besondere Bedeutung für die Rückkehr des jüdischen Volkes aus über 140 Ländern.
Auf dem Blatt habe ich notiert: Ab 1882 beginnt man mit der ersten Aliyah. Aliyah ist das hebräische Wort für Rückkehr nach Zion. Wörtlich bedeutet Alija „Hinaufzug“. Das ist die gleiche Wurzel wie in dem Wort Ma'alla, das „Treppe“ oder „Hinaufzug“ bedeutet. Alija ist ein anderes Wort mit derselben Wurzel für den Aufstieg nach Zion, nach Jerusalem.
Die erste Einwanderungswelle von Juden in der Neuzeit fand 1882 statt. Sie war eine Folge der massiven Judenverfolgung unter den letzten Zaren in Russland. Die Juden sagten damals: Was können wir tun? Wir werden überall auf der Welt verfolgt – und das schon fast 2000 Jahre lang. Deshalb kehren wir zurück nach Palästina. So entstand ein Einwandererstrom aus dem Norden ins Land der Väter.
Dann folgten eine zweite Aliyah, eine dritte Aliyah und so weiter. Bis heute sind Millionen zurückgekehrt. Wir sehen also, dass dieser Hinaufzug in der modernen Zeit sogar noch viel gewaltiger ist als der damalige Aufstieg nach der babylonischen Gefangenschaft.
So haben diese Psalmen prophetisch erst recht unsere Zeit im Blick, in der das jüdische Volk wieder nach Zion zurückkehrt.
Doch damit ist die Bedeutung der Stufenlieder nicht erschöpft. Denn diese Psalmen haben ebenso eine wichtige Bedeutung für die Gemeinde Gottes, also für die Zeit der Gemeinde Gottes, der Kirche Gottes.
Ab Pfingsten 32 nach Christus, als in Apostelgeschichte 2 der Heilige Geist ausgegossen wurde, entstand die Gemeinde. Sie besteht hier auf Erden bis zur Entrückung, wenn Jesus Christus wiederkommt.
Warum können wir sagen, dass die Stufenlieder auch für die Gemeinde geschrieben sind? Ganz einfach: In Römer 15,4 heißt es: „Denn alles, was zuvor geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften Hoffnung haben.“
Dieser Vers ist sehr wichtig, um die Bedeutung des Alten Testaments für Christen zu verstehen. Der Römerbrief richtet sich an die Gemeinde, an die Kirche in Rom (Kapitel 1). Dort wird gesagt: Alles, was zuvor geschrieben wurde, ist zu unserer Belehrung geschrieben worden.
Man kann also sagen, dass das Alte Testament unter anderem speziell für Christen geschrieben wurde. Es soll Mut machen, auszuhalten und durchzuhalten. Es soll uns ermutigen, damit wir wirklich Hoffnung auf Gott haben.
In diesem Sinn wollen wir auch die Stufenlieder betrachten: Was bedeuten sie für uns? Was haben sie uns zu sagen?
Es ist jedoch wichtig, die verschiedenen Ebenen der Bedeutung der Stufenlieder zu unterscheiden. So vermeiden wir, dass wir einen „Wurstsalat“ machen. Es ist entscheidend, klar zu unterscheiden, um zu wissen, wo was hingehört.
Schlüsselwörter und zentrale Themen in den Stufenliedern
Ein weiterer Punkt: In diesen fünfzehn Psalmen finden wir besondere Stichwörter, die gehäuft vorkommen. Diese gilt es besonders zu beachten, denn sie helfen uns zu erkennen, was eigentlich wichtig ist und worum es in diesen Psalmen geht.
Zum Beispiel kommen die Wörter Segen oder segnen häufig vor. Manchmal wird das Wort mit „preisen“ übersetzt, doch es handelt sich im Hebräischen um dasselbe Wort. Das Verb heißt „Berech“, was „segnen“ oder „preisen“ bedeutet, und „Beracha“ ist der Segen. Diese Wörter erscheinen zehnmal in diesen Stufenliedern.
Dann gibt es das Wort „Shalom“. Es wird manchmal mit „Frieden“ und manchmal mit „Wohlfahrt“ übersetzt, doch es ist immer dasselbe Wort. Auf dem Blatt habe ich genau angegeben, in welchen Psalmen und Versen dieses Wort vorkommt.
Außerdem kommt fünfmal das Wort „Yerushalayim“ vor. Wir merken, dass das Wort „Shalom“ in diesem Namen steckt. „Jeru“ bedeutet „Gründung“, „Shalayim“ stammt von der Wurzel „Shalam“, die mit Frieden zu tun hat.
Einmal wird auch der Name Salomo, „Schelomo“, erwähnt, nämlich im Titel von Psalm 127. Das bedeutet „Mann des Friedens“ oder „der Friedliche“. Auf Deutsch entspricht das etwa „Fritz“, was ebenfalls „der Friedliche“ bedeutet. So haben wir diese Wurzel dreizehnmal, was wirklich auffällig ist.
Im nächsten Punkt habe ich alle Stellen aufgelistet, in denen Jerusalem, die Stadt des Friedens, in diesen Psalmen namentlich erwähnt wird. Des Weiteren wird Zion siebenmal genannt. Zion ist der Name des Tempelbergs in Jerusalem. Oft hat Zion in der Bibel auch die Bedeutung der ganzen Stadt, weil die Stadt durch den Tempelberg charakterisiert wird und dadurch ihre Bedeutung erhält. Alle Stellen, an denen Zion vorkommt, habe ich ebenfalls aufgeführt.
Auffällig sind auch die Gottesnamen. Es lohnt sich, beim Lesen speziell auf die Gottesnamen zu achten. In diesen Psalmen wird Gott siebenundvierzigmal als „Yahweh“ genannt. Das ist der Herr mit Großbuchstaben, wörtlich „der Ewige“, „der Unwandelbare“. Der Name „Gott“, „Elohim“, kommt dagegen nur zweimal vor.
Das ist wichtig, denn man kann als Regel sagen: „Elohim“ ist der Name für Gott als Schöpfer und Erhalter des Weltalls. Darum heißt es in der Schöpfungsgeschichte immer: „Und Gott sprach...“ Am Anfang schuf Gott, Elohim, die Himmel und die Erde.
„Yahweh“ ist hingegen der Name, den Gott annimmt, wenn er in Beziehung zu Menschen tritt. Es ist auch der Name des Bundesgottes. Gott stellt sich ganz speziell Mose gegenüber als „Yahweh“ vor, wenn es darum geht, mit Israel einen Bund am Sinai zu schließen.
„Yahweh“ ist also der Name des Gottes, der Gemeinschaft mit dem Menschen haben will. Übrigens wird in 1. Mose 2, wo die Erschaffung des Menschen und die Gebote für den Menschen beschrieben werden, Gott immer „Yahweh“ genannt. Allerdings kombiniert: Es heißt immer „der Herr Gott“, weil er ja auch der Schöpfer ist.
In 1. Mose 2 wird er immer noch „Gott, Elohim“ genannt, aber da er dort speziell in Beziehung zum Menschen tritt, eben „Yahweh“. Wahrscheinlich ist bekannt, dass in der Bibelkritik und der liberalen Theologie daraus geschlossen wurde, 1. Mose 1 sei von einem anderen Autor geschrieben worden als 1. Mose 2 und stamme gar nicht von Mose.
Diese Annahme beruht jedoch auf einem Unverständnis der Bedeutung der Gottesnamen. Hätte man das geistlich verstanden, hätte man bemerkt: Mose benutzt den Ausdruck „Elohim“ in Kapitel 1, weil es um den Schöpfer und Erhalter geht. In Kapitel 2 fügt er den Namen „Yahweh“ hinzu, weil es dort speziell um den Menschen und Gottes Beziehung zum Menschen geht.
Was bedeutet das für die Stufenlieder? Hier ist es ganz wichtig: Es geht darum, dass Gott mit seinem Volk eine Beziehung haben möchte. Es geht um den Gott, der sich an all seine Versprechen gegenüber Israel erinnert und sie erfüllen will. Das steht im Vordergrund.
Dann sind Stichwörter wie „behüten“, „wachen“ und „Wächter“ wichtig. Die Wurzel „Shamar“ kommt zwölfmal vor, und ich habe auch hier alle Stellen aufgeführt. Das Thema, dass Gott wacht und behütet, ist also sehr bedeutend.
Weiterhin gibt es ein Stichwort in Psalm 126, Vers 1: Dort kommt das Wort „die Gefangenschaft wenden“ vor, oder noch besser übersetzt „das Schicksal wenden“. Es geht um das Schicksal Zions, als der Herr das Schicksal Zions wendete: „Wir waren wie Träumende!“
Der Ausdruck „das Schicksal wenden“, das Schicksal Israels oder Judas wenden, ist ein Fachausdruck in der Prophetie. Er weist immer auf die letzte Phase hin, wenn Gott Israel endgültig befreien wird – im Blick auf die Wiederkunft Christi in Macht und Herrlichkeit.
Ich habe alle Stellen aus dem Alten Testament aufgeführt, in denen dieser Ausdruck vorkommt. Hier haben wir also den Ausdruck „die Gefangenschaft oder das Schicksal Zions wenden“.
In den Stufenliedern geht es letztlich um die Befreiung des Tempelbergs, die endgültige Befreiung des Tempelbergs. Das ist heute hochaktuell, denn womit beschäftigt sich die Weltpolitik derzeit? Es geht um den Tempelberg in Jerusalem.
Die Palästinenser wollen absolut nicht nachgeben, und damit auch die ganze muslimische Welt mit vielleicht eineinhalb Milliarden Menschen. Sie sind absolut nicht bereit, Zion den Juden zu überlassen.
Die ganze Welt ist heute gezwungen, Stellung zu beziehen. Das jüdische Volk sagt: „Wir wollen Zion nicht aufgeben.“ Das heißt also, die ganze Welt muss sich heute mit der Frage des Tempelbergs auseinandersetzen.
Darum ist unser Thema hochaktuell: Es geht um die Wende des Schicksals des Tempelbergs, Zion.
Jerusalem als Zentrum des Glaubens und der Einheit
Nun, wenn wir gesehen haben, dass Jerusalem in diesen Psalmen eine so wichtige Rolle spielt, müssen wir uns fragen, warum das so ist. Damit verbunden stellt sich die Frage: Was ist die Bedeutung des Tempels in Jerusalem, dieses einen Tempels? Und was bedeutet es, wenn das ganze Volk Israel dort versammelt sein soll?
Israel hat kein Recht, mehr als einen Tempel zu besitzen. Das wird im fünften Buch Mose 21-mal betont. Es gibt einen Ort, den Gott ausersehen hat für die Opfer. Warum? Ein Tempel sollte als Zeugnis für den einen wahren Gott dienen. Darum wird vom Haus Gottes gesprochen, nicht von Gotteshäusern.
Psalm 122,1 sagt: „Ich freute mich, als man zu mir sagte: Lasst uns zum Haus des Herrn gehen!“ Oder Psalm 122,9: „Um des Hauses des Herrn, unseres Gottes, willen will ich dein Bestes suchen.“ Es ist also ein Haus als Zeugnis für den einen wahren Gott.
Es wird immer vom Haus gesprochen, vom Tempelhaus. Weiterhin sollte in Jerusalem ein geeintes Volk beieinander sein, als Zeugnis für den einen wahren Gott. Das heißt, die Einheit des Volkes Gottes soll auf den einen wahren Gott hinweisen.
Dazu passt Psalm 133, den wir wahrscheinlich alle gut kennen: „Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!“ In Jerusalem sollte das ganze Volk versammelt sein, und diese Einheit des Volkes sollte ein Zeugnis für den einen Gott sein.
Wenn wir das neutestamentlich betrachten, im Blick auf die Gemeinde, hat der Herr Jesus in seinem Gebet in Johannes 17, als die Schatten des Kreuzes auf ihn gefallen waren, so zum Vater gesprochen. Er bittet für die Gläubigen, dass sie alle eins seien, gleich wie du, Vater, in mir und ich in dir, auf dass auch sie in uns eins seien, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.
In Johannes 17,22-23 heißt es: „Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, damit sie eins seien, gleich wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie in Eins vollendet seien und damit die Welt erkenne, dass du mich gesandt und sie geliebt hast, gleich wie du mich geliebt hast.“
Wir sehen also, die Einheit unter den Gläubigen soll ein Hinweis auf die Einheit in der Gottheit sein.
Schauen wir im Psalm 124,4 wird auch in Verbindung mit dem Hinaufgehen nach Jerusalem gesprochen, wohin die Stämme hinaufziehen, die Stämme des Herrn, um Israel zu preisen und den Namen des Herrn zu ehren. Es soll ein Zeugnis für das Volk Gottes sein, das mit dem einen Gott verbunden ist.
Noch etwas: Jerusalem sollte als vereinigte Stadt ein Zeugnis für den einen wahren Gott sein. Psalm 122,3 sagt: „Jerusalem, die du aufgebaut bist als eine fest in sich vereinigte Stadt.“ Vielleicht heißt es in manchen Übersetzungen „in sich geschlossene Stadt“, aber besser ist „in sich vereinigte Stadt“. Der hebräische Ausdruck hat nichts mit Schließen zu tun, sondern mit Verbinden, Vereinigen.
Das ist natürlich sehr interessant für uns, denn Jerusalem ist seit dem Unabhängigkeitskrieg 1948/49 eine geteilte Stadt geworden. Die UNO wollte, dass Ostjerusalem mit dem Tempelberg internationalisiert wird und nicht dem jüdischen Volk gehören sollte. Nur Westjerusalem sollte Israel gehören.
Am 14. Mai wurde der Staat Israel ausgerufen, am Abend kam es unmittelbar darauf zu einer Invasion von etwa sieben Nationen mit voll ausgerüsteten offiziellen Armeen. Israel hatte damals kaum schwere Waffen und kaum eine voll organisierte Armee. Die Untergrundarmee von vorher wurde quasi nun die offizielle Armee.
In diesem Krieg hat Jordanien den Tempelberg und Ostjerusalem an sich gerissen und annektiert. Nicht besetzt, sondern annektiert, obwohl die UNO damals sagte, es solle internationalisiert werden. Die Juden akzeptierten das damals, weil sie nahmen, was sie bekommen konnten.
Daraufhin wurde Jerusalem durch eine Mauer getrennt, ähnlich wie Berlin. In der weiteren Zeit war es Juden absolut verboten, auch nur besuchsweise an die Klagemauer zu gehen, um dort zu beten. Jerusalem war eine geteilte Stadt.
Erst im Sechstagekrieg 1967, als die muslimischen Nationen beschlossen hatten, Israel endgültig zu vernichten, änderte sich das. Dieser Beschluss wurde im Hotel Palästina in Alexandria gefasst. Damals hatte Präsident Nasser die Führer der arabischen Welt nach Alexandria eingeladen, in dieses Hotel Palästina, das er extra für diesen Anlass bauen ließ.
Ich war einmal dort und habe dort einen Cola getrunken. Es war ein komisches Gefühl, nicht wegen der Cola, sondern weil ich vor diesem Hotel stand und daran dachte, dass hier beschlossen wurde, Israel endgültig aus der Welt zu schaffen.
Man verkündete über die Massenmedien, dass ein Blutbad entstehen werde, das seinesgleichen suche. Israel war gezwungen, den Erstschlag zu führen, um überleben zu können. Das war der Sechstagekrieg, ein Dreifrontenkrieg. In sechs Tagen wurden alle Feinde an allen Frontabschnitten geschlagen, und der Tempelberg wurde erobert.
Die Mauer wurde abgerissen, Jerusalem wurde vereinigt. Wenn man das vor diesem Hintergrund liest, gewinnt Psalm 122,3 „Jerusalem, die du aufgebaut bist als eine fest in sich vereinigte Stadt“ eine tiefe Bedeutung.
Die Weltpolitik beschäftigt sich heute damit, Jerusalem zu teilen. Ein israelischer Teil und ein palästinensischer Teil sollen entstehen, wobei der Tempelberg, das Herzstück, im palästinensischen Teil liegen soll. Die Muslime sagen: „Da gibt es überhaupt nichts zu diskutieren, dieser Berg gehört uns, und die Juden haben dort nichts zu suchen.“
Vor diesem Hintergrund ist Jerusalem als vereinigte Stadt, als Zeugnis für den einen wahren Gott, etwas Hochaktuelles und Herzbewegendes.
Wir sehen also: Ein Tempel als Zeugnis für den einen Gott, ein geeintes Volk als Zeugnis für den einen Gott und eine vereinigte Stadt als Zeugnis für den einen wahren Gott.
Jetzt können wir zur Pause gehen. Wir fahren nachher weiter.
Israels Leiden und Zerstreuung in den Stufenliedern
Die Stufenlieder sprechen sehr viel über Israels Leiden. Einmal wird, wie wir noch sehen werden, in Psalm 133 allerdings in bildlicher Sprache über die Spaltung Israels gesprochen.
Nach dem Tod Salomos ist dieser am Ende seines Lebens von Gott abgefallen, und Israel ist ihm auf diesem Weg gefolgt. Als Gericht Gottes wurde Israel zertrennt in zehn Stämme im Norden und zwei Stämme im Süden. Das war ein Gericht Gottes, das aber „Leiden“ bedeutete.
In diesem Psalm wird außerdem über Israels Zerstreuung unter die Völker gesprochen. Bereits damals, während der babylonischen Gefangenschaft, wurde das jüdische Volk weggeführt in den Irak. Nach einigen Jahrzehnten durften sie jedoch zurückkehren.
Die zehn Stämme im Norden hingegen wurden bereits im Jahr 721 vor Christus nach Assyrien weggeführt und zerstreut. Noch schlimmer war das Ereignis im Jahr 70 nach Christus, also keine vierzig Jahre nach der Kreuzigung. Damals wurde Jerusalem zerstört, und das jüdische Volk wurde in alle fünf Kontinente zerstreut – und zwar in einem jahrhundertelangen Prozess. Das Thema der Zerstreuung des Volkes wird uns also beschäftigen.
In diesen Psalmen finden wir auch das Thema der Verfolgung Israels. Wenn wir daran denken, dass seit dem Jahr 70 bis heute etwa dreizehn Millionen Juden umgekommen sind, wird die Verfolgung durch alle Jahrhunderte hindurch deutlich. Hinzu kommen Spott und Verachtung, wie etwa in Psalm 123 beschrieben. Das war ebenfalls ein Thema, das das jüdische Volk in der Zerstreuung und bei den Verfolgungen begleitet hat: der ausgesprochene Judenhass und die Verachtung des von Ghetto zu Ghetto wandernden, heimatlosen Juden.
Besonders Psalm 130 beschäftigt sich mit der Sündenlast des Volkes Gottes und den damit verbundenen Leiden.
Psalm 120: Die jüdische Not in der russischen und arabischen Diaspora
Jetzt gehen wir einfach Psalm für Psalm durch. Zunächst lese ich Psalm 120. Ich habe ihn betitelt mit „Die jüdische Not in der russischen und arabischen Diaspora“. Diaspora ist der Fachausdruck in der Geschichte für jüdische Zerstreuung.
Psalm 120, ein Lied der Hinaufzüge:
„Zu dem Herrn rief ich in meiner Bedrängnis, und er erhörte mich.
Der Herr, Herr, errette meine Seele von der Lippe der Lüge, von der Zunge des Truges!
Was soll man dir geben und was dir hinzufügen, du Zunge des Truges?
Scharfe Pfeile eines Gewaltigen samt glühenden Kohlen der Ginster.
Wehe mir, dass ich weile in Mesech! Dass ich wohne bei den Zelten Kedars.
Lange hat meine Seele bei denen gewohnt, die den Frieden hassen.
Ich will nur Frieden – Shalom auf Hebräisch – ich will nur Frieden, aber wenn ich rede, so sind sie für Krieg.“
Der Psalm beginnt mit Dank für die Rettung aus der Not. Die Strophen zeigen bereits den Vorausblick, wie Gott schließlich Israel befreit: „Er erhörte mich“.
Dann beschäftigen sich die Verse 2 bis 4 mit dem Problem der Lüge. Sie zeigen, wie Israel unter der Lüge seiner Feinde leidet. Die Verse 5 bis 7 behandeln das Problem des Friedenshasses und des Krieges, unter dem Israel leidet.
Diese „Lügenzunge“ wird in Vers 4 mit scharfen Pfeilen verglichen. Genauer gesagt mit Pfeilen aus glühenden Kohlen der Ginster. Die Ginster hat ein Holz, das überdurchschnittlich lange brennt. Der Brennwert ist höher als bei durchschnittlichem Holz. So werden diese Pfeile als brennende Pfeile von Ginsterkohlen beschrieben.
Jetzt haben wir den Ausdruck „Mesech“ in Vers 5: „Wehe mir, dass ich weile“ – wörtlich im Hebräischen: „dass ich als Fremdling weile“ – „in Mesech“. Hier haben wir also die Zerstreuung Israels vor Augen.
Was ist Mesech? Dieser Name kommt schon vor in 1. Mose 10, Vers 2. Mesech war einer der Söhne von Japheth. Die Jaffetiten sind hauptsächlich nach Europa ausgewandert, nach der Sintflut. Mesech ist historisch bekannt als die Moschowiter.
In der Antike lebte dieser Stamm zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer. Die Moschowiter sind einer der Stämme, die das spätere Russland gebildet haben. Auch die Tobeliter, zum Beispiel Tubal, werden in 1. Mose 10 genannt. Sie gehören ebenfalls zu den Vorfahren der Russen.
Sehr wahrscheinlich geht der Städtename Moskau (msk) auf diesen Stammesnamen Mesech zurück, ursprünglich wurde es im Hebräischen als Meshech ausgesprochen – Moskau Meshech.
Übrigens wird im Buch Ezechiel 38 in der Endzeit ein Angriff aus dem äußersten Norden beschrieben, der mit Mesech und Tubal bezeichnet wird. Das sind also wieder jene Stämme, die an der Wurzel des russischen Volkes liegen. Von dort wird in der Endzeit ein massiver Angriff auf Israel erwartet. Das nur nebenbei.
Aber jetzt haben wir hier die Aussage: „Wehe mir, dass ich weile in Mesech“. Damit ist speziell die Zerstreuung unter dem russischen Volk gemeint. Wir müssen uns vor Augen halten, dass ein besonders großer Teil der Juden in das russische Gebiet zerstreut wurde, beziehungsweise in das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, das später unter russischer Herrschaft stand.
Ich habe auch erklärt, dass die erste Einwanderung, die erste Alija, 1882 aus Russland kam. Diese Menschen konnten damals sagen: „Wehe mir, dass ich weile in Mesech“, wo sie dauernd Hass und Lüge über sich ergehen lassen mussten.
Es wurde zum Beispiel immer wieder gelogen, es gäbe eine zionistische Verschwörung, und deshalb müsse man die Juden hassen. So wurde ständig gegen das jüdische Volk gelogen.
Wenn man heute bedenkt, dass der größte Teil der Einwanderung nach Israel aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion stammt, bekommt das Wort „Mesech“ eine besondere Bedeutung.
Dann haben wir aber noch „Kedar“. „Wehe mir, dass ich weile in Mesech, dass ich wohne bei den Zelten Kedars.“ Kedar ist ein arabischer Stamm, der von Ismael abstammt (1. Mose 25,13). Kedar steht speziell für die arabischen Völker.
Dabei ist es interessant, dass der Islam aus den arabischen Stämmen in Saudi-Arabien stammt. Muhammad selbst betrachtete sich als Nachkomme von Ismael. Deshalb ist Ismael im Islam so wichtig, im Gegensatz zu Isaak.
Es ist eigentlich ein Erbstreit: Gott hat das Land Israel Isaak zugesprochen und nicht Ismael – damit auch den Tempelberg. Aber Ismael möchte gerne den Tempelberg besitzen und um keinen Preis an Isaak zurückgeben.
Interessanterweise gab es auch im Jahr 70 nach Christus, als der Judenstaat von den Römern zerstört wurde, Fluchtwellen von Juden, die entkommen konnten nach Saudi-Arabien. Sie ließen sich dort unter den arabischen Stämmen nieder, zum Beispiel in Medina, dem früheren Yathrib.
Yathrib, heute Medina, war die Stadt, die besonders wichtig für die Entstehung des Islam war. Medina wird auch „die Stadt des Propheten“ genannt – des falschen Propheten Muhammad.
Die Stadt beherbergte drei israelitische jüdische Stämme und nur zwei arabische. Die Stadt war also stark jüdisch geprägt. Diese Juden wollten sich dem Islam nicht unterwerfen. Deshalb wurden diese Stämme nacheinander vertrieben. Der letzte wurde brutal liquidiert: Männer wurden abgeschlachtet, Frauen und Kinder versklavt. Ganz, ganz schlimm.
So haben wir hier diese Not: „Wehe mir, dass ich wohne bei den Zelten Kedars.“
Aber nicht nur im Gebiet der Ismailiten selbst lebten Juden in Zerstreuung. Der Islam hat sich im ganzen Nahen Osten und Nordafrika sehr schnell verbreitet und den Völkern den Islam aufgezwungen, auch dort, wo er nicht freiwillig angenommen wurde. Damit wurde auch die arabische Sprache überall eingeführt.
Wenn man heute von Arabern spricht, heißt das nicht, dass sie alle miteinander verwandt sind, sondern dass sie alle Arabisch sprechen. Sie wurden gewissermaßen alle durch Ismael dominiert.
In der ganzen islamischen Welt, die durch Ismael gekennzeichnet ist und hier symbolisch durch Kedar vertreten wird, gab es eine große jüdische Gemeinschaft, die durch die Geschichte hindurch viel zu leiden hatte von Seiten des Islam.
Die ersten Erfahrungen Mohammeds mit den Juden, gerade auch die brutale Vernichtung der Juden in Medina, haben die spätere islamische Haltung gegenüber den Juden massiv geprägt.
Wenn man das so liest, dann hat dieser Vers schon viel zu sagen: Mesech und Kedar.
Dann sagt der Psalmist: „Lange hat meine Seele bei denen gewohnt, die den Frieden hassen.“
Der Islam ist gekennzeichnet durch Liebe zum Krieg. Es ist eine kriegerische Religion. Darum wird in der islamischen Lehre die Welt eingeteilt in Dar al-Islam, das ist das Gebiet, das der Islam erobert hat, wörtlich „Haus des Islam“. Der Rest der Welt heißt Dar al-Harb, das heißt „Haus des Schwertes“. Der ganze Rest der Welt ist noch durch das Schwert zu erobern.
Als Beweis für die Richtigkeit der Religion wird der militärische Erfolg des Islam in der Vergangenheit angesehen.
Und so sagt der jüdische Psalmist, beziehungsweise der israelitische Psalmist: „Lange hat meine Seele bei denen gewohnt, die den Frieden, die Schalom, hassen. Ich will nur Frieden – aber wenn ich rede, so sind sie für Krieg.“
Psalm 121: Gottes Schutz und Bewahrung
Wir gehen weiter zum nächsten Psalm, Psalm 121, einem Lied der Hinaufzüge.
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen: Woher wird mir Hilfe kommen? Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Er wird nicht zulassen, dass dein Fuß wankt; dein Hüter schläft nicht. Siehe, der Hüter Israels schläft nicht und schlummert nicht. Der Herr ist dein Hüter, der Herr ist ein Schatten über deiner rechten Hand. Die Sonne wird dich des Tages nicht stechen, noch der Mond des Nachts. Der Herr wird dich behüten vor allem Übel; er wird deine Seele behüten. Der Herr wird deinen Ausgang und deinen Eingang behüten von nun an bis in Ewigkeit.
Wir sehen sehr schnell bei diesem Psalm, besonders wenn man ihn betont vorträgt, dass es sich lohnt, auf bestimmte Stichworte zu achten. Wenn man an einen Bibeltext oder an einen Psalm herangeht, ist es wichtig, sich zu fragen, welche Wörter sich besonders oft wiederholen. Diese Wörter können wir als Schlüsselwörter erkennen, um die Gesamtaussage eines Bibelabschnittes oder Psalms besser erfassen zu können.
Darum, wenn wir Psalm 121 durchgehen, können wir auch automatisch lernen, wie man die Bibel auslegt und wie man an einen Bibeltext herangeht. So kann man sich beispielsweise auch auf eine Bibelarbeit, einen Hauskreis oder eine Predigt vorbereiten. Das soll als Nebeneffekt vielleicht auch Anregungen geben.
Es geht also darum, wie das Stichwort zeigt: Israel wird von Gott behütet. Das ist ganz wichtig.
Ich habe unter Punkt zwei hier geschrieben: Behüten, Wachen, Wächter – all das stammt von der Wurzel Shamar auf Hebräisch. Dieses Wort kommt sechsmal in diesem Psalm vor. Zweimal kommt das Wort Hilfe vor. Was hat das zu sagen? Ein Volk, das durch die Jahrhunderte hindurch immer wieder gehasst wurde und in aller Welt Verfolgung und Leid erlitten hat, durfte und darf sich auf Psalm 121 stützen. Es ist jemand da, der uns als Volk behütet.
So hat der Herr Jesus in Matthäus 24 gesagt: „Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis all dieses geschehen ist“ (Matthäus 24,34). Das meint hier nicht diese Generation. Herr Lindsay hat ja die Berechnung gemacht, dass eine Generation vierzig Jahre dauert. 1948 wurde der Staat Israel gegründet, also vierzig Jahre später, 1988, sollte laut dieser Berechnung die Wiederkunft Christi stattfinden. Doch es ist nichts geschehen.
Das hat bei vielen Christen eine tiefe Enttäuschung ausgelöst, besonders bei denen, die sich intensiv mit biblischer Prophetie beschäftigt haben. So haben sich viele evangelikale Christen enttäuscht davon abgewandt. Aber solche Berechnungen darf man nicht anstellen, das wussten wir immer. Man soll dieses Wort hier nicht mit „Generation“ im Sinne von einer Lebenszeit übersetzen. Das griechische Wort kann zwar „Generation“ bedeuten, aber auch „Geschlecht“ im Sinne von Volksstamm.
Damit ist das Volk Israel gemeint. Der Feigenbaum von vorher wird nicht vergehen, bis alles geschehen ist. Das ist eine Aussage, die betont: Israel wird niemals vernichtet werden können, obwohl man es immer wieder versucht hat.
Man hat schon vor dreieinhalbtausend Jahren in Ägypten versucht, dieses Volk auszurotten, indem man alle kleinen Knaben ermordete. Auch in der langen Geschichte Israels denken wir an Haman, der alle Juden von Äthiopien bis nach Indien vernichten wollte. Ebenso an alle Vernichtungen bis ins zwanzigste Jahrhundert. Doch nie ist es gelungen, denn da ist ein Gott, der Israel behütet.
Wenn wir den jüdischen Bezug sehen, müssen wir auch immer wieder an uns denken. Derselbe Gott ist es, der uns behütet und uns durchs Leben mit all seinen Klippen hindurchführen will.
Interessant ist, dass dieser Psalm mit dem Blick zu den Bergen beginnt. Man kann es als Frage oder als Aussage übersetzen: „Ich erhebe meine Augen auf zu den Bergen, woher wird mir Hilfe kommen?“ oder „woher mir Hilfe kommen wird.“
Die Aussage als solche ist sehr bedeutsam, denn bestimmte Berge spielen in der Geschichte Israels im Blick auf Rettung und Bewahrung eine große Rolle.
Wenn man nach Jerusalem hinaufgeht, auf welche Berge schaut man? Auf den Berg Zion, das ist der Tempelberg, dann nach Osten, das ist der Ölberg, und nach Nordwesten, das ist Golgatha, der Nachbarhügel.
Alle diese Hügel haben eine große Bedeutung in der Geschichte Israels. Auf Golgatha hat der Herr Jesus durch das Kreuz Frieden mit Gott gemacht. Das ist die Grundlage für einen zukünftigen Frieden für Israel. Es ist die Grundlage dafür, dass der Überrest Israels in der Zukunft von Gott aus allen Nöten herausgeführt wird. Aber es ist auch die Grundlage für unsere Rettung – das Kreuz von Golgatha.
Der Ölberg ist der Berg, auf dem der Herr Jesus in Apostelgeschichte 1 zum Himmel aufgefahren ist. Dort hat er den Auftrag für die Weltmission gegeben: ein Vier-Punkte-Programm. Er sagt: „Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem, in Judäa, in Samaria und bis an das Ende der Erde.“ Das ist der Berg der Weltmission. Von dort aus wird die Weltmission begründet, die Millionen von Menschen auf allen fünf Kontinenten Rettung durch den Glauben allein gebracht hat.
Nach Sacharja 14,3 wird der Herr Jesus in der Zukunft als Richter der Welt dort zurückkehren. Ich lese: „Und der Herr wird ausziehen und gegen jene Nationen streiten, wie an dem Tag, da er streitet, an dem Tag der Schlacht. Und seine Füße werden an jenem Tag auf dem Ölberg stehen, der vor Jerusalem gegen Osten liegt.“
Der Messias wird in der Zukunft als Richter der Welt kommen, um Israel aus den letzten Nöten zu befreien.
Dann geht der Herr Jesus vom Ölberg hinüber zum Tempelberg Zion. In Jesaja 31 finden wir die Fortsetzung, aber wir müssen ein bisschen zurückblättern.
Dort heißt es: „Der Herr hat zu mir gesprochen wie der Löwe und der junge Löwe, der gegen die Herde kämpft. Er wird zusammengerufen und knurrt über seiner Beute. Vor seiner Stimme erschrickt er nicht und gibt sich nicht geschlagen vor ihrem Lärm. So wird der Herr der Heerscharen herniedersteigen, um auf dem Berg Zion, auf seinem Hügel, zu streiten. Wie schwebende Vögel wird der Herr der Heerscharen Jerusalem beschirmen, bewahren, retten, schonen und befreien.“
Wer auf Zion kämpft, wird die endgültige Befreiung Zions erleben.
Dieser Blick zu den Bergen hat also eine große Bedeutung.
Der Gott, der hier bezeichnet wird als der, der Himmel und Erde gemacht hat (Psalm 121,2), ist der mächtige Herr, der den ganzen Kosmos in seiner Hand hält. Darum kann er auch Israel und uns bewahren.
Psalm 122: Frieden für Jerusalem und den Tempel
Dann wenden wir uns Psalm 122 zu. Hier haben wir das Thema Frieden für Jerusalem und den Tempel. Es ist ein Lied der Hinaufzüge von David.
„Ich freute mich, als sie zu mir sagten: Lasst uns zum Haus des Herrn gehen! Unsere Füße werden in deinen Toren stehen, Jerusalem. Jerusalem, die du aufgebaut bist als eine fest in sich verbundene oder vereinigte Stadt, wohin die Stämme hinaufziehen, die Stämme des Herrn, ein Zeugnis für Israel, um den Namen des Herrn zu preisen. Denn dort stehen die Throne zum Gericht, die Throne des Hauses Davids. Bittet um den Frieden, Shalom, Jerusalems! Es gehe wohl denen, die dich lieben! Wohlfahrt, Shalom, sei in deinen Festungswerken, sichere Ruhe in deinen Palästen! Um meiner Brüder und meiner Genossen willen will ich sagen: Wohlfahrt, also Shalom sei in dir und im Haus des Herrn! Um des Hauses des Herrn, unseres Gottes willen will ich dein Bestes suchen.“
Wir merken sofort, dass das wichtige Stichwort „Shalom“, also Wohlfahrt und Frieden, in den Versen sechs, sieben und acht betont wird. Außerdem wird die Stadt Jerusalem dreimal erwähnt, in den Versen zwei, drei und sechs. Daher habe ich den Titel „Frieden für Jerusalem“ gewählt. Im ersten und letzten Vers geht es ausdrücklich um das Haus Gottes, also den Tempel – Frieden für Jerusalem und den Tempel.
Vers drei haben wir bereits betrachtet: „Jerusalem, die du aufgebaut bist als eine fest in sich vereinigte Stadt.“ Ich habe schon erklärt, dass Jerusalem im Unabhängigkeitskrieg 1948 geteilt wurde, getrennt durch eine Mauer, ähnlich wie Berlin. Doch 1967 wurde die Stadt im Sechstagekrieg wiedererobert. Das war eine dramatische Zeit.
In den ersten Kriegsstunden vernichtete die israelische Armee die Luftwaffen Ägyptens und Syriens größtenteils am Boden, teilweise sogar im Irak. Die israelischen Flugzeuge flogen im Tiefflug über die Flugplätze hinweg. Es gibt einen Film, der zeigt, wie die israelischen Flugzeuge nacheinander die feindlichen Flugzeuge abschießen, die in Rauch aufgehen. Die Piloten der gegnerischen Luftwaffen konnten ihre Maschinen nicht starten, weil sie vorher bombardiert wurden. Das war eine dramatische Wendung.
Im Westen wusste man damals nichts davon. Dort glaubte man, dass das Ende Israels bevorstehe. Nasser aus Ägypten telefonierte zu König Hussein von Jordanien und forderte ihn auf, unbedingt in den Krieg einzutreten. Er behauptete, es gebe gewaltige Erfolge – was eine Lüge war. Israel warnte Hussein, dass ein Eingreifen schwere Konsequenzen haben würde. Doch Hussein glaubte der Lüge.
Daraufhin begann er, von Ostjerusalem aus, mit dem Tempelberg, mit schweren Waffen auf die andere Seite der Mauer zu schießen. Dann erhielt ein Fallschirmspringer-Trupp den Befehl, die Altstadt und den Tempelberg einzunehmen. Am dritten Tag, einem Mittwoch, drangen sie in einer sagenhaften Aktion von Norden her durch das Stephanstor in die Altstadt ein und eroberten den Tempelberg samt der ganzen Altstadt. Am Schabbat, also am Samstag, herrschte dann Ruhe.
Das war unglaublich. Das Gefühl im jüdischen Volk, als es nach zweitausend Jahren nach Zion zurückkehrte, ist kaum nachzuvollziehen. Darum wurde 1980, nachdem die Mauer längst abgerissen und Jerusalem vereinigt war, in der Knesset das Jerusalemergesetz verabschiedet. Das bedeutete die Annektierung Ostjerusalems. Es ist kein besetztes Gebiet, sondern gehört hundertprozentig zu Israel und wird niemals zurückgegeben. Jerusalem wurde als ewig unteilbare Stadt erklärt.
Das war 1980. Nun sind wir im Jahr 2000. Die ganze Welt fordert, die Stadt müsse geteilt werden. Was würden die Deutschen sagen, wenn man forderte, Berlin müsse geteilt werden? Das zeigt die Dramatik, die hier zum Ausdruck kommt.
Der ganze Psalm drückt aus: Ich will beten und das Beste für Jerusalem suchen, damit die Stadt echte Wohlfahrt und wahren Frieden genießen kann.
Psalm 123: Warten auf Gottes Gnade
Wir kommen nun zu Psalm 123. Dabei steigen wir wieder eine Stufe höher, ja? Im Frauenvorhof wird dieses Lied gesungen:
„Ich hebe meine Augen auf zu dir, der du thronst in den Himmeln. Siehe, wie die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn gerichtet sind, wie die Augen der Magd auf die Hand ihrer Gebieterin – also sind unsere Augen gerichtet auf den Herrn, unseren Gott, bis er uns gnädig ist. Sei uns gnädig, Herr, sei uns gnädig, denn reichlich sind wir mit Verachtung gesättigt. Reich ist unsere Seele gesättigt von dem Spott der Sorglosen, mit der Verachtung der Hoffärtigen.“
Wir sehen, dass dieser Psalm gewissermaßen an Psalm 121 anschließt. Dort heißt es: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.“ Hier aber: „Ich hebe meine Augen auf zu dir, der du thronst in den Himmeln.“
In Psalm 123 finden wir verschiedene Schlüsselwörter. Ein Schlüsselwort ist „Augen“, das viermal vorkommt: „meine Augen zu dir“, „wie die Augen der Knechte“, „wie die Augen der Magd“, „also sind unsere Augen“.
Ein weiteres Schlüsselwort ist „gnädig“, das dreimal in den Versen 2 und 3 auftaucht: „bis er uns gnädig ist“, „sei uns gnädig“, „sei uns gnädig“.
Dann gibt es das Wort „bis“. Es kommt zwar nur einmal vor, ist aber im ganzen Psalm ein Schlüssel, um ihn überhaupt zu verstehen. Denn all das Schauen auf Gott zielt letztlich darauf ab: „bis“ – das ist das Ziel der Verse 1 bis 3 – „bis der Herr gnädig ist“.
Das Wort „bis“ weist auf eine bestimmte Zeit hin, in der Gott endlich Israel Ruhe geben wird. Aber wann ist diese Zeit? Schon die Jünger haben den Auferstandenen gefragt: „Stellst du in dieser Zeit Israel das Reich, das Königreich, wieder her?“ Das steht in Apostelgeschichte 1,7.
Der Herr antwortete: „Es ist nicht eure Sache, Zeiten und Zeitpunkte zu wissen“, oder wörtlich: „überhaupt dazu zu kommen, das zu wissen, die der Vater in seine eigene Gewalt gesetzt hat.“ Der Herr hat ihnen also nicht gesagt, wann dieses „bis“ ist. Sie wollten es gerne wissen.
Bemerkenswert ist, wie dieses „bis“ in anderen wichtigen prophetischen Schriftstellen auftaucht. Zum Beispiel in Matthäus 23,39, wo der Herr Jesus kurz vor seiner Verwerfung und Kreuzigung über Jerusalem klagt.
Ich lese Matthäus 23,37-39: „Jerusalem, Jerusalem, du, die du die Propheten tötest und steinigst, die zu dir gesandt sind, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Kücken unter ihre Flügel sammelt, und ihr habt nicht gewollt. Siehe, euer Haus, das ist das Tempelhaus, wird euch wüst gelassen. Denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht mehr sehen, bis ihr sprecht: ‚Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!‘“
Jesus sagt also voraus, dass Jerusalem und das Tempelhaus verwüstet werden. Danach werdet ihr ihn nicht mehr sehen, bis der Moment kommt, in dem ihr ihn wieder willkommen heißt – mit den Worten des Psalm 118: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“
Dieses Wort „von nun an werdet ihr mich nicht mehr sehen, bis ihr sprecht“ bezeichnet die Zeit, wenn der Herr Jesus für Israel kommt und dann willkommen sein wird.
Dasselbe „bis“ finden wir in Lukas 13,35, einer Parallelstelle, sowie in Lukas 21,24. Dort heißt es: „Und sie werden fallen“ – es geht um das Jahr 70, die Zerstörung Jerusalems – „und sie werden fallen durch die Schärfe des Schwertes und gefangen weggeführt werden unter alle Nationen, und Jerusalem wird zertreten werden von den Nationen, bis dass die Zeiten der Nationen erfüllt sein werden.“
In Vers 27 heißt es weiter: „Und dann werden sie den Sohn des Menschen kommen sehen, in einer Wolke mit Macht und großer Herrlichkeit.“
Hier zeigt sich wieder das „bis“ – die Zerstreuung der Juden unter den Völkern dauert an, bis die Zeit kommt, in der er die Herrschaft antreten wird.
Ich habe auf dem Blatt noch weitere Stellen angegeben, die man für sich selbst lesen kann, wo dieses „bis“ in der Prophetie eine große Rolle spielt.
Nun zum Bild in Psalm 123, Vers 2: Das Blicken auf die Hand des Herrn muss man aus der Kultur heraus erklären. Früher war es so – und es gibt das manchmal noch in sehr guten Restaurants –, dass Knechte oder Mägde, wenn sie nichts zu tun hatten, bereitstanden und immer auf die Hand ihres Herrn oder der Herrin schauten. Sobald sie ein Handzeichen bekamen, begannen sie sofort zu arbeiten.
Man war also nicht mit irgendetwas beschäftigt, sondern immer darauf bedacht, zu wissen, wann man etwas zu tun hat.
Das ist das Bild: „Siehe, wie die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn gerichtet sind.“ Man schaut also immer darauf, bis man einen Wink bekommt.
So sagt der Psalmist: „So schauen wir auf dich, Herr, bis du uns gnädig bist.“ Bis du quasi das Handzeichen gibst für die Zeit der Gnade, in der uns endgültig Befreiung zuteilwird.
Gott schüttet seine Not über die Verachtung und den Spott aus, mit dem sie gesättigt wurden. Man denke nur an die Zeit des Dritten Reiches – doch das war nur ein Ausschnitt der Schimpfnamen, mit denen Juden betitelt wurden.
Sie bringen all das vor Gott und warten, bis er gnädig sein wird. Psalm 123 ist also das Warten auf die Zeit, in der Gott gnädig eingreift.
Psalm 124: Gottes Schutz vor Vernichtung
Jetzt kommen wir zu Psalm 124, wieder eine Stufe höher, ein Stufenlied von David.
„Wenn nicht der Herr für uns gewesen wäre“, sagt Israel, „wenn nicht der Herr für uns gewesen wäre, als die Menschen gegen uns aufstanden, dann hätten sie uns lebendig verschlungen. Als ihr Zorn gegen uns entbrannte, hätten uns die Wasser überflutet. Ein Strom wäre über unsere Seele gegangen, die stolzen Wasser wären über unsere Seele gegangen.“
Gepriesen sei der Herr, der uns nicht zum Raub gab ihren Zähnen! Unsere Seele ist entronnen wie ein Vogel aus der Schlinge des Vogelstellers. Die Schlinge ist zerrissen, und wir sind entronnen. Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Wir sehen gleich, der achte Vers schließt schon wieder an Psalm 121,2 an. Es ist auch darauf zu achten, wie diese Psalmen sich immer wieder aufeinander beziehen, sich rückbeziehen. Hier wird der Psalm eröffnet mit dem zweimaligen „Wenn der Herr nicht für uns gewesen wäre“. Von diesem „Wenn“ ist dann alles Weitere abhängig.
Darum habe ich als Titel für diesen Psalm gesetzt: „Der Herr ist für uns“. Israel drückt hier aus, dass, wenn der Herr nicht für Israel gewesen wäre, Israel durch die Feinde total vernichtet worden wäre. Das leuchtet uns ein. Gott hat Israel Verheißungen gegeben, schon an Abraham, und darum war er grundsätzlich für Israel und konnte so die Totalvernichtung nie zulassen. Dieses „für uns“ ist ganz wichtig.
Jetzt nehmen wir das für uns Christen, denn diese Psalmen sind ja auch direkt für uns geschrieben. Wir lesen in Römer 8,31: „Was sollen wir nun hierzu sagen? Wenn Gott für uns ist, wer ist gegen uns?“ Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht geschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat, wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken? Wer wird gegen Gottes Auserwählte Anklage erheben? Gott ist es, der rechtfertigt. Wer ist der Verdammer?
Hier ist alles abhängig bis zum Schluss des Kapitels von diesem „Wenn Gott für uns ist“. Darauf gründet sich die Tatsache, dass Gott bereit war, seinen Sohn zu geben. Darauf gründet sich auch die ganze Heilssicherheit und Heilsgewissheit in den letzten Versen von Römer 8, dass nichts uns je scheiden wird, Vers 39, weder Höhe noch Tiefe noch irgendein anderes Geschöpf wird uns scheiden können von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn. Diese Gewissheit haben wir, weil Gott für uns ist und sich dafür verpflichtet hat.
Ich habe schon gesagt: Von Jahr 70 nach Christus bis heute ist die Bilanz dreizehn Millionen Tote unter dem jüdischen Volk. Aber es konnte nicht vernichtet oder ausgerottet werden, weil gilt, dass der Herr für Israel ist.
Der Psalm ist so aufgebaut: Es beginnt zweimal mit „Wenn nicht“ – Vers 1, wenn nicht; Vers 2, wenn nicht – und dann kommen Vers 3, Vers 4, Vers 5. So ist der Psalm aufgebaut.
Dann haben wir wieder ein besonderes Bild, das uns nicht mehr geläufig ist: das Bild mit dem Vogelfänger. Vers 7: „Unsere Seele ist entronnen wie ein Vogel aus der Schlinge des Vogelstellers. Die Schlinge ist zerrissen, und wir sind entronnen.“
Also Vogelfänger, die mit Netzen die Vögel einfangen. Da ist ein Loch im Netz, und der Vogel kann im letzten Moment noch entkommen. Das ist ein Bild dafür, wie Gott im letzten Moment noch einen Ausweg gibt, sodass Israel nicht vernichtet werden kann. Zweimal haben wir dann das Wort „entronnen“ beziehungsweise „gerettet“ – das ist das Gleiche auf Hebräisch „nimlat“.
So kommen wir bereits zu Psalm 125, ein Lied der Hinaufzüge: „Die auf den Herrn vertrauen, sind gleich dem Berg Zion, der nicht wankt, der ewiglich bleibt. Jerusalem Berge sind rings um sie her, so ist der Herr rings um sein Volk, von nun an bis in Ewigkeit.“
Denn die Rute der Gesetzlosigkeit wird auf dem Los der Gerechten nicht ruhen, damit die Gerechten ihre Hände nicht ausstrecken nach Unrecht. „Tue Gutes, Herr, den Guten und denen, die aufrichtig sind in ihren Herzen! Die aber auf ihre krummen Wege abbiegen, die wird der Herr dahinfahren lassen, mit denen, welche Frevel tun. Wohlfahrt, Schalom, über Israel!“
Wir müssen uns wieder vorstellen: Jetzt gehen wir mit den großen Zügen nach Jerusalem hinauf. Da war immer diese Gegend vor Augen – der Tempelberg und die Berge rundherum, der Ölberg usw. Darum auch hier wieder in diesem Psalm.
Man beschäftigt sich zuerst mit dem Berg Zion. Jedes Jahr, wenn man wieder zum Tempelberg kam, war der Berg Zion immer noch da. Jerusalem ist ein Erdbebengebiet, aber der Tempelberg ist seit Jahrtausenden immer noch da. Er ist irgendwie unerschütterlich.
Darum sagt der Psalmist: Eigentlich sind alle, die auf den Herrn vertrauen, so wie der Berg Zion. Den kann man nicht erschüttern, er bleibt. Natürlich wurde der erste Tempel zerstört, der zweite Tempel verwüstet, Jerusalem immer wieder durch die Geschichte hindurch zerstört. Aber der Berg blieb.
So können Gläubige, die auf den Herrn vertrauen, durch schlimme Dinge hindurchgehen, aber sie bleiben so wie der Berg Zion, der heute noch steht und ins Zentrum der Weltpolitik gerückt ist.
Dann kommt ein zweiter Vergleich in Vers 2. Zur Zeit Davids war Jerusalem ja nur ein kleines Städtchen am Südabhang des Zionsberges. Man muss sich das so vorstellen. Salomo hat die Stadt dann nach Norden bis auf die Bergspitze erweitert und dort auf dem Felsen den Tempel gebaut.
Jetzt gibt es da rundherum um diese Stadt Berge. „Jerusalem Berge sind rings um sie her“, und jetzt wird verglichen: Eigentlich ist so der Herr wie ein Schutz um die Gläubigen – wie diese schützenden Berge.
Der Ölberg, der Berg der Nordwesthügel mit Golgatha, der Nordhügel, wo die Teiche Bethesda waren, wie in Johannes 5 erwähnt, und der Südwesthügel, der heute Berg Zion heißt in Jerusalem. Wenn wir uns das überlegen, haben diese Berge alle eine große Bedeutung.
Ich habe schon erklärt: Der Ölberg ist der Berg der Weltmission. Dort hat der Herr Jesus in Apostelgeschichte 1,8 den Auftrag zur Weltmission gegeben. Er ist auch der Berg der Wiederkunft Christi zum Gericht, wie es in Sacharja 14 beschrieben wird.
Am Westabhang des Ölberges war der Garten Gethsemane. Dort hat der Herr Jesus in Matthäus 26,36 den Vater gebeten: „Wenn es möglich ist, dann soll dieses Leiden von Golgatha an mir vorübergehen.“ Es war nicht möglich, und der Herr sagte dort: „Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“
Am Westabhang des Ölberges hat der Herr also ganz klar entschieden: „Ich gehe um jeden Preis nach Golgatha.“
Wenn wir dann daran denken, war der Südwesthügel der Berg des letzten Abendmahls. Dort war der Obersaal, wie in Lukas 22,8-23 erwähnt, wo der Herr Jesus das Abendmahl eingesetzt hat. In der Nacht, bevor er litt, damit seine Nachfolger in den weiteren zweitausend Jahren immer wieder durch dieses Mahl an sein Leiden denken würden.
Dann haben wir den Nordhügel, zunächst den Nordwesthügel. Der Südwesthügel ist auch gleichzeitig der Berg des Pfingstereignisses. Dieser Obersaal wird in Apostelgeschichte 1,13 erwähnt, und dann dieses Haus in den Kapiteln 2,1-4 müssen wir auf diesem Berg ansiedeln. Dort war auch das urchristliche Quartier im ersten Jahrhundert.
Man hat dort heute noch eine Synagoge aus dem ersten Jahrhundert. Der Toraschrein ist nicht wie in allen anderen Synagogen zum Tempelberg ausgerichtet, sondern nach Golgatha, zum Nordwesthügel. Das ist also eine jüdisch-christliche Versammlungsstätte aus dem ersten Jahrhundert.
Das war also auch der Berg des Pfingstereignisses, wo der Heilige Geist ausgegossen wurde, um Kraft und Hilfe für zweitausend Jahre Kirchengeschichte zu sein. Und er ist noch da.
Es ist eigentlich eine Beleidigung Gottes, wenn man um eine neue Ausgießung des Heiligen Geistes bittet. Dann sagt man nämlich, das, was wir haben, sei nichts. Man verachtet den Geist Gottes, der da ist.
Der Heilige Geist wird erst bei der Entrückung mit der Gemeinde weggehen und dann am Anfang des Tausendjährigen Reiches wieder neu ausgegossen werden, über alles Fleisch, wie in Joel 3 beschrieben, nach diesen Tagen. Das ist aber nach der Drangsal von Joel 2.
Wer Joel 3 heute anwendet, ist total im Fahrplan durcheinander und beleidigt Gott. Denn der Heilige Geist ist da, diese Kraft ist da. Aber wenn wir unser Leben nicht immer wieder neu ordnen, dann kann der Heilige Geist nicht wirken. Das ist das Problem.
Wir müssen unser Leben vor Gott ordnen und Dinge, die uns bewusst sind, in Ordnung bringen, bekennen. Dann kann der Heilige Geist ganz normal wirken. Wir müssen kein Theater und kein Trara machen, das kommt automatisch, aber das ist die Voraussetzung.
Nun, das ist der Berg des Pfingstereignisses, die Kraft Gottes für zweitausend Jahre Kirchengeschichte.
Dann haben wir den Nordwesthügel, den Berg mit Golgatha (Matthäus 27,33). Dort hat der Herr Jesus Frieden mit Gott gemacht.
Und dann haben wir noch den Nordhügel mit Bethesda, wo der Herr Jesus gezeigt hat, dass wir Menschen unfähig sind, von unserer Sünde geheilt zu werden, weil wir gelähmt sind in Bezug auf Gott. Wir können Gottes Gebote nicht aus eigener Kraft befolgen, wir können nicht nach Gottes Geboten wandeln.
Aber der Herr Jesus hat in Bethesda diesen Gelähmten geheilt.
Jetzt sehen wir, all diese Berge rund um Jerusalem sprechen von Gottes Handeln in der Heilsgeschichte: „Jerusalem Berge sind rings um sie her, so ist der Herr rings um sein Volk von nun an bis in Ewigkeit.“
Da kommt noch etwas dazu: In Hesekiel 40 bis 48 wird der Tempel des Tausendjährigen Reiches beschrieben, den der Herr Jesus, der Messias, einmal bauen wird. Der äußerste Vorhof wird eineinhalb auf eineinhalb Kilometer sein, also 500 Ruten auf 500 Ruten (Hesekiel 42,20).
Das bedeutet, dass einmal all diese Berge rundherum in den Tempelberg integriert werden. Die Plattform wird so erweitert, wie man das früher beim Tempel zur Zeit des Herrn Jesus gemacht hat. Damals hat man den Berg mit Bethesda integriert, indem man das Bezetha-Tal dazwischen aufgeschüttet hat.
Das wird mit all diesen Bergen geschehen. Sie werden alle ausgeglichen, sodass der Vorhof der Heiden im Tausendjährigen Reich all diese Berge mit einschließt.
Das heißt, der Golgatha-Felsen wird dann in den Vorhof des Neuen Tempels kommen, als Gedächtnis für die Heilstat Gottes für alle Völker.
Dann haben wir Psalm 125,3-5, die Aussicht, dass im Blick auf den Frieden für Israel Gott einmal alle Ungerechtigkeit bestrafen und die Gläubigen belohnen wird.
Bevor wir eine Stufe höher gehen, machen wir jetzt eine Pause – und zwar eine wichtige Pause von einer halben Stunde.
Psalm 126: Die Wende des Schicksals Zions
Psalm 126 – Ein Lied der Hinaufzüge
Als der Herr die Gefangenschaft oder das Schicksal Zions wendete, waren wir wie Träumende. Da ward unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Jubels. Da sagte man unter den Nationen: Der Herr hat Großes an ihnen getan, der Herr hat Großes an uns getan, wir waren fröhlich.
Führe unsere Gefangenen zurück, Herr, gleich Bächen im Negev! Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten. Er geht weinend hin, tragend den Samen zum Säen; er kommt heim mit Jubel, tragend seine Garben.
Wir haben bereits über Vers 1 gesprochen. Ich habe erklärt, dass dieser Ausdruck ein technischer Begriff aus der Prophetie ist: das Schicksal wenden – das Schicksal Judas, das Schicksal Israels, das Schicksal Zions hier.
Dieser Psalm zeigt, dass Gott das Geschick Zions, des Tempelberges, zum Erstaunen für Israel und die Völker vollständig wenden wird. Eine Teilerfüllung haben wir bereits erlebt: die Befreiung des Tempelberges im Sechstagekrieg 1967. Wenn man die Bilder von der Eroberung sieht und dann diese Eroberer oben auf dem Tempelberg, wie sie strahlen, sieht man genau diesen Vers vor sich: „Als der Herr das Schicksal Zions wendete, waren wir wie Träumende, da ward unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Jubels.“
Effektiv hat man unter den Völkern in aller Welt erkennen müssen, dass der Herr Großes an ihnen getan hat. Aber die vollständige Befreiung steht noch bevor, bei der Wiederkunft des Messias Jesus. Jesaja 4 bis 5 haben wir heute schon gelesen, wie der Herr selbst auf dem Berg Zion kämpfen wird und Jerusalem schonen, befreien und erretten wird.
Dann kommt dieses Gebet in Vers 4: „Führe unsere Gefangenen zurück.“ Nun, immer noch gibt es so viele Juden in aller Welt in der Zerstreuung! Wenn man bedenkt, dass allein in den USA Millionen leben, ist erst ein Teil zurückgekehrt. So sieht man die Bitte der Zurückgekehrten: „Führe unsere Gefangenen zurück!“
Dann wird ein Vergleich gemacht: „Herr, gleich Bächen im Negev!“ Vielleicht ist bei Ihnen „im Mittagslande“ übersetzt, im Hebräischen steht „Negev“. Das ist also das Südgebiet, das trockene Südgebiet von Israel, die Negev-Wüste.
Auch hier ist es wieder nötig, ein solches Bild zu klären, wie die früheren Bilder. Man kann es nur verstehen, wenn man den Negev kennt und weiß, wie dort die Umstände sind. Im Winter haben wir in Israel die Regenzeit, und da beginnt die Wüste Judäa zu blühen. Auch der Negev ist voller Blumen – die Wüste blüht.
So ist im Februar die allerschönste Zeit im Negev. Das ist die Zeit, in der dann die Wadis, also diese meistens trockenen Bäche, Wasser bekommen. Im Negev ist es ganz speziell. Man sieht dort sehr gut in die Weite und sieht alles voller kleiner Bäche, die sich nach und nach miteinander verbinden und sich dann in noch viel größere, massive Flüsse vereinigen.
Das ist ganz typisch für den Negev. Dieses Bild findet man nicht in der jüdischen Wüste. Dort hat man einfach die Wadis – also jeden Winterbach für sich. Aber im Negev, also über große weite Gebiete hinweg, gibt es dieses Sich-Vereinigen von kleinen Bächen zu großen Strömen.
Das wird hier als Bild gebracht für die Rückführung aus der Zerstreuung. Und genau so ist es geschehen ab 1882 bis heute schon – und es geht weiter. Da hat eine erste Aliyah begonnen. Das hat wieder eine zweite gefördert, eine weitere. So flossen gewissermaßen diese kleinen Ströme, diese Wadis, zusammen zu einem Strom, der sich im Land Israel ebenso vereinigte.
Dort können wir die jüdischen Einwanderungswellen ab 1882 bis heute und darüber hinaus angesprochen sehen. Dann wird allgemein gesagt: „Die, die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten.“ Israel hat in der ganzen Geschichte so viele Tränen gesehen.
Aber die Hoffnung ist hier ausgesprochen: Einmal kommt die Zeit, wo diese Tränen vorbei sein werden, wenn der Messias kommt. Dann wird der große Jubel entstehen, wenn Zion endgültig und völlig befreit ist.
Wir wissen ja: 1967 wurde der Tempelberg erobert, 1980 wurde der Tempelberg annektiert. Aber heute drückt und macht die ganze Welt Druck, dass das jüdische Volk den Tempelberg wieder hergibt. Also die volle Befreiung des Tempelberges wartet noch und lässt auf sich warten.
„Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten.“ Und dann kommt plötzlich ein geheimnisvoller Er: „Er geht weinend hin, tragend den Samen zum Säen.“
Wer ist dieser Er? Das ist der Wichtigste in der ganzen Geschichte, der ganzen Heilsgeschichte: der Herr Jesus. In Johannes 12, Vers 24 sagt er: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“
So ist der Herr Jesus unter Weinen aus Zion hinausgeführt worden. Er wurde ja auf dem Tempelberg Zion vom Hohenpriester zum Tod verurteilt. Dann kam die ganze Leidensgeschichte. Er ging hinaus vor die Tore Jerusalems. „Er geht weinend hin, tragend den Samen zum Säen.“
Aber am dritten Tag ist er auferstanden. Durch sein Erlösungswerk hat er eine so reiche Frucht von Millionen Erlösten zustande gebracht. Er kommt heim mit Jubel, tragend seine Garben.
Das wird hier in Verbindung mit dem Zionsberg gebracht, denn das steht ganz zentral: Dort wurde der Erlöser zum Tod verurteilt. Aber so hat er die Grundlage gelegt für diesen künftigen Jubel.
In Hebräer 5, Vers 7 wird ausdrücklich gesprochen, wie der Herr Jesus mit starkem Geschrei und Tränen Gott gebetet hat, er möge ihn aus dem Tode retten. Es steht nicht „ihn retten vor dem Tod“, sondern „aus dem Tod“ – also unter starkem Geschrei und Tränen.
Da denken wir speziell an Gethsemane. Dort hat er Gott gebetet, ihn aufzuerwecken, was am dritten Tag dann geschehen ist.
Psalm 127: Gottes Segen für Haus und Nachkommenschaft
Wir betrachten Psalm 127, ein Lied der Hinaufzüge von Salomo.
Der Psalm beginnt mit den Worten: „Wenn der Herr das Haus nicht baut, vergebens arbeiten daran die Bauleute. Wenn der Herr die Stadt nicht bewacht, vergebens wacht der Wächter.“
Es wird betont, dass alle menschlichen Anstrengungen vergeblich sind, wenn Gott nicht das Gelingen schenkt. Früh aufstehen und spät aufbleiben, das Brot der Mühsal essen – all das kann vergeblich sein. Doch Gott gibt seinem Geliebten sogar im Schlaf.
Weiter heißt es: „Siehe, ein Erbteil des Herrn sind Söhne, eine Belohnung die Leibesfrucht. Wie Pfeile in der Hand eines Helden, so sind die Söhne der Jugend.“
Glückselig ist der Mann, der seinen Köcher mit ihnen gefüllt hat. Sie werden nicht beschämt werden, wenn sie mit Feinden reden im Tor.
Dieser Psalm von Salomo ist etwas Besonderes. Salomo war der Erbauer des ersten Tempels auf Zion. Hier wird hervorgehoben, dass der Mensch das Tempelhaus Gottes nicht bauen kann, wenn nicht Gott selbst das Gelingen schenkt. Ebenso kann Jerusalem, die Stadt, nicht in Sicherheit gebracht werden, wenn Gott nicht dafür sorgt.
Aus dieser Erfahrung heraus wird verallgemeinert: Man kann früh aufstehen und spät aufbleiben, man kann hart arbeiten, doch es bringt nichts ohne Gottes Segen. Gott kann anderen sogar im Schlaf geben, was sie brauchen.
Hier offenbart sich das Geheimnis der Fruchtbarkeit im Arbeiten. Es ist tatsächlich ein Geheimnis. Manchmal arbeitet man viel und erreicht wenig. Manchmal gelingt alles fast ohne Anstrengung.
Wir denken oft, je mehr Zeit wir investieren, desto mehr Ergebnis erzielen wir. Doch die Erfahrung zeigt: Manchmal braucht es wenig Zeit für viel Erfolg, und manchmal bringt viel Arbeit wenig ein. Dahinter steht ein göttliches Geheimnis.
Psalm 127 spricht dieses Geheimnis an. Gott kann uns sogar im Schlaf das geben, was wir durch Arbeit nicht erreichen.
Dabei ist dies kein Aufruf zum Müssiggang. Der zweite Thessalonicherbrief sagt klar: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ Das ist eindeutig.
Aber dieser Psalm zeigt, dass es nicht immer darum geht, sich krampfhaft anzustrengen, um das Ziel zu erreichen. Vielmehr liegt ein göttliches Geheimnis im Zeitmanagement. Gott kann uns auf wunderbare Weise Gelingen schenken.
Besonders schön ist die Stelle: „Also gibt er seinem Geliebten im Schlaf.“ Das Wort „Geliebter“ heißt auf Hebräisch „Yedid“ und ist eine Anspielung auf den zweiten Namen Salomos.
In 1. Samuel 12,24-25 wird berichtet, wie David seinem Sohn den Namen Salomo („der Friedliche“) gab. Doch Gott ließ durch einen Propheten ausrichten: Nenne ihn Jedidja, das heißt „der Geliebte des Herrn“.
Hier haben wir also den Geliebten, „Jedid“, dem Gott im Schlaf gibt. Das ist eine Anspielung auf Salomo und das Gelingen, das Gott ihm beim Tempelbau schenkte.
Ausgehend von diesem Wunder der Fruchtbarkeit beim Arbeiten wird dann auf das Wunder der Fruchtbarkeit im Zusammenhang mit Nachkommen verwiesen (Verse 3, 4 und 5).
Auch das ist etwas, das Gott in seiner Souveränität schenkt. Es gibt Menschen, die gerne Kinder hätten, aber keine bekommen. Andere bekommen vielleicht nur eines, wieder andere zwei oder mehr.
Hinter all dem liegt ein Geheimnis: Gott bestimmt in seiner Souveränität darüber. Gerade in unserer heutigen Zeit, in der viele denken, alles sei machbar, zeigt uns dieser Psalm eine andere Wahrheit.
Nein, alles hängt von Gottes souveränem Handeln ab. Es wird hier deutlich gesagt, dass Nachkommen, Kinder zu haben, ein Geschenk Gottes ist – ein Segen von ihm.
In unserer kinderfeindlichen Welt ist dieser Psalm für uns ein ganz wichtiger Ausgleich und eine Ermutigung.
Psalm 128: Segen von Zion aus
Dann kommen wir zu Psalm 128. Das Thema ist hier der Segen von Zion aus.
Glückselig ist jeder, der den Herrn fürchtet und in seinen Wegen wandelt. Denn du wirst die Arbeit deiner Hände essen, glücklich sein und es wird dir wohlgehen. Deine Frau wird sein wie ein fruchtbarer Weinstock im Innern deines Hauses, deine Söhne wie Ölbaumsprossen rings um deinen Tisch. Siehe, so wird gesegnet sein der Mann, der den Herrn fürchtet. Segnen wird dich der Herr von Zion aus, und du wirst das Wohl Jerusalems schauen alle Tage deines Lebens und das Sehen deiner Kinderkinder. Wohlfahrt, Schalom über Israel.
Wir sehen sofort, dass dieser Psalm an den vorherigen anschließt. Das macht uns auch deutlich, dass die Abfolge der Psalmen nie dem Zufall überlassen war. In allen Psalmabfolgen liegt eine göttliche Ordnung.
Hier wird wieder an das Thema Arbeiten und das Thema Nachkommenschaft angeknüpft, das bereits in Psalm 127 angesprochen und hier weiterentwickelt wird. Wir haben also doppelte Glückseligkeit in Vers 1 und Vers 2. Dabei wird betont, dass dieser Segen von Zion ausgeht.
Der Hauptblick in diesem Psalm richtet sich bereits auf das tausendjährige messianische Reich, wenn der messianische Tempel auf dem Berg Zion stehen wird. Von dort aus wird Gottes Segen auf die ganze Welt ausgehen.
Die ganze Sache mit der Nachkommenschaft ist deswegen wichtig, weil Gott Israel in der Zukunft eine große Fruchtbarkeit schenken wird. Das wird ausdrücklich erwähnt in Jesaja 49, Vers 19: „Denn deine Trümmer und deine Wüsten und dein zerstörtes Land – ja, nun wirst du zu eng werden für die Bewohner, und deine Verschlinger werden ferner sein. Die Kinder deiner Kinderlosigkeit werden noch vor deinen Ohren sagen: ‚Der Raum ist mir zu eng, mache mir Platz, dass ich wohnen möge.‘ Und du wirst in deinem Herzen sprechen: ‚Wer hat mir diese geboren, da ich durch der Kinder beraubt und unfruchtbar war, verbannt und umherirrend? Und diese, wer hat sie großgezogen? Siehe, ich war ja allein übrig geblieben. Diese, wo waren sie?‘“
Gott verspricht Israel also eine große Nachkommenschaft als Ersatz für die Kinderberaubung in der Vergangenheit. Wir denken daran, dass im Dritten Reich eine Million Kinder ermordet wurden. Das ist so ergreifend im Yad Vashem, dem Gedenkmuseum in Jerusalem. Dort hört man in einem dunklen Raum, in dem eine Million Sterne zu sehen sind, dauernd die Namen von kleinen Kindern, die ermordet wurden. Zum Beispiel: „Samuel, geboren so und so, zwölf Jahre alt“, und dann kommt wieder ein anderer Name. Die ganze Zeit hört man diese Namen.
Gott verspricht hier im Psalm 128 diesen Segen von Zion aus als Erstattung für all dieses Leid des Kinderverlustes. Darum wird auch in Vers 6 gesagt: „Und sehen wirst du deiner Kinder Kinder.“ Hier wird also auch der Segen der Arbeit betont, der ein Geschenk Gottes ist, wenn wir arbeiten dürfen, ebenso wie der Segen der Nachkommenschaft.
Die Bilder sind schön: Für die fruchtbare Frau wird der Weinstock verwendet, der Inbegriff der Fruchtbarkeit mit seinen Trauben. Für die Söhne wird der immergrüne Ölbaum genutzt, der sich durch Ableger weiterpflanzt.
Ganz interessant ist, dass hier die Kinder mit Ölbaumsprossen verglichen werden. Denn die Ölbaumzweige sind immergrün und können sich durch Ableger weiter vermehren. In dem Ölbaum steckt also eine ganz besondere Fruchtbarkeit. Man kann den Ölbaum zerstören, und plötzlich kommt wieder ein Ableger, der das Leben dieses Ölbaums weiterführt, obwohl der Ölbaum abgeschlagen war.
Psalm 129: Israels Leidensgeschichte von Ägypten bis in die Endzeit
Wir gehen zu Psalm 129. Das Thema dieses Psalms ist Israels Leidensgeschichte von Ägypten bis in die Endzeit. Es handelt sich um ein Lied der Hinaufzüge.
„Oftmals haben sie mich bedrängt von meiner Jugend an. Sage doch Israel: Oftmals haben sie mich bedrängt von meiner Jugend an, dennoch haben sie mich nicht übermocht.“
„Pflüger haben auf meinem Rücken gepflügt, haben langgezogen ihre Furchen. Der Herr ist gerecht, er hat durchschnitten das Seil der Gesetzlosen.“
„Mögen beschämt werden und zurückweichen alle, die Zion hassen. Mögen sie sein wie das Gras der Dächer, welches verdorrt, ehe man es ausrauft, womit der Schnitter seine Hand nicht füllt, noch der Gabenbinder seinen Schoss.“
„Und die Vorübergehenden sagen nicht: ‚Des Herrn Segen über euch, wir segnen euch im Namen des Herrn.‘“
In Jeremia 2,2 wird von der Zeit des Auszugs aus Ägypten gesprochen als von der Jugendzeit Israels. Wir können sagen, Israel ist bedrängt worden von Ägypten an, wo die erste Judenvernichtung gewissermaßen stattgefunden hat. Diese Bedrängnis zieht sich durch die gesamte Geschichte Israels.
Israel kann sagen: „Immer wieder haben sie mich bedrängt, dennoch haben sie mich nicht übermocht“ (Vers 2).
Vers 3 ist besonders bewegend. Hier sehen wir die Leiden Israels, aber ganz besonders in einem Juden, nämlich in Herrn Jesus. In Johannes 19,1 wird berichtet, wie Pilatus ihn geißeln ließ. Die Geißeln der Römer waren nicht nur Lederriemen, sondern an ihren Enden oft mit Widerhaken oder metallenen spitzen Teilen versehen. Dadurch wurde das Fleisch in eine blutige Masse verwandelt.
Johannes 19,1 beschreibt dies nüchtern: „Pilatus ließ ihn geißeln.“ Das entspricht genau dem Bild aus Psalm 129, Vers 3: „Pflüger haben auf meinem Rücken gepflügt, haben langgezogen ihre Furchen.“
In diesem Psalm wird in Verbindung mit der Leidensgeschichte Israels und des Messias besonders die Zionshasser erwähnt, in Vers 5. Wenn wir heute an den Widerstand gegen den jüdischen Besitz von Zion denken, erkennen wir darin einen Zionshass, der den Islam charakterisiert, aber auch Organisationen wie die UNO.
Das ist Zionshass, und in diesem Psalm wird ganz speziell das Gericht Gottes über die Zionshasser ausgesprochen – also ein hochaktuelles Thema.
Schauen wir uns die Bilder an, die verwendet werden: Sie sollen sein wie Gras auf den Dächern, das verdorrt und völlig wertlos ist. Man kann es nicht gebrauchen, niemand fragt danach, es interessiert niemanden.
Dann kommen wir zu Psalm 130.
Psalm 130: Israel braucht Sündenvergebung
Wir sehen, jeder Psalm wäre Stoff für eine halbstündige bis stündige Predigt. Dennoch greifen wir einfach so ein paar Perlen heraus. Psalm 130 habe ich überschrieben mit „Israel braucht Sündenvergebung – ein Lied der Hinaufzüge“.
Der Psalm beginnt mit den Worten: „Aus den Tiefen rufe ich zu dir, Herr. Herr, höre auf meine Stimme, lass deine Ohren aufmerken auf die Stimme meines Flehens. Wenn du, Herr, merkst auf die Ungerechtigkeiten, Herr, wer wird bestehen?“ Doch bei dir ist Vergebung, damit du gefürchtet wirst.
„Ich warte auf den Herrn, meine Seele wartet, und auf sein Wort harre ich. Meine Seele, harre auf den Herrn, mehr als die Wächter auf den Morgen.“ Die Wächter warten auf den Morgen. „Harre, Israel, auf den Herrn! Denn bei dem Herrn ist Güte und viel Erlösung; bei ihm wird Israel erlöst von allen seinen Ungerechtigkeiten.“
Wenn wir wieder auf Schlüsselausdrücke achten, merken wir sofort, dass es hier um das Problem der Sünde geht. Es wird gesprochen über Ungerechtigkeiten, Vergebung, Güte, Erlösung und Erlösen. Wir finden hier ein Problem, das im Gegensatz steht zum Feindeshass. Das war ein Problem für Israel in der ganzen Zeit. Doch hier haben wir ein Problem, das aus dem Herzen selbst hervorkommt: das Sündenproblem.
Dieser Psalm zeigt, dass nur Gott das Sündenproblem lösen kann. Israel harrt in diesem Psalm auf Gott, der ein Gott der Vergebung ist. Dieses Warten wird hier verglichen mit dem Warten der Wächter auf den Morgen. Die Wächter warten, bis endlich die Sonne aufgeht.
Interessant ist, dass in Maleachi 4,2 (nach anderer Zählung 3,20) die Wiederkunft Christi als Aufgang der Sonne beschrieben wird. Dort wird von der Sonne der Gerechtigkeit gesprochen, die für Israel aufgehen wird – mit Heilung für Israel. Das ist also das Harren auf das Kommen des Messias, der schließlich Israel auch das Problem der Sünde lösen wird. Und zwar nicht durch das Gesetz, sondern durch Gnade und Güte. Nicht durch Leistung, sondern rein aus Gnaden allein.
Für uns ist es nun interessant, dass im Neuen Testament der Herr Jesus sich in Offenbarung 22,16 in Verbindung mit seiner Wiederkunft als „der glänzende Morgenstern“ bezeichnet. Der Morgenstern, die Venus, zeigt dem Astronomen an, dass bald der Morgen kommt. Doch es ist noch Nacht, die Sonne ist noch nicht über dem Horizont erschienen.
In 2. Petrus 1,19 heißt es: „Wir sollen auf das prophetische Wort achten, bis der Morgenstern aufgeht.“ Das bedeutet, bis der Herr Jesus Christus zur Entrückung kommt. Dies geschieht noch vor der Wiederkunft, wenn er als Richter der Welt kommt, der Sonne der Gerechtigkeit.
Die Wiederkunft Christi findet also noch in der Dunkelheit statt. Sie kommt plötzlich und unerwartet, und danach geht die Nacht weiter. Das ist die Zeit der Trübsal. Danach erscheint der Herr Jesus sichtbar für Israel. Es ist also sehr wichtig, diese beiden Ereignisse zu unterscheiden.
Wir als Christen warten auf das Kommen des Herrn Jesus als Morgenstern in der Nacht. Israel wird dann warten wie die Wächter auf den Morgen, bis die Sonne der Gerechtigkeit für die ganze Welt sichtbar erscheint.
Ich glaube, wir alle haben den Aufgang der Venus diese Nacht verpasst, oder? So verpasst bei der Entrückung die große Masse der Welt diesen Moment. Plötzlich sind sie weg. Aber wenn der Herr Jesus in Macht und Herrlichkeit kommt, dann ist er so offensichtlich wie der Sonnenaufgang heute Morgen.
Psalm 131: Demut und Ruhe in Gott
Wir kommen zu Psalm 131, ein Lied der Hinaufzüge von David.
„Herr, nicht hoch ist mein Herz, noch tragen sich hoch meine Augen, und ich wandle nicht in Dingen, die zu groß und zu wunderbar für mich sind. Habe ich meine Seele nicht beschwichtigt und gestillt? Gleich einem entwöhnten Kind bei seiner Mutter, gleich dem entwöhnten Kind ist meine Seele in mir. Hört, Israel, auf den Herrn, von nun an bis in Ewigkeit!“
Hier sind wir deutlich eine Treppenstufe höher als im Psalm 130, wo es um das Problem der Ungerechtigkeit und der Vergebung ging. Jetzt geht es um Demut und völlige Ruhe in Gott. David sagt: „Ich bin, mein Herz ist nicht hochmütig.“ Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir von Natur aus sind. Wir sind rebellische, stolze Menschen.
Aber was Sündenvergebung, die wirklich erfahren ist, bewirkt, ist Demut. Wir sehen, dass wir so klein sind und Gott so groß. Das führt zu echter Demut. So heißt es auch in Römer 12,3, dass wir nicht höher von uns denken sollen, als es sich gebührt. Und in Römer 12,16 wird gesagt, dass wir nicht auf hohe Dinge sinnen sollen.
David sagt: „Ich habe meine Seele beschwichtigt wie ein entwöhntes Kind.“ Was ist ein entwöhntes Kind? Wir haben diesen Begriff schon mehrfach erlebt. Solche Kinder meinen, sie kämen nicht ohne Milch aus, während der Zeit des Stillens. Dann werden sie abgestillt. Danach können sie bei der Mutter sein, ohne dass das Stillen ein Thema ist.
Entwöhnung ist also ein Zustand, eine Reifung, ein erster Ablösungsprozess. Das ist wichtig. Wir gehen von klein auf Schritt für Schritt in der Entwicklung voran. Es ist ein Ablösungsprozess. Die Kinder wissen plötzlich, dass das, was früher unentbehrlich schien, heute verzichtbar ist. Das ist eine Entwicklung.
So verstehen wir auch, warum Abraham in 1. Mose 21, als Isaak entwöhnt wurde, ein Fest feierte. Wer von uns hat ein Fest gefeiert, als sein Kind entwöhnt wurde? Eigentlich wäre das durchaus angebracht, nach dem Beispiel Abrahams. Denn es ist etwas Schönes: Das Kind ist wieder einen Schritt weiter.
Wir haben die Tendenz, dass wir möchten, dass die Kinder so lieblich bleiben wie ganz am Anfang. Aber eigentlich sollten wir uns für jeden neuen Entwicklungsschritt wieder neu an den Besonderheiten freuen.
David vergleicht sich hier mit einem entwöhnten Kind. Er kann gewissermaßen so ruhig sein in Gott und auf Dinge verzichten, die ihm früher unverzichtbar schienen.
Wir können uns fragen: Was können das jetzt ganz konkret für uns für Dinge sein, auf die wir verzichten können? Früher waren sie irgendwie unverzichtbar, aber heute können wir das, weil wir eine Ruhe in Gott erleben.
Ganz im Sinn von Augustin, der sagte: „Herr, das Herz des Menschen ist unruhig, bis es ruht in dir.“
Psalm 132: Zion als auserwählter Ort Gottes
Dann kommen wir zu Psalm 132, Sion, dem auserwählten Berg für den Tempel, einem Lied der Hinaufzüge.
Gedenke, Herr, an David und all seine Mühsal. Er schwor dem Herrn ein Gelübde, ein Gelübde dem Mächtigen Jakobs: „Wenn ich hineingehe in das Zelt meines Hauses, wenn ich steige auf das Lager meines Bettes, wenn ich schlafe, gestatte meinen Augen Schlummer, meinen Augenlidern Schlaf, bis ich eine Stätte finde für den Herrn, Wohnungen für den Mächtigen Jakobs.“
„Siehe, wir hörten von ihr, das heißt von der Bundeslade, in Ephrata. Wir fanden sie im Gefilde Jaars. Lasst uns eingehen in seine Wohnung, niederfallen vor dem Schemel seiner Füße! Stehe auf, Herr, zu deiner Ruhe, du und die Lade deiner Stärke! Lass deine Priester bekleidet werden mit Gerechtigkeit und deine Frommen jubeln um Davids, deines Knechtes, Willen. Weise nicht ab das Angesicht deines Gesalbten oder deines Messias!“
Der Herr hat David geschworen in Wahrheit, er wird nicht davon abweichen: „Von der Frucht deines Leibes will ich dich auf deinen Thron setzen. Wenn deine Söhne meinen Bund und meine Zeugnisse bewahren, die ich sie lehren werde, so sollen auch ihre Söhne auf deinem Thron sitzen immerdar.“
Denn der Herr hat Zion erwählt, hat es begehrt zu seiner Wohnstätte. „Dies ist meine Ruhe immerdar, hier will ich wohnen, denn ich habe es begehrt.“ Seine Speise will ich reichlich segnen, seine Armen mit Brot sättigen. Seine Priester will ich bekleiden mit Heil, und seine Frommen werden laut jubeln. Dort will ich das Horn Davids wachsen lassen, habe eine Leuchte zugerichtet meinem Gesalbten oder meinem Messias. Seine Feinde will ich kleiden mit Schande, und auf ihm wird seine Krone blühen.
Wir haben gesehen, wie zentral der Zionsberg für die Stufenlieder ist. Hier wird nun betont, dass der Herr Zion auserwählt hat. Mose, wie ich unter Punkt drei erwähnt habe, hat den auserwählten Ort für die Opfer einundzwanzig Mal angekündigt. Ich habe hier alle Stellen angegeben. Doch nie hat Mose gesagt, wie dieser Ort heißt.
Es vergingen Jahrhunderte, bis David Jerusalem, diese jebusitische Enklave, erobert hatte. Dann wurde ihm prophetisch geoffenbart: Das ist der Ort. Darum hat David sich große Mühe gegeben, alles für den Tempelbau vorzubereiten. Aber Gott ließ ihm durch Nathan sagen: Du sollst das nicht tun, das soll dein Sohn Salomo ausführen.
Doch das war Davids tiefer Wunsch: Gott einen Tempel auf dem Zionsberg, dem Berg, den er erwählt hat, hier nach Vers 13 zu bauen. Also, der Herr hat Zion erwählt. Interessant ist, dass hier nicht von tausend Jahren die Rede ist, sondern wir lesen: „Dies ist meine Ruhe immerdar.“ Der erste und zweite Tempel standen während tausend Jahren auf dem Zionsberg. Aber Gott hat gesagt: Hier will ich wohnen, immerdar.
Das ist auch wieder eine Stelle, die zeigt, dass es einen dritten Tempel geben wird. Ein dritter Tempel muss kommen, denn Gott hat gesagt: Das ist der Ort, wo ich wohnen will, immerdar. Das Allerheiligste war auf dem Felsen in der Oma-Moschee – also ist sie am falschen Ort, so oder so.
Hier konzentriert sich die Weltpolitik heute. Die Welt vereint sich mehr und mehr gegen Gottes Auserwählung von Zion als seinem Ort für den Tempel.
David hatte ja den Wunsch, dem Herrn ein Haus zu bauen, was hier zum Ausdruck kommt. In 2. Samuel 7,1-7 wird das ebenfalls schön beschrieben: David hatte diesen Wunsch, aber Gott sagte ihm Nein, du sollst mir dieses Haus nicht bauen, aber ich will ein Haus für dich bauen.
Das ist ein Wortspiel, denn das Wort „Haus“ (hebräisch „bajt“) kann das Tempelhaus bedeuten, aber auch eine Dynastie, also eine Familie. Gott sagt: Ich will dir, David, eine Dynastie bauen, ein Haus. Aus dieser Dynastie sollte dann der König Israels kommen, der Messias.
Wir wissen, dass der Herr Jesus von David direkt abstammt, durch Maria. Gott sagt hier als Antwort auf Davids Wunsch in Vers 12: „Von der Frucht deines Leibes will ich dich auf deinen Thron setzen.“ Das weist auf den Messias hin, der durch Maria ein direkter biologischer Nachkomme Davids war als Mensch.
Vielleicht noch eine Erklärung zu diesem geheimnisvollen Ausdruck: In Vers 6 heißt es: „Siehe, wir hörten von ihr in Ephrata, fanden sie im Gefilde Jaars.“ Das ist eine poetische Umschreibung von Kirjat Je'arim. Ja'ar bedeutet Wald, Je'arim bedeutet Wälder. In Kirjat Je'arim war eine Zeitlang die Bundeslade stationiert (1. Chronik 13,6).
David hatte dann den großen Wunsch, die Bundeslade aus Kirjat Je'arim hinüberzuführen nach Jerusalem zum Tempelberg.
So kommen wir zu Psalm 130, wir nähern uns immer mehr dem Höhepunkt, der zweitletzten Stufe.
Psalm 133: Einheit im Volk Gottes
Ein Lied, der hinauf Züge von David
Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen! Wie das köstliche Öl auf dem Haupt, das herabfließt auf den Bart, auf den Bart Aarons, das herabfließt auf den Saum seiner Kleider. Wie der Tau des Hermon, der herabfällt auf die Berge Zions! Denn dort hat der Herr den Segen verordnet: Leben bis in Ewigkeit.
Wir kennen diesen Psalm gut, nicht zuletzt durch ein berühmtes israelisches Lied, das diesen ersten Vers enthält: „Siehe, wie gut und wie lieblich!“
Im Hebräischen umfasst dieser Vers dreimal drei Wörter und dreimal dreimal drei Buchstaben. Es ist nicht so, dass man ständig Zahlen nachjagen sollte, doch hier ist es irgendwie auffällig. Denn wir haben bereits in Johannes 17 gesehen, wie der Herr Jesus die Einheit in der Gottheit mit der Einheit im Volk Gottes vergleicht.
Dieser wunderbare Vers beschreibt so schön die Beziehung des Volkes Gottes untereinander und ist durch die Zahl drei förmlich charakterisiert.
Übrigens habe ich hier in diesen neun Wörtern ein Wort schwarz herausgestrichen. Sieht man das? „Gam“. Und warum? Weil es normalerweise in den Bibelübersetzungen nie übersetzt wird. Dieses Wort bedeutet nämlich „auch“. Die Übersetzer hatten oft Probleme damit, denn es passt nicht so recht in den Satz: „Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder auch einträchtig beieinander wohnen.“
Es schien ihnen zu viel zu sein, und deshalb wird es im Deutschen meistens weggelassen. Aber hier steht wörtlich: „Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder auch einträchtig beieinander wohnen.“
Hier ist guter Rat teuer. Was bedeutet das? Es bedeutet: Brüder – es geht um Brüder, die ja verwandtschaftlich zusammengehören. Aber ob Brüder wirklich miteinander etwas zu tun haben wollen, ist nicht selbstverständlich.
Dass es einen Zusammenhalt innerhalb eines Volkes gibt, ist nicht selbstverständlich, auch wenn man verwandt ist. Darum heißt es hier sinngemäß: gut und lieblich ist es, wenn zu der verwandtschaftlichen Zusammengehörigkeit auch das einträchtige Zusammensein kommt.
Das jüdische Volk – manchmal die ersten Siedler, die nach Palästina kamen – hatten oft überhaupt nichts miteinander zu tun. Die eine Gruppe war dort, die andere dort, und sie suchten keinen Zusammenhalt, obwohl sie von der Abstammung her Brüder waren.
Darum sagt dieser Psalm: „Wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder auch einträchtig beieinander sitzen.“ „Shevet“ heißt eigentlich „sitzen“, kann aber auch „wohnen“ bedeuten. Hier geht es nicht um das Wohnen in Zion, sondern darum, dass sie alle im Tempel zusammen sind und einträchtig beieinander sitzen.
Jetzt folgen zwei ganz eigenartige Vergleiche. Diese Einheit des Volkes wird verglichen mit dem Öl auf dem Haupt Aarons und mit dem Tau des Hermon. Was sollen wir damit anfangen?
Auch hier müssen wir wieder den Bildern nachgehen und uns fragen, wie das klimatologisch funktioniert: das mit dem Hermon und das mit dem Öl Aarons.
Auf dem Blatt steht Psalm 133, Verse 2 und 3. Bei beiden Vergleichen, die mit dem Wort „wie“ eingeführt werden, geht es um Flüssigkeiten: zunächst Öl, dann Tau. In beiden Fällen verbinden Flüssigkeiten zwei räumlich entfernte Punkte miteinander.
Bei Aaron, dem Hohepriester, fließt das Öl vom Kopf herab über den Bart, aber nicht nur auf den Saum hier beim Halsausschnitt, sondern es muss hier „Saum“ verstanden werden als der Saum unten bei den Füßen. Das sind sozusagen die Extrempunkte: Kopf bis Fuß. Das Öl verbindet also den oberen Punkt, indem es herabfließt über den Bart, über die Kleider bis zum Saum bei den Füßen.
Jetzt das Gleiche mit dem Hermon im Norden Israels und den Bergen Zions im Süden: Sie werden miteinander verbunden – klimatologisch betrachtet – so:
Der Hermon liegt im äußersten Norden, im Gebiet der zehn Stämme, die Berge Zions hingegen im Südreich der zwei Stämme. Der Hermon ist heute das Skigebiet Israels, also gibt es dort viel Flüssigkeit, viel Wasser.
Übrigens ist der höchste Punkt dieser Kette 2.814 Meter hoch. Dieses Gebiet ist gewissermaßen ein Feuchtigkeitsreservoir. Wenn durch klimatologische Vorgänge die Feuchtigkeit des Hermon später als Tau auf die Berge Zions fällt, wird so Norden mit Süden durch eine Flüssigkeit verbunden.
Hier wird deutlich: Es geht um die Verbindung der zehn Stämme im Norden mit den zwei Stämmen im Süden. Nach Salomo war das Volk Israel gespalten, und hier geht es darum, dass, wenn die Spaltung des Volkes aufhört, der abgespaltene Teil ein Segen, eine Erfrischung für die im Süden werden kann.
Statt gespalten zu sein, können sie einander gegenseitig Erfrischung bringen. Das finden wir schön zum Beispiel in der Zeit von Hiskia. Ich habe die Stellen hier angegeben: 2. Chronik 30. Da kamen viele Überläufer aus den zehn Stämmen nach Jerusalem und wollten dort Gott anbeten, wie auch die im Süden.
Und bei Asa, 2. Chronik 15, Verse 8-9, kamen ebenfalls Überläufer aus verschiedenen Stämmen. Das war noch früher. Sie kamen in den Süden und erlebten dann in Jerusalem die Einheit trotz der Spaltung nach Salomo. Sie gaben ihre Schuld auf, brachten Dinge in Ordnung und kamen so in den Süden.
So erlebte das Volk, was Gemeinschaft ist, wenn Spaltungen zwischen Gläubigen aufgehoben werden können.
Nochmals zum Bild von Aaron und seinem Bart: Das ist fast neutestamentliche Sprache. Das Volk Gottes wird mit dem Hohenpriester verglichen, mit seinem Körper. Ein Extremteil, der Kopf, wird durch das Öl mit den Füßen verbunden.
Das ist irgendwie neutestamentlich. Die Gemeinde wird in 1. Korinther 12, Vers 13 als der Leib Christi bezeichnet. Christus heißt der Gesalbte, der Messias, der Gesalbte. Es geht genau um das Öl, das herabfließt und oben mit unten verbindet.
Hier geht es auch darum, dass Öl ein Bild des Heiligen Geistes in der Bibel ist. Der Heilige Geist kann getrennte Gläubige, die zum Leib Christi gehören, vereinigen – nicht durch billige Ökumene und Gleichmacherei äußerlich, sondern als ein Werk des Heiligen Geistes. Darum das Öl.
In Apostelgeschichte 10, Vers 38 wird vom Herrn Jesus gesagt, er sei mit Heiligem Geist gesalbt worden.
So sehen wir den Zusammenhang: Öl, Heiliger Geist und Gemeinde. In der Gemeinde gibt es ja so unterschiedliche Leute. Nach 1. Korinther 12, Vers 13 sind es Sklaven, Freie, Juden, Griechen. In Galater 3, Vers 28 gibt es keine Unterscheidung mehr zwischen Männern und Frauen.
In Apostelgeschichte 6, Vers 1 finden wir Hebräer und Hellenisten. Die Hebräer sind Inlandjuden, die Hebräisch sprechen konnten, die Hellenisten Auslandjuden, stark von der griechischen Kultur geprägt. Ein Spannungsfeld.
Dann haben wir Barbaren und Skythen in Kolosser 3, Vers 11. Das sind alles verschiedene Gruppen. Wie können sie zusammengefügt sein zu einem Leib? Probleme sind vorprogrammiert.
Aber durch den Heiligen Geist kann trotz solcher Unterschiede die Einheit zum Ausdruck kommen. Und da müssen wir wieder sehen: „Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder auch einträchtig beieinander sitzen!“
Interessant ist noch: Der letzte Vers spricht von Leben bis in Ewigkeit. Auch im Alten Testament wird über das Thema ewiges Leben gesprochen – nicht erst zum Beispiel in Johannes 3, Vers 16.
Psalm 134: Lobpreis und Segen im Tempel
Und wir schließen mit der letzten Stufe. Jetzt kommen wir gleich zum Nicanortor, der uns gewissermaßen den Zugang zum Tempelhaus öffnet.
Ein Lied der Hinaufzüge:
„Siehe, preist den Herrn, alle ihr Knechte des Herrn, die ihr steht im Haus des Herrn in den Nächten! Erhebt eure Hände im Heiligtum und preist den Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Der Herr segne dich von Zion aus.“
Jetzt öffnet sich gewissermaßen mit der letzten Stufe das Nicanortor, und wir sehen in den Priestervorhof. „Ihr Knechte des Herrn, die ihr steht im Haus des Herrn in den Nächten.“ Nun sind wir oben und sehen die Priester im Tempel. Aber hier wird gesagt, sie stehen im Haus des Herrn in den Nächten, und das ist ungewöhnlich, weil der Tempeldienst immer tagsüber stattfand.
Das letzte Opfer, das Abendopfer, wurde um drei Uhr geschlachtet, und damit endete auch der Tagesopferdienst. Das erste Opfer, das Morgenbrandopfer, war um neun Uhr. Nur zwischen neun Uhr und drei Uhr war die Zeit des Schlachtens. Nachts war der Gottesdienst aus. Übrigens: Um neun Uhr wurde der Herr Jesus ans Kreuz geschlagen, und um drei Uhr ist er gestorben (Matthäus 27). Diese Eckzeiten markieren somit die Zeiten des Kreuzes von Golgatha.
Aber hier heißt es „in den Nächten“. Nun, es gab ein Fest, bei dem 24 Stunden am Tag Gottesdienst gefeiert wurde. Es war das freudigste Fest überhaupt, das Laubhüttenfest, das letzte der drei obligatorischen Feste. Es war das freudigste Fest, weil einige Tage vorher Jom Kippur war, und das ganze Volk musste Buße tun. Wenn ein Volk Buße tut, kann es sich danach richtig freuen. So feierte man also auch nachts.
Dieses Fest wird in 3. Mose 23,40 ausdrücklich erwähnt, dass man sich freuen muss. In 5. Mose 16,14-15 wird dies nochmals zweimal betont: Man soll sich nur freuen. Dieses Fest soll sieben Tage lang gefeiert werden, und so hat man es Tag und Nacht gefeiert.
Was macht man nachts, wenn es dunkel ist? Zur Zeit der Evangelien gab es im Frauenvorhof 25 Meter hohe Leuchter. Diese wurden angezündet. Jede Lampe – immer vier an einem Lampenständer auf 25 Meter Höhe – fasste neunundviertel Liter Olivenöl. Als Docht verwendete man abgetragene Priestergewänder. Dieses Licht vom Tempel überstrahlte dann Jerusalem. Da wurde nachts also gefeiert.
Der Herr Jesus war auch am Laubhüttenfest (Johannes 7), und dann sagt er in Johannes 8,12: „Ich bin das Licht der Welt.“ Er spielt damit auf das Licht in den Nächten des freudigsten Festes an: „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben.“
So enden die Stufenlieder. Wir sind oben angelangt – die große Freude. Ist es nicht erstaunlich? Nach Sacharja 14,16 wird das Laubhüttenfest für die Völker der Welt das zentrale Tempelfest sein. Jedes Jahr müssen sie aus der ganzen Welt nach Jerusalem reisen. Darum braucht es so einen großen Vorhof von eineinhalb auf eineinhalb Kilometern.
Jedes Jahr müssen sie nach Jerusalem reisen, um dort den Herrn auf Zion anzubeten. So sehen wir, wie diese Stufenlieder einen Überblick über die ganze Geschichte Israels geben: Wie Gott durch Not zum Licht führt. Für uns ist es geschrieben, dass wir sehen, wie uns der Herr durch tiefste Not im Leben zum Licht hinführt.
Das war auch der Wahlspruch der Hugenotten in der schrecklichen Verfolgungszeit der Reformation. Sie trösteten sich immer wieder mit „Post tenebras lux“ – nach der Finsternis das Licht.
Ja, ich würde vorschlagen, dass wir noch zusammen beten und vielleicht einige Brüder ganz kurz im Gebet sprechen.
