
Ich möchte alle ganz herzlich begrüßen, die heute Nachmittag neu zu uns gestoßen sind.
Wir haben uns heute Morgen eine Übersicht über das Thema Musik in der ganzen Bibel verschafft, von 1. Mose bis Offenbarung.
Heute Nachmittag wollen wir uns mit 2000 Jahren Musik im Abendland beschäftigen. Das, was wir heute Morgen gesehen haben, bildet die Grundlage für das, was wir nun gemeinsam weiter betrachten.
Es wird einige Wiederholungen von heute Morgen geben. Diese sind besonders für diejenigen gedacht, die heute Morgen nicht dabei sein konnten.
Wir haben uns mit der jüdischen Musik beschäftigt, mit der biblischen Musik, mit der Musik, wie sie im Tempel zu Jerusalem zu biblischen Zeiten praktiziert wurde, und auch damit, wie sie schon im Altertum in den Synagogen ausgeübt wurde.
Ich habe heute Morgen bereits erklärt, dass im Judentum eine Tradition entwickelt wurde, um den gesamten Bibeltext von 1. Mose bis Maleachi beim Vorlesen vorzusingen. Mittelalterliche Rabbiner, die Masoreten, haben den Bibeltext mit ganz speziellen Kantillationszeichen versehen. So konnte man die Tradition der Tempelmusik beim Vorlesen weiter praktizieren.
Ich habe auch erklärt, dass diese Tradition unterbrochen wurde. Dabei haben sich verschiedene Traditionen entwickelt, je nachdem, wo Juden seit der Zerstreuung im Jahr 70 nach der Zerstörung Jerusalems und des Tempels hingekommen sind. Ob in Jemen, Persien, Nordafrika oder Europa – die Ausführung dieser Kantillationszeichen hat sich verändert, aber dennoch Traditionen bewahrt, die auf die Tempelzeit zurückgehen.
Besonders auffällig ist dies bei den jemenitischen Juden, die ganz für sich abgesondert lebten und die alte Tradition am meisten beibehalten haben. Ich zeige ganz kurz nochmals, wie in der jemenitischen Tradition das Buch Josua vorgelesen wurde, zum Beispiel Josua 1,2, wo es heißt: „Mose, mein Knecht, ist gestorben, und nun stehe auf, gehe hinüber über diesen Jordan, du und das ganze Volk, in das Land, das ich euch gebe, euch, den Kindern Israel!“
„El ha'aretz ashera nochi noteen lachem levne Yisrael“ – so hat der jemenitische Chasan in der Synagoge diesen Vers vorgetragen.
Noch ein Beispiel: Psalm 81, Vers 2, „Jubelt Gott, unserer Stärke, jauchzt dem Gott Jakobs zu!“ So gibt das einen Eindruck davon, wie es etwa geklungen hat.
Ich möchte auch das Beispiel nochmals zeigen, wie Psalm 133 geklungen hat. Dies allerdings nicht nach jemenitischer Tradition, die die ursprünglichste ist und erhalten geblieben ist, sondern nach der Entzifferung der ursprünglichen Bedeutung dieser Kantillationszeichen im Alten Testament durch die Komponistin Suzanne Haig-Ventura.
Sie ist eine französisch-jüdische Komponistin und Organistin. Man kann sehr viel über das Thema erfahren unter www.rakaw.com. Sie hat verschiedene Bücher veröffentlicht, die sehr eindrücklich sind. Sie konnte diese Zeichen entziffern, ähnlich wie Champollion im 19. Jahrhundert die Hieroglyphen wieder entziffern konnte.
So klang Psalm 133, begleitet von der Harfe, etwa so: „Ka Shemen hat Tofa la Roche jured al Zacken, Zacken Aharon, she jured al Pi mit Doda.“
Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder auch einträchtig beieinander wohnen.
Es ist eine schlichte, einstimmige Musik, die ganz auf den Text konzentriert ist. Der Rhythmus orientiert sich am Sprachrhythmus und unterstreicht diesen. Die Begleitung mit den Instrumenten dient einfach dazu, gewisse wichtige Töne im Melodieverlauf hervorzuheben.
Heute Morgen habe ich bereits erklärt, dass man bei den Forschungen der letzten hundert Jahre, beziehungsweise im 19. und 20. Jahrhundert, erstaunliche Parallelen zwischen der jüdischen Musik – insbesondere der Tempelmusik – und dem frühchristlichen Gesang entdeckt hat.
Zum Beispiel gibt es einen frühchristlichen Gesang, den sogenannten gregorianischen Psalmengesang. Ein Beispiel hierfür ist Psalm 45 mit dem Text: „Es wallt mein Herz von gutem Wort, ich sage: Meine Zunge sei der Schreiber, sei der Griffel eines Schreibers.“ In der frühen Christenheit wurde dieser Psalm so gesungen: „Dico ego lingua mea calamus scribe.“
Man stellt fest, dass die Melodieführung genau derjenigen ähnelt, wie sie die jemenitischen Juden bei Psalm 8 am Anfang kantillieren. Dort heißt es: „Dem Dirigenten auf Gittit, ein Psalm von David“ – auf Hebräisch „Al-Hägitit, Mise Molle David“. Die Melodie verläuft hier ganz ähnlich wie die gregorianische Psalmodie.
Auch bei weiteren Beispielen, etwa „Heruk David, comium verbum bonum, la menaceach al-Hägitit“, wurde festgestellt, dass die Quellen der jüdischen Musik und die der frühen christlichen Gesänge offensichtlich dieselben sein müssen. Beide gehen zurück auf den alttestamentlichen Gesang im Tempel.
So konnte deutlich gemacht werden, dass die Missionare im ersten Jahrhundert – zunächst alles Juden – das Evangelium nach Europa gebracht haben. Mit dem Evangelium brachten sie auch ihre Art zu singen aus den Synagogen und dem Tempel mit. Dadurch entstand eine direkte Brücke von der jüdischen alttestamentlichen Musik zur Musik Europas in den frühen christlichen Jahrhunderten.
Der Gesang der Synagoge wurde zum Gesang der frühen Christen. Es handelt sich dabei um einstimmige Gesänge, in der Musikwissenschaft als Monophonie bezeichnet. Das heißt, es gibt nur eine Melodie. Diese Form blieb bis ins Mittelalter erhalten. Danach entwickelte sich die Polyphonie, also die Mehrstimmigkeit, sowie die Harmonik – eine strenge Begleitung der Melodien.
Schließlich führte diese Entwicklung zum vierstimmigen Gesang, der zur Basis für die gesamte weitere Entwicklung der abendländischen Musik wurde.
Ja, Musik spielt eine große Rolle im Alten Testament und damit auch im Christentum, im Neuen Testament.
Psalm 33,1: Jubelt, ihr Gerechten, im Herrn! Den Aufrichtigen geziemt Lobgesang.
Die Gemeinde, die Urgemeinde, die ursprüngliche Kirche entstand in Jerusalem am Pfingsttag, im Jahr 32 nach Christus. Die ersten Christen waren alles bekehrte Juden.
Hier sehen wir den zweiten Tempel zur Zeit Jesu, also im ersten Jahrhundert. Die frühen Christen versammelten sich zunächst im Tempel, in der gewaltigen sogenannten Säulenhalle Salomos. Diese befand sich auf der Ostseite des Tempelbergs. Auf dem Bild sieht man die Ostseite, genau entlang der Ostmauer, die heute noch zu sehen ist. Dort versammelten sich die frühen Christen im Tempel.
Auf der anderen Seite befindet sich der Ölberg, dazwischen liegt das Kidrontal.
Die Säulenhalle Salomos wird bereits im Neuen Testament erwähnt. In Johannes 10,23 war Jesus Christus im Tempel, im Dezember, am Chanukka-Fest. Dort heißt es: "Und Jesus wandelte im Tempel in der Säulenhalle Salomos."
In dieser Halle sprach er mit den führenden Juden und sagte ihnen, dass sie nicht zu seinen Schafen gehören, also nicht seine Nachfolger sind. Er sagte weiter (Johannes 10,27-29): "Meine Schafe hören meine Stimme, und sie folgen mir. Ich gebe ihnen ewiges Leben, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Sie gehen nicht verloren ewiglich, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben. Und niemand wird sie aus der Hand meines Vaters rauben."
In dieser Halle verkündete er Heilssicherheit und Heilsgewissheit für seine Nachfolger.
Kurze Zeit später fanden die Kreuzigung Jesu, seine Auferstehung, Himmelfahrt und das Pfingstereignis statt. Die frühen Christen versammelten sich ausgerechnet in dieser Halle, wo ihnen Heilssicherheit und Heilsgewissheit durch den Erlöser vermittelt wurden.
Hier übernahmen die frühen Christen auch die jüdischen Gesänge als Gesänge der Urgemeinde.
Von Jerusalem aus wurde das Evangelium weitergetragen – in die Umgebung nach Judäa, dann nach Samaria und schließlich auch zu den Heiden im Allgemeinen.
In Römer 15,9 schreibt Paulus: "Damit die Nationen, das heißt die Heiden, Gott verherrlichen möchten, um der Begnadigung willen, wie geschrieben steht: Darum werde ich dich bekennen unter den Nationen und deinem Namen Psalmen singen."
Paulus erklärt hier, dass die frohe Botschaft zu den nichtjüdischen Völkern gelangen sollte und dass unter den Heiden dieselben Lieder gesungen werden sollten, die im Judentum gesungen wurden – Psalmen singen, deinem Namen.
Das griechische Wort für "Psalmen singen" ist Psalo. Von diesem Wort wurde das Wort Psalm, Psalmos, abgeleitet. Ursprünglich bedeutet Psalo "zupfen", also die Saiten eines Instruments zupfen.
Dann bekam das Wort eine weitere Bedeutung: ein Lied oder einen Psalm mit einem Saiteninstrument begleiten. Darum bedeutet Psalmen das Buch der Psalmen, das sind 150 Gesänge, die im Wesentlichen mit dem Spiel von Saiteninstrumenten begleitet werden sollen.
Drittens wurde das Wort auch verallgemeinert im Sinne von "singen", sodass man Psalter auch benutzen konnte, um "singen" zu sagen, ohne dass unbedingt ein Instrument dazu gespielt wurde.
Hier in Römer 15,9 sehen wir die Brücke von der Musik des Alten Testaments, des Judentums, hinüber zur Musik der frühen Christen und der nichtjüdischen Völker.
In Epheser 5,18 lesen wir: „Und berauscht euch nicht mit Wein, in welchem Ausschweifung ist, sondern werdet mit dem Geiste erfüllt, indem ihr zueinander redet in Psalmen, Lobliedern und geistlichen Liedern, singend und spielend dem Herrn mit eurem Herzen, danksagend alle Zeit für alles dem Gott und Vater im Namen unseres Herrn Jesus Christus.“
Hier haben wir drei Typen von Liedern: Psalmen, Loblieder und geistliche Lieder. Diese Begriffe sind bereits aus dem Judentum bekannt. Psalmen sind besonders die biblischen Psalmen. Loblieder sind speziell Lieder zur Anbetung Gottes.
Die Psalmen können sehr vielfältig sein. Sie können Klagen im Gebet zu Gott ausdrücken, aber auch Ermutigung sein – sei es Ermutigung des Anderen oder Selbstermutigung. Zum Beispiel: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Das ist ein Selbstgespräch, eine Selbstermutigung vor dem Angesicht Gottes.
Es können auch Psalmen sein, aber besonders sind Loblieder Lieder zur Anbetung Gottes und zu seiner Ehre. Geistliche Lieder hingegen können auch gedichtete Lieder sein, die eine geistliche Botschaft vermitteln. Diese können im Gebet an Gott gerichtet sein, aber auch Ermutigung oder Ermahnung enthalten. Ein Beispiel ist das Lied: „Befiehl du deine Wege und was dein Herz erkränkt, der allerbesten Pflege des, der den Himmel lenkt.“ Das ist kein Gebet, sondern eine Ermutigung und fällt somit unter geistliche Lieder.
Im Text finden wir zwei Verben: „singen“ (griechisch Ado) und „spielen“ (griechisch Psaallo). Psaallo bedeutet wörtlich „Saiten rupfen“ und meint das Begleiten des Gesangs mit einem Saiteninstrument. Natürlich könnte jemand sagen, Psaallo bedeute einfach auch singen ohne Instrument. Doch hier steht bereits Ado für singen und Psaallo für spielen. Demnach heißt es: singend und mit Seitenspiel begleitend dem Herrn mit eurem Herzen.
Wichtig ist der Zusatz „mit eurem Herzen“. Das bedeutet, dass sowohl beim Singen als auch beim Begleiten das ganze Herz, das Innere der Persönlichkeit, voll beteiligt sein soll. Es geschieht zur Ehre Gottes, dem Herrn, mit eurem Herzen, danksagend alle Zeit für alles dem Gott und Vater im Namen unseres Herrn Jesus Christus.
Manche haben gesagt, diese Stelle spreche nicht von Instrumenten, sondern das Instrument sei das Herz. Denn es heißt ja: „Singend und spielend dem Herrn mit eurem Herzen.“ Das Herz wird hier im übertragenen Sinn als Seiteninstrument verstanden.
Doch wenn das so wäre, dürfte man auch nicht laut singen, denn es sollte ja nur mit dem Herzen geschehen, nicht mit der Stimme. Das ist aber nicht der Sinn. Der Text meint wirklich hörbares Singen, mit unserem ganzen Stimmapparat, und hörbares Spielen. Das Ganze soll aber von Herzen kommen. Die innere Beteiligung macht den wahren Wert aus.
Und das zur Ehre Gottes.
Kolosser 3,16: Lasst das Wort des Christus reichlich in euch wohnen, indem ihr euch in aller Weisheit gegenseitig lehret und ermahnet mit Psalmen, Lobliedern, Hymnen und geistlichen Liedern, singt Gott dankbar in euren Herzen.
In dieser Parallelstelle finden wir genau die drei Typen von Gesängen wieder: Psalmen, Loblieder und geistliche Lieder. Außerdem begegnet uns erneut das Verb „singen“. Allerdings steht „Psalmen“ hier nicht als Instrumentalbegleitung, sondern als Gesangstyp.
Man kann also nicht behaupten, dass das Saiteninstrument absolut notwendig sei, um christlichen Gesang zu definieren. Es ist nicht so, dass es kein christlicher Gesang wäre, wenn nur reiner Gesang ohne Instrumente vorliegt. Das macht uns Kolosser 3 klar.
Wenn aber jemand meint, dass Gesang mit Saitenspiel kein christlicher Gesang sei, ist das ebenfalls falsch. Dazu komme ich später noch ausführlicher zurück. Denn Epheser 5 spricht sowohl vom Singen als auch vom Spielen. Auch dort wird betont, dass man „mit euren Herzen“ und eben „zur Ehre Gottes“ singt.
Was hier noch deutlich wird, ist, dass das ganze Singen eigentlich einen weissagenden Charakter hat. Nach 1. Korinther 14,2 ist Weissagung das Reden, natürlich geleitet durch den Heiligen Geist, zur Erbauung, Ermahnung und Tröstung.
So hat das Singen ebenfalls einen weissagenden Charakter, indem man durch Lieder einander ermutigt und im Glauben weiterführt. Diese Bedeutung des Singens ist heute weitgehend verloren gegangen. Früher wurde das Singen in christlichen Familien noch weithin gepflegt.
Doch im Laufe der Zeit ist das immer mehr verloren gegangen, vor allem durch die Trendwende in der Musikindustrie hin zu passivem Musikkonsum, anstatt dass man selbst musiziert und singt. Deshalb konnten Christen früher im Allgemeinen viel besser singen als heute, auch vierstimmig, was heute kaum noch gepflegt wird.
Diese Fähigkeiten sind verloren gegangen. Aber Kolosser 3,16 zeigt uns, dass das Singen eine ganz wichtige Sache ist. Das Wort Gottes muss ganz zentral stehen im biblischen Christentum. Lasst das Wort des Christus reichlich in euch oder unter euch wohnen.
Die Unterstützung des Wortes geschieht, indem man sich gegenseitig in aller Weisheit lehrt und ermahnt, durch diese verschiedenen Typen von Liedern. Das zeigt uns, dass das Singen eine sehr wichtige Bedeutung hat in der geistlichen Weiterführung im christlichen Leben – sowohl in der Gemeinde als auch im privaten Bereich.
Kolosser 3 beschränkt sich dabei nicht nur auf Gemeindezusammenkünfte, sondern ist eine grundsätzliche Belehrung.
1. Korinther 14,15: Was ist es nun? Ich will mit dem Geist beten, aber auch mit Verständlichkeit. Ich will loben, psallo, mit dem Geist, aber ebenso loben, psallo, mit Verständlichkeit.
Im Zusammenhang geht es hier um das Sprachenreden, das ich heute Morgen bereits angesprochen habe. Dieses Phänomen trat am Pfingsttag auf und ist seitdem eine von Gott geschenkte Fähigkeit gewisser Christen, Fremdsprachen zu sprechen, die sie nie gelernt haben. Dennoch beherrschen sie diese Sprachen, ohne sie gelernt zu haben.
Ich habe heute Morgen auch auf das neue Büchlein verwiesen, das Anfang des Monats erschienen ist. Es trägt den Titel "Sprachen reden oder Zungen reden". Darin versuche ich zu zeigen, dass das biblische Sprachenreden das Beherrschen von wirklichen Sprachen war, perfekt ermöglicht durch den Heiligen Geist, ohne dass man die Sprache erlernt hat.
Das unterscheidet sich deutlich von dem heute von Millionen praktizierten Zungenreden, das meist nur ein Lallen ist. Die Betreffenden wissen oft nicht, was die einzelnen Laute bedeuten.
Hier spricht Paulus also davon, dass er in Sprachen, also in Fremdsprachen, Lob singen konnte. Psallo bedeutet singen mit Seitenspielbegleitung oder einfach singen, wenn psallo hier in seiner allgemeinen Bedeutung verwendet wird. Er konnte beides: singen in Fremdsprachen und singen in der eigenen Sprache. Doch er betont, dass er auch mit Verständlichkeit loben will.
Das Sprachenreden hatte im ersten Jahrhundert eine sehr wichtige Bedeutung. Es zeigte deutlich, dass die frohe Botschaft nicht nur bei den Juden bleiben sollte, sondern auch die nichtjüdischen Völker erreichen wollte. Deshalb hat Gott dieses Zeichen gegeben, wie es in 1. Korinther 14 beschrieben ist. Es macht klar, dass das Evangelium die ganze Welt erreichen soll. Daher soll nicht nur auf Hebräisch gesungen werden, sondern in allen möglichen Sprachen.
So ist es absolut richtig, wenn man in der Schweiz Deutsch singt, in Frankreich Französisch und bei indianischen Stämmen in Quechua, Aymara oder einer anderen Sprache. Hier wird deutlich, dass man keinen besseren oder geistlicheren Gesang hat, wenn man in den biblischen Sprachen singt. Es ist also nicht notwendig, plötzlich Hebräisch in den Gemeinden einzuführen, weil das dann als wirklich biblische Musik gelten würde. Stattdessen soll in den Fremdsprachen oder in der jeweiligen Landessprache gesungen werden.
1. Korinther 14,26 spricht Paulus über die Gemeindezusammenkünfte in Korinth. Er sagt: „Was ist es nun, Brüder, wenn ihr zusammenkommt? So hat dann jeder von euch einen Psalm, eine Lehre, eine Sprache, eine Offenbarung, eine Auslegung – alles geschehe zur Erbauung.“
Paulus macht hier deutlich, dass die Korinther sehr gut vorbereitet zum Gottesdienst kamen. Sie kamen nicht mit leeren Herzen, sondern mit gefüllten Herzen. Es war mehr vorhanden, als in einer Zusammenkunft angewendet werden konnte. Jeder hatte etwas beizutragen: einen Psalm, eine Lehre, eine Sprache, eine Offenbarung oder eine Auslegung.
Das führte zu einem Problem in Korinth, denn es herrschte viel Chaos. Paulus regelt deshalb in 1. Korinther 14, wie eine Zusammenkunft, die durch den Heiligen Geist geleitet wird, ablaufen soll. Er fordert jedoch kein Ein-Mann-System. Vielmehr sagt er, dass es bei ihnen ganz normal ist, dass jeder etwas hat, aber alles soll ordentlich und zur Erbauung geschehen.
Zum Beispiel gehört auch das Vorschlagen von Liedern im Gottesdienst dazu. Dies soll eine Sache sein, die durch den Geist geleitet wird. Das bedeutet nicht, dass man einfach seine Lieblingslieder vorschlägt. Vielmehr soll man sich vor dem Herrn fragen: „Ist dieser Liedervorschlag jetzt dran? Passt das zu dem gesamten Ablauf?“
Natürlich kann es trotzdem das Lieblingslied sein, wenn es wirklich passend ist und man die Überzeugung hat, dass der Herr das gerade will. Es geht aber nicht um ein Wunschkonzert, sondern um geistliche Leitung – auch beim Vorschlagen von Liedern.
Hier kommt das Wort „Psalmos“ ins Spiel. Paulus sagt, jeder von euch hat einen Psalm. „Psalmos“ stammt von „psalmo“ ab und bedeutet darum einen Psalm oder überhaupt ein Lied, das mit Seitenspiel begleitet wird, oder einfach ein Lied.
Jakobus 5,13: Leidet jemand unter euch Trübsal? Er bete! Ist jemand guten Mutes? Er singe Psalmen!
Hier begegnet uns wieder das Wort „psallo“. Es gehört ganz einfach zum normalen Christenleben dazu. Man singt nicht nur in der Gemeinde, sondern auch zur persönlichen Erbauung.
Wenn man traurig ist, mag man oft nicht singen. In solchen Momenten kann man beten. Ist man jedoch guten Mutes, dann ist es wichtig, dass man singt – er singe Psalmen.
Hebräer 2, Verse 11-12 sprechen von der Erlösung durch Jesus Christus. Es wird deutlich gemacht, aus welchem Grund er sich nicht schämt, die Erlösten Brüder zu nennen – diejenigen, die er durch sein Werk am Kreuz erlöst hat. Er sagt: „Ich will deinen Namen kundtun, meinen Brüdern, inmitten der Gemeinde will ich dir Lob singen.“
Das griechische Wort „hymneo“ bedeutet ein Loblied singen. Dieses Zitat stammt aus Psalm 22, dem sogenannten Kreuzpsalm. In diesem Psalm werden nicht nur die Leiden Christi, die tausend Jahre vor der Kreuzigung bis ins Detail beschrieben sind – etwa Hände und Füße, die durchbohrt werden –, sondern es folgt auch eine Wende. Plötzlich hört man den auferstandenen Christus sprechen: „Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern.“
Darum sagte Maria Magdalena am Auferstehungstag: „Geh hin zu meinen Brüdern!“ Zum ersten Mal nennt Jesus die Gläubigen seine Brüder. Sie soll ihnen sagen: „Ich fahre auf zu meinem Gott und zu eurem Gott und zu meinem Vater und zu eurem Vater“ (Johannes 20).
Diese Aussage wird hier aufgenommen beziehungsweise vorweggenommen: „Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern, inmitten der Gemeinde, der Ekklesia, will ich dir Lob singen.“ Christus will dort gegenwärtig sein, wo zwei oder drei sich zu seinem Namen versammeln (Matthäus 18,20). Er sagt: „Da, wo zwei oder drei zu meinem Namen versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte.“
Das gilt für die Gemeinde. Im Judentum galt, dass man mindestens zehn Männer braucht, um eine Synagoge zu bilden – den sogenannten Minjan. Doch der Herr sagt seinen Jüngern: „Da, wo zwei oder drei zu meinem Namen versammelt sind, ganz auf Christus ausgerichtet, da bin ich in ihrer Mitte.“
Das ist die Gemeinde, wo der Herr gegenwärtig sein will. Er will dort inmitten der Gemeinde Lob singen. Aber wie geschieht das konkret? Wie kann Christus heute in der Gemeinde Lob singen? Dazu gebraucht er alle, die da sind. Er wirkt im Herzen der Einzelnen das Lob, und indem wir als Gemeinde singen, kann Christus sein Lob in uns verwirklichen – inmitten der Gemeinde.
Das zeigt, wie wesentlich das Singen zum christlichen Leben gehört, insbesondere zum Leben in der Gemeinde. „Hymneo“ bedeutet auf Griechisch, ein Loblied zur Anbetung Gottes zu singen. Es kann aber auch bedeuten, einen Psalm zur Anbetung Gottes zu singen.
Woher weiß man das? Im rabbinischen Hebräisch hat man das Fremdwort „Hymnos“ auf Hebräisch übernommen. Es wird zum Beispiel für die Psalmen 113 bis 118 verwendet. Diese Psalmen werden bei der Passa-Feier am Sederabend gesungen.
Der Herr Jesus hat mit den Jüngern das letzte Passa gefeiert (Matthäus 26) und dabei diese Psalmen 113 bis 118 gesungen. Ganz am Schluss des Sederabends, bevor sie weggingen, heißt es in Matthäus 26,30: „Und als sie ein Loblied gesungen hatten (hymneo), gingen sie hinaus zum Ölberg.“
Sie haben also noch aus Psalm 118 gesungen und sind dann zum Ölberg hinübergegangen, wo Jesus schließlich verhaftet wurde, um am nächsten Tag gekreuzigt zu werden. So wird das Wort „hymneo“ auch auf Psalmen angewendet.
In Apostelgeschichte 16,25 finden wir Paulus auf seiner zweiten Missionsreise. Er wird in Philippi übel zugerichtet und kommt ins Gefängnis. Doch dann lesen wir in Apostelgeschichte 16,25: „Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und sangen Lobgesänge zu Gott, und die Gefangenen hörten ihnen zu.“
Es gibt eine schöne Stelle im Buch Hiob, in der davon gesprochen wird, dass Gott Lobgesänge in der Nacht gibt. Wie kann man, wenn man so gelitten hat, noch singen? Ja, wir haben in Jakobus 5 gehört, dass leider jemand Trübsal erleiden musste. Doch wir sehen, dass diese Menschen trotz Trübsal noch singen konnten. Das ist etwas ganz Besonderes.
Das Wort „Hymneo“ bedeutet, dass sie sich im Gesang an Gott richteten. Trotzdem hatte das Singen auch eine evangelistische Bedeutung. Denn die Ungläubigen im Kerker hörten ihnen zu. Das führte schließlich dazu, dass der Kerkermeister bereit war, sich noch in derselben Nacht zu Christus zu bekehren.
Hier wird also deutlich, wie das Singen auch in evangelistischer Hinsicht eine absolut biblische und wichtige Bedeutung hat. Diese Lieder erreichen die Herzen auf eine ganz besondere Weise.
Der Herr Jesus hat als Auferstandener in Apostelgeschichte 1,8 den Auftrag zur Weltmission gegeben – ein Vierpunkteprogramm.
„Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist, und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde.“
Die vier Punkte sind: Jerusalem, zweitens Judäa, das ist die jüdische Landschaft, dann Samaria, das ist das samaritische Gebiet im Westjordanland. Die Samariter waren Menschen mit Mischblut, also heidnischem und israelitischem Ursprung. Darüber hinaus gilt der Auftrag bis an das Ende der Erde, bis zu den Eskimos.
Tatsächlich ist die Botschaft heute bis zu den Eskimos gekommen. Ich habe vor kurzem in Kanada in einer Buchhandlung eine Bibel in der Sprache der Eskimos bewundert. Das war schön zu sehen. So hat sich die jüdisch-christliche Musik über die jüdische Welt hinaus ausgebreitet – nach Europa, in Asien schon ab dem ersten Jahrhundert und auch im ersten Jahrhundert in Afrika, insbesondere in Äthiopien und Nordafrika.
In Europa, was uns heute Nachmittag interessiert, kann man sagen, verdrängt beziehungsweise ersetzt die jüdisch-christliche Musik mehr und mehr die heidnische Musik. Die alten Griechen hatten ihre eigene Musik, ebenso die Römer, Germanen und Kelten. Dort kannte man auch ekstatische Musik mit hämmerndem, donnerndem, motorischem Rhythmus, besonders wichtig im Dionysoskult. Diese Musik versetzte die Menschen in Ekstase.
Das ist also nichts Neues, nicht erst seit den 1950er-Jahren mit dem Rock'n'Roll. Das gab es schon damals. Doch diese Musik wurde mit der Ausbreitung des Evangeliums verdrängt. Sie wurde ersetzt durch einen ausgeglichenen Gesang, der einen Wechsel von Spannung und Entspannung kennt.
Der Rhythmus ist atemrhythmisch, das heißt, er passt sich dem natürlichen Verlauf des Satzbaus an.
Wir kommen nun zum zweiten Punkt: dem christlichen Gesang in den ersten Jahrhunderten.
Wie bereits erwähnt, war der Gesang in den frühen Jahrhunderten überall einstimmig. Das war auch bei anderen Völkern die Norm. Einstimmig bedeutet natürlich nicht, dass keine Begleitinstrumente verwendet wurden. Einzelne Töne konnten so noch ein wenig unterstrichen werden. Aber das stellt keine wirkliche Mehrstimmigkeit dar. Diese gab es damals nicht. Die Gesänge selbst waren einstimmig.
Man komponierte immer wieder neue Lieder. In Europa entstanden an den verschiedenen Orten, an denen sich das Christentum ausbreitete, neue Kompositionen. Man könnte sagen, sie wurden im alten Stil geschaffen. Die Entwicklung verlief jedoch von Region zu Region verschieden. So kam es, dass im vierten und fünften Jahrhundert an unterschiedlichen Orten der Christenheit ganz verschiedene Lieder in den Kirchenzusammenkünften und Gottesdiensten gesungen wurden.
Das gefiel dem Papst in Rom nicht. Das Papsttum entstand um 430 nach Christus, als Leo I., der Bischof von Rom, den Anspruch erhob, der oberste Bischof über alle Bischöfe der Welt zu sein. Damit war das Papsttum geboren.
Ein späterer Papst, Gregor I. (590–604), begann, die verschiedenen Gesänge, die in den Kirchen gesungen wurden – die Kirche nannte man katholisch, weil „katholisch“ die allgemeine, also allumfassende Kirche bedeutet –, zu sammeln. Da in den verschiedenen Regionen unterschiedlich gesungen wurde, wollte er eine Vereinheitlichung erreichen.
Er gab klare Direktiven heraus, welche Gesänge gesungen werden sollen und welche nicht, damit alles schön einheitlich wird. So vereinheitlichte er die Gesänge, indem er eine Auswahl festlegte. Diese Auswahl nennt man gregorianische Gesänge.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Papst Gregor selbst komponiert hat. Vielmehr sammelte er die Gesänge und schrieb vor, dass nur diese festgelegten Lieder gesungen werden sollten und nicht alle anderen. Deshalb spricht man vom gregorianischen Gesang.
Etwas ganz Wichtiges in der Entwicklung der Christenheit ist zu beachten. Die meisten wissen, dass sehr früh in der Geschichte der Christenheit viele Dinge in eine falsche Richtung gelaufen sind, und zwar schon deutlich ab dem zweiten Jahrhundert.
Man erkennt bereits bei den frühen sogenannten Kirchenvätern und apostolischen Vätern, wie man sie nennt, im zweiten Jahrhundert erstaunliche Abweichungen von der Lehre der Apostel. Es war auch so, dass ab dem zweiten Jahrhundert immer mehr mystische Gedanken aus der griechischen Philosophie Eingang in die Kirche fanden. Mystik war damals sehr populär in der Gesellschaft, und die Kirche passte sich immer wieder dem gerade aktuellen Trend an, anstatt Salz und Licht der Welt zu sein.
Das ist so geschehen, und es gibt einen ganz wichtigen Grund dafür: Im zweiten Jahrhundert gab es die sogenannten Apologeten. Das waren gebildete Christen, die das Christentum für gebildete Nichtchristen verständlicher machen wollten. Denn die meisten Menschen dachten damals, das Christentum sei etwas für dumme Leute, für Sklaven und dergleichen. Es gab aber eine ganze Reihe sehr gebildeter Christen, die das nicht auf sich beruhen lassen wollten. Sie wollten zeigen, dass es sehr vernünftig ist, Christ zu sein.
Diese Apologeten versuchten, das Christentum als Philosophie zu präsentieren. Das kam in der Gesellschaft gut an, denn wenn man sagt, es sei keine Religion, sondern eine Philosophie, dann finden das viele toll, weil Philosophie als etwas Hochwertiges galt. Sie behaupteten, dass das Christentum die beste Philosophie sei, die es gibt.
Dabei erklärten sie das Evangelium oft in Begriffen der griechischen Philosophie und bemerkten nicht, dass sie das Christentum dadurch veränderten – weg von einem Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Christus hin zu einer Philosophie.
In ihrer Verkündigung verlor das Kreuz, die Bedeutung von Golgatha und das stellvertretende Opfer zunehmend an Bedeutung. Andere Dinge rückten in den Mittelpunkt. Paulus hatte vor solchen Entwicklungen bereits gewarnt, zum Beispiel im Kolosserbrief um das Jahr 62 nach Christus, Vers 8: „Seht zu, dass euch niemand als Beute wegführe durch die Philosophie und durch eitlen Betrug, nach der Überlieferung der Menschen, nach den Elementen der Welt und nicht Christus gemäß.“
Im Kolosserbrief geht es besonders um eine mystische Philosophie. Was heißt eigentlich mystisch? Das Wort „mystisch“ kommt vom griechischen „myein“, was so viel bedeutet wie „die Augen schließen“. Also: Augen schließen, ganz ruhig werden und innerlich wegfliegen oder abheben – das ist mystisch.
Diese mystischen Elemente drangen immer mehr in das Christentum ein. Man könnte sagen, ab dem zweiten Jahrhundert gab es zunehmend charismatische Einflüsse unter den Christen – um einen heutigen Begriff zu verwenden.
Der Gesang wurde immer mystischer vorgetragen. Das heißt, man sang sehr langsam. Die Bandbreite menschlicher Gefühle, von tiefer Trauer bis zu höchster Freude, wurde dabei in der Mitte ausgeglichen. Das führte dazu, dass man heute, wenn man Aufnahmen hört, meistens von katholischen Spezialisten gesungene gregorianische Gesänge hört, und dabei das Gefühl bekommt, in eine andere, völlig abgehobene Welt versetzt zu sein.
Woher kommt das? Es liegt nicht an der Aneinanderreihung der Töne, sondern an der Art und Weise, wie gesungen wird. Ich habe schon einmal ein Lied der frühen Christenheit gezeigt: Psalm 45, „Es wallt mein Herz von gutem Wort“. Wenn man dieses Lied singt – „Lingua mea calamus scribae“ – oder noch perfekter, richtig abgehoben, so dass alles Menschliche eigentlich wegfällt und ganz langsam gesungen wird, kann man in mystische Zustände versetzt werden.
Man kann Menschen nicht nur durch schnelle, rhythmische Musik in Ekstase versetzen, sondern auch genau im Gegenteil durch langsames Singen. In der indischen Musik nutzt man das Langsame, sodass man fast die Entwicklung der Musik nicht mehr spürt, um den Geist passiv zu machen und Kontakt zu den Göttern zu bekommen. In Afrika dagegen wird ein schneller, schlagender Rhythmus verwendet, um Ekstase zu erzeugen. Beides funktioniert.
Diese Art des mystischen Singens hat die Mystik in den frühen Jahrhunderten stark gefördert. Deshalb wird gregorianischer Choral heute in den Köpfen oft mit Mystik gleichgesetzt. Das hängt mit der Praxis zusammen.
Man kann ein Lied aber auch ganz anders singen – mit Gefühl. Die Gefühle, die Gott in uns hineingelegt hat, sollen zum Ausdruck kommen. Dabei kann man sogar pfeifen, wenn es fröhlich ist. Das ist möglich und angemessen, denn es gibt fröhliche Lieder.
Man sollte bei gregorianischen Gesängen einmal genauer hinhören. Zum Beispiel gibt es einen gregorianischen Gesang, der in St. Gallen aufbewahrt wird. Er wird im Kloster über Sacharja 9, Vers 9 gesungen: „Jauchze, Tochter Zion, dein König kommt, reitend auf einem Esel.“ Wenn man dieses Lied hört, kann man keinen Hauch von Jauchzen oder Freude erkennen. Das ist völlig ausgeschaltet, und deshalb wirkt es völlig übermenschlich und abgehoben.
Aber genau das ist das neue Element der Mystik, das damals in das Christentum eingedrungen ist.
Nun kommen wir zu drittens: Kirchentonarten, auch Modi genannt. Modi ist die Mehrzahl von Modus, dem Fremdwort für Kirchentonart. Man denkt dabei an einstimmige Gesänge, doch diese sind schnell erschöpft im Reichtum.
Worin liegt der Reichtum der einstimmigen Gesänge? In der Vielfalt an Tonleitern, die man im Altertum benutzte. Auch im Israel des Alten Testaments verwendete man diese sogenannten Kirchentonarten oder besser Modi.
Ich muss jetzt einige musiktheoretische Dinge erklären. Wir haben Tonleitern mit sieben Tönen, und der achte Ton ist dann wieder der erste. Das ist die normale Dur-Tonleiter. Die Moll-Tonleiter ist anders aufgebaut. Auch das ist keine menschliche Erfindung, sondern bereits vorgegeben.
Ich habe heute Morgen etwas zu den Obertönen erklärt. Man kann theoretisch von den Obertönen aus diese Tonleitern ableiten. Das will ich jetzt nicht im Detail zeigen, aber es geschieht durch Schichten der einfachsten Intervalle, also zwei verschiedene Töne.
Das einfachste Intervall ist die Oktave. C zu C ist im Prinzip der gleiche Ton. Das einfachste und am reinsten klingende Intervall von zwei verschiedenen Tönen ist die Quinte, also fünf Töne Abstand, zum Beispiel C zu G. Das ist das reinste Intervall.
Wenn man solche Intervalle siebenmal aneinander schichtet, erhält man die sieben Töne der Dur-Tonleiter. Zum Beispiel: Ich nehme ein F, dann fünf Töne höher C, dann G, D, A, E, H, und schon habe ich alle sieben Töne der Dur-Tonleiter. So leitet sich das her.
Jetzt kann man mit diesen Tonleitern verschiedene Spiele machen. Ich spiele zum Beispiel alle Töne von C bis C durch. Das ist die bekannte Dur-Tonleiter, die man in den Kirchentonarten ionisch nennt.
Die meisten Leute, die keinen Musikunterricht hatten, glauben, alle Töne seien genau im Ein-Ton-Abstand aufgebaut. Das ist falsch. Vielmehr ist es so: C zu D ist ein ganzer Ton, D zu E ein ganzer Ton, aber E zu F nur ein halber Ton. Deshalb gibt es auf dem Klavier keine schwarze Taste zwischen E und F.
Weiter geht es so: F zu G ist ein ganzer Ton, G zu A ein ganzer Ton, A zu H ein ganzer Ton, aber H zu C nur ein halber Ton. Jetzt können wir diese Töne von 1 bis 7 durchnummerieren. Dann können wir sagen: Ionisch oder Dur ist eine Tonleiter, bei der der dritte, vierte und der siebte zum achten Ton ein Halbtonschritt ist.
Bis dahin ist alles klar. Nun kann ich dasselbe machen und einfach von D bis D spielen. Da liegen die Halbtöne vom zweiten zum dritten und vom sechsten zum siebten Ton.
Dasselbe gilt, wenn ich vom E ausgehe, dann sind die Halbtöne an einer anderen Stelle, ebenso vom F, G oder A aus. Vom A aus haben wir die äolische Tonleiter, die eigentlich Moll ist.
Jede Tonleiter hat also eine eigene Charakteristik. Zum Beispiel klingt die phrygische Tonart, bei der E zu F ein Halbton ist, ganz anders als die Dur-Tonleiter. Sie hat einen ganz eigenen Charakter.
So hat jede Tonleiter ihren eigenen Charakter. Diese Vielfalt an Tonleitern wurde schon im Alten Testament genutzt, auch bei Völkern außerhalb Israels und in der frühen christlichen Musik.
Im Laufe der Zeit bildete sich eine Vorliebe für zwei dieser Tonleitern heraus: die ionische und die äolische. Daraus entstanden Dur und Moll. Deshalb sind wir es gewohnt, dass ein Musikstück entweder Dur oder Moll ist und nicht phrygisch, lydisch oder mixolydisch.
Doch das war der Reichtum dieser einstimmigen Musik. Man hat diese Feinheiten richtig ausgekostet und jeder Tonleiter einen ganz bestimmten Charakter zugeordnet.
Dur ist verwandt mit dem französischen Wort „dur“, was „hart“ bedeutet. Diese Tonleiter empfand man als hart. Moll, französisch „moll“, heißt „weich“ und wird als weich empfunden.
Zum Beispiel klingt C-Dur schön hell, während Moll, etwa in Beethovens drittem Klavierkonzert, dunkel und weich wirkt.
Bei den Kirchentonarten gibt es alle Abstufungen: Phrygisch ist moller als Moll, Dorisch weniger mollig als Moll, Lydisch ist durer als Dur, und Mixolydisch ist moller als Dur.
So kann man die Schönheiten in ein System einordnen.
Wichtig ist Folgendes: Wir haben einen gewaltigen Reichtum an Tonleitern, auch ohne Harmonie mit anderen Tönen oder Mehrstimmigkeit.
Wichtig bleiben diese sieben Töne. Sie sind nicht alle gleichwertig. Der wichtigste Ton ist der Grundton, zum Beispiel in Dorisch das D. Alles muss wieder zu diesem Ausgangspunkt zurückkehren.
Ein zweiter wichtiger Ton ist oft die Quinte. Um sie bewegen sich oft die Melodien. Doch alles muss wieder zur Tonika, dem Grundton, zurückkehren.
So haben wir die Tonika als wichtigsten Ton, der die Basis für alles gibt. Das entspricht der biblischen Lehre, dass Gott Ausgangs- und Endpunkt aller Dinge ist.
Gott ist das Alpha, der erste Buchstabe im griechischen Alphabet, und das Omega, der letzte Buchstabe. Er ist Anfang und Ende aller Dinge (Offenbarung 1,8).
Alles geht von Gott aus, und letztlich muss alles wieder Gott unterworfen werden. Das wird in der Musik tonal zum Ausdruck gebracht.
Wir sehen, dass es Abstufungen in der Wichtigkeit der Töne gibt, eine Hierarchie der Töne. Das entspricht auch der göttlichen Ordnung in der Schöpfung (1. Korinther 11; 1. Timotheus 2,8).
Diese Stellen sprechen über Gottes Ordnung und Hierarchien, wie Gott sie für die Menschen in der Schöpfung vorgesehen hat. Das wird auch musikalisch ausgedrückt.
Doch es braucht alle Töne, um ein Ganzes zu bilden. Der einzelne Ton ist nie unwichtig, auch wenn er nicht der wichtigste oder zweitwichtigste Ton ist. Alle sind wichtig.
Wir kommen nun viertens zum Thema Musikinstrumente, ein Thema, das wir schon angesprochen hatten. Hier ein Zitat von Clemens von Alexandria, einem frühen christlichen Schreiber, der von 150 bis 216 n. Chr. lebte. Er sagt in einer seiner Schriften: „Wir Christen verwenden nur ein Instrument, das Wort des Friedens, mit dem wir Gott preisen. Wir machen keinen Gebrauch der alten Harfe, der Zimbel, der Trompete und der Flöte.“
Man nimmt hier an, dass man also zumindest im zweiten und dritten Jahrhundert normalerweise in den Gemeinden, in den Kirchen, nur gesungen hat, ohne Instrumentenbegleitung. Wir wissen auch, woher das kommt: Die Instrumente haben oft eine große Rolle bei den heidnischen Festen gespielt. Deshalb wollte man sich von dieser Art Musik in der Umwelt ganz deutlich abgrenzen und hat dadurch auf Instrumente verzichtet.
Der Gedanke des Abgrenzens ist absolut biblisch. Allerdings gibt es keinen biblischen Anhaltspunkt dafür, dass es falsch wäre, Instrumente im Gottesdienst zu benutzen, wie wir es aus Epheser 5 sehen können. Das Anliegen war vielmehr, sich gegen jene Musik abzugrenzen, die nicht zur Ehre Gottes diente.
Die Orgel wurde erst im neunten Jahrhundert in der Kirche eingeführt, und zwar zunächst nur an bestimmten Orten. Es dauerte noch lange, bis sich die Orgelbegleitung allgemein verbreitete. So sehen wir, dass die gewohnte Orgelbegleitung in der Kirche eigentlich eine relativ späte Erscheinung in der Geschichte der Christenheit ist.
Nun kommen wir bereits zu fünftens. Es gibt, wie heute Morgen, zehn Punkte. Fünftens behandelt die Geschichte der Notenschrift.
Vom ersten bis zum neunten Jahrhundert wurden die Gesänge mündlich überliefert. Die christliche Musik wurde also von Generation zu Generation mündlich weitergegeben. Für uns ist das schwer verständlich, oder? Wer kommt heute schon ohne Liederbuch aus? Oder zumindest ohne eine Beamerprojektion? Es war damals jedoch üblich, dass man auswendig sang.
Die Notation der Musik entstand in der Christenheit erst ab dem neunten Jahrhundert, und zwar mit Hilfe der sogenannten Neumen. Hier sehen wir eine Neumenhandschrift. Das Bild findet man übrigens auf Wikipedia als freies Bild. Schön sieht man hier den Text, und darüber sind eigenartige Kadenzzeichen, die wir auch aus dem Judentum in Verbindung mit der hebräischen Bibel kennen. Diese Zeichen gaben die ungefähre Tonhöhe an.
So konnte man plötzlich das Gedächtnis unterstützen und Melodien besser wieder in Erinnerung rufen und festigen. Allerdings finden wir auch Klagen aus dem Mittelalter, die sehr unglücklich über die Einführung der Notenschrift waren. Die Leute lernten die Musik nicht mehr so gut auswendig, wie es früher der Fall war. Man sah diese Modernisierung also nicht nur positiv.
Übrigens: Die Notenschrift, die hier aufkam, ist nicht die älteste Notenschrift. Bei den alten Griechen findet man bereits einige Notenschriften aus den Jahrhunderten vor Christi Geburt. Auch in Babylon sind auf Keilschrifttafeln Gesänge mit bestimmten Angaben überliefert, sodass man sogar babylonische Gesänge aus der Antike rekonstruieren kann.
Aber eben in der Christenheit entstanden solche Notationen ab dem neunten Jahrhundert mit den Neumen. Diese gaben eine Andeutung der Tonhöhen. Ab dem elften Jahrhundert kam die Schrift mit Notenlinien auf. Besonders mit diesem Schritt ist ein Name verbunden: Guido von Arezzo.
Hier sieht man ein Beispiel, das man ebenfalls auf Wikipedia findet. Mit den Notenlinien ist die Tonhöhe nun ganz eindeutig notiert, nicht mehr nur als Gedächtnishilfe wie bei den Neumen. Das war also ein deutlicher Fortschritt in der Entwicklung.
Man kann sich fragen: Ist Entwicklung legitim? Ja, natürlich! Das haben wir schon heute Morgen gesehen, wie auch im Alten Testament die Musik und Musikinstrumente weiterentwickelt wurden. Es wird von David gesagt, dass er sogar Musikinstrumente erfunden hat.
Ab dem dreizehnten Jahrhundert entstand eine neue Schrift, in der neben den Tonhöhen nun auch die jeweilige Tondauer bezeichnet wurde. Auch dieses Bild stammt aus der gleichen Quelle wie die früheren. Man sieht hier durch leere und ausgefüllte Notenköpfe, wie lange die Töne dauern. Die Tondauer wird also ebenfalls notiert.
Psalm 47,7: "Denn Gott ist der König der ganzen Erde, singt ihm mit Einsicht." Beim Singen muss man also nicht den Verstand ausschalten.
Seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts gibt es die moderne Notenschrift, so wie wir sie heute kennen. Hier sehen wir wieder ein Bild aus der gleichen Quelle wie vorhin, nun aber eine Handschrift von J. S. Bach. So hat Bach geschrieben, in dieser modernen Schrift.
Bach wurde 1685 geboren, also genau in der Zeit, in der man Musik so präzise notieren konnte.
Jetzt möchte ich unter dem sechsten Punkt einiges zur Entwicklung der Mehrstimmigkeit sagen. Diese Entwicklung beginnt ab dem neunten Jahrhundert. Zur Erinnerung: Das neunte Jahrhundert umfasst immer die Jahre bis 899. Hier gibt es ein sprachliches Problem. Im Italienischen bezeichnet das neunte Jahrhundert die Jahre 900 bis 999, im Deutschen jedoch nicht.
Ab dem neunten Jahrhundert entsteht also die Mehrstimmigkeit, und es gibt verschiedene Ansätze dazu. Zunächst spricht man vom Bourdon. Das ist ein Liegeton, der einfach lang ausgehalten wird. So konnte man einen frühen einstimmigen Gesang mit einem Liegeton begleiten. Singt eine Gruppe, dann singen die anderen darüber. Das ist eine ganz einfache Zweistimmigkeit.
Weiterhin überlegte man, wie man das Lob Gottes noch weiter fördern und großartiger gestalten könnte, denn Gott ist großartig. So entstand die Idee des Organums. Dabei unterscheidet man das Quartorganum mit einem Viertonabstand und das Quintorganum mit einem Fünftonabstand.
Man konnte eine Melodie durch eine zweite Melodie begleiten, die einfach parallel vier Töne tiefer singt. Zum Beispiel singt ein Teil des Chores ein F, der andere singt ein C, dann wieder F. Das ist parallel. Oder man singt mit fünf Tönen Abstand, was dann so klingt. Man konnte auch fünf und vier Töne kombinieren, wie man bei den Musikbeispielen auf der Folie sieht: Quart- und Quintorganum.
Dabei gibt es Varianten. Unten singt man die Quint, oben dann nochmals vier Töne höher. Das ist allerdings immer der gleiche Ton wie der unterste. Es gibt aber auch folgendes: Man beginnt auf dem gleichen Ton, die Melodie steigt schön auf, und die untere Melodie bleibt auf dem Ausgangston. Sobald die obere Melodie vier Töne Abstand hat, geht sie parallel immer in diesem Abstand weiter, bis man am Schluss wieder auf einem Endton zusammentrifft. So entsteht eine Zweistimmigkeit.
Schritt für Schritt entwickelte sich die Musik von der Zweistimmigkeit über Dreistimmigkeit bis hin zur Vierstimmigkeit. Dabei war die Motivation ganz klar: Das Lob Gottes sollte so großartig wie möglich sein. Diese Entwicklung führte schließlich zum vierstimmigen Gesang, man könnte sagen, zum typischen vierstimmigen Choral der Reformation. Diese Entwicklung ist absolut einzigartig in der Geschichte der Menschheit. Nirgendwo sonst hat sich so etwas entwickelt.
Das, was bei uns so gewöhnlich und bekannt ist, ist also etwas ganz Großartiges: der vierstimmige Choral. Er ist normalerweise so aufgebaut, dass man eine einstimmige Melodie hat, die mit Tönen aus dem Dreiklang oder Vierklang begleitet wird.
Ich habe heute Morgen schon erklärt, dass der Dreiklang und der Vierklang keine menschliche Erfindung sind. Sie sind abgeleitet aus den Obertönen. Wenn man zum Beispiel eine Posaune oder eine Flöte überbläst, erhält man zuerst die Oktave, dann die Quint, dann die Quart, die große Terz, die kleine Terz und noch eine kleinere Terz. So entsteht der Dreiklang und der Vierklang. Daraus kann man die ganze spätere Musik ableiten.
Ich habe Harmonie-Lehre, also die Lehre, wie man Akkorde verbindet, und auch Kontrapunkt, wie man mehrstimmige Melodien gegeneinander schreibt, am Konservatorium bei einem israelischen Komponisten, Yehoshua Lackner, gelernt. Die Basis dieses Studiums war der vierstimmige Choral. Damit konnte man die gesamte barocke, klassische und romantische Musik verstehen und hatte das nötige Werkzeug.
Der vierstimmige Choral stellt in der Musikgeschichte einen Höhepunkt dar, von dem aus alles Weitere aufgebaut wurde. Er ist so aufgebaut, dass eine einstimmige Melodie mit Akkorden aus Dreiklängen oder Vierklängen begleitet wird.
Normalerweise kommt auf jeden Ton der Melodie ein neuer Akkord oder eine neue Akkordstellung. So ist ein Choral unglaublich dicht komponiert: Auf jeden Ton folgt ein anderer Akkord oder eine andere Akkordstellung.
Das bewirkt auch, dass man Choräle nicht zu schnell singen kann, weil die Harmoniewechsel so dicht sind, dass das Ohr bei schneller Abfolge überfordert wäre. Es würde nicht schön klingen, daher ist das Tempo entsprechend angepasst.
Diese Dichte zeigt, wie durchkomponiert Choräle sind. Übrigens merkt man die Bedeutung dieser Art des Komponierens sehr deutlich beim Hören. Alle Sinfonien und Konzerte lassen sich auf diese Vierstimmigkeit zurückführen.
Das hört man zum Beispiel sehr schön am Anfang des zweiten Satzes des dritten Klavierkonzerts von Beethoven: Das Orchester wartet noch, dann bringt der Solist das Thema. Man meint, einen Choral zu hören.
Man unterscheidet in der Mehrstimmigkeit zwischen Homophonie und Polyphonie. Homophonie bedeutet, dass die Melodie das Wichtigste ist, und die anderen Töne die Melodie begleiten. Das, was ich vorhin von Beethoven gespielt habe, war Homophonie. Die oberste Stimme ist die wichtigste, alle anderen Stimmen, meist drei, sind Begleitung, die sich an der obersten Stimme orientiert.
Polyphonie, also Vielstimmigkeit, ist so aufgebaut, dass jede Stimme ein Eigenleben hat. Jede Stimme ist eigenständig. Das zeigt sich besonders in Fugen. Die Fugen hat Bach auf den Höhepunkt getrieben.
Ich zeige nur ein Beispiel, das ich nicht näher vorbereitet habe, damit man es hört: Eine Stimme bringt ein Thema, dann setzt eine zweite Stimme fünf Töne höher ein und spielt das gleiche Thema versetzt, also wie ein Kanon. Dann folgen eine dritte und eine vierte Stimme, manchmal auch eine fünfte, je nach Fuge.
Das ist die Fuge Nummer eins aus dem Wohltemperierten Klavier von Bach. Dort können Engführungen auftreten, bei denen drei oder sogar fünf Stimmen parallel, leicht versetzt, geführt werden. Das klingt perfekt.
Bach hatte große Freude daran, mathematisch zu lösen, wie man vier Stimmen so eng führen kann, dass es perfekt klingt. Das ist Polyphonie, eine andere Art der Mehrstimmigkeit.
Man kann sagen: Johann Sebastian Bach bildet den Höhepunkt in der Entwicklung der Polyphonie. Er schrieb oft am Ende seiner Werke „Soli Deo Gloria“ – allein Gott die Ehre.
Er unterschied dabei nicht zwischen geistlichen und sogenannten weltlichen Werken. Für ihn waren alle Werke zur Ehre Gottes bestimmt, zum Beispiel die Brandenburgischen Konzerte. Heute Morgen habe ich einen Satz aus dem zweiten Brandenburgischen Konzert gespielt. Das war für ihn Musik zur Ehre Gottes, obwohl es nur Instrumente waren.
Nach der Pause werden wir deutlicher sehen, was genau mit der Ehre Gottes gemeint war.
Oft nahm Bach ein leeres Notenblatt und schrieb zuerst „J.J.“, die Abkürzung für „Jesu Juva“ – „Jesus hilf“. Er rechnete ganz bewusst mit der Hilfe Gottes beim Komponieren. Er sah sich nicht als Genie, sondern glaubte, dass jeder, der so fleißig arbeitet wie er, ähnliche Leistungen erbringen kann.
Das ist einfach Fleiß und Hingabe. Er war einer der besten Organisten Europas. Aber er war überzeugt, dass man durch Übung und Einsatz so gut werden kann wie er.
Wichtig für Bachs Musik ist die typische reformatorische Musik, die bewusst für die Gottesdienste in der reformierten Kirche vorgesehen war. Diese Kirche war noch stark von den Grundsätzen der Reformation geprägt: sola scriptura – allein die Schrift, sola fide – allein durch Glauben, und sola gratia – allein durch Gnade.
Bach war ein tiefgläubiger Mann. Von ihm existiert noch seine zweibändige Lutherbibel mit zahlreichen Randbemerkungen. Besonders interessant sind seine Anmerkungen in den Chronikbüchern über die Musik bei David. Das hat ihn besonders angesprochen und für seine Werke inspiriert.
Ganz wichtig ist, wie Bach die christliche Musik gestaltet hat. Er baute auf der Tradition der früheren 1600 Jahre auf, befreite die frühere christliche Musik aber völlig von der Mystik.
Wenn man seine Werke hört, zum Beispiel die Matthäus-Passion oder das Weihnachtsoratorium, spürt man diese Mystik nicht mehr. Es ist Musik, die die Herzenshingabe an Gott ausdrückt, aber nicht in einer abgehobenen mystischen Weise. Der Verstand ist vollkommen präsent.
Für Bach war Musik keine Trennung von Herz und Verstand, sondern eine Einheit. Genau wie die Bibel, die Herz und Denken nicht trennt. Die Bibel betrachtet das Herz als Sitz der Gefühle, aber auch als Sitz des Denkens. Fühlen und Denken sind eine Einheit.
So sieht man in Bachs Fugen eine komplexe Mathematik, die dennoch das Herz erreicht. Sie drücken die inneren Empfindungen und Gefühle aus, die Gott uns gegeben hat – von tiefster Trauer bis zu größter Freude.
An dieser Stelle machen wir eine Pause. Danach beginnen wir mit einem Musikbeispiel von Bach, aus dem man die gesamte harmonische Musik ableiten kann.
Bedenken wir noch einmal: Dreiklang und Vierklang sind eine Gabe Gottes, die in der Schöpfung vorgegeben ist.
Wir kommen auf unserem Schnellgang durch die Musikgeschichte der letzten zweitausend Jahre zu siebtens: der Barockmusik. Die Zeit von 1600 bis 1750, dem Todesjahr von Johann Sebastian Bach, wird als Barockzeit bezeichnet. In dieser Epoche wirkten Komponisten wie Bach, Albinoni, Vivaldi und viele andere.
Die Musik, die in dieser Zeit entstand, wurde unabhängig davon komponiert, ob die Komponisten persönlich bekehrte Christen waren, wie zum Beispiel Johann Sebastian Bach. Allgemein war jedoch das Bedürfnis vorhanden, dass die Musik zur Ehre des Schöpfergottes dienen sollte. Man war überzeugt, dass Musik eine künstlerische, menschlich-künstlerische Widerspiegelung der Ordnung und Harmonie in der Schöpfung sein müsse.
Wenn wir die Natur betrachten, erkennen wir überall Ordnung – heute würde man von Design sprechen. Dieses Design sollte in der Musik abgebildet werden als Verherrlichung des Schöpfergottes. Weiter dachte man sich die Musik als künstliche Umsetzung der Sprache. Barocke Musik muss so gespielt werden, als würde man sprechen. Man artikuliert deutlich, beschleunigt manchmal ein wenig und verlangsamt dann wieder. Diese Ausdrucksweise ist die Idee hinter dieser Musik.
Die Musik orientiert sich also an der Sprache. Dabei war man sich bewusst, dass Gott dem Menschen die Sprache gegeben hat. Die Sprache ist nicht einfach das Werk des Menschen, sondern Gott hat den Menschen sprachfähig erschaffen (1. Mose 2). Auch die verschiedenen Sprachen beim Turmbau von Babel stammen von Gott. Man war sich in dieser Zeit bewusst, dass Europa von einem christlichen Konsens geprägt war. Auch wenn nicht jeder persönlich eine Beziehung zu Gott durch Jesus Christus hatte, war die Gesellschaft sich über christliche Grundwerte einig.
Es herrschte ein allgemeiner christlicher Konsens, und es war klar, dass die Bibel Gottes Wort ist – das Wort, in dem sich Gott durch Sprache dem Menschen mitgeteilt hat. Diese Sprache war das Vorbild für die gesamte barocke Musik.
Beachten wir außerdem, dass diese Zeit in die Epoche großer Entdeckungen in der Astronomie fällt. Der Mensch wurde sich bewusst, wie wunderbar die Sternenwelt geordnet ist, wie der Lauf der Planeten funktioniert und wie die physikalischen Zusammenhänge mit Masse und Anziehung ein geordnetes System ergeben. Dieses Wissen wurde allgemein bekannt. Namen wie Kepler (1571–1630), Galilei (1564–1642) und Newton (1643–1727, ebenfalls ein überzeugter Christ) stehen für diese Epoche.
In dieser Zeit wurde in Europa allgemein Wissenschaft betrieben, ermutigt durch die Bibel. Die Bibel fördert die wissenschaftliche Erforschung der Natur, jedoch nicht zur Selbstverherrlichung des Menschen, wie es heute oft der Fall ist, sondern um die Größe Gottes zu erkennen. Psalm 111, Vers 2 sagt: „Groß sind die Taten des Herrn, sie werden erforscht von allen, die Freude an ihnen haben.“
So war es der Wunsch, wenn man beispielsweise Violinkonzerte von Vivaldi oder Albinoni hört, dass diese Musik die Ordnung in der Schöpfung widerspiegeln sollte, die der Schöpfer hineingelegt hatte. Dies kommt besonders in den Fugen zum Ausdruck. Ich habe bereits erklärt, was Fugen sind – sie ähneln einem Kanon, sind aber noch komplizierter.
Diese Komplexität beeindruckte die Menschen damals tief und wurde künstlerisch umgesetzt. Nun möchte ich ein Beispiel für diese Musik geben, die man unter diesem Hintergrund ganz anders wahrnimmt.
Ich versuche, einen Satz aus dem Tripelkonzert von Bach in A-Moll zu spielen. Dieses Konzert ist für Solovioline, Solocembalo, Flöte und Orchester geschrieben. Der letzte Satz, Allegro, ist eine aufregende Fuge, in der man immer wieder die Stimmen hört, die sich überlagern. Darauf sollte man beim Hören achten.
Bach schrieb auch ruhige Stücke, aber es konnte auch mal sehr lebhaft zugehen, wie in diesem Fall. Die Musik zeigt die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle, die jedoch in klaren Bahnen zum Ausdruck kommen. Wenn man den Hintergrund dieser Musik kennt, hört man sie ganz anders: Die Stimmen gehen gegeneinander, ergeben aber immer eine vollkommene Harmonie. Das soll zeigen, wie Gott die Schöpfung so wunderbar gemacht hat – komplex, und doch funktioniert alles zusammen. Darum atmen wir tagtäglich, so wie er es tut.
Wir gehen weiter in der Betrachtung der Geschichte und kommen nun achtens zur Periode, die man als Klassik bezeichnet, ab 1750. Es ändert sich einiges im Denken der Menschen. Die Reformation wurde durch die Gegenreformation mit grausamen Kriegen beantwortet. Das weckte bei vielen Menschen eine Abscheu vor allem, was mit Glauben und Religion zu tun hatte.
So entstand die Aufklärungszeit, in der man sich nicht mehr so sehr mit göttlichen Dingen und Gottes Wort beschäftigen wollte, sondern sich mehr auf den Menschen selbst konzentrierte. Der Mensch rückte ins Zentrum des Denkens.
In dieser Zeit wird die Musik immer mehr Ausdruck zutiefst menschlicher Gefühle und Empfindungen. Das war sie zwar auch schon früher, wie ich gezeigt habe, aber man bemerkte, dass die Melodien oder Themen im Barock sehr architektonisch konstruiert waren. Diese waren nicht unbedingt eingängig, wie Melodien, die man unter der Dusche pfeift. Das lag daran, dass die Musik im Barock eine Antwort auf die Ordnung in der Schöpfung sein sollte.
Jetzt steht der Mensch im Mittelpunkt, und man konzentriert sich auf seine Gefühle und Empfindungen – Freude, Traurigkeit, Melancholie, Jubel. Wir haben die Zeit von Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven und vielen anderen. Man wendet sich von der komplexen Konstruktion wie bei Bach ab.
Schon die Söhne von Bach sagten: „Unser Vater komponiert so altmodisch.“ Sie begannen, nette, flotte Melodien zu erfinden. Man entwickelte eingängige, graziöse und liebliche Melodien. Das Ganze blieb konstruktiv; es war nicht zerstörerisch, sondern man suchte weiterhin das Ideal der Schönheit.
Wenn wir daran denken, dass Musik ursprünglich aus dem himmlischen Paradies stammt, ist die Musik, die der Mensch macht, als Ausdruck der Schönheit auch Ausdruck der Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies. So muss man die Schönheit gerade in der Klassik hören.
Die Klassik ist stark von der Aufklärungszeit geprägt, in der die Vernunft des Menschen als höchste Instanz galt – nicht mehr Gott. Darum steht der Mensch im Mittelpunkt. Die Aufklärungsphilosophie lehrte, dass Gott nicht in den Lauf der Welt eingreift, es keine Wunder und nichts Übernatürliches gibt. Auch die Wunder in den Evangelien galten als unglaubwürdig.
Man entwickelte einen optimistischen Fortschrittsglauben: Die Wissenschaft werde alle Probleme lösen, die Gesellschaft werde sich verbessern, demokratisch werden und am Ende eine ideale Welt schaffen. Kant formulierte das ganz klar. Der Mensch steht im Zentrum.
Trotzdem komponierte man weiterhin in einer christlichen Tradition. Das ist wichtig. Die christliche Tradition umfasst auch die Ausgeglichenheit von Spannung und Entspannung, von laut und leise, von bewegt und langsam. Diese Grundprinzipien hat Gott in die Schöpfung und in das Wesen des Menschen gelegt.
Alle unsere Abläufe verlaufen in Perioden: Das Herz schlägt, dann schlägt es wieder langsamer. Es ist nicht gut, wenn das Herz immer auf höchster Stufe schlägt, aber ab und zu ist das nötig. Mein ältester Sohn ermahnt mich, jeden Tag mindestens einmal das Herz auf höchste Stufe zu bringen. Diesen Wechsel brauchen wir, das ist ganz natürlich.
Nun möchte ich ein Beispiel für das Graziöse in der Klassik geben. Obwohl ich etwas müde bin, versuche ich, den zweiten Satz aus dem Violinkonzert Nummer zwei in D-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart zu spielen.
Übrigens trat Mozart erst relativ spät in seinem Leben dem Freimaurerorden bei, in die Loge. Alles vor KV 414 entstand vor diesem Zeitpunkt. Bis dahin findet man keinen Einfluss der Freimaurerei in seiner Musik. Später, zum Beispiel in der Zauberflöte, wird dieser Einfluss deutlich. Aber auch nicht alle Kompositionen zeigen diesen Wandel, die Musik ändert sich nicht einfach so.
Hier hören Sie KV 211. Man merkt vielleicht, dass diese Musik ganz anders gespielt wird als Bach. Bei Bach verwendet man einen kräftigen Bogenstrich mit viel Gewicht, hier muss man abheben, alles ist leicht, graziös, auch das Vibrato ist anders – es gehört zum Lieblichen, das in der Klassik gesucht wird.
Ich habe vor Jahren ein Büchlein geschrieben, eine Mozart-Biographie mit dem Titel „Zwischen Ideal und Abgrund“. Darin habe ich herausgearbeitet, welcher Gegensatz zwischen der Schönheit in seiner Musik und den moralischen Tiefen in seinem Leben besteht. Mozart war ein Sünder, der sich nach dem verlorenen Paradies sehnte. Er suchte den falschen Weg, nämlich über Esoterik, statt über den Erlöser Jesus Christus, wie er es aus den Bach-Chorälen hätte wissen können. Er schätzte diese Musik sehr.
Wir gehen weiter, denn wir sollten ja um fünf Uhr zum Schluss kommen.
Wir kommen neuntens zur Romantik im neunzehnten Jahrhundert. Das ist die Musik mit Felix Mendelssohn, einem Judenchrist. Sein Vater trat vom Judentum zum Christentum über, einfach Felix zuliebe, weil der kleine Felix als Jude oft geplagt wurde. Felix ist dann in der reformierten Kirche aufgewachsen und war überwältigt von den biblischen Lehren. Diese hat er richtig aufgesogen.
Zum Beispiel verkehrte er in vielen Kreisen mit anderen Komponisten, etwa mit dem französischen Komponisten Berlioz, der oft über Gott und sein Wort gespottet hat. Das hat Felix zutiefst erschüttert.
Felix Mendelssohn war also einer der großen Komponisten der Romantik. Weitere bedeutende Komponisten dieser Zeit sind Frédéric Chopin, Franz Liszt, Edvard Grieg, Peter Tschaikowski und viele mehr. Die Auswahl ist dabei sehr willkürlich.
Die Musik in dieser Zeit ist Ausdruck persönlicher und völlig subjektiver Empfindungen und Gefühle.
Ich habe gerade gesagt, dass man in der Klassik die menschlichen Gefühle gesucht hat, aber im Wesentlichen objektiv. Das heißt: Mozart wollte ein Stück schreiben, das fröhlich sein sollte, aber nicht, weil er in dem Moment selbst fröhlich war. Es gibt erstaunliche Entdeckungen, dass Mozart in einem wirklichen Tief war wegen Erlebnissen in seiner Familie, und gleichzeitig schreibt er das fröhlichste, aufgestellte Stück.
Die Musik sollte bei ihm also nicht der Ausdruck dessen sein, was er fühlt, sondern einfach objektiv das darstellen, was man als Mensch fühlen kann: Freude, Lebenslust oder Traurigkeit.
In der Romantik dagegen drückt der Komponist seine subjektiven, eigenen Gefühle aus. In dieser Zeit sucht man die Grenzen, man strebt immer mehr Virtuosität an. So holt man auf der Geige noch viel mehr Technik heraus als zuvor, auch am Klavier und auf allen möglichen Instrumenten. Man sucht die Grenzen dessen, wie weit man gehen kann.
Auch beim Orchester sucht man die Grenzen. Die Orchester werden immer größer, oft mit hundert Musikern oder noch mehr. Man sucht auch in den Gesetzen der Harmonien die Grenzen und beginnt zum Beispiel, den Grundton zu verschleiern.
Man kann zwar immer noch sagen, dass ein Stück in C-Dur oder G-Moll ist, aber es kann sein, dass man gar nicht mehr hört, in welcher Tonart man sich befindet. Man spürt das Fundament nicht mehr so deutlich. Alles wird langsam subjektiv. Es ist zwar noch da, aber man hört es nicht unbedingt. Man sucht also auch die Grenzen des tonalen Systems.
Die Romantik ist die Zeit, die über die Aufklärung hinausgeht. Die Aufklärer glaubten zwar immer noch an den Schöpfergott, sagten aber, er greife nicht in den Lauf der Zeit ein. Nur am Anfang habe er alles erschaffen. Irgendwie musste man sich ja den Ursprung der Welt erklären.
Im neunzehnten Jahrhundert kommt Charles Darwin mit seinem ersten Buch über die Evolutionslehre (1859). Seine Lehre besagt, dass die Entstehung des Lebens ohne Schöpfergott erklärt werden kann. Ludwig Feuerbach vertritt die Ansicht, Gott sei nur eine Projektion des menschlichen Gehirns. Friedrich Nietzsche sagt: „Gott ist tot.“ Er glaubt zwar nicht, dass Gott jemals gelebt hat, aber er meint, dass in unserer modernen Zeit die Idee von Gott endgültig vorbei ist.
Das war aber auch die Zeit der industriellen Revolution, in der Menschen grausame Arbeit in Fließbandarbeit verrichten mussten. Der Mensch wurde zur Maschine degradiert. Viele Menschen merkten, dass etwas aufkommt, das nicht gut ist und uns in eine Sackgasse führt.
Viele Künstler suchten als Reaktion auf diese Technisierung des Alltags- und Berufslebens eine Flucht in die innere Gefühlswelt. Gerade im Gegensatz zu dieser gefühllosen Maschinerie in der Arbeit entstanden subjektive Anschauungen. Man dachte: „Du denkst so, ich denke so.“ Alles kann nebeneinander bestehen. Es geht nicht mehr so sehr um die Frage nach absoluter Wahrheit.
All diese Entwicklungen spiegeln sich in der Musik wider. Die Musik steht aber immer noch in einer christlichen Tradition, in der Schönheit angestrebt wird. Auch der Ausgleich zwischen Spannung und Entspannung bleibt erhalten. Das Schöpfungsgemäße bleibt also immer noch bestehen. Der Rhythmus bleibt ein atemrhythmischer Rhythmus und wird nicht motorisch.
So haben die Musiker diese Entwicklungen in ihren Kompositionen abgebildet. Musik ist immer auch ein Spiegel der Zeit und dessen, was die Menschen besonders bewegt.
Ich gebe jetzt ein kurzes romantisches Beispiel, da wir nicht genug Zeit haben. Es ist ein virtuoses Geigenstück von César Cui mit dem Titel „Oriental“. Es ist ein nahöstliches Konzertstück für Violine und Orchester in G-Moll.
Besonders ist an diesem Stück die nahöstliche G-Moll-Tonart, die man auch aus der alttestamentlichen Musik kennt. Hier wird sie wieder aufgegriffen. Ich habe erklärt, dass man die Grenzen des Möglichen sucht, auch in der Technik. So ist es ungewöhnlich, dass in diesem Stück gestrichen und gezupft wird, ganz durcheinander.
Trotzdem wird das Schöne angestrebt, ebenso wie das Ausgeglichene in der Rhythmik.
Ja, und nun, in der letzten Viertelstunde, kommen wir zur Neuzeit ab dem zwanzigsten Jahrhundert, Punkt zehn. In dieser Zeit entwickeln sich ganz neue Musikstile. Man spricht vom Impressionismus, der besonders mit Maurice Ravel und Claude Debussy in Frankreich verbunden ist. Es entsteht die atonale Musik, dann die Zwölftonmusik, die serielle Musik, die musique concrète ab den 1950er Jahren sowie die Zufallsmusik mit John Cage. So verlief die Entwicklung.
Ich habe bereits erklärt, dass in der Romantik die Tonart verschleiert wird, obwohl man immer noch klar in einer Tonart ist. Man weiß also, was die Grundlage ist: G-Moll ist G, der Grundton, und darauf kommt man auch wieder zurück am Schluss. Früher wusste man genau, was das Fundament war. Darum ist barocke Musik fundamentalistische Musik und, wie ich erklärt habe, im strengen Sinn des Wortes kreationistische Musik.
In der Romantik wird dieses feste Fundament verschleiert, und im Impressionismus wird es gar aufgelöst. Man braucht zwar immer noch die gleichen Dreiklänge wie früher, aber man erweitert sie zum Beispiel zu Vierklängen und Fünfklängen, indem man Terz auf Terz auf Terz schichtet. Das ist der Dreiklang, das ist der Vierklang, dann sagt man sich: Jetzt machen wir einen Fünfklang und schichten nochmals zu all diesen Terzen eine Terz hinzu. Dann entsteht der Septakkord, der eine ganz eigenartige Klangfarbe besitzt.
Lodöbisi benutzt diese Akkorde einfach, um Klänge zu malen. Es geht ihm nicht mehr darum, streng in F-Dur zu bleiben und nach den alten Regeln zu komponieren, wie die Tonarten und Töne hierarchisch verknüpft sind. Man kann sich da locker darüber hinwegsetzen. Man könnte auch eine andere Tonleiter entdecken, zum Beispiel eine, die nur ganze Töne enthält, ohne Halbtöne. Dann gibt es sechs Töne, das ist die hexatonische Leiter. Diese hat aber keinen Grundton mehr, weil alle Abstände gleich sind und es keine Hierarchie der Töne mehr gibt.
Man kann also so spielen: Welche Tonart sind wir? C? Nein. Was ist der Grundton? E? Nein. Es ist völlig in der Schwebe, man kann gar nicht mehr sagen, was der Grundton ist. Die Musik ist so malerisch, man kann expressionistisch Gefühle und Farben ausdrücken und ist nicht mehr an die früheren Regeln gebunden.
Andere Komponisten sagten sich jedoch: Warum überhaupt noch diese Akkorde von früher? Diese Dreiklänge sind uns langsam zum Hals herausgehangen. So entstand die atonale Musik. Dort gibt es keinen Grundton mehr, und die Dreiklänge werden je nach Möglichkeit sogar vermieden. So bricht man das ganze System auf. Das klingt dann etwa so. Ja, also das ist DRS zwei am Abend.
Diese Hierarchie der Töne hat bei vielen Komponisten Unbehagen bis hin zu Ängsten ausgelöst. Wohin kommen wir? Es gibt überhaupt keine Grundlage mehr, keine Regeln mehr, man kann machen, was man will. Natürlich komponiert man immer noch atemrhythmisch und nicht einfach nur hässlich. Man kann sich da hineinhören, und plötzlich kann man das gar nicht mehr als hässlich empfinden, obwohl es alles dissonant ist.
Mein Lehrer Jehuschua Lackner liebte nicht die laute Musik, sondern komponierte ganz leise Stücke, aber eben ad tonal. Es gibt jedoch keine festen Werte mehr. Man fragte sich: Wie können wir da Ordnung hineinbringen? Darum ist Arnold Schönberg wichtig, ein Jude, der sich sagte: Wir müssen ein System einführen.
Er überlegte: Wir haben ja zwölf Töne insgesamt. Nun macht er die Regel auf, dass in der Zwölftonmusik eine Reihe von zwölf Tönen festgelegt wird, in der kein Ton bevorzugt wird. In dieser Reihe müssen alle zwölf Töne einmal vorkommen, bevor ein Ton wiederverwendet werden darf. Es kann so sein, dass die Reihe in mehreren Stimmen erklingt, aber die Regeln müssen strikt eingehalten werden. Damit wollte er Ordnung ins Chaos bringen.
Wir merken jedoch, dass es eine künstlich erfundene Ordnung ist, die niemand hört. Schönberg selbst sagte, er höre seine Zwölftonreihen, und das glaube ich ihm auch. Er hat sich so stark in seine eigene Musik hineingehört, dass er diese Reihen wahrnehmen konnte. Der normale Zuhörer nimmt das jedoch nicht wahr; es klingt für ihn wie atonale Musik.
Dabei kommen Gedanken auf: Es gibt keine Hierarchie, keinen absoluten höchsten Punkt, keinen Gott. Es gibt nicht die Notwendigkeit, dass Gott über dem Menschen steht, alles ist gleich. Diese Gedanken spiegeln auch den Kommunismus wider. Im frühen zwanzigsten Jahrhundert gab es die kommunistische Revolution in Russland, mit der Idee, dass alle gleich sind und es keine Klassen mehr gibt. Dieses Gedankengut kommt hier tief zum Ausdruck.
Später sagten andere Komponisten, die Zwölftonmusik sei nicht konsequent genug. Sie wollten nicht nur die Töne in Reihen setzen, sondern auch die Lautstärken. So legte man eine bestimmte Reihenfolge der Lautstärken fest, zum Beispiel zuerst ein lauter Ton, dann ein leiser Ton, dann ein etwas lauterer Ton und so weiter. So entstanden feste Strukturen, nicht nur für Tonhöhen, sondern auch für Tonlängen und Tonstärken. Das nennt man serielle Musik.
Karlheinz Stockhausen in Deutschland meinte später, die anderen seien nicht konsequent, weil sie immer noch mit dem gleichen Material von früher arbeiteten, den zwölf Tönen. Er begann, mit elektronischer Musik zu experimentieren und teilte die Oktave bewusst in fünf Teile, nicht mehr in zwölf. Die neuen Töne stimmen also nicht mehr mit den bisherigen überein. Das ganze System sollte verworfen werden.
Dann kam die musique concrète. Man sagte: Eigentlich ist ja alles Musik. Geräusche aus der Fabrik, von der Straße oder wenn man irgendwo draufschlägt – all das kann man zu Musik verarbeiten. Das ist musique concrète.
John Cage vertrat die Ansicht, das Dasein sei reiner Zufall, es gebe keinen Sinn im Leben und keine Planung. Darum solle Musik auch Zufall sein. Er entwarf Konzepte, bei denen der Interpret auf der Bühne das Stück nach völligen Zufallsprinzipien spielen soll.
So haben wir eine Anarchie der Töne, eine künstliche Ordnung in der Zwölfton- und Serienmusik, Zufall und alles ist erlaubt. Es gibt keine festen Regeln mehr, an die man sich halten kann.
Das spiegelt genau das zwanzigste Jahrhundert wider, das im Microsoft-Lexikon im Artikel über Europa als das schreckliche zwanzigste Jahrhundert beschrieben wird. Mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, wie es sie früher nie gab. Im zwanzigsten Jahrhundert sind 190 Millionen Menschen durch Kriege und Verfolgungen gestorben.
Die Ideen des 18. und 19. Jahrhunderts erobern nun die Massen, und wir stellen in unserer Gesellschaft des zwanzigsten Jahrhunderts eine allgemeine Desorientierung fest. Man weiß nicht mehr, was oben und was unten ist. In der Schule wissen sie nicht mehr, ob sie beten oder meditieren sollen. Sie wissen: meditieren, aber sicher nicht beten. Schulgebet ist verboten im Kanton Zürich, aber meditieren wird gemacht.
Diese Desorientierung führt zu einer Entfremdung. Man weiß nicht mehr, woran man sich halten soll, man ist eigentlich nirgends zuhause. Es gibt eine Destabilisierung. Die Kinder wissen auch nicht mehr, was Recht und Unrecht ist. Die Werte werden aufgelöst – mit Abtreibung, mit der ganzen Unmoral ab den 1960er Jahren, mit Konkubinat, Homosexualität und so weiter, die propagiert werden. Es ist eine Auflösung der Werte.
Das wird genau in dieser Musik widergespiegelt. Das Eigenartige ist: Wenn man in Konzerten Barockstücke, Klassik und Romantik hört, gehört natürlich zu einem guten Programm auch ein Stück aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Man merkt, wie die Leute auf dem Stuhl rutschen und sich unwohl fühlen.
Dabei müssten sie sich dort am wohlsten fühlen, denn diese Musik drückt genau aus, wie die meisten von ihnen denken. Aber sie fühlen sich wohler bei barocker Musik, bei der kreationistischen Musik. Irgendwie ist das Gefühl in diesem Moment weiser als die Vernunft. Irgendetwas stimmt nicht. Ja, es stimmt etwas nicht, und das wird hier so schön, so anschaulich demonstriert.
Ja, aber wir haben in der Bibel Gottes Antwort auch auf das zwanzigste und das einundzwanzigste Jahrhundert. In Ezechiel 33,11 heißt es: „Sprich zu ihnen: So wahr ich lebe, spricht der Herr, der Ewige, ich habe keinen Gefallen am Tod des Gesetzlosen, sondern dass der Gesetzlose von seinem Wege umkehre und lebe. Kehrt um, kehrt um von euren bösen Wegen, denn warum wollt ihr sterben?“
Wir haben heute bewusst nicht über Rockmusik, über Rock'n'Roll, Techno und so weiter gesprochen, weil ich früher einmal einen Bibelschulentag, einen Nachmittag über dieses Thema gemacht habe. Dieses Thema sollte man hier jetzt noch integrieren, indem man die Kassette vielleicht dazu nimmt, wenn man das nicht gehört hat. Das gibt dann ein vollständiges Bild.
Ich bin also bewusst jetzt auf dieser Schiene gefahren, um zu zeigen, wie man sowohl in dieser Musik als auch in der populären Musik, in der Rockmusik, diese Auflösung im zwanzigsten Jahrhundert illustrieren kann. Und hier haben wir Gottes Antwort zu einer orientierungslosen Welt.
Gott möchte nicht den Tod des Gesetzlosen. Aber wer so weitergeht, ohne Gott, wie er gegangen ist, geht verloren. Und Gott ruft: „Kehrt um, kehrt um von euren bösen Wegen, denn warum wollt ihr sterben?“
Gott möchte uns vor dem ewigen Tod bewahren, und darum hat der Herr Jesus auf Golgatha als Erlöser gelitten, um unsere Schuld von uns wegzunehmen, wenn wir sie ihm reuig im Gebet bekennen und aufdecken. So bekommt der Mensch wieder ein Fundament. Aber ein Fundament, das hält, nicht ein künstliches Fundament, nicht eine künstliche, menschlich erdichtete Ordnung, sondern die Ordnung, die Gott gibt, die Antwort, die Gott gibt.
Ja, dann sind wir soweit doch durchgekommen durch diese zweitausend Jahre.
Vielen Dank an Roger Liebi, dass wir seine Ressourcen hier zur Verfügung stellen dürfen!
Noch mehr Inhalte von Roger Liebi gibt es auf seiner Webseite unter rogerliebi.ch