Heute kommen wir zu Psalm 22, dem wohl bekanntesten der messianischen Psalmen. Wir lesen das gesamte Kapitel gemeinsam.
Reihum beginnt jemand mit Psalm 22, Vers 1.
Einführung in Psalm 22 und erste Klage
Vorsänger auf Hinden der Morgenröte, ein Psalm Davids:
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Du bist weit entfernt davon, mir zu helfen, und hörst nicht auf die Worte meiner Klage.
Mein Gott, ich rufe bei Tage, doch du antwortest nicht,
und auch des Nachts finde ich keine Ruhe.
Aber du, der Heilige, bleibst Israels Lobgesandter.
Auf dich haben unsere Väter vertraut, sie vertrauten auf dich, und du hast sie errettet.
Zu dir riefen sie und fanden Rettung,
auf dich vertrauten sie und wurden nicht zu Schanden.
Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch,
ein Spott der Leute und verachtet vom Volk.
Alle, die mich sehen, spotten über mich.
Sie reißen den Mund auf und schütteln den Kopf:
„Er soll doch auf den Herrn vertrauen,
der soll ihn befreien, der soll ihn retten,
er hat ja Lust an ihm.“
Die Erfahrung tiefster Verlassenheit und Verachtung
Du hast mich aus dem Mutterleib gezogen und mich an der Brust meiner Mutter geboren lassen. Auf dich bin ich geworfen von Geburt an; du bist mein Gott von meiner Mutter Schoß an.
Sei nicht fern von mir, denn Not ist nahe, und niemand hilft mir.
Große Stiere umgeben mich, mächtige Ochsen von Basan umringen mich. Sie sperren ihr Maul weit auf gegen mich, wie ein reißender und brüllender Löwe.
Wie Wasser bin ich ausgespien worden, und alle meine Gebeine sind zertrennt. Mein Herz ist wie Wachs geworden, es ist zerschmolzen mitten in meinen Eingeweiden.
Meine Kraft ist vertrocknet wie eine Tonscherbe, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen. In den Staub des Todes legst du mich.
Denn Hunde haben mich umgeben, eine Rotte von Übeltätern hat mich umzingelt. Sie haben meine Hände und meine Füße durchgraben.
Sie schauen und sehen mich spöttisch an. Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los über mein Gewand.
Hilferuf und Vertrauen auf Gottes Rettung
Aber du, Herr, sei nicht ferne, meine Stärke, eile mir zu helfen! Errette meine Seele vom Schwert, mein Leben von den Hunden. Hilf mir aus dem Rachen des Löwen und vor den Hörnern wilder Stiere!
Du hast mich erhört, darum will ich deinen Namen kundtun meinen Brüdern. Ich will dich in der Gemeinde rühmen. Rühmet den Herrn, die ihr ihn fürchtet, ehret ihn, ihr alle vom Hause Jakob! Und vor ihm scheuet euch, ihr alle vom Hause Israel!
Denn er hat das Elend des Armen nicht verachtet noch verschmäht, und sein Antlitz vor ihm nicht verborgen. Als er zu ihm schrie, hörte er es.
Von dir kommt mein Lobgesang in großer Versammlung. Ich will meine Gelübde erfüllen vor denen, die ihn fürchten.
Die Sanftmütigen werden essen und satt werden, und diejenigen, die den Herrn suchen, werden ihn loben. Euer Herz wird leben für immer!
Es werden daran gedenken und zum Herrn umkehren alle Enden der Erde. Vor dir werden niederfallen alle Geschlechter der Nationen, denn dem Herrn gehört das Königtum. Er herrscht über die Nationen.
Es aßen und fielen nieder alle Fetten der Erde. Vor ihm werden sich beugen alle, die in den Staub hinabfahren, und der, der seine Seele nicht am Leben erhalten konnte.
Nachkommen werden ihm dienen. Man wird ihm vom Herrn erzählen, einem Geschlecht, das kommen wird. Sie werden verkünden seine Gerechtigkeit einem Volk, das noch geboren wird.
Denn er hat es getan, ja, wir haben das auch schon gesehen.
Historischer Kontext und prophetische Bedeutung des Psalms
Ein Psalm von David, der jedoch eindeutig nicht von David selbst handelt und in dem David nicht seine eigenen Erfahrungen beschreibt, ist zum Beispiel Psalm 16.
Ein Psalm, der klar Davids eigene Erlebnisse widerspiegelt, ist hingegen Psalm 3. Dort schreibt David in der Überschrift, dass es ein Psalm von ihm ist, als er vor seinem Sohn Absalom floh. Daraus wird deutlich, dass der Psalm die Not ausdrückt, die David erlebt hatte, als er vor seinem eigenen Sohn fliehen musste.
Im Gegensatz dazu hatten wir beim letzten Mal Psalm 16 betrachtet. Dort findet sich ein Psalm, den Petrus in seiner Pfingstpredigt in Apostelgeschichte 2 erklärt. Er sagt, unser Vater, der Patriarch David, sei gestorben und sein Körper habe die Verwesung erfahren. Dennoch schreibt David in diesem Psalm, dass sein Körper nicht verwesen soll. Das zeigt sich besonders in Psalm 16, Vers 10: „Denn meine Seele wirst du dem Scheol nicht lassen, wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Verwesung sehe.“
Petrus konnte mit dieser Stelle in Apostelgeschichte 2 belegen, dass Psalm 16 nicht von Davids eigener Erfahrung handelt. David selbst ist schließlich verwest. Vielmehr spricht der Psalm von jemandem, der stirbt, dessen Körper aber nicht verwesen wird. So erklärt der Apostel, dass David ein Prophet war und vorausschauend von der Auferstehung des Messias sprach.
Psalm 22 als prophetische Voraussage des Messias
Nun haben wir dasselbe hier im Psalm 22. Wie können wir beweisen, dass es sich hier nicht um Davids Erfahrungen handelt? Können wir dazu einige Punkte zusammentragen?
Jemand könnte argumentieren, dass dies ein Psalm Davids sei und der Herr Jesus einfach den Psalm Davids gebetet habe. Aber gibt es einen eindeutigen Beweis, dass es hier nicht um David geht?
Ein Beispiel dafür ist der Vers: „Sie teilen meine Kleider unter sich.“
Außerdem heißt es: „Sie haben meine Hände und Füße durchgraben.“
Damit haben wir zwei Argumente. Erstens: Im Leben Davids wird nirgends beschrieben, dass man seine Kleider zerteilt hätte. Das finden wir auch nicht in 1. oder 2. Samuel.
Zweitens: Noch viel deutlicher ist das, was wir im Vers 17 am Schluss finden: „Sie haben meine Hände und meine Füße durchgraben.“ Das hat David nie erlebt.
Daher spricht David hier prophetisch über eine andere Person.
Messianische Deutung im Judentum und Christentum
Im Judentum wird Psalm 22 auf den Messias bezogen. Dies zeigt sich insbesondere in der rabbinischen Literatur, etwa im Buch „Besigta Rabbatti“. In den Kapiteln 36 und 37 werden Verse aus diesem Psalm zitiert, und es wird erklärt, dass sich diese auf den Messias beziehen, der für die Sünden Israels leiden soll.
Somit wurde dieser Psalm auch im Judentum ganz klar auf den Messias bezogen. Allerdings wurde dieses Buch erst nach dem Tod Christi verfasst. Dieser jüdische Kommentar wurde also nach Christi Tod geschrieben.
Das macht die Sache umso erstaunlicher. Denn eigentlich hätte man erwarten können, dass das rabbinische Judentum nichts damit zu tun haben möchte, dass Jesus Christus als Erfüllung messianischer Prophetien angesehen wird. Man hätte also vermuten können, dass ein Interesse daran besteht, eine Interpretation eines leidenden Messias nach Psalm 22 nicht als messianisch zu verstehen.
Trotzdem wird Psalm 22 im Judentum auf diese Weise ausgelegt – unabhängig davon, dass sich genau darin die Ereignisse um Jesus Christus erfüllen. Denn durch die Kreuzigung wurden ihm Hände und Füße durchbohrt, wie es in Psalm 22 angedeutet wird.
Dennoch findet man im Judentum diese Auslegung, die von einer zweiten Person ausgeht, die auf diese Weise stirbt. Natürlich gibt es im Judentum die Argumentation, dass der Messias noch nicht gekommen sei. Dennoch hätte man sagen können, dass Psalm 22 sich nicht auf den Messias bezieht, gerade weil sich die Details so deutlich in Jesus Christus erfüllt haben.
Trotzdem blieb man bei dieser Überzeugung. Das bedeutet, dass die Auslegung bei Christen oft so gesehen wird, dass sie deshalb so interpretiert wird, weil sie gut auf Jesus Christus passt. Doch im orthodoxen Judentum kommt man zu derselben Auslegung – ganz unabhängig vom Ereignis der Kreuzigung.
Zwei Messiasfiguren im Judentum und ihre Verbindung zum Neuen Testament
Ja, wir haben schon früher gesehen, dass im Judentum festgestellt wurde, dass es im Alten Testament Stellen gibt, die von einem leidenden Messias und einem herrschenden Messias sprechen.
Weil es schwierig war, diese beiden Beschreibungen miteinander zu verbinden, wurde die Ansicht vertreten, dass es zwei verschiedene Messiasse gibt. Der Messias Sohn des Josef ist der Leidende, der ähnlich wie Josef gelitten hat. Der Messias Sohn Davids hingegen ist der, der herrschen wird, so wie David geherrscht hat.
Interessanterweise hat Joseph tatsächlich gelitten. Er wurde von seinen Brüdern verworfen und später nicht erkannt. Doch Joseph wurde schließlich Herrscher über die Heiden und danach auch über seine eigenen Brüder. In der Josephsgeschichte erleben wir also eine Zeit des Leidens, gefolgt von einer Zeit des Herrschens.
Ähnlich ist es in der Lehre des Neuen Testaments: Jesus Christus ist der leidende Messias. Dieses Leiden hat sich in der Vergangenheit erfüllt. In der Zukunft wird er jedoch als der herrschende Messias kommen. Es handelt sich nicht um zwei verschiedene Personen, sondern um ein und dieselbe.
Auch in der Geschichte Davids finden wir beides vereint. In der ersten Lebensphase wurde David von seinem eigenen Volk verfolgt, gehasst und abgelehnt. Später wurde er zum Herrscher über sein Volk. So gibt es in einer Person sowohl den Leidenden als auch den Herrschenden.
Obwohl David in seinem Leben ein Vorgeschmack und ein Hinweis auf den Herrn Jesus Christus ist, hat er selbst das nie erlebt. Er sprach prophetisch von dem Messias, der kommen sollte, und sagte, dass dessen Hände und Füße durchbohrt werden würden.
Die rabbinische Auslegung und die historische Kreuzigung
Ja, die rabbinische Auslegung von Psalm 22 zeigt deutlich, dass keine Voreingenommenheit besteht, wenn man Psalm 22 auf den Messias bezieht. Das ist besonders eindrücklich. So heißt es zum Beispiel: „Meine Hände und meine Füße sind durchbohrt“ – genau das geschah bei der Kreuzigung.
Die Frage ist: Wann wurde Psalm 22 geschrieben? Wahrscheinlich 500 oder 600 Jahre vorher, vielleicht sogar noch früher. Nach der strikten Chronologie des Alten Testaments wird David ins elfte Jahrhundert vor Christus datiert. Zu dieser Zeit gab es die Kreuzigung noch gar nicht.
Die Kreuzigung wurde erst viele Jahrhunderte später eingeführt. Von den Persern wissen wir, dass sie diese Praxis im 6. Jahrhundert vor Christus anwendeten. Später übernahmen die Griechen diese Form der Hinrichtung, und schließlich die Römer. Die Römer perfektionierten diese grausame Todesart noch weiter, indem sie Elemente hinzufügten, die das Leiden möglichst lange hinauszögerten – bis zu 14 Tage waren möglich.
Bei dieser Peinigungsart versagen nach und nach verschiedene Körperfunktionen. Heute weiß man medizinisch, wie das genau abläuft, bis der Tod eintritt. Eine Funktion nach der anderen fällt aus, bis es schließlich zum Erstickungstod kommt.
Es ist also erstaunlich, dass der Tod des Messias in einer Weise beschrieben wird, die erst viel später nach David überhaupt eingeführt wurde.
Weitere Hinweise auf die Kreuzigung im Psalm 22
Was weist noch auf eine Kreuzigung in diesem Psalm hin?
"Alle meine Gebeine kann ich zählen." Ja, in welchem Vers steht das? In Vers 18. Es gibt nur das fünfte Achtel Herz. Jawohl. Was hat das mit der Kreuzigung zu tun? Wie kommt es, dass einem alle Glieder wehtun? Wahrscheinlich nicht ohne Grund.
Bei der Kreuzigung entblößten die Römer die Gepeinigten vollständig. Ausgenommen natürlich in Israel, wo die Orthodoxen so etwas nicht akzeptierten. Dort wurden wenigstens die wichtigsten Körperteile, die Schamteile, bedeckt.
Die weitgehende Entblößung des Körpers macht es möglich, dass der Kreuzigte an sich selbst seine Knochen zählen kann. Darauf haben wir hier einen Hinweis: "Alle meine Gebeine könnte ich zählen."
Weiter in Vers 15: "Und alle meine Gebeine sind ausgerenkt." Genau, Vers 15. Warum ist das typisch für die Kreuzigung? Weil man sich nur abstützen kann. Dabei erfolgt automatisch das Ausrenken der Gelenke. Das ist eine ganz normale Folge der Kreuzigung.
"Alle meine Gebeine oder Knochen haben sich zertrennt." Das steht in Vers 15. Wenn wir schon gesagt haben, dass man alle Gebeine zählen kann, was mit der weitgehenden Entblößung zusammenhängt, dann müssen wir natürlich den Vers danach in diesem Zusammenhang sehen.
Wer liest nochmals Vers 19? "Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los über mein Gewand." Die Kleider des Verurteilten werden also abgenommen und verlost, so steht es hier.
Die Zunge klebte an seinem Gaumen, sie gaben ihm Essig zu trinken.
Kommen wir gleich auf diesen weiteren Punkt zu sprechen, aber noch schließen wir das Thema mit den Kleidern ab.
Die Bedeutung der Kleider und deren Verlosung
Es sind eigentlich zwei Verszeilen; das Ganze ist ein Gedicht, nicht wahr, ein Lied. Die erste Verszeile lautet: „Sie teilen meine Kleider unter sich.“ Die nächste heißt: „Über mein Gewand werfen sie das Los.“ Das sind im Grunde zwei Prophezeiungen. Ein Gewand wird zerteilt, also in verschiedene Teile geschnitten, und über das andere Gewand wird durch das Los entschieden, wer es bekommt.
Jetzt lesen wir die Erfüllung, wie Johannes das beschreibt. Dabei müssen wir immer bedenken: Wenn die Evangelisten diese Dinge so beschrieben und veröffentlicht haben, war das eigentlich etwas Gefährliches. Denn falls sie etwas geschrieben hätten, das gar nicht geschehen ist, hätte die Veröffentlichung sie angreifbar gemacht. Veröffentlichung ist immer sehr riskant, weil man sich damit der Kritik aussetzt.
Damals lebten noch Augenzeugen, als die Evangelien entstanden: zuerst Matthäus, dann Markus, Lukas und später Johannes. Wenn irgendwelche Dinge nicht den Tatsachen entsprochen hätten, wäre das eine willkommene Gelegenheit für Feinde aus dem Judentum und auch aus dem Heidentum gewesen, darauf Bezug zu nehmen und zu sagen: „Wir waren dort, das ist überhaupt nicht wahr, das ist nie geschehen.“
Genau auf diese Weise wurde jedoch nie gegen die frühen Christen argumentiert. Allerdings wurde auf viele andere Arten und Weisen hart gegen sie gekämpft. Es gibt solche Diskussionen, die uns noch schriftlich aus dem zweiten Jahrhundert überliefert sind. Doch dieses Argument wurde nie vorgebracht: dass das, was die Evangelien berichten, nicht mit den Tatsachen der Augenzeugen übereinstimmt.
Das zeigt klar, wie glaubwürdig die Evangelien sind. Sie beschreiben, was Feinde und Freunde kannten und erlebt hatten.
Erfüllung der Kleider-Verlosung in Johannes 19
Johannes 19,23-24: Als die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und teilten sie in vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil. Dazu gehörte auch das Gewand, das aber ungenäht von oben bis unten in einem Stück gewebt war.
Sie sprachen untereinander: „Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll.“ So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt: „Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und über mein Gewand das Los geworfen.“ Das taten die Soldaten.
Genau diese zwei Dinge haben wir hier dargestellt: Ein Kleidungsstück wurde in vier Teile zerteilt, und der Leibrock wurde verlost, weil er sehr speziell war. Er hatte keine Naht und war vollkommen von oben nach unten durchgewebt. Das war ganz ungewöhnlich, wie jeder weiß, der weben kann. Wer so etwas schafft, hat ein Kunstwerk geschaffen.
Damals gab es eine Gruppe von Menschen, die solche Kleider trugen – ganz allgemein, ohne Saum und durchgewebt. Welche? Das waren die weißen Priestergewänder. Sie waren vollständig durchgewebt.
Das war also nicht das Übliche, aber der Herr trug ein solches Gewand. Was macht das deutlich? Es symbolisiert seinen Auftrag. Sein Sterben am Kreuz war ein Priesterdienst und die Erfüllung aller Priesterdienste in Israel.
All die Opfer, die die Priester dargebracht hatten, waren nur ein Hinweis auf das Opfer, das der Messias als Hohepriester darbringen sollte, indem er sich selbst opferte.
Darum ist dieses Kleid, um das das Los geworfen wurde, ein ganz besonderes Kleid von tiefer Bedeutung – gerade in Verbindung mit dem Sterben des Herrn Jesus. Es ist ein priesterliches Sterben.
Der Durst des Herrn und die Erfüllung der Schrift
Ja, und dann wurde noch erwähnt, Herr Bahr? Vers 16: „Und meine Zunge klebt an meinem Gaumen.“ Das steht ja auch indirekt in dieser Kreuzigungsgeschichte, dass er sachlich durstet. Ihm wird dann Essig gereicht.
Genau, das heißt also: Was hier ausgesagt wird, ist der Durst selbst. Und das ist ja auch eine logische Folge der Kreuzigung. Durch dieses körperliche Leiden wird ein unerträglicher Durst ausgelöst. Das kommt eben auch hier zum Ausdruck: „Meine Zunge klebt an meinem Gaumen.“
Was dann das Tränken mit Essig anbetrifft, darauf werden wir später bei Psalm 69 zurückkommen. Denn auch das war ja vorausgesagt.
Übrigens, warum Essig? Das war das beliebte Getränk der römischen Soldaten. Ich kann es nicht ganz verstehen, aber Essig, natürlich verdünnt mit Wasser, war ihr normaler Durstlöscher. Cola gab es ja noch nicht. Essig ist keimtötend, und Wasser war früher durchaus nicht rein.
Ja, ja, natürlich. Darum wurde auch der Wein in den Mittelmeerländern des Römischen Reiches täglich getrunken, aber nicht so, wie das heute geschieht, hundertprozentig als Wein. Der Wein wurde sehr stark verdünnt. Das Ziel war, Keime abzutöten.
Das war sozusagen der Wein der ärmeren Leute, der auch eine Frucht oder eine Art Destillation darstellte und damit Keime tötete.
Wissen Sie noch, bis in welche Zeit das hier in der Gegend üblich war? Wie wir herumgeführt worden sind, war es faktisch weit in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts so. Das war das Getränk der armen Leute hier.
Später hat das Bier diesen Vorrang übernommen, aber im Wesentlichen waren Most und Wein die Getränke der Leute, weil sie sich vor Wasser fürchteten.
Aha, sehr interessant. Also...
Der Schrei des Herrn am Kreuz und seine Bedeutung
Das zum Durst des Herrn Jesus – was haben wir noch für Hinweise? Ein mögliches Ereignis wird dargestellt, und dann heißt es hier in Psalm 22, Vers 24: „Als er zu ihm schrie, hörte er ihn.“ In Lukas 23,46 heißt es dann: „Jesus rief mit lauter Stimme: ‚Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände‘.“
Das führt uns zu diesem ausdrücklichen Schrei des Herrn, der hier im Psalm 22 erwähnt wird, nämlich in Vers 1: „Mein Gott“ oder in Vers 2, je nach Bibelausgabe: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Schlagen wir mal in Matthäus nach.
Insgesamt finden wir wie viele Worte des Herrn Jesus am Kreuz in den Evangelien? Sieben. Allerdings stehen diese nicht alle in einem einzigen Evangelium, sondern man muss alle Evangelien zusammennehmen, um auf diese sieben Worte des Erlösers zu kommen. Haydn hat diese sieben Worte des Erlösers sogar vertont.
In Matthäus 27,45 heißt es: „Aber von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde.“
In der neunten Stunde aber schrie Jesus mit lauter Stimme und sagte: „Eli, Eli, Lama Sabachtani?“ – das heißt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Als aber einige der Dabeistehenden es hörten, sagten sie: „Dieser ruft den Elias.“ Und alsbald lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm, füllte ihn mit Essig, steckte ihn auf ein Rohr und drängte ihn ihm zu trinken. Die übrigen aber sagten: „Halt, lasst uns sehen, ob Elias kommt, ihn zu retten.“
Jesus aber schrie wiederum mit lauter Stimme und gab den Geist auf.
Weiter heißt es in Vers 51: „Und siehe, der Vorhang des Tempels zerriss in zwei Stücke von oben bis unten, und die Erde erbebte, die Felsen zerrissen, die Gräber öffneten sich, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen wurden auferweckt. Sie gingen nach seiner Auferstehung aus den Gräbern und erschienen vielen in der heiligen Stadt.“
Also dieses Wort „Eli, Eli“ hier in Matthäus – in welcher Sprache ist das? Das ist Aramäisch.
Wie spricht man das korrekt aus? „Eli, Eli“ – das heißt „Mein Gott“. „Eli“ bedeutet „mein Gott“. Dann folgt „Lama“ und das andere Wort „Sabachtani“.
Matthäus schreibt ja auf Griechisch. Im Griechischen gibt es keinen Sch-Laut, sondern nur das S, und daher muss der Sch-Laut mit einem S geschrieben werden. Das „Ch“ im Griechischen ist ein Buchstabe, der wie ein „C“ hinten im Gaumen ausgesprochen wird. Also nicht „Schabach“, sondern „Schabak“.
Das repräsentiert das hebräische beziehungsweise aramäische Wort „Kuh“, denn im Griechischen gibt es keinen Kuh-Laut. Diesen kann man aber gut mit dem „Ch“ wiedergeben. Also: „Eli, Eli, Lama, Schabaktani“.
„Schabak“ bedeutet „verlassen“, „Schabachta“ heißt „du hast verlassen“, und „Schabachtani“ heißt „du hast mich verlassen“. Das ist ein zusammengesetztes Wort.
In Psalm 22 hat David das in Hebräisch aufgeschrieben. Weiß jemand, wie der Satz auf Hebräisch lautet? Er ist fast gleich, denn Hebräisch und Aramäisch sind sehr nahe verwandt – vielleicht so nahe wie Niederländisch und Deutsch. Wer Hebräisch kann, lernt leicht Aramäisch und umgekehrt.
Auf Hebräisch lautet der Satz etwa: „Eli, Eli, Lama Asawtani“. Das ist ein anderes Verb. „Asaw“ heißt „verlassen“ auf Hebräisch, also: „Eli, Eli, Lama Asawtani“.
Matthäus übersetzt das ins Griechische. In unserer Bibel steht es dann auf Deutsch: „Eli, Eli, Lama, Schabachtani“ – „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Im griechischen Text heißt es „Theos mou, Theos mou“ – „Mein Gott, mein Gott“.
Das ist der einzige Satz in der Bibel, der in allen drei biblischen Sprachen vorkommt. Das Alte Testament wurde überwiegend in Hebräisch geschrieben, aber einige Teile, wie Daniel 2 bis 7 und verschiedene Abschnitte im Buch Esra sowie ein Satz in Jeremia, sind in Aramäisch verfasst – der zweiten Bibelsprache des Alten Testaments. Das Neue Testament wurde in Griechisch geschrieben.
Der einzige Satz, der in allen drei Sprachen erscheint, ist dieser hier. Das zeigt uns auch etwas von der Bedeutung und dem Gewicht dieses Schreis des Herrn Jesus.
Darum kommt dieser Schrei gerade am Anfang von Psalm 22 – er ist von großer Wichtigkeit.
Die Worte des Herrn Jesus in den Evangelien
Markus berichtet als einziges Evangelium von einem Wort, das Jesus vom Kreuz spricht. In Matthäus und auch im Markus-Evangelium sind meines Wissens keine weiteren Worte des Herrn vom Kreuz überliefert.
In Lukas und Johannes finden sich insgesamt sechs Worte, die Jesus am Kreuz sagt. In Markus hingegen gibt es nur dieses eine Wort.
Um das zu bestätigen: In Matthäus ist ebenfalls nur dieses eine Wort erwähnt, allerdings nur andeutungsweise. In Matthäus 27,50 heißt es: „Jesus aber schrie wiederum mit lauter Stimme und gab den Geist auf.“
Dieses Schreien bezieht sich auf welches Wort? Es ist das siebte Wort: „In deine Hände übergebe ich meinen Geist.“
Damit haben wir die wesentlichen Punkte zur Kreuzigung zusammengetragen.
Wer führte die Kreuzigung aus? Die Feinde des Messias
Jetzt zur Frage: Was sagt Psalm 22 darüber, wer die Kreuzigung ausführt? Wer sind die, die meine Hände und meine Füße durchgraben? Wer sind „sie“?
Ja, Vers 17 – was sagt der Bibeltext dazu? Im Bibeltext steht nichts von Römern, oder? Dort steht von einer Rotte Übeltäter, und diese werden weiter beschrieben. Eine Rotte ist einfach eine Gruppe, also eine Schar.
In den Evangelien gibt es den Ausdruck „Spera“ für eine kleine römische Truppe. Das ist der typische Ausdruck bei den Römern. Aber David hat ja seinen Text auf Hebräisch geschrieben und benutzt einfach den Ausdruck „Rotte“. Das entspricht dann dieser Schar, die die Kreuzigung ausgeführt hat, ganz genau.
Wie werden diese „Rotte“ im Psalm 22 noch weiter genannt? Hunde! Es gibt aber noch andere Menschen in diesem Psalm, die mit Tiernamen bezeichnet sind, nämlich in Vers 13: „Viele Stiere haben mich umgeben, Stiere von Basan haben mich umringt.“ Und dann wird der Löwe in Vers 14 erwähnt. Wer liest?
„Sie haben ihr Maul gegen mich aufgesperrt, wie ein Löwe reißend und brüllend.“ Also diese Stiere reißen ihr Maul auf und werden mit einem brüllenden Löwen verglichen. Der Löwe als Feind wird auch in Vers 22 erwähnt: „Rette mich aus dem Rachen des Löwen.“
Jetzt müssen wir uns Gedanken machen. Im Alten Testament wird die Tierwelt in zwei Gruppen eingeteilt: reine und unreine Tiere (3. Mose 11). Zu welcher Gruppe gehören die Hunde? Warum? Weiß jemand die Kriterien?
Sie fressen Aas. Das Erkennungszeichen in 3. Mose 11 für Säugetiere, ob sie rein oder unrein sind, ist, dass sie wiederkäuen und gespaltene Hufe haben müssen. Der Hund erfüllt das nicht und ist darum ein unreines Tier. Das wird auch durch das Aasfressen bestätigt.
Stiere sind reine Tiere. Feinde werden im Psalm 22 mit unreinen Tieren beschrieben. In der Apostelgeschichte, Kapitel 10, einige Zeit nach Pfingsten, bekommt Petrus eine Vision. Er sieht unreine Tiere vom Himmel herabkommen, und eine Stimme fordert ihn auf: „Schlachte und iss!“ Petrus sagt, er habe nie unreine Tiere gegessen, das sei unmöglich. Das geschieht dreimal.
Später wird ihm klar gemacht, dass diese Vision von Gott ihm zeigen soll, dass sich etwas ändert: Die Heidenvölker, die früher unrein waren, werden jetzt von Gott angenommen – genauso wie das jüdische Volk. Die unreinen Tiere sind ein Bild für die Heiden, die in Sünde und Gottesferne leben, ohne Kenntnis von Gott, aber nun von Gott angenommen werden. Unreine Tiere stehen also symbolisch für Nichtjuden, reine Tiere für Juden.
So finden wir im Psalm 22 zwei Gruppen: sowohl das auserwählte Volk als auch die heidnischen Völker sind unter den Feinden. Und es sind nicht die Stiere, die Hände und Füße durchgraben, sondern die Hunde. Die Römer haben die Kreuzigung ausgeführt, aber was tun die Stiere? Die Juden haben ihn an Pilatus ausgeliefert.
Was wird im Text dazu gesagt? Sie umringen ihn und reißen ihr Maul auf – „auf die Hörner genommen“. Ja, auf die Hörner genommen. Das ist noch nicht das Ende, sondern der Anfang des Angriffs. Wenn ein Stier jemanden auf die Hörner nimmt, folgt danach die Tötung.
So hat das jüdische Volk, die Führer des jüdischen Volkes, den Herrn festgenommen, sie haben ihn am Kreuz umringt und verspottet. Schlagen wir Matthäus 27 auf, Vers 45, und lesen davor die Verse 39 und folgende. Wer liest?
„Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: ‚Der du den Tempel abbrichst und in drei Tagen wieder aufbaust, hilf dir selbst! Wenn du Gottes Sohn bist, steig herab vom Kreuz!‘ Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: ‚Anderen hat er geholfen, sich selbst kann er nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab, dann wollen wir an ihn glauben. Er hat Gott vertraut, der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn.‘ Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren.“
Hier haben wir genau die Bestätigung, dass die Stiere ihn umringt haben und ihr Maul aufgerissen haben, gleich einem reißenden und brüllenden Löwen. Und sogar der Spott wird wiedergegeben: Vers 43 „Er vertraut auf Gott, der rette ihn jetzt, wenn er ihn begehrt.“
Wo finden wir das im Psalm 22? In Vers 7 oder 8, je nach Bibelausgabe. Wer liest?
„Zu dir schrien sie und wurden gerettet, oder auch schon vorher: Auf dich vertrauten unsere Väter, sie vertrauten, und du rettetest sie. Zu dir schrien sie und wurden gerettet, sie vertrauten an dich und wurden nicht zu Schaden.“
Jetzt kommt’s! „Ich aber bin ein Wurm und kein Mann, der Menschen Hohn, verachtet vom Volk. Alle, die mich sehen, spotten über mich, sie verziehen die Lippen und schütteln den Kopf.“ Das ist der Ausdruck, der auf den Herrn geworfen wurde: „Der rette ihn, befreie ihn, denn er hat Gefallen an ihm.“
Genau dieser Satz wird vorausgesagt. Und wer spricht hier? David hat es aufgeschrieben. Von wem sagt er, dass sie so spotten? Von den Stieren, also den Reinen.
In Vers 7 sagt er: „Ich bin ein Wurm und kein Mann, der Menschen Hohn und vom Volke verachtet.“ Damit ist das Volk Israel gemeint. Der Messias wird von seinem eigenen Volk verspottet und verachtet.
Weiter heißt es: „Alle, die mich sehen, spotten meiner.“ Es wird sogar ganz wörtlich vorausgesagt, was sie sagen würden: „Er vertraut auf den Herrn, der errette ihn, befreie ihn, weil er Lust an ihm hat.“
Das Wort „sehen“ (hebräisch ra'a) kann im Hebräischen auch bedeuten, schadenfreudig etwas anzuschauen. Deshalb kann man im Deutschen ergänzen: „Sie schauen und sehen mich schadenfreudig an.“
Das bezieht sich auf die Kreuzigung durch die Römer, die ihn gekreuzigt haben. Sie schauen und sehen mich an – das war genau der Fall.
Es könnte auch die Leute meinen, die vorbeigingen und ihn verspotteten, die vorübergingen und ihre Köpfe schüttelten. Diese können ebenso gemeint sein. Aber das waren vor allem Juden, denn Jerusalem war eine jüdische Stadt, und nur die Soldaten waren als Fremde dort, als Besatzungsmacht.
So haben wir in Psalm 22 ganz klar die Verwerfung des Messias nicht nur durch das jüdische Volk, sondern auch durch die Heiden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Denn wenn oft gesagt wird, die Juden hätten den Messias gekreuzigt, ist das falsch. Man kann nicht sagen „die Juden“, denn es waren nicht alle. Viele haben sich klar davon distanziert. Im ersten Jahrhundert sind Zehntausende zum Glauben an Jesus Christus gekommen, das erfahren wir aus Apostelgeschichte 21.
Der Ausdruck „die Juden“ ist sowieso falsch. Es war die große Masse, die den Herrn verworfen hatte. Aber es ist falsch, nur von Juden zu sprechen. Man muss sagen: Juden und Nichtjuden. Die Römer haben ihn ebenfalls verworfen und ihn direkt ans Kreuz gebracht.
Wenn wir bedenken, dass Deutschland damals auch Teil des Römischen Reiches war, dann hat Pilatus auch stellvertretend für die Bürger in Deutschland gehandelt. Auch Helvetia war Teil des Römischen Reiches. Die Schweizer sind somit moralisch mitverantwortlich.
Natürlich kann man sagen, wir Schweizer heute haben nichts damit zu tun, es ist nicht unsere Schuld. Aber dann müssen wir uns klar davon distanzieren. Das gilt auch für jeden Juden heute.
Man kann einem heutigen Juden nicht die Schuld anrechnen, die andere damals aufgeladen haben. Aber wenn er sich nicht davon distanziert, dass es ein Mord am Messias war, lädt er durch seine Entscheidung Schuld auf sich.
Genauso, wenn ein junger Mensch heute sich nicht von dem distanziert, was die Nazis gemacht haben, oder es vielleicht sogar ein bisschen gut findet, macht er sich schuldig – obwohl er damals nicht dabei war bei diesen Gräueltaten.
So kann auch eine spätere Generation schuldig werden oder ihre Unschuld deutlich machen, indem sie sich distanziert und diese Dinge verurteilt.
Es muss auch festgehalten werden, dass es die Volksmenge vor Pilatus war, nicht alle in Jerusalem oder im Land.
Aber dieser Fluch, diese Selbstverfluchung, ist schrecklich wahr geworden für das jüdische Volk, wenn man die weitere Geschichte anschaut: Im Jahr 70 folgte die Zerstörung Jerusalems mit etwa einer Million Opfern in diesem Krieg. Dann wurde das jüdische Volk aus dem Land vertrieben und über alle Völker zerstreut.
Das hat sich ganz schrecklich erfüllt.
Wie kann eine spätere Generation sich mitschuldig machen? Indem sie vor die Frage gestellt wird: Verurteile ich diesen Mord am Messias oder heiße ich ihn gut?
So haben sich auch spätere Generationen schuldig gemacht durch ihre innere Entscheidung dafür oder dagegen.
Es gibt einen wunderbaren Vers als Ergänzung zu Matthäus 27,25, wo das Volk sagt: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ – der letzte Vers von Joel.
Die Verheißung der Vergebung und Reinigung für Israel
Schlagen wir das noch kurz vor der Pause auf. Dort wird die Endzeit beschrieben, es geht um die Wiederkunft des Messias als Herrscher im Zusammenhang. Schließlich liest jemand die zwei letzten Verse von Joel.
Doch Juda soll ewig bewohnt werden und Jerusalem von Generation zu Generation. Ich werde ihr Blut ungestraft lassen, das ich bisher nicht ungestraft ließ, und der Herr wohnt in Zion.
Die Übersetzung ist hier nicht ganz glücklich. Die Alte Elberfelder ist genauer. Ich lese: "Doch Juda soll ewig bewohnt werden und Jerusalem von Geschlecht zu Geschlecht, und ich werde sie von ihrem Blut reinigen, von dem ich sie nicht gereinigt hatte, und der Herr wird in Zion wohnen."
Das ist eindrücklich: Ich werde sie von ihrem Blut reinigen – also diese endgültige Vergebung, die Israel als Nation in der Zukunft erfahren wird, wenn sie, eben wenn er wiederkommt, auf dem Ölberg auf ihn blicken werden. Wie es Sacharja 13 sagt: Sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben.
Weiter wird erklärt, dass sie dann über ihn wehklagen werden. Das steht in Sacharja 12,10. Sie werden über ihn wehklagen und weinen, also Buße tun darüber. Genau wie die Brüder von Joseph, die sich an Joseph schuldig gemacht hatten. Später umarmen sie ihn und bitten um Vergebung.
Pause und Fragen zur Überschrift und Melodie
Ja, dann machen wir jetzt diese zwanzigminütige Pause, wie üblich.
Ich habe noch eine Frage: Bedeutet der über der Überschrift stehende Hinweis „Hörstuhn der Morgenbröte“ sozusagen die Melodie, nach der gesungen wurde, oder was bedeutet dieser?
Ja, eine bekannte Melodie wird hier angegeben, nach der Psalm 22 gesungen werden soll. Das war eine Angabe für den Dirigenten, den Vorsänger, Menatsäach. Das bedeutet eigentlich den Dirigenten, den Chor- und Orchesterleiter.
Menatsäach ist noch heute das Wort für den Dirigenten, auch bei einem Sinfonieorchester.
Der Schrei des Herrn Jesus und seine theologische Bedeutung
Wir waren bei dem Ruf des Herrn Jesus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Dieses Wort erscheint dreimal in allen drei Sprachen der Bibel und ist das einzige Bibelwort, das so bekannt ist. Doch was bedeutet es eigentlich?
Zunächst die Frage: Warum stellt der Herr Jesus diese Frage? Warum fragt er „Warum?“ Vielleicht, weil er in diesem Moment nicht mitgerechnet hat. Doch er ist ja der Sohn Gottes, der genau wusste, was auf ihn zukommen würde. Das steht in Johannes 13,1. Außerdem wurde es im Alten Testament angekündigt. Die Antwort muss also woanders liegen.
Vielleicht stellt er die Frage um des Volkes willen. Ja, genau, oder wir können sagen: auch für uns alle. Wer muss die Frage beantworten? Wir müssen sie beantworten, denn Gott hat sie nicht beantwortet. Es kam keine Stimme aus dem Himmel. Die Antwortenden sind also wir. Und was geben wir als Antwort?
Genau, das ist der Punkt: Wir sehen, dass Jesus wirklich von Gott verlassen wurde. Das hat zuvor noch kein Mensch auf Erden erlebt, und schon gar nicht ein Gläubiger. Jesus sagt ja hier in Psalm 22, Verse 4 und folgende:
„Auf dich haben unsere Väter vertraut, sie vertrauten, und du hast sie errettet. Zu dir riefen sie und fanden Rettung; auf dich vertrauten sie und wurden nicht zuschanden.“
David selbst hat das auch nie erlebt, denn der Herr sagt: „Auf dich vertrauten unsere Väter, sie vertrauten, und du errettest sie.“ Jesus wurde von Gott verlassen – im Gegensatz zu allen früheren Gläubigen.
Was bedeutet eigentlich der Satz „Doch du bist heilig, der du wohnst unter den Lobgesängen Israels“? Zuerst müssen wir uns fragen: Wo ist dieser Ort, die Lobgesänge Israels? Das ist der Tempel mit dem Tempelchor.
Was bedeutet „der du wohnst unter den Lobgesängen Israels“? Wo sangen sie oben, und unten drunter war das Allerheiligste? Nein. Wo sangen sie? Bei den großen Festen im Frauenvorhof, auf den fünfzehn halbkreisförmigen Stufen, direkt vor dem Nikanor-Tor, das in den innersten Vorhof mit dem Altar führte. Das war quasi das Podium für den Chor und das Orchester.
An normalen Tagen sangen sie wo? Im Innenvorhof beim Altar, in der Nähe des Altars. Die Lobgesänge Israels waren also der Ort, an dem Gottes Gegenwart im Tempel erlebbar war.
Auch im Zweiten Tempel war Gottes Gegenwart erlebbar, obwohl es keine Schechinah-Wolke mehr gab. Diese Wolkensäule war nur im Salomonischen Tempel und in der Stiftshütte vorhanden. Trotzdem war Gottes Gegenwart da, so wie er es in Haggai 2 verheißen hatte, als sie den zweiten Tempel bauten:
„Mein Wort und mein Geist bestehen zusammen in eurer Mitte; fürchtet euch nicht!“ (Haggai 2)
Noch am selben Tag sang der Chor im Tempel. Jesus aber war außerhalb der Stadt am Kreuz von Gott verlassen – als Einziger.
Warum hat Gott ihn verlassen? Zur Sünde gemacht zu werden bedeutet nicht nur, dass der Herr Jesus alle unsere Tatsünden konkret auf sich genommen hat. Es bedeutet auch, dass Gott ihn juristisch so behandelte, als wäre er die Ursache des Bösen.
Die Sünde bezeichnet die böse Natur des Menschen seit dem Sündenfall, wie im Römerbrief beschrieben. Jesus wurde zur Sünde gemacht (2. Korinther 5,21). Das heißt, Gott betrachtete ihn, als wäre er die Ursache aller Sünde. Juristisch wurde Jesus so behandelt.
Er war vollkommen, auch in diesem Moment vollkommen. Doch deshalb musste Gott ihn verlassen.
Genauso wie die Sündopfer: Diese durften nicht im Tempel auf dem Altar verbrannt werden. Sie mussten aus dem Tempel hinausgebracht werden, außerhalb der Stadt, an einem bestimmten Ort. Dort wurden die Sündopfer verbrannt – also außerhalb der Gegenwart Gottes.
Darum musste auch der Herr Jesus außerhalb der Stadt am Kreuz leiden. Er wurde von Gott verlassen, damit er ewig bei uns sein kann.
Das wäre unser Los gewesen: „ewig von Gott getrennt, vom Angesicht des Herrn hinweg“, wie es in 2. Thessalonicher 1 heißt.
Dadurch, dass der Herr Jesus diese Gottverlassenheit und das Gericht Gottes über die Sünde und unsere sündige Natur auf sich genommen hat, ist es möglich, dass wir Gemeinschaft mit Gott haben können.
Fragen zu aramäischen Ausdrücken und Tageszeiten
Herr Liege, ich habe noch einmal eine Frage. In meiner Bibel finde ich zwei unterschiedliche Schreibweisen dieses aramäischen Ausspruchs: Einmal „Eli, Eli“ und bei Markus „Eloi, Eloi“. Das sind jedoch zwei verschiedene Wörter. „Eli, Eli“ bedeutet „Mein Gott, mein Gott“ und steht so in Matthäus. Die Umschrift „Eloi“ in Markus repräsentiert das aramäische „Elahi“, ein anderes Wort für Gott.
Offensichtlich hat der Herr also beides gesagt. Der Satz ist in Matthäus und Markus jeweils verkürzt wiedergegeben, aber der Herr hat Gott angeschrien mit „Eli, Eli“. Wir dürfen unter den schrecklichen Leiden am Kreuz nicht an einen fließenden Satz denken, der dann mit „Elahi, Elahi, Lama Schabagdani“ endet. Die beiden Versionen ergänzen sich vielmehr. Effektiv ist das „Eloi“ in Markus ein anderes Wort als das „Eli“ in Matthäus: „Eli, Eli“ und „Elahi, Elahi“.
Der Herr Jesus zitiert hier Psalm 22, Vers 3: „Mein Gott, ich rufe bei Tag, und Du antwortest nicht, auch bei Nacht habe ich keine Ruhe.“ Was bedeutet es, dass hier von Tag und Nacht gesprochen wird? Es war ja Finsternis.
Das ist genau das Zweideutige am Wort „Tag“ im Deutschen. „Tag“ kann die Zeit bezeichnen, in der die Sonne scheint, also im Gegensatz zur Nacht. Gleichzeitig kann „Tag“ auch den gesamten 24-Stunden-Zeitraum meinen. Im Holländischen gibt es dafür zwei Wörter: „Dach“ bezeichnet die helle Zeit, also die Zeit, in der die Sonne scheint. Für den Kalendertag im Sinne von 24 Stunden verwendet man „Etmal“.
Der Herr Jesus sagt also hier: „Ich rufe des Tages“, das heißt während der hellen Zeit, und „des Nachts“, also während der dunklen Zeit. Damit sind die drei Stunden von neun Uhr morgens bis zwölf Uhr mittags gemeint, als es hell war, und die Dunkelheit von zwölf Uhr bis drei Uhr nachmittags. Auch das ist im Psalm 22 angekündigt.
Die Finsternis am Kreuz und außerbiblische Zeugnisse
War das eine Sonnenfinsternis? Warum nicht?
Es geht hier nicht um Vollmond. Das Passahfest fand immer um die Monatsmitte statt, also ungefähr bei Vollmond. Wenn Vollmond ist, kann es keine Sonnenfinsternis geben. Das liegt an der Stellung des Mondes gegenüber der Sonne – eine Sonnenfinsternis ist dann schlichtweg unmöglich.
Außerdem kann eine Sonnenfinsternis im besten Fall etwa eine halbe Minute dauern. Damit ist die dunkle Phase gemeint, nicht die vorbereitende Phase, in der der Mond die Sonne allmählich verdeckt, oder die Phase, in der die Sonne wieder sichtbar wird. Die totale Finsternis dauert höchstens etwa 35 Sekunden, je nach Ort kann die Dauer variieren. Das kommt also überhaupt nicht in Frage.
Hinzu kommt, dass die Kreuzigung zur Zeit des Vollmondes, dem 15. Nissan, stattfand. Es war ein Wunder, aber es muss auch für Kritiker nachvollziehbar gewesen sein.
Wir haben das Zeugnis eines samaritanischen Geschichtsschreibers aus dem Jahr 52 n. Chr. Tallus berichtet von dieser Finsternis und behauptet, es sei eine Sonnenfinsternis gewesen. Leider ist das Werk von Tallus verloren gegangen.
Später, etwa im Jahr 220, zitiert Iulius Africanus dieses Werk von Tallus. Zu dieser Zeit war das Werk von Tallus noch vorhanden. Viele antike Werke sind heute für uns verloren gegangen, aber ältere Schreiber kannten sie noch.
Iulius Africanus erwähnt Tallus und erklärt, dass dessen Erklärung mit einer Sonnenfinsternis völlig falsch sei. Das ist ein gutes Urteil von Iulius Africanus: Es war keine Sonnenfinsternis. Dennoch bezeugt Tallus die Finsternis als einer, der als Samariter im Land Israel gelebt hatte.
So gibt es also auch ein außerbiblisches Zeugnis über das Phänomen der Finsternis.
Die theologische Bedeutung der Finsternis
Die Frage lautet: Warum hat Gott diese Finsternis gebracht?
Das erinnert an eine Situation bei einem Autounfall. Wenn eine Person dort liegt, entstellt oder tot, legt man eine Decke darüber, damit die Schaulustigen das nicht sehen. Diese Finsternis war jedoch nicht für Gott bestimmt.
In Psalm 139 sagt David: „Würde ich mich in Finsternis hüllen, so wäre auch das wie der helle Tag vor dir.“ (Psalm 139,11) Und weiter: „Und spräche ich: Finsternis möge mich umhüllen, und Nacht wieder das Licht um mich her, so würde auch die Finsternis vor dir nicht verfinstern, und die Nacht würde leuchten wie der Tag; die Finsternis wäre wie das Licht.“ (Psalm 139,11-12)
Für Gott gibt es keine Finsternis, aber für die Menschen war diese Finsternis da, damit sie das schmerzentstellte Gesicht seines Sohnes nicht sehen sollten.
Ist das nicht irgendwo in Jesaja erwähnt? Ja, in Jesaja 50,3 heißt es: „Ich gleite die Himmel in Schwarz und mache Sacktuch zu ihrer Decke.“ Hier wird von Dunkelheit gesprochen.
In den folgenden Versen hört man die Stimme des leidenden Messias: „Ich bot meinen Rücken den Schlagenden und meine Wangen den Raufenden; mein Angesicht verweigerte ich nicht vor Schmach und Speichel.“ (Jesaja 50,6)
Im Zusammenhang mit den Leiden des Herrn wird also von dieser Finsternis gesprochen: „Ich kleide den Himmel in Schwarz, mache Sacktuch zu ihrer Decke.“
Vielleicht denken Sie auch an Jesaja 52,14, wo es heißt, dass die Menschen ihr Angesicht vor ihm verborgen haben: „So entstellt war sein Aussehen mehr als das eines jeden Mannes und seine Gestalt mehr als die der Menschenkinder.“ (Jesaja 52,14)
Hier wird gesagt, dass sich viele Menschen über sein Aussehen entsetzt haben. Das war vor allem durch die Misshandlungen der römischen Soldaten, die Jesus vor der Kreuzigung gegeißelt und geschlagen hatten, sodass sein Aussehen entsetzlich war.
Dann kam die Kreuzigung hinzu, die drei Stunden sichtbar war. Obwohl das Kreuzesleiden eines der schwersten Leiden überhaupt ist – besonders wenn man bedenkt, dass die Nägel am Ende der Handflächen eingeschlagen wurden, wo ein Nerv verläuft, der einen der schlimmsten Schmerzen auslöst – konnten die Menschen dies noch sehen.
Doch wir müssen uns immer bewusst sein, dass das, was Gott als Gericht über seinen Sohn wegen unserer Sünden brachte, nicht mit dem zu vergleichen ist, was die Menschen ihm angetan haben. Das größte Leiden war das Leiden als Sündenträger unter der Hand Gottes.
Wenn wir Jesaja 53 lesen, finden wir in Vers 10: „Doch dem Herrn gefiel es, ihn zu zerschlagen; er hat ihn leiden lassen. Wenn er sein Leben als Schuldopfer eingesetzt hat, wird er Nachkommen sehen, er wird seine Tage verlängern; und was dem Herrn gefällt, wird durch seine Hand gelingen.“ (Jesaja 53,10)
Es geht um den Satz: „Es gefiel dem Herrn, ihn zu zerschlagen; er hat ihn leiden lassen.“ Gottvater hat es gefallen, ihn zu zerschlagen, weil er uns Menschen retten wollte. Das war das Gefallen – nicht das Gefallen an den Leiden selbst.
Es war schrecklich für den Vater, seinen Sohn zu schlagen. Aber es wird hier ganz klar gesagt: Der Herr hat ihn zerschlagen, hat ihn leiden lassen. Das war das Gericht in den Stunden der Finsternis.
Da wurde Jesus wirklich verlassen, damit er ewig bei uns sein könne. Er hat diese Frage gestellt: „Lama, warum?“ – damit wir ganz persönlich die Antwort geben könnten: wegen mir, wegen meiner persönlichen Schuld.
Symbolik des Wurms und der Farben
Wir finden im Psalm 22 verschiedene Tiere erwähnt: Hunde, Löwen und Stiere. Womit vergleicht sich der Herr Jesus? In welchem Vers steht das? Je nach Zählung ist es Vers sechs oder sieben: „Ich aber bin ein Wurm und kein Mann.“
Warum vergleicht sich der Herr mit einem Wurm? Der Wurm hat keine Beine, um zu fliehen, und keine Zähne, um sich zu verteidigen. Er hat keine Hörner, wie Stiere, keine Krallen wie Hunde oder Löwen. Der Wurm ist somit der tiefste Ausdruck von Wehrlosigkeit. Er besitzt auch kein Fell oder keine Stacheln – die Wehrlosigkeit schlechthin.
Das hebräische Wort dafür ist „Tola‘a“. Interessant ist, dass der Eingangsvorhang der Stiftshütte, wie auch die anderen Vorhänge, aus vier Farben bestand: blau, roter Purpur, weißer Byssus und Karmesin. Karmesin heißt auf Hebräisch „Tola‘at shani“, was „Wurmkarmesin“ bedeutet.
Diese Farbe, ein strahlendes Blutrot, das dem Farbton unseres arteriellen Blutes entspricht, wurde hergestellt, indem man die Würmer der Kermesschildlaus zerstampfte. So entstand diese leuchtende rote Farbe.
Alle Farben des Vorhangs weisen auf den Herrn Jesus hin, der gesagt hat: „Ich bin die Tür. Wer durch mich eingeht, wird errettet werden. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich.“ Der Eingangsvorhang führt schließlich zum Allerheiligsten in der Stiftshütte.
So erinnert das Wurmkarmesin an die Leiden des Herrn Jesus am Kreuz, als er sein Blut gab und sagen musste: „Ich aber bin ein Tola‘a, ein Wurm und kein Mann, der Menschen Hohn und der vom Volke Verachtete.“ (Psalm 22,6-7)
Symbolik des Löwen im Psalm 22
Jetzt haben wir aber noch nicht über den Löwen gesprochen. Was ist mit dem Löwen gemeint? Aus dem Rachen des Löwen, genau. Und wer steckt hinter dem Kaiser? Der Satan wird genannt in 1. Petrus 5.
Schlagen wir auf, 1. Petrus 5, Vers 7. Wer liest? Vers 8 meine ich: „Seid nüchtern und wacht, denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann. Dem widersteht fest im Glauben, in dem Wissen, dass sich die gleichen Leiden erfüllen an eurer Bruderschaft, die in der Welt ist.“
Ja, das ist ein Zitat aus Psalm 22. Dieser Ausdruck „geht umher wie ein brüllender Löwe“ ist direkt entnommen aus Psalm 22, Vers 14: „Sie haben ihr Maul weit aufgesperrt gegen mich, gleich einem reißenden und brüllenden Löwen, gleich einem brüllenden Löwen.“
Genau aus dieser Stelle übernommen. Also ist es der Satan, der hinter diesen Menschen steht, die als Stiere beschrieben werden, und hinter denen, die als Hunde beschrieben werden.
Darum sagte Herr Jesus dann in Vers 21 und Vers 22: „Rette mich aus dem Rachen des Löwen.“
Bezug auf die Kindheit und das Vertrauen des Herrn
Was ganz erstaunlich ist: Der Herr Jesus spricht über seine früheste Kindheit. In welchem Vers? Ja, lesen Sie gleich.
„Ja, du warst meine Stütze von Mutterleib an, meine Zuversicht schon an meiner Mutterbrust. Auf dich war ich geworfen, von Mutters Stoß an, vom Leibe meiner Mutter her bist du mein Gott gewesen.“
So erwähnt Maria, die ihn neun Monate getragen hat, und Jesus sagt: „Von meinem Mutterleib an bist du mein Gott.“
Jesus nennt in den Evangelien seinen Vater „mein Gott“, aber das ist erst seit seiner Menschwerdung so. Davor findet man nicht den Ausdruck, dass Gott der Gott des Messias, des Herrn Jesus, ist. Das wurde erst mit seiner Menschwerdung so.
Da hat er eine Stellung eingenommen, in der er sich erniedrigt hat. Darum wird auch in 1. Korinther 11 gesagt, dass das Haupt jedes Mannes Christus ist, und das Haupt Christi ist Gott. Aber das bezieht sich auf seine Menschheit.
Als Gott, als ewiger Sohn Gottes, war er immer dem Vater gleich. Darum nennt Gott ihn auch in Sacharja 13,7: „Schwert, erwache! Wecke auf den Mann, der mein Genosse ist.“ „Genosse“ heißt auf Hebräisch „amiti“ und bedeutet „der mir Gleichgestellte“.
Jesus hat sich erniedrigt und nennt seit seiner Menschwerdung Gott „mein Gott“.
Jesus nimmt auch Bezug auf die Zeit, als er gesäugt wurde, als er an den Brüsten von Maria trank (Vers 10). Und wie nennt er das? Das ist ganz interessant: „Sorglos ruhen“ oder „der mich wörtlich vertrauen ließ.“
Es ist tatsächlich so, dass das Stillen im Kleinkindalter das Gefühl des Vertrauens stärkt. Es ist also nicht so, dass man sagen könnte, wer nicht stillen kann, das sei eine Katastrophe. Aber wenn eine Mutter stillen kann, dann sollte sie es unbedingt tun.
Es ist wirklich so, dass dadurch schon im frühesten Alter das Vertrauen des Kindes gestärkt wird. Das ist auch für die seelische Entwicklung des Kindes von Bedeutung. So sagt der Herr selbst: „Der du mich vertrauen ließest an meiner Mutterbrust.“
Das Wort „stillen“ bedeutet im Grunde genommen laut Malerei beziehungsweise die Umkehrung davon, dass das Kind schrie, weil es Hunger hatte, dann gestillt wurde und still war. Ganz genau, dann wird es zufrieden und lernt dadurch auch das Vertrauen, dass jemand da ist, der wirklich für mich sorgt.
Die Wende im Psalm 22: Von Leiden zur Auferstehung
Ja, wo kommt in diesem Psalm eine plötzliche Wende? Jawohl, beziehungsweise in Vers 23. Noch in Vers 22 heißt es: „Rette mich aus dem Rachen des Löwen.“ Und in der nächsten Verszeile kommt: „Ja, du hast mich erhört von den Hörnern der Büffel.“ Das ist die Wende. Das markiert die Auferstehung.
Der Herr bittet um Rettung. Das heißt nicht, dass er fordert, nicht sterben zu müssen. Ganz wichtig: In Hebräer 5 können wir das kurz nachschlagen. Dort finden wir eine sehr eindrückliche Stelle über das Gebet des Herrn in Gethsemane, außerhalb der Evangelien.
Hebräer 5, Vers 7: „Und er hat in den Tagen seines Fleisches Bitten und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen dem gebracht, der ihn vom Tode retten konnte, und ist auch erhört und befreit worden von den Zagen.“
Oh, das ist ein böser Übersetzungsfehler. Was ist das für eine Übersetzung? Schlachter, oh. Also, vorher meinte ich, er hat sowohl gebeten als auch gefleht dem, der ihn aus dem Tod erretten vermochte, nicht vor dem Tod, sondern aus dem Tod. Aber seine Übersetzung sagt „vom Tod“. Vom Tod. Aus dem Tod.
Das ist aber ein neuer Schlachter, die alte war noch falsch. Also Schlachter ist da unbedingt gut und gut korrigiert worden. Ja, der Herr Jesus hat gebetet, dass er auferstehen würde aus dem Tod, nicht, dass er tot gelassen würde, so wie in Psalm 16 dieser gleiche Gedanke.
Es ist wichtig zu wissen, dass Muslime diese Stelle nehmen, um zu beweisen, dass Jesus gar nicht gestorben sei. Denn es gibt eine Koranstelle, die sagt, Jesus sei nicht gestorben, sondern einer, der ihm ähnlich aussah.
Darum ist es unter Muslimen weit verbreitet, dass sie sagen, Jesus sei gar nie gestorben und leugnen den Kreuzestod, der die Basis des Evangeliums ist.
Und dann nehmen sie diese Stelle, in der Bibel steht es ja schließlich auch: Er hat gebetet, dass er vom Tod errettet wird oder vor dem Tod errettet werde und sei erhört worden. Also sei er nicht gestorben. Aber der griechische Text sagt ganz klar: aus dem Tod zu erretten.
So hat der Herr Jesus eben gebeten: „Rette vom Schwert meine Seele, meine Einzige von der Gewalt des Hundes, rette mich aus dem Rachen des Löwen.“ Und dann kommt die Wende: „Ja, du hast mich erhört.“ Und das ist die Auferstehung.
Die Auferstehung ist also in Psalm 22 enthalten. Und dann sagt der Herr im nächsten Vers: „Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern, inmitten der Versammlung will ich dich loben.“ Jawohl.
Dann ist der Herr Maria Magdalena erschienen und hat ihr gesagt: „Gehe zu meinen Brüdern und sage ihnen, ich fahre auf zu meinem Gott und zu eurem Gott und zu meinem Vater und zu eurem Vater.“ Deinen Namen meinen Brüdern verkündigen. „Mein Vater ist euer Vater, mein Gott ist euer Gott.“ Das ist der Name, den er ihnen verkündigt hat durch diese Frau, Maria Magdalena.
Dann heißt es weiter: „Inmitten der Gemeinde oder Versammlung will ich dich loben.“ Diese Stelle wird aufgenommen in Hebräer 2 und dort auf den Gottesdienst der Gemeinde heute bezogen.
Schlagen wir auf: Hebräer 2, Vers 12, nachdem gesagt wird, um welcher Ursache willen er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen, indem er spricht: „Jetzt ja!“ Also da haben wir den Herrn in der Mitte der Gemeinde.
Er hat zu den Jüngern gesagt, Matthäus 18, Vers 20: „Da, wo zwei oder drei zu meinem Namen versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte.“
So ist der Herr Jesus, obwohl er als Mensch im Himmel ist und als Gott allgegenwärtig, in einer ganz besonderen Weise offenbar in seiner Gegenwart dort, wo zwei oder drei zu seinem Namen versammelt sind.
Und da will er inmitten der Gemeinde Lob singen. Nun, wir hören in der Gemeinde nie seine Stimme, aber er tut das durch die Gläubigen. Indem er in ihren Herzen das Lob anstimmt, können wir Gott anbeten.
Also das echte Lob, das er bewirkt in den Erlösten heute in der Gemeinde, wird eben durch ihn ausgelöst. So will der Herr inmitten der Gemeinde Lob singen.
Das zeigt, wie wichtig es ist, dass jeder in der Gemeinde dabei ist, denn der Herr möchte durch unsere Herzen Gott dieses Lob bringen.
Lobpreis und Umkehr der Nationen
Nächster Vers, liest noch jemand? Und wiederum: Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen...
Ah, ich meine jetzt, wir gehen zurück zu Psalm 22, Verzeihung, also Vers 24: „Ihr, die ihr den Herrn fürchtet, lobt ihn! Alle Nachkommen Jakobs verherrlichen ihn und scheut euch vor ihm, alle Nachkommen Israels!“ Jawohl, da spricht Jesus zu den Gläubigen aus Israel.
Im nächsten Vers oder in den weiteren Versen heißt es: „Denn er hat nicht verachtet noch verabscheut das Elend der Elenden, noch sein eigenes Elend.“ Das Elend, das ist der Herr Jesus, der sein Angesicht vor ihm nicht verborgen hat, als er zu ihm schrie. Er hörte ihn, denn schlussendlich hat Gott ihn ja am dritten Tag aus den Toten auferweckt.
Weiter: „Von dir kommt mein Lobgesang in großer Versammlung. Ich will meine Gelübde erfüllen vor denen, die ihn fürchten.“ Die Sanftmütigen werden essen und satt werden. Und es werden den Herrn loben, die ihn suchen.
„Leben wird euer Herz für immer. Es werden daran gedenken und zum Herrn umkehren alle Enden der Erde. Vor dir werden niederfallen alle Geschlechter der Nationen.“
Jawohl, hier wird nun über Menschen außerhalb Israels gesprochen, über alle Völker, die den Erlöser erkennen und anerkennen werden. Wir haben gesehen, wie Israel und die Heiden den Messias verworfen haben. Aber wir lesen auch, dass es eine Frucht geben wird aus Israel und den Völkern bis an die Enden der Erde.
Wo ist eigentlich das Ende der Erde? Ja, also wirklich nicht. Natürlich nicht. Aber als ich in San Francisco war und Vorträge hielt, wurde mir klar: Wenn ich jetzt noch weitergehe, wäre ich schon wieder auf dem Heimweg. Also bin ich am Ende der Welt, denn aus dem fernen Westen gelange ich gerade in den fernen Osten.
Jede Weltkarte ist so gestaltet, dass Nordamerika und Südamerika die Enden der Erde darstellen, ebenso Australien, China und Japan. Und insofern kann man sagen, dass Israel als das erwählte Land in den zentralen Bereich kommt. Unsere Weltkarten sind gar nicht so schlecht. Man könnte sie auch ganz anders machen, oder? Man könnte Mexiko als das Zentrum der Welt nehmen.
In Hesekiel 38 wird das Land Israel als der Nabel der Erde bezeichnet, der sich genau am Knotenpunkt der drei Kontinente Europa, Asien und Afrika befindet. Das ist eine einzigartige Situation.
An anderen Stellen wird ebenfalls von den Enden der Erde gesprochen, zum Beispiel in 5. Mose 28,64: „Gott wird sein Volk zerstreuen von einem Ende der Erde bis zum anderen Ende der Erde.“ Tatsächlich sind Juden von Israel aus zerstreut worden bis nach Südamerika, Nordamerika, Kanada, Australien und auch in den Fernen Osten, bis nach China. Es gibt auch chinesische Juden.
So sind diese Bereiche effektiv die Enden der Erde. Hier wird verheißen, dass sogar bis an die Enden der Erde Menschen zum Herrn umkehren werden. Heute können wir das in der Weltmission bestätigen. Selbst aus Japan und China rechnet man heute mit 80 Millionen Bekehrten. Bis nach Neuseeland und Australien gibt es Frucht, Menschen, die zum Herrn umgekehrt sind.
Natürlich wird dieser Vers noch eine zukünftige Bedeutung haben, wenn in der großen Drangsalzeit Menschen aus allen Völkern, Sprachen und Nationen umkehren werden.
Dann folgt Vers 28 oder 29: „Denn dem Herrn gehört das Königtum, und er herrscht über die Nationen.“ Jawohl, jetzt haben wir hier das messianische Reich der Endzeit.
Also ist klar: Aus Psalm 22 zuerst das Leiden, Hände und Füße durchbohrt, und erst danach kommt das Reich, nicht umgekehrt. Es war schon im Alten Testament ganz klar, dass zuerst der Christus, der Messias, leiden muss und dann in seine Herrlichkeit eingeht.
Das Reich kommt erst hier in der zweiten Hälfte, die eigentlich von der Auferstehung spricht, ab Vers 22 in der Mitte: „Ja, du hast mich erhört.“
Weiter, nächster Vers: „Es sank nun viel nieder, alle Fetten der Erde. Von ihm werden sich beugen alle, die in den Staub hinabfuhren, und der, der seine Seele nicht am Leben erhalten konnte.“ Jawohl, das sind diejenigen, die unter das Gericht fallen, die nur an ihren eigenen Bauch denken und nicht zu Gott umkehren.
Dann der nächste Vers: „Nachkommen werden ihm dienen, man wird vom Herrn erzählen, einem Geschlecht, das kommen wird. Sie werden verkündigen seine Gerechtigkeit einem Volk, das noch geboren wird, denn er hat es getan.“
Ja, das bezieht sich alles auf das künftige Reich, eben dann, wenn Gott unter den Nationen herrscht, nach Vers 29. Und was ist die Botschaft, die sie von Generation zu Generation weitergeben, nach dem letzten Vers? „Er hat es getan.“
Das erinnert uns an das Kreuzeswort: „Es ist vollbracht.“ Wunderbar, so endet Psalm 22.
In der Neuen Schlachter Übersetzung ist das ganz schön ausgenutzt worden. Wie hat man das übersetzt? Wer liest Neue Schlachter? „Sie werden kommen und seine Gerechtigkeit verkünden dem Volk, das geboren wird, dass er es vollbracht hat.“ Ah, damit wird die Verknüpfung auch direkt gemacht, dass er es vollbracht hat.
So endet Psalm 22, der Psalm, der so eindrücklich über den leidenden Herrn am Kreuz spricht.
Schwierigkeit der Dreieinigkeit und das Leiden Christi
Es ist manchmal sehr schwierig, mit Menschen über die Dreieinigkeit Gottes zu sprechen. Besonders an Stellen wie dieser: Wie konnte Jesus, der Gott ist, von Gott verlassen sein, wie es in der Kammer des Hektes beschrieben wird? Das muss man erklären.
Jesus wurde als Mensch verlassen. Natürlich ist er in einer Person sowohl Gott als auch Mensch. Aber er hat als Mensch gelitten und ist als Mensch gestorben. Gott selbst kann nicht sterben und kann nicht in den Tod gehen. Deshalb musste Jesus Mensch werden, damit er überhaupt sterben konnte.
Dieses Gericht hat er als Mensch erduldet. Als Mensch wurde er von Gott verlassen. Das ist etwas, das unser Denken sprengt. Aber auch in der Wissenschaft gibt es viele Dinge, die die menschliche Vorstellungskraft übersteigen.
Zum Beispiel verstehen wir nicht einmal die Natur des Lichts vollständig. In der Physik sagt man, dass der Wellen- und der Teilchencharakter des Lichts nicht richtig miteinander versöhnt werden können. Wir wissen also nicht einmal genau, was Licht ist. Und wenn wir die Dinge der Schöpfung nicht vollständig erfassen können, wie sollten wir dann Gott vollständig verstehen?
Gott zeigt uns, dass sein Sohn, der ewige Sohn Gottes, Mensch geworden ist. Er hat als Mensch gelitten, ist als Mensch gestorben, als Mensch wieder auferstanden, als Mensch in den Himmel zurückgekehrt und wird als Mensch wiederkommen.
Wir können diese zwei Seiten nicht vollständig verstehen, genauso wenig wie wir die zwei Seiten des Lichts verstehen können. Aber wir können nachvollziehen, dass das Leiden als Mensch geschah und nicht als Gott. Gott hat ihn als Menschen verlassen, damit wir Menschen zu Gott zurückkehren können.
Abschließende Gedanken zum Durst und zur Erfüllung der Schrift
Ja, noch etwas? Gut, dann wollen wir mit dem Gebet abschließen.
Entschuldigung, ich möchte noch etwas zu dem einen Wort sagen: „Er dürstet mich“. Es ist mir aufgefallen, dass in Johannes 19, nachdem Jesus wusste, dass alles schon vollbracht war, spricht er: „Mich dürstet“.
Er hatte sicher Durst, aber er erfüllte damit auch die Schrift. Ich finde es herrlich zu sehen, dass der Herr in allem die Schrift erfüllt hat. Auch als er diesen Ausruf tat oder die verschiedenen Ausrufe wie „Es ist vollbracht“ oder „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – er war in allem der gehorsame Knecht und hat die Schrift vollkommen erfüllt.
Dabei hat er auch das Leiden durchlitten, den Durst zum Beispiel. Ja, ganz genau. Trotzdem wollte er bewusst den Plan Gottes in allen Aspekten erfüllen. Genau.
Symbolik des Löwen: Satan und Jesus
Ja, bitte? In dem Vers steht etwas über den Löwen. In Offenbarung 14 wird Satan als Löwe dargestellt. Andererseits steht in der Bibel auch, dass Jesus der Löwe der Juden ist. Wie ist das zu verstehen? Wie kann der Löwe einmal für Satan und einmal für Jesus stehen?
Das ist eigentlich ganz einfach. Ein Symbol ist eine Verbildlichung, die einen bestimmten Aspekt darstellt. Der Löwe symbolisiert Majestät, Stärke und Kraft.
In der Bibel wird das gleiche Symbol oft sowohl positiv als auch negativ verwendet. Die Kraft und Gewalt des Löwen wird zum Beispiel als Bild für Satan benutzt, weil er mächtiger und gewaltiger ist als alle Menschen.
Gleichzeitig wird das Symbol des Löwen auch für den Herrn verwendet, der der König der Könige ist.
Ein Symbol kann also je nach Zusammenhang in der Bibel sowohl im positiven als auch im negativen Sinn gebraucht werden.
Es gibt noch weitere Beispiele dafür. Das mit dem Löwen ist nur eines davon.
Gut, dann wollen wir noch beten. Danach müssen wir ganz kurz klären, was das Thema der offenen Mittelklasse für das nächste Mal betrifft.
