Einführung in das Thema Fasten und das Verhältnis von Alt und Neu
Es ging dabei um das Fasten und das Verhältnis von Alt und Neu zueinander.
Beim Fasten haben wir gesehen, welche Praxis des Fastens es im Alten Testament gibt. Außerdem haben wir betrachtet, welche Praxis des Fastens die Pharisäer vertreten haben. Dabei haben wir auch gesehen, wie Jesus diese Praxis kritisiert hat. Er sagte, dass in der Zeit, in der der Bräutigam – mit dem er sich selbst bezeichnet – auf der Erde anwesend ist, das Fasten verboten sei.
Diese Regel, auf die sich Jesus bezieht, war im Judentum bekannt. Während einer Hochzeit durfte nicht gefastet werden, denn man durfte nicht traurig sein. Jesus wendet diese Regel nun auf seine eigene Gegenwart hier auf der Erde an. Das Bild von Braut und Bräutigam wird im Neuen Testament noch häufiger erwähnt.
Das bedeutet auch, dass Jesus nicht grundsätzlich gegen das Fasten ist. Wir haben einige Beispiele genannt und besprochen, in denen Jesus selbst fastet beziehungsweise in denen die Jünger gefast haben. Diese Beispiele stehen durchaus im Einklang mit der Lehre Jesu.
Das Verhältnis von Alt und Neu haben wir uns ebenfalls näher angeschaut. Dabei stellten wir fest, dass Jesus nicht gegen das Alte Testament als solches spricht, sondern gegen die Regeln der Alten. Zur Zeit des Neuen Testaments nannte man die Alten die jüdischen Rabbinen, auf die man sich berief. Diese kritisiert Jesus.
Er nimmt zum Beispiel das Bild, dass man kein neues Kleid zerreißt. Mit dem Neuen meint er seine Lehre. Die Schriftgelehrten und Pharisäer können nicht einfach Teile seiner Lehre herausnehmen und auf ihre alte Lehre draufkleben oder festnähen, um sie damit zu erneuern. Das funktioniert nicht.
Entweder werfen sie ihre alte Lehre über Bord und verlassen sich auf die Lehre Jesu, oder sie bleiben bei ihrer alten Lehre. In diesem Fall haben sie mit Jesus nichts zu tun und werden natürlich auch in der Ewigkeit die Konsequenzen davon tragen.
Die Sabbatfrage als Beispiel für das Verhältnis von Alt und Neu
Soweit ein spezifisches Beispiel, das Jesus anführt und das gerade auch das Verhältnis von Alt und Neu näher beschreibt, ist die Frage des Sabbats. Das lesen wir hier in Kapitel 6, Vers 1.
Es gibt zwei Ereignisse, die dort an einem Sabbat stattfinden: Zum einen die Jünger, die Ähren ausraufen, was von den Pharisäern kritisiert wird, und zum anderen heilt Jesus einen Menschen, der ihm am Sabbat begegnet.
Ich lese erst einmal den Abschnitt, Verse 1 bis 5 aus Kapitel 6, und dann wollen wir uns mit dem etwas beschäftigen:
Es geschah aber, dass er am zweiten Sabbat nach dem ersten durch die Kornfelder ging, und seine Jünger streiften Ähren ab, zerrieben sie mit den Händen und aßen sie. Da sagten etliche von den Pharisäern zu ihnen: „Warum tut ihr, was am Sabbat nicht zu tun erlaubt ist?“
Und Jesus antwortete ihnen und sprach: „Habt ihr nicht einmal gelesen, was David tat, als er und seine Gefährten hungrig waren, wie er in das Haus Gottes hineinging und die Schaubrote nahm und aß und auch seine Gefährten davon gab, welche doch niemand essen darf als nur die Priester?“
Und er sprach zu ihnen: „Der Sohn des Menschen ist der Herr auch über den Sabbat.“
Hier wird vom zweiten Sabbat gesprochen. Es gibt verschiedene Deutungen dazu. Die einen sagen, es gab eine bestimmte Feierzeit, also eine Festzeit, und jetzt sei ein erster Sabbat gewesen, und nun hätte der zweite stattgefunden.
Ich halte die Lösung für wesentlich einfacher, wenn wir nämlich zurückblättern in Kapitel 4, Vers 31, also relativ gegen Ende des vierten Kapitels. Dort steht: „Und er kam nach Kapernaum, einer Stadt in Galiläa, und lehrte sie am Sabbat.“
Dann lesen wir, dass er die Schwiegermutter des Petrus dort am Sabbat heilt und einen Dämon austreibt. Das ist alles in den folgenden Versen zu finden.
Mir scheint es so, dass einfach das, was jetzt zwischendrin am Anfang des Kapitels 5 steht, die ganze Woche über abgelaufen ist und dass jetzt der zweite Sabbat in Kapernaum einfach gemeint ist.
Das heißt, er kam in die Stadt Kapernaum, scheinbar zieht er dort jetzt hin, da bleibt er ja auch längere Zeit, nachdem er Nazaret verlassen hat. Jetzt wird einfach die Situation erwähnt, in der er den zweiten Sabbat in Kapernaum verbringt und dort mit den Menschen zu tun hat.
Es ist also der zweite Sabbat, und scheinbar werden sie ganz genau von den Pharisäern überwacht.
Dann ist es eine Situation wie heute zum Beispiel beim Spaziergang: Da sind einige mitgekommen, sie sind durch die Felder gestreift, und tatsächlich – so habe ich das auch mit meinem Sohn gemacht – da lag eine Ähre am Boden. Ich habe diese Ähre genommen, die Kornähre, die da herumlag, und habe sie dann so aufgeknibbelt, dass die Spelzen davon weggegangen sind. Ich habe ihm dann ein paar Körner gegeben, die ihm gut geschmeckt haben. Er hat gesagt, das ist gut für seine Soldaten.
Und jemand, der nicht weiß, was das bei uns bedeutet, kann das nicht einordnen. Wir haben ihm dann mal versucht zu erklären, wofür gesunde Sachen gut sind und dass es in seinem Körper Soldaten gibt, die gegen die Bösen kämpfen. Die Bösen sind dann eben die Bakterien usw.
Und jetzt, immer wenn er etwas Gesundes isst, meint er eben, jetzt tut er etwas Gutes für seine Soldaten. Hier ist es eben das rohe Korn, das so gekaut wird.
Auf jeden Fall ist das Ähnliche, was auch hier die Jünger Jesu getan haben. Sie hatten Hunger und pflückten dort etwas Ähren.
Interessanterweise klagen die Pharisäer die Jünger nicht des Raubes an, was ja möglich gewesen wäre. Stellt euch vor, jemand kommt zu euch nach Hause, ist hungrig, legt die Hand an und plündert euren Kühlschrank. Dann würdet ihr euch wahrscheinlich nicht beschweren, dass das vielleicht an einem Sonntag geschieht, sondern eher darüber, dass er eure Sachen geraubt hat. Aber das tun sie hier an dieser Stelle nicht.
Interessant ist auch, dass sich die Pharisäer in erster Linie an Jesus wenden, indem sie ihn fragen, was da getan wird.
Ich meine, erst einmal überwachen sie das. Sie schauen genau zu, wo die Spaziergänger hingehen. Immer ein paar Pharisäer sind hinter den Büschen versteckt oder laufen hinterher und beobachten, was sie machen. Dann greifen sie Jesus an, weil Jesus derjenige ist, der, wie ich gestern schon gesagt habe, verantwortlich für das Tun seiner Jünger ist. Das gilt beim Fasten und natürlich auch beim Verhalten am Sabbat.
Allerdings wird uns schnell auffallen, dass Jesus in dem, was er sagt – auch am Ende, wenn er sagt: „Der Sohn des Menschen ist Herr auch über den Sabbat“ – den Sabbat nicht aufhebt.
Wir finden keine Stelle im Neuen Testament, also ich meine bei den Reden Jesu, wo er sagt, ihr müsst den Sabbat nicht mehr einhalten oder euch nicht mehr danach richten.
Denkt wieder daran: Gestern haben wir darüber gesprochen, dass Jesus sich mit dem Alten und Neuen nicht gegen die Regeln des Alten Testaments wendet, sondern gegen die Interpretation des Alten Testaments durch die Juden, insbesondere durch die Pharisäer.
Und genau das tut er eben an dieser Stelle auch.
Die rabbinischen Sabbatregeln und ihre Auswirkungen
Es gibt Autoren und Ausleger, die darauf hinweisen, dass die Kritik eigentlich nicht dem Essen galt, sondern vielmehr dem Umstand, dass die Betroffenen zu viel gelaufen seien. Ihr wisst ja, dass es bis heute bei den Juden Regeln gibt, die vorschreiben, am Sabbat nur eine bestimmte Anzahl an Schritten zu gehen. Alles, was darüber hinausgeht, gilt als Sünde.
Einige Ausleger meinen nun, die Pharisäer hätten das kritisiert, weil die Leute durch die Felder streiften. Wenn sie das Korn an Ort und Stelle gegessen hätten, wäre das kein Problem gewesen. Aber da sie durch die Felder gingen und dabei das Korn aßen, seien sie zu weit gelaufen. Diese Interpretation halte ich allerdings für eher unwahrscheinlich, denn dann wäre die Reaktion Jesu nicht verständlich. Er spricht ja von dem Essen der Schaubrote, bei dem es um Speise geht.
Deshalb halte ich es für viel wahrscheinlicher, dass es hier tatsächlich darum geht, dass sie gegessen haben und dies von den Pharisäern kritisiert wird. Zur Zeit des Sabbats war es nach der Lehre der Pharisäer verboten zu arbeiten, was auch im Alten Testament so festgelegt ist. Die schwierige Frage war jedoch: Was genau ist Arbeit?
Ihr kennt das vielleicht – manchmal spricht man davon, dass um das Gesetz ein „Zaun“ gebaut wird. Um das Gesetz nicht zu übertreten, da es für die Juden sehr heilig war, hielten sie lieber etwas mehr ein als zu wenig. Dieser Gedanke ist ja grundsätzlich hochachtungsvoll. Da steht zum Beispiel „Du sollst nicht lügen“, und manche Menschen fragen sich heute noch, ob das gerade eine Lüge ist oder ob sie das noch tun dürfen – immer so nah wie möglich am Gesetz, um nicht in Sünde zu fallen.
Für die Pharisäer war das unverständlich. Sie sagten: „Machen wir den Kreis lieber etwas größer, damit wir ja nicht hineinstürzen.“ Oder heute, ich erinnere mich an manche Gespräche in Gemeinden, etwa in Jugendstunden, bei denen die Frage aufkam, ob man vor der Ehe zusammen schlafen darf. Dabei diskutierten die Jugendlichen oft darüber, wie nah man sich kommen darf, ohne zu sündigen. Sie wollten wissen, was man gerade noch tun darf: Wie weit darf man anfassen, umarmen oder zusammenliegen?
Für die Pharisäer war das keine Frage. Sie sagten lieber: „Zieh dir einen dicken Mantel an, zieh Handschuhe an, damit du gar nicht erst in Versuchung kommst, dem anderen zu nahe zu kommen.“ So war die Haltung der Pharisäer. Und das ist durchaus nicht von der Hand zu weisen – es war Frömmigkeit, sie wollten es ernst nehmen.
Die Frage der Pharisäer war also: Wir wollen das Gebot Gottes nicht überschreiten. Was ist denn jetzt Arbeit? Was dürfen wir tun, was nicht? Da gibt es viele seltsame Fälle. Ich weiß nicht, ob ich es euch schon erzählt habe, aber während meines Studiums habe ich unter anderem in einem Hotel gearbeitet. In diesem Hotel gab es regelmäßig jüdische Reisegruppen, denn der Hoteldirektor war messianischer Jude und hatte gute Beziehungen nach Israel.
Während des Sommers gab es wenig Geschäftsreisende, weil die alle Urlaub hatten. Dann wurden jüdische Reisegruppen eingeladen, die auf einer Tour durch Europa waren, etwa fünf Tage lang. Meistens kamen sie zweieinhalb Tage vorher in Rom an, schauten sich die Stadt an, fuhren dann eine Nacht bis an den Rand der Schweiz, besichtigten die Luzerner Brücke, übernachteten in Basel und am nächsten Morgen ging es weiter nach Paris, dann nach London und schließlich zurück nach Israel. Solche Touren kennt ihr vielleicht.
Sie kamen also meistens am Freitagabend an. Freitagabend beginnt für die Juden der Sabbat. Da gab es einige Besonderheiten. Das war ein Fünf-Sterne-Hotel, in dem ich arbeitete. Sie hatten dort wirklich gutes Porzellan und so weiter zum Essen am Morgen, aber davon aßen die Gäste nicht. Stattdessen mussten wir spezielles Plastikgeschirr besorgen, weil das koscher ist – also rein und nie mit Unreinem in Kontakt gekommen. Obwohl die Spülmaschine in Ordnung war und alles sauber auf den Tellern war, aßen sie nicht davon. Nein, besser einweg Plastikgeschirr im Fünf-Sterne-Hotel mit bestem Essen, das ist koscher. Solche Regeln gab es.
Eine andere Sache, die zeigt, wie unterschiedlich man Arbeit definieren kann: Stellt euch einen schönen Sommertag vor, wie den Tag, an dem ihr gekommen seid. Stellt euch ein Hotel in der Innenstadt vor, nicht so flach wie hier, sondern mit mehreren Stockwerken. Ihr habt ein Zimmer im sechsten oder siebten Stock. Nun die Frage: Was ist Arbeit – wenn ihr den Fahrstuhl benutzt oder wenn ihr eure Koffer die Treppe hochtragt? Normalerweise würden wir sagen, das Tragen der Koffer die Treppe hoch ist mehr Arbeit.
Nach jüdischer Lehre ist das ein Irrtum. Wenn man den Fahrstuhl benutzen will, muss man meistens einen Knopf drücken. Und das Drücken des Knopfs gilt nach rabbinischer Lehre als Arbeit. Das Tragen der Koffer ist, solange man nicht zu viele Schritte macht, keine Arbeit beziehungsweise erlaubte Arbeit.
Meine Aufgabe war es dann, immer zufällig an der Tür des Fahrstuhls zu stehen und den Knopf immer wieder zu drücken. Die Gäste stiegen ein, durften mir aber nicht sagen, in welchem Stock sie waren, weil sie sonst den Heiden aufgefordert hätten, am Sabbat zu arbeiten. Das durften sie nicht. Wenn der Heide aber ohne Aufforderung arbeitet, müssen sie ihn nicht davon abhalten.
Also habe ich an jeder Etage gedrückt, und der Fahrstuhl blieb an jeder Etage stehen. Irgendwann stiegen sie dann „zufällig“ aus, weil der Fahrstuhl gerade da war. So viel zur Definition von Arbeit.
Manche dieser Regeln sind nicht nachvollziehbar und nicht rational. Es gab auch andere Regelungen bei den Rabbinen zu jener Zeit. So wurde zum Beispiel festgelegt, dass es Arbeit ist, wenn du ein Stück Brot oder etwas zu essen über die Schwelle deines Hauses trägst. Im Haus selbst kannst du es beliebig tragen, aber über die Schwelle hinaus – also nach draußen – gilt das als Arbeit. Denn es könnte ja sein, dass du das draußen verkaufen, tauschen oder anderweitig verwenden willst.
Im Talmud stehen viele solcher Fälle und Eventualitäten. Fromme Juden kamen auf die Idee: Was, wenn am Sabbat ein Bettler an die Haustür kommt? Was macht man dann? Natürlich könnte man ihn ins Haus einladen, aber das möchte man nicht unbedingt. Dafür gab es eine Lösung.
Meine Lösung wäre gewesen, das Brot einfach durch die Tür hinauszuwerfen, um es nicht zu tragen. Aber das ist unhygienisch, wenn es draußen in den Dreck fällt. Die Lösung der Rabbinen war genial: Man legt das Brot in den Fensterrahmen hinein, und der Bettler nimmt es von außen heraus. So hat niemand die Türschwelle überschritten.
Oder man legt es auf die Türschwelle, und der andere nimmt es von draußen. So haben weder der Geber noch der Empfänger gesündigt, und der Bettler hat das Brot. Das zeigt, wie sehr man sich selbst Probleme macht. Man muss sich nicht unbedingt an alle diese Details halten.
Generell kann man sagen: Jede Arbeit ist geregelt. Zum Beispiel durfte man nur so viel Tinte mit sich tragen, wie für das Schreiben eines Briefes nötig ist, nicht für zwei oder drei. Man sagte, es könnte sein, dass man am Sabbat einen Brief schreiben muss. Aber wenn man mehr schreibt, kann man es auch auf den nächsten Tag verschieben. Dann wäre es schon Berufstätigkeit und nicht erlaubt.
Es gab viele solcher Einzelregeln. Jedenfalls ging es generell darum, zu vermeiden, am Sabbat berufstätiger Arbeit nachzugehen. Arbeit, die unbedingt nötig ist, wie Essen, war erlaubt. Aber die Essensvorbereitung war verboten. Die konnte man ja am Tag vorher erledigen, sodass man am Sabbat nur noch isst.
Dabei bezog man sich unter anderem auf die Gesetzgebung Gottes in der Wüste. Dort gab es das Manna, das am Tag vor dem Sabbat gesammelt werden sollte, damit man am Sabbat nicht in der Essensvorbereitung arbeiten muss. Darauf berief man sich und sagte: Alle Arbeit, die berufstätig ist oder an einem anderen Tag erledigt werden kann, darf am Sabbat nicht getan werden.
Die Kritik der Pharisäer und Jesu Antwort
Und wir merken, dass das Ausreißen der Ähren an sich nicht das Problem ist. Denn wenn wir in 5. Mose 23,26 nachlesen, sehen wir, dass es einem hungerigen Wanderer erlaubt wurde, am Rand des Feldes Ähren auszuraufen, um zu essen. Allerdings wird dort nicht speziell der Sabbat erwähnt, sondern allgemein. Damit betone ich noch einmal: Es handelt sich hier nicht um ein Eigentumsdelikt als Problem, sondern darum, dass dies am Sabbat geschieht.
Die Pharisäer werfen den Jüngern vor, zu ernten, zu dreschen, zu worfeln und Essen vorzubereiten – auch wenn sie es hier nicht genau formulieren. Das habe ich vorhin auch demonstriert. Man kann sich vorstellen, dass all diese Tätigkeiten innerhalb einer Minute erledigt sind.
Indem du das Korn abgerissen hast, hast du geerntet. Wenn du dann die Körner gerieben hast, sodass sie sich aus den Spelzen lösen, hast du gedroschen, denn jetzt kommen die Spelzen weg. In dem Moment, in dem du die Spelzen weggeworfen hast, hast du geworfelt. Und sobald du die Körner in den Mund gesteckt hast, hast du Essen zubereitet. Nach rabbinischer Lehre hast du also viermal das Gebot des Sabbats durch Arbeit überschritten.
Wir würden natürlich auch sagen, dass das etwas merkwürdig ist: Was ist der Unterschied, ob du eine Gabel in den Mund führst oder ein paar Körner direkt vom Feld? Aber so war es nach rabbinischer Lehre. Ich betone hier noch einmal: Nach rabbinischer Lehre, denn nach dem Alten Testament war das nicht verboten. Dort gibt es diese Einzelauflistung nämlich gar nicht. Das bestätigt genau das, was ich euch zu sagen versuche: Jesus wendet sich nicht gegen das Gebot des Alten Testaments, auch hier nicht gegen die Sabbatordnung, sondern gegen die Interpretation, den Missbrauch und die Missdeutung, die die Pharisäer den Geboten Gottes entgegenbringen.
Allerdings muss man auch sagen, dass es unter den Rabbinern verschiedene Auffassungen gab – und bis heute gibt – was genau am Sabbat erlaubt war und was nicht. Sie hatten eine recht eigene Auffassung darüber. Es gab auch manche Gesetzeslehrer, die die Anzahl der Ähren zählten. Ab einer bestimmten Zahl war es dann Arbeit, darunter nicht.
In Vers 3 lesen wir: Und Jesus sprach zu ihnen: „Habt ihr nicht gelesen, was David tat, als er mit seinen Gefährten hungrig war?“
Hier startet Jesus eigentlich einen Affront gegen die Pharisäer. Stellt euch vor, ihr seid in eurem Fachgebiet fit, arbeitet täglich darin und kennt euch aus. Dann kommt jemand, dem ihr nicht viel Achtung entgegenbringt und der wenig Ahnung hat, und fragt euch: „Kennt ihr nicht diese einfache Sache?“ Natürlich kennt ihr sie. So ist es hier. Die Pharisäer meinten, die Schrift sehr gut zu kennen. Natürlich kannten sie die Geschichte von David. Und hier steckt ein gewisser Affront: „Seid ihr nicht ein bisschen dumm? Erinnert ihr euch nicht daran? Das müsst ihr doch eigentlich kennen!“
Denn hier macht David etwas, was nach alttestamentlichem Gebot eigentlich verboten war. Jesus erwähnt dieses Beispiel, weil es nach jüdischer Logik und Argumentation seine Position stützt. Ein jüdischer Rabbiner suchte im Alten Testament nach Beispielen oder Ausnahmen, die auf seine Situation passen. Hier geht es um das Essen verbotener Sachen oder das Essen zu verbotener Zeit. Wenn er da ein Beispiel aus dem Alten Testament fand, war seine Handlung gerechtfertigt.
Jesus erzählt also nicht irgendetwas, sondern nimmt ein Beispiel aus dem Alten Testament, in dem Gott eine eigentlich verbotene Handlung legitimiert – aus der Not heraus, weil Hunger da ist. Hunger ist das verbindende Element. Die Jünger haben Hunger, deshalb dürfen sie auch etwas tun, was nach der Auffassung der Pharisäer, nicht nach der Bibel, verboten ist.
Wer das nicht so präsent hat, kann das in 1. Samuel 21,2-7 nachlesen. Die Schaubrote waren im Alten Testament von Gott vorgeschrieben. Es gab insgesamt zwölf davon – zwölf Brotleibe, die an jedem Sabbat beziehungsweise direkt vor dem Sabbat neu gebacken wurden. Diese zwölf Brote sollten die zwölf Stämme Israels repräsentieren. Sie wurden mindestens elfmal gesiebt und ins Heiligtum gelegt. Nach einer Woche, wenn sie dort gelegen hatten, als Symbol des Opfers für Gott, wurden sie von den Priestern gegessen. Nur die Priester durften sie essen, wie wir in 3. Mose 24,5-9 lesen können.
Während der Zeit im Heiligtum lagen die Brote auf einem Tisch, der aus Gold war. Wahrscheinlich war es nicht der ganze Tisch, sondern nur der Überzug. Dieser Tisch stand an der Nordseite des Heiligtums.
Gott nimmt scheinbar an dem Übergriff Davids keinen Anstoß. Zumindest lesen wir in 1. Samuel, wo das berichtet wird, keinen Hinweis darauf. Es scheint in Ordnung zu sein, weil David verfolgt wird, ungerechterweise nichts zu essen hat und in dieser Notlage auch die Ordnung Gottes überschreiten durfte.
Die Folgerung wäre, dass die von Menschen gemachten Gesetze, auch wenn sie sich indirekt auf biblische Aussagen beziehen, trotzdem unter der Verfügungsvollmacht Gottes stehen. Ich betone hier besonders: Es ist die Verfügungsvollmacht Gottes. Denn wenn Jesus sagt, der Sohn des Menschen sei Herr über den Sabbat, dann heißt das eben auch nur „der Sohn des Menschen“. Jesus sagt nicht, ihr könnt jetzt tun, was ihr wollt.
Es gibt manche Christen oder Nichtchristen, die diesen Vers zitieren nach dem Motto: „Ich soll tun, was mir passt. Die Gebote Gottes sind ja letztlich nur dafür da, dass es mir gut geht. Wenn es mir dadurch nicht gut geht, brauche ich sie nicht zu befolgen.“ Diese Argumentation funktioniert nicht.
Jesus betont sehr bewusst den Sohn des Menschen. Gott hat die Möglichkeit, seine eigenen Ordnungen zu relativieren, einzuschränken oder Ausnahmen zu machen – nicht wir. Wir dürfen nicht argumentieren: „Lügen ist generell falsch, aber in dieser Situation tut mir die Lüge gut und ist für etwas Gutes, deshalb darf ich lügen.“ Nein, das gibt es nicht. Lüge ist generell falsch. Aber Gott steht über seinen Ordnungen. Er ist nicht der Sklave seiner Ordnungen und Gebote, sondern kann sehen und bestimmen, welche Bedeutung sie haben und wie sie ausgeführt werden müssen.
Darüber hinaus möchte ich noch einmal betonen, dass Gott sich nicht widerspricht. Das, was hier die Jünger tun, ist nicht nach dem Alten Testament falsch, sondern lediglich nach der Interpretation der Pharisäer.
Jesus begrenzt hier das pharisäische Sabbatsverständnis. Vielleicht füllt er es auch neu. Die Pharisäer machten den Sabbat zu einer Last für die Menschen. Sie mussten jede ihrer Handlungen beachten und bemessen: Habe ich etwas zu schwer gehoben? Bin ich zu weit gegangen? Habe ich zu stark Luft geholt? Alle Details mussten beachtet werden. Es wurde eine Last, und die Leute waren froh, wenn der Sabbat vorbei war.
Doch das war eigentlich nicht die Absicht des Sabbats. Ursprünglich war sie am siebten Tag der Schöpfung beziehungsweise am Tag nach der Schöpfung, als Gott ansah, was er geschaffen hatte, und sich daran freute. Später in Israel sollte der Sabbat an die Schöpfung erinnern und zur Hinwendung zu Gott führen. Er sollte eine Abwechslung vom Arbeitsalltag des Menschen sein, zur Erholung und Ausrichtung auf Gott – nicht dazu dienen, eine neue Last aufzuerlegen.
Hier versucht Jesus durch die Provokation der Pharisäer, die eigentliche Absicht Gottes neu in den Mittelpunkt zu stellen. Möglicherweise will er auch schon darauf hinweisen, dass, wenn Gott herrscht, eine Art himmlischer Sabbat da ist. Dann geht es nicht darum, viele Gesetze einzuhalten, sondern dass Gott Ruhe und Erfüllung gibt am Ende der Heilsgeschichte, wenn wir einmal bei ihm sein werden.
Parallelen in den Evangelien und Jesu Argumentation
Wenn wir das jetzt mit den Parallelstellen vergleichen, zum Beispiel aus dem Matthäusevangelium, finden wir eine ähnliche Geschichte in Matthäus 12,5. Dort steht noch eine zusätzliche Information. Jesus weist nämlich darauf hin: „Habt ihr nicht im Gesetz gelesen, dass am Sabbat die Priester im Tempel den Sabbat entweihen und doch ohne Schuld sind?“
Das ist das, was Matthäus dazu sagt. Vielleicht hat Jesus an einer anderen Stelle zum selben Thema etwas Ähnliches gesagt. Aber zumindest passt es gut zu unserem Thema und gibt uns ein zusätzliches Argument.
Worin besteht dieses Argument Jesu? Ich zitiere noch einmal Matthäus 12,5: „Oder habt ihr nicht im Gesetz gelesen, dass am Sabbat die Priester im Tempel den Sabbat entweihen und doch ohne Schuld sind?“
Was ist das Argument Jesu gegen die Pharisäer? Es ist genau das: Die Priester überschreiten den Sabbat, aber Gott hat es legitimiert und sogar eingesetzt. Das ist ja ihre Hauptaufgabe, deshalb sind sie Priester, dass sie auch am Sabbat arbeiten.
Gott selbst hat befohlen, dass sie am Sabbat arbeiten müssen. Somit kann mit den strengen Regeln der Pharisäer etwas nicht stimmen. Ihr macht die Vorschriften so starr und fest, dass sie die Menschen dadurch binden. Aber eigentlich kann das nicht richtig sein, denn sonst hätte Gott es nicht selbst befohlen.
Wir lesen dann auch noch in Matthäus 12,6: „Ich sage euch aber: Hier ist einer, der größer ist als der Tempel.“
Hier will Jesus darauf hinweisen, dass der Tempel die Autorität für die pharisäischen Juden darstellt. Die Pharisäer sind zusammen und diskutieren, und Jesus sagt, er ist größer als die äußeren Formen und die Tradition, die man sich selbst aufgebaut hat.
Die Lehre für unser Bibelverständnis und Dogmatik
Wenn wir uns nun die Frage stellen, welche Lehren wir aus dem Ganzen ziehen können, also die Moral von der Geschichte, dann müssen wir das sicherlich auf mehreren Ebenen betrachten.
Zum einen würde ich sagen, dass wir aufgefordert sind, mit offenen Sinnen an die Bibel heranzugehen. Nicht mit einer vorgefertigten Dogmatik, bei der wir nur noch nach Bestätigung für unsere feststehende Meinung suchen. Also nicht nach dem Motto „Höre, Herr, dein Knecht spricht“, sondern eher nach dem Motto „Herr, rede, dein Knecht hört“. Denn manchmal ist es so, dass wir in der Bibel blättern, um eine Bestätigung für unsere vorgefertigte Meinung zu finden und dabei möglicherweise gar nicht bereit sind, unsere Meinung zu revidieren oder zu verändern.
Mir ist das in der Vergangenheit einige Male so ergangen. Doch mir ist auch passiert, dass Gott mir gezeigt hat, dass manches, was ich für richtig hielt, falsch war – gerade dort, wo ich bereit war, meine eigene Auffassung vorbehaltlos in Frage zu stellen. Ein Beispiel: Als ich zum Glauben gekommen bin und zur Schule ging – ich will hier die Zeit der frühen Achtzigerjahre darstellen –, war die Friedensbewegung sehr stark verbreitet. Zu dieser Zeit war ich überzeugt, dass ein Christ nicht zur Bundeswehr gehen und keine Gewalt anwenden darf. Ich dachte, ein Christ müsse Pazifist sein und Gewalt um jeden Preis ablehnen.
Doch je mehr ich in der Bibel las, desto mehr merkte ich, dass diese Auffassung so nicht stimmt. Sie klingt zwar gut, ist aber nicht biblisch. Warum? Wir könnten ein ganzes Seminar darüber halten, aber in Kürze: Wenn man das Alte Testament betrachtet, sieht man, dass es keineswegs gewaltlos zuging. Es gab viele Kriege, die sogar direkt auf Gottes Aufforderung hin geführt wurden. Jesus selbst fordert seine Jünger zum Beispiel auf, ihre Beutel zu verkaufen und Schwerter zu kaufen.
Natürlich kann man an anderer Stelle lesen, dass das Schwert wegzustecken ist, aber das hängt auch damit zusammen, dass Jesus festgenommen werden sollte und für unsere Erlösung hingerichtet werden musste. Das bedeutete nicht, dass seine Jünger niemals Gewalt anwenden sollten. Manche führen auch an, dass „wer das Schwert nimmt, durch das Schwert umkommt“. Das ist jedoch kein Verbot, sondern ein Hinweis darauf, dass man, wenn man kämpft, damit rechnen muss, getötet zu werden. Das ist selbstverständlich.
An anderen Stellen lesen wir, dass Jesus gekommen ist, um das Schwert zu bringen. Oder nehmen wir die Begegnung Jesu mit dem Hauptmann von Kapernaum, der Soldat war – sogar Besatzungssoldat eines fremden Landes. Man hätte sagen können: „Was macht der denn da eigentlich in Israel?“ Ähnlich wie die Amerikaner im Irak. Jesus hätte ihm sagen können: „Geh nach Hause, Römer!“ Doch das tut er nicht. Er fordert ihn nicht einmal auf, seine Waffen abzulegen. Stattdessen soll er seine Aufgabe weiter erfüllen – als Jünger Jesu.
Oder denken wir an die Soldaten, die zu Johannes dem Täufer kamen, dem Vorläufer Jesu. Sie fragten: „Was sollen wir tun?“ Johannes sagte nicht: „Gebt euren Job auf und werdet Friedensrichter oder so etwas“, sondern er forderte sie auf: „Seid nicht ungerecht, betrügt die Menschen nicht, plündert sie nicht aus und wendet nicht mehr Gewalt an als nötig.“ Das sind die biblischen Aufforderungen, und es gibt noch viele weitere.
Ich könnte euch noch einiges darüber erzählen, aber das ist eher eine neuere Auffassung, bei der ich mich durch das Lesen der Bibel korrigieren musste. Ich glaube, wir brauchen das immer wieder: Wir dürfen unsere festgefahrene Dogmatik nicht über die direkten Aussagen der Bibel stellen und dabei die Bibel vielleicht sogar „vergewaltigen“.
Es gibt viele Streitpunkte, auch unter den Schülern an der Bibelschule. Ihr könnt euch das sicher vorstellen: Man ist eifrig im Gespräch und manchmal auch im Streit, zum Beispiel bei der Frage der Prädestination oder des freien Willens. Die Schüler schlagen sich dabei mit Bibelversen die Köpfe ein. Der eine kämpft dafür, dass Calvin Recht hatte und alles vorbestimmt ist, also prädestiniert. Viele Bibelstellen werden auf den Tisch gelegt. Bis zu einem gewissen Grad ist das ja auch in Ordnung, aber irgendwann muss Schluss sein.
Häufig tendieren die Schüler dazu, wenn sie eine Wahrheit erkannt haben, diese über alles zu stellen. Sie haben erkannt, dass Gott die Menschen erwählt hat, und meinen nun, überall müsse Erwählung stehen. Wenn an einer anderen Stelle aber vom freien Willen die Rede ist, wird das so lange uminterpretiert, bis es auch Prädestination bedeutet. Das ist aber nicht so.
Wenn ich erkannt habe, dass Gott mich erwählt hat, ist das wunderbar, und ich kann Gott dafür danken. Aber wenn ich an anderer Stelle lese, dass ich selbst verantwortlich bin für das, was ich tue – zum Beispiel in Johannes 3,16-18 –, dann steht dort, dass diejenigen, die Jesus nicht angenommen haben, sich selbst verurteilt haben. Das ist die Handlung des Menschen.
Dann müssen wir sagen: „Jetzt muss ich selbst darauf achten, mich bekehren und umkehren.“ Oft wird nur ein Teil dieses Zusammenhangs zitiert, etwa der Vers „Schaffet das ihr selig werdet mit Furcht und Zittern“. Daraus wird dann gefolgert, dass die freie Entscheidung des Menschen zählt und er sich anstrengen muss. Doch direkt danach steht: „Denn Gott ist es, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen.“ Diesen zweiten Teil lesen viele, die an die Prädestination glauben, nicht.
Wir sollten also nicht so mit der Bibel umgehen. Besser ist es, unsere Dogmatik über Bord zu werfen, auch wenn sie noch so schön ist und von Luther, Calvin oder anderen großen Persönlichkeiten stammt, wenn sie nicht mit der Bibel übereinstimmt. Es ist besser, unlogische Dinge zu glauben, die in der Bibel stehen, als an eine Dogmatik zu glauben, die im Himmel als falsch erkannt wird und womöglich Menschen geistlich verletzt und ihnen falsche Lehren überstülpt.
Damit will ich nicht sagen, dass alle Theologie schlecht ist. Theologie ist gut, aber sie muss immer ihre Grenzen beachten. Und bei manchen Dingen glauben wir wahrscheinlich auch Dinge, die total absurd oder sogar unsinnig sind – nur weil sie in der Bibel stehen.
Wer von euch glaubt nicht an die Dreieinigkeit? Viele von uns haben sich daran gewöhnt, weil wir so lange daran glauben. Aber an sich ist die Dreieinigkeit total verrückt. Das merkt man, wenn man Ungläubigen versucht, sie zu erklären: „Drei ist eins.“ Das ist unsinnig. Entweder ist drei drei oder eins eins. Aber drei ist eins? Das geht nicht.
Vielleicht sagt man dann: „Das ist so wie mit dem Dreieck.“ Aber das stimmt nicht. Denn beim Dreieck wäre Gott nur ein Teil davon, der Vater nur ein Teil von Gott und der Sohn nur ein Teil von Gott. Das ist falsch und auch nicht die Lehre. Jesus ist ganzer Gott, also wäre er das ganze Dreieck. Aber dann sagt man: „Das ist jetzt aber der Sohn, und dieses ganze Dreieck spricht jetzt zu sich selbst.“ Zum Beispiel, wenn Jesus den Vater im Himmel bittet, seinen Willen zu tun – welchen Willen tut er dann? Seinen eigenen oder den des Vaters?
Ich will euch nicht verwirren oder dazu bringen, frustriert ins Bett zu gehen und zu sagen: „Ich weiß gar nicht mehr, wie das ist.“ Nein, ich will nur sagen: Wir glauben daran, weil die Bibel ganz deutlich sagt, dass es nur einen Gott gibt. Dann steht da: „Ich und der Vater sind eins.“ Und Jesus kann Sünden vergeben – das kann nur Gott. Jesus ist allwissend – das kann nur Gott. Und doch ordnet sich Jesus Gott unter. Also muss es da noch mehr Gott geben.
Durch diese ganzen scheinbar verrückten Aussagen sagen wir: Es gibt drei und es gibt eins. Drei und eins gehören zusammen. Das ist unlogisch, aber ich finde es gut, dass wir das glauben, weil die Bibel beides sagt. Nicht, dass wir eine neue theologische Lehre aufbauen und sagen: „Es gibt nur drei“ oder „Es gibt nur eins.“ Übrigens gab es in der Kirchengeschichte lange Jahrhunderte Streit darüber. Die einen sagten Monophysitismus, also nur eins, nur einer. Die anderen sagten, es gibt drei Götter. Beides war falsch. Die Bibel spricht von beidem.
Das war jetzt nur ein Beispiel. Wir machen hier keine Dogmatik über die Gotteslehre. Aber das ist es, was ich meine: Wir sollten darauf achten, dass unsere Dogmatik nicht über den direkten Aussagen der Bibel steht. Das führt zu Problemen.
Genau das haben die Pharisäer getan. Sie hatten ihre feste Dogmatik, die man heute noch im Talmud nachlesen kann. Dort galt: „Wenn Gott das sagt, dann bedeutet das genau das.“ Wenn man nicht so handelte, wurde man ausgeschlossen oder bestraft – bis hin zu Körper- oder Todesstrafe. Das geschah nicht, weil es Gottes Wille widersprach, sondern wegen zusätzlicher Lehren, wie das Alte Testament nach Auffassung der Pharisäer interpretiert wurde.
Die Bedeutung von Gerechtigkeit und Werken vor Gott
Die zweite Sache, die wir aus diesem Beispiel lernen können, ist, dass unsere Gerechtigkeit vor Gott nicht in erster Linie Werkgerechtigkeit ist.
Es gibt einige Christen und Gemeinden, die gerne noch etwas zu der Errettung durch Jesus beitragen möchten. Sie können sich einfach nicht mit dem Gedanken abfinden, dass Errettung allein durch Jesus geschieht. Häufig sind es Christen, die dadurch auch provozieren. Sie fragen dann: Was ist, wenn sich jemand bekehrt, aber später wieder sagt, er will von Gott nichts mehr wissen? Wenn diese Person nicht mehr in die Gemeinde geht, stiehlt, betrügt oder das Gesetz bricht – kann diese Person dann noch errettet werden?
Was steht in der Bibel? Werden Menschen aufgrund ihrer Werke errettet oder nicht? Wenn jemand sich wirklich ehrlich bekehrt hat, ist das entscheidend. Natürlich gibt es auch Leute, die sich nie wirklich bekehrt haben. Manche haben vielleicht während eines Evangelisationsabends die Hand gehoben, aber in der Bibel steht nicht, dass jemand, der bei Billy Graham die Hand gehoben hat, automatisch errettet ist. Das steht dort nicht.
Errettung gilt nur für diejenigen, die Buße getan, umgekehrt und ihre Sünde bereut haben. Dabei genügt es nicht, nur aufzustehen oder nach vorne zur Kapelle zu gehen. Du kannst so oft nach vorne gehen, wie du willst – dadurch kommst du nicht in den Himmel. Nur eine innere, echte Umkehr zu Gott rettet.
Wer diese echte Umkehr getan hat, ist errettet – auch wenn er später in seinem Leben wieder sündigt. Diese Sünde ist zwar schlecht. Im 1. Korinther 3,13-15 wird beschrieben, dass ein solcher Mensch wie durchs Feuer hindurch gerettet wird. Alles, was er getan hat, wird wie Heu oder Stroh abbrennen. Er wird nackt und bloß vor Jesus stehen und sich schämen müssen, weil er sein Leben auf der Erde vertan hat. Möglicherweise muss er sogar Strafleiden auf der Erde ertragen, weil Gott ihn korrigiert und zurückführt.
Aber Errettung hat nichts mit Werken zu tun. Das will Jesus hier auch den Pharisäern deutlich machen. Ihr Einhalten des Gesetzes und euer Zaun darum ist zwar gut gemeint, aber er führt nur dazu, dass ihr selbstgerecht sein wollt. Ihr meint, einen eigenen Weg zu Gott bahnen zu können – das geht aber nicht. Es geht nur um Vergebung, die Jesus allein geben kann und will.
Soweit also dazu.
Heilung am Sabbat als weitere Herausforderung der Pharisäer
Dann gehen wir weiter zum nächsten Teil unseres Abschnitts, und zwar zu Vers 6. Hier geht es ebenfalls um den Sabbat. Dort steht: „Es geschah aber auch an einem anderen Sabbat.“ Es wird nicht genau gesagt, ob es der dritte, vierte oder fünfte Sabbat danach war.
Wir merken jedoch, dass Lukas diese Berichte bewusst so zusammengestellt hat, um zu zeigen, dass es Jesus bei den Pharisäern darum ging, deutlich zu machen, dass sie eine falsche Auffassung vom Sabbat haben. Deshalb erwähnt er in diesem Zusammenhang noch ein weiteres Beispiel.
Das erste Beispiel war das Essenmachen, bei dem Körner zerrieben, also gerieben und gegessen wurden. Das zweite Beispiel ist eine Heilung. Ich lese Vers 6:
„Es geschah aber auch an einem anderen Sabbat, dass er in eine Synagoge ging und lehrte, und dort war ein Mensch, dessen rechte Hand verdorrt war. Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer lauerten ihm auf, ob er am Sabbat heilen würde, um einen Grund zur Anklage gegen ihn zu finden. Er aber kannte ihre Gedanken und sprach zu den Menschen: ‘Der, der die verdorrte Hand hatte, steh auf und stelle dich in die Mitte!’ Da stand er auf und stellte sich dorthin. Da sprach nun Jesus zu ihm: ‘Ich will euch etwas fragen: Darf man am Sabbat Gutes oder Böses tun, das Leben retten oder verderben?’ Und indem er sie alle ringsum ansah, sprach er zu dem Menschen: ‘Strecke deine Hand aus!’ Der aber tat es, und seine Hand wurde wiederhergestellt und ward gesund wie die andere. Sie aber wurden mit Unverstand erfüllt und besprachen sich miteinander, was sie Jesus antun könnten.“
In den Parallelberichten finden wir sogar, dass sie sich besprachen, wie sie ihn töten könnten, also noch ein Stück weiter.
Es ist also ein weiterer Sabbat, und Jesus will jetzt nicht nur durch Worte, sondern wieder durch eine Tat – eine symbolische Tat – die Pharisäer darauf aufmerksam machen, dass ihre Auffassung des Alten Testaments und ihr Verständnis des Weges zu Gott falsch sind. Es geht darum, diese menschenunwürdigen Lasten und Verzerrungen der jüdischen Lehren hervorzuheben und aufzuzeigen.
Nur bei Lukas wird erwähnt, dass es sich bei der Krankheit des Mannes, also bei der Verdorrung, um die rechte Hand handelt. Die Parallelberichte in Matthäus und Markus erwähnen nur, dass eine Hand vertrocknet oder verdorrt war, wie es hier beschrieben wird.
Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass Lukas sich mehr für Details interessiert. Er sagte ja auch, dass er detailliert nachgeforscht hat, wie es sich genau verhalten hat. Er gibt sich also nicht damit zufrieden, dass es irgendeine Hand war, sondern es war die rechte Hand, die krank war.
Dieses Verdorren kann man verschieden übersetzen, deshalb findet man in verschiedenen Bibeln unterschiedliche Hinweise. Manche schreiben auch „erstorbene Hand“. Wenn wir in Lexika nachschauen, handelt es sich wahrscheinlich um eine Art Lähmung der Muskeln und Nerven, eine Verkrüppelung der Hand, bei der die Hand zusammenschrumpft oder zusammengesunken ist und nur eingeschränkt oder gar nicht gebrauchsfähig war.
Heilungsmöglichkeiten für diese Art Erkrankung waren in der Antike, also auch in Israel zur Zeit Jesu, nicht bekannt.
Der Gelähmte, also der Mann mit der gelähmten Hand, hat nicht nur das Problem, dass er selbst unter der verkrüppelten Hand leidet. Für die Juden war er auch ein theologisches Problem. Die Pharisäer verstanden ihr Volk als von Gott in der Wüste erwählt und sahen es nun als Vorbild für alle Völker an.
Als vorbildliches Volk sollten sie auch gesund und von Gott gesegnet sein. Wie auch die Jünger verstanden die meisten Pharisäer damals Krankheit ausschließlich als Zeichen oder Folge von Sünde.
Das Problem war: In Israel gab es viele Kranke. Jesus wollte sie heilen. Diese Kranken galten als Zeichen dafür, dass Israel nicht rein war, sondern voller Sünde. Auch dieser Mann, der in der Synagoge steht und mitbeten will, war krank aufgrund von Sünde – so die Auffassung der Juden.
Jesus korrigiert diese Sicht an einigen Stellen. Zum Beispiel fragen die Jünger: „Wer hat gesündigt, er oder seine Eltern?“ Jesus antwortet: „Keiner von beiden, er ist nur krank, damit sich Gott an ihm verherrlichen kann.“
Wir sehen also, dass es im Neuen Testament auch andere Gründe für Krankheit gibt. Aber die Pharisäer hatten wieder das Problem: Wenn Jesus heilt, dann müsste er auch die Sünde vergeben, denn der Kranke ist ja aufgrund von Sünde krank – so ihre Vorstellung.
Darüber hinaus war es auch problematisch, dass wenn sie Jesus eine Sünde vorwerfen, sie selbst oder ihr Volk von Sünde gekennzeichnet sind, weil es in ihrer Umgebung zahlreiche Krankheiten gibt.
Ein weiteres Problem war: Wenn jemand aufgrund von Sünde krank ist, dann kann er eigentlich nicht von jemandem geheilt werden, der selbst mit Sünde belastet ist.
Jesus führt das hier aus: Wenn er ihn gesund macht, dann müsste er eigentlich ohne Sünde sein, sonst könnte er den anderen, der von Sünde belastet ist, nicht gesund machen.
Die Feindseligkeit der Pharisäer gegenüber Jesus
Vers 7: Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer lauerten Jesus auf, um zu sehen, ob er am Sabbat heilen würde. Sie suchten einen Grund, um Anklage gegen ihn zu erheben.
Hier wird uns erneut genau dasselbe beschrieben. Vor einigen Tagen haben wir gesehen, dass Jesus bei Matthäus im Haus war und mit ihm feierte. Die Schriftgelehrten und Pharisäer schauten durch die Fensterläden und passten darauf auf, ob Jesus etwas falsch machte – zum Beispiel, dass er nicht fastete.
Dann sehen wir, wie sie durch das Feld spazieren und wieder sind die Pharisäer da, die genau beobachten. Hier wird noch einmal ganz bewusst gezeigt, dass sie Jesus auflauerten. Scheinbar hatten sie nichts Besseres zu tun, als fromme Männer zu sein. Statt in der Bibel zu lesen oder zu beten, liefen sie Jesus und seinen Jüngern hinterher, um zu sehen, was sie möglicherweise falsch machten.
Sie waren also dort und versuchten genau darauf zu achten. Das drücken sie auch offen aus. Da ist dieser Mensch mit der verdorrten Hand, der die Gelegenheit bekommt, geheilt zu werden.
Jesus ist im Gegensatz zu den meisten zeitgenössischen Heilern der damaligen Zeit nicht sehr wählerisch. Bei ihm ist es nicht so, dass nur bestimmte Leute, die zu ihm kommen, geheilt werden, während andere abgewiesen werden. Jesus nimmt alle Menschen in der Not an, die zu ihm kommen – manchmal sogar solche, die ihn nicht einmal darum bitten.
Hier ist auch einer, bei dem nicht direkt gesagt wird, dass er darum gebeten hat. Jesus heilt ihn, um den Pharisäern eine Lektion zu erteilen und ihnen zu zeigen, welche Vollmacht er hat.
Übrigens hing die Auswahl der zu Heilenden bei anderen Heilern oft damit zusammen, dass viele Zauberer und Heiler damals wussten, dass sie bestimmte Erkrankungen gar nicht heilen konnten. Deshalb nahmen sie eher leichtere Erkrankungen, mit denen sie einen größeren Effekt erzielen konnten, um sich vor den Menschen zu präsentieren und dann Geld und Anerkennung einzusammeln.
Das ist übrigens auch heute nicht ganz unbekannt. Ich kenne das von einigen Heilungsevangelisationen oder Heilungshandlungen, besonders im charismatischen Umfeld. Zum Beispiel bei einer Evangelisation von Benny Hinn: Die Menschen, die im Rollstuhl saßen oder sehr schwer krank waren, wurden hinter die Fernsehkameras gebracht und kamen nicht auf die Bühne. Die meisten fuhren im Rollstuhl wieder hinaus.
Die Erkrankungen, die nicht so leicht zu diagnostizieren waren oder deren Heilung nicht einfach feststellbar war, wurden hingegen vorne präsentiert. Diese Menschen kamen auf die Bühne und wurden geheilt. Wenn man nicht ein Schelm ist, kann man sich selbst Gedanken darüber machen, warum das so aufgebaut ist.
Bei Jesus finden wir so etwas nie. Jesus sucht nie aus, wer gesund wird und wer nicht. Für alle, die zu Jesus kamen, gab es Heilung. Kennt ihr einen Fall, bei dem Jesus jemanden zurückgeschickt hat mit den Worten: „Du hast zu wenig Glauben, deshalb keine Heilung“? Mir ist kein solcher Fall bekannt.
Wer Jesus bat und zu ihm kam, wurde gesund gemacht. Manchmal sagte Jesus: „Dein Glaube hat dich geheilt.“ Aber nie wurde gesagt, dass jemand nicht genug Glauben hatte, also müsse er noch mehr sammeln. Das gibt es nicht.
Glaube bedeutet einfach, dass ich vor Jesus resigniere, ihm zeige, dass ich nicht alleine weiterkomme und dass er der Einzige ist, der mir helfen kann. Dann komme ich zu ihm. Das ist der einzige Glaube, der nötig ist – damals wie heute.
Wir sollten uns davor hüten, falschen Zauberern auf den Leim zu gehen, auch in der heutigen Zeit. Ich schreibe gerade ein Buch über falsche Prophetie, das fast fertig ist. Seit Monaten denke ich, es sei fast abgeschlossen, aber die letzte Woche fehlt noch.
In diesem Buch gehe ich auch solchen Zauberern nach. In der Bibel finden wir Hinweise darauf, zum Beispiel in Matthäus 7. Dort kommen Leute zu Jesus und sagen: „Haben wir nicht in deinem Namen geheilt? Haben wir nicht in deinem Namen Dämonen ausgetrieben?“ Und Jesus antwortet: „Ich kenne euch nicht.“
Denken wir auch an Simon Magus, der im Namen Jesu Wunder vollbringen wollte, es aber nicht wirklich in Gottes Namen tat. Das sollte uns aufmerksam machen, denn nicht alles, was scheinbar im Namen Gottes geschieht, stammt wirklich von Gott.
So war das auch bei den Zauberern und Geisteraustreibern zur Zeit des Neuen Testaments, die ebenfalls Menschen gesund machten. Die Pharisäer dachten so, als Jesus auftrat. Aber Jesus war dabei nicht wählerisch.
Jetzt wird Jesus vorgeworfen, dass er am Sabbat heilt. Sie wollen Anklage gegen ihn finden. Doch Jesus kannte ihre Gedanken.
Interessanterweise habe ich einmal nachgeschlagen. Das ist nicht direkt aus der Bibel, sondern eine Randinformation: Es gibt apokryphe Evangelien, zum Beispiel das Thomas-Evangelium. Dort steht diese Geschichte auch, allerdings mit einigen Ergänzungen.
Ich will nicht behaupten, dass es wirklich so gewesen ist, aber es ist ein interessanter Gedanke. Der Autor lässt in diesem Evangelium die verdorrte Hand sprechen: „Ich war ein Maurer und verdiente meinen Lebensunterhalt durch meine Hände Arbeit. Ich flehe dich an, Jesus, gib mir meine Gesundheit zurück, damit ich nicht in Schande um mein täglich Brot betteln muss.“
Das ist eine Ausschmückung, vielleicht aus dem zweiten Jahrhundert, von jemandem, der eine Kinderstunde hielt und die Geschichte ausgeschmückt hat.
Auf jeden Fall wissen wir nicht genau, was dieser Mann gesagt hat oder ob er überhaupt etwas gesagt hat. Im apokryphen Evangelium wird die Geschichte detaillierter, aber auch unzuverlässiger dargestellt.
Was wir hier lesen, ist: Jesus erkannte ihre Gedanken und sprach zu dem Mann mit der verdorrten Hand. Das ist auffällig, denn hier zeigt Jesus schon seine göttliche Fähigkeit: die Gedanken eines anderen Menschen zu wissen – nicht nur zu ahnen, sondern wirklich zu wissen.
Das ist eine Eigenschaft Gottes, der allwissend ist und für den es keine Schranken gibt.
Jesus erkannte also ihre Gedanken und sprach zu dem Mann: „Streck deine Hand aus!“ Der Mann tat es und seine Hand wurde geheilt.
Jesus wollte seine Geringschätzung gegenüber den Pharisäern und ihrer Auslegung des Sabbatgesetzes öffentlich zeigen. Er handelte nicht heimlich, sondern vor aller Augen, weil die Pharisäer durch ihre Lehren auch die ganze Gemeinde verführten.
Ähnlich wie Petrus, der die Gemeinde in Antiochia verführte, indem er mit Heiden heuchelte, musste auch hier vor der gesamten Gemeinde gezeigt werden, wie die Pharisäer denken und was an ihrem Denken falsch ist.
Jesus stellte sich deshalb mit dem geheilten Mann in die Mitte, damit alle zuschauen konnten. Er machte keinen Trick daraus. Auch die Pharisäer mussten nahe herantreten und konnten nicht wegsehen.
Der Kranke ging direkt auf Jesu Bitte ein. Er war bereit, das scheinbar Unmögliche von Jesus zu erwarten. Obwohl wir nicht viel über ihn erfahren, können wir von diesem Mann mit der verdorrten Hand eine Lektion lernen.
Interessanterweise wissen wir nichts über sein weiteres Leben. Wir wissen nicht, wie alt er wurde, ob er später noch arbeitete, ob er verheiratet war oder Kinder hatte. Er ist in den Tiefen der Geschichte verschwunden.
Vielleicht werden wir ihn im Reich Gottes wiedersehen. Wir lesen nämlich, dass er sich bekehrt hat. An dieser Stelle war der entscheidende Moment seines Lebens die Begegnung mit Jesus, der ihm sofort sein Vertrauen schenkte.
Jesus forderte ihn auf, und er tat es. Das ist eine Herausforderung für uns: Gott Vertrauen zu schenken, auch wenn alle äußeren Anzeichen dagegen sprechen.
Warum sollte Jesus so etwas tun? Warum sollte er sich lächerlich machen? Wie kann etwas, das medizinisch unmöglich ist, durch einen Menschen geschehen, von dem man damals noch nicht wusste, dass er Gott ist?
Doch der Mann vertraute Jesus. Und wir, die wir Jesus kennen, sollten noch viel mehr Vertrauen haben, wenn Jesus etwas von uns fordert und wir es tun sollen.
Die provokative Frage Jesu und die Reaktion der Pharisäer
In Vers 9 spricht Jesus zu ihnen: „Ich will euch etwas fragen: Darf man am Sabbat Gutes tun oder Böses? Leben retten oder verderben?“ Die Sabbatgebote habe ich ja schon erwähnt. Sie verbieten gewinnbringende Arbeit, aber auch oberflächliche Zerstreuung oder andere Dinge, die dem geistlichen Leben abträglich sind.
Jesus überspitzt seine Frage eigentlich ein wenig, denn es geht ja nicht einfach darum, ob man Gutes oder Böses tun darf. Er könnte den Mann ja auch am nächsten Tag heilen, am Tag nach dem Sabbat. Warum also gerade jetzt? Hier steckt eine gewisse Provokation und Herausforderung.
Was wir heute nicht wissen, was aber zur Zeit des Neuen Testaments bekannt war, ist Folgendes: Bei den Makkabäern, also etwa zweihundert Jahre vor Christus, begannen die Pharisäer zu lehren, dass es erlaubt sei, am Sabbat die Feinde zu töten. Hier steht ja auch, dass es erlaubt ist, Leben zu retten oder das Leben zu verderben. Jesus bezieht sich also genau auf diese Lehre der Pharisäer, die ihre Vorfahren in den Freiheitskämpfen der Juden gegen die persische Unterdrückung, den Makkabäerkriegen, aufgestellt hatten.
Damals sagten sie: Wenn wir am Sabbat angegriffen werden, dann dürfen wir am Sabbat auch die Feinde erschlagen. Genau darauf bezieht sich Jesus und sagt: „Aha, bei euch ist es also erlaubt, am Sabbat Leute umzubringen. Ist es denn auch erlaubt, Leben zu retten?“
Das ist die Provokation dahinter. Eigentlich müsste jedem Menschen klar sein: Wenn es erlaubt ist, etwas Böses zu tun, was Gott eigentlich verbietet – vielleicht wegen Ausnahmesituationen –, dann müsste es doch erst recht erlaubt sein, einem Menschen zu helfen. Gute Werke zu tun, Taten der Nächstenliebe und Barmherzigkeit zu zeigen, sollte doch im Sinne Gottes sein.
Im Alten Testament verspricht Gott sogar, dass, wenn der Messias kommt, Kranke geheilt werden, Lahme gehen und Blinde sehen werden. Am Abend wird das Evangelium gepredigt. Die Pharisäer verdrehen hier also die Absicht Gottes mit dem Ruhetag.
Welche Gefahren können wir daraus ziehen? Ähnlich wie im vorherigen Bericht besteht die Gefahr, dass wir mit unseren eigenen Vorstellungen Gottes Gebote auslegen, erweitern oder umorientieren. Schließlich erwarten wir von neu zum Glauben Gekommenen, dass sie sich unserer frommen Subkultur anpassen, um „richtige Christen“ zu werden. Andernfalls könnten sie keine Christen sein.
Ein Beispiel, das vielleicht nicht alle von euch vertreten, aber das ich aus einer Diskussion in einer christlichen Schule kenne – nicht weit von hier, aber nicht in Detmold – zeigt das deutlich. Dort ging es darum, ob Lehrerinnen einen Rock tragen müssen oder nicht.
Es gab eine lange Diskussion mit vielen Argumenten. Am Ende sagte ein Bruder, der kein einziges Argument vorgebracht hatte: „Aber es ist sicher, die Frauen, die keinen Rock tragen, werden das Himmelreich nicht sehen.“ Sehr krass. Und dabei blieb er auch. Keine Argumente konnten ihn überzeugen.
Das ist leider eine pharisäische Überzeugung. Denn es gibt keinen einzigen Bibelvers, der sich so deuten lässt, und schon gar nicht im Hinblick auf das Heil. Die Kleidung ist weder abträglich noch zugänglich fürs Heil.
Natürlich gibt es eine Stelle, die ich heute Morgen im Seminar über Homosexualität genannt habe, nämlich im fünften Buch Mose. Dort steht, dass eine Frau keine Männerkleidung tragen soll und ein Mann keine Frauenkleidung. Doch da steht nichts von Rock, auch nichts von Hose. Es geht um Kleidung, die äußerlich erkennbar macht, ob jemand Mann oder Frau ist.
Das bezieht sich nicht auf den Rock, denn wenn wir danach gehen müssten, was die alten Israeliten getragen haben, dann wären natürlich alle Männer „falsch“, weil es damals in Israel gar keine Hosen gab, sondern nur lange Gewänder. Übrigens tragen die meisten Frauen heute auch keine langen Gewänder. Das würde bedeuten, dass wir alle sündig sind und das Heil verlieren, weil wir nicht die Kleidung der alten Juden tragen. Das ist natürlich vollkommen absurd.
Diese Stelle richtet sich, wenn man den Zusammenhang betrachtet, auch nicht so sehr gegen eine falsche Kleiderordnung, sondern gegen Transvestitismus. Es geht darum, dass Männer als Frauen auftreten – also zum Beispiel mit hohen Schuhen tanzen und sich als Frauen verkleiden. Dagegen richtet sich die Bibelstelle, nicht gegen bestimmte Kleidungsstücke.
Deshalb will Jesus hier nicht, dass wir die Ordnung Gottes ausschmücken, interpretieren oder unseren Lebensstil zum allgemein verpflichtenden Lebensstil in der Gemeinde oder unserer Umgebung machen.
Die Heilung und die Reaktion der Pharisäer
Vers 10: Und indem er sie alle ringsherum ansah, sprach er zu dem Menschen: Strecke deine Hand aus! Der aber tat es, und seine Hand wurde wiederhergestellt und war gesund wie die andere.
Hier merken wir, dass Jesus eine Antwort erwartet. Er fragt sie, was man tun soll, aber sie antworten nicht. Denn innerlich wissen sie, dass sie keine gute Begründung haben. Ihnen ist klar, dass sie ihre Position nicht rechtfertigen können. Es ist doch absurd zu sagen: „Ich darf einen Menschen erschlagen, aber ich darf ihn nicht heilen am Sabbat.“ Das ist unvernünftig.
Deshalb geht Jesus einfach zur Tat über und tut es. Was er hier tut, ärgert die Pharisäer besonders. Eigentlich wollen sie es ihm verbieten und ihm am Zeug flicken. Doch was macht er? Er macht ja gar keine Arbeit, er spricht nur ein Wort: „Steh auf und streck deine Hand aus!“ Die Heilung kommt direkt von Gott. Er schmiert keine Salbe auf, was man als ärztliche Handlung missinterpretieren und verurteilen könnte. Er übertritt hier nicht einmal ihre Missinterpretation. Das ärgert sie umso mehr. Deshalb die Wut, die später kommt.
Jetzt heilt er, und er übertritt nicht einmal ihre Ordnung. Sie können nichts gegen ihn in der Hand haben. Denn zu sagen, dass jemand aufstehen soll, durfte man auch am Sabbat. Ebenso durfte man sagen, dass einer die Hand ausstrecken soll. Und dass Gott ihn heilt – das ist jetzt ein Problem. Können die Rabbinen Gott verbieten, einen Menschen zu heilen? Das geht nicht.
Man merkt, dass die Rabbinen hier auf ganzer Linie Niederlage erleiden. Deshalb die Reaktion, die wir in Vers 11 lesen: „Sie aber wurden mit Unverstand erfüllt und besprachen sich miteinander, wie sie Jesus etwas antun konnten.“ Im Markus-Evangelium wird erwähnt, dass hier neben den Pharisäern auch die Herodianer anwesend sind (Markus 3,6). Das heißt, die Soldaten oder Spione von Herodes, dem Landesfürsten von Galiläa, der später Johannes den Täufer umbringen lässt und bei der Verurteilung Jesu eine Rolle spielt.
Der Begriff „besprachen sich miteinander“ kann auch übersetzt werden als „sie hielten eine Ratssitzung“ oder „sie hatten eine Konferenz“. Einige Ausleger deuten das so, dass hier auch schon die jüdischen Spitzen in Jerusalem beteiligt sind. Es geht darum, dass die anwesenden Pharisäer Berichte nach Jerusalem erstattet haben. Man muss anfangen zu überlegen, wie sie einen Plan schmieden, um Jesus festzusetzen oder ihm sogar das Leben zu nehmen.
Die Pharisäer hassen letztlich einen Menschen, weil er einem anderen geholfen hat. Auch das ist absurd, nicht wahr? Da ist jemand, der einem anderen in Not geholfen hat, und deshalb wird er gehasst. Vielleicht wird er auch deshalb gehasst, weil er ihnen etwas von der Show wegnimmt oder eine wichtigere Position einnimmt als sie.
Wir merken, dass solche Dinge auch in der Gemeinde geschehen können. Da ist jemand, der mehr begabt ist als ich, und ich fühle mich innerlich aufgebracht. Ich suche nur nach einem guten Argument, um ihm ein Zeug zu flicken. Ich schaue genau darauf, was er tut und sagt, und irgendwann kann ich ihm ein Wort im Mund umdrehen. Natürlich sage ich nie, dass es nur aufgrund meiner Missgunst, meines Neides oder anderer Emotionen geschieht.
Meiner Erfahrung nach entstehen die meisten Streitpunkte in der Gemeinde nicht aus ernsthaften theologischen Diskussionen. Sie sind meist vorgeschoben. In Wirklichkeit sind es oft menschliche Unverträglichkeiten. Das gibt kaum jemand zu, denn dann müsste man ja zugeben, dass man menschlich schwach und sündig ist.
Meistens sind es Kleinigkeiten: „Der hat mir mal nicht die Hand gedrückt“, „der war immer freundlich zu dem, aber nie zu mir“, „der hat mich nie eingeladen“, „der kann so gut Klavier spielen und ich nicht“, „der wird immer zum Gebet nach vorne gerufen und ich nicht“, „der wird für dies oder das vorgeschlagen und ich nicht“. Solche Dinge gibt es massenhaft.
Man bekommt das meist nur heraus, wenn man tief gräbt und viel mit den Leuten spricht. Irgendwann kommt es heraus. Sonst macht man es an äußeren Dingen fest. So war es auch bei den Pharisäern. Sie hatten nichts Handfestes gegen Jesus, aber Neid und Groll führten sie dazu, gegen ihn vorzugehen. Sie wollten ihn festsetzen.
Dann steht hier noch etwas Seltsames: „Und sie wurden voll Unverstand.“ Andere Übersetzer schreiben: „Sie wurden mit Unverstand erfüllt“, „mit Wahnsinn“, „mit Unwissenheit“ oder „Verbohrtheit“. Eine modernere Übertragung sagt: „Sie wurden voll blinder Wut“ oder „ganz toll“. Es bedeutet, sie denken nicht mehr vernünftig, können nicht mehr klar nachdenken und unterscheiden nicht mehr. Ihr einziges Ziel ist, Jesus am Zeug zu flicken. Auch wenn sie nichts haben, muss es durchgesetzt werden.
So gibt es manche Christen, die nicht mit sich reden lassen. Wir müssen uns fragen, inwiefern wir korrekturbereit sind, wenn ein Bruder oder eine Schwester freundlich auf uns zukommt und uns auf Fehler hinweist. Hier waren sie das nicht.
Es gibt zwei mögliche Interpretationen dafür. Ist dieser Unverstand vielleicht eine Strafe Gottes? Ähnlich wie die Verstockung des Pharao, der sich gegen das Volk Israel stellte und von Gott verstockt wurde, sodass er nicht mehr klar denken konnte? Oder wie das Volk Israel nach dem Römerbrief, das eine Überdosis erhalten hat, sodass es nicht mehr erkennen kann – zumindest als Volk, wenn auch als Einzelne noch.
Vielleicht sagt Jesus oder Gott hier an dieser Stelle: Ihr hattet eure Chance. Wir sehen ja mehrfach, wie sie Jesus ausspionieren und immer wieder versuchen, ihn zu überzeugen. Es gibt eindeutige Argumente, und jetzt ist Schluss, Ende, aus. Jetzt lässt er sie in ihrem Wahn, sich nur noch darauf zu konzentrieren, Jesus fertigzumachen, zurück.
Das wäre eine Möglichkeit. Die andere wäre, dass Jesus hier nicht aktiv handelt. Das Verb „wurden mit Unverstand erfüllt“ kann auch eine Passivkonstruktion sein, die einfach bedeutet: Durch ihr Handeln wurden sie so erfüllt. Durch ihren Hass konnten sie nicht mehr klar denken. Durch ihren Ärger über Jesus hatten sie keinen klaren Verstand mehr. Das wäre ebenfalls möglich.
In diesem Zusammenhang würde ich auch die Worte Jesu in Lukas 23,34 sehen, wo er am Kreuz betet: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Ich glaube, er hat genau diese Menschen vor Augen, die in ihrer Verblendung und Wut Jesus umbringen wollen und es später auch schaffen. Sie sind sich im Grunde genommen gar nicht bewusst, was sie tun.
Das ist ein Ausdruck von Jesu unbegrenzter Güte und Liebe den Menschen gegenüber. Selbst wenn sie in Sünde fallen, vergibt er ihnen immer wieder, wenn sie bereit sind, diese Vergebung anzunehmen.
Das ist auch eine Herausforderung für uns. Egal, wo in unserem Leben eine Vergebung fehlt oder wo wir eine liebgewonnene Sünde mit uns herumschleppen: Jesus ist bereit, sie zu vergeben. Wir müssen sie nicht länger mit uns herumtragen.
So schlimm wie bei den Pharisäern wird es bei uns schon nicht sein, dass wir Jesus umbringen wollen. Unsere Sünden sind wahrscheinlich kleiner. Aber allemal ist es besser, als selbst mit ihnen herumzuwurscheln. Wir sollten sie Jesus bringen, diese Last loswerden, neu anfangen und versuchen, mit Jesu Hilfe diese Schwäche und Anfechtung zu besiegen und loszuwerden.
So weit vielleicht bis zu dieser Stelle. Wir schließen hier ab und werden uns das nächste Mal, falls jemand schon ein bisschen weiterschauen will, mit Lukas 8,26-39 und Lukas 11,14-26 beschäftigen. In beiden Fällen geht es darum, wie Jesus mit ...