
Es gibt noch eine weitere Problematik im Zusammenhang mit der klassisch evangelikalen Evangeliumsverkündigung. Diese betrifft den gesamten Themenkomplex Sünde, Schuld, Verfehlung, Fehler, Abweichen, Schuldverfallenheit und Todesverfallenheit.
Ich habe extra einen Wortteppich erstellt und möchte kurz erläutern, worum es dabei geht. Wenn wir davon ausgehen, dass der Mensch sich selbst Gott ist, dass er sich selbst lieben soll und in Übereinstimmung mit seiner eigenen Befindlichkeit leben muss, dass er also selbst sein Gesetz ist, dann wird Sünde ganz anders verstanden.
Jemand hat das einmal sehr treffend als Erfüllungshemmung bezeichnet. Das bedeutet, alles, was der Selbsterfüllung und Selbstliebe entgegensteht, ist Sünde. Das kann beispielsweise ein Partner sein, der nicht mehr passt, eine Arbeitsstelle, ein Land, eine Wohnung, ein Staat, eine Partei oder was auch immer. All das wird dann als Erfüllungshemmung betrachtet.
Somit ist der Begriff Sünde ganz anders konnotiert und definiert – aus der Perspektive eines Menschen, der säkular denkt.
Und jetzt passiert etwas ganz Gefährliches. Gerade bei Bibelübersetzungen wie „Hoffnung für alle“ und anderen wurde das gesamte Vokabular von Sünde, Schuld, diesem Todgeweihtsein, diesem unausweichlichen Zustand und der Erlösungsbedürftigkeit herausgenommen. Stattdessen wird noch so von Übertretungen, von Fehlern und von Fehlverhalten gesprochen.
Ein säkularer Mensch versteht das wiederum sehr gut. Ein Fehler – ja, gut, das machen alle. Er hat eine temporäre Folge. Man muss sich einfach wieder optimaler positionieren, anders einparken, neue Gewohnheiten antrainieren, und schon geht es wieder besser. Mit Fehlern kann man selbst umgehen und sie ausbügeln.
Das heißt, Fehler und Fehlverhalten werden ganz anders definiert. Es kommt zu einer sogenannten Selbsterlösung, weil der Mensch selbst in der Lage ist, seine Fehler zu korrigieren, sie auszublenden, sich ihnen nicht mehr zuzuwenden, sie zu unterdrücken oder besser noch einen neuen Weg im Verhalten zu finden.
Das hat natürlich ganz wenig mit der christlichen Botschaft zu tun, oder es ist fatal anders. Dort geht es um einen grundsätzlichen Zustand, aus dem der Mensch sich nicht selbst erlösen kann.
Unter Umständen treiben wir mit dem ganzen Thema Fehler und Erfüllungsstörung, mit der Vorstellung „Mit Jesus wird es nur noch besser, dann hast du deine Probleme gelöst“, den Menschen noch tiefer in diese Leistungsschiene hinein. In diese Selbsterlösung, die oft auch mit Selbstrechtfertigung einhergeht. Dabei sucht der Mensch für sich selbst einen Grund, warum es nicht optimal ist und warum die Erfüllungsstörung eintritt.
Dies hat natürlich genau den gegenteiligen Effekt von dem, was wir eigentlich beabsichtigen. Nämlich den grundsätzlichen Zwiespalt, dieses Dilemma und die Unmöglichkeit überhaupt zu erkennen – und auch dann die entsprechende Lösung in Anführungs- und Schlussstrichen aufzuzeigen.
Damit kommt ein zweites Element hinzu, und zwar die Terminologie der „entscheide Entscheidung“ beziehungsweise „entscheide dich“. Diese Ausdrucksweise ist sehr gefährlich, da sie in unserer säkularen Zeit völlig vom Konsumzeitalter vereinnahmt wurde.
Man entscheidet sich heute wie ein Konsument für ein Produkt, nachdem einem die Produktvorteile aufgelistet wurden und man sich individuell einen Nutzen davon verspricht. Das bedeutet, Entscheidungen treffe ich als autonomer Konsument für das, was mir zusagt und was mir am ehesten meine Entwicklungsstörung nimmt.
Entscheidungen sind zudem immer zeitgebunden. Sie bemessen sich am Wohlbefinden und sind gut revidierbar, wenn etwas mit dem Gefühl in Widerspruch kommt oder mir nicht mehr hilft beziehungsweise nicht mehr so nützt, wie ich es mir versprochen habe. Entscheidungen sind also sehr temporär.
Dadurch bekommt auch der ganze Glaube eine konsumkritische Note – nicht kritisch im eigentlichen Sinn, sondern eine Konsumnote. Das heißt: Der autonome Konsument entscheidet sich für das Produkt „Mit Jesus geht es besser“. Dann probiert er es halt mal mit diesen Leuten aus. Vielleicht geht es eine Weile gut. Wenn dann Schwierigkeiten kommen, kann man sagen: „Gut, jetzt kann man wieder das Produkt wechseln.“
Dann muss man das Ganze wirklich hinterfragen. Zweifeln ist ja ein Dogma unserer Zeit – man muss alles bezweifeln. Der autonome Konsument ist selbständig im Sinne davon, dass er selbst steht und alles vor seiner eigenen Schaltzentrale verantwortet. Wenn es ihm nicht mehr passt, kann er sich auch wieder anders entscheiden.
Hier liegen zwei ganz zentrale Problematiken vor. Zum einen die Umdeutung der Sünde als eine Erfüllungshemmung, verbunden mit dem Problem der Selbsterlösung, die daraus entsteht, und der Selbstrechtfertigung. Zum anderen die Entscheidung im Sinne eines Konsums, bei dem es darum geht, was der eigenen Befindlichkeit im Moment am besten tut – mit der jederzeitigen Option, das Produkt wieder zu wechseln.
Wir sehen also, dass wir auch in der Terminologie und in der Verkündigung radikal andere Wege gehen müssen. Es ist notwendig, unbefangen aufzuzeigen, was Sünde wirklich ist, warum sie so zerstörerisch und todgefährlich ist und woher die Lösung kommt.
Die Lösung kommt nicht aus uns selbst, nicht durch Verhaltensoptimierung, sondern vollständig von außen – von Christus, der uns aus unserer Sünde erlöst. Von keiner anderen Seite können wir Erlösung empfangen.
Dies muss dem Menschen, insbesondere dem säkularen Menschen, ganz klar vermittelt werden. Und diese Klarheit wird richtig durch die Verkündigung und durch das Wirken des Heiligen Geistes vermittelt, das durch sein Wort, die Bibel, geschieht.