Guten Abend, meine Damen und Herren. Ich möchte Sie alle ganz herzlich zu diesem Abendvortrag zum Thema „Psychologie – Ausweg oder Irrweg“ begrüßen.
Damit Sie gleich einen Überblick haben, was heute Abend auf dem Programm steht: Die Themenblöcke sind folgendermaßen aufgebaut.
Zu Beginn gebe ich einige wichtige, grundlegende und ganz einfache Begriffserklärungen. Danach folgt ein wichtiger Hauptteil: die Geschichte der modernen Psychologie. Diese möchte ich knapp vorstellen und dabei die roten Linien betonen.
Im dritten Teil beschäftigen wir uns mit der Frage, welche psychologische Therapie eigentlich die beste ist. Zum Schluss geht es um das Thema biblische Seelsorge und seelische Gesundheit.
Grundlegende Begriffserklärungen zur Psychologie
Beginnen wir mit den Begriffserklärungen. Was bedeutet das Wort Psychologie? Es geht zurück auf das griechische Wort Psychä, das so viel wie Seele bedeutet. Psychä ist das griechische Wort für Seele. Dazu kommt noch das Wort Logos. Logos bedeutet im Altgriechischen Sinn oder Vernunft. In einer späteren Sprachstufe wird Logos im Sinne von Wissenschaft verwendet.
Psychologie ist also die Wissenschaft von der Seele, die Wissenschaft der Seele.
Ein anderer Begriff, der oft verwechselt wird, ist Psychiatrie. Auch hier haben wir die Kombination von Psychä, Seele, und dem Wort Jatreia. Jatreia bedeutet auf Altgriechisch Heilung. Der Jatros ist der Arzt. Psychiatrie ist somit die Heilung der Seele, wohlverstanden der kranken Seele. Der Psychiater ist ein Arzt. Um Psychiater zu werden, muss man zuerst Medizin studieren und sich dann auf Psychiatrie spezialisieren.
Ein Psychologe ist grundsätzlich kein Arzt. Er kann zwar Arzt sein, aber man kann auch einfach Psychologie studieren, ohne Arzt zu sein. Natürlich kann ein Arzt noch ein Zusatzstudium in Psychologie machen und sich dann auf Psychiatrie spezialisieren.
Nun stellt sich die Frage, womit sich das Fach Psychologie eigentlich beschäftigt. Dieser Wissensbereich umfasst viele Fragen. Zum Beispiel: Warum erwacht eine Mutter nachts, wenn das Kind im Nebenzimmer nur ganz leise wimmert? Aber wenn auf der anderen Seite ein Flugzeug in etwa fünfzehn Kilometern Höhe über das Dach hinwegfliegt, erwacht sie nicht. Warum?
Oder eine ganz andere Frage: Am Abend lernt man für eine Prüfung, aber es will einfach nicht so recht ins Gedächtnis. Man geht schlafen, und am Morgen ist alles da, was man für die Prüfung braucht. Was ist in der Nacht passiert? Man hat ja nur geschlafen.
Oder jemand spielt ein Konzert, zum Beispiel die Polonaise von Chopin, die er gut geübt hat. Doch ausgerechnet im Konzert passiert ein Fehler, der früher manchmal vorkam. Warum tritt dieser Fehler genau in diesem Moment wieder auf? Dabei hatte man den Fehler scheinbar längst überwunden.
Oder ein bestimmter Geruch gelangt in unsere Nase, und plötzlich kommen lang vergessene Erinnerungen wieder hoch. Man sieht sie förmlich vor sich.
Oder man versucht, einen Gedanken, der einem nicht gefällt, wegzuschieben – doch dabei wird er immer stärker. Was passiert da in einem?
Man könnte tausend weitere Fragen dieser Art stellen. All das gehört zur Psychologie.
Abgrenzung und Überblick zur Geschichte der Psychologie
Nun, das war es schon mit den Grundbegriffen. Jetzt geht es um die Geschichte der modernen Psychologie, und ich möchte gleich zu Beginn klare Abgrenzungen machen.
Wenn Sie das jetzt nicht hören, kann es sein, dass Sie bei meinem Vortrag eine Stufe hochsteigen, während ich eine andere erklimme. Am Ende verpassen Sie dann etwas und fallen ganz herunter. Deshalb ist es ganz wichtig, daran zu denken: In diesem Vortrag stelle ich die Geschichte der Psychologie vor – nicht die Geschichte der Psychotherapien.
Man kann eben nicht alles an einem Abend behandeln. Sie werden froh sein, wenn ich am Ende tatsächlich zum Schluss komme. Außerdem zeige ich in der Geschichte der Psychologie nur die wirklich wichtigen roten Linien. Wenn dann jemand sagt: „Wer hat das weggelassen?“ – ja, natürlich hätte man noch über vieles andere sprechen können. Aber Sie werden sehen, warum mir genau diese Linien besonders wichtig sind.
Und dann könnte jemand am Schluss sagen: „Die Geschichte der letzten vierzig Jahre hat er ziemlich flott einfach so durchgezogen. Da bräuchte man noch tausend Folien.“ Okay, tausend Folien. Es ist tatsächlich so viel passiert in den letzten 40 Jahren, und ich fasse das ganz kurz zusammen. Eben weil tausend Folien an einem Vortragsabend nicht machbar sind. Sie werden also froh sein, dass wir uns einfach auf die roten Linien konzentrieren und das Wesentliche sowie die wichtigen Tendenzen anschauen.
Noch etwas: Wir fokussieren uns heute Abend auf Psychologie, nicht auf Psychiatrie. Das ist nicht einfach dasselbe, auch wenn beides eng zusammenhängt. Es geht hier um Psychologie, nicht um Psychiatrie. Wir müssen uns einfach klar abgrenzen, sonst schaffen wir es an einem Abend nicht, alles durchzugehen.
Die Anfänge der universitären Psychologie
Die Psychologie als universitäre Wissenschaft, also eine Wissenschaft, die an Universitäten gelehrt wird, ist eine sehr junge Disziplin. Sie entstand erst ab 1879. Stellen Sie sich das einmal vor: Die moderne Wissenschaft begann in Europa Jahrhunderte zuvor. Der Mensch begann systematisch, vor allem den Raum um sich herum zu erforschen.
Denken wir an die Astronomie und die modernen Astronomen der Geschichte, wie Johannes Kepler (1571–1630), Galileo Galilei (1564–1642) und Isaac Newton (1643–1727), der die moderne Physik begründete. Es dauerte jedoch auffallend lange, bis der Mensch begann, sich wissenschaftlich, das heißt im Rahmen universitärer Bildung, mit seinem eigenen Innenleben zu beschäftigen.
Ich möchte das noch einmal betonen, da manche Gegner vielleicht sagen werden, dass es solche Forschungen doch schon viel früher gab. Ja, natürlich gab es das, aber nicht auf universitärer Ebene. Der Mensch begann also erst sehr spät, sich mit dem eigenen Innenleben wissenschaftlich auseinanderzusetzen.
Der erste moderne Psychologe war Doktor Wilhelm Wundt (1832–1920). Er war ein Arzt, der zwar Professor für Psychologie wurde, aber nie Psychologie an einer Universität studiert hatte. Stattdessen war er als Arzt tätig und betrieb psychologische Forschungen, die er dann auch unterrichtete.
Wundt wollte experimentelle Untersuchungen am Bewusstsein des Menschen durchführen. Er untersuchte ganz einfache Prozesse wie Perzeption, also die Wahrnehmung dessen, was von außen auf den Menschen einwirkt. Dabei maß er auch Reaktionszeiten. Außerdem entwickelte er eine Assoziationstheorie, die erklärt, wie im Kopf Dinge miteinander verknüpft werden.
Falls Ihnen der Begriff Assoziation nicht geläufig ist, hier ein Beispiel: Wissen Sie, wie man Goethe mit Kupfer verwechseln kann? Ganz einfach: Man verwechselt einen Gedanken an Goethe mit Lessing, Lessing mit Messing und Messing mit Kupfer. So funktioniert Assoziation. Es handelt sich um wichtige Querverbindungen im Denken, die nicht unbedingt zusammengehören, aber dennoch als Verknüpfungen ablaufen.
Wundt betrieb viel Introspektion – auch ein kompliziertes Wort, das ich erklären möchte. Introspektion bedeutet, in sich selbst hineinzuschauen, also die Selbstbeobachtung des inneren Geschehens. Dieser Vortrag soll für alle verständlich sein.
Allerdings ist Introspektion, wenn sie als wissenschaftliche Methode genutzt wird, sehr subjektiv. Jeder nimmt sich innerlich anders wahr als andere Menschen. Das „In-sich-Hineinschauen“ und die innere Beobachtung der Gefühle und Denkprozesse funktionieren vor allem bei gesunden Erwachsenen. Bei Kindern ist das schwieriger. Sie wissen ja, wie das ist: Ein Arzt drückt auf den Bauch, fragt, ob es weh tut, und das Kind antwortet. Dabei ist es oft schwierig, sicher zu sein, ob die Angaben wirklich genau sind, besonders wenn es um den Blinddarm geht.
Auch bei geistig Behinderten ist es schwer, das innere Geschehen zu erfassen. Und wenn man das dann auf Tiere übertragen will, wird es noch komplizierter. Wie kann man zum Beispiel herausfinden, was ein Pferd innerlich empfindet, wenn es gerade rechts gehen möchte, aber eigentlich links will?
Wilhelm Wundt veröffentlichte 1873 das Buch „Grundzüge der physiologischen Psychologie“. Man kann sagen, dass dies das erste universitäre wissenschaftliche Buch über Psychologie war. Doch erst 1879 in Leipzig schrieb sich der erste Psychologiestudent der Welt ein. Das ist wirklich noch nicht lange her. Es war nur wenige Jahre, bevor mein Großvater geboren wurde.
Wundt war der erste Professor für Psychologie in Leipzig. Danach ging es sehr schnell weiter: William James (1842–1910) wurde der erste Professor für Psychologie in Amerika. Auch er hatte keine formale psychologische Ausbildung, sondern war Philosoph, der sich in dieses Fachgebiet eingearbeitet hatte.
So entwickelte sich die Psychologie aus diesen Anfängen schnell weiter. Bereits um 1900, also nicht lange nach der Einschreibung des ersten Psychologiestudenten, war Psychologie in der westlichen Welt eine etablierte Wissenschaft. Es gab verschiedene Schulen und Richtungen, die sich oft heftig bekämpften. Jede behauptete, die anderen seien falsch.
Auffallend ist, dass die Psychologie sehr subjektiv ist. Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, die sich um möglichst objektive Arbeit bemühen – auch wenn sie nie ganz objektiv sein können –, ist die Psychologie stark von subjektiven Eindrücken geprägt.
Einfluss der Evolutionstheorie und der Beginn der säkularen Psychologie
Dieses erste Psychologiebuch, Grundzüge der physiologischen Psychologie, war eine Verherrlichung der Evolutionslehre von Charles Darwin. Wenn man sich überlegt, dass das erste Psychologie- beziehungsweise das erste Evolutionsbuch von Charles Darwin, dem Vater der modernen Evolutionslehre, stammt, sieht man das Problem der Assoziation.
Dieses Buch erschien 1859 unter dem Titel Die Entstehung der Arten durch natürliche Selektion. Darin ging es um den Gedanken, dass sich Lebewesen im Laufe der Zeit selbst entwickeln, ohne einen Schöpfer. Allerdings behandelte das Buch nur Pflanzen und Tiere; der Mensch wurde ausgeklammert, da der Zeitgeist damals noch nicht so weit war.
Ein paar Jahre später hatte sich der Zeitgeist jedoch so weit entwickelt, dass 1871 Darwins Buch Die Abstammung des Menschen erscheinen konnte. Darin stellte Darwin fest, dass der Mensch genauso wie Pflanzen und Tiere zu betrachten sei.
Bereits der erste Psychologe griff diese Lehre auf, nur wenige Jahre nachdem sie veröffentlicht worden war, und baute sie in seine Psychologie ein. Er lehrte, der Mensch sei ein hochstehendes Tier, und die Seele des Menschen habe sich aus dem Tierreich heraus entwickelt.
Von ihrer Geburtsstunde an entwickelte sich die Psychologie somit als etwas ganz anderes als christliche Seelsorge. Früher gingen die Menschen, wenn sie schwermütig waren, vielleicht zum Pfarrer, der dann Seelsorge leistete. Doch hier entstand etwas, bei dem „Gott“ überhaupt keine Rolle spielte. Von Anfang an wurde Gott aus dieser Betrachtungsweise, obwohl sie sehr subjektiv war, ausgeklammert.
Das ist eine wichtige Beobachtung im Zusammenhang mit all dem, was folgen wird.
Die Tiefenpsychologie und Sigmund Freud
Jetzt kommen wir zu einer ganz neuen Richtung in der Psychologie: der Tiefenpsychologie. Diese entwickelte sich nach den ersten Anfängen mit Wundt und anderen. Doktor Sigmund Freud (1856–1939) schuf eine völlig neue Psychologie, die Psychologie des Unbewussten.
Man sieht, dass dies bewusst als Kontrapunkt, als Gegensatz zu dem, was Wundt gebracht hatte, gesetzt wurde. Dort sollte es eine Psychologie des Bewusstseins sein. Freud betonte hingegen: Nein, das ist natürlich nicht das Einzige. Für den Menschen ist gerade das Unbewusste ganz wesentlich. So war die Tiefenpsychologie eine Reaktion auf die Psychologie des Bewusstseins – eben die Psychologie des Unbewussten.
Sigmund Freud war Arzt, Doktor der Medizin. Er war jüdischer Abstammung, aber ganz ohne Glauben an Gott. Mit der Tora, dem hebräischen Alten Testament, konnte er nichts anfangen. Er bezeichnete sich selbst auf ungewöhnliche Weise für einen Juden, selbst wenn sie liberal, agnostisch oder atheistisch sind. Er sagte, er sei ein ganz und gar gottloser Jude und vielleicht sogar ein hoffnungsloser Heide. Heide ist ein biblischer Begriff für jemanden, der kein Jude ist – ein hoffnungsloser Heide.
Zudem übte die Evolutionslehre schon im Jugendalter eine starke Anziehungskraft auf ihn aus. Freud beeinflusste die Psychologie des zwanzigsten Jahrhunderts wie kein anderer. Er besuchte bei Charcot in Frankreich Unterricht in Anatomie und Psychologie und wurde dort in die Hypnose eingeführt. Diese Methode nutzte er später in seiner psychologischen Therapie, um Menschen mit Hypnose zu behandeln.
Hypnose birgt große Gefahren, denn dabei wird der Mensch in einen Zustand innerer Passivität versetzt, was sich sehr gefährlich auswirken kann. Freud benutzte die Hypnose, um frühkindliche Traumata aufzuarbeiten. Ein Trauma ist eine seelische Verletzung. Später kam er jedoch von der Hypnose wieder ab und arbeitete besonders mit der Methode der freien Assoziation auf dem Divan.
Das ist das Typische, was man mit Psychoanalyse im Sinne Freuds verbindet. Darum sieht man hier eine Couch. Der Patient – oder Klient, wie man möchte – legt sich auf die Couch und soll einfach sprechen, ohne zu kontrollieren. Er soll nicht überlegen: „Oh nein, das ist unmoralisch, wenn ich das sage.“ Nein, er soll alles, was durch ihn hindurchgeht, sofort aussprechen.
Der Psychiater oder Psychologe sitzt dabei, doch es freut ihn gar nicht, wenn der Klient ihn beobachtet. Das konnte Freud nicht haben. Er beschäftigte sich mit dem Klienten und wollte aus diesen unkontrollierten Äußerungen in die Tiefen des Unbewussten eindringen – mit der Hoffnung, ihm zu helfen.
Der Begriff der Verdrängung spielt dabei eine große Rolle. Man muss sich vorstellen: Da liegt jemand auf der Couch und soll alles einfach rauslassen, ohne Filter und Kontrolle. Dann kommen plötzlich auch unmoralische Gedanken und Gefühle zum Vorschein. Freud sagte: „Das ist das Problem. Die Menschen verdrängen diese Dinge, weil sie sie unmoralisch finden. Und das Verdrängen ist ein Problem.“
Weiter spielte der Ödipuskomplex im Zusammenhang mit Vaterhass eine wichtige Rolle bei ihm. Freud ging davon aus, dass tief in einem Jungen ein Hass gegen seinen Vater steckt. Ebenso sei eine Eifersucht auf die Mutter vorhanden – also die Frau seines Vaters.
Man muss bedenken, dass in Freuds Denken Triebe eine wesentliche Rolle spielen. Das sind irrationale Kräfte des Unbewussten und auch perverse Wünsche, mit denen er sich beschäftigen wollte. Er dachte, dass diese Triebe der eigentliche Motor sind, der Menschen in ihrem Handeln antreibt – bis hin zur Kunst. Letztlich sei Kunst aus der Verdrängung solcher Triebe heraus entstanden.
Man kann also von einem Sexismus bei ihm sprechen. Für Freud war der Begriff Libido – lateinisch für Lusttrieb – quasi der Lebenstrieb, auf den alles zurückgeht. Er sprach gerne über das „Ich“, das seine Person bezeichnet, und das „Es“, womit er all diese Triebe aus dem Unbewussten meinte.
Im Neuen Testament wird das in Galater 5,18-21 ebenfalls behandelt. Dort wird eine ganze Liste solcher Triebe genannt, die „Werke des Fleisches“. Freud sprach auch vom „Über-Ich“, womit er in gewissem Sinn das meinte, was mit dem Gewissen zu tun hat. Dieses Über-Ich betrachtete er jedoch als eine Instanz, die von außen kommt – von der Gesellschaft, den Eltern, der Umwelt usw.
Im Römerbrief, Kapitel 2, Vers 15, wird darüber gesprochen, dass Gott jedem Menschen ein Gewissen eingepflanzt hat. So weiß er zu unterscheiden zwischen Recht und Unrecht, selbst wenn er keine Bibel hat. Er erkennt, dass es nicht richtig ist, die Eltern anzuschreien oder einen Stammesgenossen zu töten. Das Gewissen ist also das Über-Ich.
Was bei Freud auffällt, ist die starke Abwertung des Rationalen, also des bewussten Denkens beim Menschen. Das führte bei ihm zu einer starken Leugnung von Schuld und Verantwortlichkeit. Dadurch entsteht die Vorstellung, dass man die Schuld auf die Umgebung, auf die Eltern abschieben kann. Man denkt: Klar, wenn man so einen Vater hat, muss man psychische Probleme haben.
Die Gesellschaft spielt hier eine wichtige Rolle. Victimisierung, also das Sich-als-Opfer-Fühlen, ist zentral. „Ich bin ein Opfer, deshalb bin ich so, wie ich bin.“
In der Bibel spielt dieses Abschieben von Schuld eine wichtige Rolle, und zwar von Anfang an nach dem Sündenfall. Adam sagte: „Das war meine Frau“, und schob die Schuld ab. Die Frau sagte: „Das war der Verführer“, und schob die Schuld ebenfalls ab. Dieses Abschieben, diese Victimisierung, begann also mit dem Sündenfall in der Bibel.
Auch in dieser Psychologie spielt das eine große Rolle, ganz im Sinne von Gabriel Rotstift – ein Begriff, den nur Eltern kennen. Diese Schullehrer waren bodenständig, sorgten für Humor, aber auch für Intelligenz und Sinn. Sie sangen von Hansli, der wieder eine Fensterscheibe eingeschlagen hatte mit dem Ball, und sagten: „Der Hansli ist ein Schorracht, nur Dumwald die Schlacht.“
Ich hoffe, die Zuschauer des Livestreams aus Deutschland verstehen das, sonst können sie es ja im Wörterbuch nachschauen.
Bei Freud spielte Religion eine wichtige Rolle – aber in dem Sinn, dass er sie als Neurose betrachtete, als eine seelische Erkrankung, eine Neurose von Angst. Wer gläubig ist, ist in seinen Augen ein kranker Mensch, der von Angst und Zwanghaftigkeit beherrscht wird. So sah er Religion.
In einem Brief an seinen Freund Carl Gustav Jung schrieb Freud einmal: „Mein bester Jung, versprich mir, die Theorie über die Sexualität, die das Wesentlichste von allem ist, niemals aufzugeben. Wir müssen daraus ein Dogma machen, ein unantastbares Bollwerk.“
Interessant ist, dass er seine Lehre als eine religiöse Lehre bezeichnete. Der Begriff „Dogma“ stammt aus der Religion. Zum Beispiel hat die katholische Kirche im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Dogmen durch Konzile festgelegt. Freud sagte, Sexualität sei unser Dogma, davon dürfe man nie abweichen. „Bitte, Jung, bleib dran!“
Freud hatte eine enorme Wirkung auf die Entwicklung der westlichen Gesellschaft und auch auf die Moral. Er war gewissermaßen ein Vater der 68er-Revolution, bei der Millionen von Jugendlichen mit dem christlichen Abendland brechen wollten.
Sie forderten eine sexuelle Revolution, wollten, dass alles möglich sei, dass es keine Hemmungen und Barrieren mehr gebe. Homosexualität sollte einfach als Alternative akzeptiert werden – damals etwas völlig Unerhörtes. Wir leben jetzt einige Jahre nach 1968, aber so wurde damals argumentiert.
Sie forderten auch die Auflösung von Ehe und Familie sowie das Recht auf Abtreibung.
Verteidiger Freuds würden sagen, er habe nie gesagt, man solle mit sexuellen Normen brechen. Aber er habe gesagt: Wer seine Triebe verdrängt und in Schach hält, wird krank. Und wer möchte schon krank sein?
Viele Jugendliche sagten sich: Wir wollen nicht krank sein. Wir wollen von dieser kranken Gesellschaft frei werden. Das war ein wichtiger Motor der 68er-Revolution, die dazu beitrug, dass sich heute das Gefüge von Ehe, fester Beziehung und stabilen Familienverhältnissen aufgelöst hat.
Die Grundpfeiler von Freuds Lehre und seine Biografie
Die vier Eckpfeiler von Sigmund Freuds Lehre sind zunächst der Einfluss der Begierden auf das menschliche Verhalten, insbesondere die Vorherrschaft des sexuellen Triebs im geistigen Leben. Zudem betonte er die enorme Bedeutung der frühkindlichen Erfahrung. Dabei hat er jedoch übertrieben. Natürlich spielt die Kindheit eine wichtige Rolle, insbesondere wie man in den ersten drei Jahren von den Eltern umsorgt wird. Es zeigt sich deutlich, dass es sehr gefährlich und nachweislich schädlich für die Entwicklung eines Kindes ist, wenn Eltern ihre Kinder in den ersten drei Jahren einfach weggeben, weil sie lieber etwas anderes machen.
Freud führte jedoch alles auf diese frühen Erfahrungen zurück. Wir können aber nicht einfach sagen, dass wir nur Opfer dessen sind, was in der Kindheit geschehen ist. Es gibt viele andere Faktoren, die das menschliche Verhalten beeinflussen. Freud hat diesen Einfluss jedoch stark eingeschränkt.
Ein weiterer Eckpfeiler seiner Lehre betrifft die Ausformung des Erwachsenen. Wenn dabei eine Verdrängung von sexuellen Trieben geschieht, führt das laut Freud zu Krankheit. Dies war eine wichtige Säule seines Denkens.
Interessanterweise hängt vieles davon mit seiner Biografie zusammen. Freud hatte einen sehr strengen Vater, der für ihn ziemlich alt war, da die Mutter zwanzig Jahre jünger war, schön und sehr intelligent. Freud war das Lieblingskind von sieben Kindern. So versteht man den Ödipus-Komplex besser. Freud griff auf die griechischen Mythen zurück: Ödipus tötete in der Mythologie unwissentlich seinen Vater und heiratete dann, ohne es zu wissen, seine Mutter. Freud sah darin ein tief im Menschen verankertes Problem.
Er entwickelte eine Psychologie des Vaterhasses, die für das Denken und Empfinden des zwanzigsten Jahrhunderts von großer Bedeutung sein sollte. Hinzu kam die Evolutionslehre, die ihn stark prägte, ebenso wie der Materialismus. Für Freud gab es keinen Gott; die letzte Realität war Materie. Gleichzeitig zeigte sich auch ein Mystizismus, wie wir im Zusammenhang mit Hypnose gesehen haben.
Eine besondere Schwäche seiner Psychologie ist der Reduktionismus. Dieses Wort bedeutet, dass die Realität auf wenige Faktoren reduziert wird. Freud vereinfachte alles extrem, was der Wirklichkeit nicht entspricht. Man kann daher sagen, dass das, was er betrieb, keine Wissenschaft war, sondern eine atheistische Religion mit Dogmen.
Der Erfolg der freudschen Psychologie im zwanzigsten Jahrhundert lag besonders in ihrer lebensanschaulichen Anziehungskraft. Viele Menschen ließen sich davon anziehen. Heute hört man das nicht mehr so häufig. Wenn man mit Psychologen spricht, begegnet man oft einer tiefen Verachtung für Freud und seiner Lehre. Sie sagen, dass sie diesen Unsinn nicht mehr glauben. Doch wenn man älter ist und erlebt hat, wie es vor vierzig oder fünfzig Jahren war, versteht man den Einfluss, den Freud auf die Lehrergeneration hatte. Diese Generation lebte noch in diesen Vorstellungen und hielt sie für die Wahrheit.
Aus der Freud'schen Lehre haben sich im Laufe der Zeit etwa 36 Sekten entwickelt, die sich teilweise gegenseitig bekämpften. Dieses Phänomen zeigt den religiösen Charakter seiner Lehre.
Interessant ist, was Jay Adams, ein bewährter Seelsorger in den USA, über Freuds Lehre geschrieben hat. Er sagte: „Wenn Freuds Auffassung richtig wäre, nämlich dass immer dann eine Schwierigkeit entsteht, wenn das Es das Triebhafte durch ein allzu strenges Gewissen oder Über-Ich verdrängt wird, dann müsste unsere Zeit in Wirklichkeit eine Zeit weit verbreiteter geistiger Gesundheit sein. Denn unsere Zeit ist nicht durch Verdrängung, sondern durch Nachgiebigkeit gekennzeichnet. Wenn der Freudianismus wahr ist, müssten die am meisten Unmoralischen oder noch eher die am meisten Amoralischen – die sagen: ‚Muss ich gar nicht fragen, ist das Recht oder Unrecht?‘ – die gesündesten Menschen sein. Während in Wirklichkeit genau das Gegenteil der Fall ist.“
Viele Menschen, die sich auf diese Art des Denkens eingelassen haben und auch den Bruch der 68er-Bewegung mitgemacht haben, sind in unserer Gesellschaft zerbrochen und zu Ruinen geworden. Sie brauchen Hilfe. Und glücklicherweise gibt es auch Hilfe.
C. G. Jung und die okkulten Einflüsse in der Psychologie
Nun, Freud war ein bedeutender Tiefenpsychologe, doch daneben spielte C. G. Jung, ein Schweizer aus dem Thurgau, eine wichtige Rolle. Bei ihm standen okkulte Phänomene im Mittelpunkt. Für Jung war die Traumanalyse noch wichtiger als für Freud.
Antike Mythen der alten Griechen und auch anderer Völker waren für ihn von großer Bedeutung. Ebenso interessierten ihn psychotische Phantasien, die man heute als geistig kranke Phantasien bezeichnen würde.
Jung unterschied zwischen dem persönlichen und dem kollektiven Unbewussten. Mit dem kollektiven Unbewussten meinte er einen psychischen Erfahrungsschatz, den die gesamte Menschheit teilt. Darin enthalten sind sogenannte Archetypen – Symbolvorstellungen, die bei allen Menschen weltweit vorkommen und angeboren in der Seele sind.
Viele Psychiater und Psychologen widersprachen dieser Ansicht. Sie konnten nicht nachvollziehen, dass es diese universellen Archetypen tatsächlich überall gebe, wie Jung es behauptete. Dennoch waren diese Archetypen und Symbole im Inneren des Menschen für ihn von großer Bedeutung.
Jung sagte, dass man diese besonders durch Spiritismus, also den Kontakt mit der Geisterwelt, erfahren könne. Er selbst berichtete, mit Archetypen in sich sprechen zu können, als wären es Personen.
Aus biblischer Sicht würde man dieses Phänomen als Besessenheit bezeichnen, wie sie auch in den Evangelien mehrfach beschrieben wird. Doch für Jung war das von großer Wichtigkeit, da er aus einer Familie stammte, die stark vom Spiritismus geprägt war.
Es gibt eine Biografie, die ausführlich seine schweren inneren Kämpfe beschreibt, die er durchlebte. Er machte schreckliche Erfahrungen und litt unter tiefen Konflikten, die damit zusammenhingen.
Für ihn waren Religionen, Mythen, Märchen und Phantasien von enormer Bedeutung. Die Kritik an dieser Art von Psychologie ist ebenfalls ein Beispiel für Reduktionismus: Alles wird auf seine persönlichen okkulten Erfahrungen reduziert.
Alfred Adler und der Minderwertigkeitskomplex
Jetzt noch ein dritter wichtiger Vertreter der Tiefenpsychologie: Alfred Adler (1870–1937). Dieser Mann litt unter Minderwertigkeitskomplexen, weshalb dieser Begriff eine zentrale Rolle in seiner Psychologie spielt. Das hing jedoch eng mit seiner eigenen Person zusammen, denn es war sein persönliches Problem.
Adler betrachtete sich selbst als äußerlich völlig unattraktiv und stand im Schatten seines älteren Bruders. Allerdings habe ich kein copyrightfreies Bild von Adler gefunden, sonst hätte ich Ihnen eines gezeigt. Aus meiner Sicht sieht er mehr als okay aus. Ich verstehe daher überhaupt nicht, dass er ein Problem mit sich selbst hatte und ständig im Schatten seines älteren Bruders stand. Aber wissen Sie was? Wer erinnert sich heute noch an seinen älteren Bruder? Wenn jemand bekannt ist, dann ist es Alfred Adler.
Übrigens trägt auch er einen jüdischen Namen, was interessant ist. Hier muss man also sagen: Reduktionalismus. Natürlich ist der Minderwertigkeitskomplex ein echtes Problem und bei manchen Menschen steht er mehr im Vordergrund. Andere wiederum haben vielleicht das Problem eines Überlegenheitskomplexes.
Im Neuen Testament, genauer gesagt in 1. Korinther 12, wird genau dieses Problem beschrieben: Der eine meint, wenn ich da bin, braucht es die anderen Gaben nicht mehr. Der andere denkt hingegen: Weil ich nicht das bin, bin ich eigentlich nichts. Doch nicht alle unsere seelischen Probleme hängen mit diesem Thema zusammen. Die Realität ist viel, viel komplexer.
Auch hier zeigt sich das Problem des Reduktionalismus. Besonders deutlich wird dies, wenn man bedenkt, dass Psychologen oft vor allem das beobachten, was sie an sich selbst wahrnehmen. Dabei besteht die Gefahr, diese Beobachtungen zu verallgemeinern und auf alle anderen zu übertragen.
Behaviorismus und die objektive Erforschung des Verhaltens
Jetzt kommen wir zu einer ganz neuen Schule: dem Behaviorismus. Der Begriff leitet sich vom englischen Wort "behavior" ab, was Verhalten bedeutet. Besonders wichtig für diese Richtung war John Watson (1878–1958). Er selbst war stark von den russischen Forschern Ivan Pawlow und Wladimir Michailowitsch Bechterew geprägt. Diese hatten in Russland bereits intensiv in diese Richtung geforscht.
Watson wollte strikt empirisch vorgehen. Empirisch bedeutet, dass man Experimente durchführt und diese möglichst objektiv untersucht. Dabei sollte es kein subjektives Hineinblicken in das eigene Erleben geben, wie es zu Beginn der Psychologie üblich war oder wie es bei Freud mit dem Grübeln über die Tiefe der Seele der Fall war. Nein, Watson wollte objektiv arbeiten und lehnte den Begriff „Bewusstsein“ ab. Er sah ihn als ein unwissenschaftliches Relikt aus der Vergangenheit an.
Für ihn war der Mensch im Prinzip eine von Reflexen gesteuerte Maschine. Er entwickelte eine Reaktions-Theorie und führte Laborexperimente durch. Dabei verzichtete er auf subjektive Introspektion, also die Selbstbeobachtung im Innersten.
Diese Psychologie ist reiner Materialismus. Psychische Erscheinungen werden hier als hundertprozentig physikalische Prozesse betrachtet. Wir sind biochemische Maschinen, die auf Lichtreize, Schall und andere Reize reagieren – nicht jetzt bei mir, aber bei Ihnen im Moment.
Die Grundlage dieser Lehre war die Evolutionslehre. Watson sagte, menschliches Verhalten sei von dem der Tiere ableitbar. Er leugnete angeborene Charaktereigenschaften und Kapazitäten. Daraus folgt auch das Denken. Im Prinzip könnte man aus jedem Kind einen Jehudi Menuhin machen, wenn nur die richtigen Umstände gegeben sind und man es entsprechend fördert. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass das nicht ganz stimmt. Es braucht mehr, um ein Jehudi zu werden.
Also leugnete Watson angeborene Charaktereigenschaften und Kapazitäten. In den zwanziger Jahren war diese Lehre besonders populär in den USA. Sie blieb es bis in die 1950er Jahre.
Als Zwischenfazit: Wir haben Wundt mit seiner Bewusstseinslehre kennengelernt, dann Freud mit der Lehre des Unbewussten und jetzt Watson, bei dem es nur um das Verhalten geht.
Aus dem Behaviorismus entwickelte sich der Neobehaviorismus. „Neo“ heißt einfach „neu“. Burrhus Frederick Skinner (1904–1990) führte Watsons Ansatz weiter. Er meinte, Watson sei zu extrem gewesen.
Skinner wurde berühmt durch seine Rattenversuche. Dabei wurde den Ratten Essen präsentiert, während eine Glocke läutete. So trainierte er die Tiere. Wenn die Nahrung schmeckte, lief ihnen das Wasser im Mund zusammen – wie bei anderen Tieren auch.
Mit der Zeit stellte Skinner fest: Wenn nur die Glocke läutete und kein Essen angeboten wurde, lief trotzdem das Wasser zusammen. Er sagte, diese Rattenversuche helfen uns, den Menschen besser zu verstehen. Ratten seien bereit, etwas zu lernen, wenn sie dadurch ihre Situation verbessern können, zum Beispiel etwas zu fressen bekommen. So sei es im Prinzip auch bei Menschen.
Menschen können ebenso trainiert werden. Skinner sagte allerdings auch, dass Bewusstsein existiert. Watson war ihm zu extrem, denn es gibt tatsächlich ein Bewusstsein.
Dennoch sah Skinner den Menschen als eine Art dressierten Hund oder dressierte Ratte. Er betonte außerdem, dass nicht alle psychischen Vorgänge Reaktionen auf äußere Reize sind. Das war bei Watson zu extrem. Skinner erkannte, dass es auch Prozesse im Inneren des Organismus gibt, die nicht mit äußeren Reizen zusammenhängen.
Allerdings ist Gott weiterhin ein Tabu in dieser Psychologie. Der Glaube wird hier nicht diskutiert. Für den Behaviorismus ist der Mensch eine biochemische Maschine. Begriffe wie Glaube, Liebe, Kreativität oder höhere Werte haben darin keinen Platz. Das ist mehr, als nur eine Ratte, bei der das Wasser zusammenläuft.
Die Kritik am Behaviorismus lässt sich so zusammenfassen: Er ist ein extremer Reduktionismus. Die Realität wird auf wenige Dinge reduziert. Behavioristen haben fast nur ein Auge für physische Stimulationen – Lichtstrahlen, Schallwellen, Wärmestrahlen oder Materieteilchen, die auf Druck-, Tast- und Riechsinn wirken. Das war’s.
Sie sehen, das hat natürlich eine Gegenreaktion ausgelöst. In der Geschichte der Psychologie gab es immer wieder etwas Neues und darauf eine Gegenbewegung. So wurden fortlaufend Argumente geliefert, um die verschiedenen Lehren zu beurteilen und kritisch zu hinterfragen.
Die humanistische Psychologie als dritter Weg
Und nun beginnt ein ganz neues Kapitel, das man „Third Force“ nennt. Auf gut Deutsch heißt das nicht „dritte Kraft“, sondern „dritter Weg“, zusammen mit der Tiefenpsychologie. Wir gehen jetzt vom zwanzigsten Jahrhundert aus, nach den Anfängen bei Wundt und der Tiefenpsychologie. In Amerika entwickelte sich der Behaviorismus. Man kann sagen, dass dies einen Kontrast zwischen Europa und Amerika darstellt.
Jetzt kommt die „Third Force“. Diese ist eher eine psychologisch bestimmte Lebensanschauung als eine experimentelle Wissenschaft. Seit den 1950er Jahren wird sie unter dem Begriff „humanistische Psychologie“ populär. Humanistisch bedeutet hier nicht Humanismus oder Renaissance, sondern bezieht sich auf den Menschen selbst. Es ist eine Psychologie des Menschen – und zwar nicht nur des kranken Menschen.
Die Vertreter dieser Richtung kritisierten, dass sich die Psychologie früher hauptsächlich mit Kranken oder Menschen mit großen Schwierigkeiten beschäftigte. Eigentlich sollte sich Psychologie aber mit dem Menschen schlechthin beschäftigen – auch mit dem gesunden Menschen. Deshalb spricht man von humanistischer Psychologie.
Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist Abraham Maslow (1908–1970). Er stammte aus einer jüdischen, sozialistischen Familie. Auch er war ein liberaler Jude, kein toragläubiger. Maslow war selbst ein utopischer Sozialist. Für ihn waren Tierversuche problematisch, weil Motivation beim Lösen von Problemen so nicht richtig dargestellt werden konnte. Behavioristen konnten Faktoren wie Neugier oder Einsicht nicht richtig einordnen. Für sie sind alle Verhaltensweisen bloße Reaktionen.
Maslow hingegen sagte, es gibt Neugier und neue Einsichten. Wir sind nicht einfach nur Reaktionsmaschinen. Deshalb wandte er sich bewusst vom Behaviorismus und von der tiefenpsychologischen Analyse ab.
Die Kritik am Behaviorismus lautete: Behaviorismus erklärt kein abstraktes Denken, auch nicht Phänomene wie Religion, Kunst oder Sprache. Im Zentrum steht eigentlich das Tier – die Ratte oder der Hund. Uns aber geht es um den Menschen, deshalb die humanistische Psychologie.
Auch die Kritik an der Tiefenpsychologie war wichtig: Man kann nicht alles auf infantile, also kindliche Konflikte zurückführen. Im Zentrum steht dort der kranke Mensch, doch wir wollen den gesunden Menschen betrachten.
Hier wird der Begriff der Selbstverwirklichung ganz wichtig. Maslow lehrte, dass der Mensch zuerst Grundbedürfnisse hat. Er braucht Nahrung, Wasser und Schlaf. Sind diese nicht gesichert, interessiert er sich nicht für weitere Dinge, schon gar nicht für Selbstverwirklichung. Wer kein sauberes Wasser und nicht genug zu essen hat, denkt nicht an Selbstverwirklichung – das ist klar.
Maslow beschreibt dies als eine Pyramide. Ganz unten befinden sich die Grundbedürfnisse. Sind diese erfüllt, kommt der nächste Schritt: Der Mensch möchte Sicherheit erfahren, Gewissheit und Schutz vor Gefahren. Er braucht ein geregeltes Einkommen. Wenn man gar nichts zu essen hat, ist die Frage, ob man eine bestimmte Stelle bekommt, unwichtig. Man ist froh, überhaupt etwas zu essen zu haben.
Sind Sicherheit und Gewissheit gegeben, entstehen neue Bedürfnisse. Dann möchte der Mensch Liebe erfahren und Geborgenheit spüren. Er will in einer Gruppe aufgehoben sein. Wenn diese Bedürfnisse erfüllt sind, will er in der Gruppe auch anerkannt werden. Das ist der nächste Schritt.
Wird jemand abgelehnt, geht es ihm zuerst darum, überhaupt angenommen zu werden. Hat er Anerkennung, beginnt der Mensch, nach dem Höchsten zu streben: der Selbstverwirklichung.
Dieses Denken hat unsere Gesellschaft stark geprägt. Auch das Ellbogendenken, gerade im Beruf, ist davon beeinflusst. Man ist bereit, je nach Situation, andere zu übergehen, um selbst diesen Platz zu bekommen.
Die kognitive Psychologie und die Betonung des Denkens
Wir kommen jetzt zu einem ganz neuen Abschnitt in der Geschichte, und zwar zur kognitiven Psychologie. Kognitiv meint dabei alles, was mit dem Denken verbunden ist.
Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts lagen die Zentren der Psychologie in Deutschland, Österreich und Europa sowie in den USA. Es gab jedoch eine Wende. Ab 1933, mit der Machtübernahme Hitlers, mussten viele Akademiker fliehen. Viele von ihnen gingen nach Amerika, insbesondere zahlreiche jüdische Wissenschaftler. Das führte zu einer starken Verlagerung der Psychologie in die USA.
Diese Verschiebung regte die universitäre Diskussion an und führte zu gegenseitigen Beeinflussungen. Lange Zeit war es so, dass man in Amerika auf eine Weise und in Europa auf eine andere Weise arbeitete. Durch die Flucht vieler Wissenschaftler nach Amerika kam es jedoch zu einem Zusammenführen der Ansätze.
Nun ist es wichtig, Ulrich Neisser zu erwähnen. Er nannte sich in Amerika Ulrich Neisser und veröffentlichte 1967 sein Buch „Kognitive Psychologie“, zuerst auf Englisch und später auf Deutsch. Darin erklärte er, dass der Mensch nicht nur aus Trieben und Reflexen besteht. Die kognitive Psychologie stellte das Denken, Kombinieren, Erfassen von Zusammenhängen und Kreativität in den Vordergrund.
Das war auch eine Reaktion auf den Behaviorismus, der das Denken weitgehend vernachlässigt und alles nur als Triebe betrachtet hatte. Natürlich hatte auch Freud in seiner Beobachtung einige richtige Aspekte erkannt. In all diesen Schulen wurden bestimmte Dinge richtig beobachtet, doch oft wurde darüber eine Ideologie errichtet, die alles reduzierte.
Es ist jedoch interessant zu sehen, dass der Mensch nicht nur denkend ist, sondern dass die Triebe eine wichtige Rolle spielen. Man hat beispielsweise untersucht, wie groß der Anteil der Raucher in der Gesellschaft ist. Dabei zeigte sich, dass der Prozentsatz bei Ärzten, die jahrelang gelernt haben, wie schädlich Rauchen ist, ungefähr genauso hoch ist wie bei der allgemeinen Bevölkerung. Das bedeutet, dass Intelligenz nicht unbedingt steuernd ist. Die Triebe spielen also eine bedeutende Rolle, auch wenn Freud dies stark übertrieben hat.
Das Denken spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, und das hat Ulrich Neisser sehr betont. Wegbereiter seiner Psychologie waren die frühen Gestaltpsychologen. Sie beschäftigten sich zum Beispiel damit, wie der Mensch Muster erkennt und auch nur angedeutete Muster interpretiert. Das hängt eng mit dem Denken und Kombinieren zusammen.
Zu diesen Wegbereitern zählen Tolman, Kurt Lewin, Christian von Ehrenfels und Kurt Koffka. Der Ansatz von Ulrich Neisser, das Denken wieder in den Mittelpunkt zu stellen, war daher eine sehr wichtige Entwicklung. Er brachte etwas wesentlich Neues in die Psychologie ein.
Übrigens sind in diesem Bereich auch die berühmten Intelligenztests anzusiedeln. Dabei wird untersucht, wie ein Mensch denkt, kombiniert und Probleme löst. Das hängt stark mit der kognitiven Psychologie zusammen.
Die Vielfalt der Psychologie seit den 1950er Jahren und der Konstruktivismus
Nun, ich habe Ihnen gesagt, dass ich jetzt ein Problem habe: Wie soll ich die nächsten vierzig Jahre darstellen?
Es ist so, dass in dieser Zeit eine enorme Vielfalt entstanden ist. Ich werde Ihnen gleich noch erklären, warum diese Vielfalt entstanden ist. Ab den 1950er Jahren platzte in der Psychologie eine regelrechte Bombe. In den folgenden Jahrzehnten, bis in die 1980er Jahre, folgten noch weitere „Bomben“. Ich werde gleich darauf eingehen. Diese Entwicklungen haben die Psychologie völlig verändert und die gesamte Landschaft durcheinandergebracht. Ich zeige Ihnen, was dahintersteckt.
Aber zunächst möchte ich sagen: Ab etwa 1980 bis heute hat sich die Psychologie natürlich weiterentwickelt. Dabei spielt unter anderem der Konstruktivismus als philosophischer Ansatz eine sehr wichtige Rolle. Besonders Jean Piaget hat diesen Ansatz in die Psychologie eingeführt.
Jean Piaget, ein Schweizer aus Genf, war übrigens ein Wunderkind. Schon als Kind schrieb er biologische Aufsätze. Innerhalb weniger Jahre wurde er eine anerkannte Fachperson in der Biologie und promovierte wahrscheinlich schon mit 21 Jahren. Danach beschäftigte er sich auch intensiv mit Psychologie und hatte dort großen Einfluss. Er vertrat den Konstruktivismus stark.
Der Konstruktivismus ist eine philosophische Sichtweise, die letztlich besagt, dass es keine objektive Wahrheit gibt. Aufgrund unserer unterschiedlichen Wahrnehmung konstruiert jeder Mensch seine eigene Wirklichkeit. Es gibt also nicht die eine Wirklichkeit, sondern jeder Mensch erschafft sie für sich selbst durch seine persönliche Wahrnehmung.
Daraus folgt, dass es nichts Absolutes gibt. Piaget wollte sogar das empirische, als sehr objektiv geltende Forschen in den Naturwissenschaften in Frage stellen. Auch das sei subjektiv. Wahrheit existiere nicht, denn jeder konstruiert seine eigene Welt.
Diese Philosophie besagt auch, dass gerade der Reichtum darin besteht, dass es viele verschiedene Auffassungen gibt. Man kann nicht sagen: Das ist richtig und das ist wahr. Stattdessen gibt es viele bereichernde, unterschiedliche Sichtweisen, aber niemand kann den Anspruch auf Wahrheit erheben.
An dieser Stelle erinnert man sich an die Frage von Pilatus: „Was ist Wahrheit?“ Das griechische Wort für Wahrheit, das Pilatus zu Jesus Christus sprach, ist Aletheia. Das A steht für „nicht“, wie bei „unnormal“ oder „atonal“ in der Musik. Letheia kommt von „letos“ und bedeutet „verborgen“. Wahrheit ist also die Darstellung der Dinge so, wie sie sind, ohne dass eine Decke darüber liegt.
Der Konstruktivismus sagt hingegen, dass es nicht die eine Realität gibt, sondern jeder seine eigene Realität konstruiert. Man sieht, wie stark diese Sichtweise auch das Christentum beeinflusst hat. Dieses postmoderne, man könnte sagen agnostische, evangelische Denken geht davon aus, dass es keine absolute Wahrheit gibt. Jeder denkt anders, und gerade darin liegt der Reichtum der verschiedenen Ansichten.
Man ist also sehr stark von solchen philosophischen Richtungen beeinflusst, oft ohne es bewusst zu wissen. Neben dem Konstruktivismus spielt auch die Systemtheorie eine wichtige Rolle. Man erkannte die Notwendigkeit, Dinge nicht nur psychologisch zu betrachten.
Es sollten auch Biologen hinzugezogen werden, ebenso wie Ärzte aus der Psychiatrie und Neurologen, also Fachärzte für Neurologie. Durch diese interdisziplinäre Betrachtungsweise kann man zu besseren Ergebnissen kommen.
Begriffe wie Kybernetik, Selbstregulierung, Willenspsychologie wurden sehr wichtig. Auch die Netzwerktheorie gewann an Bedeutung, weil man erkannte, dass das Leben nicht nur ein einzelner Mensch ist. Der Mensch ist vernetzt mit seiner Familie, Verwandtschaft und Kollegen im Beruf. Diese Wirkungsgefüge müssen ebenfalls berücksichtigt werden.
Wichtige Persönlichkeiten in dieser weiteren Entwicklung waren Noam Chomsky, den die meisten als Linguisten kennen. Er war zwar kein Psychologe, hat die Psychologie aber enorm beeinflusst. Noam Chomsky ist übrigens ebenfalls Jude. Jean Piaget habe ich bereits erwähnt, und auch Ulrich Neisser spielte eine bedeutende Rolle.
Das führte dazu, dass man heute nicht mehr „schulgläubig“ ist. Man sagt nicht mehr: „Ich bin Freudianer“ oder „Ich bin Anhänger von C. G. Jung“ oder „Was Kinner geleistet hat, ist objektiv richtig.“ Nein, heute ist es eher wie ein Selbstbedienungsladen. Es gibt nicht die eine wahre Richtung.
Man muss vielmehr kombinieren und suchen, wie man die Wirkungsweise individuell optimieren kann, angepasst auf die einzelne Person. Deshalb gibt es heute in vielen Berufen, wie Lehrern oder Krankenschwestern, das Fach Psychologie. Dort wird einem keine bestimmte Richtung vorgegeben, sondern man erhält einen Überblick über alle Ansätze.
Man kann daraus wählen, weil es keine absolute Wahrheit gibt. Der Konstruktivismus erlaubt jedem, zu suchen, was er möchte.
Die Wirksamkeit psychologischer Therapien
Nun, all diese verschiedenen Richtungen haben eben unterschiedliche Therapien hervorgebracht. Ich habe gesagt, ich werde die Geschichte der Therapie nicht beschreiben, weil ich nur einen abendfüllenden Vortrag halten kann und nicht eine ganze Serie. Aber die Frage stellt sich aus praktischen Gründen sehr stark.
Was ist der Nutzen all dieser Richtungen und Forschungen für die Praxis? Welche Therapie ist die beste? Diese Frage hat man sich in der Psychologie seit Jahrzehnten gestellt. Heute gibt es etwa 400 verschiedene Therapierichtungen. Da muss man sich fragen: Nützen sie etwas? Und wenn ja, welche nützt am meisten?
Das war eine Sensation. Hans-Jürgen Eysenck, der in Berlin geboren wurde und seine Karriere in England machte, veröffentlichte 1951 eine Studie mit dem Titel „The Effects of Psychotherapy“, also die Wirkungsweise und Resultate der Psychotherapie. Dabei untersuchte er bereits bestehende Studien über behandelte und unbehandelte Menschen mit seelischen Problemen.
Er kam zum Schluss, dass zwei Drittel nach zwei Jahren sowieso wieder gesund werden – es geht hier zum Beispiel um Depressionen. Oder es gibt eine starke Besserung nach zwei Jahren. Eysenck sagte, es gebe keinen Beweis dafür, dass Psychotherapie etwas nützt. Ein Psychologe von Rang und Namen, Eysenck, sagte so etwas. Das war natürlich unerhört. Man muss sich vorstellen, das stellte alles infrage, was man ein Leben lang geleistet und studiert hatte. Das wurde natürlich nicht akzeptiert.
Man fand dann auch einiges heraus, was Eysenck nicht beachtet hatte. So war dieser Streit bis in die sechziger Jahre sehr wichtig. Dann kam Eric Bergin, der wieder eine Untersuchung machte. Er sagte, viele der angeblich unbehandelten Personen seien doch behandelt worden. Sie gingen zwar nicht zu einem Psychologen, aber zum Beispiel zu einem Lehrer. Lehrer sind sehr wichtig, weil sie ein Auge für Schüler und deren Schwierigkeiten haben und zur Verfügung stehen.
Diese Menschen gingen mit ihren Problemen auch zu Verwandten, etwa einem einfühlsamen Onkel, oder zu guten Freunden, mit denen sie die Dinge besprachen. Manche suchten auch einen Priester, Prediger oder Arzt auf. Bergin sagte, diese Leute seien behandelt worden, aber Eysenck betrachtete sie als unbehandelt. Er meinte, sie gingen nicht zum Psychologen. Bergin sagte, es gebe eigentlich keinen Unterschied zwischen denen, die zum Psychologen gingen, und denen, die nicht zum Psychologen gingen. Aber viele gingen eben zu Personen, die mit ihnen sprachen.
Alan Bergin kam 1971 in einer Veröffentlichung zum Schluss, dass Therapien insgesamt einen mäßigen Nutzen haben. Das war eine Sensation. Aber das war noch nicht das letzte Wort. Bergin stellte auch fest, dass es eine ganze Reihe von Menschen gibt, denen es nach der Therapie schlechter geht als vorher. Das betrifft heute vielleicht zehn Prozent, aber diese Fälle gibt es auch. Die Frage ist, woran das liegt, und das muss man durchaus noch untersuchen.
Der Streit ging weiter. 1980 erschien eine umfangreiche Studie zur Nützlichkeit von Psychotherapie von Mary Lee Smith, Jean V. Glass und Thomas I. Miller mit dem Titel „The Benefits of Psychotherapy“. Sie beschäftigten sich mit Zehntausenden von Personen, also eine sehr große Studie, die bereits bestehende Studien auswertete.
Sie kamen zum Schluss: Therapien haben einen Effekt. Es bringt etwas. Man kann nicht mehr sagen, wie Eysenck, dass Psychotherapie nichts bringt. Aber sie stellten auch fest, dass keine Therapie besser ist als die andere. Wenn jemand sagt, Freud sei der Richtige, oder C. G. Jung, oder eine andere Richtung, hat das nichts zu tun mit den tatsächlichen Wirkungen. Therapie bringt etwas, aber man kann nicht sagen, dass eine grundsätzlich besser ist als eine andere.
Drittens ist die Art der Ausbildung des Therapeuten unwichtig. Das ist eine weitere Sensation. Es kommt nicht darauf an, ob der Therapeut einen Master oder nur einen Bachelor hat.
Die wirklich heilsamen Faktoren liegen nicht in den psychologischen Theorien. Aber wenn nicht in der Theorie von Freud mit der Couch und dem Grübeln in der Vergangenheit oder in der Anstrengung der Selbstverwirklichung bei anderen Ansätzen, woran liegt es dann?
Das hat später ein führender Psychologe dargelegt: Jerome David Frank, der 2005 verstarb. Er hat sechs Punkte herausgearbeitet, die ganz wichtig sind.
Erstens: Eine Beziehung. Da ist jemand mit Schwierigkeiten, der zu einer Person geht, um mit ihr zu sprechen. Aber es muss eine Beziehung da sein – zum Beispiel zum Lehrer als Vertrauensperson, zu den Eltern oder zum Psychologen.
Zweitens: Es ist wichtig, dass eine Theorie vorhanden ist. Frank sagt nicht, dass es auf die spezielle Theorie ankommt, aber es muss eine Theorie geben. Das heißt, es ist wichtig, dass man das, was jemand erlebt, in einen größeren Zusammenhang stellen kann. Allein die Erkenntnis, dass man nicht komisch ist und viele andere ähnliche Schwierigkeiten haben, hilft oft schon. Es ist hilfreich, erklären zu können, warum etwas so sein kann. Das wurde vielfach beobachtet.
Drittens: Information. Der Berater muss Informationen geben. Zum Beispiel: „Das habe ich schon bei vielen anderen erlebt, und als ich dann das und das geraten habe, hat das wirklich eine Verbesserung gebracht.“ Der Patient wäre nicht auf die Idee gekommen, das zu tun. Zum Beispiel bei einer Studentendepression: Schlaf ist sehr wichtig, ein regelmäßiger Lebensstil, gesunde Ernährung, feste Essenszeiten. Diese Informationen müssen vermittelt werden.
Viertens: Die soziale Position des Therapeuten ist wichtig. Es ist wichtig, dass der Hilfesuchende zu der Person aufschaut, die ihm Informationen geben kann, die er selbst nicht hat.
Fünftens: Der Erfolg des Patienten. Wenn man sich zum Beispiel zwei Wochen später wieder trifft und fragt: „Wie geht es Ihnen?“ und der Patient sagt: „Ich schlafe besser, es geht mir schon etwas besser“, dann macht das Mut, weiterzumachen. Der Erfolg motiviert.
Sechstens: Katharsis, also Reinigung. Der Hilfesuchende muss bereit sein, Dinge im Leben zu ändern. Zum Beispiel muss ein Student, der unregelmäßig lebt, seinen Lebensstil ändern und darf nicht denken, dass es toll ist, ungebunden zu sein und machen zu können, was man will. Katharsis ist sehr wichtig.
Weitere Studien haben gezeigt, dass es auch sehr stark auf den Therapeuten ankommt, wie er mit den Menschen umgeht. Es gibt Therapeuten mit wenig Erfolg und andere mit viel Erfolg.
Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Wer kein freundliches Gesicht hat, soll keinen Laden aufmachen.“ Das gilt auch für Therapeuten. Wenn der Patient merkt, dass man auf ihn eingeht, ihm mit Freundlichkeit, Achtung und einem Lächeln begegnet, hilft das enorm. Wenn der Patient hingegen denkt, der Therapeut halte ihn für komisch, ist das hinderlich.
Man hat sogar herausgefunden, dass Therapeuten gefährlicher sein können als ihre Methoden. Es ist sehr wichtig, dass der Therapeut sich ständig verbessern will und den Patienten regelmäßig fragt, wie die letzte Sitzung war und ob er etwas anders machen könnte.
Das Feedback der Patienten führt zu viel effizienteren Therapeuten. Manche Patienten sagen zum Beispiel: „Sie hätten vielleicht nicht so viel sprechen sollen, ich hätte lieber mehr von Ihnen gehört.“ Andere sagen: „Sie haben die ganze Zeit gesprochen, ich konnte gar nicht zu Wort kommen.“ Das geht natürlich nicht.
All diese Punkte hängen nicht mit den weltanschaulichen Theorien zusammen, die um die Therapierichtungen herum aufgebaut sind. Darum geht es gar nicht.
Wichtig ist, dass Menschen ein offenes Ohr haben, zu denen sie gehen können, mit denen sie sprechen können, die mitfühlen und einen nicht einfach verachten oder abweisen mit dem Gedanken: „Der ist sowieso immer so.“
Das führt uns zur biblischen Seelsorge, denn diese Faktoren haben von Alters her immer eine ganz wesentliche Rolle gespielt.
Biblische Seelsorge und die Frage nach dem Menschen
Wenn wir zum Schluss noch einige Gedanken zur biblischen Seelsorge und zur seelischen Gesundheit machen, fällt auf: Die Psychologie stellt die Frage „Was ist der Mensch?“. Doch diese Frage hat König David bereits vor dreitausend Jahren im Psalm 8 gestellt: „Was ist der Mensch?“
Betrachten Sie dieses Gesicht – ein Penner. Doch in diesem Leben hat sich viel ereignet. Was ist der Mensch? Man kann sagen, dass 140 Jahre Psychologiegeschichte diese Frage nicht beantworten konnten. Es wurden riesige Gebäude errichtet, in denen Gott keinen Platz hat. Viele richtige Beobachtungen wurden gemacht, die hilfreich sein können. Doch wenn es darum geht, was der Mensch wirklich ist, brauchen wir die Information von jemandem, der es wirklich weiß. Wir haben es nicht selbst herausgefunden. Man kann nicht sagen, heute wüssten wir, was der Mensch ist: eine Maschine oder ein Abfallhaufen der Zivilisation, voll von Symbolen und Archetypen aus früheren Zeiten.
Was ist der Mensch? Die Bibel sagt von sich selbst, dass sie Gottes Wort ist. „Alle Schrift ist von Gott eingegeben“, heißt es in 2. Timotheus 3,16. Diese Bibel sagt uns, dass der Mensch im Bild Gottes erschaffen wurde (1. Mose 1,27). Empirische Wissenschaft kann den Menschen nicht wirklich verstehen, sie kann nur Teile richtig beobachten und beschreiben. Das hat seinen Wert, aber den Menschen im tiefsten Wesen verstehen kann sie nicht.
Warum nicht? Weil die säkulare Psychologie die Existenz Gottes ignoriert. Der Mensch ist im Bild Gottes geschaffen. Wenn man Gott ignoriert, weiß man nicht, was der Mensch ist. Und wie sollen wir wissen, wer Gott ist? Nur Gott kann uns durch Offenbarung zeigen, wer Er ist – und dann auch, wer der Mensch ist. Diese Frage „Was ist der Mensch?“ beantwortet die Bibel. In Sprüche 30,4 heißt es in Bezug auf Gott: „Was ist sein Name und der Name seines Sohnes, wenn du es weißt?“ – eine alttestamentliche Frage von Agur ben Jaket.
Die Bibel lehrt, dass der Mensch eine Einheit von Körper, Seele und Geist ist (1. Thessalonicher 5,23). Ganz wesentlich für den Menschen ist die Beziehung zu Gott. Es gibt entweder die Beziehung zu Gott oder die Beziehung zu Abgöttern. Der Mensch steht immer in einer Beziehung, er ist nicht einfach autonom. Darum müssen wir auch essen. Das habe ich einer Frau mit Anorexie erklärt: Warum essen wir? Wir sollen uns jedes Mal daran erinnern, dass wir nicht aus uns selbst existieren können. Gott existiert in sich absolut, aber wir sind Geschöpfe und können nur mit Input leben. Deshalb müssen wir essen. Gott hat sogar so eingerichtet, dass wir beim Essen Freude haben dürfen und an Beziehung leben, zum Beispiel in der Familie.
Ganz wesentlich ist die Beziehung zu Gott. Wenn wir diese Beziehung nicht haben, dann ist es eine Beziehung zu Abgöttern, also zum Ersatz für Gott. Die Bibel ist eine Gebrauchsanweisung zum Menschsein. Sie macht uns klar, dass Missachtung göttlicher Gebote auch zu seelischer Krankheit führen kann. Verstehen Sie mich richtig: Ich sage nicht, seelische Krankheit entsteht durch Missachtung von Geboten, aber Missachtung von Geboten kann zu seelischen Krankheiten führen.
Die Bibel zeigt uns, wie man Ehebeziehungen pflegen muss, mit wunderbaren Beispielen und Belehrungen. Sie zeigt auch, wie wichtig Werte wie Hingabe, Liebe und Treue sind. Was konnten B.F. Skinner, der Mann mit den Ratten, mit diesen Ausdrücken anfangen? Nichts. Aber das sind ganz wesentliche Dinge, damit es funktioniert – damit wir gesunde Familien und Ehen fördern können.
Auch die Kindererziehung nach biblischen Normen wird erklärt. Die Bibel gibt uns biblische Moral für Arbeit und Alltagsleben. Dabei geht es nicht darum, sich selbst zu verwirklichen und durchzusetzen, sondern auch zu fragen: Wie ist das mit dem Anderen? Die Bibel zeigt uns, dass es einen Gott gibt, der sich für uns interessiert – für unser gesundes Leben, aber auch für unser krankes Leben.
Psalm 23 sagt: „Der Herr ist mein Hirte.“ David, der Schafhirte, beschreibt sich als Schaf, und der Herr, Gott, ist der Hirte, der sich um die Schafe kümmert. Er beobachtet genau, was mit den Schafen ist, setzt sich für sie ein und kommt bei Gefahren mit Stecken und Stab. Er schreibt so wunderbar: „Der Herr ist mein Hirte, dein Stecken und Stab trösten mich.“ Mit dem Stecken wurden böse Tiere erschlagen. Die Bibel sagt, Gott kümmert sich so um uns bzw. möchte sich um uns kümmern.
1. Petrus 2,25 sagt: „Ihr seid zurückgekehrt zu dem Hirten und Aufseher eurer Seelen.“ Im griechischen Text steht für Seelen „psychä“. Das ist die allererste Adresse. Natürlich können Menschen uns auch helfen, und die Bibel spricht darüber, wie das in der Gemeinde aussehen soll: Aufeinander achten, ein offenes Auge für die Bedürfnisse der anderen haben und Hilfestellung geben – nicht wie eine Geheimpolizei, sondern liebevoll und aufmerksam.
Der Herr Jesus selbst ist der Hirte und Aufseher unserer Seelen. Ihm liegt unsere seelische Verfassung am Herzen. Stellen Sie sich vor, man steckt in einer Depression und hat das Gefühl, niemand versteht einen – vielleicht sogar, dass Gott einen nicht versteht. Aber die Bibel sagt uns, dass Gott uns versteht. In Jesaja 63 heißt es, dass Gott in all unserer Drangsal mit uns leidet. Das bedeutet, dass Gott so mitfühlt, als wären unsere Probleme seine eigenen.
Dadurch entsteht ein ganz anderes Verhältnis zum Leiden, auch zum seelischen Leiden. Es geht nicht in erster Linie darum, sofort gesund zu werden. Gott kann die schweren Dinge, die wir im Leben durchmachen, auch benutzen, um uns zu formen.
Ein guter Physiotherapeut hat meiner Tochter beigebracht: „Der Schmerz ist dein Freund.“ Was? Ja, natürlich. Wenn man keine Schmerzen hätte, würde man sich leicht verletzen, zum Beispiel in der Küche verbrennen. Der Schmerz zeigt uns, dass etwas nicht stimmt. So ist es grundsätzlich mit allen Arten von Leiden. Nach der Bibel sind sie nicht einfach sinnlos.
Gott fühlt mit uns und führt uns durch schwierige Täler hindurch. David sagt im Psalm 23: „Wenn ich auch wanderte im Tal des Todesschattens, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“ Das sind schwere Wege, aber gut, wenn wir sagen: Gott will uns führen. Wir müssen zuerst eine Beziehung zu ihm bekommen.
Das Problem ist, dass wir nicht automatisch mit einer Beziehung zu Gott aufwachsen. Wann haben Sie sich zum ersten Mal mit dem Gedanken an Gott als Schöpfer in der Kindheit konfrontiert? Das ist bei jedem unterschiedlich. Und dann stellt sich die Frage: Kann man eine Beziehung zu Gott bekommen? Wo ist Gott, wie kann ich ihn erfahren?
Die Bibel zeigt uns, dass wir oft ohne Beziehung zu Gott aufwachsen. Eine Beziehung braucht der Mensch, aber oft ist sie eine Beziehung zu Abgöttern – zu Dingen im Leben, die eigentlich ein Ersatz für Gott sind. Doch die Bibel sagt, dass Gott uns sucht und jeden Einzelnen zu sich ziehen möchte. Römer 2,4 sagt, dass Gott uns langmütig zieht.
Wenn ein Mensch sagen kann, er sei ein Gottsucher, dann ist das nicht, weil er so ein toller Mensch ist und Gott sucht. Römer 3 sagt, dass niemand Gottsucher ist. Die Bibel sagt, wir sind eigentlich von Gott weg. Wir würden nicht einmal auf die Idee kommen, Gott zu suchen. Aber wenn wir beginnen, Gott zu suchen, dann ist das bereits, weil Gott uns zieht.
Man muss sehr darauf achten, wie Gott zu uns spricht und wie er durch Nöte im Leben zu uns redet. Die meisten Menschen kommen im Zusammenhang mit Krisen und Nöten zum Glauben. Eigentlich müsste das nicht so sein. Man könnte auch sagen: Psalm 104 – „Preise den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er Gutes getan hat.“ Man könnte Gott suchen, weil man sich überlegt, warum es einem eigentlich gut geht. Ja, man hat Probleme, aber im Vergleich zu anderen, denen es viel schlechter geht, warum geht es mir gut? Man könnte Gott suchen, weil er einem schon so viel Gutes getan hat.
Doch oft beginnt die Suche erst, wenn Probleme da sind. Das ist unser Problem. So benutzt Gott seelische innere Nöte und Kämpfe aller Art, um uns zu sich zu ziehen. Dadurch entsteht ein ganz anderer Blick auf das Leiden: Es ist nicht einfach sinnlos. Manche Menschen sagen: Hätte ich nie diese Krise erlebt, wäre ich ohne Gott gestorben.
Die Bibel sagt, wenn wir ohne Gott sterben, gibt es danach keine Möglichkeit mehr, eine Beziehung zu Gott zu bekommen. Die Entscheidung muss während unseres Lebens hier auf Erden fallen.
Manche psychologische und ideologische Systeme betonen, dass der Mensch eigentlich gar nicht schuldig sei. Die Bibel sagt genau das Gegenteil: Jeder Mensch hat die Gebote Gottes gebrochen und ist vor Gott schuldig geworden.
Was nun? Es gibt Therapieansätze, die sagen, man müsse Schuldgefühle bekämpfen und loswerden. Aber wenn die Schuldgefühle mit konkreter Schuld zusammenhängen, dann muss die Schuld beseitigt werden – nicht nur die Schuldgefühle. Das wäre so, als würde man beim Fahren mit dem Vivaro ein gelbes Warnlicht ignorieren, das auf ein Problem hinweist. Wenn man das Licht einfach „tötet“, fährt man weiter – und der Vivaro geht kaputt.
Schuldgefühle sind wie Schmerz – unser Freund, der uns zeigt, dass ein Problem besteht. Die Bibel sagt, wenn wir ehrlich unsere Schuld vor Gott bekennen und bereuen, ist er bereit, uns zu vergeben. Jesus Christus hat die Strafe, die wir von einem gerechten Gott verdient hätten, bereits am Kreuz getragen.
Das betrifft nicht nur das, was mir zuletzt passiert ist. Ein junger Mensch sagte mir einmal, er glaube an vieles, aber vieles sei ihm nicht einleuchtend. Warum musste Jesus leiden, um uns zu retten? Viele Menschen leiden doch auch, warum hätte Gott nicht einfach so vergeben können? Er meinte, der Kreuzestod Jesu sei nur das gewesen, was die Menschen ihm angetan haben.
Aber das stimmt nicht. Als die Menschen Jesus mit Nägeln kreuzigten, ihn schlugen und anspuckten, wurde dadurch keine einzige Schuld von uns weggetan. Es zeigte nur, wie schlimm der Mensch ist. Doch in den drei Stunden, als Finsternis herrschte und Jesus rief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, da hat Gott ihn mit unserer Schuld beladen und bestraft – für das, was unsere Strafe in Ewigkeit gewesen wäre.
Das waren die sühnenden Leiden. Und das ist Gottes Angebot: Er ist bereit, uns jede Art von Schuld zu vergeben, wenn wir sie bekennen und Gott danken für die Vergebung. Das kann viele seelische Nöte lösen.
Ich habe nie gesagt, dass seelische Probleme nur mit Schuld zusammenhängen. Bitte hängen Sie mir das nicht an. Aber viele Nöte hängen damit zusammen, oder auch mit zwischenmenschlichen Problemen, und da spielt Schuld ebenfalls eine Rolle. Wenn diese Schuld nicht gelöst wird, bleiben wir gefangen.
Das Wunderbare an biblischer Seelsorge ist, dass man nicht nur die heilsamen Faktoren anwendet, wie es in der psychologischen Beratung oft geschieht – wo man über Probleme spricht, überlegt, was man ändern kann und wie man sie lösen könnte.
Hier kommt Gott ins Spiel, der sich für diese Probleme interessiert, aktiv in unser Leben eingreift und uns die Schuld nimmt. Er löst viele innere Krämpfe, sodass die Beziehung zu Gott neu werden kann – und auch die Beziehung zu Mitmenschen, zum Beispiel in der Ehe. Ehen, die am Boden sind, können wieder geheilt werden. Das ist wunderbar.
Natürlich gibt es große Probleme, aber diese müssen gelöst werden. Das kennt die säkulare Psychologie nicht: das Problem echter Schuld und echter Vergebung. Die Beziehung zu Gott wird ausgeklammert. Dabei ist das das Wesentliche. Wir können den Menschen nicht verstehen ohne Gott.
In der säkularen Psychologie läuft alles auf der Horizontalen ab. Die Vertikale wird behandelt, als wäre sie nicht existent.
Ich höre gerne Radio, zum Beispiel auf längeren Fahrten. Manchmal höre ich den französischen Sender „La Linde Coeur“ in der französischen Schweiz. Am Abend rufen Leute an, und ein Berater spricht über alle möglichen leichten und auch sehr schwierigen Probleme. Ich höre zu, um am Puls der Zeit zu bleiben und zu verstehen, wie Menschen denken.
Es ist beklemmend zu sehen, dass alles auf der Horizontalen bleibt. Gott wird vielleicht kurz erwähnt, aber dann ist das Thema wieder erledigt. Das Wesentliche wird ausgeklammert. Dabei wäre das der Anknüpfungspunkt: Wie können wir den kennenlernen, der der gute Hirte ist?
Wenn das für uns gilt, lesen wir noch einmal 1. Petrus 2,25: „Ihr seid zurückgekehrt zu dem Hirten und Aufseher eurer Seelen.“ Das sei als praktischer Impuls zum Schluss dieses Vortrags mitgegeben.
Abschluss mit einem gemeinsamen Lied
Ja, eigentlich hätte ich gerne gehabt, dass ein Chor heute singt. Das war aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Deshalb habe ich gedacht: Jetzt singen wir alle miteinander. Ganz kurz: Jesus bleibt meine Freude.
Darauf hat der Vortrag hingesteuert: Jesus bleibe meine Freude von Bach, meines Herzens Trost und Saft. Die Instrumentalisten machen sich gleich bereit, und dann singen sie mit. Edmund, ein bewährter Dirigent, wird uns zeigen, wo der Chor einsetzt.
Das Orchester spielt eine Melodie, meistens in Triolen. Diese fortlaufende Triolenbewegung drückt aus: Es geht vorwärts, vorwärts, vorwärts, vorwärts.
Jesus bleibet meine Freude, meines Herzens Trost und Saft. Jesus wehret allem Leide, er ist meine Lebenskraft, meine Augen, Lust und Sonne, meiner Seele Schutz und Wonne. Darum lasse ich Jesum nicht aus dem Herzen und Gesicht.