Einführung in das Johannesevangelium und die Bedeutung der vier Evangelien
Wir beginnen heute mit dem Johannesevangelium und lesen zunächst aus Kapitel 1, die Verse 1 bis 42. Bevor wir mit dem Text beginnen, sollten wir uns einige einleitende Gedanken machen.
Das Johannesevangelium ist in der Bibel das vierte Evangelium. Dabei stellt sich die Frage: Warum haben wir überhaupt vier Evangelien und nicht nur eines? Es gibt ja die Regel, dass alles aus zweier Mund bezeugt werden soll. Aber hier sind es vier Evangelien, also vier Zeugnisse – mehr als zwei. Wo finden wir das Prinzip der zwei Zeugen?
Schauen wir dazu in 5. Mose 19, Vers 15. Dort geht es um Aussagen vor Gericht, die glaubwürdig sein sollen. Dort heißt es: Ein einzelner Zeuge soll nicht gegen jemanden auftreten wegen irgendeiner Ungerechtigkeit oder Sünde. Auf Zweier- oder Dreier-Zeugenaussage soll eine Sache bestätigt werden. Zwei Zeugen sind also das Minimum für ein glaubwürdiges Zeugnis vor Gericht.
Bei den Evangelien geht es um den Höhepunkt der Heilsgeschichte: Gott kommt in diese Welt. Offenbar wollte Gott uns ein besonders glaubwürdiges Zeugnis über seinen Sohn geben. Deshalb haben wir nicht nur zwei Evangelien, schon gar nicht nur eines, sondern zweimal zwei. So erhalten wir ein überaus glaubwürdiges Zeugnis.
Reinhard hat dazu eine interessante Beschreibung: Im Johannesevangelium begegnen wir dem vom Himmel gekommenen Sohn Gottes. Im Matthäusevangelium sehen wir die Seite des Königs. Markus beschreibt Jesus als Knecht oder Diener. So wird der Herr Jesus von vier Seiten dargestellt – etwas, das in einem einzigen Evangelium kaum möglich gewesen wäre.
Du hast gesagt, Matthäus zeigt Jesus als König. Aber wir haben doch gerade erst in Johannes 1,49 gelesen: „Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels.“ Also finden wir den König auch im Johannesevangelium. Ja, das stimmt. Der Akzent ist jedoch anders: Johannes betont nicht so sehr, dass Jesus König ist, sondern dass er der Sohn Gottes vom Himmel ist, Gott selbst, der Mensch geworden ist.
Fassen wir also zusammen: Matthäus betont, dass Jesus der König ist. Markus beschreibt ihn als Diener oder Knecht. Lukas legt den Schwerpunkt auf die Menschlichkeit Jesu. Er beschreibt auch die Geburtsgeschichte am ausführlichsten und war selbst Arzt – also ein Spezialist für Menschen. Und das Johannesevangelium zeigt Jesus als den Sohn Gottes, also als Gott selbst.
Wenn wir Matthäus und Markus vergleichen, fällt uns auf, dass sie Gegensätze darstellen: König und Knecht. Beide Aussagen sind richtig. Jesus ist König, aber er ist auch gekommen, um zu dienen und sich selbst zu erniedrigen. Diese beiden Evangelien bilden ein Paar in ihrer Darstellung.
Auch Lukas und Johannes bilden ein Gegenstück: Lukas legt den Akzent auf den Menschen Jesus, Johannes auf Gott. So haben wir wieder zwei und zwei – zwei Zeugen. Das entspricht dem Prinzip der Glaubwürdigkeit vor Gericht. Hier haben wir also zweimal zwei Zeugen.
Hat das vielleicht auch etwas mit den vier lebendigen Wesen oder den vier Thronträgern in Hesekiel zu tun? Diese Cherubimengel werden in Hesekiel 1 beschrieben. Dort haben sie vier Angesichter: Löwe, Stier (oder Ochse), Mensch und Adler.
Können wir diese Gesichter den Evangelien zuordnen? Der Löwe steht für den König, also Matthäus. Der Ochse, das dienende Tier, passt zu Markus als Knecht. Der Mensch kann Lukas zugeordnet werden, der die Menschlichkeit Jesu betont. Der Adler schließlich steht für Johannes, der den Sohn Gottes vom Himmel beschreibt.
Solche Beziehungen zu vier verschiedenen Seiten finden sich im Alten Testament an mehreren Stellen wieder. Sie treffen sich immer wieder mit den vier Evangelien. Zum Beispiel im Opferdienst Israels gab es vier verschiedene blutige Opfer: das Brandopfer, das Friedensopfer, das Sündopfer und das Schuldopfer.
Diese vier blutigen Opfertypen lassen sich ebenfalls je einem Evangelium zuweisen. Das Brandopfer war das Opfer zur Verherrlichung Gottes. Genau diese Seite sehen wir im Johannesevangelium. Dort wird betont, dass Jesus Christus gekommen ist, um Gott in seinem ganzen Leben zu verherrlichen – besonders in seinem Sterben auf Golgatha.
Es ist frappant zu sehen, dass diese Vierergruppe nicht zufällig ist. Sie ist tief in der alttestamentlichen Offenbarung verwurzelt und bereits vorgeschattet.
Die göttliche Natur Jesu im Johannesevangelium
Im Johannesevangelium begegnen wir von Anfang an der Aussage: Jesus Christus ist Gott. Ab dem ersten Vers wird dies betont. Dort heißt es: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ Ein solcher Anfang findet sich in keinem anderen Evangelium. Die Aussage ist also ganz klar: Jesus Christus ist Gott.
Zunächst haben wir uns Gedanken über die Evangelien an sich gemacht. Nun wollen wir uns fragen: Wer ist der Schreiber? Es gibt alte historische Zeugnisse aus der Frühzeit, die deutlich machen, dass der Schreiber Johannes der Apostel ist. Auch zu den anderen Schreiberinnen und Schreibern gibt es Informationen. Matthäus war der Apostel Matthäus. Markus war ein Mitarbeiter von Paulus auf der ersten Missionsreise. Er war kein Apostel, schrieb aber unter Inspiration und wurde von Petrus anerkannt. Lukas war Arzt, begleitete Paulus auf Missionsreisen und war ebenfalls kein Apostel.
Hier zeigt sich eine Zweiergruppe: Zwei Apostel, Matthäus und Johannes, und zwei Nichtapostel, die wir als neutestamentliche Propheten oder neutestamentliche Schriftpropheten bezeichnen müssen. Sie schrieben unter Inspiration ein Bibelbuch. Epheser 2,20 erklärt, dass die Kirche, die Gemeinde, auf dem Fundament der Apostel und Propheten aufgebaut ist. Diese Propheten sind die neutestamentlichen Propheten. Bereits in den ersten vier Büchern des Neuen Testaments haben wir also zwei Apostel und zwei Propheten.
Was hat es für einen Sinn, dass es nicht vier Apostel waren? Kann man daraus etwas ableiten? Die Tatsache, dass Epheser 2,20 zeigt, dass nicht nur Apostel wie die Zwölf oder Paulus ein Bibelbuch schreiben konnten, sondern auch solche, die nur Propheten waren, erklärt, warum Markus und Lukas als kanonisch anerkannt wurden. Manche Christen haben beim Thema Kanon Bauchschmerzen. Sie denken, es sei ein Schwachpunkt, da es nach einem langen Prozess und einem Konzil entschieden wurde. Doch so war es nicht.
Damit ein Bibelbuch als neutestamentliches Buch anerkannt werden konnte, musste es entweder von einem der Zwölf oder Paulus geschrieben sein oder von Propheten aus der Anfangszeit, die von den Aposteln anerkannt wurden. Markus hatte eine besondere Beziehung zu Petrus und war durch ihn anerkannt. Lukas hatte eine besondere Beziehung zu Paulus. Paulus zitiert in 1. Timotheus 5 das Lukasevangelium als Heilige Schrift (1. Timotheus 5,18). Dort heißt es zunächst: „Die Schrift sagt“, gefolgt von einem Zitat aus der Tora, aus 5. Mose 25: „Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden, und der Arbeiter ist seines Lohnes wert.“ Dieses Zitat stammt aus Lukas 10,7. Beide Verse werden als „Die Schrift“ zitiert.
Der Ausdruck „Die Schrift“ war im Judentum stets der eindeutige Begriff für die kanonische Heilige Schrift, die absolut verbindlich ist. So zitiert Paulus im Neuen Testament Lukas. Das gilt ebenso für Jakobus, den Schreiber des Jakobusbriefes, und Judas, den Schreiber des Judasbriefes. Sie waren ebenfalls keine Apostel, aber anerkannte Propheten.
Um die Frage zu beantworten, was das zu bedeuten hat, kann man sagen: Der Akzent ihres Dienstes lag anders. Ihre Autorität gründete sich auf den prophetischen Dienst, der im Vordergrund stand, weil sie unter direkter Offenbarung Gottes standen.
Johannes schrieb das Evangelium, und die altkirchliche Überlieferung macht deutlich, dass dies ganz am Ende des ersten Jahrhunderts geschehen sein muss, also etwa um das Jahr 98 nach Christus. Es scheint, als sei es sogar nach der Offenbarung geschrieben worden, dem letzten Buch des Neuen Testaments. Am Schluss der Offenbarung heißt es: „Wer jetzt noch zu diesen Dingen hinzufügt, dem wird Gott von den Plagen hinzufügen.“ Dabei geht es um neue Offenbarungen. Johannes hat im Evangelium jedoch keine neuen Offenbarungen geschrieben, sondern das, was bereits lange offenbar war, endgültig abgefasst.
Auch die Reihenfolge der Evangelien – Matthäus, Markus, Lukas, Johannes – ist nicht zufällig. Nach altkirchlichem Zeugnis entspricht sie ihrer Entstehungszeit. Matthäus war der Erste, dann Markus, dann Lukas und schließlich Johannes. Das unterscheidet sich stark von der historisch-kritischen Theologie, die oft Markus als das erste Evangelium ansieht oder von einem „Ur-Markus“ ausgeht. Diese Theorien sind unglaubwürdig und können die Entstehung der Evangelien nicht überzeugend erklären.
Das alte Zeugnis lautet also: Matthäus, Markus, Lukas, Johannes. Johannes muss bei der Abfassung seines Evangeliums schon sehr alt gewesen sein. Wenn er bei Berufung zum Jünger etwa so alt war wie Jesus, also ungefähr 30 Jahre, wäre er um das Jahr 98 etwa 98 Jahre alt gewesen. Vielleicht war er etwas jünger, dann wäre er ein etwa 90-jähriger Greis gewesen. Das verleiht dem Evangelium einen besonderen Charakter. Es handelt sich nicht um einen Schreiber, der kurz nach den Ereignissen schreibt, wie Matthäus, sondern um einen, der aus großer Distanz, etwa 60 Jahre später, die Dinge nochmals darstellt. Dieser nachträgliche Rückblick verleiht dem Ganzen einen besonderen Charakter.
Es ist wichtig, dass wir vier Evangelien haben. So kann man sagen: Ja, das Johannesevangelium wurde Jahrzehnte nach den Ereignissen von einem Augenzeugen geschrieben. Doch wir haben auch jemanden, der kurz nach den Ereignissen schrieb, nämlich Matthäus. Außerdem haben wir einen Schreiber, der aus der Distanz und mit Rückblick die Dinge beschreibt. Das ist sehr wertvoll.
Ein anderes Thema ist die Entdeckung der Schriftrollen in Qumran. Nach diesen Entdeckungen wurde viel geschrieben, auch viel Unsinn. Wenn man aber heute, über fünfzig Jahre später, die Dinge nüchtern betrachtet, ergibt sich ein wertvoller, sachlicher Blick. Schreiben aus der Distanz hat seinen Wert, ebenso wie Schreiben unmittelbar nach den Ereignissen. Im Neuen Testament haben wir beides.
Es gibt weitere Unterschiede: Johannes und Matthäus waren Augenzeugen, Markus und Lukas nicht. Woher hatten Markus und Lukas ihre Informationen? Lukas hat selbst geschrieben, dass er sorgfältig nachgeforscht hat. Er hat viele Augenzeugen konsultiert und als Historiker Fakten gesammelt und zusammengefügt.
Für Markus war es ähnlich. Er hatte einen besonderen Informanten: Petrus. Petrus nennt ihn im ersten Petrusbrief 5 „mein Sohn Markus“. Das zeigt ihre enge Beziehung und weist darauf hin, dass Markus durch Petrus zum Glauben gekommen ist. Markus’ Mutter, Maria, hatte ein Haus in Jerusalem, in dem Gemeindezusammenkünfte stattfanden (Apostelgeschichte 12). So hatte Markus Zugang zu vielen Augenzeugen und konnte das Material zusammenfügen.
Es ist wertvoll, Berichte von Leuten zu haben, die dasselbe gesehen haben. Es ist aber auch wertvoll, wenn Berichte oder Zusammenstellungen durch Nachforschung viele Zeugen zusammenführen. Im Neuen Testament haben wir beides.
Matthäus und Johannes haben als Augenzeugen berichtet. Über Lukas heißt es in Kolosser 4, dort werden Grüße übermittelt. Kolosser 4,14 sagt: „Es grüßt euch Lukas, der geliebte Arzt, und Demas.“ In diesem Kapitel gibt es noch weitere Grüße: In Vers 10 grüßt Aristarchus, ein Mitgefangener, und Markus, der Neffe des Barnabas. In Vers 11 grüßt Jesus, genannt Justus. Diese drei Grußenden sind Juden, wie der Ausdruck „aus der Beschneidung“ zeigt.
Ab Vers 12 folgt eine weitere Gruppe: Epaphras grüßt, dann Lukas, der geliebte Arzt, und Demas. Drei und drei Grüße – die ersten drei sind Juden, die nächsten drei Nichtjuden. Daraus könnte man schließen, dass Lukas kein Jude war. Dies wird auch außerbiblisch bestätigt durch alte historische Überlieferungen.
Lukas war kein Jude. „Grieche“ bedeutete damals jemand, dessen Muttersprache Griechisch war. Ein römischer Bürger, der Griechisch sprach, wurde so genannt. Das war keine ethnische, sondern eine sprachliche Bezeichnung. Lukas ist der einzige Nichtjude, von dem wir wissen, dass er ein Bibelbuch geschrieben hat. Die anderen Bibelschreiber waren Israeliten.
Das hat seine besondere Bedeutung, denn Lukas’ Evangelium betont sehr stark, dass die Gnade, die Jesus gebracht hat, nicht nur für Israel gilt, sondern auch für alle Heidenvölker. So zeigt sich, wie die Wahl der Schreiber und ihrer Themen wohlüberlegt ist und einen engen Bezug zueinander hat.
Entstehungszeit und Kanon des Johannesevangeliums
Herr Lüwig, ich habe noch einmal eine Frage bezüglich des Herausgabedatums. Hat sich da neuere Forschung ergeben? In meiner Bibel wird geschrieben, dass das Datum der Niederschrift zwischen 85 und 90 nach Christi Geburt liegt. Sie sagten eben 98. Gibt es da neuere Forschung im Vergleich zu meiner Bibel aus dem Jahr 1993?
Nein, nein, das ist das Übliche. Man kann das ein bisschen grober sagen, bei Ihnen etwas genauer. Die Überlieferung bezeugt ein Datum zwischen 85 und 98. Es ist aber so, dass die Hinweise eher auf das Ende dieser Zeitspanne deuten, also eher nicht 85, sondern eher 98.
Ja, und gibt es bis dahin noch eine Frage zu dem, was wir besprochen haben?
Die Offenbarung ist etwa aus der gleichen Zeit, oder?
Ja, oder eventuell sogar ein bisschen vor dem Johannesevangelium. Dort sagt uns die alte Überlieferung, dass Johannes auf Patmos war, und zwar unter Kaiser Domitian, der ihn dorthin verbannt hat wegen seines christlichen Zeugnisses. Johannes war längere Zeit im Dienst in Ephesos, im heutigen Westtürkei. Darum kam er dann auf die Insel Patmos, die vorgelagert an das türkische Festland liegt.
Von dort aus hat er dann die Offenbarung an sieben Gemeinden in der Westtürkei geschrieben, also an Ephesus, Smyrna und so weiter. Ephesus ist die erste Gemeinde, und das war auch sein Herkunftsort. Dort hat er wohl auch das Johannesevangelium abgefasst.
Die drei Briefe, die vorher geschrieben wurden, sind ebenfalls schwierig genau zu datieren. Aber sie fallen auch in die 90er Jahre, also ungefähr zwischen 95 und 100.
Johannes war der letzte Apostel, der überlebt hatte. Alle seine Schriften hat er ganz am Ende seines Lebens gewissermaßen als Vermächtnis weitergegeben. Mit seinem Tod endete das apostolische Zeitalter.
Die anderen Elf waren bereits verstorben, Paulus war verstorben. Das war gewissermaßen die Linie, hier hörte das apostolische Zeugnis auf. Alle späteren Schreiber aus der alten Kirche wussten, dass sie keine Nachfolger der Apostel waren. Ihre Schriften, ihre Briefe, hatten nicht die gleiche Kraft wie die der Apostel und Propheten.
Das war wirklich ein ganz deutlicher Schnittpunkt. Darum ist es so interessant, dass Johannes am Ende der Offenbarung schreibt und warnt: Wer jetzt noch zur göttlichen Offenbarung Neues hinzufügt, der kommt automatisch unter Gottes Gericht. Hier ist der Kanon zum Ende gekommen.
Die alte Kirche hat alle Bücher, die Fälschungen waren, also die nicht von den Aposteln oder anerkannten Propheten stammten, verworfen. Das ist schon eindrücklich. Sie haben sich in keinem einzigen Fall täuschen lassen. In keinem Fall konnte nachgewiesen werden, dass die Schriften im Neuen Testament nicht von den Aposteln beziehungsweise den anerkannten Propheten stammten.
Und es ist auch so, wenn manchmal gesagt wird, erst im Konzil von Hippo 396 sei der Kanon bestimmt worden, ist das überhaupt nicht wahr. Dieses Konzil war ein regionales Konzil, kein ökumenisches Konzil. Ökumenisch bedeutet, dass es die ganze Christenheit betrifft. Das Konzil von Hippo war ein Regionalkonzil. Dort wurde einfach bekanntgegeben, dass die 27 neutestamentlichen Bücher verbindlich sind.
Interessanterweise hat kein einziges so genanntes ökumenisches Konzil sich mit der Kanonfrage beschäftigt. Warum? Weil die Sache klar geworden war. Es brauchte also nie ein ökumenisches Konzil, um das zu etablieren. Diese Schriften sind die verbindlichen, und sonst gelten keine.
Die Sache war in sich selbst klar. Wenn man aber in die Kirchengeschichte schaut, sieht man, dass es ein Prozess war, bis an allen Orten die gefälschten Schriften herausgeworfen wurden. Das war ein gewisser Prozess, aber das Kriterium war klar: Nur apostolische und prophetische Schriften sind zugelassen.
Gut, also lesen wir das unter dieser Optik: Der letzte Apostel schreibt im hohen Alter abschließend den Kanon noch einmal. Er fasst zusammen, was geschehen ist, als Jesus Christus in diese Welt kam.
Die Bedeutung des Begriffs „Wort“ (Logos) im Johannesevangelium
Jetzt beginnen wir mit Vers 1: Im Anfang war das Wort. Hier stellt sich die Frage, warum Jesus Christus als das Wort bezeichnet wird. Hat jemand eine Idee? Im Griechischen heißt es Logos: Im Anfang war der Logos.
Ja, weil er schon lange angekündigt war. Im Alten Testament gibt es immer wieder Hinweise auf ihn. Aber warum heißt er dann das Wort? Im Anfang war das Wort – wie ist das zu verstehen? Es werde – nein, es werde nicht einfach so, sondern er hat diese Erde und alles geschaffen, oder?
Aha, weil der Sohn Gottes der Schöpfer war und gesprochen hat, ja. Wo steht übrigens, dass Jesus Christus der Schöpfer ist? Wir müssen gar nicht so weit gehen, bleiben wir doch bei Vers 3. Und durch dasselbe ist alles entstanden.
Ja, ganz genau. Da besteht sicher ein Zusammenhang damit, dass Jesus Christus der Schöpfer ist und alles durch sein gesprochenes Wort ins Dasein gerufen hat. Es gibt noch mehr Gründe.
Das dritte Gebot der Zehn Gebote verbietet den Missbrauch des Namens Gottes, in 2. Mose 20. Und der Eigenname Gottes, wie lautet der? Es gibt viele Bezeichnungen für Gott, zum Beispiel Elohim, El, der Herr und so weiter, aber es gibt nur einen Namen Gottes – wie lautet dieser?
Ich bin, ich bin, ja, ich bin. Das ist bereits eine Umschreibung dieses Namens: Jahweh, genau. Darum steht in den Geboten, 2. Mose 20, Vers 7, das dritte Gebot: Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht zu Nichtigem aussprechen, denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen zu Nichtigem ausspricht.
Jawohl, und da, wo bei Ihnen „Herr“ steht, steht im hebräischen Grundtext der Name „Jahweh“. Man schreibt das „j-h-w-h“, vier Konsonanten, und spricht es „Jahweh“ aus. Diese Konsonanten „h-w-h“ bedeuten auf Hebräisch „sein“. Yahweh heißt also „Der Seiende“.
Darum ist „Ich bin, der ich bin“ die Erklärung dieses Namens Yahweh. „Echye Asher Echye“ – „Ich bin, der ich bin“ – kann man im Hebräischen auf neun Arten korrekt übersetzen: „Ich bin, der ich bin“, „Ich bin, der ich sein werde“, „Ich bin, der ich war“. Man kann auch sagen: „Ich war, der ich war“, „Ich war, der ich bin“, „Ich war, der ich sein werde“ oder „Ich werde sein, der ich sein werde“, „Ich werde sein, der ich bin“, „Ich werde sein, der ich war“.
Kurz gesagt: Ich bin der Unwandelbare, der nicht dem Wechsel von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterworfen ist. Oder wie Johannes es in Offenbarung 1 schreibt: „Von dem, der da war und der da ist und der da kommt.“ Das ist die Umschreibung des Namens Yahweh.
Hier wird gesagt, der Name Yahweh darf nicht leichtfertig ausgesprochen werden. Darum begann man im Judentum schon vorchristlicher Zeit, den Namen Yahweh zu ersetzen, um nicht schuldig zu werden. Anstatt Yahweh zu sagen, sagt man „Lieber Herr“, Adonai.
Deshalb findet sich in der Lutherübersetzung überall, wo Yahweh steht, „Herr“. Und das ist auch im Neuen Testament in weit über hundert Fällen so, wo eindeutig als Zitat aus dem Alten Testament der Name Yahweh gemeint ist, steht „Kyrios“, Herr. Schon im griechischen Grundtext steht „Kyrios“ für „Jahweh“.
Ich kann das kurz zeigen, damit es nicht nur eine Behauptung ist. Zum Beispiel Matthäus 3, Vers 3, liest du, Peter?
„Denn dieser ist der, von welchem durch den Propheten Jesaja geredet ist, welcher spricht: Stimme eines Rufenden in der Wüste, bereitet den Weg des Herrn, machet gerade seine Steige.“
Das ist ein Zitat aus Jesaja 40. Und in Jesaja 40 steht: „Stimme eines Rufenden in der Wüste, bahnet den Weg Jahwes.“ Also da, wo Yahweh im hebräischen Grundtext steht, steht hier Kyrios, Herr, als Ersatz für den Namen Yahweh.
Der Name Yahweh kommt im Neuen Testament nie vor. Aber es gibt etwa 170 Stellen, an denen der Ausdruck Kyrios diesen Namen ersetzt. Das entspricht genau der Praxis in der Synagoge: Wenn der Chasan das Alte Testament vorliest, liest er jedes Mal, wenn Yahweh kommt, automatisch Adonai. Das wird nicht ausgesprochen, sondern ersetzt.
Die Rabbiner haben auch andere Ersatznamen verwendet, zum Beispiel Himmel, Schamayim. Darum spricht man vom Reich der Himmel, um nicht das Reich Jahwes zu sagen.
Dieser Ausdruck findet sich 32 Mal im Matthäusevangelium: „Das Reich der Himmel“. Jesus Christus kommt und predigt: „Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahegekommen“ (Matthäus 4,17). Schamayim ist ein Ersatz für Jahweh, das Reich, das Königreich Jahwes, ist nun da.
Manchmal steht auch „das Reich Gottes“ – ist das dasselbe? Ja, es ist dasselbe. „Das Reich der Himmel“ kommt nur im Matthäusevangelium vor, in den parallelen Evangelien steht immer „Reich Gottes“. Das Matthäusevangelium wurde speziell für Juden geschrieben und ist deshalb typisch jüdisch ausgedrückt. Aber es bedeutet dasselbe.
Oder der verlorene Sohn in Lukas 15 sagt: „Ich habe gesündigt gegen den Himmel und gegen meinen Vater.“ Das heißt, ich habe gegen Yahweh gesündigt.
Man verwendet auch das Wort „Gwura“, Macht. Vor dem Hohenpriester Kajafas sagte Jesus: „Ihr werdet den Menschensohn sitzen sehen zur Rechten der Macht und kommen mit den Wolken des Himmels.“ Das heißt, zur Rechten Jahwes wird er sitzen. Das ist Matthäus 26, Vers 64. Wieder ein Ersatzname, den man im Neuen Testament findet.
Ein weiterer Ausdruck ist die Majestät. Man nennt Gott, Yahweh, die Majestät. Im Hebräerbrief heißt es: Jesus Christus hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe. Das heißt zur Rechten Jahwes im Himmel.
Nun ein weiterer Ausdruck, typisch für die aramäischen Übersetzungen des Alten Testaments: Zur Zeit Jesu konnten nicht mehr alle Juden in Israel gut Hebräisch. In Jerusalem sprach man Hebräisch, aber in anderen Gegenden war Aramäisch die erste Sprache.
Darum musste man in der Synagoge zuerst einen Vers aus der Tora auf Hebräisch vorlesen und dann im Stegreif auf Aramäisch übersetzen. Diese Stegreif-Übersetzungen gibt es auch schriftlich, sie heißen Targumim (Plural von Targum = Übersetzung).
Ich habe extra eine Rabbinerbibel mitgebracht, den ersten Band von acht. Dort sieht man, dass die Größe der Buchstaben eine große Rolle spielt. Die größten Buchstaben sind der Toratext, hier zum Beispiel Erste Mose. Dann gibt es kleinere Schrift für die wichtigste aramäische Targum-Übersetzung, den Targum Onkelos.
Dann folgen zwei weitere Übersetzungen, Targum Jonathan ben Uzziel und Targum Yerushalmi, mit noch kleineren Buchstaben, je nach Wichtigkeit. Die Buchstabengröße zeigt, wie wichtig der Text ist: Der Grundtext ist das Wichtigste, dann Targum Onkelos, alles Weitere ist weniger wichtig.
Dazu kommen zahlreiche Kommentare von verschiedenen Rabbinern. Je wichtiger der Rabbiner, desto größer die Buchstaben. So hat man eine Fülle von Kommentaren und drei Übersetzungen in einem Band.
In diesen Targumim hat man oft, wo Yahweh gemeint ist oder es um Yahweh geht, Memra, Adonai, das Wort des Herrn eingesetzt. Das war eine Umschreibung für Yahweh.
Unter diesem Hintergrund heißt Johannes 1, Vers 1: Im Anfang war Memra, das Wort. Das zeigt schon deutlich: Jesus ist Yahweh. Damit sind die Zeugen Jehovas erledigt, denn ihre Grundlehre ist, dass Jesus nicht Yahweh ist. Das Johannesevangelium sagt gleich in den ersten Worten: Jesus ist Yahweh.
Jeder dieser Ersatznamen drückt etwas aus, was im Namen Yahweh steckt: Er ist der Seiende, die Quelle alles Lebens, darum ist er der Herr. Er thront im Himmel, das drückt sich in Schamayim aus. Als Quelle allen Lebens gebührt ihm alle Ehre, darum die Majestät.
Gott ist ein Gott, der spricht, der sich offenbart. Er will sich nicht im Verborgenen halten, das drückt sich im Ausdruck Wort aus. So beginnt das erste Buch Mose: Gott spricht, Gott schafft, Gott offenbart sich, teilt sich mit.
In der Philosophie des 20. Jahrhunderts gab es die Idee, wir seien in einem sinnlosen Universum, das durch Zufall entstanden ist. Es gäbe niemanden, der zu uns spricht. Wir lebten in einem schweigenden Universum.
Ich habe noch ein Problem: Wenn Jesus Yahweh ist, wie kann er dann zur Rechten Gottes sitzen? Dazu kommen wir noch. Schon der nächste Satzteil wird Erklärungen dazu bringen.
Wichtig ist: Gott ist ein Gott, der sich mitteilen und offenbaren will. Darum wird er das Wort genannt. Das ist ein ganz entscheidender Akzent im Johannesevangelium: Gott ist Mensch geworden, um uns so deutlich wie möglich zu zeigen, wer Gott ist.
Der Prolog des Johannesevangeliums: Offenbarung Gottes durch den Sohn
Der Prolog, also die Einleitung des Johannesevangeliums, umfasst die Verse 1 bis 18.
Am Anfang war das Wort – das zeigt bereits, dass Gott sich uns offenbaren will. In Vers 14 heißt es: „Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns. Wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Hier wird erklärt, dass dieses Wort, dieser ewige Gott, Mensch geworden ist, also Fleisch angenommen hat.
Weiter heißt es, dass wir seine Herrlichkeit angeschaut haben – das bedeutet, dass er sich sichtbar gemacht hat.
Der Prolog endet mit Vers 18. Dort steht: „Niemand hat Gott jemals gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat ihn kundgemacht.“
Die Offenbarung Gottes geschieht also durch den Sohn. Nicht der Vater ist in die Welt gekommen, auch nicht der Heilige Geist, sondern der Sohn. Er hat uns den unsichtbaren Gott mitgeteilt.
So schließt sich der Prolog, der mit „Am Anfang war das Wort“ beginnt, wieder mit dem Satz: „Der hat ihn kundgemacht.“ Der Kreis schließt sich.
Der Anfang und die Schöpfung im Johannesevangelium
Aber bevor wir weitergehen, lesen wir zuerst den Anfang. Welcher Anfang ist damit gemeint? Die Schöpfung. Denn 1. Mose 1 beginnt mit „Bereshit“, was „im Anfang“ bedeutet. Im Anfang entstanden zuerst der Weltraum und die Erde. Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde.
In einem Prozess von sechs Tagen wird dann alles vollendet. Der Johannistext sagt: „Im Anfang war das Wort.“ Nun müssen wir etwas griechische Grammatik durchnehmen. Das griechische Verbalsystem ist ein wunderbares System. Für ein Verb gibt es im Altgriechischen etwa 450 Formen. Nicht schlecht, oder?
Wir können ganz kurz darauf eingehen: Altgriechisch ist eine indogermanische Sprache, verwandt mit Schweizerdeutsch und natürlich auch mit Hochdeutsch. Aber wir merken, dass wir dort weniger Formen haben. Im Schweizerdeutschen kommt man mit etwas mehr als zwanzig Formen aus. Im Hochdeutschen hat man noch ein paar Formen mehr. Zum Beispiel gibt es das Imperfekt bei uns nicht mehr. Wir sagen „ich ging“ nicht mehr, sondern „ich begann“. Wir haben nur ein Perfekt.
Damit ihr nicht zu stolz auf uns seid: Im 19. Jahrhundert gab es im Bödeli-Deutsch in Interlaken noch das Imperfekt, und man sagte „ich ging“. Das ist vollkommen verloren gegangen. Die Schweizer haben sich da schon ein bisschen weiterentwickelt. Das ist übrigens weltweit zu beobachten: Alle Sprachen der Welt verlieren im Lauf der Zeit ihre Formen. Je weiter man in der Geschichte zurückgeht, desto reicher sind die Wortformen.
Darum hat man im Altgriechischen noch 450 Formen. Wenn man weiter zurückgeht, zur ältesten bekannten indogermanischen Sprache, dem Sanskrit, hatte man zur Zeit von Mose etwa 600 Formen für ein Verb.
Gott hat für das Neue Testament eine so formenreiche sprachliche Welt wie das Griechische gewählt, weil man dadurch Dinge sehr präzise umschreiben kann. Man hat nicht nur ein Präteritum, Plusquamperfekt, Perfekt, Präsens und Futur I und II, sondern noch viel mehr.
Man hat ein Präteritum, ein Plusquamperfekt, wobei ich sagen muss: Das Plusquamperfekt ist für jedes Verb eine eigene Form, nicht einfach zusammengesetzt, wie wir es im Hochdeutschen machen, zum Beispiel „ich hatte genommen“. Dort nehmen wir ein Partizip und sagen „hatte“ dazu, das ist zusammengesetzt.
Im Griechischen hat man für jede Zeitform eine besondere Form aus einem Wort: Präteritum, Plusquamperfekt, Perfekt, Aorist, Präsens, Futur I, Futur II. Und dann kommen noch mehr Formen dazu: Für den Konjunktiv gibt es eigene Formen, für den Optativ ebenfalls. So kommt man schließlich auf die 450 Wortformen.
Das Prinzip ist, dass man im Griechischen bei jeder Handlung ausdrücken kann, ob sie fortdauernd ist, also in ihrem Verlauf, oder punktuell, oder ob sie geschehen ist und nun zu einem Zustand, zu einem Resultat geführt hat.
Man unterscheidet ein Durativ (das Dauernde), ein Punktual (punktuelle Handlung) und ein Resultativ (eine Handlung, die zu einem Ergebnis führt). Zum Beispiel: „Christus ist auferstanden“ – Christus „egegertai“ – das heißt, Christus ist auferstanden und jetzt ist er der Lebendige, der da ist. Das ist perfekt, das ist resultativ. Und jetzt lebt er.
Hier haben wir Präteritum. „Am Anfang war ein Logos“ – „ein“ ist ein Durativ. Also: Er war dauernd da. Es heißt nicht, am Anfang kam der Logos ins Dasein, sondern der Logos war. Das drückt aus: Er war Yahweh, der Seiende.
Alle Dinge kamen punktuell ins Dasein in 1. Mose 1, ab dem Zeitpunkt „Bereshit“, im Anfang. Aber da, wo alles punktuell ins Dasein kam, da war der Logos, das Wort. Das soll ausdrücken: Er ist nicht ins Dasein gekommen, er ist einfach der Seiende, er ist Yahweh, „Ich bin, der ich bin“.
Ist bis dahin eine Frage? Man kann auch sagen, dass mit der Schöpfung eigentlich erst die Zeit angefangen hat. Gott steht ja eigentlich über der Zeit. Gott selbst ist der Zeit nicht unterworfen.
Die Zeit steht in Verbindung mit dem Raum. Also mit dem, dass Gott den Raum geschaffen hat, die Himmel und die Erde. Damit beginnt gewissermaßen das Zeitkontinuum mit dem ersten Tag, dem zweiten Tag und so weiter.
Umgang mit Sprüche 8 und der Weisheit Gottes
Wie könnte man jemandem aus der Wachtturm-Gesellschaft helfen, wenn er Sprüche 8 zitiert, wo es heißt: „Ich war geboren vor den Anfängen“? Ja, gut, das können wir uns während der Pause überlegen. Machen wir jetzt zwanzig Minuten Pause.
Reinhold, du hattest noch eine Frage zu Sprüche 8 gestellt, und zwar: Wie soll man antworten, wenn Irrlehrer mit Sprüche 8 kommen, wo die Weisheit erwähnt wird, die vor den Anfängen geboren war? In Sprüche 8, Vers 24 wird das gesagt. Schon ab Vers 22 heißt es: „Der Herr besaß mich am Anfang seines Weges, noch bevor er etwas machte, vor aller Zeit. Ich war eingesetzt von Ewigkeit her, von dem Anfang vor den Vorsprüngen der Erde. Als noch keine Fluten waren, wurde ich geboren, als die wasserreichen Quellen noch nicht sprudelten.“
Das reicht als Zitat. In Vers 12 beginnt es so: „Ich, Weisheit, wohne bei der Klugheit.“ Hier wird die Weisheit Gottes in diesem poetischen Text personifiziert. Die Weisheit Gottes spricht und sagt, sie sei schon vor der Schöpfung da gewesen. Durch die Weisheit sind alle Dinge von Gott geschaffen worden.
Nun sagt die Weisheit gewissermaßen: „Ich war geboren“ (Vers 24). Aber in Vers 22 heißt es schon: „Der Herr besaß mich am Anfang seines Weges, vor seinen Werken von jeher.“ Die Weisheit ist also von jeher da, der Herr hatte sie schon im Anfang besessen. Dann wird gesagt: „Ich war geboren.“
Jetzt könnte man natürlich fragen: Was ist mit „geboren“ gemeint? Hatte Gott denn in der Ewigkeit keine Weisheit und dann entstand sie plötzlich? Das wäre eine Gotteslästerung. „Geboren“ bedeutet hier vielmehr, dass die Weisheit aus Gott hervorgegangen ist, indem sie aktiv wurde – zum Beispiel bei der Erschaffung aller Dinge. „Geboren“ heißt, die Weisheit hat ihren Ursprung in Gott.
In Sprüche 8 wird aber nicht gesagt, dass die Weisheit Jesus Christus ist. Es geht im Text einfach um die Weisheit Gottes. Weil es ein poetischer Text ist, wird ausgedrückt, dass die Weisheit geboren wurde, um dichterisch zu erklären, wie die Weisheit ihren Ursprung und ihre Quelle in Gott hat. Aber nicht im Sinn, dass die Weisheit einmal nicht da war und Gott ohne Weisheit gewesen wäre.
Wenn man das Neue Testament liest, erkennt man interessante Parallelen zwischen dem, was über die Weisheit gesagt wird, und dem, was über Jesus Christus gesagt wird, der als ewiger Sohn bei Gott war. Wenn aber behauptet wird: „Hier steht, die Weisheit war geboren, also war Jesus Christus einmal entstanden und nicht von Ewigkeit her“, dann ist das kein gültiges Argument.
Schon die Gleichsetzung von Weisheit und Jesus Christus ist ein großer Schritt. Der Text sagt nicht, dass die Weisheit Jesus Christus ist. Wir müssen vom Neuen Testament ausgehen, wo klar gelehrt wird, zum Beispiel in Johannes 1, dass Jesus Christus keinen Anfang seiner Existenz hatte.
Wenn das klar ist, können wir dennoch eine Parallele zwischen der Weisheit Gottes und dem Sohn Gottes sehen. In Sprüche 8, Vers 22 heißt es in der revidierten Übersetzung: „Der Herr hat mich nicht geschaffen als Anfang seines Lebens.“ Das hebräische Wort „kana“ kann sowohl „besitzen“ als auch „erschaffen“ bedeuten. Im Alten Testament ist jedoch meist die Bedeutung „besitzen“ vorrangig.
Darum ist es eigentlich schade, dass die revidierte Übersetzung hier geändert hat, denn die ältere Übersetzung lautete: „Der Herr besaß mich im Anfang.“
Die Beziehung zwischen dem Wort und Gott im Johannesevangelium
Gut, jetzt gehen wir weiter zu Johannes I. Wir haben verstanden, was es heißt: „Im Anfang war das Wort“. Das bedeutet, dass das Wort einfach der Seiende an dem Punkt war, an dem die Dinge begannen, ins Dasein zu kommen.
Im nächsten Satzteil wird erklärt: „Und das Wort war bei Gott.“ Das ist eine Überraschung, denn hier wird plötzlich zwischen Wort und Gott unterschieden. Es werden also zwei Personen unterschieden, und das „bei“ drückt eine Beziehung aus – eine Beziehung zwischen Personen. Das Wort ist eigentlich Jahwe, aber hier wird gesagt, dass das Wort als Person von Gott unterschieden wird und mit Gott in einer Beziehung steht.
Dann folgt der nächste Satzteil: „Und das Wort war Gott.“ Jetzt wird klargestellt, dass man nicht meinen soll, weil das Wort bei Gott war, sei das Wort nicht Gott. Im Gegenteil: Das Wort selbst ist Gott.
Allerdings fehlt hier der Artikel. Im Griechischen wird ein bestimmter Artikel viel häufiger verwendet als im Deutschen. Zum Beispiel heißt es: „Im Anfang war das Wort“ und „das Wort war bei dem Gott“. Im Deutschen brauchen wir keinen Artikel und sagen einfach „bei Gott“. Im Griechischen steht jedoch „bei dem Gott“.
Und dann heißt es: „Und das Wort war Gott“, ohne Artikel. Warum fehlt der Artikel? Das betrifft die Dreieinheit, die alles umfasst. Hier geht es um die Wesensart Gottes. Würde man sagen, das Wort sei „der Gott“, würde das bedeuten, dass das Wort und Gott dieselbe Person sind.
Wir machen jetzt ein bisschen Linguistik. Vorher haben wir griechische Grammatik behandelt, jetzt allgemeine Linguistik. Wenn zwei Begriffe miteinander in Beziehung gesetzt werden, nennt man das einen Nominalsatz. „Das Wort war Gott“ ist ein Nominalsatz, in dem zwei Nomen miteinander verbunden werden.
Es gibt zwei Arten von Nominalsätzen: einen identifizierenden und einen nicht identifizierenden Nominalsatz. Hier haben wir „Das Wort war Gott“. Das ist ein nicht identifizierender Nominalsatz, weil man ihn nicht umdrehen kann. „Das Wort war Gott“ ist nicht dasselbe wie „Gott war das Wort“.
Dadurch, dass der Artikel fehlt, ist das im Griechischen ein nicht identifizierender Nominalsatz. Das heißt, man darf nur sagen „Das Wort war Gott“, aber nicht „Gott war das Wort“.
Ein anderes Beispiel ist „Gott ist Liebe“. Es gibt ein bekanntes Lied, das sagt „Gott ist die Liebe“. Das ist zwar falsch, aber wenn man es richtig meint, kann man es weiterhin singen. Im ersten Johannesbrief 4,10 steht: „Gott ist Liebe“. Das kann man nicht umkehren. Das ist genau dasselbe: ein nicht identifizierender Nominalsatz.
Gott ist Liebe heißt, sein Wesen ist Liebe, aber nicht, dass die Liebe schlechthin Gott ist. Deshalb hat Johannes sich so klar und präzise ausgedrückt: „Gott ist Liebe“.
Hier schreibt er ganz klar: „Das Wort war Gott“, ohne Artikel. Hätte er den Artikel geschrieben, wäre das eine Irrlehre. Das würde bedeuten, Gott sei eine Person, das Wort sei Gott, und Gott sei das Wort – fertig.
Aber gerade dadurch, dass er sagt „das Wort war bei dem Gott“, wird deutlich, dass es zwei Personen sind. Und „das Wort war Gott“ macht klar, dass das Wort Gott ist, aber nicht dieselbe Person wie Gott zuvor. Es sind zwei verschiedene Personen, aber sowohl Gott ist Gott als auch das Wort ist Gott. Dennoch gibt es nur einen Gott, weil in der Gottheit mehr als eine Person existiert.
Tertullian hat das wunderbar ausgedrückt. Er war ein Jurist im zweiten Jahrhundert und hat die Dreieinigkeitslehre der Bibel herausgearbeitet. Er sagte auf Latein: „Deus unum est, non unus“. Das kann man übersetzen mit: „Gott ist eins, nicht einer.“
Das heißt, es gibt nur einen Gott, aber er ist nicht eine Person. „Unum“ ist sächlich, „unus“ ist männlich. Man kann also nicht sagen „Gott ist einer“, sondern „Gott ist eins“.
So drückt sich auch Jesus aus in Johannes 10,29: „Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alle, niemand kann sie aus der Hand meines Vaters reißen.“ Und in Vers 30: „Ich und der Vater sind eins.“
Dieses „eins“ ist sächlich. Im Griechischen gibt es drei Formen: einer, eine, eines. Hier ist es „eines“, also sächlich. „Ich und der Vater sind eines“ bedeutet eine völlige Einheit in der Gottheit, aber nicht „einer“. Das würde bedeuten, „ich und der Vater sind eine Person“ und es gäbe keinen Unterschied zwischen Vater und Sohn. Das hat Jesus nicht gesagt.
Genauso hat Tertullian das im Lateinischen formuliert. Die Einheit von Sohn und Vater ist total, weil sie zusammen mit dem Heiligen Geist den einen Gott ausmachen.
Wie kann man sagen, „wir sind einig“? Nein, das ist viel weniger als „ich und der Vater sind eins“. „Einig sein“ bedeutet nur, dieselbe Meinung zu haben. „Ich und der Vater sind eins“ bedeutet eine totale Einheit in Gott, auch wenn der Heilige Geist hier nicht ausdrücklich erwähnt wird.
Die Zeugen Jehovas haben diesen fehlenden Artikel vor „Gott“ ausgenutzt und gesagt, dass der fehlende Artikel im Griechischen auch einen unbestimmten Artikel bedeuten kann – also „ein Gott“. Sie übersetzen daher „Und das Wort war ein Gott“ in ihrer Neuen-Welt-Übersetzung.
Sie sagen, Christus sei göttlich, ein Gott, aber nicht Jahwe. Was sollen wir mit diesem Unsinn? „Ein Gott“ würde bedeuten, dass es mehrere Götter gibt.
Paulus sagt in 1. Korinther 8,4-6 etwas anderes. Dort geht es um das Essen von Götzenopferfleisch. Es heißt: „Wir wissen, dass es keine Götzen gibt in der Welt und keinen Gott außer dem einen.“
Also gibt es keinen anderen Gott außer dem einen. Es gibt nur einen Gott, nicht drei oder zwei. Das ist christliche Lehre.
Weiter in Vers 5 steht: „Obwohl es solche gibt, die Götter genannt werden, sei es im Himmel oder auf Erden, wie es viele Götter und viele Herren gibt.“
Aber für uns gibt es nur einen Gott, den Vater, von dem alle Dinge sind, und wir zu ihm, und einen Herrn Jesus Christus, mit dem alle Dinge sind, und wir zu ihm.
Christen sprechen also nicht von mehreren Göttern. Heiden hingegen haben viele Götter und Herren. Diese Götter können als höhere Mächte oder Herren bezeichnet werden.
Für uns gilt: ein Gott und Vater, ein Herr Jesus Christus. Deshalb ist es völlig unsinnig zu sagen „Das Wort war ein Gott“. Das würde bedeuten, es gibt im Christentum mehr als einen Gott – mindestens zwei Götter.
Die Beziehung zwischen Vater und Sohn im Johannesevangelium
Vielleicht noch einmal eine Frage dazu: Hier steht „Gott“, also „das Wort war bei Gott“ usw., und es heißt „war Gott“. Ist dann Gott als Ganzes gemeint oder der Vater?
Da ist bestimmt der Vater gemeint in Vers 1, und zwar weil im Johannesevangelium ganz besonders die Beziehung vom Sohn zum Vater dargestellt wird. Das sehen wir in Kapitel 17 sehr deutlich, wenn der Herr Jesus darüber spricht, wie er vom Vater geliebt war, schon vor der Erschaffung der Welt. Dort wird die Beziehung zwischen Sohn und Vater, Wort und Gott, ausgedrückt.
Gleichzeitig wird klargemacht, dass das Wort Gott war. Darum fehlt der Artikel. Der darf nicht stehen. Das wäre eine Katastrophe, wenn er stehen würde. Wenn die Zeugen Jehovas so viel Wert darauf legen, dass dieser Artikel fehlt, dann müssen wir noch mehr Wert darauf legen. Der darf gar nicht stehen.
Mich verwirrt es, dass in der Lutherübersetzung eigentlich steht: „Und Gott war das Wort“, also genau das, was du sagst, dass man es nicht umdrehen kann. Kannst du das in der Lutherübersetzung nochmals vorlesen?
Ja, wenn Luther heißt: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Das ist also falsch. Welche Lutherübersetzung ist das? Wer hat Luther 12? Ist es Luther 84, nehme ich an? Ja. Wer hat Luther 1912? Hat das jemand? Corinna, hast du keine Luther auf 15 Würfel dort? Ursula, hörst du Luther 1914?
Gott braucht das Wort. Also das ausschreiben: „Und das Wort war Gott.“ Gut, jetzt gehen wir weiter. „Dieses war im Anfang bei Gott.“ Dort wird nochmals betont diese Beziehung zwischen Vater und Sohn. Das „bei“ ist also ganz wichtig, denn es drückt die Beziehung zweier Personen aus, die wir unterscheiden können.
Die Schöpfung durch das Wort
Und jetzt kommt Vers 3: „Alles wurde durch dasselbe“, oder man kann auch übersetzen: „Alles kam durch dasselbe ins Dasein.“
Gut, die Zeugen Jehovas würden jetzt auch sagen: Ja, natürlich, das ist richtig. Denn Christus hat alles erschaffen, aber er selbst war die erste Schöpfung von Jehova. Nur Jehova, gewissermaßen der Vater, sei ewig. Dann hätte er den Sohn erschaffen, und weiter hätte dann der Sohn alles Weitere erschaffen.
Man kann sagen, es heißt ja hier, alles wurde durch dasselbe geschaffen – das Wort hat alles geschaffen. Dann sagen sie: Ja, das Wort „alles“ kann manchmal im eingeschränkten Sinn gebraucht werden, also „alles“ im weitesten Sinn, aber nicht ganz absolut.
Und das stimmt, denn Römer 3,23 sagt: „Alle“ – das ist kein Unterschied – „alle haben gesündigt.“ Alle Menschen haben gesündigt, und trotzdem gibt es einen Menschen, der nie gesündigt hat, das ist Jesus Christus.
1. Korinther 15 ist auch noch ein gutes Beispiel, wo es heißt: Ihm ist alles unterworfen. Ja, und dann kommt der nächste Satz, den muss man lesen, ich weiß es genau: „ein Sklave“. Ja, dann ist aber klar, dass der ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat, ganz genau.
Also kann „alles“ im weitesten Sinne manchmal gebraucht werden. So sprechen wir auch im Alltag, oder? „Ich muss immer alles machen.“ Wir wissen, dass es da noch ein paar Ausnahmen gibt. Das gehört zum Wesen der Sprache, und normalerweise wird durch den Zusammenhang eben doch klar, was gemeint ist. Das ist auch etwas Schönes in der Sprache: Es gibt eine Vieldeutigkeit, aber diese Vieldeutigkeit wird meistens ausgeschaltet durch andere Faktoren.
Aber hier ist es eine ganz wichtige Sache, dass das nicht falsch verstanden wird, und darum ist hier nicht fertig.
„Alles kam durch dasselbe ins Dasein, und ohne dasselbe kam auch nicht eines ins Dasein, das ins Dasein gekommen ist.“
Die Aussage wird umgekehrt, wie in der Mathematik, oder? Also: Das Wort hat alles erschaffen, und jetzt erkläre ich, was „alles“ bedeutet. Es gibt auch nicht eines, das da ausgeschlossen ist. Also das Wort „alles“ schließt jedes Ding ein und kein Ding aus.
Ich habe das auch schon in der früheren Bibelklasse erklärt. In einem amerikanischen Gerichtsprozess musste erklärt werden, was das Wort „all“ bedeutet, also „alles“. Da haben sie erklärt: „The word all includes everything but excludes nothing.“ Das war klar: Das Wort „alles“ schließt jedes Ding ein und schließt kein Ding aus.
Genau so mathematisch exakt formuliert Johannes, der Fischer aus Galiläa: „Alles ward durch dasselbe, und ohne dasselbe ward auch nicht eines, das geworden ist.“
Es gibt also nicht eines, das je ins Dasein gekommen ist, das nicht durch das Wort ins Dasein gekommen ist.
Und dann kann man sagen: Ja, und jetzt? Jetzt sagt ihr, trotzdem gibt es etwas, nämlich das Wort sei zuerst von Jehova geschaffen worden. Und das stimmt nicht.
Da können sie an die Bibliothek gehen und nachschauen, in allen Wachtürmen alles durchsuchen – sie finden keine Antwort auf diesen Vers.
Ich habe dann einmal einem Führer der Zeugen Jehovas gesagt: „Da müssen Sie halt das aus der Bibel rausschmeißen.“ Er hat gesagt: „Nein, das mache ich nicht.“ Nach zwei Stunden hat er dann gesagt: „Ich möchte die Diskussion abbrechen, ich habe Angst, dass ich vom Glauben wegkomme.“ Aber das wäre toll gewesen.
Also die Aussage ist so klar. Manchmal sind Bibelleser etwas enttäuscht und frustriert und denken: Warum ist die Bibel so kompliziert formuliert? Aber bitte, wir sind so dankbar, dass sie so kompliziert formuliert ist, weil dadurch wird die Sache klar.
Ja, die Bibel ist kein Roman. Es gibt ja die Bibel als Roman, aber das ist Unfug. Die Bibel ist kein Roman und soll auch nicht als Roman gelesen werden.
Wir müssen die Bibel studieren und lernen. Wenn wir das nicht verstehen, legen wir sie auf die Seite, warten und kommen dann wieder darauf zurück.
Aber die Sache ist so deutlich bereit: In den ersten drei Versen wird klargemacht, dass Jesus Christus Gott ist. Aber in der Gottheit gibt es mehr als eine Person. Jesus Christus ist absolut ewig, ohne Anfang, ohne Ende. Darum ist Yahweh, der Seiende, „Ich war, der ich sein werde“, „Ich war, der ich bin“, usw.
Leben und Licht im Johannesevangelium
Und dann wird folgerichtig in Vers 4 erklärt: Wer liest nochmals? In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Jawohl, weil er Yahweh ist, der Seiende, ist er die Quelle allen Seins und allen Lebens. In ihm war Leben.
Anschließend wird erklärt, dass dieses Leben eine ganz besondere Qualität besitzt: Es ist gleichzeitig Licht. Darum ist es auch so interessant, wie der Schöpfungsbericht beginnt. Am Anfang schafft Gott durch sein Wort, wie wir in 1. Mose 1 sehen. Gleich am ersten Schöpfungstag lässt Gott sein Licht in die Finsternis leuchten.
Wenn Gott sich offenbart, kommt das Licht seines Seins, das Licht seines Lebens, in die Dunkelheit hinein. Aber wer liest Vers 5 nochmals? „Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ Jawohl, Gott offenbart sich zwar, und trotzdem stellen wir bei den Geschöpfen, bei den Menschen, die dieses Licht dankbar annehmen sollten, eine so große Finsternis fest, dass sie das Licht nicht wollen.
Darum hat sich Gott in der Schöpfung als Schöpfer geoffenbart. In der ganzen Logik des Weltalls wäre es doch das Einfachste, zu erkennen, dass Gott ist. Trotzdem wissen wir, dass in unserer Gesellschaft, in Europa und Nordamerika, ein gesellschaftlicher Konsens herrscht: Man glaubt nicht an einen Schöpfergott, sondern an einen Zufall. Es begann durch einen Knall, oder? Da hat es geknallt, und dann ist alles entstanden.
Das ist eigentlich tragisch zu sehen. Diese Finsternis verschließt sich der Offenbarung Gottes in der Schöpfung. Es ist nicht eine Frage des Intellekts, denn gerade intellektuelle, intelligente Menschen glauben, es sei Zufall gewesen. Dabei haben sie von Anfang an Probleme. Stellen Sie sich nur vor: Die ganze Materie des Weltalls sei an einem Punkt konzentriert gewesen. Gut, dann hat es geknallt, und alles ist auseinandergegangen.
Aber man kann doch fragen: Je mehr Materie beieinander ist, desto stärker ist doch die Anziehung zum Zentrum hin. Wenn ganz viel Materie beieinander ist, entsteht ein schwarzes Loch, das alles verschluckt, sogar das Licht, das vorbeigeht. Dann hätte es doch ein schwarzes Loch geben müssen und keine Explosion. Warum hat es denn geknallt? Wer hat geknallt? Das ist die gute Frage. Wer hat geknallt?
Man muss sich sagen: Damals gab es die Naturgesetze noch nicht, sie sind erst nachher entstanden. Man weiß, es kann nicht einfach knallen. Also muss man alles von Anfang an auf den Kopf stellen. Da muss jemand die Zündschnur gelegt haben. Es fängt mit unlösbaren Problemen an. Man muss einfach glauben, dass alles ganz anders war, dass alles noch nicht gegolten hat, und dann hat es geknallt.
Aber dann müsste die Materie in alle Richtungen gleichmäßig verteilt sein. Das wäre zu erwarten. Das Dumme ist: Gerade in den letzten Jahren, in denen man viel mehr erforschen konnte durch Sonden, hat man festgestellt, dass es eine unglaubliche Ungleichheit in der Verteilung gibt. Es gibt Gebiete im Weltall, die voll von Materie sind, und andere, die praktisch leer sind. Völlig ungleich verteilt.
Das geht doch nicht. Was macht man? Anstatt anzuerkennen, dass das Ganze Unsinn ist, sagt man: Wir müssen annehmen, dass es noch Materie gibt, die man nicht sehen kann – schwarze Materie. Und diese braucht man, um das Ganze auszugleichen. Wie viel schwarze Materie? Neunzig Prozent, um das Ganze zu retten.
Man muss also annehmen, dass es 90 Prozent Materie im Weltall gibt, die man nicht sehen kann und von der man nichts in Erfahrung bringen kann. Es ist schwarze Materie, nicht wahrnehmbar, aber notwendig, um weiter an den Knall zu glauben.
Gut, aber wenn man sich die Materie anschaut, die man sehen kann, stellt man fest, dass die Gebiete, in denen plötzlich eine Konzentration an Galaxien vorkommt, in ganz bestimmten Abständen liegen. Komisch, oder? Wenn es einfach geknallt hat, dann gibt es nicht einfach so schön bestimmte Abstände.
So könnte man weitermachen bis zu den Planeten. Man hat bemerkt, dass die Planeten, die um die Sonne kreisen, in ganz bestimmten Abständen voneinander liegen. Diese Abstände folgen einer bestimmten mathematischen Reihe. Der Abstand von der Sonne bis zu Merkur, dann bis Venus, dann bis Erde und so weiter bis zu den äußeren Planeten – es gibt eine ganz bestimmte mathematische Reihe über die Abstände.
Geknallt, und dann gibt es solche Reihen? Das ist unglaublich. Gott offenbart sich so deutlich durch seine Schöpfung, aber dieses Licht wird von der Finsternis nicht erfasst. So ist es, wenn es um Gottes Offenbarung in der Schöpfung geht.
Johannes der Täufer als Zeuge des Lichts
Aber jetzt hat sich Gott offenbart, und zwar dadurch, dass er als Mensch in die Welt gekommen ist. Lesen wir weiter, Vers 6: Es war ein Mensch, von Gott gesandt, sein Name Johannes. Dieser kam zum Zeugnis, damit er von dem Licht zeugte, damit alle durch ihn glaubten.
Johannes war der Vorläufer des Messias und hat von diesem Licht Zeugnis gegeben. Dabei handelt es sich jetzt nicht mehr um das Licht durch die Schöpfung, sondern um das Licht, das durch das Kommen des Herrn Jesus in die Welt sichtbar geworden ist.
Weiter, Vers 9. Zuvor haben wir noch Vers 7 und 8: Er war nicht das Licht, sondern damit er von dem Licht zeugte. Dieses Licht ist das wahre Licht, das in die Welt kommt und jeden Menschen erleuchtet.
Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt kannte ihn nicht. Es wird also nochmals betont, dass der Herr Jesus der Schöpfer ist, doch die Welt im Allgemeinen ihn nicht erkannte. Er kam in das Seine, und die Seinigen nahmen ihn nicht an.
Damit ist gemeint, dass die Völkerwelt im Allgemeinen ihn nicht kannte, aber er kam zu seinem eigenen Volk, Israel. Übrigens sprechen die Rabbiner davon, dass Israel das Eigentum Gottes, Jachwe, ist. Wenn nun Johannes sagt, dass das Wort in das Seine kam, wird erneut betont, dass er Jachwe ist, denn Israel gehört Jesus Christus.
Doch selbst das ausgewählte Volk, die Mehrheit des auserwählten Volkes, nahm ihn nicht an. Jetzt sehen wir, warum es wichtig ist, dass Johannes sein Evangelium mit großem Abstand schreibt. Er hat die gesamte Entwicklung der vergangenen sechzig Jahre gesehen. Er zeigt, dass das Wort in die Welt gekommen ist, die Heidenvölker ihn nicht kannten und nicht einmal das auserwählte Volk ihn angenommen hat.
Aber jetzt kommt Vers 12: "So fanden ihn aber alle, die ihn aufnahmen, denen gab er das Recht, Kinder Gottes zu werden, die an seinen Namen glauben, die nicht aus Blut, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen eines Mannes geboren sind, sondern aus Gott."
Die Welt kannte ihn also nicht – das sind die Heidenvölker. Israel als Nation nahm ihn nicht auf, aber es gibt dennoch viele, die ihn aufgenommen haben. Und so viele sind es, ob Juden oder Nichtjuden. Nach 60 Jahren Abstand hat Johannes gesehen, wie viele Juden und Nichtjuden ihn bereits angenommen hatten.
Deshalb kann er sagen: So viele ihn aber aufgenommen haben, denen gab er das Recht, Kinder Gottes zu werden. Diese sind aus Gott geboren. Das bedeutet, dass sie nun auch zu dem Vater eine Beziehung haben dürfen, so wie der ewige Sohn in der Ewigkeit eine Beziehung hatte.
Allerdings werden sie hier nicht Söhne Gottes genannt, sondern Kinder Gottes. Im Johannes-Evangelium wird Jesus Christus immer der Sohn Gottes genannt, niemals Kind Gottes. Um den Unterschied zu verdeutlichen: Der ewige Sohn ist etwas Einzigartiges.
Doch Menschen, die den ewigen Sohn aufnehmen, dürfen Kinder Gottes werden und kommen in diese Beziehung, die der Sohn von Ewigkeit her hatte. Das Wort war bei Gott.
Das Wort wurde Fleisch: Die Menschwerdung Gottes
Wir haben eine etwas längere Pause gemacht. Können wir noch fünf Minuten weitermachen? Wer gehen muss, darf dies gerne tun, das ist ganz normal.
Wir wollen noch bis Vers 18 kurz mit ein paar Bemerkungen durchkommen.
Vers 14: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“
Johannes zeugt von ihm und sagt: „Dieser war es, von dem ich sagte, der nach mir Kommende ist mir vor, denn er war vor mir, denn aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, und zwar Gnade um Gnade.“ (Johannesevangelium)
Das Wort „Fleisch“ – hebräisch „Basar“ – ist eine hebräische Ausdrucksweise, um Mensch zu sagen. Wenn hier also steht, „das Wort wurde Fleisch“, bedeutet das schlicht: das Wort wurde Mensch. Ganz einfach. Das hat nichts mit sündigem Verlangen oder Ähnlichem zu tun. Hier heißt „Fleisch“ einfach Mensch.
Johannes sagt weiter, dass wir seine Herrlichkeit angeschaut haben, die Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater. Das Wort „eingeboren“, „monogenes“, bedeutet „der Einzige in seiner Art“.
Das heißt nicht, dass Jesus in der Ewigkeit ins Dasein gekommen wäre, sondern dass er der Einzige ist. „Monogenes“ bedeutet, es gibt nur einen ewigen Sohn, ohne Parallele. Das ist ein wichtiger Gegensatz zu den Kindern Gottes im Vers 12. Er ist der Einzige.
Für uns Menschen sagt Johannes: Wir durften die Herrlichkeit dieses ewigen Sohnes anschauen. Wir haben etwas von dem sehen dürfen, was in der Ewigkeit verborgen war.
Gibt es noch Fragen?
In einer Anmerkung steht zu „dem Einzigen“ auch „einzig Gezeugter“ oder „einzig Geborener“. Das könnte widersprüchlich wirken. Wie wird das erklärt?
Es ist vielleicht irreführend. „Monogenes“ kann bedeuten: einzig gezeugt, einzig geboren oder einzigartig. Vom Wort her sind alle drei Übersetzungen möglich.
Doch im Zusammenhang mit dem Johannesevangelium, das zeigt, dass der Sohn keinen Anfang hatte und nie ins Dasein kam, sondern immer war – durch ihn ist alles ins Dasein gekommen –, wird klar, dass „monogenes“ als „der Einzige in seiner Art“ übersetzt werden sollte.
Diese Vieldeutigkeit der Sprache wird durch die Aussagen im Umfeld neutralisiert. Deshalb ist es eindeutig: „der Einzige in seiner Art“.
Gnade und Gesetz: Ein Gegensatz im Johannesevangelium
Dann noch Vers 17: Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit aber sind durch Jesus Christus geworden.
Hier wird gezeigt, wie das Alte Testament mit der Offenbarung an Mose begonnen hat, durch die fünf Bücher Mose. Nun aber kommt eine noch höhere Offenbarung Gottes, indem der Sohn Gottes selbst in die Welt gekommen ist.
Diesen Gegensatz – Mose, der das Gesetz bringt, das verurteilt, und Jesus Christus, der die Gnade bringt und Vergebung möglich macht – werden wir später noch einmal sehen, zum Beispiel in Johannes 2 bei der Hochzeit zu Kana. Das erste Wunder, das der Herr Jesus dort tut, ist, dass Wasser zu Wein wird.
Was hat Mose in Ägypten bei der ersten Plage bewirkt? Das Wasser wurde zu Blut. Blut steht in der Bibel für Gericht und Tod. Im Gegensatz dazu ist Wein ein Bild für Freude und Gemeinschaft.
So zeigt sich dieser Gegensatz deutlich: Das Gesetz, das uns verurteilen muss, kam durch Mose – Wasser wurde zu Blut. Die Gnade hingegen kam durch Jesus Christus – Wasser wurde zu Wein.
Die Offenbarung Gottes durch den Sohn
Und schließlich Vers: Niemand hat Gott jemals gesehen. Der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, hat ihn kundgemacht.
Jawohl, Gott ist für die Geschöpfe eigentlich unsichtbar. Doch Gott wollte sich offenbaren. Diese Offenbarung geschieht nicht durch den Vater, nicht durch den Heiligen Geist, sondern durch den Sohn.
Da gibt es ein Prinzip, das wir durch das ganze Neue Testament hindurch sehen: Gott teilt sich uns immer durch den Sohn mit. Schon in der Schöpfung hat der Vater die Pläne gemacht. Wir haben gelesen in 1. Korinther 8,6: Alle Dinge kommen von Gott dem Vater durch Jesus Christus.
Die Pläne hat der Vater gemacht, aber der Sohn hat die Schöpfung ausgeführt. Der Plan der Erlösung steht in Verbindung mit dem Vater, doch der Sohn ist in die Welt gekommen und ist am Kreuz gestorben – nicht der Vater.
Hier offenbart sich der unsichtbare Gott, den niemand sehen kann, durch den Sohn. Und zwar dadurch, dass der Sohn Mensch wurde. Nur dadurch, dass er Mensch wurde, konnte Gott sichtbar gemacht werden. Denn Gott in seiner Gottheit könnten wir nicht sehen und leben.
Ja, bis hierhin ist das eine wichtige Frage zum Schluss.
Sprachliche Aspekte in der Bibel und Gottes Offenbarung
Ja, ich möchte wissen, welcher Name für Gott in den ersten drei Versen der griechischen und hebräischen Bibel verwendet wird. Zum Beispiel in 1. Mose 1. Im Johannesevangelium, in den ersten drei Versen, wird immer wieder von Gott gesprochen.
Im griechischen Grundtext ist das Wort für Gott immer Theos. Und im Hebräischen? Der Grundtext des Neuen Testaments ist ja griechisch. Aber was ist mit den Begriffen, die die Pharisäer kannten? Früher gab es bei den Pharisäern keinen anderen Begriff für Gott.
Im Hebräischen gibt es verschiedene Wörter für Gott: Elohim, Eloi, El – diese werden verwendet. Das Johannesevangelium wurde ursprünglich auf Griechisch verfasst, nicht auf Hebräisch. Deshalb hat Johannes das übliche griechische Wort für Gott genommen, nämlich Theos. Das entspricht im Hebräischen dem Wort Elohim.
Als Tschechin war Gott in der Stiftshütte anwesend. Das ist die Wolkensäule über der Stiftshütte. Hat er dort auch gesprochen oder sich irgendwie mitgeteilt? Oder war es nur ein sichtbares Zeichen, diese Wolke?
Das können Sie nachlesen. In 2. Mose 25 wird die Bundeslade beschrieben. Dort heißt es: Gott sagt zu Mose, „Und zwischen den Cherubim der Bundeslade werde ich mit dir reden und dir alles sagen, was du dem Volk sagen sollst.“ Er hat sich also nur mit Mose unterhalten, nicht mit jemand anderem. Gott hat sich Mose gegenüber akustisch hörbar mitgeteilt, aber nur ihm.
Man kann nicht ausschließen, dass Gott auch an anderen Stellen von dort gesprochen hat. Deshalb wird im salomonischen Tempel das Allerheiligste auch „der Sprachort“ genannt. Das liegt daran, dass Gott von dort aus akustisch hörbar im Tempel offenbaren konnte.
Gebet zum Sohn Gottes in der Apostelgeschichte und Offenbarung
Jesus ist gekommen, um uns in Beziehung zum Vater zu bringen. Neulich habe ich gehört, dass ein jüdisch-messianischer Lehrer gesagt hat, die Schrift bezeuge nirgends, dass man zu Jesus beten soll. Man solle nur zum Vater beten. Wer sagt was dazu?
Wenn Jesus kritisch zum Gottesvater auftritt, ist der Vater ja nicht der Sohn. Aber es würde helfen, einen klaren Schriftbeweis zu haben, dass in der Bibel zum Sohn Gottes gebetet wird. Wo steht das?
In der Apostelgeschichte 7,59-60 lesen wir: Stephanus wird gesteinigt, während er betet und spricht: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf.“ Ganz klar wird hier zum Sohn gebetet.
Und es geht nicht nur ums Beten, sondern auch ums Anbeten. Die Ältesten in Offenbarung 4 beten das Lamm Gottes an. In Offenbarung 5,9 singen sie ein neues Lied: „Du bist würdig, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen, denn du bist geschlachtet worden und hast uns für Gott erkauft durch dein Blut aus jedem Stamm und jeder Sprache und jedem Volk.“ Hier wird das Lamm Gottes angebetet.
Auch Millionen von Engeln rufen in Offenbarung 5,11-12 mit lauter Stimme: „Würdig ist das Lamm, das geschlachtet worden ist, zu empfangen Macht und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Segnung.“
Jesus Christus wird also angebetet und zu ihm wird gebetet. Man könnte noch viele weitere Stellen anführen. Das bedeutet, dass alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Das entspricht auch Johannes 5.
Aber noch direkter braucht man konkrete Stellen, in denen gebetet wird. Der Fall ist ganz eindeutig. Das ist der Beweis, dass Jesus Christus Gott ist, denn nur Gott darf angebetet werden. Das hat der Herr Jesus dem Teufel gesagt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.“
Wenn Jesus Christus nicht Gott wäre, dürfte man nicht zu ihm beten. Deshalb beten Zeugen Jehovas auch nicht zu Jesus Christus. Doch das Zeugnis der Bibel steht ganz klar gegen diese Auffassung.
Zum Schluss wollen wir noch beten.