Viele Menschen haben Schwierigkeiten, wenn sie an Gott und das Thema Leid denken. Entweder haben sie selbst Leid erfahren oder sie haben durch ihre Umgebung, etwa durch die Medien, Leid mitbekommen. Es gibt Berichte über Erdbeben, Vulkanausbrüche oder schwere Unfälle, und viele fragen sich: Wie kann das mit Gott zusammengehen?
Zunächst muss deutlich gesagt werden: Wenn ein Mensch selbst von Leid betroffen ist, dann geht es nicht um logische Überlegungen oder Gründe, die man dafür anführen kann. Ein Mensch, der im Leid steckt, braucht keine intellektuellen Antworten. Er braucht Nähe, Hilfe und Trost. Solche Unterstützung kann man nicht durch Diskussionen ersetzen.
Abgesehen von der persönlichen Betroffenheit ist das Leid auch ein intellektuelles Problem. Es stellt eine Herausforderung für den Verstand dar, wenn man fragt, wie ein liebender Gott mit dem Leid in der Welt vereinbar sein kann. Nach christlichem Verständnis soll dieser Gott zudem allmächtig sein.
Dabei wird schnell klar, dass das Leid kein Argument gegen die Existenz Gottes ist. Ein Gott, der beispielsweise ohnmächtig wäre oder dem die Erde gleichgültig ist, stünde nicht unter Erklärungsdruck, wenn es Leid auf der Erde gibt. Er würde sich einfach zurückziehen und nur beobachten.
Viele Religionen der Welt vertreten sogar solche Vorstellungen. Im Hinduismus oder bei den alten Griechen gibt es Götter, die Menschen bewusst leiden lassen. Das geschieht, weil sich diese Götter daran erfreuen oder weil sie eifersüchtig oder rachsüchtig sind.
Christen jedoch glauben nicht an einen solchen Gott. Christen glauben an einen Gott, der einerseits allmächtig ist und die Menschen andererseits grenzenlos liebt. Und...
Da sagen manche, nicht ganz zu Unrecht: Das scheint doch ein Widerspruch zu sein. Ein Gott, der die Menschen liebt und alle Macht hat, könnte doch auch jedes Leiden verhindern. Und tatsächlich könnte Gott das ja.
Das denkbare Problem liegt, glaube ich, darin, dass Gott oft nur auf diese beiden Eigenschaften reduziert wird: Liebe und Allmacht. Aber Gott hat ja noch viel mehr Eigenschaften. Er verfolgt auch andere Ziele. Manchmal könnte man sagen, dass das Leid aus der Sicht Gottes nur als Nebeneffekt mittoleriert wird, weil er ein höheres Ziel hat.
Das höchste Ziel, das Gott mit den Menschen hat – zumindest wenn wir der Bibel Glauben schenken dürfen – ist, dass er Gemeinschaft mit dem Menschen haben will. Er möchte eine Liebesbeziehung, in der er den Menschen ernst nimmt. Dabei sollen nur diejenigen Menschen dabei sein, die das wirklich wollen.
Gott will keinen Menschen zwingen. Deshalb sagt Gott auch, dass Menschen, die sich hier auf der Erde nicht für ihn interessieren, auch in der Ewigkeit nach dem Leben hier auf der Erde nichts mit ihm zu tun haben werden. Gott will keinen Menschen zwingen.
Wenn man nun eine freiwillige Entscheidung des Menschen für Gott haben möchte, dann muss man dem Menschen Freiheit geben, ja und nein zu sagen. Und das nicht nur allgemein: Willst du ewig mit mir zusammen sein oder nicht? Sondern auch: Vertraust du mir, dass das, was ich dir sage, für den Alltag glaubwürdig und tragfähig ist? Lebst du so, dass du das tun willst?
In der Bibel finden wir den Hinweis, dass gerade diese Freiheit, die der Mensch erhalten hat, der eigentliche Ursprung des Leidens in der Welt ist. Denn der allergrößte Teil des Leidens hier auf der Welt ist menschengemacht.
Das Leiden ist nicht etwas, das einfach von außen hereinbricht. Es mag uns manchmal schockieren, doch die meisten Menschen erleben ihr Leiden durch Mobbing am Arbeitsplatz, durch einen Ehepartner oder durch Kinder, die nerven. Auch Nachbarn, die Unsinn machen und über die man sich ärgert, oder Verbrecher, die andere überfallen, ausrauben oder auf andere Weise schädigen, verursachen Leid.
Wenn wir genau hinschauen, sehen wir, dass selbst das Hungern der Menschen in der dritten Welt nicht in erster Linie ein Ergebnis von Naturkräften ist. Es ist vielmehr das Ergebnis der Weltwirtschaft, die Preise erhöhen will, von Spekulanten, die ebenfalls die Nahrungsmittelpreise steigern, oder von durchgeknallten Diktatoren in Ländern der dritten Welt, die das Geld lieber in die eigene Tasche stecken und ihre eigene Bevölkerung hungern lassen.
Ein ganz großer Teil des Leidens in der Welt liegt genau darin: Der Mensch hat die Möglichkeit, sich für das Gute zu entscheiden, doch er tut es nicht. Stattdessen entscheidet er sich oft für das, was aus seiner Sicht momentan gut für ihn ist, obwohl es anderen Menschen Schaden zufügt.
Manche werden jetzt einwenden und sagen: Ja, Gott könnte dem Menschen doch eine Freiheit lassen, sich für das eine oder das andere zu entscheiden. Wenn es aber negative Auswirkungen für andere Menschen gibt – dass sie hungern, sterben oder geschädigt werden –, dann könnte Gott das doch verhindern. Und klar, Gott könnte das tun.
Nur was wäre dann mit wirklicher Willensfreiheit? Würde sich überhaupt jemand für etwas Falsches entscheiden, wenn er gar nicht die Möglichkeit hätte, dies auch auszuführen?
Stellen Sie sich in einem Film einen Bankräuber vor, der in eine Bankfiliale stürmt, sein Gewehr zieht und sagt: „Geld her oder ich schieße!“ Stellen Sie sich weiter vor, es wäre gar nicht möglich zu schießen, weil das ja jemanden verletzt, und Gott verhindert, dass etwas Böses passiert.
Dann würde der Schalterbeamte einfach da stehen und sich kaputtlachen. Er würde kein Geld herausgeben, sondern sagen: „Schießen Sie doch, schießen Sie doch!“ Und wenn der Räuber dann abdrückt, fällt die Kugel vorne aus dem Gewehr heraus, und es passiert nichts, weil Gott verhindert, dass durch die böse Entscheidung etwas Böses geschieht.
Hier merken wir: Das wäre keine freie Entscheidung. Wer bei klarem Verstand ist, käme doch gar nicht auf die Idee, einen Banküberfall zu machen, wenn er genau wüsste, dass es gar nicht funktioniert.
Wer würde noch lügen, wenn man weiß, dass man gar nicht lügen kann? Man will seinen Ehepartner belügen, aber das Wort bleibt einem im Hals stecken. Man will die Steuererklärung fälschen, doch in dem Moment versagt der Stift, weil man plötzlich nicht mehr weiterschreiben kann.
Gott verhindert also, dass aus einer negativen Entscheidung auch negative Auswirkungen auf andere Menschen entstehen. Wenn man es aber wirklich ernst meint mit Willensfreiheit, muss man auch zulassen, dass etwas Böses, das entschieden wurde, auch getan wird.
Vielleicht noch ein letztes Beispiel zur Willensfreiheit: Stellen Sie sich vor, jemand sitzt im Gefängnis. Nun besuche ich diese Person hinter Gittern und frage sie: „Wohin möchtest du denn gerne in Urlaub fahren? Du kannst vollkommen frei entscheiden, niemand schränkt dich ein.“
Der Gefangene wird mich wohl auslachen. Denn seine Entscheidung bringt nichts, solange er nicht wirklich frei ist. Erst wenn ich ihm die Freiheit gebe, die Tür öffne und das Gitter entferne, sodass er wirklich wegfahren kann, hat seine Entscheidung einen Sinn. Wer im Gefängnis sitzt, würde sich nicht ernsthaft für ein Urlaubsziel entscheiden, wenn er weiß, dass die Tür geschlossen bleibt und er nicht herauskommt.
Genauso ist es auch bei Gott und dem Menschen: Gott möchte diese Freiheit für den Menschen. Wir alle merken, dass nur eine freiheitliche Entscheidung für die Liebesbeziehung zu einem anderen Menschen uns wirklich erfüllt.
Jeder könnte es sonst versuchen, sich keinen Ehepartner zu suchen, sondern einen Roboter. Oder noch einfacher: Jeder hat heute ein Handy oder einen Computer. Man könnte einen Bildschirmschoner programmieren, der sagt: „Ich liebe dich.“ Sobald ich ihn einschalte, sagt der Computer: „Ich liebe dich.“
Ich habe es zwar noch nicht ausprobiert, aber so, wie ich es mir vorstelle, ist das nicht unbedingt herzerwärmend oder überzeugend. Denn der Computer liebt mich nicht wirklich, er sagt nur das, was ich vorher einprogrammiert habe.
Dass mein Partner zu mir sagt: „Ich liebe dich“, erfüllt mich und berührt mich. Denn er könnte genauso sagen: „Ich hasse dich“ oder „Du bist mir gleichgültig.“ Und genauso will es auch Gott.
Losgelöst von der Willensfreiheit gibt es auch noch einige andere Antworten auf die Frage, warum Gott möglicherweise das Leid zulässt. Dabei wird oft übersehen, dass Leid nicht nur negativ ist, sondern häufig auch eine positive Komponente hat.
Nehmen wir beispielsweise den Hunger. Hunger ist schlimm, wenn man wirklich nichts zu essen hat. Würden wir jedoch keinen Hunger verspüren, gäbe es Menschen, die bei lebendigem Leib verhungern würden. Manche Menschen, etwa jemand, der spielsüchtig ist und die ganze Zeit vor dem Computer sitzt, würden nicht aufhören zu spielen, wenn sie nicht ab und zu Hunger und Durst verspüren würden. Hunger ist ein Notsignal des Körpers. Es bedeutet: Pass auf, jetzt musst du wieder Nahrung oder Flüssigkeit zu dir nehmen, sonst nimmt der Körper Schaden.
Oder betrachten wir die körperlichen Schmerzen, etwa Zahnschmerzen oder Schmerzen in den Gliedmaßen. Meistens sind sie ein Warnsignal des Körpers. Es gibt Krankheiten, bei denen Menschen keine Schmerzen empfinden. Das ist jedoch höchst gefährlich. Jemand mit einem entzündeten Blinddarm spürt nichts davon. Der Blinddarm entzündet sich, platzt, und der Mensch stirbt, ohne Schmerzen zu empfinden.
Stellen Sie sich vor, Sie wollen bei Ihrer Herdplatte spüren, ob sie warm ist. Wenn Sie mit der Hand darauffassen und nichts spüren, können Brandblasen entstehen, und erst wenn Rauch aufsteigt, merken Sie, dass die Platte heiß war. Es ist besser, den Schmerz zu spüren und im ersten Moment zurückzuzucken, denn so verhindern Sie stärkere Schäden.
Manchmal sind Schmerz und Leid also von Gott bewusst mit eingeplant, damit sie uns vor größeren Schäden schützen.
Und das ist nicht das Einzige. Manchmal ist das Leiden einfach ein Nebeneffekt, den wir brauchen, um ein positives Ziel zu erreichen.
Beispielsweise stelle ich mir vor, ich möchte Olympiasieger im Marathonlauf werden. Ich fange an zu laufen, doch weil ich nicht trainiert bin, geht mir nach fünf Kilometern die Puste aus, und mir tut alles weh. Dann könnte ich sagen, das bringt nichts, und ich habe keine Chance, beim Marathonlauf jemals auf dem Treppchen zu stehen oder überhaupt die über dreißig Kilometer zu absolvieren.
Wenn ich aber dieses Ziel wirklich erreichen will, dann ist der Nebeneffekt eine gewisse Form von Leid. Bei manchen Dingen ist das sogar noch direkter.
Beispielsweise sagt Gott, dass Geduld eine positive Eigenschaft ist, die wir erreichen sollen. Aber welcher Mensch lernt es je, geduldig zu werden, wenn seine Geduld nicht auf die Probe gestellt wird? Wenn ich niemanden habe, der mir auf die Zehen tritt, oder niemanden, mit dem ich Probleme habe, werde ich wahrscheinlich auch nie geduldig werden.
Erst wenn Geduld trainiert und eingeübt wird – und das ist leider auch mit Leiden verbunden – kann ich dieses positive Ziel erreichen.
Manchen würde ich auch gerne fragen, die Gott das Leiden vorwerfen, ob sie ihm gleichzeitig auch für das Gute in ihrem Leben danken. Denn es ist sehr häufig so, dass Menschen, solange es ihnen gut geht, alles auf sich selbst zurückführen und sich selbst auf die Schulter klopfen mit dem Gedanken: „Das hast du gut gemacht.“
Sobald jedoch etwas schiefgeht, machen sie Gott dafür verantwortlich. Diese Rechnung ist in jedem Fall ungerecht. Wenn ich Gott wirklich vorwerfe, für das Böse verantwortlich zu sein, müsste ich ihm ebenso erst einmal für all das Gute danken, das ich im Leben erfahren habe.
Ich vermute, dass bei den allermeisten Menschen – egal, wo sie auf der Erde leben und was sie erlebt haben – das Gute bei weitem überwiegt. Doch wir gewöhnen uns daran. Da sind das Essen und Trinken, die Menschen, die uns Gutes tun oder Gutes gesagt haben, und die Tage, an denen ich keine Zahnschmerzen habe. Dafür danke ich jedoch nicht. Nur die wenigen Tage, an denen ich Zahnschmerzen habe, nehme ich zum Anlass, Gott Vorwürfe zu machen.
Auch ich glaube, dass das letztendlich nicht gerecht ist.
Es gibt noch einige weitere Gründe, bei denen man sagen könnte, dass sie erklären, warum Gott Leiden zulässt. Dennoch bleibt am Ende das Leiden bestehen, das kein Mensch vollständig erklären kann.
Ein Beispiel dafür ist der Vulkanausbruch, den wir nicht auf eine Fehlentscheidung eines Menschen zurückführen können. Hier müssen wir anerkennen, dass die Welt offenbar außer Rand und Band geraten ist. Die Bibel beschreibt, dass Gott die Welt ursprünglich perfekt geschaffen hat. Doch weil die Menschen sich generell von Gott getrennt haben, läuft manches in der Welt durcheinander.
Auch die Natur funktioniert nicht mehr so, wie Gott es ursprünglich gedacht hat. Das ist ein Ergebnis dieser Trennung. Gott überlässt diese Welt für eine gewisse Zeit sich selbst.
Wichtig ist jedoch, dass wir nicht nur das Hier und Jetzt betrachten. Das letzte Wort hat Gott. Am Ende wird er alle Tränen abwischen. Er wird alle Menschen trösten, und es wird keine Krankheit und keinen Tod mehr geben. Dieses Ziel sollten wir stets im Blick behalten.
Außerdem heißt es, dass alle Menschen, die Schlechtes getan und andere gequält haben, von Gott zur Rechenschaft gezogen werden.
Wir müssen uns auch vor Augen halten, dass Gott dort, wo wir im Leiden und in Schwierigkeiten sind, kein Gott ist, der nur aus der Ferne zuschaut. Gott weiß genau, was Leiden bedeutet.
Er hat in Jesus Christus, als er auf die Erde gekommen ist, selbst schwerstes Leiden erfahren. Freunde haben ihn verlassen, Menschen haben ihn grundlos gequält. Er wurde getötet und hat schweres Leid ertragen.
Dieser Gott weiß also, wie es jedem geht, der im Leiden steckt. Er will bei ihm sein, ihm Kraft geben und ihn trösten. Immer wieder habe ich selbst und auch andere Menschen erlebt, dass Gott das Leiden beendet.
Gott schaut nicht nur zu und gibt irgendwann im Jenseits eine Antwort. Er setzt häufig auch hier im Leben dem Leiden ein Ende oder schenkt Kraft, um trotz des Leidens weiterleben zu können.