Eröffnung und Einführung in das Thema Psalmen
Wir wollen das Nachmittagsthema mit einem Gebet beginnen. Herr Jesus Christus, wir danken Dir, dass Du uns heute hier zusammengeführt hast. An diesem Tag dürfen wir uns besonders Zeit nehmen, um Dein Wort zu studieren und uns im Licht Deines Wortes mit Fragen zu beschäftigen.
Wir preisen Dich, Herr Jesus Christus, Gottes Sohn, dafür, dass Du uns die Heilige Schrift geschenkt hast. Dieses Buch spricht uns lebendig an. Dein Wort ist lebendig und wirksam. Du siehst, wie wir uns heute Nachmittag mit den Psalmen auseinandersetzen möchten. Wir bitten Dich, dass Du uns einen großen Segen schenkst und uns diese Freude ins Herz legst, wie Du sie den Emmausjüngern gegeben hast.
Als Du ihnen in den Psalmen gezeigt hast, was Dich betrifft, mussten sie bekennen: „Brannte nicht unser Herz, als er mit uns auf dem Weg redete?“ Herr Jesus, öffne Du uns Dein Wort, damit es wirklich direkt und lebendig in unsere Herzen eindringen und Wurzel fassen kann. Amen.
Wir haben heute Nachmittag das Buch der Psalmen vor uns. Ich habe dieses Thema auf der Einladung kurz umschrieben. Bei den Psalmen handelt es sich um ein göttlich inspiriertes Gesangbuch, in dem alle Gefühlsregungen der Seele entfaltet werden: Kummer, Sorgen, Zweifel, tiefste Niedergeschlagenheit, Befürchtungen, Ängste und Schrecken. Dennoch werden alle menschlichen Erschütterungen stets durch die alles übertönenden Triumphe der Hoffnung und der Glaubensgewissheit mit Dank, Jubel und Anbetung durchbrochen.
Angesichts der unabänderlichen Treue Gottes wird der durch Glauben Gerechte aus der Finsternis zum Licht geführt. Der Gottlose hingegen wird im Gericht enden.
Die Stellung der Psalmen im biblischen Kanon
Zuerst wollen wir uns die Frage stellen, welchen Platz die Psalmen innerhalb der Bibel einnehmen und wie ihre Stellung im Kanon ist. So habe ich das auf dem Blatt überschrieben: „Der Kanon“.
Der Kanon, zu Deutsch „Richtschnur“, bezeichnet die Bücher, die zur Heiligen Schrift gehören, also die verbindlichen und von Gott inspirierten Schriften. Das ist der Kanon, das Gesandte der Heiligen Schriften.
Nun, wo stehen die Psalmen innerhalb dieses Ganzen? Ich lese aus Lukas 24, Vers 44. Der Auferstandene begegnet den Emmausjüngern in diesem Kapitel. Zuerst lese ich Vers 25: „O ihr Unverständigen und Trägen Herzens, zu glauben an alles, was die Propheten geredet haben! Musste nicht der Christus, das heißt der Messias, dies leiden und in seine Herrlichkeit eingehen?“
Von Moses und von allen Propheten anfangend erklärte Jesus ihnen in allen Schriften das, was ihn betraf. Jesus hat also das ganze Alte Testament in der Übersicht mit diesen Jüngern durchbesprochen und die Hinweise auf sein Kommen aufgezeigt.
Etwas später lesen wir im gleichen Kapitel, wie der Herr inmitten der Apostel Folgendes sagt, Vers 44: „Ihr sprach aber zu ihnen: Dies sind die Worte, die ich zu euch redete, als ich noch bei euch war, dass alles erfüllt werden muss, was über mich geschrieben steht, im Gesetz Moses, den Propheten und den Psalmen.“
Dann öffnete er ihnen das Verständnis, um die Schriften zu verstehen, und sprach zu ihnen: „Also steht geschrieben, und also musste der Christus, der Messias, leiden und am dritten Tag auferstehen aus den Toten.“
Hier wird das Alte Testament in drei Teile aufgegliedert: das Gesetz, die Propheten und die Psalmen. Das entspricht genau der jüdischen Einteilung des Alten Testaments.
Im Judentum kennt man drei Teile: Das Gesetz, hebräisch Tora, umfasst die fünf Bücher Mose. Dann folgen die Propheten, hebräisch Nevi'im. Dabei unterscheidet man die vorderen Propheten, das sind die Geschichtsbücher Josua, Richter, 1. und 2. Samuel, 1. und 2. Könige, und die eigentlichen Propheten Jesaja, Jeremia, Hesekiel sowie die zwölf kleinen Propheten von Hosea bis Maleachi.
Der dritte Teil sind die Psalmen oder im Judentum allgemein die Ketuvim, die Schriften. Dazu gehören in der Anordnung der hebräischen Bibel meistens an der Spitze die Psalmen. Darauf folgen Sprüche, Hiob, Hohes Lied, Ruth, Klagelieder, Prediger, Ester, Daniel, Esra, Nehemia und 1. und 2. Chronik.
Bei den Handschriften von Qumran am Toten Meer wurden Überreste von etwa 200 biblischen Rollen und 600 außerbiblischen Rollen mit Kommentaren, Liedern und Ähnlichem gefunden. In diesen außerbiblischen Schriftrollen von Qumran findet man ebenfalls die Einteilung in Gesetz, Propheten und Psalmen.
Das ist genau die Dreiteilung: Gesetz, Propheten und Schriften, wobei die Psalmen an der Spitze dieses dritten Teils stehen. Daraus wird deutlich, dass die Psalmen einen besonders wichtigen Platz einnehmen.
Übrigens, wenn man mit Juden über das Alte Testament spricht, sollte man, um sie nicht unnötig zu verletzen, nicht vom „Alten Testament“ sprechen. Sie könnten sonst meinen, dass diese Schriften veraltet seien und nicht mehr gebraucht würden. Das meint ja kein einziger Christ.
Man sollte daher den gleichen Ausdruck verwenden, den sie selbst benutzen: den Tanach. Das ist ein Abkürzungswort, bei dem T für Tora steht, N für Nevi'im, die Propheten, und Ch für Ketuvim, die Schriften. Man sagt „Ch“, weil dieser Konsonant weich ausgesprochen wird, wenn ein Vokal folgt.
Tanach ist also die Abkürzung für Tora, Nevi'im und Ketuvim. Diese Einteilung hat Jesus selbst übernommen, und durch Lukas 24 wird sie auch im Neuen Testament bestätigt.
An anderer Stelle, in Matthäus 23, spricht Jesus über alle Morde des Alten Testaments. Er sagt, das Blut werde von dieser Generation gefordert werden, von Abel bis Zacharias, der zwischen dem Tempelhaus und dem Altar ermordet worden ist.
Abel ist die erste Mordgeschichte in der Bibel, in 1. Mose 4. Die Ermordung von Zacharias kennen wir aus 2. Chronik.
Da 2. Chronik nach der Einteilung der hebräischen Bibel, die von den deutschen Übersetzungen abweicht, eben mit 2. Chronik endet, wird deutlich, dass Jesus alle Morde anspricht, die im Alten Testament vorkommen. Damit bestätigt er auch die Einteilung, wie sie in der hebräischen Bibel üblich ist.
Wenn das in den deutschen Übersetzungen nicht immer so dargestellt wird, ist das kein Problem. Es ist aber gut, das zu wissen und klar zu sehen, wo zum Beispiel die Psalmen ihren Platz einnehmen.
Sie stehen als Kopfbuch, als Grundbuch des dritten Teils, in dem besonders poetische und lyrische Bücher zusammengefasst sind, wie Sprüche, Hiob, Hohes Lied und weitere.
Herkunft und Bedeutung des Namens „Psalmen“
Zum Namen Psalmen
Das Wort „Psalmen“ stammt aus dem Griechischen, und zwar aus der ältesten Bibelübersetzung, der sogenannten Septuaginta. Diese Übersetzung wurde im dritten Jahrhundert vor Christus in Ägypten, in Alexandria, angefertigt. Zuerst wurden die fünf Bücher Mose übersetzt, danach das gesamte Alte Testament.
Erstmals wurde die hebräische Bibel so auch für Heiden zugänglich gemacht, und zwar in der damaligen Weltsprache, die heute dem Englischen entsprechen würde. Die Übersetzer der Septuaginta gaben dem Buch den Titel „psalmoi“, die Mehrzahl von „psalmos“. „Psalmos“ bedeutet auf Deutsch „Loblied“.
Das Wort ist abgeleitet von dem Tätigkeitswort „psallo“, was ursprünglich „rupfen“ bedeutet, gemeint ist „Saiten rupfen“. In einer weiteren Entwicklung bekam es die Bedeutung „singen“, und zwar im Sinne von „zur Laute singen“, also zum Zupfinstrument singen.
Dieses Wort findet sich auch im Neuen Testament, zum Beispiel in 1. Korinther 14,15, Epheser 5,19 und Jakobus 5,13. In 1. Korinther 14,15 und Epheser 5,19 wird vom „singend und spielend dem Herrn in euren Herzen“ gesprochen, also vom Singen und Spielen von Saiteninstrumenten für den Herrn. In Jakobus 5,13 wird als Rat gegeben, wenn jemand fröhlich ist, soll er Psalmen singen.
Daher stammt das Wort „Psalm“ von „psalmos“, einem Loblied mit Instrumentalbegleitung. Im Neuen Testament wird der Name „das Buch der Psalmen“ verwendet, zum Beispiel in Lukas 20,42 und Apostelgeschichte 1,20.
Der hebräische Name für das Buch ist „Sefer Tehillim“, was „Buch der Lobpreisungen“ bedeutet. „Tehillim“ entspricht im Hebräischen dem griechischen Wort „psalmos“. „Tehillim“ leitet sich vom Verb „hillel“ ab, das „loben“ bedeutet. Dieses Verb kennen wir sehr gut aus dem Wort „Halleluja“.
„Hallelu“ ist die Befehlsform von „hillel“ und heißt „ja, lobt“ oder „lobet“. Das „ja“ ist eine Kurzform von „Jahwe“, dem Ewigen, dem Unwandelbaren, also dem Herrn. Dieser Befehl findet sich besonders oft in den Psalmen 146 bis 150, die das Lobliederbuch krönen.
Übrigens wurde im Golfkrieg 1991 der Ausdruck „Tehillim neget Tillim“ geprägt. Damals wurden 39 Raketen abgeschossen – eigentlich waren es 41, aber nur zwei landeten in den besetzten Gebieten und nicht im israelischen Kernland. Als die 39 Raketen nach Israel kamen, sagte man „Tehillim neget Tillim“, was „Psalmen gegen Raketen“ bedeutet.
Man konnte damals nur noch beten. Zwar wurden auch Patriot-Anti-Raketen eingesetzt, doch man merkte, dass das Wichtigste das Beten war. Die Situation war prekär. Nachts sah man die Raketen als helle Lichtlinien am Himmel fliegen, und dann wusste man, was bald geschehen würde.
Der Begriff „prekär“ stammt übrigens vom lateinischen „precari“ ab, was „beten“ bedeutet. Eine prekäre Situation ist also eine Lage, in der einem bewusst wird, dass nur noch Beten hilft.
In diesem Sinne können wir an „Tehillim neget Tillim“ denken, wenn wir das nächste Mal Probleme haben.
Das ist also der Titel des Buches insgesamt. In den einzelnen Überschriften der Psalmen taucht manchmal der Begriff „Psalm“ auf. Ein Beispiel ist Psalm 4, wo in der Titelüberschrift steht: „Dem Vorsänger mit Seitenspiel, ein Psalm von David.“
Im Hebräischen steht dort jedoch nicht „Tehillah“, die Einzahl von „Tehillim“, sondern „Mismor“. „Mismor“ bedeutet „Gesang mit instrumentaler Begleitung“.
Damit man die Ausdrücke versteht: Das Buch heißt „Buch der Lobpreisungen“, und der einzelne Psalm wird als „Mismor“ bezeichnet, also als ein Gesang, der instrumental unterstützt wird – nicht beherrscht, sondern gestützt und begleitet.
Die Autoren des Buchs der Psalmen
Wer sind die Autoren des Buchs der Psalmen? Der wichtigste Psalmenschreiber war König David. 73 Psalmen tragen im Originaltext, im Grundtext, die Angabe „Le David“, was „von David“ bedeutet.
Wir wissen aus dem Neuen Testament, dass noch zwei weitere Psalmen, die keine Autorenangaben haben, von David stammen. In Apostelgeschichte 4,25 wird aus Psalm 2 zitiert, und dieser wird David zugeschrieben. Dasselbe gilt für Hebräer 4,7, wo aus Psalm 95 zitiert wird, der ebenfalls David zugeschrieben wird.
So wissen wir bereits von 75 Psalmen, also von der Hälfte, dass sie von David stammen. Interessant ist nun Folgendes: In der Septuaginta wird bei diesen Psalmen ebenfalls vermerkt, dass sie von David sind. Die Übersetzer der Septuaginta wussten also von weiteren Psalmen, dass sie von David stammen, und haben dies entsprechend vermerkt.
Man kann sich fragen, wie zuverlässig diese Tradition ist, die zwar in vorchristlicher, alttestamentlicher Zeit zurückreicht. Das Neue Testament stärkt unser Vertrauen in diese Angaben. In den genannten zwei Fällen ist die Autorenangabe garantiert zuverlässig. Daher kann man annehmen, dass auch die mehr als zehn weiteren Psalmen, die in der Septuaginta David zugeschrieben werden, tatsächlich von ihm stammen können.
Daraus lässt sich sagen, dass mehr als die Hälfte der Psalmen von David stammen. Weiter findet sich ein Psalm von Salomo, nämlich Psalm 127. Zwölf weitere Psalmen stammen von Asaph, zum Beispiel Psalm 73. Auf Asaph kommen wir später noch zurück, denn er war einer der großen Dirigenten im alten Israel.
Eine Gruppe von zehn Psalmen stammt von den Söhnen Korahs, zum Beispiel Psalm 84. Das ist etwas Besonderes, denn wir kennen die Rotte Korahs aus der Wüstenwanderung. Korah war ein Mann, der gegen Gott rebellierte und andere, eine ganze Gruppe, dazu veranlasste, gegen Mose, Aaron und Gott zu rebellieren. Sie kamen dann auf dramatische Weise in der Wüste ums Leben und wurden lebendig begraben durch eine Katastrophe. Das wird in 4. Mose 16 beschrieben.
Man könnte denken, dass die gesamte Nachkommenschaft Korahs ausgelöscht wurde. Doch wir finden die Söhne Korahs in der Zeit Davids wieder. Diese waren große Salmendichter, Menschen, die gelernt hatten, nicht gegen Gott zu rebellieren, sondern ihn anzubeten. Sie ehrten seine Größe, Majestät und Herrlichkeit, nicht nur durch Verehrung, sondern auch durch Bewunderung und Freude.
Das ist ein schönes Beispiel für Menschen mit einer vielleicht ungünstigen Abstammung oder einem wenig löblichen Stammbaum. Solche Herkunft muss uns nicht belasten. Manche Menschen lassen sich oft durch ihre Familiengeschichte oder Kindheitserfahrungen definieren und sprechen ständig darüber. Doch diese Vergangenheit kann abgelegt werden. Jetzt ist es möglich, mit dem Herrn zu leben und voranzugehen – so wie die Söhne Korahs.
Man kann die Psalmen der Söhne Korahs auch daraufhin untersuchen, wie man endgültig mit der Vergangenheit und Herkunft abschließt.
Einen weiteren Psalm, Psalm 89, wird ausdrücklich Ethan zugeschrieben. Einen weiteren verfasste Heman, nämlich Psalm 88. Heman war ebenfalls einer der drei großen Musikdirektoren im alten Israel.
Einen Psalm gibt es von Mose: Psalm 90, der während der Wüstenwanderung Israels entstand. Das war etwa zwischen 1560 und 1520 vor Christus. Das zeigt, dass die Psalmen nicht erst mit David bekannt wurden, sondern diese Gattung schon ein halbes Jahrtausend zuvor im alten Israel unter Mose existierte.
Gemäß den Hinweisen der Septuaginta gehen die Psalmen 145, 146 und 147 auf Haggai und Sacharja zurück. Diese gehörten zu den letzten inspirierten Propheten, den Schriftpropheten.
Im Talmud steht mehrfach, dass nach dem Tod der Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi der Heilige Geist von Israel wich. Mit den Schlusspsalmen 145 und 147 kommen wir also in die Abschlusszeit der Schriftpropheten des Alten Testaments, nämlich Haggai und Sacharja.
In bibelkritischen, liberalen Kommentaren wird manchmal die Meinung vertreten, dass Psalmen bis in die Makkabäerzeit, also bis ins zweite Jahrhundert vor Christus, verfasst worden seien. Diese Ansicht kann man jedoch verwerfen.
Wir können die Psalmen tatsächlich in den Bereich der inspirierten Schriftpropheten einordnen, also in die Zeit von Mose bis zu den letzten Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi.
Daraus folgt, dass die Psalmen den Zeitraum des gesamten Alten Testaments umfassen – von Mose um 1560 v. Chr. bis Sacharja um 520 v. Chr.
Widmungen und Verbindungen zum Tempel
Nebst Angaben über Autoren gibt es auch Hinweise auf Widmungen. Psalm 39, Vers 1, Psalm 62, Vers 1 und Psalm 77, Vers 1 tragen die Widmung, dass diese Psalmen für Jeduthun geschrieben sind. Jeduthun war einer der großen Musikdirektoren; auf ihn werden wir noch zurückkommen.
Einen Psalm gibt es, der ausdrücklich Salomo gewidmet ist: Psalm 72, Vers 1. Hier gibt es ein sprachliches Problem, denn auf Hebräisch steht hier „Lischlomo“, was dasselbe bedeutet wie „Le David“ – also „von David“. Man könnte daher sagen, es sei ein Psalm von Salomo. Doch „Lischlomo“ heißt nicht, dass der Psalm von Salomo ist, denn im letzten Vers, Vers 20, heißt es, dass es die Gebete Davids, des Sohnes Isais, sind.
Ja, es ist ein Gebet Davids, das er aber seinem Sohn Salomo gewidmet hat. Dieser Psalm beschreibt in wunderbarer prophetischer Vorausschau die Königsherrschaft des Messias am Ende der Zeiten, das Tausendjährige Reich. Ich lese zum Beispiel Psalm 72, Vers 7: „In seinen Tagen wird der Gerechte blühen, und Fülle von Frieden wird sein, bis der Mond nicht mehr ist. Und er wird herrschen vom Meer zum Meer, vom Strom bis an die Enden der Erde. Vor ihm werden sich beugen die Bewohner der Wüste, und seine Feinde werden den Staub lecken. Die Könige von Tarsis und von den Inseln werden Geschenke entrichten, es werden Abgaben darbringen die Könige von Sheba und Seba, und alle Könige werden vor ihm niederfallen, alle Nationen ihm dienen.“
Das ist die Beschreibung des Herrn Jesus Christus als der letzte König, als der große Salomo. Salomo bedeutet „Frieden“. Die Königsherrschaft Salomos umfasste das größte Reich Israels in der Geschichte. Er führte eine Art Friedensherrschaft und beherrschte unterworfene umliegende Völker. Doch das war nur ein kleiner Vorgeschmack auf das große Reich des Friedens in der Endzeit, wenn der Herr Jesus kommen wird.
So war eben dieser Psalm Salomo gewidmet. Und wenn David am Schluss schreibt: „Es sind zu Ende die Gebete Davids, des Sohnes Isais“, dann muss das nicht bedeuten, dass dies das letzte Gebet Davids war und es danach keine Psalmen Davids mehr gab. Vielmehr drückt es aus, dass mit diesen Gebeten in diesem Psalm alle Wünsche und Sehnsüchte Davids zum Abschluss kommen. Damit ist der Höhepunkt erreicht, wenn er im Blick auf das Friedensreich betet, das der verheißene Erlöser einmal auf dieser Erde schaffen wird.
Das zu den Widmungen.
Nun einige Worte zu den Psalmen in Verbindung mit dem ersten Tempel. Der erste Tempel wurde von Salomo gebaut, und zwar, wie wir in 1. Chroniker 28 nachlesen, nach den Plänen der Tempelrolle, die sein Vater David ihm übergeben hatte. Die Tempelrolle war eine Rolle mit den genauen Bauplänen des salomonischen Tempels. David sagt, dass diese Tempelrolle durch Inspiration zustande gekommen war.
Salomo hat den ersten Tempel gebaut, aber sein Vater David hatte alles vorbereitet – nicht nur den Bau des Tempels selbst, sondern auch die ganze Organisation der Tempelmusik. Das hat David ins Leben gerufen. David war der größte Psalmendichter, denn über die Hälfte der Psalmen stammen von ihm. Diese Psalmen sind ganz speziell in Verbindung mit den Tempelgottesdiensten zu sehen.
David war ein musikalisches Phänomen. In 1. Samuel 16 lesen wir etwas über den ganz jungen David, der als Musiker an den Hof Sauls kommen sollte, weil dieser depressiv geworden war durch dämonische Einwirkung. Übrigens, wenn ich das so sage, will ich nicht falsch verstanden werden: Depression hat nicht automatisch etwas mit dämonischer Belastung zu tun. In der Medizin unterscheidet man etwa zwanzig verschiedene Typen von Depressionen.
Es gibt zum Beispiel die Studentendepression, wenn man zu viel arbeitet, zu wenig und unregelmäßig isst und dann depressiv wird. Einer dieser zwanzig Typen ist eine Depression, die durch okkulte, dämonische Belastung entsteht. Das war der Fall bei Saul. Man suchte jemanden, der bei ihm Musik machen könnte zur Therapie.
David wird in 1. Samuel 16, Vers 18 beschrieben: „Und einer von den Knechten antwortete und sprach: Siehe, ich habe einen Sohn Isais des Bethlehemitters gesehen, der des Spielens kundig ist, und er ist ein tapferer Held und ein Kriegsmann, und er rede verständig, und ein schöner Mann, und der Herr ist mit ihm.“ Da sandte Saul Boten zu Isai und sprach: „Sende David, deinen Sohn, zu mir, der bei dem Kleinvieh ist.“
Isai nahm einen Esel mit Brot, einem Schlauch Wein und einem Ziegenböcklein und sandte sie durch David an Saul. David kam zu Saul und stand vor ihm, und Saul liebte ihn sehr; er wurde sein Waffenträger. Saul sandte zu Isai und sprach: „Lass doch David vor mir stehen, denn er hat Gnade gefunden in meinen Augen.“
Es geschah, wenn der Geist von Gott – also dieser böse Geist, nach Vers 14, den Gott als Gericht gesandt hat – über Saul kam, dass David die Laute nahm und spielte. Saul fand Erleichterung, es wurde ihm wohl, und der böse Geist wich von ihm. Das ist Musiktherapie.
Vielleicht noch ein Wort dazu: Dieser begabte junge Mann spielte Laute, hebräisch Kinnor. Das ist ein Instrument mit ungefähr fünf bis zehn Saiten, also ein harfenähnliches Instrument, das man im Arm hielt. Es war kein Instrument, um abstrakte Musik zu machen – also Musik nur mit Instrumenten –, sondern ein typisches Begleitinstrument, ideal zur Begleitung von Psalmen.
David spielte also nicht einfach instrumentale Musik, und dann ging der böse Geist weg – so einfach ist das nicht. Er hat Psalmen gesungen. Es ist tatsächlich so, dass glaubendes Beten und Psalmen singen effektiv die Mächte der Finsternis vertreibt. Darum gibt es den Merkspruch: „Loben zieht nach oben, danken schützt vor Wanken.“
Das hat nichts mit magischen Vorstellungen zu tun, dass durch das Klingen von Tönen Geister verschwinden. Es geht um die Psalmen, um die Aussagen, die der Feind einfach nicht erträgt, wenn sie ihm glaubensmutig gesungen werden. Das hat Saul gutgetan.
Nun, das war David als junger Mann. Schauen wir den alten David an, der ein bewegtes Leben hinter sich hatte, und betrachten die letzten Worte Davids in 2. Samuel 23, Vers 1: „Und dies sind die letzten Worte Davids. Es spricht David, der Sohn Isais, und es spricht der hochgestellte Mann, der Gesalbte des Gottes Jakobs und der Liebliche in Gesängen Israels.“
Ja, die Musik war lieblich, wie es heißt: „der Liebliche in Gesängen Israels“. Der Geist des Herrn hat durch ihn geredet, und sein Wort war auf seiner Zunge. Es hat gesprochen der Gott Israels, der Fels Israels, zu ihm. Hier wird deutlich: David war sich bewusst, dass die Psalmen unter der Inspiration, unter der direkten Einwirkung des Geistes Gottes verfasst worden sind. Das ist eine wichtige Stelle zur Inspiration der Psalmen.
David hat im Blick auf den ersten Tempel aus Stein, der die Stiftshütte endgültig ablösen sollte, die ganze Tempelmusik vorbereitet. Es lohnt sich, mal 1. Chronika 15, dann Kapitel 16 und Kapitel 25 zu lesen. Dort sieht man, wie David die Tempelmusik so aufgebaut hat, dass es an der Spitze drei große Dirigenten gab, die für alles verantwortlich waren.
Diese drei Musikdirektoren waren Asaf, Jedutun und Heymann, von denen wir bereits gesprochen haben (1. Chronika 25, Vers 6). Es gab viertausend Tempelmusiker (1. Chronika 23, Vers 5). Nicht alle spielten gleichzeitig, sondern es ging darum, dass man einen Turnus hatte für die Tempelmusik das ganze Jahr hindurch.
David richtete es auch so ein, dass junge Leviten in die Lehre genommen wurden und einen systematischen Musikunterricht erhielten, um Tempelmusiker zu werden. Alles war organisiert von David. Darum sehen wir, dass mit David die Einrichtung der Tempelmusik in eine ganz großartige Phase eingetreten war.
Aufbau und Einteilung der Psalmen
Nun zum Aufbau der Psalmen: Im Grundtext werden die hundertfünfzig Psalmen in fünf Bücher aufgeteilt.
Das erste Buch umfasst die Psalmen 1 bis 41. Danach folgt ein Titel, den man auch im hebräischen Grundtext findet. Das zweite Buch beginnt mit Psalm 42 und geht bis Psalm 72. Die Länge der Bücher ist also unterschiedlich. Das dritte Buch enthält die Psalmen 73 bis 89, das vierte Buch die Psalmen 90 bis 106, und das fünfte Buch umfasst die Psalmen 107 bis 150.
Diese Einteilung wird nicht nur durch die Zwischenüberschriften „erstes“, „zweites“, „drittes Buch“ usw. deutlich, sondern auch durch einen Refrain am Ende jedes Psalmenbuches. Dieser Refrain erscheint in verschiedenen Variationen, ganz nach musikalischer Manier, immer wieder.
Schauen wir zum Beispiel Psalm 41: Der letzte Vers, Vers 13, schließt nicht nur Psalm 41 ab, sondern das ganze erste Buch. Darum wurde er in der alten Elberfelder Bibel etwas abgesetzt gedruckt. Dort heißt es: „Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels, von Ewigkeit bis in Ewigkeit! Amen, ja Amen!“
Achten wir darauf: Gott wird von Ewigkeit bis Ewigkeit gepriesen, und es folgt das ungewöhnliche doppelte Amen, „ja, Amen!“.
Gehen wir weiter zu Psalm 72. Dieser Psalm, in dem alle Sehnsüchte und Gebete Davids ihre Vollendung finden, endet in Vers 18 mit einem Refrain, der nicht nur Psalm 72 abschließt, sondern auch das ganze zweite Buch: „Gepriesen sei der Herr, Gott, der Gott Israels, der Wunder tut, er allein! Und gepriesen sei sein herrlicher Name in Ewigkeit, und die ganze Erde werde erfüllt mit seiner Herrlichkeit. Amen, ja Amen!“
Man merkt, wie hier in Variation das gleiche Thema ausgefüllt wird. Es wird einiges mehr in die Sätze hineingepackt, aber das Motiv bleibt dasselbe.
Erstaunlich ist Folgendes: Hier wird gesagt, die ganze Erde werde erfüllt mit seiner Herrlichkeit. Wie endet das zweite Buch Mose?
Das zweite Buch Mose endet mit der Vollendung des Stiftshüttenbaus. Dort sieht man die Schechina, die Wolke der Herrlichkeit Gottes, die in die Stiftshütte kommt (2. Mose 40,34): „Und die Wolke bedeckte das Zelt der Zusammenkunft, und die Herrlichkeit des Herrn erfüllte die Wohnung. Mose konnte nicht in das Zelt der Zusammenkunft hineingehen, denn die Wolke ruhte darauf.“
Das zweite Buch Mose endet also mit Gottes Herrlichkeit, die die Stiftshütte erfüllt – dem Ort, wo Gott inmitten einer götzendienerischen Welt wohnt. Psalm 72 endet im Refrain damit, dass Gottes Herrlichkeit die ganze Erde erfüllt, nämlich in der Zeit, wenn der Messias über die ganze Erde herrschen wird.
Man sieht hier einen deutlichen Bezug zu den Büchern Mose. Das gibt eine erste Idee: Offenbar könnte man eine Analogie oder Parallele entdecken zwischen den Büchern Mose und den Büchern Davids, zwischen den fünf Büchern Mose und den fünf Büchern der Psalmen.
Nun zu Psalm 89, dem Refrain für das dritte Buch. Der letzte Vers schließt das ganze dritte Buch ab: „Gepriesen sei der Herr ewiglich! Amen, ja Amen!“ Knapp gefasst, aber mit dem gleichen Thema.
Am Schluss des vierten Buches finden wir den Refrain in Psalm 106, Vers 48: „Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Und alles Volk sage Amen, lobet den Herrn!“
Im Psalm 150 finden wir keinen Refrain mehr. Das ist nicht mehr nötig, denn am Schluss des Buches weiß man, dass es jetzt fertig ist.
Bei den anderen Büchern sehen wir aber ganz klar, dass der Refrain gegeben ist, um die von Gott gewollte Fünfteilung zu erwirken. Das hilft uns, den Gedanken zu verstehen: Wie sollen wir die Psalmen in ihrer Abfolge lesen? Hat die Reihenfolge eine Bedeutung oder sind sie zufällig so angeordnet?
Wenn man auf die Autoren schaut, findet man im ersten Buch viele Davidspsalmen. Im zweiten Buch kommen plötzlich andere Autoren hinzu, wie die Söhne Korahs, aber auch dort gibt es Psalmen Davids. Die Bücher sind also nicht nach Autoren geordnet.
Am Anfang des vierten Buches findet sich sogar ein Psalm von Mose. Man könnte auch denken, die Psalmen seien nach einem zeitlichen Schema geordnet, denn Psalm 90, der älteste Psalm, ist nicht der erste Psalm.
Die Einteilung geht also nicht nach Autoren, aber es gibt einen Hinweis: Die Psalmen sind offensichtlich nach einer bestimmten Ordnung angelegt.
Übrigens behandelt der Psalm von Mose die Wüstenreise. In Psalm 90 wird daher die Vergänglichkeit des Menschen vorgestellt – im Gegensatz zu Gott, der immer bleibt und in unserer Vergänglichkeit der Anker der Seele in der Ewigkeit ist.
Psalm 90 ist ein Gebet von Mose, dem Mann Gottes: „Herr, du bist unsere Wohnung gewesen von Generation zu Generation.“ Mose hat erlebt, wie in der Wüstenwanderung die Auszugsgeneration sterben musste und nicht ins Land durfte. Eine neue Generation war für das Land vorgesehen.
Der Psalm fährt fort: „Ehe geboren waren die Berge und die Erde und den Erdkreis erschaffen hattest, ja, von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du Gott. Du lässt den zum Staub Zurückkehrenden sagen: Kehre zurück, ihr Menschenkinder! Denn tausend Jahre sind in deinen Augen wie der gestrige Tag, wenn er vergangen ist, und wie eine Wache in der Nacht.“
Das sind drei Stunden, vier Nachtwachen. „Du schwemmst sie hinweg, sie sind wie ein Schlaf. Am Morgen blüht es auf wie Gras, am Morgen sprosst es und blüht auf, am Abend wird es abgemäht und verdorrt. Denn wir vergehen durch deinen Zorn, und durch deinen Grimm werden wir hinweggeschreckt.“
„Du hast unsere Ungerechtigkeiten vor dich gestellt, unser verborgenes Tun vor das Licht deines Angesichts. Denn alle unsere Tage schwinden durch deinen Grimm. Wir bringen unsere Jahre zu wie einen Gedanken. Die Tage unserer Jahre sind siebzig Jahre, und wenn es hochkommt, achtzig Jahre, und der Stolz ist Mühsal und Nichtigkeit, denn schnell eilt es vorüber und wir fliegen dahin.“
Aus ägyptischen Hieroglyphen-Inschriften wissen wir, dass die Lebenserwartung im alten Ägypten etwa dreißig Jahre betrug. Das ist eindrücklich. Das ausgewählte Volk kommt aus Ägypten, und Mose sagt siebzig Jahre, wenn es hochkommt achtzig. Doch es ist trotzdem so schnell wie ein Gedanke.
Darum enthält dieser Psalm einen zentralen Vers: „Lehre uns, unsere Tage zu zählen, damit wir ein weises Herz erlangen.“ Mose beschreibt hier das Sterben in der Wüste.
Was ist das Thema des vierten Buches Mose? Es ist die Wüstenwanderung. Dort wird beschrieben, wie eine Generation, weil sie gegen Gott rebelliert hatte, in der Wüste sterben musste und das Land nicht erreichen durfte.
Psalm 90 wurde daher am Anfang des vierten Buches platziert, um diesen Bezug zum vierten Buch Mose herzustellen.
Wir können also wirklich weiterdenken: Auch in der Abfolge der Psalmen ist ein göttlich inspirierter Plan zu suchen.
Wir sollten uns fragen, warum nach Psalm 22 Psalm 23 kommt und warum nach Psalm 23 Psalm 24 folgt. Dabei können wir schöne Entdeckungen machen.
Die Trilogie der Hirten und des Messias
Ja, wollen wir gleich beginnen. Psalm 23 können wir auswendig, und wenn nicht, dann bald. Das ist ja oft das erste Kapitel, das Kinder als Ganzes auswendig lernen.
Nun, der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Gott wird hier als Hirte vorgestellt.
Was haben wir in Psalm 22? Ein ganz anderes Thema. In Vers 2 heißt es: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Das ist der Ruf des Gekreuzigten. In Vers 17 steht: „Sie haben meine Hände und meine Füße durchgraben.“ Das ist der Gekreuzigte. Und in Vers 15 heißt es: „Wie Wasser bin ich hingeschüttet, und alle meine Gebeine haben sich zertrennt.“ Unter der Eigenlast des Gekreuzigten renken die Knochen aus. Hier wird das Sterben des Erlösers beschrieben.
Der Herr Jesus sagt in Johannes 10: „Ich bin der gute Hirte, der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“ Also ist Psalm 22 der gute Hirte, der sein Leben lässt. In Psalm 23 finden wir auch den Hirten, der die Gläubigen führt und sie durch Not und durch das Tal des Todesschattens hindurchleitet. Das ist der große Hirte gemäß Hebräer 13.
Es gibt drei Hirtentitel des Erlösers im Neuen Testament:
- Der gute Hirte (Johannes 10)
- Der große Hirte (Hebräer 13, Vers 20): „Der Gott des Friedens aber, der aus den Toten unseren Herrn Jesus, den großen Hirten der Schafe, wiederbrachte.“
Der große Hirte der Schafe ist der Herr Jesus, der heute die Erlösten führt. Er ist der Auferstandene aus den Toten. Ja, das passt: Psalm 22 zeigt den guten Hirten, der stirbt, Psalm 23 den großen Hirten, der auferstanden ist.
Dann folgt Psalm 24, und dort sehen wir den Messias als König, der seine Herrschaft in Jerusalem antritt. Ich lese Vers 7: „Erhebt, ihr Tore, eure Häupter, und erhebt euch, ewige Pforten, dass der König der Herrlichkeit einziehe!“
Wer ist dieser König der Herrlichkeit? „Der Herr, stark und mächtig, der Herr, mächtig im Kampf.“ Erhebt, ihr Tore, eure Häupter und erhebt euch, ewige Pforten, das Einziehen des Königs der Herrlichkeit! Wer ist er, dieser König der Herrlichkeit? „Der Herr der Heerscharen, er ist der König der Herrlichkeit!“
Hier finden wir Christus als den herrschenden Messias, der in der Endzeit kommen wird, um in diese Welt Ordnung zu bringen durch sein Königtum. Er wird der Erzhirte genannt, so heißt es in 1. Petrus 5. Dort geht es um Älteste, die in den Gemeinden einen Hirtendienst tun.
Petrus sagt, ihr müsst diesen Dienst tun, nicht aus Zwang, sondern freiwillig: „Auch nicht, um euch irgendwie zu bereichern, nicht um schändlichen Gewinns willen, auch nicht als solche, die herrschen über ihre Besitztümer.“ In 1. Petrus 5, Vers 3 heißt es: „Sondern bereitwillig, nicht als die, die herrschen über ihre Besitztümer, sondern indem ihr Vorbilder der Herde seid, ein Beispiel durch euer Leben.“ So sollen sie sein.
Und wenn der Erzhirte offenbar wird, so werdet ihr den unverwüstlichen Kranz, den Siegeskranz der Herrlichkeit empfangen. Also, wenn einmal der Erzhirte, das heißt der Oberhirte, unter dem alle Ältesten als Unterhirten stehen, offenbar wird bei seinem Kommen als Herrscher, dann werdet ihr den Lohn der Treue empfangen. Im tausendjährigen Reich wird er euch den unverwüstlichen Siegeskranz der Herrlichkeit geben.
Der kommende Christus in seinem Reich ist also der Oberhirte, der Erzhirte, und das entspricht genau Psalm 24.
So finden wir in diesen drei Psalmen, die auf den ersten Blick thematisch völlig isoliert scheinen, plötzlich eine Trilogie, eine Dreierabfolge, die besonders zusammengehört. Angeregt durch solche Entdeckungen kann man weitergehen und noch mehr Verbindungen erkennen.
Es ist schon so, dass man inhaltlich eine Parallele zwischen den fünf Büchern Mose und den fünf Büchern der Psalmen erkennen kann. Ich habe dazu schon gewisse Andeutungen gemacht. Es gibt noch mehr, und selbst in der Abfolge der Psalmen findet sich ein göttlicher Plan.
Einführung in die hebräische Dichtung und Poesie
Nun möchte ich einige Worte zur hebräischen Dichtung, zur Poesie im Alten Testament sagen. Das ist nicht nur für das Psalmenlesen nützlich, sondern für etwa ein Drittel des Alten Testaments. Ein Drittel des Textes im Alten Testament ist in Versform geschrieben. Vom Umfang her entspricht das etwa dem ganzen Neuen Testament. Daher lohnt es sich, einige Grundelemente der hebräischen Poesie zu kennen. Wie ich noch zeigen werde, bleibt die Poesie im Deutschen weitgehend erhalten. Ich erkläre, wie das überhaupt möglich ist.
Die Grundstruktur der Poesie im Alten Testament besteht aus einem Vers, der aus zwei parallel gestellten Verszeilen zusammengesetzt ist. Das ist das Schulbeispiel der Dichtung: Ein Vers, bestehend aus zwei parallel verlaufenden Verszeilen. Nun müssen wir uns drei Grundtypen einprägen. Es gibt alle möglichen Variationen dazu, aber man muss ja mit den Schulbeispielen beginnen. So kann man die meiste Poesie viel besser verstehen. Wenn man das berücksichtigt und das Buch Hiob liest, liest man es plötzlich ganz anders und versteht den Text viel besser. Man macht einen großen Verständnissprung.
Die drei Typen sind:
Der erste heißt synonymer Parallelismus. Das Wort „synonym“ bedeutet ein gleichbedeutendes anderes Wort. Darum gibt es ja in der Dudenreihe einen Band, der „Synonyme“ heißt. Dort kann man ein Wort suchen und erfährt, welche anderen Wörter etwa dasselbe bedeuten.
Der synonyme Parallelismus funktioniert so: In den parallelen Verszeilen wird derselbe Gedanke mit anderen Worten ausgedrückt. Zum Beispiel Psalm 19, Vers 7 – manchmal kann die Versangabe um einen Vers variieren, weil in der alten Elberfelder Übersetzung die inspirierte Titelüberschrift nicht als Vers gezählt wird. Vers 7 lautet: „Das Gesetz des Herrn ist vollkommen, erquickt die Seele. Das Zeugnis des Herrn ist zuverlässig, machtweise den Einfältigen.“
Die erste Verszeile sagt: „Das Gesetz des Herrn ist vollkommen, erquickt die Seele.“ Nun sehen wir, dass der Ausdruck „das Gesetz des Herrn“ dem „Zeugnis des Herrn“ entspricht. Das Zeugnis des Herrn ist ein anderer Ausdruck für das Gesetz. Übrigens werden die zehn Gebote auch „das Zeugnis“ genannt. In 2. Mose 25 wird gesagt, dass das Zeugnis in die Bundeslade gelegt werden sollte. Das Zeugnis waren die zehn Gebote der Tora, die das ganze Gesetz zusammenfassen, weil sie Zeugnis davon geben, wie Gott ist. Die zehn Gebote zeigen uns, wie gerecht Gott ist. Also ist „das Gesetz des Herrn“ dasselbe wie „das Zeugnis des Herrn“.
Dann wird gesagt: „Das Gesetz des Herrn ist vollkommen.“ In der Parallele heißt es: „Das Zeugnis des Herrn ist zuverlässig.“ Also vollkommen. Hier gibt es Streit in der Theologie. Liberale Theologen sagen: Nein, die Bibel hat Fehler. Manche sagen: Ja, die Bibel ist zwar vollkommen, aber nicht unfehlbar. Das ist ein Salto mortale. So wird oft argumentiert.
Doch hier steht: „Das Gesetz des Herrn ist vollkommen“ und parallel dazu „zuverlässig“. Wenn eine Aussage in der Bibel nicht zuverlässig wäre, weil sie menschliche Irrtümer enthält, dann wäre das Gesetz nicht mehr vollkommen. So macht die hebräische Poesie durch ihre Wiederholung ganz klar, was gemeint ist. Damit kann man nicht einfach mit dem Wort „vollkommen“ spielen und sagen: Ja, die Bibel ist vollkommen, aber nicht unfehlbar. Nein, sie ist vollkommen und zuverlässig.
Die Wirkung wird in der ersten Verszeile beschrieben: „erquickt die Seele“, also die Seele wird belebt durch das Lesen. Das steht parallel zu „machtweise den Einfältigen“. Übrigens ist der Einfältige nicht einfach ein Dummling. Das hebräische Wort geht zurück auf das Verb „bata“, das „offen sein“ bedeutet. Der Einfältige ist der, der offen ist für alles. Das ist nicht dasselbe wie der Gottlose. Der Gottlose ist für göttliche Dinge nicht offen, aber der Einfältige ist offen für die guten Sachen und findet auch die schlechten nicht so daneben. Er ist eben ganz modern, offen für alles. Das ist heute ein Etikett, das man haben sollte, um in der Gesellschaft anerkannt zu sein. Wer nicht offen ist für alles, gilt als komisch. Aber die Bibel sagt: Das ist der Einfältige.
Das Gesetz des Herrn, das Zeugnis Gottes, macht den, der offen ist für alles, damit er das Böse ablehnt und das Gute bewusst wählt. Wenn man die Bibel so liest, mit diesen parallelen Verszeilen, versteht man den Text plötzlich besser.
Ein anderes Beispiel ist Psalm 119, Vers 105: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und meines Pfades Licht.“ Hier sind „Leuchte“ und „Licht“ parallel. In der ersten Zeile haben wir den Fuß, der geht, in der zweiten Zeile den Weg. Das steht nah beieinander. Einerseits zeigt das Wort Gottes, wie wir Schritt für Schritt im Leben gehen können, andererseits auch den Überblick über den Weg, den wir gehen sollen. So ergänzen sich diese beiden parallelen synonymen Zeilen.
Typisch für die hebräische Poesie ist die Knappheit der Wörter. Wenn man hebräische Poesie liest, ist man überrascht, denn im Deutschen braucht man oft viel mehr Wörter. Oft sind es nur drei Wörter pro Verszeile, sehr knapp und gedrängt. Wir sind von der deutschen Lyrik gewohnt, dass je weiter schweifend und redundanter ein Text ist, desto poetischer gilt er. Die hebräische Poesie hingegen verwendet kurze, prägnante Worte.
Das hängt damit zusammen, dass die Bibel sagt, der Gerechte mache nicht viele Worte. Er weiß genau, was er sagen will. In Prediger 5 heißt es, wir sollen nicht viele Worte vor Gott machen. Nun könnte jemand sagen: Das stimmt für die erste Zeile, aber die zweite Zeile wiederholt doch dasselbe, das ist doch weit schweifig.
Doch auch die zweite Zeile ist knapp gehalten, um die Aussage präzise und unmissverständlich zu machen. Die zweite Verszeile sorgt dafür, dass man trotz Kürze und Klarheit nicht missverstanden wird. Ich werde das noch demonstrieren, wie das klingt.
Der zweite Typ ist der antithetische Parallelismus. Hier wird in der zweiten Verszeile ein Gegensatz zum Gedanken der ersten Verszeile ausgedrückt. Das kommt besonders häufig in den Sprüchen vor. Zum Beispiel Sprüche 28, Vers 12 oder besser Vers 13: „Wer seine Übertretungen verbirgt, wird kein Gelingen haben; wer sie aber bekennt und lässt, wird Barmherzigkeit erlangen.“
Hier drückt die zweite Zeile nicht dasselbe mit anderen Worten aus, sondern den Gegensatz. Derjenige, der seine Schuld vor Gott nicht offenlegt, wird keinen Erfolg haben. Derjenige, der bekennt, bereut und aufhört, wird Barmherzigkeit erhalten.
Ein weiteres Beispiel aus den Psalmen ist Psalm 119, Vers 67: „Bevor ich gedemütigt wurde, irrte ich; jetzt aber bewahre ich dein Wort.“ Das ist der Gegensatz zwischen der Vergangenheit im Irrtum und dem neuen Leben in der Wahrheit des Wortes Gottes.
Der dritte Typ ist der synthetische Parallelismus. Die Synthese bedeutet das Zusammenbringen von zwei Dingen, die etwas Neues ergeben, einen Schritt weiterführen. Der Gedanke der ersten Verszeile wird in der zweiten ergänzt. Hier wird auf der ersten Zeile aufgebaut, nicht mit dem Gleichen oder einem Gegensatz, sondern mit einer Weiterführung.
Beispiel Psalm 119, Vers 9: „Wodurch wird ein Jüngling seinen Pfad in Reinheit wandeln? Indem er sich bewahrt nach deinem Wort.“ Frage und Antwort, das ist ein Beispiel für synthetischen Parallelismus.
Ein weiteres Beispiel ist Sprüche 4, Vers 18: „Aber der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe.“ Die erste Zeile sagt, der Gerechte ist wie Sonnenlicht, das nach der Nacht aufgeht. Die zweite Zeile ergänzt: Es wird immer heller bis zum Mittag, das göttliche Licht breitet sich immer mehr im Leben des Gläubigen aus.
Es gibt Bibelübersetzungen, in denen die Verszeilen so dargestellt sind, dass man sie sofort erkennt. Einige Übersetzungen haben das für die Psalmen, aber nicht für viele andere Bücher. Praktisch alle Prophetenbücher wie Jesaja, Jeremia und Hesekiel sind nur zum Teil so dargestellt. Die zwölf kleinen Propheten sind fast ausschließlich poetisch, alles in Verszeilen. Auch hier wäre es nützlich, die Verszeilen klar auszuzeichnen.
Wenn man das nicht hat, bekommt man mit Übung den Blick dafür, die Verszeilen auch im Fließtext zu erkennen.
Jetzt haben wir die Hauptstruktur des Parallelismus im Hebräischen kennengelernt. Diese Poesie könnte man als Gedankenreim bezeichnen. Das ist aber nicht die Form, wie im Deutschen. Dort ist für Poesie wichtig, dass Rhythmus und Reim stimmen, zum Beispiel:
„O große Erlösung erkauft durch sein Blut,
dem Sünder, der glaubt, kommt sie heute gut.
Die volle Vergebung wird jedem zuteil,
der Jesus erfasst, das göttliche Heil.“
Wenn man das ins Französische übersetzt, geht die Lyrik verloren. Die hebräische Lyrik konzentriert sich auf die Inhaltsseite, nicht auf die formale Seite. Deshalb bringt man sie auch in der Bibelübersetzung gut rüber.
Seit einigen Jahrzehnten wissen wir durch die Entdeckung der ugaritischen Keilschrifttafeln aus Nordsyrien, etwa um 1930, mehr über die kananitische Poesie. Die Ergebnisse wurden über Jahre bearbeitet. Nun wissen wir, dass diese Art von Poesie im Alten Testament auch die Poesie der kanaanitischen Völker war. Das Gebiet reichte von Israel bis nach Libanon. Hebräisch ist ein kanaanitischer Dialekt, darum wird Hebräisch in Jesaja 19 die Sprache Kanaans genannt.
Abraham kam aus Ur in Chaldäa, wo man Akkadisch sprach, eine semitische Sprache, verwandt mit Arabisch, Hebräisch und Ugaritisch. Er kam ins Land Kanaan und lernte kanaanitisch sprechen. Seine Nachkommen übernahmen diese Sprache, die wir als Hebräisch kennen. Diese Art der Poesie ist also nicht neu in der Bibel, sondern die Poesie der alten Kananiter.
Trotz der Ähnlichkeit in der Form, dem Gedankenreim, war man über den Unterschied im Inhalt verblüfft. Die ugaritische Literatur ist von widerlicher Art: Göttergeschichten mit Ba'al und vieles mehr, aber voller Pornografie, sehr widerlich und abstoßend. Wenn man dann die Psalmen liest, sind diese rein, vollkommen, zuverlässig.
Man könnte sagen: Das Gefäß ist ähnlich wie bei den Kananitern, aber der Inhalt ist so unterschiedlich wie nur möglich. Gott hat diese Form gewählt, um die poetischen Teile des Alten Testaments zu inspirieren, wohlwissend, dass das Wort Gottes nicht nur einmal auf Griechisch übersetzt werden sollte, im dritten Jahrhundert vor Christus, sondern bis 2024 in über 2300 Sprachen, zumindest Teile der Bibel, wenn nicht die ganze Bibel. So war die Bibel von Anfang an so konzipiert, dass sie für die Übersetzung in die Sprachen der Heiden geeignet ist.
So bekommen wir in allen Sprachen, wenn die Psalmen oder andere Bücher übersetzt werden, das Wesentliche der biblischen Poesie mit, obwohl wir die Grundsprache nicht kennen. Das ist schön zu sehen.
Im hebräischen Text selbst gibt es auch Rhythmus. Der Reim ist ungewöhnlich, aber Rhythmus vorhanden. Zum Beispiel können die Verszeilen einen Rhythmus von drei plus drei Betonungen haben, was typisch ist für unterweisende poetische Aussagen, besonders im Buch der Sprüche.
Dann gibt es den Rhythmus drei plus zwei, eins zwei drei eins zwei, oder eins zwei eins zwei drei eins zwei, mit Taktwechsel. Das ist typisch für die Klagelieder und hat etwas Jammerndes und seelisch Bewegtes.
Typisch sind auch Rhythmen von zwei plus zwei, oft im Hohen Lied, also fröhliche lyrische Poesie.
Festzuhalten ist, dass diese Poesie nicht in eine Form gepresst ist, in der der Takt immer gleich bleiben muss. Es gibt viel Freiheit im Taktwechsel.
Noch bevor man die ugaritische Literatur erforscht hatte, sagten liberale Theologen, die Psalmen seien miserabel überliefert. Der hebräische Text sei so schlecht, dass man Beweise für Auslassungen finde, etwa wenn ein Wort fehle, weil der Rhythmus nicht stimme.
Heute wissen wir, dass der Taktwechsel typisch ist, schon in der Poesie von Ugarit, die ins zweite Jahrtausend vor Christus zurückgeht. Diese Schriften sind Originaldichtungen, keine Abschriften über Jahrtausende. Der Taktwechsel und die Freiheit der Poesie waren damals schon vorhanden. So konnten Weise ihre Weisheit in Versform sprechen.
Oft wird gefragt, wie das mit den Freunden Hiobs war. Das ist alles Poesie in Verszeilen. Haben sie so gesprochen, oder hat ein späterer Redaktor die Gespräche umgearbeitet und daraus Poesie gemacht? Man kann davon ausgehen, dass die als große Weise tatsächlich so gesprochen haben. Das geht, weil es nicht eine so strenge Form ist wie in der deutschen Poesie. Dort ist es schwieriger, poetisch in Versform und Reim zu sprechen. Es gibt zwar Ausnahmen, aber im alten Israel war es möglich.
Nun sind wir bereit für die Pause. Eine halbe Stunde ist die große Pause mit Kuchen – also nutzt sie zum Entspannen.
Kommen wir nun zum letzten Teil über das Buch der Psalmen und seine charakteristischen Merkmale und Besonderheiten. Zunächst möchte ich nochmals auf die Poesie zurückkommen, die wir vor der Pause behandelt haben.
Ich habe bemerkt, dass manche Zuhörer nicht ganz verstanden haben, was Ugaritisch ist. Das hat nichts mit Ungarisch zu tun. In Nordsyrien wurde eine Stadt namens Ugarit ausgegraben. Dort entdeckte man Keilschrifttafeln mit einem bisher unbekannten alphabetischen Keilschriftalphabet. Die Sprache war neu, Ugaritisch, aber man konnte sie dank verwandter Sprachen wie Hebräisch, Arabisch und Akkadisch entschlüsseln. So konnte man die Literatur schließlich übersetzen.
Zum Ugaritischen das nur als Erklärung.
Jetzt möchte ich ein Beispiel geben, wie hebräische Poesie klingt, und lese Psalm 1 vor. Man achte auf die Anzahl der Betonungen und Taktwechsel. Kann ich das auf Deutsch mitlesen?
„Wahya kaetz, schattul al Palgei Mayim, asher Pirjo niten be'itoh, we'alehu lo jipol, we'chol asher yasse, yatslich lach, lo chen Herrschäim, ki im Kamotz, asher Tidfenu Ruach. Alken lo Jakumu Reshaim Bamishbat, wechataim ba adad tzaddikim, ki jodea Adonai derech tzaddikim, we derech Reshaim Toved.“
Das klingt mit neuhebräischem Akzent so. Selbst wenn man die Sprache nicht versteht, merkt man an der Intonation, der Prosodie – also Akzent, Betonung und deren Verlauf – dass es Sprache ist. Es klingt ganz anders als sogenanntes Zungenreden, das unverständliche Silben enthält und meist keine prosodische Ordnung hat.
Das ist Sprache des Heiligen Geistes, strukturiert und verständlich, auch wenn man die Wörter nicht kennt. Man merkt, da spricht jemand. Das ist ein Gegensatz, etwa wenn ich sage: „Ki jodea Adonai derech tzaddikim we derech reshaim toved“ – „Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, aber der Weg der Gesetzlosen wird vergehen.“
Das nur als Nebenbemerkung.
Natürlich gibt es in der Poesie auch Wortspiele, die in der Übersetzung nicht immer rüberkommen. Aber der Hauptaspekt der Poesie kommt in der Übersetzung mit, und darum ist es wichtig, diese Grundgedanken zu kennen und bewusst so die Psalmen zu lesen. Dann versteht man den Text wirklich besser.
Die Psalmen drücken auf einzigartige Weise die Gefühle und Empfindungen der Erlösten zu allen Zeiten der Heilsgeschichte aus. Gerade deshalb sprechen sie die Gläubigen so direkt an. Sie sprechen einem förmlich aus dem Herzen. Wer hat das nicht erlebt, dass bestimmte Psalmen genau auf die eigene Situation zugeschnitten waren und ausdrückten, was man vor Gott ausschütten wollte?
Das ist großartig. Hier haben wir wieder eine Besonderheit der hebräischen Sprache. Das hebräische Verbalsystem ist geheimnisvoll. Erst in den vergangenen Jahren hat man einen Durchbruch in der Sprachwissenschaft erreicht, um es systematisch darzustellen. Natürlich wurde es früher auch verstanden, aber so systematisch erst jetzt.
Benedikt Peters arbeitet an seiner Doktorarbeit über das Verbalsystem und bringt es auf den Punkt, fast bis zum letzten Detail. Sehr beeindruckend.
Im althebräischen Verbalsystem drücken Verben in erster Linie nicht Zeiten aus, sondern Aktionen. Die Grundform, die man im Hebräischen als Qatal lernt, ist das Perfekt, eine sehr verwirklichte Handlung, gesehen als Punkt, als Aktion.
Der Gegensatz dazu ist Jussiv oder Imperfekt (Jigdol), das eine Handlung im Verlauf oder eine gewohnheitsmäßige Handlung bezeichnet.
Erst in zweiter Linie kann Qatal eine Vergangenheit ausdrücken und Jussiv eine Zukunft. Es gibt auch Stellen, wo Qatal eine Zukunft ausdrückt und Jussiv eine Vergangenheit. Das Grundprinzip ist also die Aktion, nicht das Zeitsystem.
Man sollte sich nicht durch den Zusammenhang verwirren lassen, das wird geklärt.
Zum Vergleich: Im Chinesischen gibt es überhaupt keine Verbformen. Das Verb ist ein starrer Block, ohne Personen- oder Zeitformen, und trotzdem versteht man sich. Die Zeiten werden durch andere Wörter ausgedrückt.
Mit jeder Sprache kann man alles ausdrücken, aber die Mittel sind verschieden.
Im Hebräischen ist das Grundprinzip nicht ein Zeitsystem, sondern die Handlung als Punkt oder Linie.
Das hat Folgen für die Psalmen. Man fragt sich, wie man übersetzen soll, etwa Psalm 1, Vers 1: „Ashrei ha'ish asher lo halach...“ – „Glückselig der Mann, der nicht wandelt.“ Man könnte sagen, das ist Vergangenheitsform: „der nicht wandelte.“ Ein anderer sagt: Nein, das ist keine Zeitform, sondern zeitlos gültig: „Glückselig ist der Mann, der im Allgemeinen nicht nach dem Rat der Gottlosen wandelt.“
Es geht nicht um einen einzelnen Menschen in der Vergangenheit, sondern um eine allgemeingültige Wahrheit. Diese Gültigkeit gilt für die Zeit Davids, die Zeit der Apostel, unsere Zeit und die Zukunft.
Das ist ein wunderbarer Aspekt, warum die Psalmen eine solche Kraftquelle für Erlöste sind. Sie haben zu allen Zeiten Gültigkeit und bringen die Gefühle der Erlösten in den Nöten des Lebens zum Ausdruck.
Man kann die Psalmen auf verschiedene Arten und Ebenen angehen.
Punkt zwei: Historische Aspekte. Schauen wir uns den Titel von Psalm 3 an: „Ein Psalm Davids, als er vor seinem Sohn Absalom floh.“ Das war eine schlimme Zeit im Leben Davids. Ein Sohn rebellierte gegen ihn und stürzte ihn vom Thron. In diesem familiären und staatlichen Chaos betet David: „Herr, wie viele sind meine Bedränger! Viele erheben sich gegen mich, viele sagen von meiner Seele: Es ist keine Rettung für ihn bei Gott.“
Wir können diesen Psalm klar in dieser chaotischen Situation im Leben Davids einordnen. Aber die Psalmen haben auch heute ihre Anwendung. Das zeigt Hebräer 13, Vers 5-6:
„Der Wandel sei ohne Geldliebe; begnügt euch mit dem, was vorhanden ist. Denn er hat gesagt: Ich will dich nicht versäumen noch dich verlassen, so dass wir kühn sagen können: Der Herr ist mein Helfer, ich will mich nicht fürchten, was wird mir ein Mensch tun?“
Hier werden zwei Zitate aus dem Alten Testament verwendet: Zuerst aus Josua 1, Vers 5, ein Versprechen Gottes an Josua, dann aus Psalm 118, Vers 6, „Der Herr ist mein Helfer.“
Im Hebräerbrief wird die Zusage an Josua mit aller Selbstverständlichkeit auf uns Gläubige übertragen. Man könnte sagen: Halt, das gilt nicht für dich, das war nur für Josua. Nein, es galt für Josua, aber Gott hat es ihm gesagt, weil die Heilige Schrift eine Ermutigung für Gläubige aller Zeiten ist. Darum darf ich diese Zusage persönlich nehmen.
Dasselbe gilt für Psalm 118. Es ist nicht nur für die historische Situation damals. Hebräer 13 sagt uns, dass wir in finanziellen Belangen voll auf Gott vertrauen dürfen. Er hat diese Zusage gegeben: „Der Herr ist mein Helfer, ich will mich nicht fürchten.“
So sehen wir, dass wir nicht beim geschichtlichen Aspekt stehenbleiben dürfen. Der ist wichtig, denn das Wort Gottes ist in dieser Welt verwurzelt. Aber seine Bedeutung ist nicht darauf beschränkt. Wir dürfen Gottes Wort auf uns anwenden.
Darum heißt es in Römer 15, Vers 4, über die ganze Heilige Schrift, speziell das Alte Testament:
„Denn alles, was zuvor geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben.“
Es ist wirklich für uns geschrieben, und die Psalmen sollen uns direkt ansprechen.
Neben der heutigen Anwendung gilt auch die Prophetie. Wir haben eingangs aus Lukas 24, Vers 44 gelesen, wo Jesus zeigte, was sich in Bezug auf seine Person in den Psalmen erfüllen musste. Die Psalmen sind Prophetie auf den verheißenden Messias.
Sie sind nicht nur die Antwort der Erlösten auf Gottes Reden, sondern inspirierte Gedichte mit prophetischer Bedeutung für die Zukunft.
Die Psalmen behandeln die Höhen und Tiefen, Konflikte und Triumphe des Gläubigen. Darum endet Psalm 150 nicht mit Konflikten, sondern mit dem endgültigen Triumph Gottes in Christus.
Psalm 150 ruft auf:
„Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobet ihn in der Feste seiner Stärke, lobet ihn wegen seiner Machttaten, lobet ihn nach der Fülle seiner Größe, lobet ihn mit Schofar-Schall, das ist Tierhornschall, lobet ihn mit Harfe und Laute, lobet ihn mit Tamburin und Reigen, lobet ihn mit Seitenspiel und Schalmei, lobet ihn mit klingenden Zimbeln, lobet ihn mit schallenden Zimbeln! Alles, was Odem hat, lobe den Herrn, lobet den Herrn!“
Es geht durch Konflikte und Dunkelheit, aber es endet im Triumph des Herrn Jesus. Er wird das letzte Wort sprechen, das war auch die Hoffnung Hiobs. Er sagte in Hiob 19, Vers 25: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ Plötzlich kommt aus tiefer Depression heraus: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ Als der Letzte wird er auf der Erde stehen und das letzte Wort sprechen.
Punkt vier: Die Psalmen erhielten den Glauben der verfolgten und geprüften Gläubigen durch die Jahrtausende hindurch aufrecht. Das ist wunderbar, wenn man sich beim Lesen der Psalmen mit Gläubigen durch dreitausend Jahre verbunden fühlt – mit denen der Gemeinde und denen des Alten Testaments.
Das, was Gläubige vor 2500 oder 2600 Jahren in der babylonischen Gefangenschaft ermutigt hat, stärkt uns heute in persönlichen Problemen und Tumulten von Familie, Verwandtschaft oder Arbeit.
Ein Thema, das sich durch die Psalmen zieht, ist der Gerechte und der Gesetzlose. Das haben wir schon in Psalm 1 gefunden, der endet: „Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, aber der Weg der Gesetzlosen wird vergehen.“
Der Rascha, der Gesetzlose, ist nicht der Mensch, der Gott nicht kennt, sondern der, der von Gott und seinem Wort weiß und es bewusst ablehnt. Der Gerechte ist nicht einfach ein guter Mensch, sondern einer, der durch Glauben gerechtfertigt ist. Die Rechtfertigung durch Glauben findet sich schon im Alten Testament, ausdrücklich bei Abraham.
Diese beiden Linien werden im Neuen Testament weitergeführt. In 1. Johannes 3, Vers 10 heißt es:
„Hieran sind offenbar die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels: Wer nicht Gerechtigkeit tut, ist nicht aus Gott, und wer nicht seinen Bruder liebt.“
Der Geist Gottes teilt die Menschheit in zwei Gruppen: Kinder Gottes und Kinder des Teufels, Gerechte durch Glauben und Gesetzlose.
Paulus ermahnt in 2. Korinther 6, Vers 14, dass Gläubige und Ungläubige kein ungleiches Joch eingehen sollen. Finsternis und Licht haben keine Gemeinschaft. Christus hat keinen Zusammenhang mit Satan, der dort Belial genannt wird.
In Epheser 5, Vers 8 heißt es: „Ihr wart einst Finsternis, jetzt aber seid ihr Licht in dem Herrn.“ Aus dem Gesetzlosen kann durch Umkehr ein Gerechter werden.
In den Psalmen finden wir besonders die Gefühlsseite des Glaubens. Der Glaube betrifft alle Aspekte des Menschen: den Verstand, der unter die Autorität Gottes gestellt werden muss, und die Gefühlswelt.
In Epheser 4 lesen wir, dass der Verstand der Heiden verfinstert ist, aber durch die Bekehrung erleuchtet wird. Auch die Gefühlswelt ist durch die Sünde verdorben und wird durch die Bekehrung erleuchtet.
Die Gefühlsseite ist ein wichtiger Aspekt des Glaubens: die Freude im Glauben und das Empfinden von Geborgenheit in Jesus Christus. Das ist sehr wichtig.
Das zeigt sich eindrücklich in den Psalmen, der Gefühlsseite des Glaubens.
Wenn uns die Dinge Gottes nicht gefühlsmäßig ergreifen, haben wir sie nicht verstanden. Das sieht man bei Apollos, der in Apostelgeschichte 18 als inbrünstiger Mann beschrieben wird. Er lehrte die Dinge von Jesus sorgfältig und war inbrünstig im Geist. Er hatte verstandesmäßig klare Erkenntnisse, aber brannte im Geist.
Was oft als Gegensatz gesehen wird – Verstand und Gefühl – ist im Glauben vereint.
In der Musik sieht man das bei Bach vollendet. Seine Musik spricht verstandesmäßig sehr an, und wenn man die Struktur hört, bringt das aktives Hören. Aber ohne die Gefühlsseite wäre es keine Musik. Bei Bach sind Verstand und Gefühl so vollendet zusammengeführt wie kaum bei einem Komponisten. Er war stark durch das Evangelium der Reformation geprägt. Das ist evangelische, evangeliumsverpflichtete Musik.
Das gefühlsmäßige Echo, das die Stimme Gottes im Herzen weckt, finden wir in den Psalmen.
Ganz wichtig: In den Psalmen finden wir den Sche'ar Israel, den Überrest Israels. Wenn wir den nicht kennen, haben wir etwas Wichtiges in der Bibel noch nicht entdeckt.
Ich lese kurz aus Jesaja 10: Gott spricht, dass er in der Endzeit in Israel eine Erweckung bewirken wird.
„Wenn auch die Israeliten wären wie der Sand am Meer, nur ein Überrest wird schließlich gerettet werden.“
Dieser Überrest spielt in der Prophetie eine große Rolle. Kapitel um Kapitel in den Propheten handeln von diesem Überrest Israels, der nach der Entrückung der Gemeinde zur Bekehrung kommen wird. Zuerst 144.000, dann in der großen Drangsal ein Drittel der Bevölkerung Israels, während die anderen zwei Drittel ausgelöscht werden (Sacharja 13, Vers 8). Dann kommt der Messias.
Dieser gläubige Überrest wird eindringlich in Jesaja 10 beschrieben:
„Und es wird geschehen an jenem Tag, da wird der Überrest Israels und das Entronnene des Hauses Jakobs sich nicht mehr stützen auf den, der es schlägt, sondern sich stützen auf den Herrn, den Heiligen Israels, in Wahrheit. Der Überrest wird umkehren, der Überrest Jakobs zu dem starken Gott. Denn wenn auch dein Volk Israel wie der Sand des Meeres wäre, nur ein Überrest wird umkehren. Vertilgung ist beschlossen, sie bringt ein Heerfluten Gerechtigkeit.“
Dieser Überrest wird durch die große Drangsal gehen, die schlimmste Zeit der Menschheitsgeschichte. Die Gefühle und Empfindungen, die diese Israeliten in der großen Drangsal erleben, finden wir in den Psalmen ausgedrückt.
Der Zusammenhang mit der Prophetie ist eindrücklich.
Ich lese Jesaja 37, Vers 31:
„Das Entronnene vom Hause Juda, das Übriggebliebene, wird wieder Wurzeln schlagen und Frucht tragen. Von Jerusalem wird ein Überrest ausgehen und ein Entronnener vom Berge Zion. Der Eifer des Herrn der Heerscharen wird dies tun.“
In der Endzeit wird eine Erweckung geschehen, nicht im Ausland. Die Juden sollen zurückkehren. Diese Erweckung wird von Jerusalem ausgehen, vom Berg Zion, dem Tempelberg in Ostjerusalem. Der musste seit 1967 wieder in jüdische Hand kommen.
Von dort wird nach der Entrückung der Gemeinde die Erweckung ausgehen.
In den Psalmen sehen wir die tiefsten Ängste, die ein Mensch erleben kann. Jesus sagt in Matthäus 24, dass diese Zeit so schrecklich sein wird wie nie zuvor und nie wieder sein wird. Wenn diese Tage nicht von Gott verkürzt würden, würde kein Fleisch gerettet werden.
Die Menschheit steht am Rand der Selbstvernichtung.
In den Psalmen finden wir Menschen, die ihre Gefühle in der schwersten Zeit der Menschheitsgeschichte ausdrücken. Das macht sie für uns eindrücklicher. Wir können sagen: Wenn es uns schlecht geht, denen wird es noch schlechter gehen. Sie werden die gleichen Worte beten wie wir und trotzdem die Hoffnung behalten.
Dem Gerechten geht Licht auf in der Finsternis, Psalm 112. Das war auch das Motto der Hugenotten, nachdem sie das Evangelium entdeckt hatten und verfolgt wurden. Sie sagten einander: „Post tenebras lux“ – „Nach der Finsternis das Licht.“ Das sind Wahrheiten aus den Psalmen.
Der Sche'ar Israel, der Überrest, wird in der Zeit des Antichristen erwachen. Er wird die große Drangsal durchstehen und am Ende ins messianische Königreich gelangen. Aus größter Not in größte Freude, aus totalem Chaos in Gottes Ordnung.
Das erste Buch der Psalmen beschreibt besonders den Überrest im Land Israel. Diese wissen genau, dass sie nach Matthäus 24, Vers 13 fliehen müssen, wenn der Antichrist das Götzenbild in den Tempel stellt. Dann müssen sie auf die Berge fliehen und ins Ausland gehen.
Über die Flucht der 144.000 ins Ausland, nach Jordanien, spricht besonders das zweite Buch der Psalmen.
Psalm 42 beschreibt den Überrest auf der Flucht, Vers 2:
„Wie der Hirsch lechzt nach Wasserbächen, so lechzt meine Seele nach dir, o Gott, meine Seele dürstet nach Gott, dem lebendigen Gott. Wann werde ich kommen und erscheinen vor Gottes Angesicht?“
„Meine Tränen sind mir zur Speise geworden, Tag und Nacht, da man den ganzen Tag zu mir sagt: Wo ist dein Gott?“
Sie erinnern sich an die schöne Zeit, als sie noch im dritten Tempel Gottesdienst feierten. Doch Matthäus 24, Vers 15 sagt, dass sie fliehen müssen, wenn der Antichrist den Tempel entweiht.
Sie denken zurück an die Zeit im dritten Tempel, als sie mit der feiernden Volksmenge nach Zion zogen.
Vers 6-7: „Mein Gott, meine Seele beugt sich nieder, darum gedenke ich deiner aus dem Lande des Jordan und des Hermon, vom Berge Mitzhar.“
Sie sind geflohen auf die Berge Israels, ins Hermon-Gebirge, dann nach Jordanien. Das ist prophetisch.
Psalm 43, die Fortsetzung, bittet:
„Schaffe mir Recht, o Gott, und führe meinen Rechtsstreit gegen eine lieblose Nation, von dem Mann des Truges und des Unrechts, errette mich!“
Israel wird sich spalten in Gottlose, die dem Antichrist folgen, und in die Bekehrten. Sie bitten Gott, Recht zu schaffen gegen den Mann des Trugs, den Antichrist.
Vers 3: „Sende dein Licht und deine Wahrheit, sie sollen mich leiten, mich bringen zu deinem heiligen Berge und zu deinen Wohnungen.“
Sie wissen, sie werden zurückkehren ins Land, zum dritten Tempel, aber bitten Gott um Führung aus der Verbannung.
Im zweiten Buch der Psalmen finden wir den Überrest auf der Flucht und im Exil während der großen Drangsal.
Das dritte Buch betont Israel als Ganzes, das zwölfstämmige Volk.
Das vierte Buch betont die Nationen aus aller Welt. Darum heißt es immer wieder: „Der Herr regiert über die ganze Erde, er ist König über die ganze Erde.“ Der Fokus ist nicht mehr nur auf Israel, sondern auf die ganze Welt und die Heidenvölker, die unter Gottes Herrschaft kommen.
Das fünfte Buch berichtet von Gottes Heilswegen vom Anfang an bis ins tausendjährige messianische Königreich. Es gibt einen Überblick über Gottes Wege bis zur Vollendung, ähnlich wie das fünfte Buch Mose, das aus acht Reden Moses am Ende der Wüstenwanderung besteht.
In den Psalmen finden wir neben dem Überrest Israels den Messias mit seinen Leiden und seiner zukünftigen Herrlichkeit.
Das erste Kommen des leidenden Messias beschreibt Psalm 22, Psalm 69 usw.
Seine Herrlichkeit als König in der Zukunft finden wir in Psalm 2, Psalm 45, Psalm 110, Psalm 72.
Vom Neuen Testament bekommen wir Hinweise, welcher Psalm sich auf Jesus Christus bezieht. Dann wissen wir genau, dass Christus spricht.
Manchmal liest man Verse, die nicht wie Christus klingen, sondern wie Gläubige, nicht der Messias.
Die Psalmen sind so, dass in einem Psalm der Überrest Israels spricht, dann plötzlich Verse vom Messias, dann wieder der Überrest Israels. Der Messias vereinigt sich mit den Gläubigen Israels und im weiteren Sinn mit allen Gläubigen.
In den Psalmen finden wir Lob und Anbetung, zum Beispiel Psalm 150.
Inbrünstige Bitten, Psalm 13.
Pflegebete, Psalm 130: „Aus der Tiefe rufe ich zu dir.“
Demut und Bußgebete, Psalm 51. David war wegen Ehebruchs zerbrochen. Solange die Sünde nicht geordnet war, war seine Gemeinschaft mit Gott gebrochen. Mit tiefer Reue und Umkehr, wie in Psalm 51 ausgedrückt, kehrt der Ehebrecher zurück zu Gott.
Jubel, Psalm 66: „Jauchzt Gott, alle Erde! Besingt die Herrlichkeit seines Namens! Macht herrlich sein Lob!“
Belehrungen, Psalm 32, Vers 9: „Gott spricht: Ich will dich unterweisen und dich lehren den Weg, den du wandeln sollst. Mein Auge auf dich richtend will ich dir raten: Sei nicht wie ein Ross oder Maultier, das keinen Verstand hat. Mit Zaum und Zügel musst du sie bändigen, sonst nahen sie dir nicht.“
Gott möchte uns nicht wie ein störrisches Ross behandeln, sondern mit seinen Augen leiten. Das geht nur, wenn wir Augenkontakt haben. Gehorsame Kinder kann man mit Blicken führen. Wenn der Kontakt fehlt, muss man Zaum und Zügel nehmen.
Gott möchte uns mit Blicken leiten, und unsere Augen sollen auf ihn gerichtet sein, auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens.
In den Psalmen finden wir diese Bandbreite.
Wir finden auch Nachsinnen, Psalm 73: Ein Gläubiger denkt über das Leben nach. Er ist aufgewühlt über die Dinge, die er sieht. Er sagt: „Beinahe wäre ich gefallen, aber als ich in die Heiligtümer Gottes ging, wurde mir klar, was das Ende der Gottlosen sein wird.“ Das brachte ihn zur Ruhe.
Wir finden Geschichte, Psalm 105 rekapituliert die Heilsgeschichte Israels in poetischer Form.
Wir finden Prophetie, Psalm 22 bezieht sich klar Vers für Vers auf den gekreuzigten Christus.
Wenn man mit Juden spricht, die Psalm 22 kennen, fragt man: „Wer hat Psalm 22 geschrieben?“ Antwort: König David. „Von wem spricht dieser Psalm?“ Das weiß man nicht genau. Ein rabbinischer Kommentar aus dem Mittelalter bezieht Psalm 22 auf den leidenden Messias, der für die Sünden der Menschheit stirbt.
Es gibt Psalmen, von denen wir wissen, dass sie Wochentagspsalmen im Tempel waren. Am Sonntag sang der levitische Chor Psalm 24, am Montag Psalm 48, Dienstag Psalm 82, Mittwoch Psalm 94, Donnerstag Psalm 81, Freitag Psalm 93, Samstag Psalm 92, der Sabbatsp Psalm.
Diese Hinweise finden sich in der Septuaginta, wo verzeichnet ist, für welchen Tag die Psalmen gedacht sind. Im Talmud wird gesagt, dass diese Psalmen an diesen Wochentagen im Zusammenhang mit dem Opfer im Tempel gesungen wurden. In jüdischen Gebetsbüchern, den Siturim, findet man diese Tagespsalmen noch heute.
Interessant wäre die Beziehung zu den Wochentagen der Leidenswoche Jesu von Palmsonntag bis Auferstehung. Das ist ein Thema für einen ganzen Nachmittag.
Ich habe das in meinem Buch „Der Messias im Tempel“ ausführlich dargestellt. Jeder Tagespsalm stimmt inhaltlich mit dem überein, was in der Passionswoche in den Evangelien geschieht.
Am Palmsonntag sangen sie: „Ihr Tore der Urzeit, hebt eure Häupter, damit einziehe der König der Herrlichkeit!“ Jesus ritt vom Ölberg auf einem Esel nach Jerusalem, von der Volksmenge als König und Messias begrüßt.
Wer ist dieser König? „Herrlichkeit, Yahweh, der Herr mächtig im Kampf.“ So geht es durch die ganze Passionswoche bis zum Auferstehungstag, dem nächsten Sonntag.
Der Herr Jesus steht als Sieger aus dem Grab auf. Die Jünger sind ängstlich beieinander, die Türen verschlossen aus Furcht vor den führenden Juden. Plötzlich tritt der König der Herrlichkeit in ihre Mitte und sagt: „Shalom Aleichem – Friede euch.“ Er zeigt seine Hände und Seiten, und sie freuen sich.
So ist es.
Wir könnten noch bis Pfingsten weitermachen, fünfzig Tage später, wieder ein Sonntag. Da zieht der Heilige Geist in die Herzen der Erlösten ein. Der Herr kommt durch den Heiligen Geist zurück und zieht in die Herzen ein.
Das ist wunderbar, aber ich wollte das hier nicht behandeln, wegen der Zeit. Das war keine Versehen, nur eine Andeutung.
Der ganze Nachmittag soll die Freude am Psalmenlesen fördern. So wie es Spurgeon erging. Er schrieb vier dicke Bände über alle Psalmen, „Die Schatzkammer Davids“. Dieser große Evangelist Englands im 19. Jahrhundert arbeitete zwanzig Jahre daran.
Den Kommentar kann man auf Deutsch kaufen, preisgünstig bei CLV. Ich bekomme keine Tantiemen.
In der Einleitung hört man, wie er sagt: Nach zwanzig Jahren Arbeit an den Psalmen muss ich meine Feder mit wehmütigem Herzen weglegen. Wie wunderbar war die Zeit der Gemeinschaft mit dem Herrn, wo ich mich im Lob der Erlösten vereinen konnte. Das prägte sein Leben.
Es gibt eine besondere Gruppe, die sogenannten Hallel-Psalmen, Psalm 113 bis 118. Sie werden heute noch im Judentum zum Passahfest gelesen.
In Matthäus 26,30 heißt es, dass sie nach dem letzten Passahmahl, als Jesus das Abendmahl einsetzte, ein Loblied sangen. „Hymnos“ ist der hebräische Ausdruck für diese Psalmen 113 bis 118.
Sie waren bei Psalm 118 angelangt, dann gingen sie weiter zum Garten Gethsemane.
Psalm 118 sagt: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.“ Der verworfene Messias schafft einen neuen Tempel, die Gemeinde.
In diesen Hallelpsalmen ist auch Psalm 116, der sagt: „Den Becher der Rettung nehme ich.“ Wenn man weiß, dass Jesus diese Psalmen mit den Jüngern am Abend des Abendmahls gesungen hat, bekommt das eine besondere Bedeutung.
Die Hallelpsalmen waren wichtig für die Passahwoche und auch für das Laubhüttenfest im Tempel.
Es gibt eine andere Gruppe, die Lieder der Hinaufzüge, die Stufenlieder. Das sind Psalmen 120 bis 134. Sie wurden auf den Reisen nach Jerusalem zu den Festen Passah, Pfingsten und Laubhütten gesungen.
Alle Männer ab dreizehn Jahren mussten aus ganz Israel zum Fest nach Jerusalem kommen. Frauen durften freiwillig mitkommen, je nach Umständen.
Auf der Reise nach Jerusalem sang man diese Psalmen oft mit Flötenbegleitung, Jesaja 30, Vers 29.
Wenn man das weiß, liest man Psalm 122 mit anderem Hintergrund. Der zwölfjährige Jesus wurde kurz vor seinem dreizehnten Geburtstag mitgenommen. Ab dreizehn war die Teilnahme verpflichtend.
Lukas berichtet, dass Jesus mit den Leuten von Nazareth auf dem Weg nach Jerusalem Psalm 122 mitgesungen hat: „Ich freute mich, als sie zu mir sagten: Lasst uns zum Haus des Herrn gehen! Unsere Füße werden in deinen Toren stehen, Jerusalem.“
Der zwölfjährige Jesus blieb im Tempel und sagte seinen erschreckten Eltern: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ Er liebte den Tempel, das Haus des Vaters.
Diese Psalmen wurden auf der Reise mit Flötenbegleitung gesungen.
Es gibt alphabetische Psalmen, die nach dem Alphabet aufgebaut sind, zum Beispiel Psalm 9 und 10 zusammen eine Einheit, auch Psalm 25, 34, 37, 111, 112, 119, 145.
Psalm 119 besteht aus 22 Strophen mit je acht Versen. Die ersten acht Verse beginnen mit Alef, die zweiten mit Bet, und so weiter durch das Alphabet.
Etwa ein Drittel der etwa 360 direkten Zitate des Alten Testaments im Neuen Testament stammen aus den Psalmen. Das zeigt, wie wichtig die Psalmen für das Neue Testament sind.
Die Psalmen beziehen sich auf die frühere Heilsgeschichte: 1. Mose, 2. Mose, Josua, Samuel, Könige, Chronik. Sie zeigen, wie der Glauben in der Geschichte verankert war. Es waren keine Spekulationen, sondern der gefühlsmäßige Glaube war in der Heilsgeschichte begründet.
26 Mal findet sich in den Psalmen der Ausdruck „glückselig“, so beginnt Psalm 1. Wenn jemand traurig ist, kann er diese Stellen nachlesen und erfahren, wie man glückselig wird.
Noch kurz zum Schluss: In manchen Psalmen steht in der Überschrift „Lamnazeach“, das bedeutet „für den Dirigenten“, der den Tempelchor leitete.
In manchen Psalmen findet sich das Wort „Sela“, das bedeutet Pause mit musikalischem Zwischenspiel. Die Sänger schweigen, und es geht nur instrumental weiter. Das dient dazu, über das Gehörte nachzudenken mit feiner musikalischer Untermalung.
Es gibt eine Reihe von Psalmen, die im Titel „Maskil“ tragen, das bedeutet Lehrgedicht. Sie sind besonders dazu gegeben, um Einfältige verständig zu machen. Die Verständigen der Endzeit werden im Buch Daniel, Kapitel 11 und 12, „Maskilim“ genannt, die Verständigen.
Das Wort Gottes will uns zu solchen Verständigen machen, die mit der Heiligen Schrift verbunden sind und aus ihr leben.
So war das eine kleine Einführung in das Buch der Psalmen.
Antithetischer Parallelismus
Zweites Beispiel: Der antithetische Parallelismus
Dem in der ersten Verszeile ausgedrückten Gedanken wird in der zweiten ein Kontrast gegenübergestellt. Diese Form kommt besonders häufig in den Sprüchen vor. Deshalb nehme ich zuerst ein Beispiel aus dem Buch der Sprüche, Kapitel 28, Vers 13.
Wer seine Übertretungen verbirgt, wird kein Gelingen haben; wer sie aber bekennt und lässt, wird Barmherzigkeit erlangen.
Hier wird deutlich: Die zweite Zeile drückt nicht dasselbe mit anderen Worten aus, sondern stellt den Gegensatz dar. Derjenige, der vor Gott seine Schuld nicht aufdecken will und die Folgen nicht trägt, steht im Gegensatz zu dem, der seine Schuld offenbart, bereut, sie lässt und die Folgen davon annimmt.
Ein weiteres Beispiel findet sich in den Psalmen, Psalm 119, Vers 67:
Bevor ich gedemütigt wurde, irrte ich; jetzt aber bewahre ich dein Wort.
Auch hier zeigt sich der Gegensatz zur ersten Zeile. Die erste Zeile beschreibt die Vergangenheit im Irrtum, die zweite das neue Leben in der Wahrheit des Wortes Gottes.
Synthetischer Parallelismus
Nun noch ein drittes Beispiel: der dritte Typ, den ich meine, ist der synthetische Parallelismus. Die Synthese bedeutet, zwei Dinge zusammenzubringen, die dann etwas Neues ergeben und einen Schritt weiterführen.
Der Gedanke der ersten Verszeile wird in der zweiten ergänzt. Hier wird also auf der ersten Zeile aufgebaut – nicht mit dem Gleichen, nicht mit einem Kontrast, sondern mit einer Weiterführung.
Psalm 119,9: Wodurch wird ein Jüngling seinen Pfad in Reinheit wandeln? Indem er sich bewahrt nach deinem Worte.
Frage und Antwort – das ist ein Beispiel für synthetischen Parallelismus.
Ein weiteres Beispiel ist Sprüche 4,18: Aber der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe.
Die erste Zeile drückt aus, dass der Gerechte so ist wie das Sonnenlicht: Nach der Dunkelheit der Nacht geht das Licht über den Bergen auf. Doch damit endet es nicht.
Genauso wie die Sonne dann aufsteigt bis zur Mittagshöhe und ihre volle Leuchtkraft entfaltet, so wird der Weg des durch Glauben Gerechtgewordenen immer heller. Das göttliche Licht breitet sich immer mehr in seinem Leben aus, bis zur Tageshöhe. Die zweite Zeile lautet also: „das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe.“
Es gibt Bibelübersetzungen, in denen die Verszeilen so im Text ausgedruckt sind, dass man sie sofort erkennt. Manche Übersetzungen haben das für die Psalmen, aber nicht für viele andere Bücher. Praktisch alle Prophetenbücher – Jesaja, Jeremia nicht immer, Hesekiel nur zum Teil – und dann alle zwölf kleinen Propheten sind praktisch nur poetisch, alles Poesie, alles in Verszeilen.
Auch hier wäre es nützlich, wenn in der Bibelübersetzung diese Zeilen klar ausgedruckt würden. So könnte man sie auf einen Blick erkennen. Wenn man das nicht so in seiner Bibel hat, bekommt man mit der Zeit durch Übung den Blick dafür, die Verszeilen auch in einem Fließtext sofort zu erkennen.
Wir haben nun etwas von der Hauptstruktur des Parallelismus im Hebräischen gesehen. Dabei wird uns klar: Diese Poesie könnte man als Gedankenreim bezeichnen. Das ist dennoch nicht dieselbe Form wie im Deutschen. Dort ist für die Poesie der Rhythmus und der Reim sehr wichtig, zum Beispiel:
„O große Erlösung erkauft durch sein Blut,
dem Sünder, der glaubt, kommt sie heute zugut.
Die volle Vergebung wird jedem zuteil,
der Jesus erfasst, das göttliche Heil.“
Wenn man das nur ins Französische übersetzt, geht die ganze Lyrik verloren.
Die hebräische Lyrik konzentriert sich aber auf die inhaltliche Seite, nicht auf die formale Seite. Deshalb bringt man sie auch in der Bibelübersetzung so rüber.
Seit einigen Jahrzehnten wissen wir einiges über die kanaanitische Poesie, durch die Entdeckung der ugaritischen Keilschrifttafeln aus Nordsyrien. Diese wurden um 1930 entdeckt und bearbeitet. Es dauerte noch Jahre, bis die Ergebnisse vorlagen. Heute wissen wir, dass diese Art von Poesie im Alten Testament auch die Poesie der kanaanitischen Völker war – also im Land Israel bis nach Libanon, dem kanaanitischen Gebiet.
Hebräisch ist ein kanaanitischer Dialekt, darum wird Hebräisch in Jesaja 19 auch „die Sprache Kanaans“ genannt. Abraham kam aus Ur in Chaldäa, wo man Akkadisch sprach – ebenfalls eine semitische Sprache, verwandt mit Arabisch, Hebräisch und Ugaritisch. Er kam ins Land Kanaan und lernte kanaanitisch sprechen. Seine Nachkommen übernahmen das, und darum sprechen sie in der Bibel eben kanaanitisch, das heißt Hebräisch.
Diese Art der Poesie ist also nichts Neues in der Bibel, sondern schon die Poesie der alten Kananiter. Trotz der Ähnlichkeit in der Form, dem Gedankenreim, war man über den Unterschied im Inhalt verblüfft.
Die ugaritische Literatur ist nämlich etwas vom Widerlichsten, was es gibt. Es sind Göttergeschichten mit Ba'al und so weiter, aber alles reine Pornografie – sehr widerlich und abstoßend. Wenn man dann die Psalmen liest, sind sie rein, vollkommen und zuverlässig.
Man könnte sagen: Das Gefäß ist zwar ähnlich wie bei den Kananitern, aber der Inhalt ist so unterschiedlich, wie es nur geht.
Gott hat diese Form gewählt, um die poetischen Teile des Alten Testaments zu inspirieren – wohlwissend im Blick auf die Weltmission. Das Wort Gottes sollte nicht nur einmal auf Griechisch übersetzt werden, im dritten Jahrhundert vor Christus, sondern bis 2004 in über 2300 Sprachen, zumindest Teile der Bibel, wenn nicht die ganze Bibel.
So war die Bibel schon so konzipiert, dass sie eigentlich richtig dafür gemacht war, in die Sprachen der Heiden übersetzt zu werden. Deshalb bekommen wir in allen Sprachen, wenn die Psalmen oder andere Bücher übersetzt werden, das Wesentliche der biblischen Poesie mit – auch wenn wir die Grundsprache nicht kennen. Das ist schön zu sehen.
Im hebräischen Text selbst gibt es zudem Rhythmus. Der Reim ist ungewöhnlich, aber Rhythmus ist vorhanden. Zum Beispiel können die Verszeilen einen Rhythmus von drei plus drei haben. Das ist sehr typisch für unterweisende poetische Aussagen, besonders im Buch der Sprüche.
Dann gibt es den Rhythmus von drei plus zwei, eins zwei drei, eins zwei, eins zwei drei, eins zwei – ein Taktwechsel, der typisch für die Klagelieder ist. Er hat etwas sehr Jammerndes und seelisch Bewegtes an sich.
Typisch ist auch der Rhythmus zwei plus zwei, der oft im Hohen Lied vorkommt – also fröhliche lyrische Poesie.
Festzuhalten ist: Diese Poesie ist nicht in eine Form gepresst, bei der der Takt immer gleich bleiben muss. Es gibt viel Freiheit im Taktwechsel.
Noch bevor man die ugaritische Literatur erforscht hatte, sagten liberale Theologen, die Psalmen seien miserabel überliefert. Der hebräische Text sei so schlecht, dass man das nicht lesen könne.
Doch wir können Hebräisch lesen und sehen, dass der Rhythmus ständig wechselt. Wenn es drei Betonungen hat und dann zwei folgen, ist das nicht ein Hinweis auf ein ausgefallenes Wort, sondern ein typischer Taktwechsel.
Heute wissen wir, dass der Taktwechsel sehr typisch ist – schon in der Poesie von Ugarit, die zurückgeht auf das zweite Jahrtausend vor Christus. Das sind originale Dichtungen, keine Abschriften über Jahrtausende hinweg. Wir haben originale Schriften aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus.
Der Taktwechsel, also diese Freiheit der Poesie, war damals schon vorhanden. Deshalb war es möglich, poetisch zu sprechen. Weise konnten ihre Weisheit in Versform ausdrücken.
Oft kommt die Frage auf: Wie war das mit den Freunden Hiobs? Das ist alles Poesie, alles in Verszeilen. Haben sie wirklich so mit Hiob gesprochen, oder hat ein späterer Redaktor diese Gespräche völlig umgearbeitet und daraus Poesie gemacht?
Wir können davon ausgehen, dass die Freunde Hiobs als große Weisen, für die sie sich auch selbst hielten, tatsächlich so gesprochen haben. Das ist möglich, weil es keine so strenge Form ist wie in der deutschen Poesie.
In der deutschen Sprache ist es schwieriger, einfach so poetisch in Versform und Reim miteinander zu sprechen. Es gibt zwar Leute, die in komplizierten Versmaßen, die auf die Griechen zurückgehen, sprechen können. Aber das sind Ausnahmen.
Im alten Israel kann man davon ausgehen, dass Weise tatsächlich so miteinander sprechen konnten.
Vorbereitung auf die Pause und weitere Erläuterungen
Ja, wir sind jetzt bereit für die Pause. Eine halbe Stunde ist also die große Pause mit Kuchen. Nutzt diese Zeit zum richtigen Entspannen.
So, wir kommen jetzt zum letzten Teil über das Buch der Psalmen. Dabei sehen wir verschiedene charakteristische Merkmale und Besonderheiten. Zuvor möchte ich aber noch einmal auf die Poesie zurückkommen, die wir vor der Pause im Alten Testament behandelt hatten.
Ich habe gemerkt, dass einige Zuhörer nicht ganz verstanden haben, was Ugaritisch ist. Das hat also nichts mit Ungarisch zu tun. Es gibt in Nordsyrien eine Stadt, die man ausgegraben hat und die den Namen Ugarit trägt. Die Keilschrifttafeln, die man dort entdeckt hat, enthielten eine Schrift, die bisher noch nicht bekannt war. Es handelt sich um ein alphabetisches Keilschriftalphabet, das dort verwendet wurde. Auch die Sprache war völlig neu und unbekannt: Ugaritisch.
Man konnte die Sprache aufschlüsseln dank verwandter Sprachen wie Hebräisch, Arabisch, Akkadisch und so weiter. Darum konnte man die gesamte Literatur schließlich übersetzen. Also, das zum Ugaritischen.
Jetzt möchte ich noch ein Beispiel geben, wie hebräische Poesie klingt, und lese Psalm 1 vor. Man achte dabei auf die Anzahl der Betonungen und auch die Taktwechsel. Kann ich das auf Deutsch mitlesen?
„Wahya kaetz, schattul al Palgei Mayim, asher Pirjo niten be'itoh, we'alehu lo jipol, we'chol asher yasse, yatslich lach, lo chen Herrschäim, ki im Kamotz, asher Tidfenu Ruach. Alken lo Jakumu Reshaim Bamishbat, wechataim ba adad tzaddikim, ki jodea Adonai derech tzaddikim, we derech Reshaim Toved.“
So klingt das mit neuhebräischem Akzent. Und was zu sagen ist: Selbst wenn man die Sprache nicht versteht, merkt man, dass hier Sprache vorliegt. Das erkennt man an der ganzen Intonation. In der Sprachwissenschaft nennt man das Prosodie. Sie umfasst Akzent, Betonung und den Verlauf der Betonung. Man merkt, das ist Sprache.
Vielleicht stellt man auch fest, dass das ganz anders klingt als sogenanntes Zungenreden. Das sind unverständliche Silben, die normalerweise auch nicht prosodisch geordnet sind. Aber das hier ist Sprache des Heiligen Geistes. Und wir merken tatsächlich, dass es Sprache ist und in sich strukturiert – selbst wenn man die Wörter gar nicht versteht. Man merkt, da spricht jemand.
Das ist ein Gegensatz. Ja, wenn ich sage: „Ki yodea Adonai derech tzaddikim we derech reshaim toved“, heißt das: „Denn der Herr kennt den Weg des Gerechten, aber der Weg der Gesetzlosen wird vergehen.“ Gut, also das nur als Nebenbemerkung.
Wir haben natürlich auch Wortspiele in der Poesie und so weiter. Das kommt in der Übersetzung meistens nicht rüber. Aber, wie gesagt, der Hauptaspekt der Poesie wird auch in der Übersetzung deutlich. Darum ist es so wichtig, diese Grundgedanken, wie ich sie vorgestellt habe, zu kennen und bewusst so Psalmen zu lesen. Dann versteht man den Text plötzlich wirklich besser.
Die emotionale Kraft und zeitlose Gültigkeit der Psalmen
Die Psalmen drücken auf einzigartige Weise die Gefühle und Empfindungen der Erlösten zu allen Zeiten der Heilsgeschichte aus. Gerade deshalb spricht dieses Bibelbuch die Gläubigen im Allgemeinen so direkt an. Sie sprechen einem förmlich aus dem Herzen.
Wer hat nicht schon in verschiedenen Lebensphasen erlebt, wie ganz bestimmte Psalmen genau auf die jeweilige Situation zugeschnitten waren? Sie drücken genau das aus, was man vor Gott ausschütten und loswerden wollte. Das ist das Großartige daran.
Auch hier zeigt sich eine Besonderheit der hebräischen Sprache. Das hebräische Verbalsystem ist etwas ganz Geheimnisvolles. Erst in den vergangenen Jahren wurde in der Sprachwissenschaft ein Durchbruch erzielt, um es systematisch darzustellen. Natürlich hat man das auch früher verstanden, aber eine so systematische Darstellung ist erst in den letzten Jahren gelungen.
Übrigens arbeitet Benedikt Peters an seiner Doktorarbeit über das hebräische Verbalsystem. Was ich gesehen habe, bringt er die Thematik wirklich auf den Punkt – wenn nicht sogar auf den letzten Punkt. Es ist beeindruckend, was er da erarbeitet.
Nun zu etwas ganz Wichtigem: Im althebräischen Verbalsystem drücken die Verben in erster Linie keine Zeiten aus, sondern Aktionen. Zum Beispiel die Grundform, die man im Hebräischen als Katal lernt, bedeutet einfach eine Handlung als Punkt, als Aktion. Je nach Kontext wird Katal auch als Perfekt bezeichnet, was eine abgeschlossene Handlung meint.
Demgegenüber steht Yigdol, das eine Handlung in ihrem Verlauf oder eine gewohnheitsmäßige, immer wieder ausgeführte Handlung beschreibt. Diese beiden Formen stehen sich also gegenüber.
Erst in zweiter Linie kann Katal eine Vergangenheit ausdrücken und Yigdol eine Zukunft. Es gibt aber auch Stellen, an denen Katal eine Zukunft und Yigdol eine Vergangenheit ausdrückt. Das Grundprinzip bleibt jedoch: Man sollte sich nicht verwirren lassen. Der Zusammenhang klärt die Bedeutung.
Zum Vergleich: Im Chinesischen gibt es überhaupt keine Verbformen. Das Verb ist dort ein starrer Block, es gibt keine Unterscheidung nach Personen oder Zeiten wie Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft. Trotzdem versteht man sich im Chinesischen. Die zeitlichen Zusammenhänge werden durch andere Wörter deutlich gemacht.
Mit jeder Sprache kann man alles ausdrücken, aber die Mittel sind verschieden. Im Hebräischen ist das Grundprinzip kein Zeitsystem, obwohl verschiedene Zeitseiten ausgedrückt werden können. Das Grundsystem ist vielmehr, dass die Handlung als Punkt oder als Linie gesehen wird.
Das hat Folgen für die Psalmen. Man fragt sich zum Beispiel, wie man den Satz Aschree, Ha'isch, Ascherlo, Halach, Halach übersetzen soll. Jemand könnte sagen, das sei eine Vergangenheitsform: „Glückselig der Mann, der nicht wandelte im Rat der Gottlosen.“ Ein anderer meint dagegen, das sei kein Zeitsystem, sondern zeitlos auszudrücken: „Glückselig der Mann, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen.“
Diese zweite Interpretation ist eine gute Überlegung. Es geht hier nicht um eine Person in der Vergangenheit, sondern um eine zeitlos gültige Aussage. Glückselig, von Gott gesegnet und umgeben ist der Mann, der im Allgemeinen nicht nach den Überlegungen der Gottlosen lebt – nicht nach dem Zeitgeist dieser Welt.
Diese Aussage gilt zur Zeit Davids, zur Zeit der Apostel, für unsere heutige Zeit und wird auch in Zukunft Gültigkeit haben. Das ist ein wunderbarer Aspekt. Oft, wo man eine Vergangenheitsform liest, könnte diese genauso gut eine Gegenwartsform sein, die nicht einfach die Gegenwart meint, sondern das zeitlos Gültige für alle Zeiten.
Darum haben die Psalmen eine solche Kraftquelle für die Erlösten. Sie hatten zu allen Zeiten ihre Gültigkeit und bringen die Gefühle der Erlösten in den Nöten des Lebens zum Ausdruck.
Historische Aspekte und Anwendung der Psalmen
Man kann die Psalmen auf verschiedene Arten und auf unterschiedlichen Ebenen angehen.
Punkt zwei auf dem Blatt: historische Aspekte. Schauen wir uns einmal den Titel von Psalm 3 an: „Ein Psalm von David, als er vor seinem Sohn Absalom floh.“ Es war eine schlimme Zeit im Leben Davids. Ein Sohn rebellierte gegen ihn und stürzte ihn vom Thron. In dieser Zeit des familiären und staatlichen Umsturzes, in diesem Chaos, betet David: „Herr, wie viele sind meine Bedränger, viele erheben sich gegen mich, viele sagen von meiner Seele, es ist keine Rettung für ihn bei Gott.“
Wir können diesen Psalm also ganz klar einordnen. Er entstand in dieser chaotischen und tragischen Situation im Leben des Königs David. Doch die Psalmen haben ihre Anwendung vollkommen für uns heute. Dieser Psalm beschränkt sich nicht nur auf die Not Davids. Das können wir aus Hebräer 13,5-6 ableiten. Dort lesen wir ab Vers 5: „Der Wandel sei ohne Geldliebe, begnügt euch mit dem, was vorhanden ist, denn er hat gesagt: Ich will dich nicht versäumen noch dich verlassen, so dass wir kühn sagen mögen: Der Herr ist mein Helfer, und ich will mich nicht fürchten, was wird mir ein Mensch tun?“
Hier finden sich zwei Zitate aus dem Alten Testament: zuerst aus Josua 1,5, ein Versprechen Gottes an Josua, und dann ein Vers aus Psalm 118,6, nämlich „Der Herr ist mein Helfer“. Im Hebräerbrief wird die Zusage an Josua mit aller Selbstverständlichkeit auf uns Gläubige übertragen. Da könnte jemand sagen: „Halt, halt, halt, dieser Vers gilt nicht für dich, das ist an Josua gerichtet, das galt für die Zeit Josuas.“ Nein, das hat für Josua gegolten, aber Gott hat es ihm gesagt, weil die Heilige Schrift eben eine Ermutigung für die Gläubigen aller Zeiten ist. Darum darf ich diese Zusage ganz persönlich für mich nehmen und Gottes Wort an mich hören.
Und das gilt auch für Psalm 118. Man kann nicht sagen, das sei nur für die historische Situation damals gedacht. Nein, Hebräer 13 sagt mit aller Selbstverständlichkeit: Schaut, in finanziellen Belangen dürfen wir voll auf Gott vertrauen. Er hat diese Zusage gegeben: „Der Herr ist mein Helfer, ich will mich nicht fürchten.“
So wird deutlich, dass wir nie beim rein geschichtlichen Aspekt stehenbleiben dürfen. Dieser ist zwar wichtig, denn er zeigt uns, dass das Wort Gottes in der Realität dieser Welt verwurzelt ist. Doch die Bedeutung ist nicht darauf beschränkt. Wir dürfen Gottes Wort auf uns anwenden. Darum heißt es in Römer 15,4, im Blick auf die ganze Heilige Schrift, speziell das Alte Testament: „Denn alles, was zuvor geschrieben ist“ – und das wird nach einem Psalmzitat gesagt – „ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben.“
Also ist es wirklich für uns geschrieben, und die Psalmen sollen uns ganz direkt ansprechen. Neben dieser Anwendung für heute gilt auch die Prophetie. Wir haben bereits eingangs aus Lukas 24,44 gelesen, wo der Herr Jesus zeigte, was sich alles erfüllen musste in Bezug auf seine Person in den Psalmen.
Die Psalmen sind also Prophetie – Prophetie auf den verheißenden Messias hin. Sie sind nicht nur die Antwort der Seelen der Erlösten auf Gottes Reden, sondern inspirierte Gedichte, die prophetische Bedeutung haben im Blick auf die Zukunft. Die Psalmen behandeln Höhen und Tiefen, Konflikte, aber auch die Triumphe des Gläubigen.
Darum endet Psalm 150 nicht mit dem Konflikt, sondern mit dem endgültigen Triumph Gottes in Christus. Deshalb dieser wunderbare, nicht zu überbietende Triumph von Psalm 150:
„Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobet ihn in der Feste seiner Stärke, lobet ihn wegen seiner Machttaten, lobet ihn nach der Fülle seiner Größe, lobet ihn mit Schofarschall“ – das ist Tierhornschall – „lobet ihn mit Harfe und Laute, lobet ihn mit Tamburin und Reigen, lobet ihn mit Seitenspiel und Schalmei, lobet ihn mit klingenden Zimbeln, lobet ihn mit schallenden Zimbeln! Alles, was Odem hat, lobe den Herrn! Lobet den Herrn!“
Es geht durch Konflikte und Dunkelheit, aber es endet im Triumph des Herrn Jesus. Er wird das letzte Wort sprechen. Das war auch die Hoffnung Hiobs. Er sagte in Hiob 19,25: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ Plötzlich kommt aus der tiefen Depression heraus: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ Und als der Letzte wird er auf der Erde stehen. Das heißt, er wird das letzte Wort sprechen über diese Erde.
So, Punkt vier: Die Psalmen erhielten den Glauben der verfolgten und geprüften Gläubigen durch die Jahrtausende hindurch aufrecht. Das ist etwas Wunderbares. Wenn man die Psalmen liest, fühlt man sich verbunden mit Gläubigen durch mehr als drei Jahrtausende hindurch – mit den Gläubigen der Gemeinde, aber auch mit den Gläubigen im Alten Testament. Was Gläubige vor 2.500 oder 2.600 Jahren in der babylonischen Gefangenschaft ermutigt und gestärkt hat, stärkt uns heute in unseren ganz persönlichen Problemen und Tumulten von Familie, Verwandtschaft, Arbeitsplatz und so weiter.
Der Gegensatz von Gerechten und Gesetzlosen in den Psalmen
Ein Thema, das sich durch die Psalmen zieht, ist der Gegensatz zwischen dem Gerechten und dem Gesetzlosen. Dies haben wir bereits in Psalm 1 gefunden, der mit den Worten endet: „Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, aber der Weg der Gesetzlosen wird vergehen.“
Der Rascha, der Gesetzlose, ist nicht einfach der Mensch, der Gott nicht kennt, sondern derjenige, der von Gott und seinem Wort weiß und es bewusst ablehnt. Dieser Mensch wird dargestellt, ebenso wie der Gerechte. Dabei ist der Gerechte nicht einfach jemand, der gut lebt, weil er gut ist, sondern derjenige, der durch Glauben gerechtfertigt wurde. Die Rechtfertigung durch Glauben finden wir bereits im Alten Testament, ausdrücklich bei Abraham.
Diese beiden Linien werden im Neuen Testament weitergeführt. In 1. Johannes 3,10 heißt es: „Hieran sind offenbar die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels: Jeder, der nicht Gerechtigkeit tut, ist nicht aus Gott, und wer nicht seinen Bruder liebt, ist auch nicht aus Gott.“ Durch den Geist Gottes teilt sich die Menschheit in zwei Gruppen: die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels, die Gerechten, die durch Glauben gerechtfertigt sind, und die Gesetzlosen.
In 2. Korinther 6,14 ermahnt Paulus, dass Gläubige und Ungläubige kein ungleiches Joch eingehen sollen. Finsternis und Licht haben keine Gemeinschaft, Christus hat keinen Zusammenhang mit Satan, der dort Belial genannt wird. In Epheser 5,8 wird gesagt: „Ihr wart einst Finsternis, jetzt aber seid ihr Licht in dem Herrn.“ Aus dem Gesetzlosen kann also durch Umkehr ein Gerechter werden.
In den Psalmen finden wir besonders die Gefühlsseite des Glaubens. Glaube betrifft alle Aspekte des Menschen. Er hat mit dem Verstand zu tun, der lernen muss, sich der Autorität Gottes unterzuordnen. In Epheser 4 lesen wir, dass der Verstand der Heiden verfinstert ist, aber durch die Bekehrung erleuchtet wird. Auch die Gefühlswelt ist durch die Sünde verdorben und wird durch die Bekehrung erleuchtet.
Die Gefühlsseite ist ein wichtiger Aspekt des Glaubens: die Freude im Glauben oder das Empfinden von Geborgenheit in Jesus Christus. Das kommt in den Psalmen eindrücklich zum Ausdruck. Wenn uns die Dinge Gottes nicht auch gefühlsmäßig ergreifen, haben wir sie nicht wirklich verstanden.
Das zeigt sich schön bei Apollos. In Apostelgeschichte 18 wird von ihm gesagt, er sei ein inbrünstiger Mann gewesen. Er lehrte die Dinge von Jesus sorgfältig und war im Geist inbrünstig. Er trug die Dinge verstandesmäßig klar und strukturiert vor, aber das Ganze ergriff ihn tief, er brannte im Geist.
Was wir oft als Gegensätze sehen – Verstand und Gefühl – ist im Glauben vereint. Bei Apollos sieht man das deutlich. In der Musik zeigt sich das beispielsweise bei Bach, dessen Werke verstandesmäßig sehr ansprechend sind. Wer die Struktur versteht, wird zum bewussten Mitgehen angeregt. Doch ohne die Gefühlsseite wäre es keine Musik. Die Musik Bachs ergreift einen gefühlsmäßig; sie ist nicht gemacht, um in Ekstase zu geraten, aber die gefühlsmäßige und verstandesmäßige Seite sind dort vollendet vereint.
Bach war stark vom Evangelium geprägt, wie es in der Reformation wiederentdeckt wurde. Seine Musik ist evangeliumsverpflichtet – so nebenbei bemerkt. Die gefühlsmäßige Seite des Glaubens, das Echo, das die Stimme Gottes im Herzen des Menschen weckt, finden wir in den Psalmen.
Ganz wichtig sind in den Psalmen auch der Sche'ar Israel, der Überrest Israels. Wenn wir diesen nicht kennen, haben wir etwas Wesentliches in der Bibel noch nicht entdeckt. Ich möchte kurz aus Jesaja lesen. Gott spricht dort, dass er in der Endzeit in Israel eine Erweckung bewirken wird.
In Jesaja heißt es: „Wenn auch die Israeliten wären wie der Sand am Meer, nur ein Überrest wird schließlich gerettet werden.“ Dieser Überrest spielt in der Prophetie eine große Rolle. In den Propheten lesen wir Kapitel um Kapitel über diesen Überrest Israels, der nach der Entrückung der Gemeinde zur Bekehrung kommen wird.
Zuerst 144.000 und dann in der großen Drangsal ein Drittel der Bevölkerung Israels, während die anderen zwei Drittel ausgelöscht werden (Sacharja 13,8). Danach kommt der Messias. Dieser gläubige Überrest wird in der Prophetie eindringlich beschrieben.
Jesaja 10, Vers 20-22 sagt: „Und es wird geschehen an jenem Tage, da wird der Überrest Israels und das Entronnene des Hauses Jakobs sich nicht mehr stützen auf den, der es schlägt, sondern es wird sich stützen auf den Herrn, den Heiligen Israels in Wahrheit. Der Überrest wird umkehren, der Überrest Jakobs zu dem starken Gott. Denn wenn auch dein Volk, Israel, wie der Sand des Meeres wäre, nur ein Überrest davon wird umkehren. Vertilgung ist fest beschlossen, sie bringt ein Heerfluten Gerechtigkeit.“
Dieser Überrest wird also durch die große Drangsal hindurchgehen, die schlimmste Zeit der Menschheitsgeschichte. Die Gefühle und Empfindungen, die diese Israeliten in der großen Drangsal erleben, finden wir über große Strecken in den Psalmen ausgedrückt. Der Zusammenhang mit der Prophetie ist eindrücklich.
Ich möchte noch Jesaja 37,31-32 zitieren: „Das Entronnene vom Hause Juda, das übrig geblieben ist, wird wieder Wurzeln schlagen und Frucht tragen. Denn von Jerusalem wird ein Überrest ausgehen, und ein Entronnener vom Berge Zion. Der Eifer des Herrn der Heerscharen wird solches tun.“
In der Endzeit soll eine Erweckung geschehen, nicht im Ausland. Die Juden sollen zurückkehren. Das, was seit 122 Jahren geschieht. Diese Erweckung wird von Jerusalem ausgehen, vom Berg Zion, dem Tempelberg in Ostjerusalem. Dieser musste seit 1967 wieder in jüdische Hand kommen. Von dort aus wird nach der Entrückung der Gemeinde die Erweckung ausgehen.
In den Psalmen sehen wir die tiefsten Ängste, die ein Mensch überhaupt erleben kann. Jesus sagt in Matthäus 24, dass diese Zeit so schrecklich sein wird wie nie zuvor und nie wieder sein wird. Wenn diese Tage nicht von Gott verkürzt würden – nämlich auf 1260 Tage –, würde kein Fleisch gerettet werden. Niemand würde überleben. Die Menschheit steht am Rand der Selbstvernichtung.
In den Psalmen sehen wir besonders Menschen, die ihre Gefühle in der schwersten Zeit der Menschheitsgeschichte ausdrücken. Das macht die Psalmen umso eindrücklicher, denn wir können sagen: Wenn es uns schlecht geht, denen wird es noch schlechter gehen. Dennoch werden sie die gleichen Worte beten, wie wir es tun, und trotzdem ihre Hoffnung in größter Not behalten.
Dem Gerechten geht Licht auf in der Finsternis (Psalm 112). Das war auch das wunderbare Motto der Hugenotten, die nach der Entdeckung des Evangeliums in Frankreich verfolgt wurden. Sie sagten sich immer wieder: Post Tenebras Lux – nach der Finsternis das Licht. Das sind Wahrheiten aus den Psalmen.
Der Sche'ar Israel, dieser Überrest, wird in der Zeit des Antichristen erwachen. Er wird die große Drangsal durchstehen und am Ende ins messianische Königreich gelangen – aus größter Not in größte Freude, aus totalem Chaos in Gottes Ordnung.
Das erste Buch der Psalmen beschreibt besonders den Überrest im Land Israel. Diese wissen genau, dass sie nach Matthäus 24,13 fliehen müssen, wenn das Götzenbild des Antichristen am heiligen Ort, auf dem Tempelplatz, aufgestellt wird. Dann müssen sie auf die Berge fliehen und ins Ausland gehen.
Über diese Flucht der 144.000 ins Ausland nach Jordanien, wo Gott sie durch die Wüste führen wird, spricht besonders das zweite Buch der Psalmen. Schauen wir kurz in Psalm 42, dort finden wir den Überrest auf der Flucht.
Vers 2: „Wie der Hirsch lechzt nach Wasserbächen, so lechzt meine Seele nach dir, o Gott. Meine Seele dürstet nach Gott, dem lebendigen Gott. Wann werde ich kommen und erscheinen vor Gottes Angesicht?“
Vers 3: „Meine Tränen sind mir zur Speise geworden Tag und Nacht, da man den ganzen Tag zu mir sagt: ‚Wo ist dein Gott?‘“
Vers 4: „Daran will ich gedenken und in mir ausschütten meine Seele, wie ich mit der Stimme des Jubels und des Lobes zu dem Haus Gottes gehen werde.“
Diese Juden, die bereits geflohen sind, erinnern sich an die Zeit, als sie noch im dritten Tempel Gottesdienst gefeiert haben. Der dritte Tempel soll ja in Jerusalem gebaut werden, dort wird Gottesdienst gefeiert und geopfert werden.
Doch sobald der Antichrist das Götzenbild im Tempel aufstellt (Offenbarung 13), müssen sie fliehen. Sie denken zurück an die schöne Zeit im dritten Tempel, als sie mit der feiernden Volksmenge nach Zion, nach Jerusalem, gingen.
Vers 6-7: „Mein Gott, meine Seele beugt sich nieder in mir, darum gedenke ich deiner aus dem Lande des Jordan und des Hermon, vom Berge Mitzhar.“ Sie sind auf die Berge Israels geflohen, ins Hermon-Gebirge, ins Westjordanland, um dann nach Jordanien zu gehen. Das ist genau prophetisch.
Psalm 43 ist die Fortsetzung: „Schaffe mir Recht, o Gott, und führe meinen Rechtsstreit gegen eine lieblose Nation, von dem Mann des Trugs und des Unrechts, errette mich!“ Israel wird sich spalten in die Gottlosen, die dem Antichristen folgen, und die, die sich bekehren.
Sie bitten: „Schaffe mir Recht gegen eine lieblose Nation!“ Denn der Antichrist und die Gottlosen werden die Bekehrten verfolgen. Gott soll Recht schaffen gegen den Mann des Trugs, den Antichristen.
Vers 3: „Sende dein Licht und deine Wahrheit, sie sollen mich leiten und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deinen Wohnungen.“ Sie wissen, dass sie wieder zurückkehren werden, zum dritten Tempel, und bitten Gott, sie aus der Verbannung zurückzuführen.
Im zweiten Buch der Psalmen finden wir also besonders den Überrest auf der Flucht und im Exil während der großen Drangsal. Das dritte Buch betont Israel als Ganzes, das zwölfstämmige Volk. Im vierten Buch liegt der Fokus auf den Nationen aus aller Welt. Dort heißt es immer wieder, dass der Herr über die ganze Erde regiert und König über die ganze Erde ist.
Das letzte Buch berichtet von Gottes Heilswegen vom Anfang bis ins tausendjährige messianische Königreich. Das fünfte Buch gibt also einen Überblick über Gottes Wege bis zur Vollendung und entspricht in gewisser Weise dem fünften Buch Mose, das aus acht Reden besteht, die Mose am Ende der Wüstenwanderung gehalten hat. Er blickt darin auf die Treue Gottes während der vierzig Jahre zurück, bis sie zum Ziel gebracht wurden.
In den Psalmen finden wir neben dem Überrest Israels auch den Messias, seine Leiden und seine zukünftige Herrlichkeit. Das erste Kommen des leidenden Messias wird in Psalm 22, Psalm 69 und anderen beschrieben. Seine Herrlichkeit als König in der Zukunft finden wir in Psalm 2, Psalm 45, Psalm 110, Psalm 72 und weiteren.
Vom Neuen Testament erhalten wir Hinweise, dass bestimmte Psalmen auf Jesus Christus bezogen sind. So wissen wir genau, wann Christus spricht. Doch wenn man die Verse davor liest, hat man manchmal den Eindruck, dass es nicht Christus ist, der hier spricht. Es sind zwar Gläubige, aber nicht der Messias, meist in der Mehrzahl.
Die Psalmen sind so gestaltet, dass wir in einem Psalm den Überrest Israels hören und plötzlich in bestimmten Versen den Messias. Dann wieder hören wir den Überrest Israels. Der Messias macht sich mit den Gläubigen Israels eins. Das müssen wir in Verbindung sehen mit der Taufe Jesu am Jordan.
In Matthäus 3 wurden alle Juden, die Reue über ihre Schuld hatten, von Johannes dem Täufer getauft. Einer, der ebenfalls in der Nähe von Qumran am Jordan war, sagte zu Johannes: „Ich kann dich nicht taufen, ich müsste von dir getauft werden.“ Jesus antwortete: „Lass es so sein, denn so muss alle Gerechtigkeit erfüllt werden.“
Jesus wurde getauft, obwohl er keine Sünde bekannt hatte. Die Leute hätten denken können, er sei auch ein Sünder, wie die anderen, die Buße getan hatten. Doch dann kam eine plötzliche Stimme aus dem Himmel, eine sogenannte „Badkoll“ im Judentum. Gott sprach akustisch wahrnehmbar: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“
Damit niemand denkt, Jesus habe sich mit der Taufe der Buße taufen lassen, als hätte er etwas mit Sünde zu tun, identifizierte er sich durch seine Taufe mit all den Sündern, die umgekehrt waren.
Das finden wir schön dargestellt in den Psalmen. Der Messias vereinigt sich im Gebet, in der Not und im Jubel mit den Gläubigen aus Israel und im weiteren Sinn mit den Gläubigen aller Nationen. Mit ihnen macht er sich eins.
In den Psalmen finden wir Lob und Anbetung, zum Beispiel Psalm 150. Wir finden inbrünstige Bitten, Psalm 13, und Flehen, Psalm 130: „Aus der Tiefe rufe ich zu dir.“ Wir finden Demut und Bußgebete, etwa Psalm 51, wo David völlig zerbrochen ist wegen der Sünde des Ehebruchs. Solange diese Sünde nicht bereinigt war, war Davids Gemeinschaft mit Gott gebrochen. Doch mit dieser tiefen Reue und Umkehr, die in Psalm 51 ausgedrückt wird, kehrt ein Ehebrecher zurück in die Gemeinschaft mit Gott.
Wir finden Jubel, Psalm 66 ruft förmlich zur tiefsten Freude des Glaubens auf: „Jauchzt, ganze Erde, besingt die Herrlichkeit seines Namens, macht herrlich sein Lob!“ Wir finden Belehrungen, etwa Psalm 32, Vers 9, wo Gott zu einem Erlösten spricht, der umgekehrt ist: „Ich will dich unterweisen und dich lehren den Weg, den du wandeln sollst. Mein Auge auf dich richtend will ich dir raten: Sei nicht wie ein Ross oder Maultier, das keinen Verstand hat. Mit Zaum und Zügel musst du sie bändigen, sonst nahen sie dir nicht.“
Gott möchte uns also nicht wie ein störrisches Tier behandeln, sondern mit seinen Augen leiten. Das geht nur, wenn wir Augenkontakt mit Gott haben. Gehorsame Kinder können durch Blicke und Liebe geführt werden. Fehlt der Augenkontakt, muss man Zaum und Zügel anlegen oder sie sogar an den Latzhosen packen.
Gott möchte uns also mit Blicken führen, und unsere Augen sollen auf ihn gerichtet sein, auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens. So finden wir in den Psalmen eine große Bandbreite an Glaubensinhalten.
Wir finden auch Nachsinnen, etwa in Psalm 73, wo ein Gläubiger über das Leben nachdenkt. Er ist aufgewühlt über das, was er sieht, und sagt: „Beinahe wäre ich gefallen, als ich sah, wie es den Gottlosen gut geht, während die Gerechten leiden.“ Doch als er in die Heiligtümer Gottes ging, wurde ihm klar, was das Ende der Gottlosen sein wird, und das brachte ihn zur Ruhe.
Wir finden Geschichte, etwa in Psalm 105, das die Heilsgeschichte Israels poetisch rekapituliert. Wir finden Prophetie, wie in Psalm 22, der sich ganz klar Vers für Vers auf den gekreuzigten Christus bezieht.
Interessant ist, dass man im Gespräch mit Juden, die Psalm 22 kennen, oft die Frage hört: „Wer hat Psalm 22 geschrieben?“ Die Antwort lautet: König David. Doch von wem spricht dieser Psalm? Das wissen wir nicht genau. Ein mittelalterlicher rabbinischer Kommentar, der „Besiegter Rabbati“, bezieht Psalm 22 auf den Messias, der für die Sünden der Menschheit leidet und stirbt. Das ist interessant und eine wichtige Erkenntnis.
Es gibt Psalmen, von denen wir wissen, dass sie Wochentagspsalmen im Tempel waren. Am Sonntag wurde durch den levitischen Chor Psalm 24 gesungen, am Montag Psalm 48, Dienstag Psalm 82, Mittwoch Psalm 94, Donnerstag Psalm 81, Freitag Psalm 93 und am Sabbat Psalm 92. Diese Angaben finden sich in der Septuaginta, wo vermerkt ist, für welchen Tag sie bestimmt sind.
Im Talmud wird ebenfalls erwähnt, dass diese Psalmen an den jeweiligen Wochentagen in Verbindung mit dem Opfer im Tempel gesungen wurden. In jüdischen Gebetsbüchern, sogenannten Siturim, finden sich diese Tagespsalmen noch heute.
Interessant wäre die Beziehung der Wochentagspsalmen zur Leidenswoche Jesu von Palmsonntag bis zur Auferstehung zu untersuchen. Das würde einen ganzen Nachmittag füllen und geht hier zu weit. Ich habe das in meinem Buch „Der Messias im Tempel“ ausführlich dargestellt, wie jeder Tagespsalm inhaltlich mit den Ereignissen der Passionswoche übereinstimmt. Das ist frappierend.
Am Palmsonntag wurde Psalm 24 gesungen: „Ihr Tore der Urzeit, hebt eure Häupter, damit einziehe der König der Herrlichkeit!“ Jesus kam vom Ölberg auf einem Esel nach Jerusalem, von der Volksmenge als König und Messias begrüßt. Wer ist dieser König? „Herrlichkeit, Yahweh, der Herr mächtig im Kampf.“
So geht es durch die ganze Passionswoche bis zum nächsten Sonntag, dem Auferstehungstag. Jesus steht als Sieger aus dem verschlossenen Grab auf: „Ihr Tore der Urzeit, hebt eure Häupter!“ Am gleichen Tag, als die Jünger ängstlich hinter verschlossenen Türen waren, trat der König der Herrlichkeit in ihre Mitte und sagte: „Shalom Aleichem – Friede euch.“ Er zeigte ihnen seine Hände und Seiten, und sie freuten sich.
So ist es. Wir könnten noch bis Pfingsten weitermachen, fünfzig Tage später, wieder ein Sonntag. Da zieht der Heilige Geist in die Herzen der Erlösten ein. Der Herr kommt gewissermaßen durch den Heiligen Geist zurück und zieht in die Herzen ein.
Das wollte ich hier nur andeuten, nicht weiter vertiefen, wegen der Zeit. Das Ziel ist, die Freude am Lesen der Psalmen zu fördern.
Charles Haddon Spurgeon, ein großer Evangelist des 19. Jahrhunderts in England, hat vier dicke Bände über alle Psalmen geschrieben, „Die Schatzkammer Davids“. Er arbeitete zwanzig Jahre daran. Diese Kommentare sind auf Deutsch preisgünstig erhältlich, zum Beispiel beim CLV-Verlag. Ich erhalte keine Tantiemen.
In der Einleitung hört man schön heraus, wie Spurgeon sagt: „Nach zwanzig Jahren Arbeit an den Psalmen muss ich meine Feder mit wehmütigem Herzen weglegen. Wie wunderbar war diese Zeit der Gemeinschaft mit dem Herrn, in der ich mich so im Lob der Erlösten vereinen konnte.“ Dieses Psalmenstudium prägte sein Leben.
Es gibt eine besondere Gruppe, die sogenannten Hallel-Psalmen, von Psalm 113 bis 118. Sie werden auch heute noch im Judentum im Zusammenhang mit dem Passahfest gelesen.
In Matthäus 26,30 heißt es, dass Jesus nach dem letzten Passahmahl mit seinen Jüngern ein Loblied sang. Das hebräische Wort „Hymnos“ bezeichnet genau diese Psalmen 113 bis 118.
Sie waren bei Psalm 118 angelangt, als sie weiter zum Garten Gethsemane gingen. Psalm 118, Vers 22 sagt: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.“ Der verworfene Messias schafft einen neuen Tempel, die Gemeinde.
In diesen Hallel-Psalmen finden wir auch Psalm 116, wo es heißt: „Den Becher der Rettung nehme ich.“ Wenn man weiß, dass Jesus diese Psalmen mit den Jüngern am Abend des Abendmahls sang, bekommt das eine besondere Bedeutung.
Die Hallel-Psalmen waren für die Passahwoche und das Laubhüttenfest im Tempel wichtig.
Eine andere Gruppe sind die Lieder der Hinaufzüge, die Stufenlieder, Psalm 120 bis 134. Sie wurden bei den Reisen nach Jerusalem zu den Festen Passah, Pfingsten und Laubhütten gesungen.
Alle Männer ab dreizehn Jahren mussten zu diesen Festen nach Jerusalem kommen. Frauen durften freiwillig mitgehen, wenn es möglich war, vor allem wegen der Kinder und anderer Verpflichtungen.
Auf diesen Reisen wurden diese Psalmen mit Flötenbegleitung gesungen (Jesaja 30,29). Wenn man das weiß, liest man Psalm 122 mit anderem Hintergrund. Der zwölfjährige Jesus wurde kurz vor seinem dreizehnten Geburtstag mitgenommen. Ab dreizehn war die Teilnahme obligatorisch.
Lukas berichtet, dass Jesus mit den Leuten von Nazareth auf dem Weg nach Jerusalem Psalm 122, Vers 1 sang: „Ich freute mich, als man zu mir sagte: Lasst uns zum Haus des Herrn gehen! Unsere Füße stehen in deinen Toren, Jerusalem.“
Der zwölfjährige Jesus blieb dann im Tempel zurück. Er sagte den erschrockenen Eltern: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ Er liebte den Tempel, das Haus des Vaters in Jerusalem.
Es gibt auch alphabetische Psalmen, die im Grundtext nach dem Alphabet aufgebaut sind, zum Beispiel Psalm 9 und 10 zusammen, Psalm 25, 34, 37, 111, 112, 119, 145. Psalm 119 besteht aus 22 Strophen mit jeweils acht Versen. Die ersten acht Verse beginnen mit dem ersten Buchstaben Alef, die nächsten mit Bet, und so weiter durch das ganze Alphabet.
Etwa ein Drittel der rund 360 direkten Zitate des Alten Testaments im Neuen Testament stammen aus den Psalmen. Das zeigt, wie wichtig die Psalmen für das Neue Testament sind.
Die Psalmen nehmen Bezug auf die frühere Heilsgeschichte: 1. Mose, 2. Mose, Josua, Samuel, Könige, Chronik. Das zeigt, wie der Glaube und die Gefühle in der Geschichte verankert sind. Es sind keine Spekulationen, sondern der gefühlsmäßige Glaube ist in der Tatsache der Heilsgeschichte begründet.
26 Mal findet sich in den Psalmen der Ausdruck „glückselig“. So beginnt Psalm 1. Wer traurig ist, kann alle 26 Stellen nachlesen. Dann weiß man, wie man glückselig wird.
Abschließende Hinweise zu besonderen Begriffen und musikalischen Anweisungen
Noch ganz kurz zum Schluss: In manchen Psalmen findet sich in der Überschrift das hebräische Wort „lamnazeach“. Das bedeutet einfach „für den Dirigenten“, der den Tempelchor leitete.
In manchen Psalmen begegnet uns auch das Wort „Sela“. Es bedeutet eine Pause mit musikalischem Zwischenspiel. In dieser Zeit schweigen die Sänger, und es erklingt nur die Instrumentalmusik. Dies diente dazu, über das bereits Gehörte nachzudenken, begleitet von feiner musikalischer Untermalung.
Weiterhin gibt es, wie ich bereits erwähnt habe, eine ganze Reihe von Psalmen, die im Titel das Wort „Maskil“ tragen. Das bedeutet „Lehrgedicht“. Diese Psalmen sind besonders dazu gegeben, um Einfältige verständig zu machen. Die Verständigen der Endzeit werden im Buch Daniel, Kapitel 11 und 12, als die Maskilim, also die Verständigen, genannt.
Das Wort Gottes möchte uns zu solchen Verständigen machen, die mit der Heiligen Schrift verbunden sind und aus ihr heraus leben.
So war dies eine kleine Einführung in das Buch der Psalmen.
