Herzlich willkommen bei der Christusgemeinde Emmending! Heute haben wir unsere vierte Einheit und damit die Abschlusseinheit zum Thema Power in the Blood.
Ich möchte einen kurzen Rückblick geben, was wir bisher behandelt haben. Wir haben mit den Grundlagen begonnen: Was ist überhaupt das Sühneopfer und warum ist es notwendig? Vielleicht erinnert ihr euch noch an die Begriffe „die Schwere der göttlichen Heiligkeit“ und „die Schwere der menschlichen Sünde“. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Mensch und Gott zusammenkommen können.
Anschließend haben wir gesehen, dass der Opfertod Jesu in der Bibel als Schlüssel für diese Gemeinschaft beschrieben wird. Dabei haben wir uns von der neutestamentlichen Sprache leiten lassen, wie dieses Sterben dargestellt wird. Es wird als ein Passahopfer oder auch als ein wohlriechendes Schlachtopfer beschrieben.
Das führte uns direkt ins Alte Testament, wo wir gesehen haben, dass Sühne, also Wiedergutmachung und Wiederherstellung, durch ein stellvertretendes Opfer realisiert wird. Diese Sprache wird direkt auf Jesus angewandt.
In den darauffolgenden Einheiten haben wir uns intensiv mit dem Yom Kippur, dem Versöhnungstag im 3. Mose 16, beschäftigt. Dieses große Fest war für Israel von großer Bedeutung.
Wir haben uns auch die Opferkritik der Propheten angeschaut. Dabei haben wir uns gefragt, ob eigentlich das Opfer oder die Opferhandlung kritisiert wird. Wir haben versucht, das einzuordnen und festgestellt, dass der Opferritus von Gott kommt und von den Propheten auch für die Zukunft angekündigt wird. Besonders das stellvertretende Sühneopfer wird beschrieben.
Ein zentrales Kapitel dazu ist Jesaja 53. Dort ist nicht mehr von einem Tier die Rede, das geopfert werden soll, sondern von einem Mann, einem Knecht, der hingerichtet wird und die Schuld trägt.
Wir haben uns angesehen, dass Gott auf seinen gerechten Zorn mit unverdienter Liebe antwortet. Er sucht nicht einfach außerhalb von sich selbst eine Lösung für das Problem oder irgendein Opfer, sondern löst dieses Dilemma durch Selbsthingabe in Christus. Dadurch kann die Gemeinschaft zwischen Mensch und Gott realisiert werden.
In der letzten Einheit haben wir uns damit beschäftigt, welche Wirkung das Blut Jesu hat. Es gibt verschiedene Facetten der Wirkung des Blutes Jesu, und wir können die Kraft des Blutes für ganz unterschiedliche Anliegen anrufen. Dabei haben wir uns besonders auf die Erlösersprache konzentriert. Wir haben darüber nachgedacht, wie hoch der Kaufpreis ist und wovon wir überhaupt freigekauft werden müssen.
Im Zentrum dieser Erlösersprache steht auch, dass die Erlösten Eigentum des Erlösers sind. Die Gekauften gehören dem Käufer, und wir haben nun einen neuen Besitzer. Wir sind jetzt in einem neuen Reich unterwegs.
Heute werden wir mit dem Thema abschließen: Argumente gegen das stellvertretende Sühneopfer. Es ist wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, denn dieses Thema wird oft stark angegriffen und ist teilweise unbeliebt. Das hat auch Gründe, und es ist klug und weise, sich diese Argumente anzuhören.
Wir werden dies allerdings nur sehr oberflächlich tun. Wer das Thema in der Tiefe bearbeiten möchte, braucht Literatur und nicht nur diesen Abend. Dennoch wollen wir einen Überblick bekommen, welche Argumente es gibt, und wir wollen etwas an der Hand haben, wie man diesen Argumenten begegnen kann.
Denn ganz oft, wenn solche Argumente auftauchen, ist man erst einmal sprachlos. Man merkt, dass da etwas dran sein könnte, und weiß nicht weiter. Deshalb möchte ich einige Argumente anschauen, die vermeintlich gegen das stellvertretende Sühneopfer Jesu sprechen. Wir beginnen mit dem ersten Argument.
Das ist vielleicht kein richtiges Argument dagegen, aber es zeigt, dass die Zentralität und Wichtigkeit des stellvertretenden Sühneopfers – also dass Jesus für unsere Sünde am Kreuz geblutet hat und den Zorn Gottes abgewendet hat – nicht immer im Zentrum steht. Vielmehr ist es eigentlich nur eine von vielen Deutungen des Kreuzes. Das stellvertretende Sühneopfer ist also nur eine von mehreren Interpretationen.
Es wird darauf hingewiesen, dass die Bibel sehr vielfältig vom Kreuz Jesu spricht. Dies erklärt, warum wir im evangelikalen Kreis so sehr von dem Sühnetod Jesu überzeugt sind und darüber sprechen. Denn beim Sterben Jesu haben wir nicht nur einen Stellvertreter, der den Opfertod stirbt, sondern noch viele andere Aspekte.
Wichtig ist hierzu zu entgegnen, dass ich keinen Sühnevertreter kenne – also jemanden, der das, was wir uns in den letzten drei Einheiten angeschaut haben, vertreten würde –, der sagt, es gäbe neben der Sühnewirkung am Kreuz nichts anderes, keinen weiteren Nutzen, kein anderes Bild oder keine andere Wirkung, die Gott offenbart hat.
Um das zu beschreiben, möchte ich ein Statement der Initiative J17 anführen. Ich denke, die meisten wissen, was J17 ist, angelehnt an Johannes 17. Mit dieser Initiative möchten wir die zentralen Wahrheiten des Glaubens wieder ins Gespräch bringen und auch an die Oberfläche unserer Baptistenbewegung holen.
Dort haben wir in einem Statement Folgendes geschrieben: Die Bibel beschreibt die Ursache und Wirkung der Kreuzigung Jesu sehr facettenreich. So triumphiert Christus durch seinen Kreuztod über die finsteren Mächte, gibt uns ein eindrückliches Beispiel für das Ausmaß seiner Liebe und Selbsthingabe, tröstet mit seinem demütigen Vorbild alle zu Unrecht Leidenden, beweist wahre Solidarität mit Weinenden, Leidenden und Sterbenden, befreit vor dem Schrecken des Bösen und ermöglicht den Weg zu einem neuen gerechten Leben im Einflussbereich des Heiligen Geistes.
Wir schätzen diese Vielfältigkeit. Bei allem Bedeutungsreichtum der Passion Christi erkennen wir jedoch das Herz des Evangeliums in dem stellvertretenden Sühnopfer Jesu Christi.
Das, was ihr hier in diesem Zitat lest, wird euch auch nicht fremd sein. Diese Motive, die man in der Kreuzigung Jesu sehen kann, sind natürlich auch wichtig für uns. Wenn du mit Sterbenden zu tun hast, dann hast du direkt den leidenden Christus an der Seite. Christus hat auch gelitten.
Wenn du mit Menschen zu tun hast, die Ungerechtigkeit erleben, dann hast du in Jesus ein Vorbild. Man sagt: Hier ist jemand, dem Unrecht widerfahren ist, aber er hat ganz anders gehandelt als diese Welt. Dadurch gibt er uns ein Vorbild.
Wie weit Jesus auch bereit ist, für seine Werte und Ideale einzutreten, ist ebenfalls ein Vorbild für uns. Diese Dinge werden oft benannt und vielfach gepredigt. Doch das stellvertretende Sühneopfer wird immer mehr ausgeklammert. Es ist unangenehm, darüber zu sprechen.
Du hast vorhin gesagt, heute sind so wenig da, weil es vielleicht einigen zu blutig war das letzte Mal. Ja, ganz genau. Dieses Thema fasst uns an und ärgert uns mitunter.
Aber wenn das stellvertretende Sündentragen ausbleibt und wir uns allein auf diese anderen Dinge konzentrieren, die ja auch wichtig und biblisch sind, wird das verheerende Konsequenzen für uns haben.
Denn allein Jesu stellvertretendes Sühnopfer oder sein sühnendes Blut kann uns aus der Knechtschaft der Sünde erlösen, aus dem Verdammungsurteil des Gesetzes befreien, uns Sünder für gerecht erklären, uns mit dem Vater versöhnen, unsere Feindschaft gegen Gott beenden und Frieden stiften. Es reinigt uns von jeder Sünde und schlechtem Gewissen und verschafft uns Freimütigkeit in der Gegenwart Gottes.
Diese Dinge sind eigentlich eine Zusammenfassung dessen, was wir uns beim letzten Mal angeschaut haben. Aber all diese Dinge – dass ich ein reines Gewissen habe, freimütig vor Gottes Thron stehen kann und als gerecht erklärt werde – erfüllen all diese anderen Motive, die wir hier auf der Folie sehen, nicht.
Wenn ich in meiner Evangeliumspredigt das Sühneopfer herausnehme und nur die anderen Deutungen bespreche, etwa dass Jesus ein Mitleidender ist, dass er auch einer ist, der Unrecht erfahren hat und deswegen mitleiden kann, sind all diese Dinge zwar wahr und richtig und tröstlich, aber sie geben uns keine Reinigung, keine Sündenvergebung und keine Versöhnung mit Gott.
Deshalb werden wir merken, wenn wir das auslassen, dass Menschen nicht zum wahren Evangelium durchdringen.
Das ist der erste Punkt: Das stellvertretende Sühneopfer ist nur eine Deutung des Kreuzes. Ja, es ist eine von vielen Deutungen. Aber wenn wir die Tragweite dessen betrachten, was das für uns und unsere Beziehung zu Gott bedeutet, ist es nicht nur eine von vielen, sondern eine zentrale Deutung. Deshalb gilt es, sie besonders zu betonen.
Das zweite Argument lautet, dass das stellvertretende Sühneopfer uns nicht voneinander trennen sollte. Es ist zwar noch kein eindeutiges Gegenargument, aber es wird dafür plädiert, dass, wenn du daran glaubst, ich es jedoch ablehne und mich auf andere Deutungen des Kreuzes konzentriere, es dennoch möglich sein sollte, dass wir in der Gemeinde miteinander koexistieren. Deshalb sollten wir keine Grabenkriege führen.
Die Kirche ist bunt, und so sind auch die Deutungen des Kreuzes vielfältig. Du bist vielleicht eher ein Blutsfanatiker, während ich eher derjenige bin, der mit den Leidenden mitleidet und sie trösten möchte – ganz plakativ gesagt. Es wird dafür plädiert, in der Kirche Weite walten zu lassen, wenn es um die vielfachen Deutungen des Kreuzes geht. Dabei kann man natürlich auf Epheser 4,3 zurückgreifen: "Befleißt euch, die Einheit des Geistes zu bewahren durch das Band des Friedens."
Was soll man dazu sagen? Wir haben in unserer Gemeinde das Motto: "Einheit im Wesentlichen und Freiheit im Nebensächlichen." Es ist auch so, dass Trennungen bei Randfragen oder weniger gewichtigen Themen falsch wären, weil wir ein falsches Signal an die Welt senden würden, wenn wir uns wegen jeder Kleinigkeit zerstreiten. Man könnte einfach sagen: Beim Kreuz wissen wir doch alle, woran wir glauben. Du verstehst den Begriff anders als ich, ich fühle ihn so, du fühlst ihn so, und wir fühlen uns beide dabei wohl. Man kann sich darauf belassen.
Doch wie gehen wir mit folgenden Aussagen um? Ein Baptistenpastor schrieb in einem Internetartikel: "Ich denke schon lange darüber nach, ob diese Theologie zu meinem Gottesbild passt. Sollte Gott wirklich seinen eigenen Sohn opfern müssen, um mir meine Schuld vergeben zu können? Ich weiß nicht." Was würde man zu solchen Gedanken sagen?
Die Frage bleibt: Wenn sich jemand fragt, ob das ganze Opfergeschehen Jesu am Kreuz zu ihm passt, wie reagiert man darauf? Ich glaube, wir brauchen hier zwei Antworten. Die erste betrifft den Zweifel. Hier drückt sich ein Zweifel aus, ob er nur versteckt oder ein echter Zweifel ist, lassen wir mal offen. Aber diese Frage gibt es durchaus auch in unseren Reihen. Mit "unseren Reihen" meine ich nicht unbedingt unseren Bibelkreis oder unsere Gemeinde – das habe ich dort so noch nicht erlebt. Aber im freikirchlich-evangelikalen Kontext gibt es diese Frage durchaus.
Was kann man damit anfangen? Dort, wo solche Fragen aufkommen, gilt es, die Zweifelnden zurückzugewinnen. Judas 22 ist ein schönes Wort: "Und erbarmt euch derer, die zweifelnd sind." Ein wichtiges Wort, denn man sollte sie nicht sofort ausstoßen und sagen: "Das ist egal, wenn du das immer noch nicht geschnallt hast oder nach so vielen Jahren in Frage stellst." Unser Leben kann so auf den Kopf gestellt werden, dass wir als geistliche Helden plötzlich blank dastehen und an den Basics wieder knabbern. Hat das jemand schon erlebt? Nein? Nur ich? Ja, jemand, der reif, weise, ehrlich und authentisch ist – danke.
Ich finde es schön, wie die Gute Nachricht Bibel das übersetzt: "Mit denen, die im Glauben unsicher geworden sind, habt Erbarmen und kümmert euch um sie." Es ist wichtig, zu versuchen zu verstehen, woher dieser Zweifel oder Widerspruch rührt, und dann darauf einzugehen.
In Jakobus 5,19-20 heißt es: "Meine Brüder, wenn jemand unter euch von der Wahrheit abirrt und jemand ihn zurückführt, so wisst, dass der, welcher einen Sünder von der Verirrung seines Weges zurückführt, dessen Seele vom Tode rettet und eine Menge von Sünden bedeckt." Ich plädiere also dafür, bei solchen Zweifeln genau hinzuschauen: Sind es echte Zweifel? Dann gilt es, zurückzugewinnen, hinzugehen, zu reden, zu verstehen und selbst so fit zu sein, dass man in der Materie gute Argumente liefern kann, damit der Person der Weg des Glaubens gebahnt wird.
Wenn man diese Zweifel ernst nimmt, ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen: Was sind denn die Deutungen des Kreuzes? Dabei sollte man unbedingt bei Jesaja 53 beginnen. Wenn man zu solchen Auslegungen wie "Passt das noch zu mir? Sollte Gott wirklich…" kommt, sollte man Jesaja 53 lesen. Ich blende noch einmal die Folie von vor einigen Wochen ein, auf der wir durchgegangen sind, dass sich fast jeder Vers auf Jesu Leben und Sterben bezieht und im Neuen Testament zitiert oder angedeutet wird.
Wer die Deutung des Kreuzes verstehen möchte, sollte hier beginnen und wird dann immer wieder Parallelen im Neuen Testament finden. Ich möchte nur zwei Verse herausnehmen:
Vers 4: "Jedoch unsere Leiden hat er getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen; wir aber hielten ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt."
Vers 10: "Doch dem Herrn gefiel es, ihn zu zerschlagen; er hat ihn leiden lassen. Wenn er sein Leben als Schuldopfer eingesetzt hat, wird er Nachkommen sehen, er wird seine Tage verlängern." (Das bezieht sich auf Auferstehung und Ewigkeit.) "Was dem Herrn gefällt, wird durch seine Hand gelingen."
Hier sehen wir das Leiden und die Strafe, die Gott auf ihn gelegt hat – stellvertretend. Er ist ein Opfer für unsere Schuld. Darum heißt es auch in Hebräer 2,17: "Daher musste er in allem den Brüdern gleich werden, um die Sünden des Volkes zu sühnen."
Der stellvertretende Opfertod ist also im Herzen des Evangeliums und hat dieselbe Wichtigkeit wie beispielsweise die Gottessohnschaft Jesu oder die Tatsache, dass Jesus Gott ist.
Bei welchem Argument sind wir gerade? Die Frage lautet: Können wir einfach nebeneinander koexistieren? Wenn jemand zweifelt, gewinnen wir ihn zurück und zeigen ihm, dass das so zentral in unserem Glauben ist wie die Dreieinigkeit. Wenn du als Christ nicht an die Dreieinigkeit glaubst, hast du keinen christlichen Glauben. Das ist Fakt. Es ist historisch unmöglich, das als christlichen Glauben zu verkaufen.
Gottes Sohn schafft auch die Sühne, die stellvertretende Sühne. Wenn man diese nicht hat, hat man kein Evangelium und auch keinen Jesus. Man hat irgendetwas, aber nicht das, was uns Rettung bringen kann.
Darum ist hier zu sagen: Zweifelnde müssen zurückgewonnen werden. Aber wenn wir es mit Menschen zu tun haben, die eine Agenda verfolgen oder unbelehrbar sind und starrsinnig an falschen Überzeugungen festhalten, müssen wir auf die Frage, ob wir bei unterschiedlichen Deutungen nebeneinander koexistieren können, mit 2. Johannes 9-10 antworten:
"Jeder, der weitergeht und nicht in der Lehre des Christus bleibt, hat Gott nicht. Wer in der Lehre bleibt, der hat sowohl den Vater als auch den Sohn. Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmt ihn nicht ins Haus auf und grüßt ihn nicht."
Hier gibt es eine radikale Trennung. Es gibt kein "Okay, du siehst es so, ich sehe es so, wir können beide miteinander in einer Gemeinde leben." Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass es für alle Gemeinden in Deutschland ein Standard sein sollte, an das Sühnesterben Jesu zu glauben.
Achtet darauf: Man soll in der Lehre des Christus bleiben, und wenn man das nicht tut, hat man Gott nicht. Jetzt passt auf, wie es weitergeht: Wer in der Lehre bleibt, der hat nicht nur Gott, sondern "sowohl den Vater als auch den Sohn." Interessant, hier werden Vater und Sohn auf derselben Wesensebene genannt – beide sind Gott, zwei unterscheidbare Personen, aber beide Gott. Ich finde es großartig, wie solche kleinen Hinweise in den Texten zu finden sind.
Galater 1,8-10 sagt: "Wenn aber auch wir oder ein Engel vom Himmel euch ein anderes Evangelium verkündigen als das, was wir euch verkündigt haben, der sei verflucht. Wie wir früher gesagt haben, so sage ich auch jetzt wieder: Wenn jemand euch ein anderes Evangelium verkündet als das, was ihr empfangen habt, der sei verflucht. Rede ich jetzt Menschen zu Liebe oder Gott? Suche ich Menschen zu gefallen? Wenn ich noch Menschen gefiele, so wäre ich Christi Knecht nicht."
Auch hier interessant: Diese Doppelung, die eigentlich unnötig ist, wiederholt Paulus, damit man es nicht übersieht. Es ist krass, was er sagt: "Der sei verflucht, der sei verflucht." Das ist im Grunde dasselbe, was Johannes sagt: "Der hat Gott nicht." Er ist in der Finsternis und lebt nicht mit Gott.
Deshalb, wenn jemand sagt, er kann an diese Dinge nicht glauben oder will sie nicht glauben, können wir nicht trotzdem gemeinsam Gott feiern. Du bist willkommen unter uns, und vor allem bist du eingeladen, Gott kennenzulernen. Du brauchst Jesus in deinem Leben. Was du vorher hattest, weiß ich nicht und kann es nicht erklären.
Aber wer vom blutigen, rauen Kreuz weggeht – um mal die alte Sprache zu verwenden – der hat die Lehre des Christus nicht und damit auch nicht das ewige Leben.
Genau. Das war das zweite Argument: Das stellvertretende Sühneopfer sollte uns nicht voneinander trennen. Und ich denke, doch, es sollte es.
Es folgt nun der dritte Punkt: Das stellvertretende Sühneopfer gleicht einem kosmologischen Kindesmissbrauch. Dieses Argument ist bereits im Gespräch angedeutet worden, und wir haben es auch schon in einer früheren Einheit betrachtet. Ich möchte es nun aus zwei weiteren Perspektiven beleuchten.
Dies ist ein zentrales Gegenargument, das nicht einfach neutral behauptet, dass eine bestimmte Lehre falsch sei, sondern es erhebt eine schwere Anklage: Es vergleicht das Kreuzesgeschehen mit kosmologischem Kindesmissbrauch. Die Frage lautet: Was für ein Gott ist das, oder was für ein Vater, wenn wir diese Sprache wählen? Was für ein Vater ist es, der seinen eigenen Sohn als Stellvertreter erwählt und ihn dann grausam sterben lässt und aktiv opfert?
Dieses Bild des kosmologischen Kindesmissbrauchs wird häufig angeführt. Zunächst muss man sagen, dass es sich dabei um einen schlechten rhetorischen Trick handelt, auf den viele hereinfallen. Mit Worten kann man eine starke Emotion erzeugen. Wer würde ernsthaft sagen, dass das Sühneopfer Jesu ein kosmologischer Kindesmissbrauch sei und daran glauben? Das tut niemand. Doch mit dieser Sprache versucht man, jemanden in eine Ecke zu drängen: „Willst du wirklich in dieser Ecke stehen? Fühlst du dich dort wohl?“ Die Folge ist oft, dass Menschen sich von dieser Theologie abwenden und glauben, die Wahrheit erkannt zu haben. Man darf sich von solchen billigen rhetorischen Tricks nicht täuschen lassen.
Außerdem ist dieses Bild inhaltlich nicht treffend. Wenn wir von Kindesmissbrauch sprechen, dann meinen wir eine ganz bestimmte Situation: Ein Kind befindet sich in einem Abhängigkeitsverhältnis und ist völlig fremdbestimmt. Es gibt keine Selbstbestimmung oder Selbständigkeit des Kindes. Das Kind muss dem Willen des Täters gehorchen.
Jesus hingegen wurde nicht gezwungen, ans Kreuz zu gehen. Dieses Bild passt also nicht. Beim Kindesmissbrauch kann das Kind nicht anders handeln, es ist gefangen. Es ist schon schrecklich, überhaupt darüber nachzudenken. Aber Jesus ging frei und willig ans Kreuz.
In Johannes 10, Verse 17-18 sagt Jesus: „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, um es wiederzunehmen. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Vollmacht, es zu lassen, und habe Vollmacht, es wiederzunehmen. Dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen.“ Hier wird klar: Niemand nimmt Jesus gegen seinen Willen. Er lässt sein Leben freiwillig.
Ein weiterer wichtiger Text ist Philipper 2, Verse 5-8. Paulus fordert uns auf, die Gesinnung Christi anzunehmen. Jesus, der in der Gestalt Gottes war, entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an. Er wurde dem Menschen gleich und erniedrigte sich selbst, indem er gehorsam bis zum Tod am Kreuz wurde. Hier geht es nicht um einen rachsüchtigen, zornigen Gott, der Gefallen daran hat, jemanden brutal niederzudrücken. Vielmehr erniedrigt sich Jesus selbst und tut dies freiwillig.
Das ist ein fundamentaler Unterschied zu der Sprache des Kindesmissbrauchs, die suggeriert, Jesus sei ein völlig fremdbestimmtes Opfer. Stattdessen haben wir es mit dem Herrn der Herrlichkeit zu tun, der genau weiß, was er will und was gut ist.
In der Szene von Gethsemane wird die menschliche Seite Jesu sehr deutlich. Er kennt die Grundbedürfnisse des menschlichen Daseins und erlebt einen inneren Kampf. Zugleich zeigt sich auch die geistliche Dimension: Der ewige Sohn erlebt eine Trennung vom ewigen Vater, eine Gottesferne und den Zorn Gottes. Das ist ein kritischer Moment, den ich einmal so beschrieben habe, dass Jesus sich in Gethsemane noch einmal mit seinem Vater synchronisiert, um auf Kurs zu bleiben und den Weg wirklich gehen zu können.
Diese Passage bringt uns an die Grenzen des Verstehens. Wer ist Jesus eigentlich? Doch gerade hier zeigt sich, dass Jesus sich danach entscheidet, den Weg weiterzugehen. Er sagt ja zuvor, dass er dorthin gehen muss, und steuert zielstrebig darauf zu.
Ein weiterer wichtiger Punkt, warum die Sprache vom kosmologischen Kindesmissbrauch völlig fehlgeht, ist die Machtdynamik beim Kindesmissbrauch. Der Täter demonstriert Macht, stellt seine Stärke und Größe heraus und erniedrigt das Opfer. Das trifft auf die Kreuzigung Jesu nicht zu.
Durch den Tod am Kreuz wird Jesus Ehre verliehen. In Philipper 2, Vers 9 heißt es: „Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen verliehen, der über jeden Namen ist.“ Dies ist die Fortsetzung des vorherigen Abschnitts: Jesus erniedrigte sich selbst, wurde gehorsam bis zum Tod am Kreuz, und deshalb hat Gott ihn erhöht. Er erhält Ehre und Majestät, nicht eine Degradierung, wie es beim Kindesmissbrauch der Fall wäre.
In Johannes 17, Vers 1 spricht Jesus zu seinem Vater: „Vater, die Stunde ist gekommen, verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht.“ Hier geht es um Ehre und Verherrlichung, nicht um Herabsetzung.
Auch Hebräer 2, Vers 9 sagt: „Wir sehen aber Jesus, der ein wenig unter die Engel erniedrigt war, wegen des Todesleidens mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt, damit er durch Gottes Gnade für jeden den Tod schmeckte.“ Sein Sterben und seine Ehre sind untrennbar miteinander verbunden.
In Offenbarung 5, Vers 12 heißt es: „Würdig ist das Lamm, das geschlachtet worden ist, zu nehmen Macht und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Lob.“ Hier wird deutlich, dass es keinen Vater gibt, der auf niederträchtige Weise jemanden unter seine Fußsohle drückt. Jesus geht freiwillig den Weg, den der Vater ihm gezeigt hat, und erhält dadurch Ehre und Herrlichkeit.
Auch die Opfer im Alten Testament sind keine Verlierer, sondern stets makellos und das Beste vom Besten. Deshalb passt das Bild vom Kindesmissbrauch überhaupt nicht.
Trotzdem ist dies das meistgebrachte Argument in der Debatte um das Kreuz Jesu. Es wirkt überzeugend, hat eine vermeintlich unbestechliche Logik, die so radikal klingt, dass man fast sagen möchte: „Das kann nicht sein, das ist falsch, wir haben es falsch verstanden.“
Abschließend zu diesem Argument: Der Sühnetod ist kein Missbrauch, sondern ein göttliches Selbstopfer, wie wir bereits festgehalten haben. In Kolosser 2, Vers 9 heißt es: „Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.“ Es ist nichts Getrenntes, sondern Gott selbst ist in Christus gegenwärtig. Gott nimmt die Strafe auf sich, die er selbst verhängt hat. Der Richter übernimmt selbst die Rolle des Opfers – und zwar des unschuldigen Opfers.
Zum Schluss möchte ich ein Zitat von Tim Keller lesen, den ich sehr schätze: „An dieser Stelle müssen wir uns vergegenwärtigen, dass der christliche Glaube immer davon ausgegangen ist, dass Jesus Christus Gott ist. Gott hat also nicht jemand anderem Leiden auferlegt, sondern am Kreuz den Schmerz, die Gewalt und das Böse der Welt selber in sich aufgenommen. Der Gott der Bibel ist gerade nicht so wie die Götter primitiver Religionen, die zur Stillung ihres Zornes menschliches Blut forderten, sondern umgekehrt: Gott wird Mensch und vergießt um der Gerechtigkeit und Gnade Genüge zu tun sein eigenes Lebensblut, damit er eines Tages alles Böse vernichten kann, ohne uns vernichten zu müssen.“
Dieses Denken ist einzigartig unter allen Religions- oder Glaubenssystemen. Es gibt kein anderes System, in dem Gott so nahe kommt und selbst das Problem löst.
Genau diese Beschreibung – dass der Gott der Bibel nicht wie die Götter primitiver Religionen ist – wird immer wieder gebracht, um zu zeigen: „Du bist nicht jemand von Vorgestern.“ Gerade bei diesem Argument müssen wir uns wappnen und wissen: Eins, zwei, drei – dein Argument schlägt fehl.
Okay, das war jetzt das Argument, das das stellvertretende Sühnopfer einem kosmologischen Kindesmissbrauch gleicht. Wir kommen zum nächsten Punkt: Das stellvertretende Sühnopfer steht im Widerspruch zur Feindesliebe Jesu. Dieser Punkt ist wichtig.
Der Einwand lautet: Jesus fordert von uns uneingeschränkte Feindesliebe und bedingungslose Bereitschaft zur Vergebung, mit Verzicht auf Rache, oder? Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, du sollst sogar deine Feinde lieben. Du sollst dich nicht rächen, keine Vergeltung ausüben, sondern schlicht und ergreifend einfach frei vergeben.
An dieser Stelle wird dann gerne das Gleichnis vom verlorenen Sohn herangezogen. Der Vater und der Sohn sind getrennt, der Sohn geht fort, der Sohn kommt wieder. Was passiert? Dass sie beide zusammenkommen? Der Sohn möchte eine Wiedergutmachung leisten, der Vater sagt: Nein, keine Rede davon, sondern komm einfach, ich vergebe dir.
Zeichnet uns die Bibel, zeichnet Jesus hier ein Bild von Gott, wie er vergibt? Einfach so, ohne Opfer? Er nimmt ihn einfach wieder an, unwidersprochen. Es gibt keine Opferhandlung, keine Wiedergutmachung, sondern der Vater vergibt seinem Sohn, und es ist kein Opfer notwendig.
Wenn es heißt in Epheser 5,1, dass wir Nachahmer Gottes sein sollen, und Jesus uns sagt: Vergebt einfach frei, ohne euch zu rächen, dann ist es nur richtig zu sagen, dass auch Gott kein Opfer braucht, um uns zu vergeben. Denn wenn wir vergeben sollen, ohne Rache, ohne Vergeltung, dann ist Gott darin unser Vorbild, wie in Lukas 15, der Geschichte vom verlorenen Sohn.
Deswegen hat das ganze Gerede mit der stellvertretenden Sühne, damit wir Vergebung bekommen können, eigentlich nichts mit der Predigt von der Feindesliebe Jesu zu tun. Versteht ihr den Gedanken? Es ist richtig, dass Rache und Vergeltung uns nicht zustehen, aber nicht, weil Rache und Vergeltung an sich per se etwas Falsches wären.
Das Denken kann aufkommen, dass Rache an sich etwas Falsches ist, und deswegen lassen wir davon ab und denken auch, dass Gott davon ablassen müsste. Unrecht zu bestrafen, Schuld zu rächen, Sünde zu verurteilen – das sind keine falschen Dinge, sondern eine Sache der absoluten Gerechtigkeit.
Man spricht von Gerechtigkeit, wenn man Sünde verurteilt, wenn man Gericht hält, wenn man Unrecht bestraft. Aber urteilen, strafen und rächen sollen wir meiden, nicht weil das eine schlechte Sache ist und Gott sie nicht täte, sondern weil Vergeltung allein Gottes Angelegenheit ist. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns zu rächen, sondern Gott nimmt sich dieser Sache an.
Deswegen kündigt auch Jesus das letzte Gericht an, bei dem wir alle Rechenschaft ablegen müssen und wo jeder vor Gericht kommt, weil Gott der gerechte Richter ist – und nicht wir diese gerechten Richter sind.
John Stott, den ich schon öfter in dieser Reihe zitiert habe, sagt: Der Grund, warum uns diese Dinge verboten sind, ist nicht, dass das Böse keine Strafe verdient hätte – denn das hat es, und es sollte sie auch bekommen –, sondern weil es Gottes Vorrecht ist, es zu bestrafen, nicht unseres. Gott hat die Kontrolle, Gott hat die Position zu befinden, und Gott hat auch die Position, zu verdammen und zu verurteilen.
Die Bibel wendet für unsere Vergebung das genaue Gegenteil der Nachahmung an. Wir sollen zwar Nachahmer Gottes sein, aber wenn es um unsere Vergebung geht, wie wir vergeben, sollen wir explizit Gott nicht nachahmen.
Schauen wir uns dazu Römer 12,17-21 an, denn das ist die Passage, die du eben im Sinn hattest, vielleicht aus dem Alten Testament. Paulus sagt dort:
„Vergeltet niemand Böses mit Bösem, seid bedacht auf das, was ehrbar ist vor allen Menschen. Wenn möglich, soviel an euch liegt, lebt mit allen Menschen in Frieden. Rächt euch nicht selbst, Geliebte, denn es steht geschrieben: ‚Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.‘ Wenn nun dein Feind hungert, so speise ihn, wenn ihn dürstet, so gib ihm zu trinken. Denn wenn du das tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“ Also du wirst ihn zur Beschämung führen durch dieses Verhalten. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten.
In unserer vergebenen Haltung verlangt Gott von uns nicht, dass wir auch auf wiederhergestellte Gerechtigkeit oder Wiedergutmachung verzichten müssen. Das sagt er nicht. Er sagt nicht: Vergib einfach, es ist eigentlich alles egal an Unrecht, das geschehen ist, du sollst einfach so uneingeschränkt vergeben.
Nein, das ist nicht, was der Text sagt. Ja, du sollst vergeben, du sollst in Frieden leben, und du sollst das Böse mit Gut überwinden. Aber die Wiedergutmachung, die Wiederherstellung ist nicht obsolet, sondern das steht auf Gottes Quittung. Er wird sich zu seiner Zeit darum kümmern.
Aber es obliegt nicht dir, lieber Mensch, der du selber sündig bist und selbst unverdiente Gnade erlebt hast. Multipliziere diese Gnade, sammle feurige Kohlen auf sein Haupt, beschäme ihn dadurch, in welcher Gnade du handelst. Aber die Rache ist Gottes.
Deswegen kannst du von der Rache ablassen, weil es jemanden gibt, der ganz präzise urteilt und die Motive des Herzens kennt. Darum sollen wir darauf vertrauen, dass Gott sich dieser Sache annehmen wird.
Dass das Sühneopfer und die Feindesliebe sich einander widersprechen würden und nicht zueinander passen, ist einfach grundtief falsch. Das Sühneopfer am Kreuz ist sogar die Grundlage für vollkommene Nächstenliebe und auch Feindesliebe.
In Epheser 2,16 heißt es: Im kurzen Kontext von Ephesus – Judenchristen und Heidenchristen waren damals nicht miteinander grün, es gab große Schwierigkeiten und Vorwürfe –, durch seinen Tod am Kreuz hat er sowohl Juden als auch Nichtjuden mit Gott versöhnt und zu einem einzigen Leib der Gemeinde zusammengefügt. Durch seinen eigenen Tod hat er die Feindschaft getötet.
Deshalb, wenn jemand sagt, das stellvertretende Sühneopfer stehe im Widerspruch zur Feindesliebe Jesu, müssen wir sagen: Nein. Wir sind unserem Feind wohlgesonnen, weil wir sehen, welche Vergebung und welche Liebe wir im Kreuz Jesu gesehen haben.
Deswegen können wir ablassen, deswegen brauchen wir keine Vergeltung, deswegen brauchen wir keine Rache, weil Gott das Problem mit der Sünde geregelt hat und wir es nicht mehr selbst in die Hand nehmen müssen. Wir müssen nicht mehr unsere eigene Sache, unseren eigenen Rechtsstreit führen, sondern haben jemanden, der das getan hat.
Wenn wir unseren Feind lieben, dann tun wir das auf der Grundlage des Sühneopfers Jesu. In Römer 5 heißt es – wir haben jetzt zu wenig Zeit, da hineinzugehen –, dass Gott uns geliebt hat, als wir noch seine Feinde waren, indem er Jesus Christus sterben ließ an unserer Stelle.
Gott zeigt, wie sehr er uns liebt, an diesem Opfer. Und wenn wir sehen, wie sehr er uns als seine Feinde geliebt hat, sind auch wir bereit, unsere Feinde zu lieben – auf dieser Grundlage.
Beziehungsweise: Wir lieben unsere Feinde zum einen auf der Grundlage des Sühneopfers Jesu, aber auch auf der Grundlage der Rache Gottes. Das sind zwei Ebenen.
Die Schuld, die wir vergeben, wurde entweder in Christus gesühnt, wenn die Person Christ ist. Versteht ihr? Wenn jemand sich an mir schuldig macht – meinetwegen Daniel attackiert mich, Daniel spielt mir übel zu –, und er glaubt an Jesus und hat Vergebung in Jesus, dann ist es nicht einfach ein „Komm, wir decken das über den Teppich“. Seine Schuld wurde bezahlt auf Golgatha.
Das Sühneopfer ist die Grundlage dafür, dass ich jetzt meinen Feind und jetzt Bruder liebe. Aber wenn mein Gegenüber, der mir feindlich gesinnt ist, kein Christ ist und nicht vom Blut Jesu bedeckt ist und Vergebung erfahren hat, wird er am Ende im Gericht die Rache Gottes erleben. Vergeltung und Wiedergutmachung wird er dadurch erfahren.
Deshalb, wenn dieses Argument kommt, dass das Sühneopfer im Widerspruch zur Feindesliebe steht, ist es einfach de facto falsch. Es ist sogar die Grundlage dafür, dass wir einander lieben.
Und wenn es keine geistliche gemeinsame Basis gibt und es wirklich ein Feind ist, dann wissen wir: Gott wird sich dieser Sache annehmen.
Das vorletzte Argument lautet, dass das stellvertretende Sühnopfer eine ungerechte Bestrafung eines Unschuldigen sei. Dazu ein Zitat:
Der Einwand lautet, mit welchem Recht oder welcher Gerechtigkeit kann die Strafe jemand anderem auferlegt werden als demjenigen, der das Vergehen begangen hat? Gehört das Tragen der Strafe nicht zu den Dingen, die ein Mensch nicht für einen anderen übernehmen kann? Selbst wenn ich, der unschuldig bin, bereit wäre, die Strafe zu tragen, die du dir durch deine Straftat zugezogen hast, wäre es ein ungerechter Richter, der eine solche unrechtmäßige Übertragung zuließe oder gar veranlassen würde.
Hier steht also ein Unschuldiger, und man fragt sich: Wie kann man einfach sagen: „Ich habe die Schuld begangen, aber jetzt kommt jemand anderes und trägt sie für mich.“ Was ist das? Das ist doch unfair! Dieses Verhalten ist ungerecht. Du hast die Schuld begangen, du musst dafür geradestehen und das vor Gott klären. Du kannst nicht einfach sagen: „Da ist ein Sündenbock, auf den laden wir das ab.“
Interessant ist, dass das, was viele, die diese Fragen stellen, als ungerecht empfinden, in der biblischen Sprache alles andere als das ist. Schaut mal in 1. Petrus 2,23-24: Jesus übergab sich dem, der gerecht richtet. Er hat unsere Sünden an seinem Leib selbst an das Holz getragen. Das gerechte Richten Gottes wird hier direkt mit dem Tragen unserer Sünden verbunden. Dass Gott das zulässt, dass er das ausgedacht und etabliert hat, ist für Gott keine Ungerechtigkeit, sondern seine Gerechtigkeit. Er richtet gerecht.
Noch deutlicher wird es in Römer 3,25-26: Gott hat Jesus zum Sühnopfer bestimmt, das durch den Glauben an sein Blut wirksam wird, um seine Gerechtigkeit zu erweisen. Weil er die Sünden ungestraft ließ, die zuvor geschehen waren, übte Gott Zurückhaltung, um seine Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit zu erweisen. So zeigt er sich selbst als gerecht und zugleich als den, der den rechtfertigt, der aus dem Glauben an Jesus ist.
Hier geht es also darum, dass Gott lange zurückgehalten hat und die Sünden nicht sofort gestraft hat. Jetzt aber kommt das Sühnopfer: Jesus. Durch den Glauben an sein Blut wird es wirksam für uns. Dabei erweist Gott nicht seine Ungerechtigkeit, sondern seine Gerechtigkeit. Gott hat also einen anderen Maßstab als die Fragesteller, die sagen: „Das ist doch unfair.“ Aus Gottes Sicht ist es pure Gerechtigkeit.
Es wird also als Ungerechtigkeit und Unfairness betrachtet, dass jemand als unschuldige Person für viele schuldige Menschen die Sünde trägt. Aus Gottes Perspektive ist das jedoch ein gerechtes Verhalten. Aber wie kann man das erklären?
Die beste nachvollziehbare Erklärung ist vermutlich, dass wir mit Jesus, wenn wir an ihn glauben, völlig eins und vereinigt sind. Deshalb sind wir nicht völlig entkoppelt von dem Geschehen am Kreuz. Sein Sterben ist unser Sterben, sein Leben ist unser Leben. Unsere Sünde macht er sich zu eigen, seine Gerechtigkeit macht er uns zu eigen.
Er ist das Haupt, wir sind sein Leib. Wir sind nicht einfach losgelöst von dem Geschehen, sondern völlig geistlich vereint mit Christus. Darum ist es nicht so, dass die Schuld einfach von einem Ort auf einen anderen übertragen wird. Vielmehr sind wir miteinander verschmolzen. Jesus als Repräsentant erleidet das für seinen Leib. Das Haupt erleidet es für seinen Leib.
Das ist ein wenig kompliziert. Ich möchte dazu folgendes Zitat vorlesen:
„Die Vereinigung mit Christus erklärt, wie der Unschuldige gerecht bestraft werden kann. Er wird für die Sünden der anderen verurteilt, die durch ihre Vereinigung mit ihm zu seinen werden. Umgekehrt erklärt sie auch, wie die Schuldigen gerecht freigesprochen werden können. Die Gläubigen sind eins mit dem unschuldigen Herrn Jesus Christus, und so wird uns sein Leben in vollkommener Gerechtigkeit zu Recht angerechnet.“
Der Apostel Paulus fasst beide Seiten des Austauschs in einem einzigen Vers zusammen: „Den der Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm.“ Es braucht diese Verschmelzung, diese Einheit, diese Vereinigung mit Christus, die Gott herstellt.
Wenn wir in Römer 6 hineinschauen würden – das machen wir jetzt nicht –, lesen wir dort, dass wir in seinen Tod getauft wurden, mit ihm begraben sind und mit der Gleichheit seines Todes verwachsen sind. Unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt. Wir sind mit Christus gestorben und werden mit ihm leben.
Das bedeutet, es ist nicht so, dass eine Partei einfach hereinkommt und die Schuld einfach abträgt. Nein, wir gehören zusammen, wir sind total eins miteinander.
Vielleicht ist es vergleichbar mit jemandem, der verschuldet ist und einen reichen Mann sucht, der ihn aus seiner Misere herausholt. Wenn er diesen Mann heiratet, wird seine Schuld zu dessen Schuld. Er als Haupt hat alle Gelder zu bezahlen, um die Schuld abzutragen.
Dieser Vergleich hinkt zwar, aber Christus als Bräutigam und wir als seine Braut: Unsere Schuld wird an ihn überführt. Er kann sie begleichen, sodass diese Einheit in Gerechtigkeit weiterbestehen kann.
John Piper sagt dazu: „Nur Gott kann diese Verbindung schaffen, und das macht Christus zu unserem Stellvertreter in einer so umfassenden Weise, dass es praktisch wahr ist, dass wir in ihm bestraft wurden.“
Das ist eine ziemlich tiefe Wahrheit. Wenn man sie nicht gleich in der Tiefe versteht, ist das verständlich. Aber wir sind eins mit Christus. Wir wurden mitgekreuzigt – das zeigen wir in unserer Taufe. Unser alter Mensch wurde begraben. Ein Stellvertreter hat das für uns ertragen und erduldet.
Weil wir so miteinander verwoben sind und diese Einheit eine so feste geistige Realität ist, hat das auch eine heiligende Wirkung in unserem Leben. Weil unser Haupt heilig ist, werden auch wir heilig. Das ist alles Thema von Römer 6: Wir leben nicht mehr in der Sünde, weil wir eins miteinander sind. Das ist kein Automatismus, aber es ist die geistliche Grundlage dafür.
Wow, okay, das war ein umfangreicher Punkt. Wir machen hier eine Pause und kommen zum letzten Thema.
Falls Interesse besteht, kann ich englische Literatur dazu empfehlen. In Deutsch finde ich leider kaum etwas, die deutschen Autoren sind dazu eher zurückhaltend.
Letzter Punkt, und dann machen wir den Sack zu. Das stellvertretende Sühneopfer erlitt nicht die verhängte Strafe.
Der Einwand lautet: Die Sühnelehre vertritt, dass Christus am Kreuz stellvertretend für alle Menschen bestraft wurde. Die Strafe für Sünde sei jedoch ewige Verdammnis. In Markus 9,47-48 heißt es: „Wenn dein Auge dir Anstoß zur Sünde gibt, so wirf es weg; ist es besser für dich, einäugig in das Reich Gottes hineinzugehen, als mit zwei Augen in die Hölle geworfen zu werden, wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt.“ Das ist ewige Strafe, ewige Verdammnis als Preis für unsere Sünde.
Aber wie passt das zusammen? Das ist immer noch der Einwand: Wie passt diese ewige Strafe mit der Kreuzigung Jesu zusammen, die nur ein paar Stunden dauerte? Es war das Leiden von einer einzelnen Person. Und das soll ein stellvertretendes Geduldsein gewesen sein für eine ganze Horde von Generationen, die alle eine ewige Strafe abzuleisten haben? Das ist der Einwand.
Der stellvertretende Sühnopfererlebt nicht die verhängte Strafe. Die Strafe dauerte nur ein paar Stunden am Kreuz, aber man selbst muss eine ganze Ewigkeit leiden. Wie geht das zusammen? Das ist schon fast eine philosophische Frage.
Diese Frage gibt es auch auf einer anderen Ebene: Warum werde ich ewig bestraft für eine Tat, die ich in Raum und Zeit getan habe? Wie kann ich ewig für etwas bestraft werden, das nur von begrenzter Dauer ist?
Allerdings müssen wir festhalten, dass die Höhe der Strafe immer abhängig ist von dem Wert des Geschädigten. Je höher der Wert ist, den ich schädige, desto höher ist meine Strafe. Wenn ich zum Beispiel einen Tisch kaputt mache, habe ich eine andere Strafe, als wenn ich einen Menschen verletze oder alle Menschen schädige.
Das Strafmaß wird nicht mit der Dauer der Straftat bemessen. Ich könnte ja zum Richter gehen und sagen: „Sie können mich maximal für zehn Minuten in den Knast werfen, weil ich den Mord am Gudeler in zehn Minuten begangen habe.“ Zehn Minuten Strafe, zehn Minuten Strafmaß – das ist unmöglich. Man wird sagen, der Wert dieses Menschen ist so hoch, dass wir das Strafmaß erhöhen müssen.
Darum ist auch eine zeitlich begrenzte Straftat höher zu bewerten im Strafmaß. In Amerika hört man manchmal, dass jemand viermal lebenslänglich verurteilt wurde und 400 Jahre im Gefängnis sitzen muss. Das ist witzig, man denkt sich: Wofür? Man könnte doch einfach sagen: „Bis er stirbt.“ Aber da kommt etwas zum Ausdruck.
Der Wert, gegen den wir sündigen, ist Gott. Wie hoch ist denn sein Wert? Unendlich. Sein Wert ist unendlich. Deswegen ist auch das Strafmaß unendlicher Natur, und deswegen ist das tatsächlich von Gott her eine gerechte Angelegenheit.
Wenn wir wissen, dass wir zwar nur in begrenzter Zeit sündigen, unser Strafmaß aber ewig sein kann, müssen wir auch sehen, dass die ewige Strafe allein von jemandem endgültig, final und vollkommen abgetragen werden kann, der von ewigem Wert ist.
Das ewige Strafmaß kann von dem vollkommen erfüllt werden, der selbst in sich ewig ist, also Christus, gleich Gott selbst. Gott selbst kann diese Ewigkeit in sich absorbieren, weil er von ewigem Wert ist.
Darum ist wieder dieses schöne Wort aus 1. Petrus 1,18-19 passend: „Denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichen, zeitlich begrenzten Dingen, mit Silber oder Gold, erlöst worden seid von eurem eitlen, von den Vätern überlieferten Wandel, sondern mit dem kostbaren Blut Christi, als eines Lammes ohne Fehler und ohne Flecken.“
Nicht vergänglich, kostbar, perfekt. Der Wert und die Würde von Christus sind unermesslich und reichen in alle Ewigkeit. Deswegen hat dieses Blut, das hier vergossen wird, nicht eine vergängliche Wirkung von drei Stunden oder meinetwegen auch drei Tagen – wenn du das noch mit dazurechnen möchtest, dass Jesus im Grab blieb – sondern es hat eine beständige und dauerhafte Wirkung.
Hebräer 10,14 sagt: „Denn mit einem Opfer hat er die, die geheiligt werden, für immer vollkommen gemacht.“ Ein Opfer für immer.
Das Interessante im Hebräerbrief ist, dass die ganzen Opfer vorher nichts gebracht haben. Sie mussten immer wieder und wieder dargebracht werden. Warum? Weil ihr Wert nur zeitlich war.
Aber Christus kann ein für alle Mal mit seinem eigenen Blut kommen und die Strafe endgültig und vollkommen abtragen.
Das waren die sechs Einwände oder Argumente gegen das stellvertretende Sühneopfer. Wir haben immer nur die Oberfläche berührt, aber ich denke, man sieht, dass man auch gut dagegen etwas entgegensetzen kann.
Ich möchte unsere Reihe und unseren Abend mit einem Wort von meinem guten alten Freund Charles Haddon Spurgeon beenden.
Wenn jemals der traurige Tag kommen sollte, an dem alle unsere Kanzeln von der modernen Theologie erfüllt sind und die alte Lehre von einem stellvertretenden Opfer verworfen wird, dann bleibt kein Wort des Trostes für die Schuldigen und keine Hoffnung für die Verzagten übrig. Dann wird ein stummer Geist diese düstere Welt beherrschen, und keine Stimme der Freude wird die Stille der Verzweiflung durchbrechen.
Möchte jemand, dass ich die Lehre vom Blut der Besprengung verschweige? Möchte jemand von euch eine so schreckliche Tat versuchen? Werden wir getadelt, wenn wir beständig die vom Himmel gesandte Botschaft vom Blut Jesu verkünden? Werden wir zurückhaltend sprechen, weil einige Menschen beim Klang des Wortes „Blut“ zusammenzucken? Oder weil einige Gebildete sich gegen den altmodischen Gedanken des Opfers auflehnen?
Nein, wahrlich, wir würden lieber die Zunge verloren haben, als dass wir aufhörten, vom teuren Blut Christi zu sprechen. Für mich gibt es nichts außer dieser großen Wahrheit, worüber es sich lohnt nachzudenken oder zu predigen. Sie ist der Anfang und das Ende des gesamten christlichen Glaubens: dass Gott seinen Sohn in den Tod gab, damit Sünder leben können.