Ich möchte alle herzlich zu dieser Einführung in das Lukasevangelium begrüßen. Wir beginnen gleich mit dem Eingangstext, denn dieser ist sehr wichtig.
Darf ich dich bitten, Lukas 1,1-4 zu lesen:
„Da es nun schon viele unternommen haben, einen Bericht von den Ereignissen zu verfassen, die sich unter uns zugetragen haben, wie sie uns die überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes gewesen sind, hat es auch mir gut geschienen, der ich allem von Anfang an genau gefolgt bin, es dir, vortrefflichster Theophilus, der Reihe nachzuschreiben, damit du die Zuverlässigkeit der Dinge erkennst, in denen du unterrichtet worden bist.“
Aufbau und Gliederung des Lukasevangeliums
Diese vier Verse bilden die Einleitung zum Lukas-Evangelium. Gleich danach beginnt der erste Teil. Das Lukas-Evangelium ist so aufgebaut, dass Kapitel 1 bis 9 zeigt, wie der Herr Jesus in diese Welt gekommen ist.
Dieser erste Teil ist in fünf Hauptabschnitte unterteilt. Hier haben wir Lukas 2, das ist Teil I, Abschnitt 1. So geht es dann weiter mit den Abschnitten 2, 3, 4 und 5. Der Wendepunkt im Lukasevangelium, an dem der zweite Teil beginnt, liegt in Kapitel 9.
Wir können das kurz aufschlagen. Edmund, du liest uns bitte diese Wende in Lukas 9,51 vor: „Es geschah aber, als sich die Tage seiner Aufnahme erfüllten, da richtete er sein Angesicht fest darauf, nach Jerusalem zu gehen.“
Das ist überraschend, nicht wahr? Das Evangelium reicht bis Kapitel 24, aber schon in Kapitel 9,51 wird gesagt, dass die Tage nahten, an denen er aufgenommen werden sollte – nämlich in die himmlische Herrlichkeit.
Das Lukasevangelium endet ja mit der Himmelfahrt, mit der Rückkehr in die Herrlichkeit. Ab Kapitel 9,51 beginnt also Teil II, der wiederum in fünf Abschnitte unterteilt ist: 1, 2, 3, 4, 5 bis zum Schluss.
Dieser zweite Teil beschreibt eine Reise aus dieser Welt weg, über die Leiden in Jerusalem bis hin zur himmlischen Herrlichkeit zurück. Der erste Teil hingegen zeigt, wie Jesus aus der himmlischen Herrlichkeit in diese Welt gekommen ist.
Darum wird im Lukas-Evangelium auch sehr betont, dass Jesus aus dem Himmel hier auf Erden zu Besuch gekommen ist. Dazu lesen wir aus Lukas 1,68:
„Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels, dass er sein Volk besucht hat und ihm Erlösung geschaffen hat.“
Dieses Lob von Zacharias ist in der Kirchengeschichte als Benediktus bekannt. Benediktus bedeutet „gepriesen“.
Noch einmal, in Vers 78 heißt es: „Durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, mit der uns der Aufgang aus der Höhe besucht hat, um denen zu leuchten, die in Finsternis und Todesschatten sitzen, um unsere Füße zu richten auf den Weg des Friedens.“
Hier wird also zweimal gesagt, dass Jesus aus der himmlischen Herrlichkeit gekommen ist, um uns zu besuchen.
Wer gerne aufschreibt: In Lukas 7,16 wird noch einmal betont, dass er als Besuch hier auf Erden gekommen ist.
Lukas als historischer Berichterstatter
Nun macht Lukas zunächst eine Einführung (1,1-4). Dabei stellt er klar, dass er keine Mythen oder Legenden erzählt, sondern als Historiker gearbeitet hat. Er schreibt diesen Bericht, dieses Evangelium, und widmet es einem hochgestellten Theophilus (Vers 3), den er als „vortrefflichster Theophilus“ bezeichnet. Der Ausdruck „vortrefflichster“ wurde in der Antike für Personen verwendet, die ein sehr hohes Amt im Römischen Reich innehatten.
Lukas widmet das Evangelium also zunächst diesem gebildeten Theophilus und natürlich auch uns allen. Er erklärt ihm, dass er ganz genau den Augenzeugen nachgegangen ist (Vers 2) und alles gesammelt hat – wie ein Historiker, der Augenzeugenberichte zusammenträgt. Doch nicht nur das: Er hat auch bereits vorhandene schriftliche Abfassungen als Vorlagen benutzt. Das wird in Vers 1 erwähnt, wo es heißt, dass viele unternommen haben, eine Erzählung von den Dingen zu verfassen, die unter uns als völlig glaubwürdig gelten.
Lukas hat also sowohl schriftliche Quellen als auch Augenzeugenberichte verwendet und alles sorgfältig aufgeschrieben. Er betont in Vers 3: „Da hat es auch mir gut gefallen, da ich allem von Anfang genau gefolgt bin.“ Man merkt deutlich, dass er genau gefolgt ist, nicht nur ungefähr. Dies zeigt, wie wichtig ihm der genaue Umgang mit der Wahrheit ist. Er hat „genau gefolgt“ und will dem vortrefflichen Theophilus „der Reihe nach“ schreiben.
Der griechische Ausdruck „der Reihe nach“ bedeutet nicht zwingend eine zeitliche Reihenfolge, sondern eine geordnete Anordnung nach bestimmten Kriterien. Tatsächlich ist das ganze Evangelium eine Komposition von Harmonie und Spiegelungen, die beeindruckend sind. Dies kündigt Lukas auch hier an: Er schreibt „der Reihe nach“ oder in geordneter Reihenfolge auf.
Das Ziel war, damit Theophilus die Zuverlässigkeit der Dinge erkennt. Es ging Lukas also nicht darum, wie es in anderen Religionen wie Buddhismus oder Hinduismus ganz normal ist, Legenden, Mythen oder Göttergeschichten zu erzählen – wie schon bei den alten Griechen und Römern üblich. In der Bibel geht es um wirkliche Ereignisse in der Geschichte, die in Raum und Zeit stattgefunden haben und zuverlässig wiedergegeben werden sollen.
Fortsetzung in der Apostelgeschichte und Abgrenzung zu anderen Evangelien
Lukas hat als Fortsetzung des Lukas-Evangeliums die Apostelgeschichte verfasst. Können wir kurz in Apostelgeschichte 1 nachschlagen? Lies bitte, Edmund, Verse 1:
„Den ersten Bericht habe ich verfasst, Theophilus, von allem, was Jesus angefangen hat zu tun und auch zu lehren, bis zu dem Tag, an dem er in den Himmel aufgenommen wurde, nachdem er den Aposteln, die er sich auserwählt hatte, durch den Heiligen Geist Befehl gegeben hatte. Diesen hat er sich auch nach seinem Leiden in vielen sicheren Kennzeichen lebendig dargestellt.“
Also, er sagt, der erste Bericht ist das Lukas-Evangelium, und jetzt kommt die Fortsetzung. Dann sagt Lukas, dass Jesus sich nach seinem Leiden in vielen sicheren Kennzeichen lebendig dargestellt hat. Er betont damit, dass die Auferstehung keine Legende ist, sondern wirklich stattgefunden hat. Es gibt viele sichere Kennzeichen. Das griechische Wort bedeutet sogar „viele durchschlagende Beweise“. Es geht also nicht um Legenden, sondern um Fakten.
Ja, Christoph, du hast noch eine Frage. Im ersten Kapitel von Lukas steht, dass viele versucht haben, die Erzählungen im Zusammenhang zu verstehen. Heißt das, es müsste ja zum Beispiel nicht zwei oder drei Thomasevangelien geben oder verschiedene Schriften, die außerhalb der Evangelien stehen?
Ich wiederhole das für den Livestream: Wenn Lukas sagt, viele haben es unternommen, eine Erzählung zu verfassen, dann müsste es ja viele andere Evangelien geben neben denen in der Bibel, nicht wahr? Nun, wir haben Hinweise aus der frühen Christenheit, dass tatsächlich das Matthäusevangelium das erste war, das verfasst wurde, dann das Markus- und schließlich das Lukasevangelium. Genau in dieser Reihenfolge.
Das steht im Gegensatz zu der in der liberalen Theologie oft wiederholten Theorie, dass Markus beziehungsweise das sogenannte Ur-Markus das erste Evangelium gewesen sei. Diese Theorie hält wissenschaftlich gesehen aus verschiedenen Gründen nicht stand. Bei Augustin haben wir einen sehr frühen Zeugen, der klarstellt, dass Matthäus der Erste war.
Neben Lukas gab es also vor ihm schon das Matthäusevangelium. Jetzt wird hier jedoch gesagt, dass viele es unternommen haben, eine Erzählung zu verfassen. Das heißt, es gab tatsächlich schon mehr Aufzeichnungen. Wenn jetzt jemand sagt: „Ja gut, es gibt ja ein Thomasevangelium, Petrusevangelium, Judasevangelium“, dann wären diese auch relevant. Aber von diesen sogenannten Evangelien wird heute allgemein in der Wissenschaft akzeptiert, dass sie aus viel späterer Zeit stammen.
Das Thomasevangelium wird allgemein auf etwa 140 nach Christus datiert. Auch das Petrusevangelium stammt aus späterer Zeit. Das heißt, das sind Fälschungen, betrügerische Schriften unter falschem Namen. Der letzte Apostel war Johannes, der um 100 nach Christus starb. Thomas war also schon längst tot, als Johannes starb. 140 nach Christus sind diese Schriften reine Betrügereien.
Interessant ist, dass gerade das Thomasevangelium und auch das sogenannte Judasevangelium, das etwa ins zweite oder dritte Jahrhundert nach Christus datiert wird, gnostische Schriften sind. Die Gnostiker waren eine Irrlehre-Bewegung im ersten Jahrhundert. Sie leugneten, dass Jesus im Fleisch gekommen ist.
Darum wird im ersten Johannesbrief darauf hingewiesen, dass man falsche Propheten und Antichristen daran erkennt, dass sie leugnen, Jesus sei im Fleisch gekommen. Das waren also genau solche betrügerischen Schriften aus diesen Sekten.
Jetzt stellt sich die Frage: Wo sind diese Schriften geblieben? Man muss sogar davon ausgehen, dass selbst die Jünger, als sie die Reden des Herrn hörten, zum Teil mitgeschrieben haben. Die Schreibfähigkeit in Israel war viel verbreiteter als bei anderen Völkern, und zwar wegen der Heiligen Schrift.
Was damals verbreitet war, waren zwar keine Notebooks, aber eine Art Notiztafeln mit Wachs. Dort konnte man Notizen machen. Es gab auch damals eine Art Stenographie. Man kann also davon ausgehen, dass die Jünger solche Notizen gemacht haben. Solche Vorlagen waren also vorhanden, aber das waren nicht die inspirierten Schriften.
Alles, was nicht inspiriert ist, wurde dann auch nicht besonders gepflegt und weiter überliefert. Nachdem Matthäus als Apostel und Lukas und Markus als Propheten anerkannt waren – ich muss noch einmal nachbessern, ob Markus vor Lukas war, da kann man noch diskutieren –, wurden nur diese Schriften von Aposteln und von Aposteln anerkannten Propheten akzeptiert.
Das heißt, alles Übrige wurde als menschlich betrachtet und ging verloren. Wir haben keine Spuren mehr von solchen Notizen. Es gibt eben nur die biblischen vier Evangelien aus dem ersten Jahrhundert. Alles andere stammt aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert und zwar von Betrügern. Das ist der Unterschied.
Gut, aber wir schauen uns jetzt das Weitere an.
Beginn des ersten Teils: Die Geschichte vom alten Mann im Tempel
Der erste Teil beginnt mit der Geschichte „Ein alter Mann im Tempel“.
Lest du, Edmund: Es war in den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa, ein Priester mit Namen Zacharias aus der Abteilung des Abia, und seine Frau war aus den Töchtern Aarons, ihr Name war Elisabeth.
Wir sehen also, dass der Historiker Lukas die Geschichte genau datiert. Er beginnt nicht wie in Märchen mit „Es war einmal“, sondern mit „Es war in den Tagen des Herodes“. Herodes war der von den Römern eingesetzte König über das Volk der Juden. Er regierte ab 37 vor Christus. In den meisten Lexika steht, er habe bis 4 vor Christus regiert. Doch diese Zahl ist nicht gesichert.
Man hat dies aufgrund eines Berichts von Josephus Flavius ermittelt, einem jüdischen Geschichtsschreiber aus dem ersten Jahrhundert. Er berichtet, dass es vor dem Tod von Herodes eine Mondfinsternis gegeben habe. Astronomisch gab es 4 vor Christus eine teilweise Mondfinsternis. Daher haben viele Lexika diesen Zeitpunkt als Herodes’ Todesjahr übernommen.
Es gab jedoch auch eine vollständige Mondfinsternis im Jahr 1 vor Christus. Die historischen Zahlen verschieben sich gegenüber der Astronomie, da es in der Geschichte keinen Nullpunkt gibt. So entspricht historisch 4 vor Christus astronomisch 3 vor Christus. Das Jahr 0 gibt es astronomisch, aber nicht historisch.
Es gibt starke Argumente, dass die Ereignisse kurz vor dem Tod von Herodes besser auf die Mondfinsternis im Jahr 0 astronomisch datiert werden können. Damit stimmt auch unsere Zeitrechnung besser überein.
Es war also in den Tagen Herodes, sodass wir die Geschichte geschichtlich einordnen können. Das ist ganz anders als bei Legenden, die keine genaue Zeitangabe haben.
So beginnt der erste Teil, Römisch 1,1 und 1,2. Wir werden sehen, dass in Kapitel 3 ein neuer Abschnitt beginnt.
Lest du uns mal vor, wie es dort beginnt?
„Im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter von Judäa war und Herodes Vierfürst von Galiläa, sein Bruder Philippus Vierfürst von Iturea und der Landschaft Drachonitis, und Lisanjas Vierfürst von Abilene, unter dem Hohenpriesteramt von Hannes und Kaiphas, geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, in der Wüste.“
Hier sehen wir, wie Lukas datiert. Es war in der Zeit von Kaiser Tiberius, der 14 nach Christus zu regieren begann. Im fünfzehnten Jahr seiner Herrschaft, also im Jahr 29.
Das überschneidet sich mit der Regierungszeit von Pontius Pilatus als Statthalter von Judäa von 26 bis 36. Das passt gut zusammen.
Doch das reicht Lukas nicht. Er nennt sieben Personen aus der Weltgeschichte, um diese Datierung genau festzumachen. Das ist deutlich anders als bei Märchen wie Hänsel und Gretel, die „einmal waren“ und sich im Wald verirrten.
Wann war das? Welcher Wald? Schwarzwald? Das wird nicht gesagt. War es zur Zeit Karls des Großen, um 800? Auch das wird nicht gesagt. Warum? Weil es nicht wichtig ist, wo und wann es war. Es hat ja nie stattgefunden. Das sind Märchen, also Mythologie.
Hier aber ist Lukas wichtig zu zeigen, dass Gott in Raum und Zeit gehandelt hat. Deshalb gibt es nicht nur Zeitangaben, sondern auch geografische Angaben.
So beginnt Teil 1,2 mit einer genauen Datierung. So erfahren wir genau, wann das mit dem alten Mann im Tempel geschah.
Zacharias war Priester und hatte eine Dienstwoche in Jerusalem, wie es üblich war, von Sabbat bis Sabbat. Der Bibeltext sagt, er gehörte zur achten Abteilung, Vers 5. Das ist die Abteilung Abia. Nach 1. Chroniker 24, wo die 24 Priesterklassen erwähnt werden, ist das die achte Klasse. Diese hatte im Monat Mai ihre Dienstwoche, einmal im Jahr, dann etwa ein halbes Jahr später die zweite.
Zacharias war also im Tempel. Weiter heißt es, er wurde durchs Los gewählt, das Rauchopfer darzubringen. Das Morgenrauchopfer auf dem goldenen Altar im Heiligen. Das war eine große Ehre, denn man durfte diese Aufgabe nur einmal im Leben übernehmen.
Darum wurde verlost, und wer das Los hatte, durfte nie mehr daran teilnehmen. Zacharias war alt und hatte das Los gezogen. Das heißt, in seinem ganzen langen Leben hatte er diese begehrteste Aufgabe der Priester noch nie übernehmen dürfen.
Andere Priester mussten alles vorbereiten. Dann kam der große Moment: Am Räucheraltar stehend mit dem goldenen Rauchfass musste der Priester zum ersten Mal mit beiden Daumen das Rauchwerk herausholen. Ganz hinten, wo die heißen Kohlen auf dem Altar lagen, zog er das Räucherwerk hervor.
Rechts vom Altar stand jemand. In Vers 11-12 lesen wir: „Es erschien ihm aber ein Engel des Herrn, der zur Rechten des Räucheraltars stand. Als Zacharias ihn sah, wurde er bestürzt, und Furcht überfiel ihn.“
Man muss sich vorstellen: Es war klar geregelt, dass kein anderer Priester im Heiligen sein durfte. Zacharias war allein. Und nun stand da jemand – der Engel Gabriel, der vor Gott steht.
Gabriel sagt: „Eure Gebete sind erhört worden. Elisabeth wird einen Sohn bekommen.“
Dieser Sohn sollte der Vorläufer des Messias werden. Er sollte die Prophetie über den Propheten erfüllen, der in Maleachi 3 am Schluss genannt wird: Elia.
Ein Prophet, der das Volk vorbereitet, damit es bereit ist, den Messias zu empfangen. Indem er das Herz der Väter zu den Kindern und das Herz der Kinder zu den Vätern führt.
Der alte Priester Zacharias war ein gottesfürchtiger Mann. Er konnte es nicht glauben und bat um ein Zeichen, damit er erkennen könne, dass die Prophetie wahr sei.
Der Engel antwortete: „Du wirst stumm sein.“
Unglaube und seine Folgen
Was war mit diesem alten Mann im Tempel? Er konnte nicht glauben, dass Gott den abgestorbenen Körper eines Mannes so wiederherstellen konnte, dass er fähig wäre, einen Sohn zu zeugen. Er konnte nicht glauben – und das ist ja auch wirklich schwer – dass eine alte Frau nochmals ihre Periode bekommt und schwanger wird. Er konnte das nicht glauben.
Dieser Unglaube ist natürlich ein großes Problem im Hinblick auf das Evangelium. Hier beginnt ja das Evangelium. Es geht um den Vorläufer des Messias, der denjenigen, der aus dem Himmel kommen wird, in diese Welt einführt.
Wenn wir an den letzten Teil des Lukas-Evangeliums denken, geht es darum, dass der Messias, der wirklich starb und dessen Körper tot im Grab lag, wieder lebendig werden sollte. Das ist doch noch einiges schwieriger, als dass ein alter Mann plötzlich wieder zeugungsfähig wird oder eine ganz alte Frau überhaupt noch ein Baby bekommen kann.
Wenn man das nicht einmal glauben kann, wie soll man dann glauben, dass der Messias sterben und wirklich wieder auferstehen wird? Jetzt verstehen wir auch, warum es so schwerwiegend war, dass er es nicht geglaubt hat.
Wie konnte das Volk Gottes gesegnet werden? Das war die Aufgabe der dienstführenden Priester an diesem Tag. Sie mussten auf den Treppen vor dem Tempelhaus, vor der Eingangshalle stehen, die Hände über dem Kopf halten und sprechen, wie es in 4. Mose 6 heißt: „Der Herr segne dich und behüte dich, der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir“ und so weiter.
Das wäre ja nur ein Ritual gewesen – ein Segen ohne Glauben. Darum musste der alte Mann im Tempel stumm bleiben.
Struktur des ersten Teils und Kontraste
Aber jetzt werden wir sehen: In diesem ersten Teil ist alles so aufgebaut, dass der erste Abschnitt für sich steht. Danach folgen zwei Abschnitte, die eng zusammengehören – nämlich Abschnitt zwei und drei. Ebenso bilden vier und fünf, sechs und sieben sowie acht und neun jeweils Paare, die eng miteinander verbunden sind. Der letzte Abschnitt, Abschnitt zehn, steht dann wieder für sich allein.
In diesem letzten Abschnitt sehen wir den Herrn Jesus als Zwölfjährigen im Tempel. Hier fällt ein deutlicher Kontrast auf: Ein alter Mann im Tempel steht dem Knaben im Tempel gegenüber.
Man könnte hinzufügen: Der Unglaube von Zacharias wird hier dargestellt. Ebenso begegnen wir dem Unverstand von Maria und Joseph. Als sie den Zwölfjährigen im Tempel finden, wollten sie eigentlich schon nach Hause gehen. Doch er wollte die Passawoche vollenden. Sie sagen zu ihm: „Wir haben uns so gesorgt, wie konntest du uns das antun?“ Darauf antwortet der Zwölfjährige: „Ich muss sein in den Dingen meines Vaters.“
Maria und Joseph verstehen das überhaupt nicht. Dieser Unverstand von Maria und Joseph spiegelt sich im Unglauben von Zacharias wider.
Der Knabe im Tempel wird uns als noch nicht Erwachsener vorgestellt. Im Judentum gilt man erst mit dreizehn Jahren als erwachsen. Das ist zwar relativ früh, aber so war es. Der Knabe war also noch minderjährig. Im Gegensatz dazu steht Zacharias, der sehr, sehr alt war.
Von Zacharias wird gesagt, wie er die großen Lehrer des Sanhedrins, die an den Festtagen auf die Terrasse vor dem inneren Vorhof kamen, um Fragen zu beantworten, in höchste Verwunderung versetzte – sowohl durch seine Fragen als auch durch seine Antworten. Das ist erstaunlich, denn normalerweise durfte das Volk an diesen Festtagen, jetzt gerade zu Pessach, Fragen stellen, und die großen Lehrer beantworteten diese. Doch plötzlich merkten sie, dass niemand die Schrift besser kannte als dieser Minderjährige im Tempel. Darum begannen sie, ihm Fragen zu stellen.
Jetzt fehlt noch eine Zwischenfrage: Du denkst an welche Geschichte in 1. Mose? Sarah? Genau, Sarah. Hätte Zacharias die Schriftkenntnis als alter Mann umgesetzt, dann hätte er, wie Susann sagt, aus 1. Mose vor Augen haben müssen, dass Sarah neunzig Jahre alt war und Abraham hundert. Beide waren bereits alt. Warum hat Gott fünfundzwanzig Jahre lang gewartet, bis er die Verheißung erfüllte?
Eigentlich waren es sogar noch etwas mehr Jahre. Abraham kam mit fünfundsiebzig ins Land, doch erst mit hundert Jahren bekam er den verheißenen Sohn. Warum hat Gott so lange gewartet? Er hat gewartet, damit Israel ein unmögliches Volk werden sollte – wissenschaftlich und biologisch unmöglich.
Ein hundertjähriger Mann, der nicht mehr zeugen konnte, und eine neunzigjährige Frau, die nicht mehr gebären konnte – von diesen beiden stammt das Volk Israel ab. Biologisch und materialistisch gesehen dürfte es Israel gar nicht geben. Es ist in diesem Sinn unmöglich. Doch es gibt Israel, es ist ein Wunder.
Ben Gurjon, der erste Premierminister Israels, hat schon betont: Wer in Israel nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. Das zeigt auch, dass Gott über allem steht. Er steht über allem Biologischen und Physikalischen in der Welt.
Genau deshalb sollte es ihm auch möglich sein, am Schluss des Lukas-Evangeliums den Herrn Jesus von den Toten auferwecken zu lassen. So sehen wir: Der Anfang bereitet schon das Ende des Evangeliums vor.
Zeitliche Markierungen und Verknüpfungen der Geschichten
Aber jetzt möchte ich zeigen, warum diese systematische Einteilung sinnvoll ist. Edmund, liest du nach dieser Geschichte mit Zacharias Vers 24? Dort steht: „Nach diesen Tagen aber wurde Elisabeth, seine Frau, schwanger und zog sich fünf Monate zurück und sagte: So hat mir der Herr getan in den Tagen, in denen er mich angesehen hat, um meine Schmach vor den Menschen wegzunehmen.“
Hier folgt also ein Refrain, wie wir gleich sehen werden, mit genauen zeitlichen Angaben. Elisabeth wurde schwanger, und dann vergingen fünf Monate. Das heißt, zwischen Geschichte eins und der nächsten Geschichte liegt ein Abstand von fünf Monaten. Diese nächste Geschichte, die also Geschichte zwei ist, beginnt dann im sechsten Monat. In Vers 26 geht der Engel Gabriel nach Nazareth und kündigt der jungen Frau Maria, einer Jungfrau, an, dass sie die Mutter des Messias werden wird.
Das ist Geschichte zwei. Danach besucht Maria ihre Verwandte Elisabeth. Diese Begegnung und die Freude, die Maria dabei ausdrückt, sehen wir in Vers 46 und 47: „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist hat frohlockt in Gott, meinem Heiland.“
Geschichte zwei ist also die Ankündigung an Maria, und Geschichte drei ist der Besuch von Maria bei Elisabeth, bei dem Maria das Magnificat betet. Magnificat heißt auf Lateinisch „erhebt“, weil es mit den Worten beginnt: „Meine Seele erhebt den Herrn.“ Deshalb wird dieses Lobgesang in der Kirchengeschichte einfach „Magnificat“ genannt.
Maria preist in diesem Lied das Wunder, dass sie die Mutter des Messias werden soll. In diesen beiden Geschichten finden wir die Freude Marias, die Worte des Engels Gabriel und die ermutigenden Worte Elisabeths sowie den Besuch von Maria bei Elisabeth.
Nach diesen beiden Geschichten, also nach Geschichte zwei und drei, kommt wieder ein Refrain. Lies du, Edmund, Vers 56: „Und Maria blieb ungefähr drei Monate bei ihr. Und sie kehrte zu ihrem Haus zurück.“
Hier, in Vers 56, wird wieder eine zeitliche Markierung gesetzt. Maria bleibt drei Monate bei Elisabeth, dann kehrt sie zurück. Danach folgen wieder zwei Geschichten, Geschichte vier und fünf. Wir sehen also ständig diese zeitlichen Markierungen, die helfen, die Geschichten zusammenzufassen.
So gehören Geschichte zwei und drei zusammen, dann folgt eine zeitliche Markierung. Geschichten vier und fünf gehören zusammen, dann wieder eine zeitliche Markierung, und so weiter. Man erkennt schon, dass Geschichte eins, die für sich steht, und Geschichte zehn, die ebenfalls für sich steht, sich spiegeln.
Wir haben hier den alten Mann im Tempel und den Knaben im Tempel. Dazwischen steht die Freude Marias. Abschnitt acht und neun bilden einen weiteren Kontrast: Es sind die zwei Geschichten über Simeon und seine wunderbaren, ermutigenden Worte sowie über die Prophetin Anna.
In diesem Zusammenhang geht es um die zukünftige Seelenpein Marias. Simeon sagt: „Ein Schwert wird deine Seele durchfahren.“ Maria sollte erleben, wie der Messias, dessen Mutter sie werden durfte, gekreuzigt wird. So entsteht ein Kontrast zwischen der Freude Marias und ihrer Seelenpein.
Die Worte Gabriels und Elisabeths spiegeln sich in den Worten von Simeon und Anna wider. Während es in den Geschichten zwei und drei um den Besuch von Maria bei Elisabeth geht, handeln die Geschichten acht und neun von einem Besuch Marias im Tempel.
Nun schauen wir uns Vers 80 an: „Er wuchs und erstarkte im Geist und war in der Einöde bis zum Tag seines Auftretens vor Israel.“ Hier haben wir wieder einen Refrain mit zeitlichen Angaben, der markiert, welche Geschichten zusammengehören.
Kommen wir nun zu Kapitel 2, Vers 1: „Und es geschah aber in jenen Tagen, dass eine Verordnung von Kaiser Augustus ausging, den ganzen Erdkreis einzuschreiben.“ Diese Einschreibung fand statt, als Cyrenius Statthalter von Syrien war. Alle gingen hin, um sich einschreiben zu lassen, jeder in seiner Vaterstadt.
„Und es geschah, als sie dort waren, wurden ihre Tage erfüllt, dass sie gebären sollte. Sie gebar ihren erstgeborenen Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Raum für sie war.“
In den Geschichten sechs und sieben geht es also um die Geburt des Herrn Jesus und seine Beschneidung. In den vorhergehenden Geschichten vier und fünf geht es um die Geburt des Vorläufers Johannes des Täufers und seine Beschneidung.
Hier zeigt sich eine Parallele: Geburt und Beschneidung Johannes’, dann Geburt und Beschneidung des Erlösers. In den Geschichten vier und fünf hören wir das wunderbare Lob des Zacharias über den Besuch Gottes in dieser Welt. Das ist parallel zu Vers 26 und 27, wo das Lob der Engel über den Feldern von Bethlehem bei den Hirten erklingt.
Nun sind wir mit der Zeitangabe durch, und ich möchte schnell abschließen. Wir fahren beim nächsten Mal hier noch weiter. Ich möchte aber noch den Refrain in Kapitel 2, Vers 21 zeigen. Edmund, liest du das? „Und als acht Tage vollendet waren, dass man ihn beschneiden sollte, da wurde sein Name Jesus genannt, der von dem Engel genannt worden war, ehe er im Mutterleib empfangen wurde.“
Hier wird wieder ein Einschnitt mit einer zeitlichen Angabe gemacht: Acht Tage sind vollendet, und dann erfolgt die Beschneidung.
Dann kommt der nächste Refrain, Kapitel 2, Vers 40: „Das Kindlein aber wuchs und erstarkte, erfüllt mit Weisheit, und Gottes Gnade war auf ihm.“ Auch hier haben wir wieder einen allgemeinen Bericht über das Wachsen und einen weiteren Zeitraum.
Danach folgt die Beschreibung des zwölfjährigen Jesus im Tempel. Lukas macht hier einen zeitlichen Sprung. Lies du noch Vers 41 und 42: „Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach der Gewohnheit des Festes.“
Und dann der letzte Vers, Kapitel 2, Vers 52: „Jesus nahm zu an Weisheit und Alter und Gunst bei Gott und Menschen.“ Hier sehen wir wieder einen Vers, der einen längeren Zeitraum beschreibt, nämlich Wachstum und Entwicklung.
Damit ist dieser erste Teil abgeschlossen. Bereits gelesen haben wir Kapitel 3, Vers 1: Achtzehn Jahre später geht es um das Auftreten von Johannes dem Täufer und den öffentlichen Dienst des Herrn Jesus.
Nächstes Mal werden wir nochmals kurz darauf zurückkommen und dann weiter in der Übersicht die Kapitel drei bis fünf anschauen.