Ich möchte alle ganz herzlich zu unserem Morgenthema mit dem Titel „Paulus: Leben, Werk, Wirkung“ begrüßen.
Die Kindheit und Herkunft Saulus'
Wir beginnen mit der Kindheit von Saulus. Das war sein ursprünglicher Name. Übrigens ist Saulus die lateinisch-griechische Aussprache des hebräischen Namens Shaul. Dieser Name stammt vom ersten König Israels, Saul. Der Name bedeutet „begehrt“ oder „gewollt“ und leitet sich von „Scha'al“ ab, was „fragen“ oder „erbitten“ bedeutet.
König Saul war ein König nach dem Herzen der Menschen. Die Menschen wollten unbedingt einen König, und dazu passte sein Name Sha'ul sehr gut. Er war ein großer Mann, ein Kopf größer als alle anderen, und ein eindrücklicher Mann aus dem Stamm Benjamin.
Saulus wurde in Tarsus geboren, wie man auf der Karte sehen kann, in der heutigen Türkei am Mittelmeer. Seine Eltern stammten ebenfalls aus dem Stamm Benjamin. Das erfahren wir aus Römer 11,1 und Philipper 3,5. Offensichtlich waren es sehr starke und leistungsorientierte Eltern. Deshalb gaben sie ihrem Kind den Namen Saulus, Shaul. Es sollte etwas Besonderes werden, wie wir gleich noch sehen werden.
In der Antike war es üblich, dass Kinder nicht wie heute in den Kindergarten gingen. Mit etwa fünf Jahren begannen sie eine Lehre bei ihrem Vater und übernahmen sein Handwerk. So wurde Paulus Zeltmacher, wie wir aus Apostelgeschichte 18,3 erfahren.
Interessant ist, dass Tarsus zur Provinz Zilizien gehörte, im Gebiet der heutigen Türkei. Dort hat sich der Beruf des Zeltmachers historisch etabliert. Das Ziegenhaar in dieser Provinz war bekannt dafür, besonders dick und schwer zu verarbeiten zu sein. Wenn man es jedoch verarbeiten konnte, war es sehr wertvoll. Deshalb hat sich gerade in dieser Provinz dieser Beruf besonders entwickelt.
Paulus lernte also als Kind, Zeltplanen aus Ziegenhaar herzustellen. Dabei sprechen wir nicht von einem Teenageralter, denn mit dreizehn Jahren war man damals bereits erwachsen. In dieser Zeit feierte man die Bar Mitzvah, den „Sohn des Gebots“. Ab diesem Alter erwartete man, dass man die Gebote Gottes nicht mehr nur aus Gehorsam gegenüber den Eltern befolgte, sondern aus eigener Überzeugung.
Das hatte übrigens auch Vorteile. Vor 2000 Jahren wusste man nichts von einem Teenageralter. Dieses Konzept wurde erst in jüngerer Zeit erfunden. Es bedeutet, dass man weder Kind noch Erwachsener ist. Weil man beides nicht ist, darf man sich oft Dinge erlauben, die man als Kind oder Erwachsener nicht durfte. Das ist die Zeit, in der man ein bisschen verrückt sein kann.
Dieses Konzept gab es in der alten Welt nicht, auch nicht im Judentum. Mit dreizehn Jahren war man erwachsen.
Die Ausbildung Saulus' in Jerusalem
Im Teenageralter schickten die Eltern ihren Sohn Saulus nach Jerusalem in die Rabbinerschule. Natürlich hätte er auch in Tarsus beim Rabbi studieren können, aber sie wollten wirklich aus ihm einen besonderen Jungen machen. So kam er zu einem der berühmtesten Rabbiner im damaligen Judentum: Gamaliel. Das erfahren wir aus Apostelgeschichte 5,34 und 22,3.
In Apostelgeschichte 22,3 erzählt Paulus seine Geschichte: „Ich bin ein jüdischer Mann, geboren in Tarsus in Zilizien, aber aufgewachsen in dieser Stadt, das heißt Jerusalem, zu den Füßen Gamaliels. Unterwiesen nach der Strenge des väterlichen Gesetzes war ich, wie ihr alle heute seid, ein Eiferer für Gott.“
Hier sehen wir Jerusalem im Jahr 30. Das Stadtbild war geprägt vom gewaltigen zweiten Tempel. Mit seinen 144 Quadratmetern war er eines der größten Heiligtümer der alten Welt. Man könnte darin alle berühmten Kathedralen von England unterbringen und hätte noch Raum übrig. In dieser Stadt wurde Paulus bei Gamaliel unterwiesen.
Es war damals üblich, dass die Studenten am Boden saßen – eben zu den Füßen des Lehrers. Paulus wurde in Jerusalem zu den Füßen Gamaliels erzogen. Gamaliel gilt noch heute im Judentum als einer der größten Rabbiner aller Zeiten. Man nennt ihn auch Gamaliel den Ersten, weil er einen Sohn hatte, der als Gamaliel der Zweite bekannt wurde. Doch Gamaliel der Erste war der besonders wichtige.
Er war Mitglied des Sanhedrins, des obersten Gerichtshofs von Israel. Dieser Gerichtshof hatte ab dem Jahr 30 seinen Sitz in der königlichen Säulenhalle, in der Südostecke des Tempelplatzes. Bis dahin war der Sanhedrin in einem Gebäude nahe dem innersten Vorhof des Tempels untergebracht, dem sogenannten Haus der behauenen Steine. Im Jahr 30 zog er dann in die königliche Säulenhalle um.
Gamaliel wird auch im Talmud erwähnt. Der Talmud ist das wichtigste theologische Werk im Judentum, und dort erfährt man, wie bedeutend er war. Sein Großvater war allerdings noch berühmter: Rabbi Hillel. Er war der Hauptvertreter einer der beiden Richtungen im pharisäischen Judentum. Es gab nämlich noch die Gegenschule von Schamai. Man kann sagen: Schamai war die ganz strenge Schule, während Hillel eher weniger streng war.
Sehr eindrücklich sieht man das beim Thema Ehescheidung. Dort gab es einen Unterschied zwischen den beiden Schulen. Schamai erklärte zu 5. Mose 24: Wenn ein Mann etwas Schamwürdiges an seiner Frau findet und sie entlässt, soll er ihr einen Scheidebrief mitgeben. Die Schule von Hillel, dem Großvater von Gamaliel, lehrte: Was ist ein „etwas Schamwürdiges“? Zum Beispiel, wenn eine Ehefrau das Essen verbrennt – das gilt als schamwürdig und ist ein Grund für Ehescheidung.
Schamai hingegen sagte: Nein, „etwas Schamwürdiges“ meint vollzogenen Ehebruch. Wenn die Frau Hurerei begangen hat, dann ist es möglich, sie zu entlassen.
In Matthäus 5, in der Bergpredigt, nimmt Jesus zu diesem Thema Stellung. Er sagt: Wenn ein Mann seine Frau entlässt, außer wegen Unzucht, macht er, dass sie Ehebruch begeht. Denn mit dem Scheidebrief in der Hand denkt sie, sie sei nicht mehr verheiratet und könne wieder heiraten. Wenn sie das tut, bricht sie die Ehe, die vor Gott immer noch gilt.
In Matthäus 19 zeigt Jesus den Pharisäern, dass von Anfang an Gott einen Mann und eine Frau zusammengefügt hat. Gott will keine Ehescheidung. Sie ist nur wegen Unzucht erlaubt. Die Jünger reagieren darauf erstaunlich und sagen: Dann ist es besser, wenn man nicht heiratet.
Die Jünger waren also stark in der Schule von Hillel geprägt. Jesus stellte in dieser Hinsicht die Schule von Schamai als biblisch korrekt dar. Das zeigt, dass Gamaliel nicht der überaus strengste Rabbiner war. Paulus kam also aus einer Richtung, die in gewissen Hinsichten zu wenig gesetzlich war. Die Ansicht über die Ehescheidung, wie sie die Schule von Hillel vertrat, war aus biblischer Sicht ungesetzlich.
Gamaliel war jedoch bekannt für seine besondere Weisheit und seine Fähigkeit, in Konflikten auszugleichen.
Hier, in der königlichen Säulenhalle, sehen wir die bereits erwähnte Südostecke, wo die 72 großen Richter Israels zusammenkamen. Sie standen unter dem Vorsitz des Hohen Priesters, damals Kajafas, der auch Jesus an dieser Stelle zum Tod verurteilte.
Man sieht noch die Bänke in der Halle, die für die Studenten der großen Lehre des Sanhedrins gedacht waren. Paulus nahm dort Platz, hörte zu bei Prozessen und sah, wie sein Lehrer Gamaliel urteilte.
Die Anfänge der Urgemeinde und die Verfolgung
Nach dem Tod und der Auferstehung des Herrn Jesus vergingen 50 Tage. Das war dann der Tag von Pfingsten. An diesem Tag wurde der Heilige Geist ausgegossen, und die an den Messias gläubigen Juden wurden zu etwas ganz Neuem zusammengefügt: zur Gemeinde.
Wir erfahren aus Apostelgeschichte 5,12, dass die Urchristen damals zunächst alle Judenchristen waren. Sie waren alle einmütig in der Säulenhalle Salomons versammelt. Die Säulenhalle Salomons ist die Halle entlang der Ostmauer, dort, wo man heute noch das goldene Tor sehen kann. In diesem Abschnitt von zweihundertfünfzig Metern Länge versammelten sich die Judenchristen jeden Tag.
Hier sieht man nochmals den Sanhedrin, und hier ist die kirchliche Säulenhalle ganz nahe beim Sanhedrin. Dort kamen sie zusammen. Das war natürlich eine großartige Gelegenheit. Tag für Tag wurde das gesamte Judentum im Tempel mit dem Evangelium und dem auferstandenen Messias konfrontiert.
Die Gemeinde wuchs sehr stark. Am Pfingsttag kamen 3000 Juden zum Glauben. Wir lesen in Apostelgeschichte 5, dass schon kurze Zeit später die Zahl der Männer auf 5000 stieg. Frauen und Kinder wurden dort nicht mitgezählt. So sieht man, wie das Wachstum zunahm. Bedenkt man, dass die Partei der Pharisäer damals etwa sechstausend Personen umfasste, versteht man die Eifersucht, die entstanden ist, als dieses Wachstum der Judenchristen sichtbar wurde.
Es gab also eine tägliche Konfrontation, doch das Zeugnis wurde einmütig abgelegt. Übrigens war die Säulenhalle ein Gratisraum, es musste keine Miete bezahlt werden. Die Halle war oben mit einer wunderbaren Zedernholzdecke versehen, was auch akustisch ideal für Gesang, Predigt und Lehre der Apostel war.
Paulus erlebte, wie das Judenchristentum die Gemeinde in Jerusalem ab dem Jahr 32 wachsen ließ. Im Jahr 33, ein Jahr später, kam es zur Steinigung des Stephanus. Stephanus war einer der besten Evangelisten, der gut mit den Leuten argumentieren konnte. Seine Predigten forderten das Judentum so sehr heraus, dass er schließlich verhaftet und vor den Sanhedrin gestellt wurde.
Dort hielt Stephanus eine sehr eindrückliche Predigt, die in einem ganzen Kapitel der Apostelgeschichte berichtet wird. Sein Zeugnis war so durchschlagend, dass seine Gegner mit den Zähnen knirschten. Wenn jemand mit den Zähnen knirscht, weil ihm die Predigt nicht passt, dann ist das ein starkes Zeichen.
Schließlich wurde Stephanus aus der Halle hinausgezerrt und außerhalb der Stadt Jerusalem gesteinigt. Der junge Saulus, der überzeugt war, dass diese Judenchristen Irrlehrer seien, die vom wahren Judentum abfielen, bewachte die Kleider derjenigen, die Stephanus zu Tode steinigten.
Saulus machte eine steile Karriere. Im Galaterbrief 1 schreibt er davon, wie er als Jugendlicher oder junger Mann über alle seine Zeitgenossen hinausgewachsen ist. Er war der aufstrebende Mann des Judentums damals.
So holte er bei den führenden Priestern Empfehlungsbriefe, um die Judenchristen auch außerhalb Jerusalems zu verfolgen. Mit der Steinigung des Stephanus begann eine allgemeine Verfolgung der Christen. Sie wurden aus Jerusalem hinaus in die Landschaft Judäa zerstreut, und von dort aus gingen sie immer weiter.
Apostelgeschichte 8 und 11 berichtet, wie diese Gemeinde, die in Jerusalem fast völlig zerstört wurde, nur noch von den Aposteln zurückblieb. Tausende gingen weg. Sie versteckten sich nicht irgendwo, sondern predigten unterwegs auf ihrer Flucht in Judäa, dann auf der Insel Zypern, im Gebiet des Libanon, in Syrien bis nach Antiochien.
Antiochien liegt im Süden der heutigen Türkei. Dort entstand die erste Gemeinde, die in der Apostelgeschichte erwähnt wird und nur aus Nichtjuden bestand. Einige Judenchristen begannen nämlich, das Evangelium nicht nur Juden zu verkündigen, sondern auch Nichtjuden. So entstand plötzlich eine Gemeinde, die ausschließlich aus Nichtjuden bestand.
Die Bekehrung Saulus' und seine erste Missionszeit
Paulus wollte also die Christen, die geflohen waren, bis nach Damaskus verfolgen. Das führt uns zu seinem Erlebnis vor Damaskus, das in Apostelgeschichte 9 beschrieben wird. Voll Zorn und Wut auf diese für ihn Abgefallenen kommt er in die Nähe der Stadt. Plötzlich ereignet sich, was in Apostelgeschichte 9, Vers 3 beschrieben wird:
„Als er aber hinzog, geschah es, dass er Damaskus nahte, und plötzlich umstrahlte ihn ein Licht aus dem Himmel. Und auf die Erde fallend hörte er eine Stimme, die zu ihm sprach: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber sprach: Wer bist du, Herr? Er aber sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Stehe aber auf und geh in die Stadt, und es wird dir gesagt werden, was du tun sollst.“
Dieses Ereignis führte zur Bekehrung des Saulus. Ein Licht aus dem Himmel – und wie wir aus den Parallelstellen Apostelgeschichte 22 und 26 erfahren, war das um die Mittagszeit. Es wird gesagt, das Licht war heller als das Licht der Sonne, das ihn umstrahlte. Dieses Licht war das Licht aus der Gegenwart Gottes.
In 1. Timotheus 6 lesen wir davon, dass Gott ein unzugängliches Licht bewohnt. Beim ersten Schöpfungstag wird in 1. Mose 1, Vers 2 beschrieben, wie die Erde wüst und leer wurde, Finsternis war über der Tiefe. Dann sagt Gott: „Es werde Licht.“ Dieses Licht war das Licht aus der Gegenwart Gottes, genau so, wie das Licht dann vor Damaskus ins Herz von Paulus gestrahlt hat.
In 2. Korinther 4, Vers 4 sagt der Apostel Paulus, dass der Gott, der in 1. Mose 1, Vers 3 gesagt hat, dass aus der Finsternis Licht leuchten soll, auch in unsere Herzen hineingeleuchtet hat – zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Christi.
So kam es zur Bekehrung dieses Christenverfolgers. Interessant ist, dass der Herr Jesus als der auferstandene Messias direkt zu ihm spricht. Paulus glaubte, Jesus sei tot. Von einer Auferstehung, die tagtäglich in Jerusalem gepredigt wurde, wollte er nichts akzeptieren. Plötzlich spricht der Auferstandene selbst mit ihm.
Bemerkenswert ist, dass Jesus nicht sagt: „Saul, Saul, was verfolgst du die an mich Glaubenden?“, sondern: „Was verfolgst du mich?“ Dadurch zeigt Jesus schon ab diesem Moment die enge Verbindung, die er mit den Gläubigen auf der Erde hat. Später wird Paulus das Geheimnis des Leibes Christi erläutern: Christus ist das Haupt, aber organisch mit den Erlösten verbunden, die Glieder an diesem Körper sind. Diese Wahrheit ist hier im Kern schon angedeutet.
Interessant ist auch die Reaktion des Paulus. Er sagt nicht einfach „Wer bist du?“, sondern „Wer bist du, Herr?“ Von da an beginnt Saulus, die Autorität des Herrn Jesus, des Auferstandenen, zu akzeptieren. Jesus sagt: „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“
Paulus geht nach Damaskus. Ein gewisser gläubiger Jude namens Ananias führt ihn weiter und tauft ihn. So lesen wir in Apostelgeschichte 9, Vers 20: „Und alsbald predigte er in den Synagogen Jesus, dass dieser der Sohn Gottes ist.“ Vers 22: „Saulus aber erstarkte umso mehr und brachte die Juden, die in Damaskus wohnten, außer Fassung, indem er bewies, dass dieser der Christus, das heißt der Messias, ist.“
Das ist etwas Unglaubliches: Einer der führenden Verfolger des aufkommenden Christentums erlebt eine solche Wende vor Damaskus, dass er sogleich beginnt, in den Synagogen zu predigen. Er bringt alle Juden durcheinander – aber in guter Weise, ja, außer Fassung. Er beweist, dass Jesus der Messias ist.
Der Ausdruck „beweisen“ ist hier sehr interessant. Es gibt Leute, auch Gläubige, die sagen, Glaube könne man nicht beweisen. Das ist im Licht der Bibel Unsinn, denn die Bibel sagt, Paulus „bewies“, dass Jesus der Christus, der Messias, ist.
Das griechische Wort für „beweisen“ hier heißt „symbibazo“. Es bedeutet zuerst „zusammenführen“, dann „Schlussfolgern“ und schließlich „beweisen“. Es geht also darum, einzelne Argumente zusammenzuführen, die dadurch überzeugend werden. So kann man eine Schlussfolgerung ziehen, die beweiskräftig ist.
Der Apostel Paulus bezog damals viele Stellen aus dem Alten Testament, die vom Messias sprechen, auf Jesus Christus und zeigte, dass sich genau diese Prophezeiungen in Jerusalem wortwörtlich erfüllt hatten. Für Saulus war das kein großer Schritt, denn im Judentum wurden wichtige Stellen über den Messias wie Psalm 22, Jesaja 53, Daniel 9 und viele andere traditionell auf den Messias bezogen.
Jesaja 53, der leidende Knecht Gottes, der für unsere Sünden stirbt, wurde von den alten Rabbinern klar als Messias gedeutet. Das kann man auch im Talmud, im Traktat Sanhedrin, und in vielen rabbinischen Schriften aus dem Mittelalter nachlesen, die diese alte Tradition weiterführten.
Erst im Mittelalter veränderten einige Rabbiner wie Raschi und Abrabanel diese Interpretation. Sie sagten offen, dass der leidende Knecht nicht der Messias sei, sondern das Volk Israel, das viel leiden müsse. Diese Veränderung wurde bewusst gemacht, um Christen das Argument zu nehmen, dass Jesaja 53 den Beweis liefert, dass Jesus der Messias ist. Das steht auch offen in den rabbinischen Schriften.
So musste Paulus nur „klicken“, dass vieles, was er gelernt hatte, plötzlich wieder gebraucht werden konnte, indem Jesus Christus ins Zentrum der Bibelauslegung kam. So konnte er die Leute aus der Fassung bringen und beweisen, dass Jesus der Messias ist.
Über dreihundert Prophezeiungen wurden durch das erste Kommen des Herrn Jesus vor zweitausend Jahren erfüllt. Von Saulus können wir lernen, dass dieser Beweis sehr wichtig für die Evangelisation ist. Er führt Menschen zur Überzeugung, dass ihr Glaube nicht nur eine subjektive persönliche Erfahrung ist, sondern objektiv abgestützt.
Paulus war also in Damaskus, ging dann aber nach Arabien. In Galater 1, Vers 17, wo wir viel Biographisches aus dem Leben von Paulus erfahren, das die Apostelgeschichte ergänzt, steht:
„Und ich ging auch nicht hinauf nach Jerusalem zu denen, die vor mir Apostel waren, als ich in Damaskus war, sondern ich ging fort nach Arabien und kehrte wiederum nach Damaskus zurück. Danach, nach drei Jahren, ging ich nach Jerusalem hinauf, um Kephas, dem Petrus, kennen zu lernen, und blieb fünfzehn Tage bei ihm.“
Dieser jung bekehrte Saulus predigte in Damaskus. Anstatt zurückzukehren nach Jerusalem, ging er nach Arabien. Wichtig ist zu wissen, dass „Arabien“ damals nicht dasselbe bedeutete wie heute. Wir müssen es nicht auf der saudischen Halbinsel suchen. Damals umfasste Arabien das Gebiet des heutigen Jordanien bis sogar nach Syrien. Irgendwo in diesem Gebiet zog sich Paulus zurück, und erst drei Jahre später ging er nach Jerusalem.
In Apostelgeschichte 9 wird nichts davon gesagt, dass Paulus nach Arabien ging. Deshalb könnte jemand argumentieren, Galaterbrief und Apostelgeschichte widersprächen sich. Solche Stolpersteine gibt es viele. Aber das Schöne ist: Wer oberflächlich liest, stolpert. Wer genau liest, sieht, dass alles wunderbar zusammenpasst. Das ist ein Argument für die Genauigkeit der Berichte.
In Apostelgeschichte 9, Vers 22, steht, wie Paulus die Juden in Damaskus außer Fassung brachte. Dann, Vers 23: „Als aber viele Tage verflossen waren, ratschlagten die Juden miteinander, ihn umzubringen.“ Paulus flüchtet daraufhin und kommt nach Jerusalem.
Vers 26: „Als er aber nach Jerusalem gekommen war, versuchte er, sich den Jüngern anzuschließen. Und alle fürchteten sich vor ihm, da sie nicht glaubten, dass er ein Jünger sei. Barnabas aber nahm ihn und brachte ihn zu den Aposteln und erzählte ihnen, wie er auf dem Weg den Herrn gesehen habe und dass derselbe zu ihm geredet und wie er in Damaskus freimütig im Namen Jesu gesprochen habe. Und er ging mit ihnen aus und ein in Jerusalem und sprach freimütig im Namen des Herrn.“
Man muss beachten, dass in Vers 23 der Ausdruck „Als aber viele Tage verflossen waren“ eine Lücke lässt. Genau in diese Lücke fällt die Zeit, in der Paulus nach Arabien ging und danach wieder nach Damaskus zurückkehrte. Dann erfolgte der Anschlag, und Paulus flüchtete nach Jerusalem. So passt alles schön zusammen.
Die Zeit in Jerusalem und Tarsus
Nun kann man sich fragen: Was hat Paulus in Arabien gemacht? In Galater 1,11 sagt er: „Ich tue euch aber kund, Brüder, dass das Evangelium, welches von mir verkündigt worden, nicht dem Menschen gemäß ist, denn ich habe es weder von einem Menschen empfangen noch erlernt, sondern durch Offenbarung Jesu Christi.“
Der Herr erschien Saulus also an dem Tag seiner Bekehrung, aber danach erschien der Herr ihm immer wieder. Er hat ihm ganz spezielle Offenbarungen gegeben, die wir nun in den Paulusbriefen finden. Paulus spricht auch an verschiedenen Stellen über Geheimnisse. In Epheser 3 erklärt er, dass ein Geheimnis eine Offenbarung Gottes ist, die im Alten Testament verschwiegen war, jetzt aber seinen Aposteln und Propheten im Geist, in der Kraft des Heiligen Geistes, geoffenbart worden ist.
So hat Paulus diese Offenbarungen bekommen. Er erhielt zum Beispiel auch eine Offenbarung über das Abendmahl. Darum sagt er in 1. Korinther 11, als er die Korinther über ihren Missbrauch des Abendmahls aufklärt: „Ich habe von dem Herrn empfangen.“ Das sind Dinge, die er direkt durch Offenbarung bekommen hat, wie auch Belehrungen über das Abendmahl nach Gottes Gedanken und vieles andere. Aber nicht über jeden Punkt. Darum sagt er zum Beispiel in 1. Korinther 7 im Blick auf die Unverheirateten: „Da habe ich kein Gebot von dem Herrn, ich gebe aber meine Meinung.“
Jetzt könnte man fragen: Ist das nicht mehr inspiriert, was er da schreibt? Er sagt ja seine Meinung, er hat nicht etwas vom Herrn empfangen. Damit will Paulus sagen: Ich habe zu diesem Punkt keine spezielle Offenbarung bekommen, aber ich gebe jetzt die Erklärung zu diesem Punkt, und zwar geleitet durch den Heiligen Geist. Darum sagt er am Ende von 1. Korinther 7: „Ich denke aber, dass auch ich Gottes Geist habe.“
Das heißt, alles, was er schreibt, ist inspiriert – inspiriert das Wort Gottes –, aber nicht alles ist eine direkte Offenbarung. Merken wir den Unterschied? Die Bibelschreiber haben Offenbarungen bekommen, aber nicht alles ist Offenbarung. Lukas ist den Augenzeugen nachgegangen und hat gesammelt, was sie ihm berichtet haben (Lukas 1,1-5). Was er dann niedergeschrieben hat, war inspiriert. So ist es auch bei Paulus: Er hat Offenbarungen bekommen, aber nicht alles ist das Ergebnis einer direkten Offenbarung.
Doch all das, was er aufgeschrieben hat, ist inspiriert. Darum sagt Paulus in 2. Timotheus 3,16: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben.“ Diese Zeit in Arabien ist also eine sehr bedeutsame Zeit. Paulus erklärt, das Evangelium, das er verkündigt, ist nicht menschengemäß. Das heißt, es entspricht nicht dem Menschen, wie er denkt und was er will. Das Evangelium sagt: Der Mensch ist ein Sünder.
Das ist überhaupt nicht menschengemäß. Eine menschengemäßere Religion sagt viel eher: Du musst das Göttliche in dir entdecken. Das ist menschengemäß. Aber zu sagen, der Mensch ist ein Sünder, das ist nicht menschengemäß. Darum hat auch Ende des 19. Jahrhunderts einer der größten Gurus in Indien gesagt: „Die größte Sünde ist es, einen Menschen einen Sünder zu nennen.“ Ja, das ist eben der Unterschied. Paulus hat wirklich Offenbarung Gottes bekommen und nicht menschengemäß gepredigt.
Nun sehen wir den Weg zurück von Arabien nach Damaskus. Galater 1,17 sagt nochmals: „Und ich ging auch nicht hinauf nach Jerusalem zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern ich ging fort nach Arabien und kehrte wiederum nach Damaskus zurück.“ Dann kam eben dieser Anschlag auf ihn. Alle Tore in Damaskus wurden bewacht. So berichtet die Apostelgeschichte 9, dass Paulus dann in einem Korb außerhalb der Stadtmauer hinuntergelassen wurde und nach Jerusalem ging.
Apostelgeschichte 9,24 sagt: „Es wurde aber dem Saulus ihr Anschlag bekannt, und sie bewachten auch die Tore, sowohl bei Tage als bei Nacht, damit sie ihn umbrächten. Die Jünger aber nahmen ihn bei der Nacht und ließen ihn durch die Mauer hinab, indem sie ihn in einem Korb hinunterließen.“
Wenn wir sehen, im Jahr 32 war Pfingsten, ein Jahr später die Steinigung von Stephanus. Dieses Jahr leitet sich übrigens aus Lukas 13,6-9 her. In dem Gleichnis vom Feigenbaum sagte Jesus, wie er drei Jahre lang in seinem öffentlichen Dienst an dem Feigenbaum Israel Frucht gesucht hatte. Dann kam der Entschluss, dass dieser Baum abgeschlagen werden sollte. Aber der Weingärtner setzte sich ein: „Ich möchte noch ein Jahr um ihn graben und düngen, und wenn er dann nicht Frucht bringt, dann magst du ihn künftig abschlagen.“
So war dieses Jahr bis zur Steinigung von Stephanus die Zeit, in der nur Israel in Jerusalem das Evangelium verkündigt wurde. Das war nochmals die große Chance zur Umkehr, die aber nicht wahrgenommen wurde, sondern mit der Steinigung des Stephanus endete. Von da an gingen die Gläubigen hinaus nach Judäa und schließlich bis in die heutige Türkei, nach Zypern, und das Evangelium wurde auch den Nichtjuden gebracht. Das war die entscheidende Wende.
Die Steinigung des Stephanus war 33, dann folgen drei Jahre. Dazu kommen wir auf das Jahr 36 nach Christus, als Paulus von Damaskus flieht und nach Jerusalem geht. Galater 1,18 sagt: „Darauf nach drei Jahren ging ich nach Jerusalem hinauf, um Kephas kennenzulernen, und blieb fünfzehn Tage bei ihm.“
Im griechischen Text steht hier fünfzehn Tage, auf Deutsch würden wir sagen vierzehn Tage. Das ist wie im Französischen und Deutschen: Wenn der Arzt sagt, „Kommen Sie wieder in 14 Tagen“, dann müsste man das auf Französisch übersetzen mit „dans 15 jours“, weil man dort den Tag heute mitzählt, im Deutschen aber nicht. Umgekehrt zählt man im Deutschen ab morgen, im Französischen ab heute. So blieb Paulus nur eine ganz kurze Zeit, lernte aber den Apostel Petrus kennen.
Dann berichtet Apostelgeschichte 9,29-30, dass es wieder einen Mordanschlag in Jerusalem gegen Paulus gab und er deshalb fliehen musste. Er ging nach Tarsus, zurück in seine Geburtsstadt. Nun vergehen Jahre, und wir hören nichts mehr über Paulus. Wir wissen nicht, was in Tarsus geschehen ist. Aber etwas sehr Wichtiges können wir daraus lernen: Die Weltmission von Paulus beginnt erst später, Jahre später.
Er musste zuerst dorthin zurückkehren, wo er aufgewachsen ist, und dort in seiner Umgebung ein Zeugnis sein – für seine Familie, Verwandte und andere. Es gibt junge Leute, die nach Missionsvorträgen sehr begeistert sind, um in die Mission zu gehen, sagen wir nach Usbekistan, Kamerun oder zu einem eingeborenen Stamm in Papua-Neuguinea. Aber man muss sagen: Zuerst musst du ein Zeugnis in deiner direkten Umgebung sein. Das ist die Grundlage für einen späteren Auftrag in der Weite.
So ging Paulus zurück nach Tarsus, und es vergingen Jahre, bis sein großer Dienst als Apostel begann. Wieder etwas Wichtiges: Er war kein Neuling im Glauben, als er mit der Weltmission begann. Oft sehen wir heute, dass berühmte Leute, die in der Gesellschaft bekannt sind, zum Glauben kommen und sofort gepusht werden. Sie werden im Fernsehen eingesetzt und für große Veranstaltungen engagiert. Das ist oft verhängnisvoll für sie, weil sie geistlich überfordert sind und auch nicht mit der plötzlich erhaltenen Ehre umgehen können.
Darum heißt es auch an anderer Stelle dasselbe Prinzip, in 1. Timotheus 3 im Zusammenhang mit dem Ältestendienst: „Nicht ein Neuling, auf dass er nicht aufgeblasen werde und in das Gericht des Teufels verfalle.“ Wenn ein Jungbekehrter plötzlich Ältestendienst machen soll, denkt er: „Wow, die Macht, die ich jetzt in der Gemeinde habe!“ Dann macht er genau die gleiche Sünde wie Satan, der durch Hochmut gefallen ist.
So ist es sehr wichtig, dieses normale geistliche Wachstum. Auch bei Apostel Paulus sehen wir das.
Die Gemeinde in Antiochien und die erste Missionsreise
Jetzt lese ich Apostelgeschichte 11,25. Dort wird berichtet, dass Barnabas die Gemeinde in Antiochien besucht hat, von der ich bereits erzählt habe. Plötzlich sind Nichtjuden zum Glauben gekommen, was natürlich eine heikle Angelegenheit war. Eine Gemeinde aus Nichtjuden, die die Bibel kaum kannten und keinen jüdischen Hintergrund hatten – das hätte sehr problematisch werden können, oder?
Doch als Barnabas nach Antiochien kam, heißt es nicht, dass er zuerst alle möglichen Probleme sah, die daraus entstehen könnten. Stattdessen sah er die Gnade Gottes und ermahnte alle, mit Herzensentschluss beim Herrn zu verharren (Apostelgeschichte 11,22). Natürlich erkannte er die Gefahren, doch er ermutigte sie einfach: Bleibt ganz nahe beim Herrn! Für ihn war klar, diese Gemeinde muss gut gepflegt werden.
In Apostelgeschichte 11,25-26 heißt es weiter: „Er zog aber aus nach Tarsus, um Saulus aufzusuchen, und als er ihn gefunden hatte, brachte er ihn nach Antiochien.“ Dort verbrachten sie ein ganzes Jahr zusammen in der Versammlung, lehrten eine zahlreiche Menge, und die Jünger wurden zum ersten Mal Christen genannt.
Barnabas wusste, dass Saulus in Tarsus wohnte. Zwischen Saulus’ Berufung und diesem Zeitpunkt sind bereits dreizehn Jahre vergangen, wir befinden uns jetzt im Jahr 49 n. Chr. Barnabas wusste nicht genau, wo Saulus war, deshalb heißt es hier „als er ihn gefunden hatte“. Für ihn war klar: Saulus ist genau der richtige Mann, um die Gemeinde, die keinen biblischen Hintergrund hat, zu unterweisen.
Barnabas, Saulus und andere lehrten diese Christen ein Jahr lang. Dabei übte Paulus den Umgang mit Christen, die keinen jüdischen Hintergrund hatten. Das war eine sehr wichtige Aufgabe, eine Vorbereitung darauf, später speziell Apostel der Nichtjuden zu werden – im Gegensatz zu den zwölf Aposteln, die speziell für Israel berufen waren. Deshalb gab es zwölf Apostel, entsprechend den zwölf Stämmen Israels.
In dieser Zeit kam es zu einem zweiten Jerusalembesuch, etwa 49–55 n. Chr. In Apostelgeschichte 21 lesen wir, dass der Prophet Agabus nach Antiochien kam und eine Hungersnot ankündigte, die über Judäa und die Judenchristen kommen würde. Aufgrund dieser Prophetie entschloss sich die Gemeinde in Antiochien, eine Hilfslieferung an die bedürftigen Judenchristen in Israel zu schicken.
Vertrauenswürdige Männer wurden ausgewählt, um das Geld zu transportieren. Paulus und Barnabas wurden für diese Aufgabe ausgesandt. Hier zeigt sich erneut, wie wichtig es ist, dass bei finanziellen Angelegenheiten nach außen hin keine Verdächtigungen entstehen. Deshalb müssen solche Aufgaben von Personen übernommen werden, die das Vertrauen der Gemeinde genießen.
So wurden Paulus und Barnabas nach Judäa geschickt. Damit erfüllte sich, was Paulus in Galater 2,1 schreibt: „Nach Verlauf von vierzehn Jahren zog ich wieder nach Jerusalem hinauf mit Barnabas und nahm auch Titus mit.“ Im Text davor spricht Paulus von einem Aufenthalt von 14 oder 15 Tagen in Jerusalem. Vierzehn Jahre später geht er erneut mit Barnabas und Titus nach Jerusalem.
In Galater 2,9 heißt es: „Und als sie die Gnade erkannten, die mir gegeben ist, gaben Jakobus, Kephas und Johannes, die als Säulen angesehen wurden, mir und Barnabas die Rechte der Gemeinschaft, auf dass wir unter die Nationen gingen, sie aber unter die Beschneidung.“
Jakobus war einer der Ältesten in der Gemeinde Jerusalem. Es handelt sich um Jakobus, den Bruder des Herrn, also den Halbbruder Jesu. Maria und Joseph hatten nach der Geburt Jesu, trotz der Jungfrauengeburt, weitere Kinder, darunter Jakobus. Er hatte eine wichtige Stellung, war aber kein Apostel. Dieser Jakobus schrieb den Jakobusbrief, einen neutestamentlichen Brief, der unter göttlicher Inspiration entstand.
Kephas ist der Apostel Petrus, und Johannes ist der Apostel Johannes. Diese drei anerkannten Paulus als ein Werkzeug Gottes und sahen seinen Auftrag: ein Dienst unter den Nichtjuden. Sie gaben Paulus, damals noch Saulus genannt, die Rechte der Gemeinschaft. Damit wollten sie sagen: Wir sind in völliger Gemeinschaft mit deinem Dienst, aber wir sehen, dass dein Auftrag unter den Nationen ist, während wir unter der Beschneidung, also unter den Juden, tätig sind.
Das ist ganz wichtig, denn der Jakobusbrief wird oft gegen den Römerbrief ausgespielt, als würden sie sich widersprechen. Das ist aber nicht der Fall. Sie passen wunderbar zusammen, sie haben nur eine unterschiedliche Klangfarbe. Jakobus war wirklich in Gemeinschaft mit Paulus und gab ihm die Hand, ebenso wie Petrus und Johannes. Paulus war anerkannt durch Jakobus, den Bruder des Herrn, und durch die führenden Apostel Petrus und Johannes.
Nun lese ich nochmals Apostelgeschichte 11. Dort haben wir gesehen, wie Paulus nach Antiochien kam und ein ganzes Jahr lang zusammen mit Barnabas und anderen einen Lehrdienst ausübte.
Jetzt kommt in Apostelgeschichte 13 die Aussendung zur Weltmission. Vers 2: „Während sie aber dem Herrn dienten in der Gemeinde in Antiochien, sprach der Heilige Geist: Sondert mir nun Barnabas und Saulus zu dem Werk aus, zu welchem ich sie berufen habe.“
Da fasteten und beteten sie, und nach der Handauflegung entließen sie sie. Sie, ausgesandt vom Heiligen Geist, gingen hinab nach Seleukia und segelten von dort nach Zypern.
Nach diesem einen Jahr kommt also die Berufung zur Weltmission. Wer beruft sie? Ganz klar: der Heilige Geist, nicht die Gemeinde. Und wer sendet sie aus? Der Text sagt es deutlich: „Sie nun, ausgesandt von dem Heiligen Geist.“ Sowohl Berufung als auch Sendung sind Gottes Werk, nicht das Werk der Gemeinde.
Ein ganz wichtiges Prinzip: In der Heiligen Schrift finden wir nicht, dass die Gemeinde zum Missionsdienst beruft oder aussendet, und schon gar nicht, dass eine Missionsgesellschaft das tut. Es muss Gottes Werk sein.
Welche Bedeutung hat dann die Gemeinde? Der Heilige Geist sagt: „Sondert mir nun Barnabas und Saulus zu dem Werk aus.“ Aussondern bedeutet, die Gemeinde muss bereit sein, diese Brüder, Saulus und Barnabas, gehen zu lassen. Sie sollen ihren Dienst bei uns aufgeben. Das ist nicht immer einfach, denn es bedeutet einen Verlust für die örtliche Gemeinde. Dennoch sagt der Heilige Geist: Sondert sie aus! Die Gemeinde muss das tun.
Dann lesen wir weiter: Sie fasteten und beteten – eine intensive Gebetszeit – und legten ihnen die Hände auf. Handauflegung bedeutete schon im Alten Testament bei den Opfern Identifikation. Der Sünder legte seine Hand auf das reine Opfertier, bekannte seine Schuld, und identifizierte sich damit. Das Tier wurde dann an seiner Stelle geopfert.
So identifizierte sich auch die Gemeinde durch die Handauflegung mit Barnabas und Paulus. Sie sagten: Euer Dienst ist auch unser Dienst, wir stehen hinter dieser Aufgabe. Das bedeutet Begleitung im Gebet und Unterstützung im Dienst.
Und so gingen sie los.
Die erste Missionsreise und ihre Stationen
Die erste Missionsreise im Jahr 15 nach Christus wird in Apostelgeschichte 13 bis 14 beschrieben. Die Stationen sind Salamis, Paphos, Antiochien in Pisidien, Iconium, Lystra und Derbe. Es lohnt sich, diese Stationen auswendig zu lernen, denn so kann man sich viel schneller orientieren. Wenn man in der Apostelgeschichte genau weiß: „Aha, die erste Reise führte bis nach Derbe und am Schluss wieder zurück nach Antiochien“, dann fällt es leichter, die weiteren Reisen zu verstehen. Die zweite Reise hatte andere Stationen. Das ist eine Sache von einer Stunde, und dann kann man es immer wieder wiederholen und behält es im Kopf. Das ist wirklich nützlich.
Hier sehen wir die erste Reise eingezeichnet. Paulus und seine Begleiter gingen zuerst nach Zypern und von dort in die heutige Türkei, in das Gebiet um Antiochien in Pisidien – das ist ein anderes Antiochien als das bekannte – dann nach Iconium, Lystra und Derbe. Das ist das Gebiet von Südgalatien.
Jetzt machen wir eine Viertelstunde Pause und fahren danach an dieser Stelle weiter. Vor der Pause sind wir bei der ersten Missionsreise stehen geblieben, die sich im Verlauf des Jahres 50 nach Christus erstreckte. Ich habe bereits erklärt, dass die wichtigen Ortschaften auf dieser Reise besonders Antiochien in Pisidien, Iconium, Lystra und Derbe waren – die südgalatische Landschaft.
Auf dieser Missionsreise kam Timotheus als junger Mensch zum Glauben an den Messias. Er war aber schon zuvor ein gläubiger Jude. Paulus sagt ein Jahr später in 2. Timotheus 1, dass er an den ungeheuchelten Glauben in Timotheus denkt, der schon in seiner Mutter und Großmutter war. Im Judentum gab es also echte Gläubige, auch bevor sie mit dem Evangelium konfrontiert wurden. Dieser echte Glaube zeigte sich dann darin, dass sie das Evangelium von Jesus Christus und seinem Opfertod annahmen, als es ihnen verkündet wurde.
Am Ende dieser Reise kehrte Paulus in die verschiedenen Gemeinden zurück und setzte Älteste ein, wie es in Apostelgeschichte beschrieben wird. Das ist eine der drei Stellen im Neuen Testament, die das Einsetzen von Ältesten beschreibt. In Titus 1 spricht Paulus davon, wie er Titus nach Kreta geschickt hat, um dort Älteste einzusetzen. In Apostelgeschichte 20 wird beschrieben, wie der Heilige Geist die Ältesten von Ephesus eingesetzt hat.
Das Einsetzen der Ältesten in der Bibel kommt immer von oben, nicht von unten. Es ist keine Wahl der Gemeinde, sondern ein Apostel oder ein Abgesandter des Apostels, wie Titus, setzt sie ein – in apostolischer Autorität. Heute gibt es keine Apostel mehr, denn sie hatten keine Nachfolger. Dennoch wirkt der Heilige Geist weiterhin und setzt Menschen zum Ältestendienst ein.
Darüber hören wir heute Nachmittag mehr beim ersten Timotheusbrief, denn dort erklärt Paulus in Kapitel 3, welche geistlichen Voraussetzungen jemand erfüllen muss, um Ältester sein zu können. Diese Eigenschaften weisen darauf hin, dass der Heilige Geist jemanden tatsächlich eingesetzt hat. Niemand kann einfach behaupten: „Ich bin überzeugt, der Heilige Geist hat mich eingesetzt, also will ich Ältester sein.“ Dann muss man fragen: „Wo sind die Eigenschaften, wie sie in 1. Timotheus 3 und Titus 1 beschrieben werden?“ Wenn jemand diese wirklich hat, kann man ihn als Ältesten anerkennen. So weiß man auch, wer Ältester ist.
Wenn wir die erste Missionsreise anschauen, sehen wir das Grundprinzip, wie Paulus vorging. Er kam immer von einer großen Stadt in die nächste und schaute zuerst, ob es dort eine Synagoge oder wenigstens einen Gebetsort von Juden gab. Zuerst predigte er den Juden, und einige von ihnen kamen zum Glauben. Dann predigte er den Heiden, und auch unter ihnen gab es Gläubige.
Das hatte den Vorteil, dass bereits Leute da waren, die im Alten Testament gegründet waren und nun fähig waren, in der Gemeinde Verantwortung zu übernehmen. So musste Paulus nicht lange bleiben, sondern konnte oft schon nach wenigen Wochen weiterziehen, einen anderen Ort aufsuchen und dort eine neue Gemeinde gründen.
Dieses Grundprinzip beschreibt Paulus auch in Römer 1,16: „Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen.“ Die Priorität der Judenmission hat Paulus also konsequent ausgeführt.
Es ist falsch, zu behaupten, Juden müssten nicht evangelisiert werden. Die Apostelgeschichte zeigt, wie Paulus dieses Prinzip durchgehend befolgte. Unter den Juden auf der ersten Missionsreise war auch der junge Timotheus.
Am Ende der ersten Missionsreise schrieb Paulus den Galaterbrief, seinen ersten Brief. Manche meinen, der Galaterbrief sei viel später geschrieben worden und richte sich an Christen in Nordgalatien. Wie können wir aber beweisen, dass er die südgalatische Provinz meint?
Ganz einfach: Es kamen Irrlehren zu den Galatern, die sagten, es reiche nicht, Christen zu sein, sondern man müsse auch das Gesetz einhalten, sich beschneiden lassen und jüdische Feste feiern. Paulus argumentiert dagegen mit vielen Gründen, zuerst aus der Geschichte der jungen Christenheit. Er berichtet, wie er zu Petrus nach Jerusalem ging, mit Johannes sprach und wie diese seine Verkündigung anerkannten.
Im Galaterbrief erwähnt Paulus nicht das Apostelkonzil aus Apostelgeschichte 15. Warum nicht? Weil dieses Konzil damals noch nicht stattgefunden hatte. Wäre der Galaterbrief später geschrieben worden, hätte Paulus nur dieses Konzil erwähnen müssen, und die Sache wäre klar gewesen. Das ist ein starkes Argument dafür, dass der Galaterbrief der erste Paulusbrief ist.
Paulus bringt in Galater 1 und 2 alle verfügbaren Argumente aus der jüngeren Geschichte der Christen vor und argumentiert in den Kapiteln 3 bis 6 lehrmäßig aus dem Alten Testament. Die Städte Iconium, Lystra und Derbe waren von der Irrlehre betroffen, und der Galaterbrief ist einer der schärfsten Briefe des Apostels Paulus.
Paulus betont, dass Nichtjuden nicht ins Judentum eingeführt werden dürfen, da die Gemeinde etwas ganz Neues ist, gemäß dem offenbarten Geheimnis in Epheser 3. Dieses Geheimnis war im Alten Testament verborgen, aber von Ewigkeit her geplant und nun realisiert. Darum darf die Gemeinde nicht als eine Richtung innerhalb des Judentums dargestellt werden.
Paulus verbietet grundsätzlich, dass Nichtjuden jüdische Feste feiern dürfen. Deshalb ist es falsch, Christen ohne jüdische Vergangenheit zum Laubhüttenfest oder Passahfest einzuladen. Das widerspricht dem Galaterbrief.
In der Apostelgeschichte lesen wir, dass gläubige Juden weiterhin ihre Kinder beschnitten und den Tempel besuchten. Paulus übernahm sogar Opferkosten für jüdische Brüder, was möglich war, weil er in 1. Korinther 9 sagt: „Ich bin denen, die unter Gesetz sind, geworden wie einer, der unter Gesetz ist, obwohl ich nicht unter Gesetz bin, damit ich möglichst viele gewinne.“
Juden haben oft Angst, ihre jüdische Identität zu verlieren, wenn sie das Evangelium annehmen. Wenn man diese Angst nehmen kann, bereitet man den Boden für ihre Bekehrung. Paulus handhabte das so, aber die Nichtjuden durften nicht das Gesetz einhalten. Darauf komme ich noch zurück.
Paulus kehrte also nach Antiochien zurück, wo es Probleme gab. Manche könnten sagen, das habe man ja von Anfang an erwartet, dass Antiochien Schwierigkeiten macht. Doch die Probleme entstanden nicht wegen der Nichtjuden, sondern weil in Apostelgeschichte 15 berichtet wird, dass jüdische Christen aus Judäa in die Südtürkei kamen. Diese hatten einen pharisäischen Hintergrund und forderten die Beschneidung der Heidenchristen als Voraussetzung für die Rettung.
Das führte zu großen Streitigkeiten und Unruhe. Man beschloss, die Frage den Aposteln in Jerusalem vorzulegen. Paulus und Barnabas wurden beauftragt, nach Jerusalem zu reisen und die Sache vorzulegen.
Die Apostel und Ältesten in Jerusalem kamen zusammen, um die Frage zu klären. Auch dort gab es heftige Wortwechsel. Einer nach dem anderen sprach ruhig, darunter Paulus, Barnabas, Jakobus, der Bruder des Herrn, und Petrus. Schließlich wurde die Sache geklärt.
Die Heidenchristen sollten nichts vom sinaitischen Gesetz halten, sondern nur einige Gebote, die auf der Schöpfungsordnung und dem Bund von Noah basieren. Dieser Bund gilt für die ganze Welt bis ans Ende der Erde.
Sie sollten sich enthalten von Unzucht, denn Gott hat im adamitischen Bund Mann und Frau als bleibende Verbindung in der Ehe eingesetzt. Unzucht ist ein Bruch dieses Bundes. Außerdem sollten sie kein Blut essen. Fleisch darf man essen, aber das Blut muss abfließen, denn Blut ist kein Nahrungsmittel.
Diese notwendigen Gebote werden in Apostelgeschichte 15 aufgezählt. Alles, was zum sinaitischen Gesetz gehört – dem Bund, den Gott nur mit Israel geschlossen hat –, dürfen sie nicht einhalten. Dazu gehört auch das Sabbatgebot.
Das Sabbatgebot gab Gott erst in 2. Mose 19, als er den Bund mit Israel schloss, und es gilt nur für Israel. Im Neuen Testament wird daher nirgends ein Sabbatgebot für Christen eingeführt.
So wurde die ganze Sache geklärt. Man schrieb einen Brief in Jerusalem, der nach Antiochien gebracht wurde. Die Gläubigen dort freuten sich, und es kehrten Friede und Freude ein.
Dann begann die nächste Missionsreise, die von 50 bis 52 nach Christus dauerte. Sie begann traurig. Auf der ersten Missionsreise hatten Paulus und Barnabas Markus als Hilfe mitgenommen. Als sie aber durch das hohe Gebirge in der Türkei nach Antiochien in Pisidien gingen, war das für Timotheus zu viel, und er kehrte um.
Auf der zweiten Missionsreise wollte Barnabas, der ein Onkel von Markus war (wie wir in Kolosser 4 erfahren), Markus wieder mitnehmen. Paulus lehnte ab, weil Markus sich nicht bewährt hatte und keine Berufung hatte. Das führte zu einer Erbitterung zwischen Paulus und Barnabas. Sie trennten sich: Barnabas ging mit Markus, Paulus wählte Silas als Begleiter, und später kam Timotheus dazu.
Interessant ist, dass es in Apostelgeschichte 15 zwei Fälle gab, in denen es massive Meinungsunterschiede gab. Das eine Problem wurde eindeutig gelöst, das andere offen gelassen.
Der Unterschied: Das erste Problem war eine grundsätzliche Frage zur Rettung. Das durfte nicht offen bleiben, sondern musste entschieden werden. Die zweite Frage betraf die Missionsarbeit – ob Markus mitkommen sollte oder nicht. Die Gemeinde mischte sich nicht ein und ließ die beiden gehen.
So sehen wir, dass es Bereiche gibt, die offen gelassen werden können, und andere, die nicht offen bleiben dürfen. Das lernen wir aus Apostelgeschichte 15.
Paulus begann nun die zweite Missionsreise durch die Türkei. In Troas hatte er einen Traum. Er sah einen mazedonischen Mann, der rief: „Komm herüber und hilf uns!“ Paulus wusste im Traum nicht, dass er in Mazedonien war, aber offenbar erkannte er es an der Kleidung.
Am nächsten Morgen besprach Paulus das mit seinen Mitarbeitern, darunter auch Lukas. Deshalb heißt es in der Apostelgeschichte plötzlich „wir“. Sie waren überzeugt, dass das ein Ruf vom Herrn war, und gingen nach Europa.
Das war der entscheidende Punkt, an dem Paulus von Asien nach Europa kam. So wurde der Völkerapostel nach Europa gesandt, und die Gemeinde in Philippi entstand (Apostelgeschichte 16).
Das ist interessant: Auch im Zeitalter der Apostel waren Visionen und Träume von Gott nicht die Regel. Paulus sagt in 2. Korinther 5, dass wir nicht durch Schauen wandeln, sondern durch Glauben. Petrus schreibt im ersten Petrusbrief, einem Rundbrief an Christen in verschiedenen Provinzen der heutigen Türkei, dass sie Jesus Christus lieben, obwohl sie ihn nie gesehen haben.
Das zeigt, dass es nicht normal war, Visionen zu haben. Paulus hatte hier einen Traum, aber solche Weisungen in der Zeit der Apostel waren entscheidende Wendepunkte in der Heilsgeschichte.
Der Traum führte dazu, dass Paulus nach Europa kam – nach Philippi, dann Thessalonich, Beria, Athen und Korinth. Auf dieser Reise schrieb er bereits die beiden Thessalonicherbriefe an die junge Gemeinde in Thessalonich.
Diese Arbeit war sehr schwierig, denn die Evangeliumsverkündigung stieß auf starke Widerstände. Das Evangelium war für die Heiden völlig fremd, als käme jemand aus einer anderen Welt.
Ich habe hier zusammengestellt, was die besonderen Bollwerke waren, die Widerstand gegen das Evangelium bildeten:
Erstens die Götterwelt der Griechen und Römer mit Jupiter (Zeus), Apollo, Hermes, Athene, Artemis und anderen.
Zweitens der Kaiserkult. Im römischen Reich durfte jeder seine Religion haben, aber man musste auch den Kaiser als Gott verehren. Christen konnten das nicht akzeptieren, auch nicht äußerlich. Sie waren bereit zu sterben, wenn sie vor die Wahl gestellt wurden, zu räuchern oder zu sterben.
Drittens Okkultismus und Esoterik, die damals weit verbreitet und alltäglich waren.
Viertens der religiöse Pluralismus. Es war üblich, dass man mehreren Religionen gleichzeitig angehörte. Viele gehörten der griechisch-römischen Religion an und gleichzeitig einem Mysterienkult. Den Kaiserkult gab es als dritten Kult dazu.
Christen konnten das nicht akzeptieren, was für die Menschen damals völlig unverständlich war. Man hielt sie für engstirnig – ähnlich wie die Juden, die am Sabbat nichts tun wollten. Die Juden wurden akzeptiert, weil man wusste, dass sie speziell sind, aber bei anderen ging das nicht.
Darum wurden Christen sehr früh verfolgt, weil man ihre Standhaftigkeit nicht verstehen konnte. Man war gewohnt, mehrere Religionen gleichzeitig zu praktizieren. Der religiöse Pluralismus war damals ein großes Hindernis für das Evangelium.
Natürlich gab es auch heute noch Okkultismus und Esoterik als Widerstände. Hinzu kommt die Philosophie der Griechen und Römer, ein weiteres Bollwerk.
Schließlich die heidnische Unmoral und Perversion, die zum normalen Leben gehörten und gesellschaftlich akzeptiert waren. Homosexualität war normal, Pädophilie ebenfalls. Die alte Welt war in diesem Punkt moderner als unsere Gesellschaft heute – das wird sich in den kommenden Jahren ändern, und wehe dem, der dann noch etwas gegen Pädophilie sagt.
Diese Situation damals ähnelt sehr unserer heutigen Zeit, und wir können viel daraus lernen.
Die Hochburg der Philosophie war Athen. Paulus kam in Apostelgeschichte 17 nach Athen und wurde dort von Epikuräern und Stoikern konfrontiert. Er hielt eine Rede auf dem Areopag.
Im Kolosserbrief 2,8 warnt Paulus: „Seht zu, dass nicht jemand euch als Beute wegführe durch Philosophie und leeren Betrug, nach der Überlieferung der Menschen und den Elementen der Welt und nicht nach Christus.“
Paulus warnte klar vor der Gefahr der Philosophie, und das gilt auch heute.
Korinth war die Hochburg der Unmoral und Perversion. Dort war das Wort „korinthiazesthai“ gebräuchlich, was so viel bedeutet wie „pervers leben“. Paulus predigte dort das Evangelium, und viele kamen zum Glauben – aus Homosexualität, Prostitution und anderem heraus.
Im ersten Korintherbrief warnt Paulus vor Rückfällen in das alte Leben. In 1. Korinther 6,18 heißt es: „Flieht die Hurerei!“ Das griechische Wort „porneia“ bezeichnet jeglichen Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe, also nicht nur Prostitution, sondern auch Homosexualität.
Wenn Homosexuelle eine Ehe schließen, gilt das vor Gott nicht. In 1. Mose 6 heißt es, dass die „Söhne Gottes“ (Engel, wie im Judasbrief genannt) Frauen nahmen und mit ihnen „heirateten“. Das war ein Bruch der Schöpfungsordnung und führte zur Sintflut.
Eine Ehe, die nicht der von Gott eingesetzten Ordnung entspricht, wird von Gott nicht anerkannt.
Zurück zu 1. Korinther 6,18: „Flieht die Hurerei! Jede Sünde, die ein Mensch begeht, ist außerhalb des Leibes; wer aber hurert, sündigt gegen seinen eigenen Leib.“ Paulus fährt fort: „Wisst ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört?“
In Korinth gab es viele Probleme und Fragen zu Ehe, Unzucht und Scheidung, die Paulus ausführlich in 1. Korinther 5 bis 7 behandelt.
Wichtig ist auch 1. Korinther 6,9-11: „Oder wisst ihr nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht ererben werden? Irrt euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Weichlinge noch Knabenschänder, weder Diebe noch Habsüchtige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes erben. Und solche waren einige von euch. Aber ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerechtfertigt worden im Namen des Herrn Jesus und durch den Geist unseres Gottes.“
Diese drei göttlichen „Aber“ setzen einen völligen Schlussstrich unter die Vergangenheit. Rechtfertigen heißt, jemanden als gerecht zu erklären. Gott betrachtet einen, der sich bekehrt hat, als gerecht, als hätte er nie gesündigt.
Die Ausdrücke „Weichlinge“ und „Knabenschänder“ beziehen sich auf verschiedene Rollen in der Homosexualität. Die Bibel nennt diese Formen beim Namen und warnt: „Irrt euch nicht, solche werden das Reich Gottes nicht erben.“ Doch wenn sie zum Glauben kommen, setzen sie einen Schlussstrich unter die Vergangenheit.
Korinth ist somit ein Zeugnis der Gnade Gottes. Alle müssen aber gewarnt werden: „Flieht die Hurerei!“ Wenn man in gefährliche Bereiche gerät, muss man radikal fliehen.
Das zeigt auch die Energie, die wir aufwenden müssen, zum Beispiel beim Umgang mit Internet und Medien. Die Sünde muss geflohen werden, nur so kann man bewahrt bleiben.
Die dritte Missionsreise dauerte von 52 bis 59 nach Christus und ist in Apostelgeschichte 18 bis 21 beschrieben. Paulus reiste durch Galatien, Phrygien, Ephesus, Troas und Milet und kehrte schließlich nach Jerusalem zurück.
Auf dieser Reise entstanden die Briefe an die Korinther und der Römerbrief.
Ephesus war die Hochburg des Okkultismus. Dort predigte Paulus, und viele kamen zum Glauben. Besonders ausgeübt wurde dort der Artemiskult. Artemis war eine Göttin, die man als Todes- oder Gespenstergöttin bezeichnen kann. Ihre schwarze Magie galt als die stärkste Magie überhaupt.
In Apostelgeschichte 19 lesen wir, wie viele Bekehrte ihre esoterischen und magischen Bücher verbrannten.
Paulus erwähnt Artemis im Epheserbrief nicht mit einer Silbe, aber in Epheser 2,2 beschreibt er den Fürsten der Gewalt der Luft, den Geist, der in den Söhnen des Ungehorsams wirkt – das ist der Teufel. Hinter den Götzen steht Satan selbst.
Die Menschen in Ephesus standen einst unter der Herrschaft Satans, wurden aber durch Gottes Gnade aus diesem Sumpf herausgerettet.
Die vierte Missionsreise fand im Jahr 60 nach Christus statt. Paulus kam nach Jerusalem zurück, wo er verleumdet wurde. Man sagte, er lehre Abfall vom Judentum, was nicht stimmte.
Paulus wollte beweisen, dass das nicht wahr ist, und bezahlte Opfer für jüdische Brüder, die ein Nazireer-Gelübde hatten, das unterbrochen worden war, weil sie mit dem Tod in Berührung gekommen waren. Er handelte nach 4. Mose 6, wo die Opfervorschriften für den vorzeitigen Abbruch eines Nazireer-Gelübdes beschrieben sind.
Trotzdem wurde Paulus verhaftet, fast im Tempel ermordet und von den Römern in Gewahrsam genommen. Zuerst in der Burg Antonia, nördlich vom Tempelplatz, dann wurde er nach Caesarea überführt, wo der Hauptsitz der römischen Armee in Israel war.
Dort saß er lange im Gefängnis und legte Zeugnis ab gegenüber dem Landpfleger Felix, später gegenüber Porcius Festus und schließlich bei einer Gerichtsverhandlung vor König Agrippa.
Paulus war unschuldig, berief sich aber auf den höchsten Gerichtshof – den Kaiser. Das ist vergleichbar damit, wenn jemand in der Schweiz bis vor das Bundesgericht geht.
Der Landpfleger sagte: „Du hast dich auf den Kaiser berufen, zum Kaiser sollst du gehen.“ So kam Paulus schließlich vor den Kaiser und konnte ihm das Evangelium verkündigen.
Er musste mit einem Schiff und einer römischen Soldateneinheit nach Rom gebracht werden. Apostelgeschichte 28 beschreibt, wie sie in einen schweren Sturm gerieten, Schiffbruch erlitten, aber alle Insassen auf der Insel Melite gerettet wurden.
Danach ging es mit einem anderen Schiff weiter, zuerst nach Siracusa in Sizilien, dann aufs italienische Festland. Im letzten Abschnitt musste Paulus zu Fuß nach Rom gehen.
Das Schöne ist, dass die römischen Brüder ihm entgegenkamen. Paulus hatte den Römerbrief schon lange vorher geschrieben. Er wollte glücklich sein und das Evangelium in Rom verkündigen, war aber immer verhindert worden.
Im Römerbrief stellt Paulus das Evangelium systematisch dar, wie der Mensch gerettet wird.
Dort sagt er: „Wenn ich zu euch komme, möchte ich weiter bis nach Spanien gehen.“
Einige Jahre nach dem Römerbrief kam Paulus nach Rom, aber nicht wie geplant, sondern in Ketten.
Die Brüder kamen ihm entgegen. In Apostelgeschichte 28,12-15 lesen wir: „Und als wir in Siracusa landeten, blieben wir drei Tage. Von dort fuhren wir weiter und kamen nach Regium. Nach einem Tag erhob sich ein Südwind, und am zweiten Tag kamen wir nach Puteoli, wo wir Brüder fanden, die uns baten, sieben Tage bei ihnen zu bleiben. Dort gab es eine Gemeinde, die Paulus nicht kannte. Nach sieben Tagen kamen wir nach Rom. Von dort kamen Brüder, als sie von uns gehört hatten, uns bis Piforum und Dresd Tabernä entgegen.“
Piforum liegt 49 Kilometer südlich von Rom, Dresd Tabernä etwa 60 Kilometer. Das ermutigte Paulus sehr, und er fasste neuen Mut.
In Rom musste Paulus warten, bis die Ankläger aus Jerusalem, die führenden Priester, für die Gerichtsverhandlung kamen.
So blieb er als Gefangener von 60 bis 62 nach Christus in Rom.
Die Apostelgeschichte endet mit Apostelgeschichte 28,30-31: „Er blieb zwei ganze Jahre in seinem eigenen gemieteten Haus und nahm alle auf, die zu ihm kamen, indem er das Reich Gottes predigte und die Dinge, welche den Herrn Jesus Christus betreffen, mit aller Freimütigkeit ungehindert lehrte.“
Paulus war zwar mit zwei Soldaten zusammengebunden, aber sie konnten immer zuhören, wenn er in seiner Mietwohnung predigte.
Am Ende dieser zwei Jahre schrieb Paulus den Philipperbrief, Kolosserbrief, Epheserbrief, Philemonbrief und auch den Hebräerbrief.
Aus diesen Briefen erfahren wir, dass Paulus bald frei werden wollte und damit rechnete. Man soll für ihn beten.
Im Philemonbrief bittet er: „Bitte mach schon eine Herberge bereit, wenn ich zu dir komme.“ Wer das römische Recht kennt, weiß, dass das elektrisiert. Im römischen Recht heißt es, wenn die Ankläger zwei Jahre lang nicht kommen, wird der Angeklagte freigesprochen.
Das deutet auf Paulus’ Befreiung im Jahr 62 hin.
Aus außerbiblischen Quellen der frühen Christenheit wissen wir, dass Paulus schließlich bis nach Spanien kam.
Spanien war das einzige Land rund ums Mittelmeer, in dem man nicht mit Griechisch weiterkam, sondern Latein sprechen musste.
Für Paulus war das kein Problem, obwohl Juden normalerweise kein Latein konnten. In Israel sprach man Hebräisch, Griechisch oder Aramäisch, aber nicht Latein.
Auch bei den Barbaren auf Melite oder in Lystra, wo Lykaonisch gesprochen wurde, hatte Paulus keine Schwierigkeiten.
Er sagt in 1. Korinther 14, dass er mehr Sprachen sprach als alle anderen.
Im Titusbrief 3,12 spricht Paulus vom Überwintern in Nikopolis. Nikopolis wird in den vier Missionsreisen der Apostelgeschichte nicht erwähnt. Das spricht für eine Zwischenzeit nach der Apostelgeschichte.
In dieser Zeit wurden auch der Titusbrief und der erste Timotheusbrief geschrieben, den wir heute Nachmittag genauer betrachten.
Irgendwann wurde Paulus wieder gefasst und kam erneut ins Gefängnis nach Rom. Dort wusste er, dass es sein Ende war.
Aus der Todeszelle schrieb er den letzten Brief, den zweiten Timotheusbrief, um 66/67 nach Christus.
In 2. Timotheus 4,7 heißt es: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt. Fortan liegt mir bereit die Krone der Gerechtigkeit, welche der Herr, der gerechte Richter, mir an jenem Tag zur Vergeltung geben wird, nicht allein mir, sondern auch allen, die seine Erscheinung lieben.“
Kaiser Nero kann ein Zeugnis ablegen. Paulus wurde mit dem Schwert geköpft, denn als römischer Bürger durfte er nicht gekreuzigt werden. Gnadigerweise wurde er nur geköpft.
Petrus wurde zur gleichen Zeit in Rom vor Gericht gestellt. Da er kein römischer Bürger war, wurde er gekreuzigt – mit dem Kopf nach unten, wie wir aus der frühchristlichen Literatur außerhalb der Bibel wissen.
Beide starben etwa 66 nach Christus. Ein Jahr später beging Kaiser Nero Selbstmord. Das war Gottes Gericht, weil er den führenden Apostel für die Juden und den führenden Apostel für die Heiden ermordet hatte.
Die Wirkung von Paulus' Leben und Werk
Nun haben wir gesehen, wie der Apostel Paulus das Evangelium nach Europa gebracht hat. Er wirkte umfassend in Griechenland, Italien bis nach Spanien. Im zweiten Timotheusbrief und im Römerbrief sehen wir, dass er sogar bis nach Dalmatien kam, dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien. Das ist sehr eindrücklich, ebenso wie sein Wirken vor dem Kaiser in der Hauptstadt Rom. Man kann sagen, Paulus war der Missionar für Europa.
Europa im Alten Testament ist ein interessantes Thema. In Jesaja 49,1 finden wir eine messianische Stelle, in der der Messias spricht – etwa 700 Jahre vor Christus: „Hört auf mich, ihr Iyim“ – das ist der hebräische Begriff, den ich gleich erklären werde – „und merkt auf, ihr Völkerschaften in der Ferne.“ In Vers 6 spricht Gott zum Messias: „Es ist zu gering, dass du mein Knecht seist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten von Israel zurückzubringen. Ich habe dich auch zum Licht der Nation gesetzt, um mein Heil zu sein bis an das Ende der Erde.“
Der Messias sollte also nicht nur für Israel kommen, sondern für alle Völker. Hier in Jesaja 49 spricht der Messias speziell zu den Iyim. Jetzt erkläre ich, was das bedeutet. Das hebräische Wort Iyim, das im Text von Jesaja 49,1 und an vielen weiteren Stellen meist mit „Inseln“ übersetzt wird, ist ein interessanter geografischer Begriff. Es bezeichnet im biblischen Hebräisch insbesondere die Inseln und Küstenländer des Mittelmeers auf der europäischen Seite von Kleinasien bis nach Spanien. Diese Definition findet sich bei den bedeutendsten Hebräischspezialisten des 19. Jahrhunderts, Keil und Delitzsch, in ihrem Kommentar zum Alten Testament, Band 1, Seite 134.
Iyim wird auch schon in der Zerstreuung der Nachkommen Noachs in 1. Mose 10 verwendet, für die Japhethiten, die nach Europa ausgewandert sind von Babel aus. Diese Iyim haben sie bevölkert.
Wir sehen hier ein NASA-Bild des Mittelmeers: Unten Ägypten, Israel, Libanon, Syrien, darüber die Türkei. Die Iyim sind das Gebiet oben, die Inseln wie Zypern, Kreta und viele griechische Inseln sowie das Festland. Das ist also tatsächlich die Bezeichnung für Europa im Alten Testament.
Zurück zu Jesaja 49: Der Messias spricht: „Hört auf mich, ihr Iyim, ihr Menschen von Europa, und merkt auf, ihr Völkerschaften in der Ferne.“ Gott sagt zum Herrn Jesus: „Ich habe dich auch zum Licht der Nation gesetzt, um ein Heil zu sein bis an das Ende der Erde.“
Interessant ist auch Apostelgeschichte 13 am Schluss. Als Paulus in Antiochien in Pisidien ist, sagt er in der Synagoge, nachdem die Juden seine Botschaft abgelehnt hatten: „Jetzt werden wir zu den Heiden gehen“ und zitiert diese Stelle aus Jesaja 49. Später, durch den Traum der mazedonischen Menschen, geht er dann nach Europa. So kam das Evangelium nach Europa. Paulus starb in Rom, an dem Ort, wo er den Römerbrief geschrieben hatte. Diese Stadt Rom spielte eine entscheidende Rolle in der Weiterentwicklung der Christenheit.
Das Thema heute hieß „Paulus: Leben, Werk, Wirkung“. Ich möchte etwas über die Wirkung sagen, und zwar anhand von zwei Hauptpunkten.
Wir sind im Jahr 400. Augustinus, der Sohn einer gläubigen Frau namens Monika, war ein großes Sorgenkind. Er lebte in Unzucht und Unmoral, hatte aber eine brillante akademische Karriere gemacht und wurde früh Professor für Philosophie. Doch er wurde nie glücklich.
Eines Tages war er bei einem Freund in Mailand im Garten. Er war innerlich, körperlich und seelisch durcheinander. Er saß unter einem Feigenbaum, als ein Kind aus der Nachbarschaft rief: „Tolle Lege, Tolle Lege, Tolle Lege“ – auf Lateinisch. Kinder spielen oft mit Worten, und so rief das Kind immer wieder „Tolle Lege“, was „Nimm und lies“ bedeutet.
Augustinus dachte: Das ist vielleicht Gottes Botschaft an mich. Er ging zurück zu seinem Freund, bei dem er zu Besuch war, und nahm die Paulushandschrift, die er vor einiger Zeit begonnen hatte zu studieren. Er sagte: „Nimm und lies.“ Er schlug die Schrift auf und las im Römerbrief 13, Vers 13: „Lasst uns anständig wandeln wie am Tage, nicht in Schwelgereien und Trinkgelagen, nicht in Unzucht und Ausschweifungen.“ Zu dieser Zeit lebte er mit einer Frau zusammen, ohne verheiratet zu sein. Weiter heißt es: „Nicht in Streit und Neid, sondern ziehe den Herrn Jesus Christus an und treibt nicht Vorsorge für das Fleisch zur Erfüllung seiner Lüste.“
Das führte zu seiner Bekehrung. Das war eine wunderbare Sache für Monika, die so viele Jahre für ihren Sohn gebetet hatte. Augustinus wurde einer der führenden Bibellehrer der folgenden Jahrhunderte. Er lehrte nicht nur Gutes, sondern schrieb auch wunderbar über die Gnade Gottes. Diese Lehre sollte über tausend Jahre später von großer Bedeutung sein.
Um 1500 machte ein Augustinermönch namens Martin eine Reise nach Rom. Dort sah er, wie der Petersdom im Vatikan gebaut wurde – ein prächtiges Bauwerk, das viel Geld brauchte. Daher ging Tetzel als Abgesandter vom Vatikan nach Deutschland, um Geld aus den Messen zu sammeln. Es galt der Spruch: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt.“
Luther beobachtete das alles und war zutiefst erschüttert. Ihm wurde bewusst, wie weit die Christen von der Wahrheit des Christentums und der Bibel abgekommen waren. Diese Dinge begannen innerlich in ihm zu wirken. Luther war ein Mann mit feinem Gewissen. Ihm wurde klar, dass sich die Kirche weit vom ursprünglichen Christentum entfernt hatte.
Als Professor für Theologie hielt er Vorlesungen über den Galaterbrief und die Psalmen. Dabei wuchs seine Überzeugung, die er „sola scriptura“ nannte – allein die Heilige Schrift. Wir sind so weit von der Wahrheit abgekommen, dass wir nicht hören müssen, was der Papst, die Kardinäle oder Konzilien sagen, sondern nur auf das bauen dürfen, was in der Heiligen Schrift steht. Denn diese ist von Gott inspiriert; alles andere ist Menschenwerk, im besten Fall.
So begann Luther, das, was er erkannt hatte, zu verkündigen. Das beeindruckte andere Männer tief, die auf diesen Entdeckungen aufbauten. Hier sehen wir Karl Wien, den Reformator von Genf, Zwingli in Zürich, Bullinger, den Nachfolger von Zwingli, der im Gegensatz zu Zwingli ein sehr geistlicher Mann war und Sohn eines Priesters.
Gott gebrauchte diesen Mann als Werkzeug. Bullinger schrieb das sogenannte zweite helvetische Bekenntnis, das Grundbekenntnis der reformierten Kirchen und eines der wichtigsten Bekenntnisse. Darin wird auch die Inspiration der Bibel festgehalten. Das sollten die liberalen Pfarrer in der Schweiz mal wieder nachlesen, wie schön er das formuliert hat.
Hier sehen wir Martin Buser, den Reformator von Straßburg und Köln, dann Farel, den Reformator von Neuchâtel in der Schweiz, sowie Beza, einen gelehrten Reformator aus Genf. Alle betonten: Die Bibel ist das einzige Fundament. Sie hat Autorität über alle Bereiche des Lebens: Glauben, Familie, Gesellschaft, Arbeit, Ethik, Kunst, Wissenschaft, Politik und mehr.
In dieser Zeit traten Tausende von Mönchen und Nonnen aus den Klöstern aus und erfassten die Gnade Gottes. Das war eine echte Erweckungszeit, aber ohne viel Klimbim, sondern mit Rückkehr zum Wort Gottes. Man erkannte wieder, was es bedeutet, nicht durch eigene Leistung oder Ablass mit Geld gerettet zu werden, sondern allein durch den Glauben an das vollendete Werk Jesu am Kreuz, der stellvertretend für unsere Sünden starb.
Wenn wir Gott unsere Schuld bekennen und bereuen, vergibt er uns, ohne dass wir das einem Priester sagen müssen, sondern wenn wir Gott im Gebet ansprechen. Sie lehrten, dass die Bibel für alle Lebensbereiche gültig ist, auch für die Familie. Luther heiratete eine Nonne und wollte damit zeigen, wie christliches Familienleben aussieht und ein Zeugnis sein kann.
So brachte die Reformation das Evangelium für Europa wieder ans Licht, nachdem es lange Zeit durch Rom verschüttet war. Wie war das bei Luther? Er war in einem Turmzimmer voller Sorge: „Wie kann Gott mir gnädig sein? Ich bin ein schlimmer Sünder!“ Dabei hatte er nie schlimme Dinge getan, wie Menschen das nennen würden. Aber er wusste, dass Gottes Zorn über ihm lag. Er leistete und leistete, doch es ging nicht.
Dann las er im Römerbrief 1, Vers 17: „Der Gerechte wird durch Glauben leben.“ Das schlug wie ein Blitz ein: Nicht durch Werke, sondern allein durch den Glauben an Jesus Christus und sein Werk. So brach der Römerbrief das Bollwerk der römischen Kirche auf und brachte Europa neu die Botschaft des Evangeliums.
Wir alle sind Nutznießer davon. Ohne diese Erkenntnis wären wir heute noch in der babylonischen Gefangenschaft der Kirche. Die Reformation machte den Auszug aus dieser Gefangenschaft möglich, sodass wir die Bibel heute frei lesen dürfen – was früher nicht erlaubt war.
So hat das Werk von Paulus eine eindrückliche Wirkungsgeschichte für Europa. Besonders Augustinus war für die Reformation wichtig, weil er die Gnade Gottes so beschrieben hat. Calvin bezog sich stark auf Augustin, wenn auch nicht in allen Punkten. Von ihm übernahm Calvin die sogenannte Präsentationslehre, die falsch ist, aber auch die Erkenntnis der Gnade Gottes.
So hat Gott gewirkt, speziell durch den Römerbrief. Erstaunlich ist, dass ausgerechnet der Brief, der einzige von Paulus, der nach Rom ging, Rom 1500 Jahre später explodieren ließ. Rom hatte die Lehre aufgebaut, dass der Mensch durch Werke gerettet wird, doch der Römerbrief sagt: Nicht durch Werke, sondern durch Glauben allein.
Das ist eindrücklich, wie Gott das geführt hat und wie wir Nutznießer dieses Werkes sind, das Gott im Leben des jungen Saulus vor Damaskus getan hat.
Wir wollen nun beten und dann ist Mittagszeit.
Herr Jesus, wir danken Dir für das, was Du durch den Apostel Paulus gewirkt hast. Wie wir durch die 14 Briefe des Paulus im Neuen Testament so reichen Segen haben und wie Du durch dieses Wort des Neuen Testaments die Bollwerke, die der Feind im Laufe der Zeit gegen das Evangelium aufgebaut hat, hast aufbrechen lassen.
Herr Jesus, Dein Wort ist wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt. Wir bitten Dich, dass dieses Wort auch im Leben eines jeden von uns diese Wirkung entfaltet, damit wir in der Freude des Glaubens und im Bewusstsein der Gnade Gottes leben dürfen. Amen.