Einführung in die Fragestellung der Moderne
Sie alle herzlich willkommen zu diesem Nachmittagsvortrag mit dem Thema „Warum sind wir so modern?“ Vielleicht haben Sie sich zum Teil gefragt, warum der Titel nicht „Warum sind wir postmodern?“ lautet.
Seit einigen Jahren spricht man von der Epoche der Postmoderne, was so viel bedeutet wie Nachmoderne. Das heißt: In der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, waren die Menschen modern. In der Zeit meiner Kinder wurde man postmodern.
Der Grund dafür ist, dass man einfach nicht genau sagen kann, was nach der Moderne kommt. Deshalb sagt man eben „postmodern“. Man könnte aber auch sagen „so modern“ – und dann wäre man postmodern.
Darum also die Frage: Warum sind wir so modern? Einige von uns sind modern, andere bereits postmodern.
Heute Nachmittag geht es um folgende Fragen, denen wir nachgehen möchten: Warum denken wir so, wie wir denken? Warum leben wir so, wie wir leben? Woher kommen unsere Überzeugungen? Wer hat unsere Ansichten beeinflusst? Worauf gründen sich unsere Überzeugungen? Haben wir uns wirklich frei und unabhängig entschieden, so zu denken und zu leben, wie wir es tun?
Sie sehen, es sind alles ganz wichtige und grundsätzliche Fragen.
Rückblick auf die Wurzeln unseres Denkens: Die Reformation
Nun wollen wir zunächst einmal eine Reise zu den Wurzeln unseres Denkens unternehmen. Wir könnten 2000 Jahre zurückgehen, auch 2500 Jahre oder noch weiter, aber in einem Vortrag müssen wir uns ein wenig einschränken. Deshalb sind wir heute Nachmittag etwas bescheidener und ich schlage vor, wir gehen ein halbes Jahrtausend zurück – in die Zeit um 1500 nach Christus.
Das war die Zeit von Martin Luther und natürlich von vielen anderen Zeitgenossen. Martin Luther lebte von 1483 bis 1546. Er war Mönch im Augustinerorden und wirkte auch als Professor der Theologie hier in Deutschland. So hielt er zum Beispiel einen großen Vorlesungszyklus über den Galaterbrief und dann auch über die Psalmen. Durch dieses Bibelstudium wuchs vieles in ihm, über Jahre hinweg.
In seiner Zeit als Augustiner-Mönch war Martin Luther auch einmal zu Besuch im Vatikan in Rom. Das war, wie Sie vielleicht wissen, die Zeit, als der Petersdom, dieser gigantische Bau, gerade errichtet wurde. Es war auch die Zeit, in der sehr viel Geld für den Bau gesammelt werden musste. Da kam auch Herr Tetzel nach Deutschland, um Messegelder einzusammeln. Aus dieser Zeit stammt ja der Spruch: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt.“
Martin Luther hat diese Dinge gesehen und auch den Bau in Rom. Das hat ihn als ernsthafter Katholik erschüttert. Er fragte sich: Was geht hier eigentlich vor? Wie gesagt, er hat die Bibel studiert. Die meisten Menschen damals konnten die Bibel nicht lesen, denn sie war nur auf Lateinisch zugänglich. Die meisten einfachen Leute konnten kein Latein, und selbst wenn sie es konnten, hatten sie eigentlich kein Recht, die Bibel zu lesen, wenn sie nicht Kleriker, Mönche oder Priester waren.
Martin Luther hat die Bibel gelesen und beobachtete diese Dinge. Das alles bewegte ihn sehr. Schließlich sagte er sich: Wir sind unglaublich weit weg vom ursprünglichen Christentum. Dabei tat er das nicht überheblich, denn er war ja mit im selben Boot. Er sagte nicht „wohin seid ihr gekommen“, sondern „wohin sind wir gekommen“. Wir müssten wieder zurückkehren zu den Wurzeln des Christentums, so wie es in der Heiligen Schrift nachzulesen ist.
So kam er auf die Idee, 95 Thesen aufzustellen. Diese sollten Diskussionspunkte sein, um mit einem Studenten darüber zu sprechen: Was ist eigentlich mit uns Christen geschehen? Als er sie dann öffentlich anschlug – an einer großen Tür – verbreiteten sie sich in kürzester Zeit, ohne Fax und E-Mail, in ganz Europa. Das war ein Donnerschlag! Dabei wollte er ja nur mit seinen Studenten über diese Punkte nachdenken und diskutieren. Doch es schlug ein, und damit begann die Reformation ab 1517. Am 31. Oktober schlug er die Thesen an.
Es war nicht sein Wunsch, die Kirche zu zerstören, sondern eine Reformation, das heißt eine Erneuerung. Er wollte die Kirche zurückbewegen und mithelfen, dass sie zurückgehen könnte zu den Wurzeln des Christentums. So entstand eine Bewegung, wie er sie sich gar nicht vorgestellt hatte.
Er erkannte: Die Kirche – wir, nicht ihr – haben uns vom ursprünglichen Christentum weit entfernt. Ihm wurde auch klar, dass wir zurück zu den Wurzeln, zurück zur Bibel müssen. Zudem wurde ihm bewusst, dass wir als Grundprinzip sola scriptura brauchen, auf Deutsch: allein die Heilige Schrift. Oder wenn Sie das als Ablativ auffassen: allein durch die Heilige Schrift können wir erkennen, was Wahrheit und was Irrtum ist.
Zurück zur Bibel – dort liegt das einzige Fundament, auf dem wir beurteilen können, was Menschen im Laufe der Jahrhunderte zum Christentum hinzugefügt haben und was wirklich im Sinn unseres Herrn Jesus Christus ist. So betonte er: Die Bibel ist das einzige Fundament.
Wenn wir uns auf Entscheidungen von Konzilien, auf Aussprüche von Päpsten oder auf Kardinäle stützen, dann stützen wir uns eigentlich auf Menschen. Wenn wir aber die Bibel als Gottes Wort ernst nehmen – und die katholische Kirche hat ja immer gelehrt, dass die Bibel Gottes Wort ist – dann können wir erkennen, was Menschen dazu erfunden haben und was sie bestätigt haben.
Manche Konzilien waren nichts anderes als eine Bestätigung dessen, was man in der Bibel lesen kann. Zum Beispiel das Konzil von Nicaea 325, das bezeugte: Wir haben nichts erfunden, sondern bestätigt, dass der Sohn Gottes dem Vater gleich ist. Oder das Konzil von Konstantinopel einige Jahrzehnte später bestätigte: Der Heilige Geist ist Gott, er ist keine unpersönliche Kraft. Das kann man in der Bibel nachlesen; dort wird es bestätigt. Die Bibel lehrt das Gleiche.
Doch später kamen auch Entscheidungen, die im offenen Widerspruch zur Bibel standen. So können wir allein durch die Bibel erkennen, was wirklich Christentum ist und was das Werk der Menschen ist.
Kreuzzüge – sind das Christentum? Nein, denn die Bibel lehrt etwas ganz anderes. Die Kirche hat kein Recht, Kriege zu führen. Der Staat ist etwas ganz anderes, aber die Kirche ist nicht der Staat. Der Staat darf seine Bürger verteidigen, aber die Kirche hat nicht das Recht, Krieg zu führen. So sagt der Apostel Paulus in Epheser 6: Unser Kampf, der Kampf der Christen, ist nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die geistlichen Mächte.
Es gibt nur einen geistlichen Kampf, aber keinen kriegerischen Kampf gegen Fleisch und Blut. So betonte Martin Luther auch: Die Bibel hat Autorität über alle Bereiche des Lebens, nicht nur wenn sie über Gnade spricht, über das Jenseits und den Himmel, sondern auch über diesseitige Dinge – über Familie, Gesellschaft, Arbeit und Ethik. Was ist Recht und was ist Unrecht? Wenn sie über Arbeit, Wissenschaft und Politik spricht, können wir alles von der Bibel beurteilen. So müssen wir das wieder im Licht der Heiligen Schrift neu tun.
Das hat viele andere Männer angeregt, ebenfalls einzusteigen und weiterzudenken. In Zürich zum Beispiel Huldrich Zwingli, in der französischen Schweiz Guillaume Farel, dann in Genf war lange wirksam Jean Calvin, in Straßburg und später auch in Köln war Martin Buser am Wirken.
Das sind alles Männer, die erkannt haben: Ja, in der Bibel steht die Antwort. Und dort steht auch nicht, dass wir uns durch eigene Leistung das Himmelreich verdienen müssen. Die Bibel sagt vielmehr: Alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden umsonst gerecht gesprochen durch seine Gnade (Römer 3,23).
Allein durch das Vertrauen auf die Gnade Gottes, darauf, dass Jesus Christus für unsere Schuld am Kreuz gestorben ist, können wir gerettet werden und Sicherheit im Blick auf das Jenseits haben. Das haben diese Männer begonnen zu verkündigen. Tausende von Nonnen und Mönchen wurden dadurch glücklich.
Sie lebten ständig in Unruhe und fragten sich: Was muss ich tun, damit ich einen gnädigen Gott habe? Sie erkannten, wir können nichts tun. Sie erkannten das Böse in sich selbst, auch wenn sie keine Kriminellen waren. Aber sie erkannten in unseren Herzen Abgründe. Warum haben wir diese Tendenz in unseren Herzen, dass wir zu bösen Dingen hingezogen werden?
Sie erkannten: Die Bibel lehrt die Gnade Gottes umsonst. Allein durch den Glauben an Jesus Christus werden wir von Gott gnädig angenommen, wenn wir unsere persönliche Schuld im Gebet bekennen und an das Erlösungswerk des Herrn Jesus Christus glauben.
Reformation als Impuls für Wissenschaft und Kunst
Die Reformation wurde zu einer Bewegung, die auch in anderen Bereichen einen enormen Einfluss ausübte.
Ein Wort zur Verbindung von Reformation und Wissenschaft: Die Reformation förderte nicht nur religiöse Erneuerung, sondern beeinflusste auch das wissenschaftliche Denken. Durch die Betonung der individuellen Bibellektüre und des kritischen Hinterfragens traditioneller Autoritäten entstand ein Klima, das wissenschaftliche Forschung begünstigte. So trug die Reformation dazu bei, dass sich die Wissenschaft weiterentwickelte und neue Erkenntnisse gewonnen wurden.
Reformation und Wissenschaft
Die Reformatoren haben gesagt, die Bibel bezeugt Gott als Schöpfer. Das sollte uns Ansporn sein, Wissenschaft zu betreiben. Denn wenn wir die Natur erforschen, erkennen wir noch mehr über die Weisheit und Größe Gottes.
Der gleiche Gott, der uns in der Bibel begegnet, ist auch der Gott, der sich uns durch seine Werke in der Natur zeigt. So war die Erkenntnis Gottes in der Schöpfung ein Ansporn, wissenschaftliche Forschung zu betreiben.
Gerade in Ländern, in denen die Reformation sich stark ausgewirkt hatte, erlebte die moderne Wissenschaft einen gewaltigen Aufschwung. Einer der großen Wissenschaftler dieser Zeit war Sir Isaac Newton (1643–1727). Er war ein englischer Astronom, Mathematiker und Physiker und zählt zu den bedeutendsten Forschern der Geschichte.
Newton ist nur ein Beispiel. Überhaupt betrieben die großen Wissenschaftler jener Zeit ihre Forschung aus dem Bemühen heraus, Gottes Größe zu erkennen. Man sieht hier also eine Rückkehr zur Bibel. Wissenschaft und Glaube schließen sich nicht aus. Im Gegenteil, sie befruchten einander.
Übrigens hat Isaac Newton auch Bibelkommentare geschrieben. Er hat nicht nur physikalische Gesetze neu entdeckt. Derselbe Newton sagte einmal: „Wer oberflächlich Physik betreibt, der kann an Gott glauben. Wer sie bis zum Ende denkt, der muss an Gott glauben.“
Newton war einer der größten Forscher aller Zeiten.
Ein Wort zu Reformation und Musik.
Reformation und Musik
Johann Sebastian Bach (1685–1750) stand unter dem tiefen Eindruck der Gnade Gottes. Nicht wir können etwas leisten, sondern es ist Jesus Christus, der alles für uns getan hat. Deshalb war Bach auch ein eifriger Bibelleser. Seine zweibändige Bibel auf Deutsch ist noch heute erhalten, und man sieht zahlreiche Randbemerkungen, die er hineingeschrieben hatte. Diese Bibellektüre war seine Motivation.
Zur Komposition: Johann Sebastian Bach führte die Musik des Abendlandes zum Höhepunkt, besonders im Zusammenhang mit der Entwicklung der mehrstimmigen Musik. Diese mehrstimmige Musik ist ein Phänomen, das aus dem Christentum heraus entstanden ist. In keiner anderen Kultur der Welt hat sich die mehrstimmige Musik so entwickelt wie im Christentum, wo sie aus dem Bemühen entstand, das Lob Gottes zu erhöhen.
Bach stand unter dem Eindruck der Gnade Gottes und hat die mehrstimmige Musik weiter ausgestaltet. Er brachte beispielsweise die Fugenkompositionen, die mehrstimmig sind, zum absoluten Höhepunkt. Seitdem hat niemand diese Kunstform überboten.
Seine Motivation drückte er immer wieder in seine Kompositionsblätter aus, indem er „Soli Deo Gloria“ (allein Gott die Ehre) schrieb. Für ihn gab es keinen Unterschied zwischen weltlicher und geistlicher Musik. Jede Musik war für ihn geistliche Musik, denn sie sollte – ob es sich um Instrumentalmusik wie ein Brandenburgisches Konzert oder um geistliche Werke wie die Matthäuspassion handelte – alles zur Ehre Gottes geschehen.
So zeigt sich, dass die Rückkehr zur Bibel nicht die Kunst behindert, sondern sie in verschiedenen Hinsichten gefördert hat. Dies ließe sich auch im Zusammenhang mit der Malerei ausführen, aber da ich kein Maler bin, lassen wir das.
Konflikte und Religionskriege nach der Reformation
Nun kommen wir zum Thema der Religionskriege. Es ging darum, ob sich die Kirche, in der Martin Luther als Mönch gedient hatte, reformieren lässt oder nicht.
Es ist eine geschichtliche Tatsache, dass die katholische Kirche als Machtsystem keine Rückkehr zur Bibel allein wollte. Tausende von Mönchen, Nonnen und natürlich auch Menschen aus dem gewöhnlichen Volk erkannten freudig die Gnade Gottes. Sie begannen begeistert, die Bibel zu lesen, weil sie zum ersten Mal in größerem Umfang in Landessprachen übersetzt wurde. So erhielten die normalen Leute Zugang zur Bibel, und viele Menschen freuten sich über das, was sie darin fanden.
Das Tragische ist jedoch, dass es praktisch von keinem höheren Kleriker ab dem Rang eines Bischofs bekannt ist, dass er damals eine Umkehr erlebt hätte, also eine Rückkehr zur Bibel allein. Es waren vor allem die Personen unter dem Rang eines Bischofs, also Priester, Nonnen, Mönche und normale Leute, die sich in großer Zahl bekehrten.
Was können wir daraus ableiten? Irgendwie hängt das doch mit dem Thema Macht zusammen. Sobald jemand mehr Macht hat, fällt es ihm einfach schwerer, etwas zu ändern. So entschied sich die Kirche als Machtsystem, die Reformation durch Krieg zu zerstören.
So kam es zur Gegenreformation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts, begleitet von schrecklichen Kriegen. Zu erwähnen sind zum Beispiel der Schmalkaldische Krieg 1546 und die grauenhaften Hugenottenkriege von 1562 bis 1598. Zehntausende Hugenotten wurden abgeschlachtet oder interniert.
Ein Beispiel ist Marie Durand. In Südfrankreich sieht man heute noch den Gefängnisturm, in den dieses sechzehnjährige Mädchen eingesperrt wurde. Sie hätte einfach sagen müssen: „j'abjure“ – das heißt, sie hätte den Glauben ablegen und schwören können, dass sie nicht mehr allein durch das Vertrauen auf die Gnade Jesu Christi errettet werde. Wenn sie das gesagt hätte, wäre sie freigekommen.
Doch dieses Mädchen kam erst als alte Frau und natürlich ledig aus dem Gefängnis. Man kann heute noch sehen, wie sie mit ihren Fingernägeln das Wort „Résiste“ (widerstehen) in einen Stein eingeritzt hat. Viele andere Frauen kamen ebenfalls ins Gefängnis, und es gab ihnen Mut, dem Glauben an die Bibel treu zu bleiben und Widerstand zu leisten: „Bleibt dem Glauben an die Bibel treu, geht nicht auf, wir müssen widerstehen!“
Das zu den Hugenottenkriegen.
Dann gab es auch den Dreißigjährigen Krieg, einen Religionskrieg von 1618 bis 1648. Dieser Krieg brachte Europa, insbesondere das Gebiet des heutigen Deutschlands, wirklich zu Boden und zerstörte vieles.
Diese Zeit begann mit Karl V., dem Kaiser, der bereits den Schmalkaldischen Krieg eröffnet hatte, um die Bewegung der Rückkehr zur Bibel niederzuschlagen.
Folgen der Religionskriege und die Aufklärung
Nun schauen wir uns an, was die Folgen der Religionskriege waren. Nach dem Dreißigjährigen Krieg waren alle müde. Lohnte es sich da noch, für den Glauben einzustehen, wenn das Ergebnis so verheerend war?
In diesem Klima der Ermüdung entstand die Aufklärungszeit, eine neue Epoche in Europa, die einen tiefen Einschnitt in der Geschichte des Denkens darstellt. Jahrzehntelang wandten sich viele Intellektuelle in Europa vom christlichen Glauben ab.
Einer von ihnen war Voltaire (1694–1778). Er ist bekannt als Spötter über das Christentum, ein blitzgescheiter Mann, der den Ausdruck „Le Dogme, Abort, Le Fanatisme“ geprägt hat. Das bedeutet: Das Dogma führt zum Fanatismus. Er sagte, man wolle nichts mehr mit dem Christentum, der katholischen Kirche oder der Bibel zu tun haben. Das führe alles zum Fanatismus, und die Menschen schlachteten sich gegenseitig ab.
Wir haben jedoch unsere Vernunft, die Ratio. Deshalb wird diese Zeit auch als die Zeit des Rationalismus bezeichnet. Das ist die einzige Art, wie wir wissen können, was Recht und was Unrecht ist: durch unseren Verstand. Wir müssen unseren Verstand gebrauchen, um Orientierung zu finden.
Ich möchte hier etwas persönlich werden und werde das immer wiederholen: Voltaire und wir. Für Voltaire, obwohl ein hochintelligenter Franzose, galt folgende Gleichung: Katholische Kirche, also die reale Kirche, so wie sie war, plus Religionskriege, gleich Christentum.
Machen wir auch diese Gleichung? Ich habe es oft erlebt, dass Menschen auf der Straße genau so denken. Sie sagen: „Kommen Sie mir nicht mit Christus, Christentum und Bibel. Wissen Sie nicht, was in den Religionskriegen alles geschehen ist? Und dann die Kreuzzüge, noch früher, so schrecklich, was da angerichtet wurde – diese Blutbäder, die die Kirche verursacht hat.“
Und was sagt man darauf? Nun, dann muss man sagen: Ja, wir müssen unterscheiden zwischen dem ursprünglichen Christentum, so wie Jesus Christus war und gelehrt hat, und die Apostel, seine Nachfolger, so wie wir das im Neuen Testament in der Bibel lesen. Wir müssen das unterscheiden von dem, was die Menschen später falsch gemacht haben – und natürlich gehören wir alle zu diesen Menschen.
Für Voltaire war alles im gleichen Abfalleimer. Da stellt sich natürlich die Frage: Unbestritten war er sehr gescheit, aber hier hat er einen ganz entscheidenden Denkfehler gemacht.
Können wir diesen Unterschied aber machen? Dazu brauchen wir keine Philosophen zu sein, sondern ganz normale Menschen, die sich überlegen: Nein, das ist natürlich nicht dasselbe.
Wenn ich Jesus Christus sehe und sein Leben, wie es in den Evangelien beschrieben wird, da kann sich nun wirklich niemand mehr messen. Wenn wir sehen, wie er mit den Menschen und auch mit seinen Feinden umgegangen ist, dann ist das natürlich ein ganz anderer Maßstab.
Aber die Gegner des Christentums nehmen gerne gerade diese Verehrungen auf, um sich irgendwie selbst zu entschuldigen. Denn wenn man sich mit Jesus Christus vergleicht, muss man immer zurücktreten. Diesen Vergleich schafft niemand von uns.
Aufklärung und Emanzipation: Kant und das Gleichnis vom verlorenen Sohn
Ein weiterer wichtiger Mann der Aufklärung war Immanuel Kant. Der Franzose Voltaire ist uns etwas fern, doch Immanuel Kant als Deutscher steht uns deutlich näher. Er lebte von 1724 bis 1804 und stammte aus einer sehr pietistischen Familie, die großen Wert auf eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus und zu Gott legte.
Kant entwickelte sich jedoch im Zeitgeist der Aufklärung ganz anders. Er wurde einer der großen Denker dieser neuen Epoche. Besonders eindrücklich beschrieb er, was Aufklärung bedeutet. In seiner Schrift „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ aus der Berlinischen Monatsschrift von 1784 definiert er die Aufklärung folgendermaßen:
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern an der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! – Wage es, verständig zu sein! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
Dieser Wahlspruch der Aufklärung fordert dazu auf, selbstständig zu denken und zu handeln.
Kant erklärt, dass wir Menschen endlich emanzipiert werden müssen. Das Wort „Emanzipation“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet wörtlich „aus der Hand herausgehen“, also selbständig werden. Ein nicht emanzipierter Mensch wird noch geführt, so wie ein Kind gerne die Hand des Vaters oder der Mutter nimmt und sich führen lässt.
Emanzipation heißt, die Hand des Vaters loszulassen und zu sagen: „So, jetzt entscheide ich selbst.“ Die Aufklärung ist somit der Aufruf zur Emanzipation. Die Führung soll nicht mehr von der Bibel, der Kirche oder anderen Menschen ausgehen, sondern jeder soll mit Hilfe seines eigenen Verstandes selbst entscheiden.
An dieser Stelle möchte ich etwas aus dem Neuen Testament lesen. Jesus Christus erzählte einmal in der Öffentlichkeit das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Der Zusammenhang findet sich in Lukas 15, Vers 11:
„Er sprach aber: Ein gewisser Mensch hatte zwei Söhne. Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt. Und er teilte ihnen die Habe.“
Nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn alles zusammen und reiste in ein fernes Land. Das ist Emanzipation. Der Sohn löst sich vom Vater. Jesus Christus vergleicht in diesem Gleichnis den Vater mit Gott, dem Vater im Himmel.
Der jüngere Sohn möchte selbständig werden. Er will sich nicht mehr führen lassen, sondern mit seinem eigenen Verstand seinen Weg gehen. Hier erkennen wir den Zusammenhang mit Kants Aussage: Aufklärung ist der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit.
Ich werde später noch einmal auf dieses Gleichnis zurückkommen.
Entwicklung des Denkens im 18. und 19. Jahrhundert: Vom Deismus zum Atheismus
Ich möchte die groben Züge der Entwicklung des Denkens in Europa weiterzeichnen. Im achtzehnten Jahrhundert, in der Zeit der Aufklärung, glaubten die Philosophen im Allgemeinen an Gott – oder besser gesagt, an einen Gott. Sie sagten, natürlich sei die Bibel nicht das Wort Gottes, und die Kirche könne uns nichts erzählen. Aber wenn man an die Schöpfung denkt, müsse die Ordnung ja von irgendwoher kommen. Es sei klar, dass es einen Schöpfergott gibt.
Dieser Schöpfergott habe jedoch nichts mehr mit uns zu tun; er sei weit entfernt. Er greife auch nicht in den Lauf der Geschichte ein. Deshalb gebe es keine übernatürlichen Dinge. Alles Übernatürliche widerspreche dem Verstand und existiere nicht. Dennoch wurde anerkannt, dass es einen Gott gibt, der aber ganz fern ist. Wir haben keine Beziehung zu ihm, und er sucht auch keine Beziehung zu uns.
Das war der Anfang einer Weiterentwicklung. Das Denken verselbstständigt sich immer und bleibt nie stehen. Im neunzehnten Jahrhundert kam dann das Jahrhundert des Atheismus, in dem man sagte, es gebe keinen Gott. Eine wichtige Person in diesem Zusammenhang war Charles Darwin (1809–1882). Ursprünglich war er kein Atheist, er hatte sogar Theologie bis zum Bachelor studiert, brach das Studium aber ab. Irgendwann sagte er, Theologie und Bibel seien nicht seine Sache.
Später entwickelte er eine neue Theorie, die Evolutionslehre. Diese war nicht wirklich seine originale Idee, aber er verstand es, bereits vorhandene Ideen zusammenzuführen und in einem Buch wie eine Explosion an die Öffentlichkeit zu bringen. Das war 1859 mit „Die Entstehung der Arten durch natürliche Selektion“. Darin sagte er, dass man für den Anfang des Lebens nicht an Gott glauben müsse. Man könne alles aus den bestehenden Naturgesetzen ableiten, die Entwicklung habe sich von selbst vollzogen – von den einfachsten Anfängen, einer Art Schleimmasse, über Fische, Amphibien, Reptilien bis zu den Säugetieren.
Das Denkklima war zu dieser Zeit reif dafür, und viele Intellektuelle fanden Darwins Vorschlag großartig. Jemand hätte das Buch schon hundert Jahre früher schreiben können, aber es wäre nicht angekommen, weil das Denkklima in Europa damals nicht offen dafür war. Die Deisten und Aufklärer hätten gesagt: Nein, das geht nicht. Die Ordnung kommt nicht von selbst, das wissen wir aus dem Alltag. Alles, was man sich selbst überlässt, gerät in Unordnung – das weiß übrigens jede Hausfrau. Durch Zufall entsteht keine Ordnung, schon gar keine höhere Ordnung. Die ersten hätten gesagt: Nein, das geht nicht. Aber im neunzehnten Jahrhundert war das Denkklima dafür reif.
Es war toll, aber noch nicht ganz reif, um noch mehr zu sagen. Das kam erst 1871 mit dem neuen Buch „Die Abstammung des Menschen“. Darwin ergänzte darin, was er im ersten Buch über Evolution noch nicht geschrieben hatte: Natürlich ist der Mensch auch Teil dieser Entwicklung. Es ging nicht nur bis zum Affen, sondern ein bisschen weiter. Auf den Punkt gebracht: von der Amöbe bis zu Goethe. Auch der Mensch ist die Folge einer zufälligen Entwicklung, bedingt durch Naturgesetze. Es braucht keinen Gott. Viele Intellektuelle griffen diese Idee auf, wenn auch nicht die Allgemeinheit.
Wenn man Darwins Leben betrachtet, ist es irgendwie tragisch. Sein ganzes Leben war ein steter Versuch, vor Gott zu fliehen. In den Briefen, die sein Sohn Francis Darwin veröffentlicht hat, und in seiner Autobiographie merkt man, dass Darwin innerlich hin- und hergerissen war. Er sagte zum Beispiel, wenn er sich mit dem Thema Auge beschäftigte – ich formuliere es mit meinen Worten – werde ihm schwindelig, wie das einfach so entstanden sein soll.
In seinen Schriften und Briefen zeigt sich, dass er hin- und hergerissen war, aber auf der Flucht vor Gott. Er litt über Jahre hinweg an schweren psychosomatischen Leiden, die man heute als Folge eines verdrängten schlechten Gewissens erklären kann. Seine Frau Emma war nicht auf seiner Linie. Sie hatte mit den Ideen ihres Mannes zu kämpfen.
In seiner späteren Phase schrieb Darwin selbst, er habe den Sinn für Schönheit in der Natur und in der Musik verloren. Schöne Musik war für ihn nichts mehr Schönes, und die Natur wurde kalt und tot. Das war der alte Darwin, für den die Welt kalt und tot war. So führte ihn sein Denken persönlich.
Sind wir uns bewusst, dass 2009 das Darwin-Jahr war? Er wurde 1809 geboren und lebte bis 1882, also jährt sich seine Geburt zum 200. Mal. In den Medien wurde viel über Darwin berichtet – im Radio, Fernsehen, in Zeitungen. In der Schule wurde über ihn gesprochen und darüber, wie er das Denken revolutioniert und das moderne Denken wesentlich gefördert hat.
Hier in Memmingen beschäftigen wir uns zu Jahresbeginn mit Darwin, sogar sehr persönlich: Darwin und wir. Da stellt sich die Frage: Warum glauben wir an Evolution? Ich gehe nicht davon aus, dass alle hier an Evolution glauben. Aber wenn wir daran glauben, müssen wir uns fragen, warum. Was sind die Gründe, die uns überzeugt haben?
Mal ganz persönlich, ohne Umfragen oder Handzeichen: Warum glaube ich an Evolution? War es wegen dieser Bildchen, die wir schon im Kindesalter gesehen haben – ein Affe, dann ein Wesen, das schon ein bisschen aufrecht steht, und so weiter bis zum aufrechten Gang? Wenn Sie deswegen daran glauben, sind Sie einem Betrug aufgesessen. Diese Bildchen sind konstruiert, keine Beweise.
Warum glauben Sie, dass man gewisse Knochen gefunden hat? Haben Sie diese Knochen untersucht und sind überzeugt, dass sie eindeutig für diese Entwicklung sprechen? Fossilien sind eine wunderbare Sache, aber muss man aufgrund von Fossilien an Evolution glauben? Warum glauben wir an Evolution? Vielleicht, weil die meisten Wissenschaftler daran glauben.
Heute ja, aber das war nicht immer so. Früher waren viele kluge Wissenschaftler überzeugt, dass es Gott gibt: Galileo Galilei, Newton, Kepler – alles gläubige Menschen, die zutiefst überzeugt waren, dass die Ordnungen im Weltall das Werk Gottes sind. Warum glauben wir an Evolution? Was hat uns überzeugt?
Nun eine wichtige Behauptung: Die Evolutionslehre steht im Widerspruch zu beobachtbaren Daten der exakten Naturwissenschaften. Mit exakten Naturwissenschaften meine ich solche, die sich mit Dingen beschäftigen, die wir im Experiment beliebig oft wiederholen können. Das ist zum Beispiel Chemie oder Physik.
Wissenschaften, die sich mit vergangenen, einmaligen Ereignissen beschäftigen, sind keine exakten Naturwissenschaften. Man nennt sie im Englischen „soft sciences“ – weiche Wissenschaften. Dazu gehört Geschichte, weil man Napoleon nicht wiederholen kann, sondern nur Überreste untersucht und interpretiert. „Hard sciences“ sind Physik, Chemie und andere, wo man Experimente beliebig oft wiederholen kann.
Die Evolutionslehre widerspricht heute beobachtbaren Daten der exakten Naturwissenschaften. Da unser Thema nicht Darwin und die Evolution ist, bringe ich nur ein Beispiel. Ich berufe mich auf Bruno Vollmert, einen deutschen Wissenschaftler, auf den wir stolz sein können. Er war einer der größten Makromolekularchemiker des zwanzigsten Jahrhunderts, Professor in Österreich und an der Universität Karlsruhe, geboren 1920.
Er war Spezialist für Makromoleküle. Wir wissen, dass Materie aus Atomen besteht. Atome können zu Molekülen verbunden werden, zum Beispiel Wasser (H2O), zwei Wasserstoffatome und ein Sauerstoffatom. Moleküle können zu größeren Molekülen verbunden werden, den sogenannten Makromolekülen. Diese sind in der Industrie wichtig, weil viele Stoffe daraus hergestellt werden.
Bruno Vollmert hat sich auf diesem Gebiet besonders verdient gemacht. Das größte Molekül, das wir kennen, ist die DNS. Es ist ein Riesenmolekül, das in jeder Zelle unseres Körpers vorhanden ist. Mit einer chemischen Schrift aus im Prinzip vier Buchstaben wird darin aufgeschrieben, wie man Lebewesen baut – auch die Augenfarbe und alle Details. Bei jedem Krokodil steht in der DNS, wie man ein Krokodil baut, bei jeder Erbse, wie man eine Erbse baut. Das ist grandios!
Beim Menschen ist das Molekül so lang, dass man es, wenn man es auseinanderziehen könnte, auf etwa einen Meter Länge bringen würde – ein fantastischer Faden! Und die gesamte Erbinformation ist auf diesem kompakten Molekül gespeichert.
Bruno Vollmert schrieb ein Buch mit dem Titel „Das Molekül und das Leben – vom makromolekularen Ursprung des Lebens, was Darwin nicht wissen konnte und Darwinisten nicht wissen wollen“, erschienen 1985 in Reinbek bei Hamburg. Dieses Buch ist seit einigen Jahren zugänglich.
Vollmert sagt Folgendes: In der Natur brechen molekulare Ketten sehr früh ab. Unter bestimmten Bedingungen – wie in Wasser – können sich längere Ketten bilden, aber ab einer bestimmten Länge brechen sie. Es gibt klare Gleichgewichtsgesetze in der Chemie, die das verhindern. Man kann mit jedem Chemiker darüber sprechen.
Auch die Ursuppenbedingungen von Miller, der in den 1950er Jahren Experimente machte, um zu zeigen, wie zufällig eine erste Zelle hätte entstehen können, zeigen, dass es mit Sauerstoff unmöglich ist. Man muss davon ausgehen, dass es ursprünglich keinen Sauerstoff gab, was für uns heute unangenehm wäre, denn ohne Sauerstoff würden wir nur drei Minuten leben.
Miller nahm bestimmte Bedingungen an und versuchte zu zeigen, wie eine Zelle entstehen könnte, aber es funktionierte nicht. Zwar erreichte er gewisse Makromoleküle, aber die zerbrachen wieder. Es gibt weitere Probleme, doch das ist nicht das Thema hier.
Vollmert erklärt in seinem Buch, dass die Gesetze zur Herstellung von Makromolekülen durch jahrzehntelange Experimente sehr gut bekannt sind. Es gibt keine Möglichkeit – ich wiederhole das mit meinen Worten, nicht wörtlich zitiert – dass sich das DNS-Molekül eines Einzellers bilden konnte. Das widerspricht jedem Naturgesetz.
Auch Darwin sagte, wir könnten alles mit Naturgesetzen erklären, aber er wusste nichts von diesen Makromolekülen. Deshalb der Titel seines Buches: „Was Darwin nicht wissen konnte“. Heute können wir es wissen, und deshalb sagt Vollmert: „Was Darwinisten nicht wissen wollen“.
Es gibt keine Möglichkeit, dass sich das DNS-Molekül eines Einzellers bilden konnte. Dieses DNS ist natürlich viel kürzer als die menschliche. Man braucht ja nicht so viel Text, um einen Einzeller zu bauen wie einen ganzen Menschen inklusive Großhirn.
Die Entstehung des Lebens von selbst ist nicht möglich. Schon der Anfang mit der Evolutionstheorie Darwins funktioniert nicht, meine Damen und Herren. Und das sage nicht ich, sondern Bruno Vollmert.
Vollmert geht noch weiter: Die Verlängerung des DNS-Moleküls von einer Tierart zur anderen – denn die Evolution ging ja, wie gesagt, von der Amöbe bis zu Goethe – funktioniert ebenfalls nicht. Die Bildung von Ketten in diesem Umfang ist nicht möglich. Natürlich können gewisse Moleküle sich anhängen, das ist möglich, aber das Wachstum von Molekülen in dem erforderlichen Umfang von einer Tierart zur anderen ist nicht möglich.
Gegen Ende seines Buches schreibt Vollmert: „Ich halte daher den Darwinismus für einen verhängnisvollen Irrtum, der seinen beispiellosen Erfolg letztlich einem anthropozentrischen Wunschdenken verdankt – dem Wunschdenken, dass der Mensch das Zentrum und das Höchste sein soll.“
Ein weiteres Zitat ganz am Schluss seines Buches lautet: „Mit der Frage nach der Entstehung des Lebens ist es wie mit der Frage nach der Entstehung der Materie. Als Albert Einstein von einem Journalisten danach gefragt wurde, deutete er die Antwort nur mit dem Finger nach oben. Diese bescheidene Geste des großen Physikers nehme ich auch als die unter naturwissenschaftlichen Aspekten einzig angemessene Antwort auf die Frage nach der Entstehung des Lebens, das mehr ist als selbstorganisierte Materie.“
Das ist nur ein Beispiel. Ich habe ja gesagt, unser Thema ist nicht Evolution.
Noch ein Zitat von Werner Heisenberg, einem weiteren deutschen Wissenschaftler, auf den wir stolz sein können. Er lebte von 1901 bis 1976, war Physiker, Mitbegründer der Quantenphysik und Nobelpreisträger. Er sagte einmal: „Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber am Grunde des Bechers wartet Gott.“
Sie sehen, es ist nicht so, wie Richard Dawkins sagt: „Wer denkt, muss Atheist sein.“ Diese Wissenschaftler sind weitergekommen als Dawkins, auch wissenschaftlich, und konnten es so sagen.
Marxismus und Darwinismus
Wir befinden uns immer noch im neunzehnten Jahrhundert, im Zeitalter des Atheismus. Ein Wort zu Karl Marx (1818-1883): Er schrieb sein grundlegendes Werk „Das Kapital“ im Jahr 1867, also einige Jahre nach Darwin. Dieses Buch wollte er ursprünglich Darwin widmen. Doch Marx jubelte nicht. Er war hin- und hergerissen und bekam ein schlechtes Gewissen: Wozu führen die Ideen, die ich veröffentlicht habe? Deshalb lehnte er die Widmung ab.
Karl Marx erkannte jedoch, dass Darwin die Grundlage für die Lehre des Klassenkampfes lieferte. Darwin zeigte uns die Evolution des Lebens ohne Gott: Der Stärkere vernichtet den Schwächeren, und so kann sich der Stärkere weiterentwickeln. Wer also den Schwachen schützt und ihm hilft, ist eigentlich ein Feind der Evolution. Der Stärkere muss die Oberschicht stürzen, und dann gibt es einen nächsten Schritt in der fortschreitenden Revolution des Marxismus. Schließlich soll eine klassenlose Gesellschaft entstehen, in der alle gleich sind, in Frieden zusammenleben und niemand mehr sagt: „Das ist mein, denn alles gehört uns gemeinsam.“
Das Leben von Marx ist sehr interessant. Er stammte aus einer jüdischen Familie und entstammte einer rabbinischen Abstammungslinie. In seiner Jugend war er ein bekennender Christ. Er schrieb sogar einen Aufsatz mit dem Titel „Unsere Verbindung oder die Verbindung des Gläubigen mit Christo“ während seiner Gymnasialzeit. Doch nach dem Abitur begann er ein Studium, und dort geschah etwas, das wir nicht genau kennen. In seinem Leben vollzog sich eine Wende: Ein tiefer Hass auf Gott entstand.
Marx schrieb ein eigenartiges Schauspiel, in dem der Satz vorkommt: „Ich möchte mich an dem einen rächen, der dort oben herrscht.“ Wenn man heute Karl Marx mit seinem Bart sieht, denkt man an einen Revolutionär. Doch damals reagierten die Menschen anders. Die Bartpracht war damals ganz speziell und wurde von Satanisten im neunzehnten Jahrhundert getragen. Man kann nicht einfach behaupten, Marx sei ein Satanist gewesen, aber es gibt Hinweise, die darauf hindeuten. Es könnte auch sein, dass er nicht offiziell Satanist war, aber ihnen sehr nahe stand.
Sein Lebensverlauf ist sehr typisch und entspricht dem, was man heute bei Satanisten oft sieht: eine schreckliche Zerrüttung in der Familie. Zwei Töchter und ein Schwiegersohn begingen Selbstmord; eine solche Häufung von Selbstmorden ist typisch bei Satanisten. Drei Kinder starben durch unnötige Unterernährung und Verwahrlosung. Am Ende seines Lebens versank Marx in Hoffnungslosigkeit. An seinen Freund Engels schrieb er: „Wie unnütz und leer ist doch das Leben.“ Das ist schrecklich.
Trotz allem hatten seine Ideen weitreichende Konsequenzen. 1917, während des Ersten Weltkrieges, kam es zur Oktoberrevolution in Russland. Die Kommunisten übernahmen die Macht, und es entstand die Sowjetunion. Unzählige Länder wurden grausam unterdrückt und gerieten unter die Knute des realen Kommunismus.
Wir müssen wissen, dass der Kampf der Kommunisten wesentlich durch das Buch von Darwin motiviert war. Nicht nur im Osten, sondern auch in Militärkreisen in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg war Darwin sehr populär. Das Denken „Der Stärkere vernichtet den Schwächeren“ prägte viele Offiziere. Dieses Denken war entscheidend für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges – einem Krieg, der alle fünf Kontinente betraf.
Durch die russische Revolution wurden schließlich Millionen von Menschen ermordet, in der Annahme, dass durch die Stärkung der Evolution ein Fortschritt möglich sei. Das marxistische System basiert auf einer These und einer Antithese: Zum Beispiel die Kapitalisten oben und das Proletariat unten. Durch den Zusammenprall dieser Gegensätze entsteht eine neue Epoche, eine Synthese. Doch auch in der Synthese entstehen wieder These und Antithese, die sich erneut bekämpfen müssen. Der Stärkere setzt sich durch und macht einen Schritt weiter, bis schließlich eine klassenlose Gesellschaft des Friedens und der Gerechtigkeit ohne Gott entstehen soll.
In den 1920er Jahren erklärten die Kommunisten in Russland: „Jetzt vernichten wir das Christentum, denn es ist uns ein Dorn im Auge.“ Es kam zu einer systematischen Vernichtung des Christentums. Millionen Christen wurden ermordet, in Arbeitslager geschickt und verfolgt.
Nietzsche und die Philosophie des 19. Jahrhunderts
Nun kommen wir nochmals zurück ins 19. Jahrhundert zu einer dritten wichtigen Person: Friedrich Nietzsche (1844–1900). Auch hier ist wieder die Herkunft interessant. Nietzsche war der Sohn eines evangelischen Landpfarrers. Allerdings hatte er seinen Vater schon früh als Kind verloren. Danach wurde er in einem Frauenhaushalt aufgezogen. Das war nicht unbedingt eine einfache Situation.
Dieser junge Nietzsche, der eigentlich aus einem sehr gottesfürchtig geprägten Umfeld stammte, wurde stark von Darwin beeinflusst. Er machte eine Blitzkarriere und wurde bereits in sehr jungem Alter Professor an der Universität. Eine seiner wichtigen Aussagen lautet: „Gott ist tot“. Damit wollte er nicht sagen, dass Gott einmal gelebt habe, sondern er meinte, dass in unserer modernen Zeit – im 19. Jahrhundert, das man damals schon als modern ansah – der Gedanke an Gott vorbei sei. So sei Gott tot.
In seinen Schriften drückte Nietzsche auch einen ausgesprochenen Hass gegen das Christentum aus, besonders gegen das Christentum, das den Schwachen helfen will. Er zeigte eine Verachtung für das Schwache. Für ihn war der Übermensch von großer Bedeutung.
Mit 34 Jahren wurde Nietzsche früh pensioniert. Sein Lebensende ist ganz tragisch: Er starb in geistiger Umnachtung, wurde aber hingebungsvoll, zum Beispiel von seiner Schwester, gepflegt. Wahrscheinlich hing seine geistige Umnachtung auch mit Syphilis zusammen, einer Krankheit, die er sich als Zwanzigjähriger zugezogen hatte, als er in ein Bordell gegangen war. Er lebte also das, was er philosophierte: Es gibt keine absoluten Werte.
Dieser Mann prägte das Denken des 20. Jahrhunderts ganz entscheidend. Nietzsche war auch für Hitler von großer Bedeutung.
Psychologie und Religion im 20. Jahrhundert: Freud und die Folgen
Nun gehen wir in den Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert und betrachten eine weitere wichtige Person. Natürlich vereinfache ich, indem ich einige bedeutende Persönlichkeiten herausgreife und wichtige Linien aufzeichne. Das ist in einem Vortrag notwendig, da man hier keinen gesamten Vorlesungszyklus halten kann. Diese Vereinfachung hat also einen guten Grund.
Doktor Med. Sigmund Freud, 1856 bis 1939, war jüdischer Abstammung, aber ohne Glauben an Gott. Er bezeichnete sich selbst als „ein ganz und gar gottloser Jude“ oder „ein hoffnungsloser Heide“. Das ist sehr ungewöhnlich, selbst für säkulare Juden, so von sich zu sprechen.
In seiner Jugend war er bereits stark von der Evolutionslehre Darwins angezogen. Diese prägte sein Denken entscheidend. Freud beeinflusste die Psychologie des 20. Jahrhunderts wie kein anderer. Sogar Menschen, die nie etwas von Freud gelesen haben, wurden von seinen Ideen beeinflusst.
In Freuds Psychologie spielte der Begriff der Sexualität eine zentrale Rolle. Er lehrte, dass das Unterdrücken des Sexualtriebes den Menschen krank mache. Wer will schon krank werden? Doch da gab es die biblischen Gebote, wie „Du sollst nicht Ehebrechen“. Diese Gebote zeigen, dass Sexualität ein Geschenk Gottes an den Menschen ist, aber nur im geschützten Rahmen der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau.
In seiner Psychologie wertete Freud das Rationale stark ab. Das war ein Schlag gegen alle Aufklärungsphilosophen, die sagten, die Vernunft führe uns. Freud hingegen behauptete, wir würden viel mehr von unseren Trieben und Lüsten getrieben als von unserer Vernunft. Das ist eine treffende Beobachtung.
Ein Beispiel: Wenn man eine Statistik macht, wie viele Menschen in der Gesellschaft rauchen, und diese Zahl mit der Anzahl der rauchenden Ärzte vergleicht, stellt man fest, dass es keinen großen Unterschied gibt. Also hängt das Rauchen nicht vom Beruf ab. Menschen, die genau wissen, wie schädlich Rauchen ist, hören nicht unbedingt auf. Ihre Vernunft führt sie nicht dazu, weniger zu rauchen als andere.
Wir werden also stark von inneren Trieben beeinflusst. Das hat Freud sehr betont. Doch er ging noch weiter: Er leugnete damit auch Schuld und Verantwortlichkeit des Menschen. Er betonte, dass man vieles auf die Umgebung, die Eltern oder die Gesellschaft abschieben müsse. Er sagte zwar nicht direkt „abschieben“, aber diese Denkweise führte auch zu Veränderungen in der Rechtsprechung.
Wenn ein Krimineller vor Gericht steht, wird er psychologisch untersucht. Dann heißt es oft: „Schauen Sie sich einmal an, was für einen Vater dieser Mann hatte. Unter uns gesagt, ich wäre auch so geworden. Sehen Sie sich all diese Umstände an.“ Natürlich spielen diese Faktoren eine Rolle, aber sie dürfen nicht unsere Verantwortung mindern. Wir müssen zu dem stehen, was wir tun, auch wenn wir in unglücklichen Verhältnissen aufgewachsen sind.
Ein Kabarettist in der Schweiz, Gabriel Rothschuh, hat das vor vielen Jahren sehr gut ausgedrückt. In einer Nummer heißt es: „Hansli hat wieder mal eine Scheibe eingeschlagen.“ Dann singen die Kabarettisten zusammen: „Der Hansli ist schon recht, nur Dummwald, die er schlacht. Sie haben es nicht verstanden.“ Übersetzt heißt das: „Der kleine Hans ist schon in Ordnung, nur die Umwelt ist schlecht.“ Auf Hochdeutsch reimt sich das allerdings nicht, daher entschuldige ich den alemannischen Dialekt.
Freud sagte auch, Religion und Glaube seien eigentlich eine psychische Krankheit. Und wer möchte schon ein Idiot sein? Doch dieser Mann prägte das 20. Jahrhundert und die breite Masse sehr stark.
In einem Brief an C. G. Jung, einen der berühmtesten Tiefenpsychologen des 20. Jahrhunderts und Freuds Zeitgenossen, schrieb er: „Mein bester Jung, versprich mir, die Theorie über die Sexualität, die das Wesentlichste von allem ist, niemals aufzugeben. Wir müssen daraus ein Dogma machen, ein unantastbares Bollwerk!“ Das ist bemerkenswert: Ein Mann, der sich über Religion lustig macht und sagt, die Leute seien krank, fordert, dass man aus seiner Lehre ein Dogma macht. Der Begriff „Dogma“ stammt ja aus der Religion.
Das 20. Jahrhundert: Kriege, Revolutionen und gesellschaftliche Umbrüche
Ja, wir machen hier eine kurze Unterbrechung. Wenn Sie die Psalmen im Alten Testament lesen, steht manchmal nach einigen Zeilen „Sela“, das hebräische Wort, das bedeutet, der Tempelchor, der den Bibeltext gesungen hat, soll schweigen, und das levitische Orchester soll mit den Instrumenten nach vorne treten.
In dieser Zeit der Musik kann man dann über das Gehörte nachdenken. In diesem Sinne machen wir ein paar Minuten Sela.
Meine Damen und Herren, wir kommen nun nach dem 19. Jahrhundert zum 20. Jahrhundert, das im Microsoft Lexikon Encarta in einem Europaartikel als „das schreckliche zwanzigste Jahrhundert“ bezeichnet wird. Es ist das Jahrhundert der zwei Weltkriege der Menschheitsgeschichte: Erster Weltkrieg 1914 bis 1918, Zweiter Weltkrieg 1939 bis 1945. Es ist das Jahrhundert der großen Revolutionen, kommunistischen Revolutionen und der Verfolgung von Minderheiten. Mehr als 200 Millionen Tote durch Krieg und Verfolgung haben wir in diesem Jahrhundert zu beklagen.
Nun, es war so: Die Ideen des 18. und 19. Jahrhunderts eroberten ab dem Anfang des 20. Jahrhunderts mehr und mehr die Massen in der westlichen Welt. Das, was früher das Denken von Intellektuellen war, wurde mehr und mehr das Denken großer Massen unserer Gesellschaft. So war das 20. Jahrhundert im Westen sehr stark charakterisiert durch Desorientierung – man wusste nicht mehr, was Recht und Unrecht ist – durch Entfremdung, durch Destabilisierung, Auflösung der Werte und so weiter und so fort.
Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten zunächst die Eltern viel arbeiten, um überhaupt wieder etwas zu essen zu haben. So vergingen die 50er Jahre. Aber viele Jugendliche sagten sich in den 60er Jahren: Was soll das eigentlich? Man arbeitet und arbeitet und möchte möglichst viel verdienen usw.
In den 60er Jahren waren Millionen von Jugendlichen richtig enttäuscht über all die Folgen wissenschaftlicher Entwicklung. Die Aufklärungsphilosophen hatten gesagt, mit unserem Verstand können wir alles weiterentwickeln und schließlich sogar den Weltfrieden schaffen. Das hatte Immanuel Kant verheissen: Mit Verstandeskraft können wir Konflikte lösen, ganz einfach. Wenn wir ein Problem haben, sagen wir: Ja gut, du möchtest das, ich möchte das, aber es geht ja nicht so oder so. Dann machen wir doch fifty-fifty, Hälfte so, Hälfte so, und dann können wir Frieden machen.
So war das Denken, aber das hat sich alles nicht bewahrheitet. Es gab zwei Weltkriege, dann wurden Chemiewaffen bereits im Ersten Weltkrieg eingesetzt, die Atombombe im Zweiten, und danach kam die Zeit des Kalten Krieges, in der man ständig unter der Bedrohung stand, dass ein Atomkrieg Europa zerstören könnte.
Die 60er Jahre waren auch die Zeit des Vietnamkrieges. Man fragte sich: Was soll das eigentlich? Und man wurde sich immer mehr bewusst, wohin die wissenschaftliche und industrielle Entwicklung führt: Umweltverschmutzung, Umweltschäden.
So waren Millionen von Jugendlichen enttäuscht über den Rationalismus. Der Gebrauch des Verstandes führt in den Engpass, und viele wünschten sich eine Flucht in eine andere Welt, in eine irrationale Welt, wo nicht der Verstand herrscht.
Übrigens interessant: Wenn Sie die Malerei im 20. Jahrhundert betrachten, sehen Sie oft, wenn gegenständlich noch gemalt wird, wie die Köpfe oft viel kleiner werden – viel zu klein für die Gestalten. Das drückte bereits das Zurückdrängen der Ratio, des Verstandes, aus. Anderes sollte wichtiger werden.
Und genau in den 60er Jahren schaffte eine ganz neue Art von Musik, die Rockmusik, den weltweiten Durchbruch. Das war die Zeit der Beatles und Rolling Stones. Eine Musik mit einem immer gleichbleibenden Grundschlag, der nie variiert, der immer exakt wie ein Motor gleichbleibt. Das war ein Gräuel in der frühen Musik. Dort muss man atemrhythmisch immer wieder ändern, sonst schaltet man den Verstand aus.
Es ist auch gegen die natürlichen Rhythmen des Körpers, die ja ebenfalls variieren und in Perioden verlaufen. Eine Musik mit einem durchstampfenden Grundschlag – man merkte, das ist genau die Musik, die wir brauchen. Mit der können wir ausflippen und abheben.
Die frühen Rockmusiker der 60er Jahre waren überrascht: Warum spinnen die Leute so, wenn sie uns zuhören? Was geschieht da eigentlich? Sie begannen, sich für andere Möglichkeiten zu interessieren, wie man in einer irrationalen Welt entfliehen kann, und sie begannen zu experimentieren mit Drogen.
Drogen gab es doch von Alters her schon. Aber warum gab es das Drogenproblem nicht? Das wurde damals wieder ganz neu entdeckt. Solche Musiker begannen zu experimentieren, sangen auch in manchen Songs von diesen Erfahrungen und steckten ihre Fans damit an. So ging die Drogenwelle los – und sie ist nicht mehr zum Ende gekommen.
In der Schweiz sagt man in der Politik: Ich finde es ein Gräuel, wir können das Problem nicht lösen, also den Schwerstsüchtigen bezahlen wir das Heroin. Das ist in gewisser Weise ein bisschen verrückt geworden, oder? Das ist ja unglaublich.
Dann erwachte auch das Interesse an östlichen Religionen. Man realisierte, man kann auch ohne Drogen diese irrationalen Erfahrungen machen, durch Meditation usw. Okkultismus wurde plötzlich interessant für Massen, Esoterik, die New-Age-Bewegung boomte.
Die Bewegung der 60er Jahre, insbesondere die 68er-Revolution, war ein bewusster Bruch mit herkömmlichen Werten. Man sagte: Was sollen all diese Regeln über Sexualität? Wir wollen doch frei sein! Freud hat uns erklärt, wir werden krank, wenn wir uns an solche Regeln halten.
So sagte man: Der Mensch soll frei sein in der Sexualität und kann Partner wechseln, wie er will. Auch Ehebruch ist nicht etwas Schlimmes, aber irgendwie gehört das dazu. Homosexualität ist einfach eine andere Form.
Man forderte lautstark die Auflösung der Ehe als Auslaufmodell. Man muss neue Formen des Zusammenlebens und der Kommune entwickeln, anstatt Familie. Das ist vorbei, das war Christentum. Abtreibung ist das Recht der Frau. Und man propagierte antiautoritäre Erziehung.
Hanslisch Schuracht: Die Kinder sind ja gut in Sicht, sie haben einen guten Kern, sie wissen schon, was sie wollen und was sie sollen. Da muss man nicht repressiv erziehen, ja?
All diese Dinge boomten. Nun können wir ein bisschen zurückgelehnt über vierzig Jahre zurückblicken auf die 68er-Bewegung. Das war eine Bewegung, ja, aber das war nur der Anfang. Das geht bis heute weiter. Die 68er-Bewegung ist nicht vorbei.
Noch heute sagen wir: Das Drogenproblem ist unlösbar. 50 Prozent oder mehr der Ehen enden in der Scheidung. Wir gewöhnen uns an Patchwork-Familien. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was damit gemeint ist.
Ein Mädchen sagt: Das ist mein Halbbruder, und früher habe ich noch mit einem anderen Bruder zusammen gewohnt, aber der ist jetzt beim dritten Freund der Mutter. So sind Patchwork-Familien.
Was geschieht mit den Kindern? Sie werden nicht glücklich durch diese Umstände, sie werden destabilisiert, sie wissen nicht mehr: Wo gehöre ich hin?
Ich meine auch schon Kinder der 68er. Da wurde es elf Uhr am Abend, dann sagten sie zu Papa – sie hatten nicht Papa –, John: Wann soll ich ins Bett gehen? Ja, die wussten nicht, dass sie warten müssen, bis die Eltern endlich mal sagen, wann man ins Bett gehen soll, oder?
Destabilisierung der Kinder, Gewaltzunahme und dieses verbreitete Gefühl der Sinnlosigkeit unter Jugendlichen in der Schule – das ist echt ein Problem.
Aber es ist doch logisch, wenn die Lehrer sagen: Wir wissen ganz genau aus der Wissenschaft, wir sind nicht geplante Wesen. Es ist nicht Gott, der uns gewollt hat. Ich weiß, es gibt Leute – das habe ich schon erlebt in der Seelsorge –, die behaupten, die Mutter hat mich nie gewollt. Schrecklich, solche Aussage.
Am Anfang stimmt sie auch nicht, ich habe danach mit der Mutter gesprochen, das sah ein bisschen anders aus. Aber es gibt Leute, die können das wirklich mit Recht sagen: Die Mutter hat mich nicht gewollt, meine Eltern haben mich nicht gewollt.
Ein Christ kann sagen: Sogar wenn das so ist, darfst du wissen, Gott hat dich gewollt, er hat dich geplant als Schöpfer.
Aber den Kindern in der Schule sagt man das nicht: Ihr seid biochemische Maschinen, durch Zufall entstanden. Dann machen die Schüler sich schon selbst fertig, ohne es bewusst sagen zu können. Dann haben wir auch keinen Sinn und kein Ziel.
Heute können wir zurückschauen auf eine Abtreibungskultur. Dreißig Jahre Abtreibung bedeuten die Vernichtung von mehr als einer Milliarde Kindern weltweit.
Die UNO sagt: Weltweit werden jährlich 40 Millionen abgetrieben. Das heißt, ein Viertel aller Schwangerschaften endet mit der Tötung des Kindes im Mutterleib.
Heute sehen wir eine dramatische Zunahme in der Schweiz bei den IV-Bezügern, das ist die Invalidenversicherung. Ihr habt ein anderes Wort hier in Deutschland. Viele Menschen sind als Folge des modernen Lebensstils betroffen.
Das ist eine ganz tolle Einrichtung, dass Menschen, die wirklich in Not sind, so durch den Staat Unterstützung bekommen. Aber heute sind es so viele Menschen, die so gelebt haben, wie man in den 60er Jahren gesagt hat: Seid frei in der Liebe, es macht euch glücklich, sonst wärt ihr krank.
Da müsste unsere Zeit eigentlich die psychisch gesündeste Zeit sein, denn es ist die am wenigsten repressive Gesellschaft in ethischen Fragen. Aber es ist genau das Gegenteil!
Wenn wir die Zunahme von Depressionen als Volkskrankheit sehen, wenn wir sehen, dass es ein Tabuthema ist, das Post-Abort-Syndrom – wie viele Frauen unter den schrecklichen Folgen einer Abtreibung leiden.
Man hat ihnen vielleicht gesagt: Ja, ihr könnt abtreiben, kein Problem. Und jetzt, wer hilft ihnen? Über die Jahre hinweg, wer hilft ihnen?
Das ist eine große, große Not.
Das Problem mit Aids, Hepatitis B und C hängt ja auch zum Teil mit dem Lebensstil zusammen – nur zum Teil. Dieses verbreitete Gefühl der Sinnlosigkeit und Wertlosigkeit.
Im 19. Jahrhundert, wenn man mit den Leuten gesprochen hatte – ich habe nicht im 19. Jahrhundert gelebt, aber das sieht man aus der Literatur –, haben sich die Leute nie so allgemein gefragt: Was bin ich wert? Das war gar nicht die Frage.
Viele Leute haben sich gefragt: Wie könnte meine persönliche Schuld gelöst werden? Wie kann ich mit Gott ins Reine kommen?
Heute ist das nicht mehr das, was die Gesellschaft kennzeichnet. Vielmehr sind es Fragen wie: Was bin ich eigentlich wert? Wer bin ich eigentlich? Was soll das?
Nun, wir haben doch im Gleichnis vom verlorenen Sohn zusammen gelesen, und ich möchte nochmals zurückkommen.
Ich lese nochmals von Anfang an, Lukas 15, Vers 11:
Jesus Christus sprach: Ein gewisser Mensch hatte zwei Söhne. Der jüngere sprach zu seinem Vater: „Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt.“ Er teilte ihm die Habe.
Nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn alles zusammen und reiste weg in ein fernes Land. Dort vergeudete er sein Vermögen, indem er ausschweifend lebte.
Als er aber alles verzehrt hatte, kam eine gewaltige Hungersnot über jenes Land, und er selbst fing an, Mangel zu leiden.
Er ging hin und hängte sich an einen der Bürger jenes Landes, der schickte ihn auf seine Äcker, Schweine zu hüten. Er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Trieben, welche die Schweine fraßen, aber niemand gab ihm.
Als er zu sich selbst kam, sprach er: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Überfluss an Brot, ich aber komme hier um vor Hunger.
Wir sehen: Der Sohn, der sich emanzipiert hat von seinem Vater, hat so gelebt, wie er es sich vorgestellt hat. Am Schluss endet er bei den Schweinetrögen.
Wenn man sich diese abendländische Geschichte anschaut – seit der Emanzipation, der Aufklärungszeit, über das 19. Jahrhundert des Atheismus und dann das schreckliche 20. Jahrhundert mit all seinen Auswirkungen –, müssen wir doch heute sagen, in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts sind wir echt bei den Schweinetrögen angekommen.
Es ist eine große Not, aber auch eine Chance, denn dadurch ist zu erklären, dass in Vers 17 steht: Als er zu sich selbst kam, begann er ganz neu über sich nachzudenken, in einer Weise, wie er das früher nie getan hätte, als er noch nahe beim Vater war.
Schließlich kommt der Wunsch, heimzukehren. Vers 18: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen. Mache mich wie einen deiner Tagelöhner.“
Er machte sich auf und ging zu seinem Vater.
Als er noch fern war, sah ihn sein Vater, wurde innerlich bewegt, lief hin, fiel ihm um den Hals und küsste ihn sehr.
Der Sohn sprach zu ihm: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen.“
Wunderbar: Der Sohn erkennt seine Lage und sagt sich, er möchte heimkehren, zurück zum Vater, von dem er sich auf üble Weise emanzipiert hatte.
Er will alles zugeben, vor Gott sagen: Ich habe gesündigt gegen den Himmel.
Das Schöne ist: Manche Menschen sagen sich das mal so, brechen dann aber nicht wirklich auf.
Im Gleichnis sehen wir: Dieser junge Mann steht wirklich auf und geht. Er machte sich auf und ging zu seinem Vater.
Als er noch weit weg war von zu Hause, sah ihn bereits der Vater. Warum? Der Vater hat ständig gewartet in all der Zeit. Er ging offensichtlich immer wieder zum Aussichtspunkt: „Kommt er? Nein.“ Da müsste man frustriert werden, nach Jahren immer wieder hingehen: „Kommt er? Nein.“ Das war ja gestern auch so und vorgestern auch so. Er kam nicht.
Da steht er und sieht den Sohn von weitem kommen.
Schauen wir uns die Reaktion an: Ist der Vater zornig?
Nein, als er noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt. Er lief hin, fiel ihm um den Hals und küsste ihn sehr.
Der Vater wartet und fühlt mit all den Leiden, die der Sohn durchgemacht hat.
Könnte jemand sagen, er ist selbstverschuldet? Der Vater fühlt mit, er ist innerlich bewegt.
Wo sind die Menschen, die auch heute mit anderen mitleiden?
Wir erleben das in unserer Kirche vor Ort. Da sind Menschen zum Glauben gekommen, und ich sage Ihnen, wie sie gelebt haben. Da sind so viele Dinge kaputtgegangen.
Aber es ist jetzt einfach so: Die kommen ins Lazarett, und wenn sie Nöte haben, dürfen sie sich melden, dann können sie über die Nöte sprechen. Man kann ihnen raten.
Es gibt Leute, die sind einfach schwach und brauchen immer wieder Ermutigung.
Wir schauen allerdings darauf, dass wir nicht sagen: Kommen Sie regelmäßig in die Seelsorge? Nein. Wenn etwas ist, etwas wirklich Wichtiges, dann bespricht man das. Aber man achtet darauf, dass jemand möglichst schnell wieder selbständig ist.
Es darf keine Abhängigkeit zum Seelsorger entstehen, aber eine Unterstützung, eine Hilfe, dass man dieses Leid mitträgt.
Man sieht dann auch, wie Menschen im Laufe der Zeit wirklich Fortschritte machen und wie ein ganz neues Leben entsteht.
Was früher kaputt war, wird ein glückliches, stabiles Leben.
Da haben wir einen, der war etwa drei- oder viermal verheiratet, lebte mit einer zusammen, und heute gibt es eine stabile Ehe. Das ist wirklich eindrücklich zu sehen.
Es ist möglich, wie es hier gezeigt wird: zurück zum Vater.
Der Vater steht da, umarmt ihn, küsst ihn sehr.
Der Sohn wird nicht einfach romantisch in dieser Situation, sondern bleibt bei der Realität: „Vater, ich habe gesündigt.“ Er geht nicht darüber hinweg.
So ist es wichtig: Wenn wir den Wunsch haben, heimzukehren zum Vater im Himmel, zu dem Gott, von dem wir davongelaufen sind, dürfen wir wissen: Er wartet schon längst und ist innerlich bewegt über all das, was wir erlebt haben in unserer Vergangenheit.
Er will, dass wir kommen.
Dann sollen wir auch sagen: Ich habe gesündigt.
Und wir sollen konkret im Gebet zu Gott kommen.
Wir brauchen keine Mittelsperson. Vielleicht kann Seelsorge helfen, aber das ist nicht nötig.
Wir können ganz direkt im persönlichen Gebet vor Gott kommen und sagen: Schau, ich habe das gemacht, ich wusste, es ist Sünde.
Ich habe das getan, und es ist mir jetzt klar geworden, es ist Schuld vor Gott, Schuld vor dir. Vergib mir!
Dann danken wir Gott, dass Jesus Christus dafür gestorben ist.
Ich lese weiter im Gleichnis:
Der Vater sprach zu seinen Knechten: „Bringt das beste Kleid hier und zieht es ihm an, tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße.
Bringt das gemästete Kalb her und schlachtet es.
Lasst uns essen und fröhlich sein, denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden.“
Sie fingen an, fröhlich zu sein.
Die ganzen Dreckskleider kann er ausziehen.
Hat er es verdient? Nein.
Was konnte er bringen? Eigene Leistung? Nein.
Das Einzige, was er bringen konnte, war: Ich habe gesündigt.
Aber der Vater gibt ihm das beste Kleid.
Das ist genau, was wir im Römerbrief lesen.
In Römer 5, Vers 1 steht: „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott.“
Dieser Ausdruck „gerechtfertigt“ ist im Griechischen ein Aorist, das heißt, es ist eine abgeschlossene Handlung in der Vergangenheit.
Wenn jemand an Jesus Christus glaubt, sagt Gott: Dieser Mensch ist gerecht, weil er ihm alle Schuld vergibt.
Was bleibt noch übrig, wenn alle unsere Schuld vergeben ist?
Dann sind wir nur noch gerecht.
Ich meine, wenn aller Schmutz weg ist, ist es fantastisch.
Ein geschenktes Kleid, das beste Kleid, ein Ring – das ist toll.
Beim Ring: Wo fängt der Ring an und wo hört er auf? Das ist doch ein wunderbares Symbol der Ewigkeit.
Die Bibel sagt: „So hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.“
Gott schenkt das ewige Leben.
Lesen Sie genau: Die Bibel muss man genau lesen.
„Damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.“
Das ist Gegenwart, Präsenz – das ewige Leben als Besitz.
Man kann sagen: Ich habe das ewige Leben.
Ist das hochmütig? Nein.
Der Apostel Johannes, der heilige Apostel Johannes, schreibt in 1. Johannes 5, Vers 11: „Dies habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr ewiges Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.“
Der Apostel Johannes hat geschrieben, damit wir wissen, dass wir ewiges Leben haben durch den Glauben an Jesus Christus.
Das gibt wieder ein Fundament.
Menschen, die alle Orientierung verloren haben, dürfen wieder ein festes Fundament bekommen, auf dem sie fest stehen können.
Gott will ein Fest feiern.
Er war tot und ist wieder lebendig geworden.
Das ist herrlich.
Das ist die beste Botschaft, die es gibt für unsere Gesellschaft, für die Welt.
Diese Heimkehr zum Vater ist nichts anderes als Umkehr.
Im Prophetenbuch Ezechiel, Kapitel 33, Vers 10, steht:
„Also sprecht ihr und sagt: Unsere Übertretungen und unsere Sünden sind auf uns, und in ihnen schwinden wir dahin. Wie könnten wir denn leben?“
Dann kommt die Antwort:
„Sprich zu ihnen: So wahr ich lebe, spricht der Herr, der Ewige: Ich habe keinen Gefallen am Tod des Gesetzlosen, sondern dass der Gesetzlose von seinem Wege umkehre und lebe.
Kehrt um, kehrt um von euren bösen Wegen, denn warum wollt ihr sterben?“
Gott sagt, er möchte das Leben von uns.
Gesetzlos – das bezeichne ich nicht einfach als Kriminelle, sondern Menschen, die gegen die Gebote Gottes gelebt haben.
Gott sagt: Kehrt um, kehrt um!
Ein dringliches Rufen und Warten.
Der Herr Jesus hat alles gut gemacht.
Am Kreuz von Golgatha wollte er stellvertretend die Schuld unseres Lebens auf sich nehmen.
Gott hat ihn bestraft, Gott hat ihn verlassen am Kreuz, damit er ewig bei uns sei, wenn wir unsere Schuld dem Sohn Gottes im Gebet bekennen und an den Namen des Sohnes Gottes glauben.
So haben wir eine herrliche Botschaft für eine moderne oder postmoderne Welt.
Das ist es, was uns ein großes Anliegen ist, hier an dieser Stelle weiterzugeben.
Ich hoffe, dass jeder, der diesen Frieden mit Gott noch nicht hat, diese Heimkehr zum Vater noch nicht erlebt hat, diese Erfahrung machen darf.
Viele hier haben diese Erfahrung gemacht – ich weiß, es ist wunderbar!
Warum nicht heute kommen?
Gott ruft!
Ich danke fürs Zuhören.