Dann ließ er ihnen Barabbas frei, Jesus aber ließ er geißeln und überlieferte ihn, damit er gekreuzigt würde.
Die Soldaten des Statthalters nahmen Jesus mit in das Praetorium und versammelten die ganze Schar um ihn. Sie zogen ihn aus und legten ihm einen scharlachroten Mantel um. Dann flochten sie eine Krone aus Dornen und setzten sie ihm auf das Haupt. Einen Rohrstab gaben sie ihm in die rechte Hand.
Sie fielen vor ihm auf die Knie, verspotteten ihn und sagten: „Sei gegrüßt, König der Juden!“ Sie spuckten ihn an, nahmen den Rohrstab und schlugen ihn auf das Haupt. Nachdem sie ihn verspottet hatten, zogen sie ihm den Mantel aus und legten ihm seine eigenen Kleider wieder an. Anschließend führten sie ihn weg, um ihn zu kreuzigen.
Bis hierhin haben wir den Text zunächst einmal betrachtet. Beim letzten Mal haben wir gesehen, wie Jesus vor Pontius Pilatus schließlich zum Kreuzestod verurteilt wurde. Dabei wurde deutlich, dass Pilatus noch einen Versuch unternahm, sich seiner Verantwortung in dieser Angelegenheit zu entziehen.
Zur Zeit des Passahfestes hatte die römische Besatzungsmacht die Gewohnheit, einen Kriminellen ohne besonderen Begnadigungsgrund freizulassen. Es wurde also jemand begnadigt, der eigentlich keine Begnadigung verdient hatte.
Pontius Pilatus machte, wie wir beim letzten Mal schon gesehen haben, den Vorschlag, dass das jüdische Volk wählen könnte: Entweder sollte Barabbas, ein Mörder, freikommen, oder Jesus von Nazaret.
Die Menschenmenge, die bei Pontius Pilatus stand – übrigens außerhalb des Prätoriums, das sich heute am Jaffator befindet – wollte nicht in das Prätorium hineingehen. Wir werden noch sehen, warum das so war.
Pilatus fragte sie: „Wen wollt ihr freigelassen haben? Barabbas oder Jesus?“ Die Menge wählte Barabbas, den Mörder.
Der Kontrast war sehr eindrücklich, wie wir beim letzten Mal gesehen haben: Barabbas bedeutet auf Aramäisch „Sohn des Vaters“. (Nicht zu verwechseln mit Barnabas, der „Sohn des Trostes“ bedeutet.) Jesus wird im 2. Johannesbrief als „Sohn des Vaters“ bezeichnet. Dieser Ausdruck kommt sonst nicht vor. Statt „Sohn Gottes“ heißt es hier „Sohn des Vaters“ – ein besonders kostbarer Ausdruck für den ewigen Sohn, der in ewiger Gemeinschaft mit dem Vater war und ewig seine Freude und sein Herz erfüllte.
Die Menschen konnten also wählen zwischen dem „Sohn des Vaters“ aus dem 2. Johannesbrief und Barabbas, einem Mörder. Die Menge entschied sich für Barabbas.
Dann lesen wir in Vers 26: „Dann ließ er ihnen Barabbas frei.“
Und nun wurde das schreckliche Todesurteil gegen den Herrn Jesus vollstreckt – und zwar in mehreren Phasen. Jesus ließ man geißeln. Dies wird nur kurz und knapp beschrieben, was typisch ist für die Evangelien. Die Leiden des Herrn Jesus werden nicht in allen Details dargestellt, um keine falschen Gefühle bei uns zu wecken.
Wir staunen, wie der Geist Gottes die Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes inspiriert hat, alles so zu beschreiben, dass es Kindern jeden Alters erzählt werden kann – von kleinen Kindern über Jugendliche bis hin zu Erwachsenen und sogar im hohen Alter. Würden alle grausamen Details ausgeschlachtet, könnte das sehr verletzend wirken, und das wollte der Geist Gottes nicht.
Es ist auch erstaunlich, dass Jesus in den Evangelien beschrieben wird, aber nie so, dass wir uns ein genaues Bild von seinem Aussehen machen könnten. Das wird auch nicht gesagt. Das hat seinen Grund: Wenn wir an Herrn Jesus denken, an seine Leiden, sein Leben, wenn wir ihn im Gebet bitten oder anbeten, sollen wir nicht ein Gesicht vor Augen haben, das nur das Produkt von Fantasie ist. Solche Darstellungen finden sich oft in Kinderbibeln oder teuren Kinofilmen, die den Herrn unangemessen darstellen und ein falsches Bild einprägen. Das entspricht nicht Gottes Gedanken.
Wir sollen den Herrn Jesus so kennen, wie die Schrift ihn uns zeigt. Dabei wird nicht auf alle Details seiner Leiden eingegangen. Aber natürlich dürfen wir Hintergrundwissen haben, wenn es hier heißt, Jesus ließ man geißeln.
Diese Geißelung wurde von einem besonders brutalen Soldaten der römischen Legionen durchgeführt. Dabei wurde ein Stab verwendet, an dem lange Lederriemen befestigt waren. An den Enden dieser Riemen befanden sich meist Widerhaken oder spitze Metallteile. Der ganze Rücken wurde aufgerissen.
In Psalm 129 finden wir eine prophetische Beschreibung der Geißelung des Herrn. Christian, kannst du lesen? Nein? Dann lese ich: „Pflüger haben auf meinem Rücken gepflügt, langgezogen ihre Furchen“ (Psalm 129,3).
Auch hier wird das Geschehen in poetischer Sprache beschrieben, was eine gewisse Abfederung darstellt. Es ist wirklich so: Wenn man zum Beispiel Bilder von Sklaven in der Sklavenzeit in den USA sieht, erkennt man, dass die Rücken nach Geißelungen wie ein Acker mit Furchen aussahen. Das ist hier eindrücklich ausgedrückt.
Viele Kriminelle, die damals von den römischen Machthabern geißelt wurden, starben allein an dieser Geißelung, noch bevor sie gekreuzigt wurden. So kann man sich vorstellen, welche Leiden das konkret bedeuteten.
Der Herr jedoch lebte weiter. Er ließ sich geißeln und wurde dann überliefert, damit er gekreuzigt würde. Mit der Geißelung wurde also das Todesurteil vollstreckt.
Und dann kommt die nächste Phase, Vers 27: „Dann nahmen die Soldaten des Statthalters Jesus mit in das Prätorium und versammelten um ihn die ganze Schar.“
Es ist klar, dass das alles außerhalb des Prätoriums geschehen ist. Es gibt heute noch Überreste des Prätoriums. Wenn man in der Altstadt von Jerusalem beim Jaffa-Tor steht, befindet sich dort das Jerusalem Stadtmuseum. Dieses fantastische Museum präsentiert die ganze Geschichte Jerusalems sehr eindrücklich. Im Stadtmuseum sieht man noch die Grundmauern des Prätoriums von Pontius Pilatus, das ursprünglich der Palast von Herodes dem Großen war, dem Kindermörder von Bethlehem.
Nach 6 nach Christus haben die Römer die Familie Herodes aus dem Palast hinausgejagt. Sie wandelten Judäa in eine politische Einheit um, die unter einem Prokurator oder Landverwalter stand. Die Familie Herodes musste weichen und zog in den sogenannten Makkabäer-Palast. Dieser befand sich im heutigen jüdischen Viertel der Altstadt, und zwar genau an dem großen Innenplatz vor der Churwa-Synagoge, unter der Bank in einer Ecke mit einem Geldautomaten. Man muss dort übrigens keine Gebühren bei diesem Automaten zahlen – das ist speziell.
Dort war der Palast der Makkabäer, der später von der Herodes-Familie übernommen wurde. Jesus befand sich also draußen beim Prätorium. Man hat eine Stelle ausgemacht, die man als einstigen Zugang zum Prätorium interpretieren könnte. Man muss aus der Altstadt hinausgehen, durch das Jaffa-Tor, und dann der Altstadtmauer entlang. Wir waren extra deswegen dort, und man kann sich vorstellen, dass dort die ganze Volksmenge stand. Jesus stand vor ihnen, und das Urteil wurde gefällt.
Dann nahmen die Soldaten den Herrn Jesus in das Prätorium hinein, in diesen Palastbezirk. Wir lesen: „Sie versammelten um ihn die ganze Schar.“
Was versteht man unter „Schar“? Wenn man als deutscher Leser das Wort liest, was stellt man sich darunter vor? Eine Menge von vielleicht ein paar hundert Leuten. Aufgrund des Wortes „Schar“ hätte ich viele Personen erwartet. Im Griechischen ist das Wort jedoch „Speira“. Dieses kann eine Kohorte bedeuten, also ein Zehntel einer Legion. Das wären sechshundert Mann.
Wir wissen, dass in der Burg Antonia, die auf einem Felsen stand, gerade in der Nordwestecke des Tempelplatzes, die militärische Besatzungsmacht in Jerusalem untergebracht war. Dort befindet sich heute das Rwanima-Minarett. Es steht genau an der Stelle, wo die Treppe hinaufführte vom Tempelplatz zur Burg Antonia.
In der Burg Antonia waren sechshundert Soldaten stationiert. Man kann heute noch die Wasserversorgung für diese sechshundert Soldaten bewundern. Das war eine Kohorte unter der Leitung eines Chiliachen. Ein Chiliach ist ein Offizier über tausend Soldaten – der Begriff bedeutet „Tausendschaftsführer“. In Jerusalem war er jedoch nicht über tausend, sondern über sechshundert Soldaten verantwortlich.
Wir sind jedoch nicht in der Burg Antonia, sondern im Prätorium beim Jaffa-Tor. Dort wird die „Schar“ versammelt, die ganze Schar. „Speira“ kann eine Kohorte bedeuten, also sechshundert Mann. Es kann aber auch dem lateinischen Wort „manipulus“ entsprechen. Ein Manipulus ist eine Einheit von zweihundert Mann.
Es ist klar, dass nicht die ganze Kohorte, die in Jerusalem stationiert war, beim Prätorium versammelt war, sondern nur ein Kontingent davon. Das heißt: Die ganze Schar, also zweihundert Mann, zweihundert Soldaten, standen dort.
Aber jetzt muss ich noch etwas nachholen. Ich habe gesagt, dass bis zur Verurteilung alles außerhalb des Prätoriums stattgefunden hat, und dann die Misshandlung im Prätorium.
Warum gingen sie nicht hinein? Was war der Grund? Sie wären unrein geworden. Sie wären unrein geworden oder hatten Angst, unrein zu werden.
Woher haben wir diese Informationen? Wir können zusammenarbeiten und das Johannesevangelium zu Rate ziehen. So ergänzen sich die vier Evangelien zu einem Ganzen.
In Johannes 18,28 lesen wir Folgendes: Sie führen nun Jesus von Kajafas in das Prätorium. Es war aber früh morgens, und sie gingen nicht in das Prätorium hinein, um sich nicht zu verunreinigen, sondern das Passa essen zu können. Pilatus ging nun zu ihnen hinaus und sprach: "Welche Anklage bringt ihr gegen diesen Menschen vor?" und so weiter.
Dann folgt das ganze Zwiegespräch zwischen der Menge der Ankläger und Pilatus.
Aber jetzt entsteht vielleicht ein Problem. Hier heißt es, sie wollten nicht ins Prätorium hineingehen, um sich nicht zu verunreinigen. Wenn sie in ein heidnisches Gebäude gingen, hätten sie möglicherweise mit kultisch unreinen Dingen in Berührung kommen können. Dann wäre das Ritualbad wieder annulliert gewesen, und man hätte das ganze Prozedere wiederholen müssen.
Doch hier wird gesagt, sie wollten sich nicht verunreinigen, damit sie das Passa essen konnten. Das Passa war aber gerade erst vorbei, am Vorabend.
Es gibt Leute, die sagen: Da sieht man, dass die Evangelisten ein Durcheinander hatten. Der Kalender in den synoptischen Evangelien – ich glaube, das sind Leute, die gerne gescheit reden – der Zeitplan in den synoptischen Evangelien Matthäus, Markus und Lukas ist anders als der in Johannes.
Die Synoptiker – das sind die drei Evangelien, die viele Geschichten gemeinsam berichten – unterscheiden sich vom Johannes-Evangelium, das viel eigenes Sondermaterial enthält.
Die synoptischen Evangelien sagen, das Passa sei am Vorabend der Kreuzigung gewesen, aber bei Johannes ist das Passa erst am Abend nach der Kreuzigung.
Was macht man dann? Es gibt Leute, die sagen: Wahrscheinlich hat Jesus mit seinen Jüngern – ich sage jetzt nicht "der Herr Jesus", sondern zitiere gewissermaßen – das Passa zeitlich vorverschoben. Das eigentliche Passa wäre aber ein Tag später gewesen.
Geht das? Pascha genannt am ersten Tag auf dem Posten?
Jetzt gibst du schon die Lösung. Ich wollte eigentlich über einen kleinen Weg zur Lösung hingehen. Das ist schon gut, du gehst gerade aufs Zentrum, klar.
Also, das Wort Pessach bedeutet auf Hebräisch nicht nur das Lamm, das am Abend, dem 15. Nisan, gegessen werden sollte. Der Tag beginnt mit dem Abend. Sondern der Ausdruck Pessach wurde damals im Hebräischen auch für das Friedensopfer verwendet, das Priester in der Passawoche aßen.
Das war also ein Rind, so wie es auch in 5. Mose 16 von einem Passa gesprochen wird – ein Rind.
Da muss man sich fragen: Wie geht das? Das Passa war doch immer ein Lamm, kein Rind.
Das ist eben das Passa-Friedensopfer für die Priester.
Und diese führenden Priester, die ja an der Spitze dieser Volksmenge standen, die anklagten, wollten eben nicht ins Prätorium, damit sie noch das Passa-Friedensopfer essen konnten.
Also nichts von Verwirrung bei den Evangelisten, sondern sie drücken sich so aus, wie es wirklich war. Das ist authentisch.
Aber das ist ja immer ein Problem, wenn Leute, die zweitausend Jahre später leben, meinen, sie wüssten es besser als die Augenzeugen.
Das ist ein echtes Problem, besonders bei den liberalen Theologen, die nach zweitausend Jahren glauben, sie wüssten so vieles besser als die Zeugen damals.
Das ist Hochmut. Es ist Hochmut.
Aber wir haben auch nach zweitausend Jahren immer noch die Möglichkeit, archäologische Überreste zu Rate zu ziehen, die rabbinische Literatur zu beiziehen und einfach alles, was an Informationen verfügbar ist.
Dann finden wir heraus: Aha, Passa-Friedensopfer.
Ja, und darum wollten sie nicht hineingehen. Deshalb hat der ganze Prozess bis zur Urteilsverkündigung außerhalb, vor dem Prätorium stattgefunden – eben auch die Misshandlung im Prätorium.
Der Herr Jesus wurde hier in Vers 28 – wir gehen zurück zu Matthäus 27 – entkleidet. Man zog ihm seine Kleider aus. Wenn man darüber nachdenkt, erkennt man: Er ist der wahre Sohn des Vaters, der ewige Sohn Gottes, Gott der Sohn, der Mensch geworden ist. Und dennoch gibt es hier Menschen, die es wagen, ihm einfach gewaltsam seine Kleider auszuziehen.
Dann legen sie ihm einen scharlachroten Mantel um. Die römischen Soldaten trugen normalerweise solche roten Mäntel. Ein Soldat hat also seinen Soldatenmantel zur Verfügung gestellt, um diese Verspottung durchzuführen. Damit wollten sie ihm gewissermaßen ein königliches Kleid geben. Symbolisch sollte dieser Soldatenmantel an einen scharlachroten Mantel erinnern.
Vielleicht muss man erklären, was Scharlach damals für eine Farbe war: ein blutrotes Rot. Wie stellte man diese Farbe her? Scharlach, auch Karmesinrot genannt, ist eine teure Farbe, die für königliche Kleider verwendet wurde. Der Ursprung des Wortes Karmesin führt uns zur Herstellung zurück.
Nicht Schnecken, sondern die Würmer der Karmesin- oder Kermesschildlaus lieferten die Farbe. Diese Laus legt ihre Eier nicht auf irgendeinen Baum, sondern auf Kermesseichen ab. Das ist eine Eichenart, kleiner als unsere Steineiche, die markant in der Landschaft steht. Auf der Kermesseiche findet man oft ganze Wälder mit vielen dieser Bäume.
Die Eier entwickeln sich zu Würmern, die man im Mörser zerstampfte. Daraus entstand die leuchtende blutrote Farbe. Könige oder sehr reiche Fürsten trugen solche Kleider.
In anderen Evangelien, zum Beispiel im Markus-Evangelium, wird dieser Soldatenmantel als Purpurmantel bezeichnet. Wir können das kurz anschauen. Es handelt sich um einen Vergleich: Der Mantel war nicht wirklich ein Purpurmantel, sondern rot wie ein Scharlachmantel. Markus vergleicht ihn mit einem Purpurmantel.
In Markus 15,16 heißt es: Die Soldaten führten ihn in den Hof, das Prätorium, und riefen die ganze Schar zusammen. Sie legten ihm einen Purpurmantel an. Auch das ist ein Königskleid, aber es wird nicht aus den Würmern der Kermesschildlaus hergestellt, sondern aus der Purpurschnecke.
Die Purpurschnecke kommt im Mittelmeer vor. Drückt man sie am richtigen Punkt, erhält man einen kleinen durchsichtigen Tropfen. Je nachdem, ob man diese Flüssigkeit dem Sonnenlicht aussetzt oder nicht, entstehen zwei Varianten: blauer Purpur oder roter Purpur. Beide Farben waren extrem teuer.
Es gibt beispielsweise eine Firma in Deutschland, eine GmbH, die ein Gramm blauen Purpur für über zwei Euro verkauft. Jetzt versteht man, warum nur wirklich Reiche solche Kleider tragen konnten.
Im Matthäusevangelium wird Jesus als König dargestellt, mit dem Akzent, dass er König ist. Hier wird der Soldatenmantel mit einem scharlachroten Mantel verglichen. Im Markus-Evangelium hingegen wird Jesus als Diener vorgestellt, der sich tief erniedrigt, aber am Ende erhöht wird. Diese Erhöhung findet man nur in Markus: Er wird auf den Thron Gottes im Himmel gesetzt und ist Herrscher.
Markus vergleicht das Soldatenkleid mit einem Purpurmantel. Beide Farben stammen aus der Stiftshütte. Zum Beispiel die Eingangsvorhänge der Stiftshütte, die alle auf den Messias hinwiesen, hatten vier verschiedene Farben: Weiß, Blau, Purpur und Scharlach.
Weiß steht für seine Sündlosigkeit und Reinheit. Blau weist darauf hin, dass er vom Himmel kam, die Farbe des Himmels. Blau wird besonders im Johannesevangelium betont, wo Jesus als der Sohn Gottes aus dem Himmel dargestellt wird. Im Lukasevangelium wird seine Reinheit betont, was durch die weiße Farbe symbolisiert wird.
Interessant ist, dass im Lukasevangelium eine Zwischenphase des Prozesses bei Pilatus erzählt wird. Jesus wurde zu Herodes Antipas geschickt, in den Makkabäer-Palast. Diese Phase wird nur im Lukas-Evangelium erwähnt. Sie führte zu keinem Ergebnis: Jesus sprach nicht vor Herodes. Herodes ließ ihn verspottet behandeln.
Dazu müssen wir noch die Toga Candida erwähnen. In Lukas 23,11 heißt es: „Als aber Herodes mit seinen Kriegsleuten ihn geringschätzig behandelt und verspottet hatte, warf er ihm ein glänzendes Gewand um und sandte ihn zu Pilatus zurück. Herodes und Pilatus aber wurden an demselben Tag Freunde miteinander, denn vorher waren sie gegeneinander in Feindschaft.“
Dieses glänzende Gewand war ein leuchtendes Weiß. Im Römischen Reich trug ein Anwärter auf ein politisches Amt eine weiße Kleidung, eine weiße Toga, genannt Toga candida (lateinisch). Von diesem Wort stammt unser Begriff „Kandidat“ ab, der einen Anwärter auf eine Position bezeichnet.
Herodes Antipas, der Fürst aus Galiläa, der zu Besuch in Jerusalem war, wollte Jesus damit verspotten. Er meinte: „Seht, der möchte gern König sein über die Juden.“ Das war er natürlich nicht und wird es auch nie sein.
Im Lukasevangelium wird Jesus als der vollkommene, sündlose Mensch beschrieben, der ganz nach Gottes Gedanken lebt und Gott in allem verherrlicht, was er tut und spricht. Deshalb passt das weiße Kleid so gut.
So ergibt sich folgendes Bild: Der Karmesinmantel passt zum König der Juden im Matthäusevangelium, der Purpurmantel zum Knecht, der zum König wird, im Markus-Evangelium, das weiße Kleid zum vollkommenen Menschen im Lukasevangelium und im Johannesevangelium die Betonung auf Jesus als Sohn Gottes, der vom Himmel gekommen ist.
Ja, es gibt einen besonderen Grund, warum es so wichtig ist, dass Matthäus dieses Soldatenkleid mit einem scharlachroten Mantel vergleicht.
Bevor ich darauf eingehe, sei angemerkt: Man könnte sagen, scharlachrot sei nicht dasselbe wie purpurrot. Purpurrot hat verschiedene Abstufungen, die durch die Purpurschnecke entstehen. Diese Farbtöne reichen bis ins Blaue und Violette hinein. Das leuchtende Scharlachrot ist jedoch nicht dasselbe. Es entspricht sehr genau der Farbe unseres Blutes aus den Arterien.
Nun zum Prozess vor Pilatus: Wann war das? Um sechs Uhr morgens. Pilatus war schon angezogen und bereit. In der wilden, turbulenten Nacht wurde alles bereits eingeleitet. Es gab diese Pseudoprozesse, die wir kennen: zuerst im Haus des Hohenpriesters Annas, dann bei Caiaphas, bei Sonnenaufgang im Sanhedrin und schließlich wurde Jesus schnell zu Pilatus gebracht – um sechs Uhr morgens.
Wenn die Sonne aufgeht, ist das Licht in der Altstadt von Jerusalem besonders. Der Kalkstein, typisch für die Häuser dort, wird dann erleuchtet. Es entsteht ein goldenes Licht, doch es wird noch viel vom Licht ausgefiltert. Ich habe selbst den Versuch gemacht: Wenn man Purpurrot und Karmesin nebeneinanderstellt, kann man die Farben deutlich unterscheiden. Sie sind nicht gleich. Legt man aber einen Lichtfilter darüber, der wie das Morgenlicht gewisse Anteile ausfiltert, kann man die beiden Farben nicht mehr unterscheiden.
Darum konnte Matthäus die Ähnlichkeit des Soldatenmantels mit einem scharlachroten Kleid so beschreiben. Markus dagegen sprach von einem purpurroten Kleid. Gerade bei Matthäus ist das Scharlachrot wichtig.
Wir haben den schrecklichen Satz aus Matthäus 27,25 betrachtet: Die Volksmenge vor Pilatus, vor dem Prätorium, sagt: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.“ Es war eine Selbstverfluchung, eine schreckliche Selbstverfluchung. Damit übernahmen sie die Verantwortung, wenn das Blut dieses Mannes vergossen wird. Doch dieser Mann war der König Israels, der Messias, der Sohn Gottes, der Mensch geworden war.
Matthäus beschreibt, wie Jesus leidet und schließlich ans Kreuz geht – er leidet für unsere Sünden. Schon Jesaja 53 spricht vom leidenden Messias. Dort heißt es: „Wegen der Übertretung meines Volkes hat ihn Strafe getroffen.“ Das bedeutet, Jesus starb nicht nur am Kreuz für die ganze Welt, sondern auch besonders für das Volk Israel und für die, die vor Pilatus geschrien haben: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.“
Wir haben das schon betrachtet, darum wiederhole ich es nicht mehr, sondern erwähne nur, dass Jesaja 1 sagt: „Wenn eure Sünden blutrot sind, wie Scharlach – wie Karmesin –, sollen sie weiß werden wie Schnee.“ Der scharlachrote Mantel erinnert uns daran, dass Jesus diesen Leidensweg ging, um sogar diese Blutschuld zu sühnen. Blutschuld an einem Menschen ist schon schrecklich, aber Blutschuld am Sohn Gottes, am menschgewordenen Sohn Gottes – Jesus kann auch diese sühnen.
Deshalb betete Jesus, wie es in Lukas 23 steht, eines der sieben Worte am Kreuz: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Ganz interessant ist auch Apostelgeschichte 3: Dort predigt Petrus zur Volksmenge in Jerusalem und sagt: „Eure Führer haben in Unwissenheit gehandelt und sie haben einen Mörder gebeten, aber den Fürsten des Lebens haben sie verleugnet und damit der Kreuzigung übergeben.“ Er betont, dass sie in Unwissenheit handelten.
Das macht deutlich, dass nicht alle so handelten wie die Pharisäer in Matthäus 12. Dort spricht Jesus über die unvergebbare Sünde – die Lästerung des Geistes. Die Pharisäer wussten ganz genau, dass Jesus der Messias ist. Niemand konnte einen stummen Besessenen heilen außer dem Messias, nur Gott konnte das. Doch sie behaupteten, es sei vom Teufel. Das war eine bewusste und endgültige Verwerfung Jesu.
Jesus sagt, dass es für diese Sünde keine Vergebung in Ewigkeit gibt, weil es keinen anderen Weg gibt als über ihn. Das ist verhängnisvoll. Oft denken Kinder Gottes, wenn sie so einen Gedanken hatten und es ihnen leid tut, seien sie für ewig verworfen. Das stimmt nicht. Es geht um Menschen, die Jesus definitiv verworfen haben und deren Gnadenzeit beendet ist.
Jeder, der Buße tut und zu Jesus kommt, wird immer angenommen. Jesus sagt in Johannes 6: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstossen.“ Diese Angst, abgelehnt zu werden, braucht niemand zu haben, wenn er zu Jesus kommt. Es ist eine Katastrophe, wenn man nicht zu ihm kommt. Aber wer kommt, wird angenommen und erhält Vergebung – sogar Vergebung für diejenigen, die sich am Sohn Gottes vergriffen haben.
Das ist gewaltig. Man möchte sagen, die führenden Priester wussten doch, dass Jesus der Messias ist, und trotzdem waren sie blind. Doch Petrus sagt, ihre Obersten handelten in Unwissenheit. Das zeigt, dass das Gebet Jesu für sie galt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Ich war auch ein Kind Gottes, das sagen kann, dass ich genau wusste, dass etwas falsch war, und es trotzdem getan habe. Doch es war eine Verblendung. Es gibt Vergebung – sogar für diese Führer.
Wenn man in Apostelgeschichte 2 und 3 liest, wie immer mehr Juden zum Glauben kamen, bis es Tausende wurden, sieht man, dass viele dieser führenden Priester Buße taten und Vergebung empfingen.
Warum diese lange Rede? Weil Jesus sein Blut gegeben hat. Der Mann im scharlachroten Mantel ging ans Kreuz, um auch diese Schuld zu sühnen. Das wird uns hier eindringlich vor Augen und Herzen gemalt.
Gut, machen wir eine Pause von zwanzig Minuten!
Vielen Dank an Roger Liebi, dass wir seine Ressourcen hier zur Verfügung stellen dürfen!
Noch mehr Inhalte von Roger Liebi gibt es auf seiner Webseite unter rogerliebi.ch