Einführung in das Thema und Bedeutung der Apostelgeschichte
Guten Morgen. Ich möchte alle ganz herzlich zu diesem Bibelstudientag begrüßen, an dem wir heute Morgen das Thema „Die Schiffsreise des Apostels Paulus nach Rom“ betrachten werden. Es geht um ein Gleichnis auf die Kirchengeschichte. Diese historisch stattgefundene Geschichte hat eine prophetische Bedeutung, wie wir sehen werden.
Vorab eine Frage: Hat jeder das Skript bekommen? Wem fehlt es noch? Da vorne gibt es noch einige Exemplare. Man braucht es unbedingt, sonst ist es ziemlich schwierig, mitzukommen. Später kann man es auch im Internet auf meiner Homepage www.rogeliebe.ch herunterladen.
Die Apostelgeschichte beschreibt bekanntlich die ersten Jahrzehnte der Kirchengeschichte. Es sind exakt die Jahre 32 bis 62 nach Christus, also genau dreißig Jahre. Die Apostelgeschichte ist damit die einzige vom Heiligen Geist inspirierte Kirchengeschichte, die es gibt.
Am Ende dieses Buches stellt sich dem Leser die Frage: Wie sollte es weitergehen? Der Schluss der Apostelgeschichte ist nämlich ein offener Schluss. Wir sehen Paulus als Gefangenen in Rom. Er muss warten, bis seine Ankläger erscheinen. Noch bevor die Ankläger kommen – oder bevor gesagt wird, dass sie nie kommen sollten – hört die Apostelgeschichte auf.
Sie besagt einfach noch am Schluss, dass Paulus zwei volle Jahre in Rom war als Gefangener. Wer das römische Recht kennt, dem fällt auf, dass das ein ganz brisanter Ausdruck ist: zwei volle Jahre. Nach römischem Recht mussten die Ankläger innerhalb von zwei Jahren kommen, und zwar innerhalb von zwei vollen Jahren. Andernfalls wurde der Angeklagte freigesprochen.
Und tatsächlich sehen wir aus den Briefen, dass Paulus wieder frei kam und dann einige Zeit herumreiste. Später wurde er jedoch wieder neu verhaftet und kam endgültig in die Todeszelle nach Rom. Aus dieser Todeszelle schrieb er dann noch den letzten Brief, den zweiten Timotheusbrief, im Jahr 66 oder 67.
Aber wie gesagt, die Apostelgeschichte endet im Jahr 62. Allerdings bleibt die Frage offen: Was geschieht jetzt? Paulus wartet. Kommt er frei oder wird er verurteilt? Das wird nicht beantwortet.
Dieser offene Schluss ist sehr bedeutsam. Damit deutet der Heilige Geist an, dass die Kirchengeschichte nicht mit diesen dreißig Jahren erfüllt ist. Das war nur der Anfang. Alles, was danach kam, war gewissermaßen die Fortsetzung dieses Anfangswerkes.
Auch wir heute stehen immer noch in der Tradition und im Fluss dessen, was einmal in der Apostelgeschichte begonnen hatte. Nun stellt sich eben die Frage: Wie sollte es mit der Geschichte der Kirche und der Geschichte der Mission weitergehen?
Diese Frage wird beantwortet durch die am Ende des Buches beschriebene dramatische Reise des Paulus nach Rom. Sie endete mit einem Schiffbruch vor der Insel Melite. In dieser Geschichte wird uns in allen Details sehr eindrücklich in prophetischer Bildersprache die gesamte Geschichte der Kirche illustriert – von der Zeit der Apostel bis zur Wiederkunft Christi.
Symbolik von Schiffsreisen in der Bibel
Bevor wir darauf eingehen, sollten wir uns einige Gedanken zu Schiffsreisen in der Bibel, insbesondere im Neuen Testament, machen. In den Evangelien finden wir zwei bedeutende Schiffsreisen.
Die erste ist die Fahrt im Sturmwind, bei der Jesus im Schiff schläft. Diese Geschichte wird in allen drei synoptischen Evangelien beschrieben: Matthäus 8, Markus 4 und Lukas 8. Das Schiff steht dabei symbolisch für die Gemeinde. Die Jünger im Schiff repräsentieren die Gemeinde, die aus allen wahren Gläubigen von Pfingsten bis zur Entrückung besteht. Dass das Schiff durch den Sturmwind fahren musste, deutet darauf hin, dass die Gemeinde durch die Stürme des Völkermeeres hindurchgehen soll.
In Jesaja 17,12-13 wird erklärt, dass das aufgewühlte Meer in der biblischen Bildersprache ein Bild für die unruhigen Völker ist. In der beschriebenen Geschichte war der Herr Jesus im Schiff, jedoch schlief er. Jesus hatte seinen Jüngern in Matthäus 28,20 versprochen: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.“ Der Herr ist also im Schiff gegenwärtig. Das gibt Sicherheit, selbst in den schlimmsten Stürmen. Doch manchmal scheint es so, als ob der Herr schlafe.
Ein Beispiel dafür finden wir in Psalm 35, Vers 23, wo Gott in der Not angerufen wird: „So wache auf und erwache zu meinem Rechte, mein Gott und Herr, zu meinem Rechtsstreit.“ Auch damals riefen die Jünger den Herrn im Schiff an, weckten ihn, und dann stand er auf und stellte den Sturm. Alle fragten sich: „Wer ist denn dieser, dass sowohl die Wellen als auch der Wind ihm gehorchen?“ Wichtig ist, dass der Herr Jesus dies nicht im Namen Gottes tat, sondern in eigener Autorität. Er sagte: „Schweig, verstumme!“
Der Herr Jesus besitzt alle Gewalt im Himmel und auf Erden, wie er auch in Matthäus 28,18 sagt: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf der Erde.“ Diese Schiffsreise stellt also die Kirchengeschichte kurz dar als eine Reise durch die Stürme der Weltgeschichte. Der Herr ist dabei und greift ein, wenn es nötig ist – immer im richtigen Moment.
Die zweite Geschichte in den Evangelien, die eine Fahrt im Sturmwind beschreibt, ist die, in der Jesus auf dem Wasser zu den Jüngern kommt, die allein im Schiff waren. Das wird in Matthäus 14 und Johannes 6 erzählt. Jesus war dort nicht im Schiff, sondern ging auf einen Berg, um zu beten. Für die Kirchengeschichte gilt: So wie Jesus damals auf dem Berg betete, betet er heute im Himmel als der Hohepriester für die Seinen, die allein durch die Stürme hindurchgehen.
Hebräer 7 sagt ausdrücklich, dass der Herr als Hoherpriester im Himmel für die Gläubigen eintritt und für sie bittet. Jesus ist als Mensch am dritten Tag nach seinem Tod am Kreuz auferstanden. Vierzig Tage später fuhr er als Mensch in den Himmel auf und setzte sich zur Rechten Gottes. Als Mensch ist Jesus nicht mehr hier auf der Erde, sondern im Himmel. Diese Trennung von den Gläubigen ist die andere Seite der Medaille.
Jesus hat nie aufgehört, Gott zu sein, auch als er Mensch wurde. Als Gott ist er allgegenwärtig, was uns in der Geschichte „Jesus schläft im Schiff“ dargestellt wird. Als Mensch jedoch ist er nicht allgegenwärtig, sondern im Himmel. Das wird in der Geschichte gezeigt, in der die Jünger allein durch den Sturm gehen, und Jesus ihnen dann in der Not entgegenkommt.
So wird es auch in der Geschichte der Kirche enden. Jesus wird wiederkommen, wie er es in Johannes 14,3 verheißen hat: „So komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seid.“ Jesus wird alle seine Gläubigen aus den Nöten und Stürmen dieser Welt retten und in die himmlische Herrlichkeit führen.
Wenn wir diese beiden Geschichten als ein Bild der Kirchengeschichte betrachten, fällt es uns nicht schwer, auch in der Geschichte in Apostelgeschichte 27 eine solche Parallele zu vermuten. Bevor wir jedoch darauf eingehen, möchte ich noch eine Stelle aus 1. Timotheus 1,19 lesen, in der das Glaubensleben direkt mit einer Schifffahrt verglichen wird.
Das Glaubensleben als Schiffsreise und die prophetische Bedeutung der Kirchengeschichte
1. Timotheus 1,18: Dieses Gebot vertraue ich dir, mein Kind Timotheus, nach den vorangegangenen Weissagungen über dich, damit du durch dieselben den guten Kampf kämpfest, indem du den Glauben bewahrst und ein gutes Gewissen.
Viele haben ihr Gewissen abgestoßen und so in Bezug auf den Glauben Schiffbruch erlitten. Unter ihnen sind Hymenäus und Alexander, die ich dem Satan überliefert habe, damit sie durch Zucht unterwiesen würden und nicht mehr lästern.
Hier wird also ganz klar das Glaubensleben mit einer Schiffsreise verglichen. Und zwar eine Schiffsreise, die unter Umständen eben mit Schiffbruch enden kann. Genau das ist auch das Thema in Apostelgeschichte 27. Diese dramatische Reise nach Rom endet mit Schiffbruch.
Im Neuen Testament gibt es verschiedene Abschnitte, die die Kirchengeschichte prophetisch beschreiben, unter anderem die sieben Sendschreiben in Offenbarung 2 und 3. Diese Sendschreiben haben eine wörtliche Bedeutung in Bezug auf sieben Gemeinden, die es zur Zeit der Abfassung der Offenbarung um 95 nach Christus in der Provinz Asia, im heutigen Westtürkei, gab.
Da die Offenbarung grundsätzlich ein prophetisches Buch ist, haben selbst diese historischen Kapitel eine prophetische Bedeutung. Wir haben ja an einem Bibelstudientag früher schon einmal im Detail behandelt, wie diese sieben Sendschreiben im Zusammenhang mit der Kirchengeschichte stehen.
Dabei wurde aufgezeigt: Ephesus, das erste Sendschreiben, stellt die nicht verfolgte Gemeinde mit erkaltetem Herzen am Ende der apostolischen Zeit dar (Offenbarung 2,1-7).
Das zweite Sendschreiben an Smyrna beschreibt die verfolgte Gemeinde ab dem ersten Jahrhundert, aber über die Zeit von Ephesus am Ende der apostolischen Zeit hinausgehend bis ins vierte Jahrhundert. Die Christenverfolgungen fanden unter hauptsächlich zehn römischen Kaisern statt. Die letzte war die Verfolgung unter Diokletian, die grausamste. Sie dauerte zehn Jahre und umfasste das gesamte römische Reich. Dann kam die konstantinische Wende um 313. Auf diese Zeit bis 313 weist also das Sendschreiben an Smyrna hin.
Danach folgt Pergamos. Dieses stellt prophetisch die Kirche ab der Zeit der konstantinischen Wende dar. Das war die Zeit, als die Kirche und das Christentum schließlich Staatsreligion wurden und die Kirche den Griff zur Macht vollzog – sehr verhängnisvoll. Das wird alles dort in Pergamos angedeutet. Es war auch die Zeit, in der viele Irrlehren in die Kirche hineinkamen. Im Pergamos wird angemerkt, dass hier Götzenopfer und Götzendienst betrieben wurden.
Dann kommt Thyatira. Thyatira stellt die Zeit der Papstkirche dar, ab 440 nach Christus. Das war die Zeit, als Leo I., der Bischof von Rom, den Anspruch erhob, er sei der oberste Bischof über alle Bischöfe der Welt, und damit war das Papsttum geboren. Das stellt also Thyatira dar.
Glücklicherweise folgt danach Sardes. Sardes weist prophetisch auf die Reformation hin, die mit dem Reformationstag am 31. Oktober 1517 ihren Anfang nahm. Das war die Veröffentlichung der 95 Thesen von Martin Luther. Sardes zeigt aber auch den traurigen Niedergang der Reformation.
Es folgt Philadelphia als sechstes Sendschreiben. Dieses stellt prophetisch die Erweckungsbewegung im 18. und 19. Jahrhundert dar. Es war die Zeit der Entstehung der Freikirchen in großem Maß.
Schließlich folgt Laodizea, das Sendschreiben, das den geistlichen Zerfall der Gemeinden aus der Erweckungsbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts darstellt. Das ist die Zeit, in der wir heute stehen – der innere moralische und auch lehrmäßige Zerfall dessen, was einst eine ganz beeindruckende Erweckungsbewegung war.
Danach kommt Offenbarung 4,1: Johannes wird in den Himmel entrückt, was bildlich ein Hinweis auf die Entrückung der Gemeinde ist. Danach erfolgen die Gerichte über die Erde.
Das ist genau das Thema, das wir heute Nachmittag behandeln werden, indem wir uns einen Überblick über die gesamte Offenbarung verschaffen. Damit haben wir bereits eine Basis gelegt, um nun diese spannende Geschichte in Apostelgeschichte 27 anzuschauen, zusammen mit ihrer tieferen geistlichen Bedeutung.
Historische und theologische Bedeutung der Schiffsreise des Paulus
Übrigens ist die Beschreibung einer Schiffsreise am Schluss der Apostelgeschichte aus verschiedenen Gründen sensationell. Sie stellt den ausführlichsten Schifffahrtsbericht dar, den wir heute noch aus der Antike besitzen.
Beim Lesen fällt auf, dass der Text voller Fachausdrücke aus der Nautik, also der Schifffahrtskunde, ist. In der liberalen Theologie wurde jedoch behauptet, die Apostelgeschichte sei eigentlich keine Geschichte, sondern Fiktion. Diese Schiffsreise wurde ebenfalls als Fiktion angesehen und sollte diverse Irrtümer enthalten.
In diesem Zusammenhang ist interessant, dass es vor einigen Jahren eine akademische Sensation gab: Ein gewisser Heinz Warnecke, der sich hobbymäßig sehr intensiv mit Schifffahrt, dem Mittelmeer und antiken Berichten über die Schifffahrt auf dem Mittelmeer beschäftigt hatte, interessierte sich ebenfalls für Apostelgeschichte 27. Er verfasste schließlich eine Doktorarbeit zu diesem Thema. Das Sensationelle daran war, dass der Mann kein Abitur hatte und nicht studiert hatte, seine Doktorarbeit aber dennoch akzeptiert wurde.
Eine Zusammenfassung seiner Arbeit findet man in dem Buch, herausgegeben von Heinz Warnecke und Thomas Schiermacher: War Paulus wirklich auf Malta? Ein neues Licht fällt auf die theologisch heiß umstrittene letzte Schiffsreise des Völkerapostels. Es behandelt die historische Glaubwürdigkeit der Apostelgeschichte und die Echtheit der Paulusbriefe.
Warnecke weist nach, dass die liberale Theologie sich ständig geirrt hat, indem sie dem Schreiber der Apostelgeschichte diverse Irrtümer unterschob. Er zeigt, dass sie den Text falsch verstanden haben, weil sie von Schifffahrt nichts verstanden, schon gar nicht von der Schifffahrt auf dem Mittelmeer.
Er weist nach, wie der Text im Detail exakt mit der Situation des Mittelmeers und den Besonderheiten der antiken Mittelmeer-Schifffahrt übereinstimmt. Er zeigt, dass die übliche Übersetzung der Insel mit Malta falsch ist. Im griechischen Text steht nicht Malta, sondern Melite. Man hat die Insel mit Malta identifiziert, doch das passt überhaupt nicht.
Zum Beispiel geht vor Malta das Meer sehr steil in die Tiefe. In der Apostelgeschichte endet die Schifffahrt mit einem Schiffbruch, weil das Schiff auf Felsen und Tiefen des Meeres aufläuft und durch die Gewalt der Wellen zerschellt. Das gibt es bei Malta gar nicht. Die Apostelgeschichte beschreibt zudem einen Meerbusen vor dieser Insel. Diesen sucht man vergeblich auf Malta.
Weiterhin lesen wir in Apostelgeschichte 28 von der Geschichte mit der Giftschlange, die Paulus beißt, ohne dass es ihm etwas ausmacht. Auf Malta gibt es jedoch keine Giftschlangen. Warnecke weist nach, dass es in der Antike mehrere Inseln mit dem Namen Melite gab. Die Insel, die genau der Beschreibung in der Apostelgeschichte entspricht, heißt heute Kephallenia, eine der westgriechischen Inseln.
Alles stimmt dort im Detail, auch geographisch und von den klimatischen Bedingungen her. In der Apostelgeschichte heißt es, die Matrosen und der Kapitän konnten nicht erkennen, welche Insel das war. Erst als sie gelandet und ans Ufer geschwommen waren, erfuhren sie, dass die Insel Melite hieß. Wie konnten so erfahrene Leute keine Ahnung haben, wie diese Insel heißen sollte?
Unter normalen oder günstigen Wetterbedingungen hätten sie die Insel sofort erkannt, denn Kephallenia hat einen sehr hohen Berg, der sehr markant ist. Es ist jedoch typisch, dass Kephallenia immer wieder bewölkt ist, und zwar so, dass die Wolkendecke bis aufs Meer herunterkommt. In solchen Situationen ist Kephallenia nicht zu erkennen, auch für so erfahrene Leute.
Alles passt einfach im Detail. Auf Kephallenia gibt es zudem die Sandviper, die giftigste Schlange Europas. Das passt natürlich wunderbar zu Apostelgeschichte 28.
Dieses Werk von Warnecke ist nichts anderes als ein Bumerang, der schließlich den Kritikern der Bibel eine ganze Liste von Irrtümern und Fehlern nachweist. Er zeigt, dass der Schifffahrtsbericht absolut korrekt verfasst ist. Noch mehr: Die Details sind so korrekt, dass man zum Schluss gezwungen ist zu sagen, hier wird keine Fiktion erzählt, sondern Geschichte, die tatsächlich genau so stattgefunden hat.
Beginn der Schiffsreise und Parallelen zu den Sendschreiben
Aber es stellt sich die Frage: Warum wird die Schiffsreise so detailliert beschrieben? Diese Frage wird beantwortet, wenn wir erkennen, dass diese Geschichte eine tiefere geistliche Bedeutung hat. Sie ist ein Gleichnis für die gesamte Kirchengeschichte.
Wir lesen jetzt die Verse 1 bis 3 aus Apostelgeschichte 27. Den Text teilen wir so ein, dass wir die Parallelen zu den Epochen sehen, insbesondere zu den sieben Epochen der Sieben Sendschreiben in Offenbarung 2 und 3.
Paulus hatte sich vor dem Landpfleger Felix in Caesarea auf den Kaiser berufen, das oberste Gericht, weil er von den führenden Juden angeklagt war. Deshalb musste er nach Rom gehen. Als beschlossen wurde, dass sie nach Italien segeln sollten, übergaben sie Paulus und einige andere Gefangene einem Hauptmann namens Julius von der Schar des Augustus. Die Schar des Augustus war eine Eliteeinheit der römischen Armee.
Als sie in ein adramytisches Schiff stiegen, das die Orte entlang der Küste Asiens befahren sollte, fuhren sie ab. Bei ihnen war Aristarchus, ein Mazedonier aus Thessalonich. Am nächsten Tag legten sie in Sidon an, im heutigen Südlibanon. Julius behandelte Paulus sehr wohlwollend und erlaubte ihm, zu seinen Freunden zu gehen, um ihrer Fürsorge teilhaftig zu werden.
Paulus hat den größten Teil des Neuen Testaments verfasst. Von den 27 Büchern des Neuen Testaments stammen 14 aus seiner Feder oder aus seinem Diktat. Ich zähle hier auch den Hebräerbrief mit. Die Begründung dafür findet sich in einem früheren Bibelstudientag, an dem wir den Hebräerbrief hier in Rickenbach behandelt haben, daher spare ich das jetzt aus.
Paulus, als der Mann, der den größten Teil des Neuen Testaments geschrieben hat und auch in Kolosser 1 am Schluss schreibt, dass er dazu bestimmt war, die Offenbarung des Neuen Testaments zum Vollmaß zu bringen, steht hier als Vertreter der neutestamentlichen Offenbarung. Er ist ein Gefangener. Das weist darauf hin, wie die Wahrheit sehr früh in der Kirchengeschichte Beschränkungen unterworfen wurde.
Bereits am Ende des ersten Jahrhunderts finden wir den Niedergang der Christenheit. Das wird besonders deutlich im Sendschreiben an Ephesus dargestellt. Dort lobt der Herr zwar, dass äußerlich viele Dinge noch korrekt und in Ordnung sind, aber er sagt: „Ich habe wider dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast.“ Die brennende Liebe, bei der Jesus den ersten Platz im Herzen einnimmt, war nicht mehr da.
Der Herr sagt im Sendschreiben an Ephesus weiter: „Wenn du nicht Buße tust, so werde ich deinen Leuchter wegrücken aus seiner Stelle.“ Der Herr gibt sich nicht zufrieden mit dem zweiten oder dritten Platz, sondern er will den ersten Platz. Wenn er diesen Platz nicht in den Herzen hat, wird er das Zeugnis beiseitelegen.
Hier finden wir eine Parallele: Der Hauptmann Julius war ein sehr freundlicher Mann. Die Bibel sagt, er behandelte Paulus wohlwollend und erlaubte ihm, zu den Freunden zu gehen, um ihrer Fürsorge teilhaftig zu werden. Das entspricht genau der Herzenshaltung von Ephesus. Es ist nicht die erste Liebe, aber eine wohlwollende Haltung gegenüber Paulus. Es ist nicht die brennende Liebe, aber immerhin ist noch etwas da.
Der Herr sagt nicht, dass Ephesus völlig auf falschen Wegen war. Aber die erste, brennende Liebe war vorbei. Es war nur noch eine wohlwollende Haltung gegenüber der Wahrheit.
In diesen ersten Versen wird auch Aristarchus erwähnt, ein Mazedonier aus Thessalonich. Aristarchus war ein Zeuge, der für Christus litt. Wir finden ihn bereits in Apostelgeschichte 19, als es in Ephesus zu einem schlimmen Krawall kam. Dieser Krawall war so schlimm, dass Paulus in 2. Korinther 1 schrieb, er sei damals am Leben verzweifelt. Er hatte mit dem Leben abgeschlossen, dachte, es sei vorbei, und setzte seine Hoffnung nur noch auf den Gott, der die Toten auferwecken wird.
Dieser Aristarchus war auch bei der erwähnten Szene in Apostelgeschichte 19, Vers 29, anwesend. Dort heißt es: Die ganze Stadt geriet in Verwirrung, und sie stürmten einmütig zum Theater, indem sie die Mazedonier Gaius und Aristarchus, die Reisegefährten des Paulus, mitrissen. Sie gerieten in größte Lebensgefahr als Zeugen für Christus.
Später, in Kolosser 4, schreibt Paulus aus der Zelle in Rom während seiner ersten Gefangenschaft von zwei Jahren am Ende der Apostelgeschichte: „Es grüßt euch Aristarchus, mein Mitgefangener, und Markus, der Neffe des Barnabas. Bezüglich dessen, ihr Befehle erhalten habt: Wenn er zu euch kommt, so nehmt ihn auf.“ (Kolosser 4,10)
Dieser Aristarchus, der Paulus nach Rom begleitete, um ihm beizustehen, kam später ebenfalls ins Gefängnis. Deshalb nennt Paulus ihn „Aristarchus, mein Mitgefangener“. Aristarchus steht für die, die um ihres Glaubens willen litten.
So sehen wir in Aristarchus eine Parallele zu Smyrna, der Zeit der verfolgten Gemeinde dort. Der Name Smyrna bedeutet Bitterkeit. Der Herr sagt in Offenbarung 2, Vers 9: „Ich kenne deine Drangsal.“ Vers 10: „Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr geprüft werdet. Ihr werdet Drangsal haben zehn Tage.“
In der Erfüllung gab es zehn Perioden von Verfolgungen. Schließlich sagt der Herr: „Sei treu bis an den Tod, und ich werde dir die Krone des Lebens geben.“
Die Reise wird mühsam – Parallele zur Epoche Pergamos
Dann gehen wir weiter zu Vers 4. Dort finden wir eine Parallele zur Epoche von Pergamos.
Ab Vers 4 heißt es: „Und von da fuhren wir ab und segelten unter Zypern hin, weil die Winde uns entgegen waren. Und als wir das Meer von Zilizien und Pamphylien durchsegelt hatten, kamen wir nach Myra in Lützien. Und als der Hauptmann da selbst ein alexandrinisches Schiff fand, das nach Italien segelte, brachten wir uns auf dasselbe. Als wir aber viele Tage langsam segelten und mit Mühe gen Knidus gekommen waren, segelten wir, da uns der Wind nicht heranließ, unter Kreta hin, gegen Salmone. Und als wir mit Mühe an ihr dahinfuhren, kamen wir an einen gewissen Ort, Schönhafen genannt, in dessen Nähe die Stadt Laesa war.“
Ab Vers 4 wird die Reise mühsam, denn die Winde waren entgegen. Ich muss erklären: Damals in der Antike war es noch nicht üblich wie heute, mit bestimmten Segeltechniken gegen den Wind zu fahren. Gegenwind war grundsätzlich ein Problem. So hatten sie bereits große Mühe. Schließlich konnten sie aber in Vers 6 von dem adramitischen Schiff auf ein alexandrinisches Schiff umsteigen, das das Ziel Italien hatte.
Doch auch mit dem neuen Schiff ging die Reise schwierig weiter. Vers 7 sagt: „Viele Tage langsam segelten, mit Mühe gegen Knidus gekommen.“ Und sie segelten, „da uns der Wind nicht heranließ, unter Kreta hin.“ Schließlich in Vers 8: „Und als wir mit Mühe an ihr dahinfuhren, kamen wir nach Schönhafen.“
Dieser Schiffswechsel ist bedeutsam. Von einem adramitischen Schiff stiegen sie auf ein alexandrinisches, ein ägyptisches Schiff um. Dieser Wechsel symbolisiert eine grundsätzliche Wende in der Kirchengeschichte, die mit der konstantinischen Wende einherging.
Die Gemeinde war vom ersten Jahrhundert bis ins Jahr 313 die verfolgte Gemeinde, von der Welt abgelehnt und verachtet. Mit der konstantinischen Wende geschah Folgendes: Zuerst wurde die christliche Religion, wie man sie nannte, zur erlaubten Religion und bald darauf zur Staatsreligion. Wer Christ war, hatte plötzlich Vorteile und konnte hohe Ämter erreichen.
Das war der Moment, in dem manche Christen auf die Idee kamen: Jetzt sind wir im Tausendjährigen Reich, jetzt herrschen wir. Sie sagten das natürlich etwas frommer, nämlich dass Christus jetzt durch die Kirche herrsche. Daraus entstand die Vorstellung, dass das Tausendjährige Reich aus der Offenbarung bereits jetzt da sei und man nicht mehr auf das zukünftige Kommen des Herrn warten müsse, bis das Reich anbreche. Nein, man sei jetzt in dieser Zeit, Christus herrsche.
So wurde die verfolgte Kirche zur herrschenden Kirche. Das war jedoch falsch, denn nirgends im Neuen Testament hat die Gemeinde den Auftrag bekommen, in dieser Zeit als Kirche zu herrschen. Das sollte erst dann geschehen, wenn Jesus Christus als König aller Könige mit allen Gläubigen erscheint. Dann werden sie mit ihm herrschen. Dies wird auch in Offenbarung 20 im Zusammenhang mit dem Tausendjährigen Reich gesagt, aber noch nicht jetzt.
Paulus wirft den Korinthern vor, dass sie falsche Vorstellungen hatten. In 1. Korinther 4,8 steht: „Schon seid ihr gesättigt, schon seid ihr reich geworden, ihr habt ohne uns geherrscht. Und ich wollte wohl, dass ihr herrschtet, auf dass auch wir mit euch herrschen möchten. Denn mich dünkt, dass Gott uns die Apostel als die Letzten dargestellt hat, wie zum Tod bestimmt, denn wir sind der Welt ein Schauspiel geworden, sowohl Engeln als Menschen. Wir sind Narren um Christi willen. Ihr aber seid klug in Christus, wir schwach, ihr aber stark, ihr herrlich, wir aber verachtet. Bis auf die jetzige Stunde leiden wir sowohl Hunger als Durst und sind nackt und werden mit Fäusten geschlagen und haben keine bestimmte Wohnung und mühen uns ab, mit unseren eigenen Händen arbeitend. Geschmäht segnen wir, verfolgt dulden wir, gelästert bitten wir. Als Auswurf der Welt sind wir geworden, bis jetzt.“
Paulus sagt also, dass die Apostel das Los der Christen teilen und in der Welt abgelehnt werden. Doch die Korinther haben sich angepasst und meinen, sie seien bereits zum Herrschen gekommen. Das war falsch. Diese Stelle hatte damals schon Bedeutung für die Korinther, erst recht seit dem vierten Jahrhundert für die gesamte Christenheit.
Dieser Irrtum führte zu weiteren Fehlentwicklungen in der Kirchengeschichte, bis hin zu den Religionskriegen, die von der Kirche von Rom geführt wurden. All das wäre nicht denkbar gewesen, hätte man sich an die biblische Lehre gehalten, dass es jetzt nicht die Zeit des Herrschens für die Gemeinde ist.
Durch die konstantinische Wende geschah also eine grundlegende Wende in der Kirchengeschichte, die durch diesen Schiffswechsel dargestellt wird.
Schon vor dem Schiffswechsel sehen wir die ersten Probleme in Vers 4: „Und von da fuhren wir ab und segelten unter Zypern hin, weil die Winde uns entgegen waren.“
Bereits ab dem zweiten Jahrhundert in großem Maß – es begann schon am Ende des ersten Jahrhunderts, aber besonders im zweiten und dritten Jahrhundert – kamen unzählige Irrlehren in die Kirche hinein. Zum Beispiel gab es Vorstellungen, dass das Abendmahl geistliche Wirkungen habe, um Kraft über den Tod zu vermitteln. Oder die Vorstellung, dass Heiraten etwas Minderwertiges sei und Ehelosigkeit eine höhere geistliche Stufe.
So entstand schon im zweiten Jahrhundert das Eremitentum: Einzelne zogen sich als Einsiedler in die Wüste zurück, weil sie glaubten, so einen höheren geistlichen Stand zu erreichen. Mit der Zeit entstanden daraus Klöster, wenn viele Einsiedler zusammenkamen – Klöster mit Mönchen und Nonnen.
Diese Entwicklungen begannen sehr früh, aber durch ganz unbiblische Lehren, die behaupteten, dass das Natürliche, das Irdische minderwertig sei. Diese Gedanken stammen aus der platonischen Philosophie, in der nur das Geistige Wert hat, alles Materielle aber minderwertig ist. So kam dieses falsche Denken in die Kirche, ebenso die Idee, dass Sexualität in der Ehe minderwertig sei.
Das war kein christliches, sondern ein unchristliches Denken aus der griechischen Philosophie. Diese Dinge kamen schon in die Zeit der verfolgten Gemeinde hinein. Das entspricht den Winden, die ihnen entgegenstanden.
Nach dem Schiffswechsel wurde die Lage noch schlimmer. „Viele Tage langsam, mit Mühe, da uns der Wind nicht heranließ, als wir mit Mühe an ihr dahinfuhren.“
Nun muss ich erklären, was Winde in der Bibel symbolisieren. Wir lesen in Epheser 4,14: Paulus erklärt dort, dass verschiedene Gaben wie Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer gegeben wurden, um die Gläubigen zum Wachstum zu führen.
In Vers 13 heißt es: „Bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum erwachsenen Mann, zum Maß des vollen Wuchses der Fülle Christi, auf dass wir nicht mehr Unmündige seien, hin- und hergeworfen und umhergetrieben von jedem Winde der Lehre, die da kommt durch die Betrügerei der Menschen, durch ihre Verschlagenheit zu listig ersonnenem Irrtum, sondern die Wahrheit festhalten in Liebe. Lasst uns heranwachsen in allem zu ihm hin, der das Haupt ist, Christus.“
Vers 14 macht klar: Verschiedene Winde sind ein Bild für alle möglichen falschen Lehren, die durch die Betrügerei der Menschen kommen, durch deren Verschlagenheit. Unmündige Christen werden durch diese Lehren hin- und hergeworfen, weil sie keine klare Orientierung besitzen.
Diese Winde in der Apostelgeschichte sind also ein Bild für falsche Lehren, die besonders im zweiten und dritten Jahrhundert, aber noch stärker ab dem vierten Jahrhundert in die Kirche kamen und alles mühsam machten.
Ich muss noch etwas erklären: Das Wort für Geist in der Bibel, „Pneuma“, bedeutet sowohl Geist als auch Wind. In Johannes 3,8 macht der Herr Jesus ein Wortspiel: Er spricht über den Wind, „du weißt nicht, woher der Wind kommt und wohin er geht.“ So ist auch jeder, der aus dem Geist geboren ist, wie das Wirken des Geistes Gottes, das menschlich nicht zu begreifen oder einzuordnen ist.
Dort spricht Jesus also über den Geist Gottes und vergleicht ihn mit dem Wind, der weht, ohne dass man weiß, woher er kommt und wohin er geht. Dieses Wortspiel zeigt die Doppelbedeutung von „Pneuma“.
Die Bibel spricht aber auch von Geistern im Plural – das sind böse Geister. Ich lese aus 1. Timotheus 4 eine Prophetie, die Paulus etwa im Jahr 64 schrieb:
„Der Geist aber sagt ausdrücklich, dass in späteren Zeiten – im griechischen Text steht hier klar nicht ‚in den letzten‘, sondern ‚in den nachfolgenden Zeiten‘, also den Zeiten nach der Apostelzeit – etliche vom Glauben abfallen werden, achtend auf betrügerische Geister und Lehren der Dämonen, die in Heuchelei Lügen reden und betreffs des eigenen Gewissens wie mit einem Brenneisen gehärtet sind. Sie verbieten zu heiraten und gebieten, sich von Speisen zu enthalten, welche Gott geschaffen hat zur Annehmung mit Danksagung für die, welche Glauben und die Wahrheit erkennen. Denn jedes Geschöpf Gottes ist gut und nichts verwerflich, wenn es mit Danksagung genommen wird. Es wird geheiligt durch Gottes Wort und Gebet. Wenn du dies den Brüdern vorstellst, so wirst du ein guter Diener Christi Jesus sein, aufgezogen durch die Worte des Glaubens und der guten Lehre, welcher du genau gefolgt bist.“
Hier wird ganz klar gesagt, dass falsche Lehren durch betrügerische Geister kommen. Es sind Lehren von Dämonen, in der Mehrzahl.
Speziell geht es um zwei falsche Lehren: Erstens das Verbot zu heiraten, das ist die Irrlehre ab dem zweiten Jahrhundert, dass Ehelosigkeit eine höhere geistliche Stufe sei, weil Heiraten und Sexualität minderwertig seien. Die Bibel aber sagt in Hebräer 13, dass die Ehe in allem geehrt sei, also in allen Aspekten. Das wurde verdreht und führte zum Zölibat. Diese Lehre stammt von Dämonen.
Zweitens das Gebot, sich von Speisen zu enthalten, die Gott geschaffen hat, um sie mit Danksagung anzunehmen. Hier zeigt sich Askese: Man glaubte, durch enthaltsames, asketisches Leben eine höhere geistliche Stufe zu erreichen. Diese Lehren begannen schon durch die Gnostiker am Ende des ersten Jahrhunderts, die die neuplatonische Philosophie der Griechen übernahmen. Nach dieser Philosophie ist alles Irdische minderwertig, also auch Speisen, weil sie materiell sind.
Die Bibel sagt jedoch, dass wir Speisen genießen dürfen, wenn wir sie bewusst aus der Hand Gottes nehmen und dafür danken.
Wenn Timotheus diese Lehre den Gläubigen vorstellt, wird er ein guter Diener Christi Jesus sein, aufgezogen durch die Worte des Glaubens und der guten Lehre – im Singular. Das ist wichtig: Wenn in der Bibel von Lehre gesprochen wird, ist immer die richtige Lehre gemeint, in der Einzahl. Die gesunde Lehre wird immer in der Einzahl genannt, wie auch in den Johannesbriefen. Hier steht im Kontrast dazu „Lehren von Dämonen“ im Plural.
In Apostelgeschichte 27,4 lesen wir also: „weil die Winde uns entgegen waren.“ So wird deutlich, was diese Winde bedeuten: Ab dem vierten Jahrhundert, mit der konstantinischen Wende, kamen viele Irrlehren in die Kirche. Zahlreiche falsche Lehren über Gott entstanden. Die Dreieinheit Gottes wurde geleugnet, ebenso die Gottheit des Heiligen Geistes und des Sohnes Gottes. Die ewige Sohnschaft wurde bestritten, und viele Varianten entstanden.
Auch der Reliquienkult kam verstärkt in die Kirche: Man verehrte Überreste sogenannter Heiliger und begann, verstorbene Gläubige als Heilige zu verehren.
All diese Entwicklungen kamen massiv in die Kirche hinein.
Jetzt machen wir eine Viertelstunde Pause, wie im Programm vorgesehen, und fahren dann mit der Parallele zu Pergamos weiter.
Die Epoche Pergamos und die Macht der Kirche auf Erden
Wir fahren jetzt weiter. Wir haben diesen neuen Abschnitt gesehen mit dem alexandrinischen Schiff, die Parallele zur Zeit ab der konstantinischen Wende und die Parallele zu Pergamos habe ich schon angedeutet.
Im Sendschreiben an Pergamos sagt der Herr Jesus zur Gemeinde: „Ich weiß, wo du wohnst, wo der Thron des Satans ist.“ Der Satan ist der Fürst dieser Welt, sagt Johannes 12,31. Wenn die Gemeinde also dort wohnt, wo der Thron des Satans ist, drückt das etwas Besonderes aus: Sie ist dort zu Hause.
Zehnmal findet man in der Offenbarung den Ausdruck „die auf der Erde wohnen“ zur Beschreibung der Menschen, die eben hier auf dieser sündigen Erde zuhause sind und die Herrschaft des Himmels nicht anerkennen. Das sind die, die „auf der Erde wohnen“. Wenn der Herr sagt: „Ich weiß, wo du wohnst, wo der Thron des Satans ist“, dann drückt das aus, dass ihr dort zuhause seid.
Ab der konstantinischen Wende hat sich die Kirche hier auf der Erde eingerichtet und sich heimisch gefühlt. In diesem Sendschreiben an Pergamos wird auch vorgeworfen, dass dort Götzenopfer gegessen und Hurerei getrieben wird. Das ist die Parallele zu der Zeit, in der immer mehr Okkultismus, sprich Reliquien, Kult, Marienverehrung und Heiligenverehrung in die Kirche hineingekommen sind. Das entspricht diesen Winden.
Die Bibel spricht über die Lehren in der Mehrzahl von Dämonen (1. Timotheus 4). Wir haben in Epheser 4 gelesen, dass Menschen „hin und her geworfen werden von jedem Wind“, eben durch die Verschlagenheit der Menschen und betrügerische Irrtümer. Auch hier ist von „jedem Wind“ die Rede. Das sind diese vielen verschiedenen Winde, die falschen Lehren, die immer in der Mehrzahl sind, weil es alle möglichen Richtungen und Meinungen gibt.
Die wahre Lehre ist aber immer in der Einzahl. In diesem Sinn ist es sehr bedenkenswert, dass es heute typisch ist, gerade in Bibelschulen und theologischen Ausbildungsstätten, auch sogenannten bibeltreuen, dass Dozenten sagen: „Zu diesem Punkt gibt es etwa sechs verschiedene Meinungen unter den Exegeten. Ich persönlich vertrete Standpunkt fünf, könnte mir aber auch Standpunkt zwei vorstellen.“ Dadurch wird bei den Studenten ein, ich nenne es, „evangelikaler Agnostizismus“ gefördert.
Die Agnostiker sind Menschen, die sagen, man kann nicht wissen, was wahr ist. Gibt es Gott? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Man kann sowieso nicht wissen, was Wahrheit ist. Der evangelikale Agnostizismus sagt: Man kann eigentlich gar nicht wissen, was die Wahrheit ist. Natürlich haben wir die Bibel, und die Bibel ist die Wahrheit, aber im Prinzip weiß eigentlich doch niemand so ganz genau, was nun gilt. Es gibt diese Ansicht, jene Ansichten und noch vier andere Ansichten. Ganz sicher kann man sich auch nicht sein.
Die, die trotzdem ganz sicher sind, sind dann eben die Gesetzlichen oder die Neokonservativen und so weiter. Das sind alles Ausdrücke, die verwendet werden. Wenn wir uns jedoch bewusst sind: Natürlich können wir uns irren, aber das Wort Gottes irrt nicht.
Dazu kommt, dass Gott die Fähigkeit hat, uns sein Wort klarzumachen. Wenn wir nämlich sagen, man kann nicht genau wissen, was richtig ist, welche die richtige Auslegung ist, dann sagt man eigentlich nicht „Ich bin demütig“, sondern man sagt: „Gott ist nicht in der Lage, uns Christen zu sagen, was sein Wort bedeutet.“ Das ist ein schwerwiegender Punkt.
Darum sollen wir uns bemühen, der Lehre genau zu folgen, wie Paulus es bei Timotheus sagt: „Der guten Lehre sei ihr genau gefolgt.“ Und deshalb müssen wir uns bemühen.
Wir fahren weiter und lesen Apostelgeschichte 27, ab Vers 9. Das entspricht der Epoche von Theatira, wo die Kirche zur Papstkirche von Rom wird. Da ist aber viel Zeit verflossen, und die Fahrt war schon unsicher, weil auch die Fasten schon vorüber waren. Paulus ermahnte und sprach zu ihnen.
Ich unterbreche kurz den Bibeltext: Die Fasten beziehen sich auf das Fasten an Jom Kippur, das ungefähr Anfang Oktober stattfindet. In der alten Welt war es so, dass ab dieser Zeit, ab Oktober, die Schifffahrt auf dem Mittelmeer eingestellt wurde. Das war in der Antike zu gefährlich. Das erklärt, warum die Fahrt schon unsicher war, weil die Fasten, also Jom Kippur, schon vorüber waren.
Paulus mahnte und sprach zu ihnen: „Männer, ich sehe, dass die Fahrt mit Ungemach und großem Schaden nicht nur der Ladung und des Schiffes, sondern auch unseres Lebens geschehen wird.“ Der Hauptmann aber glaubte dem Steuermann und dem Schiffsherrn mehr als dem, was Paulus gesagt hatte.
Da der Hafen zum Überwintern ungeeignet war, rieten die meisten dazu, von dort abzufahren, um nach Phoenix zu gelangen und dort zu überwintern. Phoenix war ein Hafen für Kreta, der gegen Nordost und gegen Südost zieht.
Als aber ein Südwind sanft wehte, meinten sie, ihren Vorsatz erreicht zu haben, lichteten die Anker und fuhren dicht an Kreta hin. Doch nicht lange danach erhob sich von Kreta her ein Wirbelwind. Im Griechischen steht das Wort „Anemos Typhonikos“, also ein Taifun, Euroklydon genannt.
Als das Schiff mit fortgerissen wurde und dem Wind nicht widerstehen konnte, gaben sie sich preis und trieben dahin. Als sie unter eine kleine Insel namens Klauda kamen, vermochten sie kaum, das Boot zu beherrschen. Sie zogen es herauf und bedienten sich der Schutzmittel, indem sie das Schiff umgürteten. Da sie fürchteten, in die Syrte verschlagen zu werden, ließen sie das Takelwerk nieder und trieben so dahin.
Indem sie sehr vom Sturm litten, machten sie am folgenden Tag einen Auswurf, und am dritten Tag warfen sie mit eigenen Händen das Schiffsgerät fort. Da viele Tage lang weder Sonne noch Sterne schienen und ein nicht geringes Unwetter auf ihnen lag, war zuletzt alle Hoffnung auf Rettung entschwunden.
Paulus steht hier als Prophet auf und kündigt die Zukunft an: „Ich sehe das.“ Im Neuen Testament finden wir viele prophetische Abschnitte über die Zukunft der Kirche. Ich habe schon erwähnt: 1. Timotheus 4, in späteren Zeiten werden Lehren von Dämonen kommen, die verbieten zu heiraten und gebieten, sich von Speisen zu enthalten. Das sind Dinge, die zum Eremitentum und zum Mönchtum führten, schon ab dem zweiten oder dritten Jahrhundert, schließlich auch zum Zölibat.
Wir finden Prophezeiungen über die Zukunft der Christenheit zum Beispiel in 1. Timotheus 4, auch in 2. Timotheus 3, Vers 1 und folgende, dort aber für eine spätere Zeit, die letzten Tage der Christenheit. Ebenso in 2. Petrus 3, Vers 1 und folgende, sowie in 1. Johannes 2, Vers 18 und folgende über die letzte Stunde, und viele andere Abschnitte.
Das Neue Testament ist voll von solchen Weissagungen über die Zukunft der Christenheit. Sie machen deutlich, dass es sehr schwierig und gefährlich werden wird. Paulus sagt sogar in 2. Timotheus 3, Vers 1: „Dies wisse aber, dass in den letzten Tagen schwere oder gefährliche Zeiten sein werden.“ Aber nicht erst in den letzten Tagen; auch schon für die Zeit nach den Aposteln war eine schwierige Zeit vorausgesagt.
So sagt Paulus: „Ich sehe, dass die Fahrt mit Ungemach und großem Schaden geschehen wird.“ Doch der Hauptmann, der wohlwollend gegenüber Paulus war, sagte: „Ja, ja, Paulus, sag du, was du sagen willst.“ Der Spezialist auf dem Schiff war nicht Paulus, sondern der Steuermann, der Kapitän, und der Schiffsherr, der Schiffsbesitzer.
So sehen wir: Mit der konstantinischen Wende begann eine neue Epoche. Ab dieser Zeit wurde der Klerus wichtig. Als die Kirche begann zu herrschen, wurden die Machtstrukturen des Römischen Reiches kopiert und auf die Kirche übertragen. Der Papst entsprach dem Kaiser, die höchsten Beamten unter dem Kaiser im Römischen Reich entsprachen den Kardinälen und so weiter bis hinunter zum einfachen Priester, Mönch und Laien.
Man kopierte die Machtstrukturen des Römischen Reiches, und damit fand ein entscheidender Wechsel statt, besonders mit der Bildung der päpstlichen Kirche, die dem Zeitalter Theatira entspricht. Die Autorität des Klerus wurde höher angesetzt als die Autorität des Wortes Gottes. Die Autorität der Konzilsbeschlüsse wurde über das Wort Gottes gestellt.
So war nicht mehr die Frage: „Was sagt die Heilige Schrift zu dem Punkt?“, sondern: „Was haben die Kardinäle gesagt? Was haben die Konzile beschlossen? Was hat der Papst dazu erklärt?“ Genau wie hier: „Der Hauptmann aber glaubte dem Steuermann und dem Schiffsherrn mehr als dem, was Paulus gesagt hatte.“ Das war der Anfang der Katastrophe, die zum Schiffbruch führen musste.
Ein paar technische Details: Wir lesen Vers 12. Der Hafen war ungeeignet zum Überwintern, und es wurde geraten, dort abzufahren und nach Phoenix zu gelangen, um dort zu überwintern. Liberale Ausleger haben gedacht, Phoenix sei ein unbekannter Hafen auf Kreta. Das Problem ist aber, dass im gleichen Vers gesagt wird: „nach Phoenix zu gelangen und dort zu überwintern vermöchten, einen Hafen für Kreta.“ Man muss also übersetzen: „einen Hafen für Kreta“ und nicht „einen Hafen von Kreta“.
Phoenix, wie ich in Fußnote drei erklärt habe, ist eine Ortschaft an der westlichsten Südspitze des Peloponnes. Dort gibt es drei große Südspitzen, und an der westlichsten Südspitze findet man den alten Hafen Phoenix. Es war also nicht ein Hafen auf Kreta, sondern ein Hafen für Kreta.
Wir kennen das von Bremerhaven: Bremerhaven liegt nicht in Bremen, war aber ein Hafen für die Stadt Bremen. So war Phoenix ein Hafen für Kreta, der gegen Nordost und gegen Südost zieht. Einen solchen Hafen findet man auf Kreta nirgends, der dieser Beschreibung entspricht.
Bibelkritiker haben deshalb gesagt: „Seht ihr, der Schreiber der Apostelgeschichte hat sich geirrt.“ Nein! Diese Liberalen haben sich geirrt. Die Bibel irrt nicht. Beim richtigen Phoenix, beim Peloponnes, findet man einen solchen Hafen, der der Beschreibung entspricht.
Am Anfang sieht alles verheißungsvoll aus. Vers 14: Ein Südwind wehte sanft, und sie meinten, ihren Vorsatz erreicht zu haben. Ab Vers 14 beginnt dann der Wirbelwind Euroklydon, ein Taifun. Das sind typische Herbststürme auf dem Mittelmeer, die im Uhrzeigersinn wirbeln.
Wenn man sich auf der Karte vergegenwärtigt, wo das Schiff damals war, und dann ein Wirbelwind im Uhrzeigersinn kommt, ist klar, dass das Schiff schließlich in Kefalynia und nicht in Malta unten ankommt. Das würde gar nicht passen. Der Taifun brachte das Schiff ganz natürlich nach Kefalynia.
Es war also ein Tiefdruckgebiet, das diese Katastrophe ausgelöst hat. Ein schrecklicher Sturm, schlimmer als all die Winde, die bisher in Apostelgeschichte 27 erwähnt wurden.
So können wir sagen: Die Irrlehren der katholischen Kirche ab der Zeit des Papsttums im fünften Jahrhundert haben alles Frühere in den Schatten gestellt. Diese Irrlehren haben den größten Teil der Christenheit in Europa mitgerissen, und es fehlte allgemein an Widerstandskraft. Die ganze Masse wurde gewissermaßen mitgerissen.
In der Geschichte lesen wir, dass man einen Teil der Schiffsladung wegwarf, um das Schiff zu erleichtern. So wurden unzählige Wahrheiten des Evangeliums im Lauf des Mittelalters über Bord geworfen.
Das Mittelalter beginnt etwa um 600. Die Zeit davor nennt man Antike. Ab dieser Zeit, in den Jahrhunderten des dunklen Mittelalters, entspricht der Sturmzeit, in der eine Wahrheit des Evangeliums nach der anderen über Bord geworfen wurde.
Wir haben gelesen: Viele Tage lang war das Sonnen- und Sternenlicht verfinstert. Das entspricht dem dunklen Mittelalter, in dem dem Volk die Bibel entrissen wurde. Die katholische Kirche lehrte, die Bibel dürfe nur auf Lateinisch studiert werden. Im Mittelalter konnten die meisten normalen Leute kein Lateinisch, nur die Gebildeten.
Der Zugang zur Bibel war also von vornherein verschlossen. Selbst wenn man Lateinisch konnte, lehrte die Kirche, dass nur der Klerus die Bibel verstehen könne. Deshalb sollten nur die Kleriker die Bibel lesen und erklären, nicht das einfache Volk oder Nichtkleriker.
So kam es zur Dunkelheit des Mittelalters. Die Bibel wurde dem normalen Menschen entzogen. Die Verkündigung des Wortes in der Kirche war so verdreht und eingeschränkt, dass die Parallele ganz auf der Hand liegt: Tagelang war das Sonnen- und Sternenlicht verfinstert.
Das Licht des Evangeliums wurde durch Irrlehren der Werkgerechtigkeit und des Ablasses völlig verdunkelt. Es wurde gelehrt, der Mensch werde durch seine eigenen Werke gerettet. Er müsse etwas leisten und immer wieder leisten, um auf dem Weg zur Rettung zu sein. Eine Sicherheit auf Rettung gab es nicht.
Der Mensch brauche Ablass, um jenseits auch Straferleichterung im Fegefeuer zu bekommen. Fegefeuer ist ein Begriff, den die Bibel überhaupt nicht kennt. So wurde das Evangelium verdunkelt, und genau wie es hier heißt: „Zuletzt war alle Hoffnung auf Rettung entschwunden.“
Die Lehre der Heilsgewissheit wurde durch Angst und Unsicherheit ersetzt. Dabei ist die Lehre der Bibel über die Heilssicherheit wunderbar. Römer 8, Vers 1 erklärt Paulus: „Also ist jetzt keine Verdammnis für die, welche in Christus Jesus sind.“
Im gleichen Kapitel, Vers 36 und 37: „Aber in diesem allem sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin überzeugt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Gegenwärtiges noch Zukunftiges, noch Gewalten, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“
Oder Johannes 10, Vers 27, wo der Herr Jesus sagt im Blick auf seine Schafe, die seine Stimme hören: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir. Ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen nicht verloren.“ Im Griechischen ist das ganz betont: „Ume“, also „nicht“, „nicht verloren“ ewiglich, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben. Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben.
Diese Sicherheit gibt das Neue Testament denen, die echt bekehrt und wiedergeboren sind. Aber diese Lehre der Heilsgewissheit ging völlig verloren.
Wir haben in unserem Text gelesen, Vers 19 und Vers 20: „Da aber viele Tage lang weder Sonne noch Sterne schienen und ein nicht geringes Unwetter auf uns lag, war zuletzt alle Hoffnung auf unsere Rettung entschwunden.“
Nicht einmal der Papst, der oberste Chef der katholischen Kirche, hat Gewissheit, wenn er stirbt. Wie war das vor wenigen Jahren, als Johannes Paul II. starb? Da wurde gesagt: „Jetzt muss man für ihn beten.“ Nicht einmal er!
Darum ist es so schön, dass die Geschichte weitergeht.
Die Reformation als Neuanfang – Parallele zu Sardes
Ab Vers 21 finden wir nun die Parallele zur Epoche von Sardes, in der die Reformation vorgebildet wird.
Vers 21: „Und als man lange Zeit ohne Speise geblieben war, da stand Paulus in ihrer Mitte auf und sprach: O Männer, man hätte mir freilich gehorchen und nicht von Kreta abfahren und dieses Ungemach und den Schaden nicht ernten sollen. Und jetzt ermahne ich euch, gutes Mutes zu sein, denn kein Leben von euch wird verloren gehen, nur das Schiff. Denn ein Engel des Gottes, dessen ich bin und dem ich diene, stand in dieser Nacht bei mir und sprach: Fürchte dich nicht, Paulus, du musst vor den Kaiser gestellt werden, und siehe, Gott hat dir alle geschenkt, die mit dir fahren. Deshalb seid gutes Mutes, ihr Männer, denn ich vertraue Gott, dass es so sein wird, wie zu mir geredet worden ist. Wir müssen aber auf eine gewisse Insel verschlagen werden.“
Der Text beginnt hier in Vers 21 mit „lange Zeit ohne Speise“. Das entspricht genau der Epoche von Thyatira, die Jahrhunderte ohne geistliche Ernährung im Mittelalter, ohne das Wort Gottes. Die Bibel durfte damals nicht in Landessprachen übersetzt werden, sodass die Menschen wirklich wissen konnten, was in der Heiligen Schrift steht und was nicht. Man wusste sehr wohl, warum man das verbot, denn sonst hätten die Leute sofort gemerkt, dass all diese Lehren der Heiligen Schrift widersprechen.
Nun beginnt die Reformation mit Martin Luther. Er hat die Bibel studiert und neu entdeckt, dass die einzige Wahrheit, die gilt, die Heilige Schrift ist. Als Mönch bei den Augustinern stellte er fest, dass die Konzilsbeschlüsse einander widersprechen, obwohl nach katholischer Lehre ein Konzilsbeschluss unfehlbar sein soll. Er erkannte, dass die Konzilsbeschlüsse der Heiligen Schrift in vielen Punkten widersprechen. So entdeckte er neu: Nur die Bibel ist Gottes Wort und verlässlich. Sola Scriptura – allein die Schrift – wir müssen die Heilige Schrift als Maßstab ins Zentrum setzen.
Das entspricht hier dem Satz: „Da stand Paulus in ihrer Mitte auf und sprach.“ Jetzt wird plötzlich wieder das Wort Gottes ins Zentrum gestellt. Ausgerechnet in der Reformation war es der Römerbrief von Paulus, der das Ganze ausgelöst hatte. „Der Gerechte wird durch seinen Glauben leben“ (Römer 1). Das führte zum Turmerlebnis von Martin Luther. Er stellte fest: Nicht durch Werke, sondern durch Glauben, allein durch das Vertrauen auf das, was Jesus Christus getan hat, durch das Vertrauen auf Gottes Wort.
So wurde die Heilsgewissheit und Heilssicherheit in der Reformation wieder neu entdeckt. Wenn das Heil nicht von meiner eigenen Treue abhängt, sondern allein von dem, was Jesus Christus am Kreuz für uns getan hat, dann gibt es Sicherheit. Dieses Werk war hundertprozentig vollbracht. Also ohne Werke, allein durch das, was der Herr am Kreuz vollbracht hat.
Ab der Reformation kam für viele die Freude des Heils wieder auf. Tausende von Mönchen und Nonnen traten aus den Klöstern aus oder flohen sogar, wie zum Beispiel Katharina von Bora. Sie wurde mit etwa zehn anderen Ordensschwestern in Fässern verpackt aus dem Kloster hinausgeschmuggelt – unter ganz dramatischen Umständen. Erschöpft traf sie dann auf Doktor Luther. Dort begann eine schöne Liebesgeschichte.
So erkannten sie die Gnade Gottes und entdeckten das Heil neu. Paulus sagt: „Denn kein Leben von euch wird verloren gehen, nur das Schiff.“
Was auch auffällt, ist, wie in diesem Abschnitt Mut gemacht wird. „Ich ermahne euch, gutes Mutes zu sein.“ Und dann in Vers 24 spricht ein Engel: „Fürchte dich nicht, Paulus!“ In Vers 25 ermahnt Paulus die Leute: „Deshalb seid gutes Mutes, ihr Männer.“
Wir sehen auch das Gottvertrauen: „Denn ich vertraue Gott, dass es so sein wird, wie zu mir geredet worden ist.“ Dieses Vertrauen auf Gott und sein Wort war typisch und charakteristisch für die Reformation.
Man muss einmal die Lieder aus der Reformation neu studieren und die Texte anschauen, wie viel Gottvertrauen hier zum Ausdruck kommt. Natürlich der Klassiker „Ein feste Burg ist unser Gott“. In diesem Lied wird auch gesagt: „Wenn sie uns auch alles nehmen, Weib und Kinder, aber das Wichtigste können sie uns nicht nehmen.“ Dieses Vertrauen bis zum Letzten ist ganz charakteristisch für die Reformation. Dieses persönliche Vertrauen auf Gott und sein Wort und die neue Freudigkeit.
Darum hat sich auch der Gesang in der Reformation völlig verändert. Der Ursprung der katholischen gregorianischen Gesänge war schon gut, aber die Art und Weise, wie man sie sang, war eine Katastrophe: viel zu langsam, so richtig in einer mystischen Art und Weise, als wäre man nicht hier auf Erden. Indem man diese Lieder ganz langsam sang, entstand ein schwebendes und meditatives Gefühl.
Wenn man die gleichen Gesänge im richtigen Tempo singen würde, könnten sie ganz flott klingen. Versucht man beispielsweise, einen gregorianischen Choral flott zu singen, merkt man das sofort.
In der Reformation erkannte man, dass dieses ganze Mystische, das auch mit abgedunkelten Kirchen und dem Weihrauch zusammenhing, überflüssig war. Dieses meditative Zeug wurde über Bord geworfen, und das nüchterne Wort Gottes wurde wiederentdeckt.
Darum wurden die Kirchen plötzlich auch hell, und die Gesänge wurden richtig glaubensfroh. Man wusste genau, wo das Fundament ist. Wenn man „Ein feste Burg ist unser Gott“ singt, weiß man genau, wo das Fundament steht.
Der Kontrast zu heutigen modernen Songs ist groß. Man muss nur das Notenbild anschauen: Diese Bögen, ständig wird eine Sechzehntelnote vor dem Eins noch rübergebunden oder eine Achtelnote vor dem betonten Teil im Takt. Das hat Auswirkungen. Es führt dazu, dass der Gesang schwebend wirkt, sodass man nie genau weiß, wo die Eins oder die Drei ist – immer ein bisschen daneben.
Das drückt genau diesen Relativismus aus: Niemand weiß ganz genau, ob es so oder anders ist. Die einen sehen es so, die anderen so. Hauptsache, man hat ein Gefühl, dass man da schwebt.
Dann kommt automatisch auch das Gefühl, die Augen halb zu schließen und die Arme zu heben. Das ist ganz typisch. Man kann also musikalisch genau erklären, was da geschieht. Das sind objektive Dinge.
Darum hat man auch diese Klarheit verloren, wo die Akzente liegen. Man muss auch einmal darauf achten, wie Wörter falsch betont werden. Jedes Wort hat an einer bestimmten Stelle einen Akzent. Wenn Lieder so komponiert sind, dass der Akzent in der Musik gegen den Akzent in den Wörtern geht, stellt sich die Frage: Was ist wichtiger? Das Wort oder die Musik, die das Wort tragen soll?
Es geht sogar gegen die Sprache. In der Reformation hingegen ist die Akzentsetzung richtig, und man weiß genau, wo man steht. Man hat ein festes Fundament: „Ein feste Burg ist unser Gott“ – und nicht „Ein feste Burg ist unser Gott, hm ja.“
Das Liedgut der Reformation ist voller Ermutigung zum Gottvertrauen.
Die Flucht der Matrosen und die Folgen in der Reformationszeit
Jetzt lesen wir weiter in Vers 27. Es war eine so schöne Geschichte, und jetzt:
Als aber die vierzehnte Nacht gekommen war und wir im Adriatischen Meer umhertrieben, meinten gegen Mitternacht die Matrosen, dass sich ihnen ein Land nähere. Als sie das Senkblei ausgeworfen hatten, fanden sie zwanzig Faden. Ich habe in der Fußnote erklärt, das sind ungefähr sechsunddreißig Meter.
Nachdem sie aber ein wenig weiter gefahren waren und das Senkblei wiederum ausgeworfen hatten, fanden sie nur noch fünfzehn Faden, also siebenundzwanzig Meter. Indem sie fürchteten, wir könnten auf felsige Orte verschlagen werden, warfen sie vom Hinterteil vier Anker aus und wünschten, dass es Tag würde.
Als aber die Matrosen aus dem Schiff zu fliehen suchten und das Boot – es handelt sich um das mitgezogene Rettungsboot, nicht wahr? – unter dem Vorwand, als wollten sie vom Vorderteil Anker auswerfen, in das Meer hinabliessen, sprach Paulus zu dem Hauptmann und den Soldaten: „Wenn diese nicht im Schiff bleiben, könnt ihr nicht gerettet werden.“
Dann hieben die Soldaten die Taue des Bootes ab und ließen es hinabfallen.
Jetzt wird das eine ziemlich traurige Geschichte, in der die Verschlagenheit und Bosheit des Menschen wieder zum Zug kommt. Das hinterhältige Verhalten dieser Matrosen entspricht auch folgendem in der Reformation: Die geistliche Erweckung der Reformation wurde von manchen missbraucht für ungeistliches, sündiges Verhalten.
Da waren zum Beispiel die Bauernkriege, die ja in den Jahren ausbrachen, der deutsche Bauernkrieg. Das war eine Katastrophe. Natürlich hatten die Bauern gemerkt, dass die Leute da oben ihre Macht systematisch missbrauchen. Die katholische Kirche hat es missbraucht, hat uns unterdrückt und betrogen. Und sie haben gesehen, dass nicht nur die Kleriker, sondern auch die weltlichen Fürsten uns unterdrücken und systematisch ausbeuten.
Das war wirklich schrecklich. Die Bauern waren durch die vielen Abgaben gezwungen, ihren Hof ständig zu verkleinern, bis er so klein war, dass man eine Familie gar nicht mehr ernähren konnte.
In der Reformation hat man entdeckt: Ja, der Mensch hat eine Verantwortung persönlich vor Gott. Der Glaube an die Autorität der Menschen wurde brüchig, indem Luther aufgezeigt hat, wie verlogen der Klerus da oben war. Das hat zu falschen Schlussfolgerungen geführt, und jetzt machen wir auch da eine Revolution.
Die Bauern haben einen Aufstand gemacht. Luther war entsetzt und sagte, das sei nicht sein Werk, das könne er nicht unterstützen. Diese Revolution wurde blutig niedergeschlagen. Zehntausende von Bauern und auch anderen aus den tieferen Schichten wurden getötet. Die Leichen lagen nur noch so umher – vielleicht bis zu hunderttausend Tote. Und das alles in dieser Zeit der Erweckung, nicht wahr?
Dann gab es im Zusammenhang mit der Hugenotten-Bewegung – das war auch eine ganz wunderbare Sache –, die Hugenotten, besonders in Frankreich, die die Gnade Gottes erkannt hatten und für den Glauben gelitten haben. Doch daraus entstand die Camisarden-Bewegung, die Schwarzhemden-Bewegung. Das war eine Entartung aus dem Hugenottentum heraus.
Plötzlich kamen da auch Phänomene von Zungenreden und solchen Dingen hinein. Besonders bekannt wurde ein Mädchen, ein ganz einfaches Mädchen in Frankreich. Wenn sie in Trance war, sprach sie in Zungenrede hochfranzösisch. Das konnte sie gar nicht. Aber in Trance sprach sie hochfranzösisch und gab dann Befehle, der Priester müsse ermordet werden. Das wurde dann auch ausgeführt.
So war die Camisarden-Bewegung, muss man sagen, wirklich ein ganz trauriger Niedergang aus dieser Erweckungsbewegung der Hugenotten heraus.
Oder ich habe noch ein Beispiel, man könnte noch viel mehr anführen: Heinrich der Achte in England. Er hatte ein riesiges Problem: Er hatte keinen männlichen Nachkommen. Mit Mädchen konnte er nichts anfangen. Er wollte einen männlichen Erben und ließ sich scheiden, in der Hoffnung, die nächste Frau würde ihm einen Jungen gebären.
Es ging bei ihm sogar so weit, dass er noch eine weitere Frau heiraten wollte, während die vorige Ehe noch bestand. Da hat ihm natürlich der Vatikan gesagt: „Das geht auf keinen Fall, das ist illegal, was du machst, das ist nicht zu akzeptieren.“
Für Heinrich war das natürlich eine tolle Sache: Die Reformation zeigt uns, wir können uns von Rom lossagen, und dann mache ich, was ich will. Auf diesem Weg ist dann die anglikanische Kirche entstanden. Das war keine richtige Reformation, und darum ist die anglikanische Kirche eben zu großen Teilen auch so katholisch geblieben.
Das war gar keine richtige Reformation. Und eben das entspricht diesem hinterhältigen Verhalten der Matrosen: Die geistliche Weckung wird missbraucht für ungeistliches und sündiges Verhalten.
Und das mag wohl manchem Fürsten auch in Deutschland eben gerade richtig gekommen sein: Jetzt können wir uns von Autoritäten da oben lossagen und unseren eigenen Kurs fahren, ohne dass eine Umkehr im Herzen geschehen wäre.
Die Erweckungszeit – Parallele zu Philadelphia
Ja, aber dann lesen wir weiter ab Vers 33, wo wir die Parallele zur Epoche von Philadelphia finden. Philadelphia bedeutet auf Deutsch Bruderliebe und entspricht der Epoche der Erweckung im 18. und 19. Jahrhundert.
Als es aber Tag werden wollte und das Licht über dem Horizont sichtbar wurde, ermahnte Paulus alle, Speise zu nehmen. Er sprach: „Heute ist der vierzehnte Tag, dass ihr zuwartend ohne Essen geblieben seid, indem ihr nichts zu euch genommen habt. Deshalb ermahne ich euch, Speise zu nehmen, denn dies gehört zu eurer Erhaltung. Keinem von euch wird ein Haar des Hauptes verlorengehen.“
Nachdem er dies gesagt hatte, nahm er Brot, dankte Gott vor allen und brach es. Dann begann er zu essen. Alle aber, gutes Mutes geworden, nahmen auch selbst Speise zu sich. „Wir waren aber in dem Schiffe alle Seelen zweihundertsechsundsiebzig“, wird sichtbar.
Gott schenkt neues Licht über sein in der Erweckungszeit wieder aufgefundenes Wort. In der Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts wurde eine unüberschaubare Vielzahl von tiefgehenden Bibelkommentaren geschrieben, wie nie zuvor in der Kirchengeschichte.
Man kann sagen, in der Reformation wurden die Grundwahrheiten der Bibel wiederentdeckt. Doch in der Erweckungsbewegung ging man weiter und entdeckte die ganze Bibel neu. Ich möchte das nur illustrieren: Das prophetische Wort war in der Reformation noch nicht so wichtig.
Ich habe zum Beispiel alle Kommentare von Johannes Calvin zuhause, große, schöne Bände für das Alte und Neue Testament. Dort sind ausführliche Kommentare zu Erster Mose, Zweiter Mose, Dritter Mose und so weiter enthalten. Wenn man zu den Propheten kommt, sind es doch einige Prophetenbücher, aber dort wird es im Vergleich richtig mager.
Und im Neuen Testament ist alles kommentiert: Johannes Calvin zu Matthäus, Markus, Lukas, Johannes, Apostelgeschichte, Römerbrief usw. Für die Offenbarung habe ich keinen Band – es war gar kein Thema, er hat sie gar nicht kommentiert.
Natürlich mussten die Reformatoren die Grundwahrheiten des Evangeliums klären: Wie wird man gerettet? Worauf stützt sich der Glaube? Was ist Autorität und was ist Nichtautorität? Das wurde alles so schön geklärt. Was ist die Gnade Gottes, die uns rettet und mit uns geht, auch tagtäglich? Darum können wir Gott vertrauen, auch in den Nöten des Lebens.
Das alles wurde neu entdeckt und herausgestrichen. Aber die Reformatoren haben selbst gesagt: Ecclesia semper reformanda est – die Kirche muss ständig reformiert werden. Das ist ein Prozess. Die Reformation ist nicht etwas Abgeschlossenes, sondern der Beginn eines Prozesses.
In diesem Sinn kann man sagen, dass die Christen aus der Erweckungsbewegung reformierter waren als die Reformatoren. Ja, weil sie auch das prophetische Wort wieder neu entdeckten – die Wiederkunft Christi. Ebenso die Unterscheidung zwischen dem Kommenden des Herrn Jesus für die Gemeinde, für die Heiligen, und dem Kommenden des Herrn Jesus in Macht und Herrlichkeit mit allen Heiligen.
So wurden auch viele Kommentare gerade über die prophetischen Bücher der Bibel geschrieben, aber nicht nur über diese, sondern über alle Bibelbücher. Man hat in dieser Zeit auch entdeckt, dass Essen und gerettet werden zusammengehören.
Ich verweise auf 1. Timotheus 2,4: Gott, welcher will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Nicht nur gerettet werden, sondern gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
Gott möchte, dass Menschen sich bekehren und dann im Wort Gottes systematisch unterwiesen werden, sodass sie die Wahrheit der Bibel kennenlernen. Die Wahrheit der Bibel ist nicht nur für Theologen, sondern für Christen.
So hat man das wieder ganz neu entdeckt: Das Essen, das Speiseaufnehmen, gehört zum normalen Christsein. Darum soll auch jeder täglich die Bibel studieren. Aber das reicht nicht. Der Christ muss auch persönliches Bibelstudium betreiben.
Die Errettung allein ist nicht genug. Gläubige sollen im Wort Gottes gründlich unterwiesen und verwurzelt werden. Paulus sagt, dass nicht nur alle gerettet werden, sondern auch, dass keinem von euch ein Haar des Hauptes verlorengeht.
Das ist interessant: Wenn man die Literatur aus dem 18. und 19. Jahrhundert anschaut, sieht man, dass die Heilsgewissheit, die schon die Reformatoren entdeckt hatten, noch viel weitergeführt, vertieft und begründet wurde. Man kann sagen, die Lehre der Heilsgewissheit erfuhr eine gründliche Vertiefung.
Dann sehen wir, wie Paulus Gott dankte und das Brot brach. Genau in der Zeit der Erweckung wurde die biblische Lehre über Anbetung und den Tisch des Herrn ganz neu entdeckt. Die Lehren aus 1. Korinther 10, 1. Korinther 11 und 1. Petrus 2 wurden hervorgehoben: Alle Gläubigen sind Priester und sollen Gott geistliche Schlachtopfer darbringen, Gott wohlgefällig durch Jesus Christus.
Gott will nicht nur, dass wir Predigten hören, sondern dass wir in der Anbetung ihm etwas bringen. Ich höre oft Leute über eine Predigt sprechen, als sei das der Gottesdienst. Das ist völlig falsch. Wir dienen nicht Gott, wenn wir eine Predigt anhören. Der, der predigt, dient Gott. Für ihn ist es Gottesdienst. Aber die, die zuhören, bringen keinen Gottesdienst; ihnen wird gedient.
Gottesdienst bedeutet, dass wir Gott dienen in der Anbetung und ihm unser Lob und unseren Dank für die Gabe seines Sohnes bringen. Wir sehen, es wird nicht nur ermahnt, sondern der Text sagt: Alle wurden gutes Mutes und aßen.
So war die Erweckungszeit die Zeit der Bibelkommentare und des Bibelstudiums – nicht nur persönlich, sondern auch in der Unterweisung auf Bibelkonferenzen. Das war ein neues Phänomen in der Kirchengeschichte: Bibelkonferenzen, auf denen systematisch die Bibel gelehrt und weitergegeben wurde.
So erhielten in dieser Zeit viele Christen eine fundierte Kenntnis der Heiligen Schrift. Es waren nicht nur einige einzelne Bibellehrer, sondern die Kenntnis der Bibel war unter den Gläubigen breit verbreitet.
Wenn man das mit heute vergleicht, sieht man, wie gerade junge Menschen, die nächste Generation, so wenig Bibelkommentare studieren. Das ist unglaublich. Wenn ich das mit meiner Jugend vergleiche, wie wir das gemacht haben, war das eine ständige Beschäftigung. Neben der Schule hat man Bibelkommentare studiert, und auch meine Freunde waren sehr interessiert.
Heute sehe ich auch ganz liebe, gläubige junge Leute, aber kaum Bibelstudium und so wenig Interesse. Die Erweckungszeit war eben die Zeit intensiven Bibelstudiums.
Sehr überraschend kommt in diesem Text die Mitteilung: „Alle Seelen auf dem Schiff waren zweihundertsechsundsiebzig.“ Warum ist das so wichtig? Plötzlich wird hier vergegenwärtigt, wer alles auf dem Schiff war.
Gerade in der Erweckungszeit wurde auch die Wahrheit vom einen Leib Christi, der alle wahrhaft Erlösten auf der ganzen Erde umfasst, neu entdeckt (vgl. 1. Korinther 12, Epheser 3 und 4). Man entdeckte nicht nur die Gläubigen in „meiner Gemeinde“. Übrigens ist das ein eigenartiger Ausdruck, denn der Herr Jesus sagt: „Auf diesen Felsen werde ich meine Gemeinde bauen.“ Es ist die Gemeinde Christi.
Natürlich, wenn wir sagen „meine Gemeinde“, wollen wir nicht sagen, sie gehört mir, sondern meinen die Gemeinde, in der wir sind. Aber manchmal sollte man sich überlegen, ob da nicht vielleicht zu viel drinsteckt, wenn man von „meiner Gemeinde“ spricht oder nur die Gläubigen am Ort sieht, anstatt zu sehen, dass das Wort Gottes klar lehrt: Alle Gläubigen auf der ganzen Erde gehören zum Leib Christi.
Der Leib Christi ist nicht die Ortsgemeinde, sondern fast immer alle Gläubigen auf der Erde. Dann sehen wir, dass alle Paulus gehorcht haben. Dieser Gehorsam gegenüber Gottes Wort in allen Aussagen wurde ebenfalls in der Erweckungszeit neu entdeckt und von unzähligen treuen Christen dieser Epoche wirklich umgesetzt.
Die Zahl 276 will sagen: Das sind alle, die auf dem Schiff waren. Genau in dieser Zeit wurde wieder entdeckt, dass alle Gläubigen auf der ganzen Erde zum Leib Christi gehören – nicht nur die Gläubigen in der einen oder anderen Denomination.
Das wurde neu entdeckt. Auch der Gehorsam war charakteristisch. In der Erweckungszeit, gerade in England, waren viele Adlige, die eine deutliche Umkehr erlebt hatten. Viele von ihnen sagten: „Dieser Schmuck, den wir haben, ist weltlich, dieser Luxus, in dem wir schwelgen.“ Sie begannen, ihren Besitz zu verkaufen.
Viele Gläubige waren dafür bekannt, dass man ihnen ansah, wie viel sie beteten. Die Knie an ihren Anzügen waren deutlich sichtbar, weil sie so viel gebetet hatten. Es war wirklich eine besondere Zeit.
Die Zeit von Laodizea und der Schiffbruch
Und jetzt gehen wir weiter zur Epoche von Laodizea. Laodizea heißt „die Volksgerechte“, die es allen recht machen will, sodass sie besucherfreundlich ist.
Als sie sich aber mit Speise gesättigt hatten, erleichterten sie das Schiff, indem sie den Weizen ins Meer warfen. Als es Tag wurde, erkannten sie das Land nicht. Sie bemerkten jedoch einen gewissen Meerbusen, der einen Strand hatte, auf welchen sie, wenn möglich, das Schiff zu treiben gedachten.
Als sie die Anker gekappt hatten, ließen sie sie im Meer. Gleichzeitig machten sie die Bande der Steuerruder los, hissten das Vordersegel vor den Wind und hielten auf den Strand zu. Da sie aber auf eine Landzunge gerieten, ließen sie das Schiff stranden. Das Vorderteil saß fest und blieb unbeweglich, das Hinterteil aber wurde von der Gewalt der Wellen zerschellt.
Der Soldatenrat war, dass sie die Gefangenen töten sollten, damit nicht jemand fortschwimmen und entfliehen könne. Der Hauptmann aber, der Paulus retten wollte, hinderte sie an ihrem Vorhaben und befahl, dass diejenigen, welche schwimmen konnten, sich zuerst hinabwerfen und an das Land gehen sollten. Die übrigen sollten teils auf Brettern, teils auf Stücken vom Schiff das Ufer erreichen.
So geschah es, dass alle an das Land gerettet wurden. Und als sie gerettet waren, erfuhren sie, dass die Insel Melite heiße.
Also, die Zeit der Sättigung ist vorbei. Als sie sich mit Speise gesättigt hatten, wurde das Schiff erleichtert, indem man die Weizenladung ins Meer warf. Dieses alexandrinische Schiff war ja ein Weizentransport, ein Getreideschiff. Damals war Ägypten die Kornkammer für Rom.
Ein solches Schiff mit einer Länge von 40 Metern brachte vielleicht tausend Tonnen Weizen aus Ägypten in die Stadt Rom. Damals war Rom eine Millionenstadt, die auf solchen Import aus Nordafrika angewiesen war.
Wir lesen also, wie dieser kostbare Weizen, diese Nahrung, ins Meer geworfen wurde. Beim Weizen denke man an Johannes 12, wo der Herr Jesus sagt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“ So weist das Weizenkorn auf den Herrn Jesus hin, der für uns in den Tod gehen sollte und als Folge davon eine große Frucht der Erlösung hervorbringen würde.
Nun, wenn man jetzt sagt, in diesem Zusammenhang sei der Weizen über Bord geworfen worden, hat das sehr viel zu sagen. Im zwanzigsten Jahrhundert wurden unter dem Einfluss der liberalen Theologie alle grundlegenden Lehren der Bibel über Bord geworfen: die Gottheit Christi, Auferstehung und Wiederkunft Christi, die Inspiration der Bibel und so weiter. Die Schätze des Glaubens wurden über Bord geworfen.
Darum haben einige Bibellehrer ab 1915 eine Buchreihe herausgegeben: „The Fundamentals – The Testimony for the Truth“ (Die Fundamente – das Zeugnis für die Wahrheit). Diese Bibellehrer aus Amerika sahen, wie die liberale Theologie immer mehr in die Kirchen auch in Amerika eindrang, nachdem sie schon in Europa begonnen hatte.
Sie wollten verhindern, dass das weiterging, und schrieben diese Buchreihe, um zu zeigen, was unaufgebbare Fundamente des christlichen Glaubens sind. Das führte dazu, dass man solche Leute, die noch an die in diesen Büchern dargestellten Wahrheiten glauben – dass die Bibel inspiriert ist, Jesus Christus auferstanden ist und wiederkommen wird –, als Fundamentalisten bezeichnete.
Das ist interessant: Diejenigen, die weiterhin festhalten und den Weizen nicht über Bord werfen, gelten als „unmöglich“. Aber eben, der Weizen wird über Bord geworfen.
Schließlich haben wir gelesen, dass die Anker gekappt wurden. Was bedeutet der Anker? In Hebräer 6,18-19 lesen wir von der vor uns liegenden Hoffnung, die wir als sicheren und festen Anker der Seele haben.
Die christliche Hoffnung wurde durch die liberale Theologie abgeschnitten. Es wurde gesagt, man müsse die Botschaft der Bibel dem modernen Menschen anpassen. Das hatte schwerwiegende Folgen.
Schließlich kommt der Zusammenbruch des Schiffes. Das bedeutet, dass das christliche Dasein auf Erden in einem totalen Desaster enden wird. Trotz des Schiffbruchs wurden aber alle, die Leben hatten, gerettet. Die toten Teile waren verloren, doch alle lebendigen Seelen wurden gerettet.
So werden alle Gläubigen dargestellt in diesen 276 Seelen, die bei der Entrückung, wenn der Herr Jesus kommt, um die Gemeinde zu sich zu nehmen, gerettet werden (1. Korinther 15,51; 1. Thessalonicher 4,13). Sie werden in das himmlische Melite gerettet.
So haben wir einen sehr eindrücklichen Überblick mit einem Kapitel am Ende der Apostelgeschichte, das uns zeigt: Es endet nicht gut mit diesem Zeugnis, das so schön begonnen hatte.
Es ist interessant, dass wir in der Apostelgeschichte mit einer Herbstreise auf dem Mittelmeer enden, und das ist die gefährliche Zeit, in der man gar nicht reisen sollte.
Wie begann die Apostelgeschichte? In Apostelgeschichte 2, am Pfingsten, kamen Juden aus der ganzen Mittelmeerwelt, sogar aus Irak, Babylonien, Persien und Arabien, nach Jerusalem. Das war gerade Pfingsten, im Juni, und die beste Zeit fürs Reisen auf dem Mittelmeer.
Von den drei jüdischen Festen, bei denen alle Israeliten nach Jerusalem gehen sollten – Passa, Pfingsten und Laubhütten – war das Pfingstfest das meistbesuchte von den Auslandjuden, weil man am besten auf dem Mittelmeer reisen konnte.
So beginnt die Apostelgeschichte mit einer Zeit der idealen Reise auf dem Mittelmeer und endet mit einer katastrophalen Schiffsreise im Herbst, in der man nicht mehr fahren sollte.
Es endet mit Schiffbruch und trotzdem – in dem Unglück – dieser wunderbaren Rettung: Alle kommen auf die Insel Melite.
An dieser Stelle wollen wir enden.