Vom Lernen zur praktischen Umsetzung
Wir haben im Buch Ester viel Theorie gelernt. Jetzt gilt es, diese Theorie im praktischen Leben anzuwenden. Dafür braucht es ein paar Anstöße. Es ist gar nicht so viel, deshalb reichen die wenigen Minuten, die jetzt noch bleiben.
Das ist ähnlich wie in der Musik. Man kennt das Phänomen von Meisterkursen: Ein bekannter Pianist oder Violinist gibt einen kurzen Meisterkurs für Musiker, die bereits ein Studium mit Diplom abgeschlossen haben. Oft genügen nur wenige Hinweise, um die Art des Spielens grundlegend und dauerhaft zu verändern.
So habe ich es auch erlebt: Ein paar wenige Inputs, aber genau das Wesentliche, bei dem es „Klick“ machen musste. Danach geht es weiter.
In diesem Sinn hoffe ich, dass diese wenigen Hinweise auch für Sie hilfreich sind, besonders im Umgang mit diesem Problem.
Die Realität der Sünde im Leben des Gläubigen
Ich habe immer wieder betont, dass die Sünde – in der Einzahl – die Sünde bezeichnet, die nach Römer 5,12 und folgende unsere verdorbene Natur ausmacht. Diese Sünde haben wir auch nach der Bekehrung in uns.
Trotzdem gibt es falsche Lehrer, die behaupten, wir hätten mit der Bekehrung keine Sünde mehr. Wenn dann böse Gedanken kommen, heißt es, das seien nur Erinnerungen an das alte Leben. Oder alles wird auf Satan abgeschoben mit der Aussage: „Das kommt von Satan.“
Die Bibel macht jedoch klar, dass es verschiedene Arten von Versuchungen gibt: Einerseits kommen Versuchungen aus uns selbst heraus, andererseits gibt es Versuchungen von außen – von Satan und von der Welt, von der Gesellschaft. Johannes bezeichnet in 1. Johannes 2 die Welt als ein System, das von Satan beherrscht wird. Dieses System umfasst ein Dreipunkte-Programm.
Ich lese kurz aus 1. Johannes 2,15: „Liebt nicht die Welt, noch was in der Welt ist. Wenn jemand die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm. Denn alles, was in der Welt ist, die Lust des Fleisches, die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens, ist nicht von dem Vater, sondern von der Welt. Und die Welt vergeht mit ihrer Lust. Wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit.“
Das ist also auch Versuchung von außen, von der Welt. Und die Bibel zeigt uns dieses Dreipunkte-Programm: die Lust des Fleisches, die Lust der Augen und den Hochmut des Lebens.
Nun zeigt die Bibel, wie man auf diese verschiedenen Versuchungen – von der Welt, von Satan und von innen heraus aus dem Fleisch – unterschiedlich reagieren muss.
Im Zusammenhang mit der Welt zeigt die Bibel, dass wir diesen Versuchungen fliehen müssen. Das bedeutet auch, gefährliche Orte oder gefährliche Seiten radikal zu meiden. Fliehen heißt, sich mit Energie davon zu trennen und zu entfernen.
Im Zusammenhang mit der Anfechtung von Satan lesen wir in Epheser 6: „Widersteht!“
Bei der Sünde in uns steht jedoch nicht „widersteht“ oder „flieht“. Manche haben versucht, dem Fleisch durch Flucht ins Kloster zu entkommen. Haben Sie gemerkt? Das Fleisch kommt mit. Das geht auch ins Kloster.
Man muss also unterschiedlich reagieren. Wie aber muss man bei der Sünde in uns reagieren? Das werden wir gleich sehen.
Es gibt die Irrlehre, die besagt: „Nein, wir haben gar keine Sünde mehr in uns.“ Diese Aussage widerspricht jedoch der klaren Schrift. In 1. Johannes 1,10 heißt es: „Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.“ Hier sagt Johannes, wenn jemand behauptet, er sündige nicht mehr, dann irrt er sich sehr. Es geht hier um Tatsünden – und auch die gibt es.
Es gibt eine verdrehte Heiligungslehre, die besagt, dass der Christ immer heiliger wird, bis er einen Stand auf Erden erreicht, an dem er sagen kann: „Ich sündige jetzt nicht mehr.“ Wenn dann ein solcher Christ doch einmal unfreundlich zu seiner Frau ist, heißt es: „Das sind Fehler, keine Sünden.“ Das ist ein totaler Selbstbetrug.
Die Bibel sagt: „Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.“ Man muss daran denken, dass Jakobus als ein sehr gerechter Mann bekannt war. In der Bibel wird er so beschrieben, und auch außerhalb der Bibel, etwa bei Josephus Flavius, wird Jakobus, der Bruder des Herrn, erwähnt. Er war ein allseits geachteter Mann in Israel.
Doch dieser Jakobus schreibt in Jakobus 3,1: „Seid nicht viele Lehrer, Brüder, denn wir alle straucheln oft.“ Das geht nicht anders.
In 1. Johannes 1,8 sagt Johannes nochmals etwas Wichtiges: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ Hier geht es nicht darum, keine Sünden zu haben, sondern darum, keine Sünde zu haben. Das ist jemand, der behauptet: „Ich habe keine Sünde.“
Vor einiger Zeit erhielt ich einen sehr hässlich geschriebenen Brief von jemandem, der mich einen Irrlehrer nannte, weil ich behaupte, wir hätten immer noch die Sünde. Ich wies ihn auf sein unchristliches Verhalten hin. Wenn er keine Sünde mehr hätte, müsste auch der Brief anders klingen.
Es ist unglaublich, wie so etwas auf zwei Schienen laufen kann: Man behauptet etwas, obwohl die Schrift klar sagt: „Wir betrügen uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns“, wenn wir das ablehnen.
Nun ist es so, dass dieser „Hammer“ in uns sich jeden Tag durch schlechte Gedanken, schlechte Gefühle oder falschen Zorn bemerkbar macht. Was tun wir dann? Haben wir dann sofort gesündigt?
Wir haben bereits Jakobus 1,14-15 gelesen, aber es ist wichtig, noch detaillierter darauf einzugehen: „Jeder aber wird versucht, wenn er von seiner eigenen Begierde, also von seinem bösen Verlangen, fortgezogen und gelockt wird. Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, bringt den Tod.“
Hier sehen wir drei Generationen: Die Großmutter ist die Begierde oder Lust. Dabei darf man nicht nur an das Sexuelle denken. Es geht allgemein um das Verlangen zum Bösen hin, den Drang zum Bösen. Natürlich gehört auch sündiges sexuelles Verlangen dazu, aber es ist viel umfassender.
Wenn diese Begierde „empfangen“ hat, also schwanger geworden ist, gebiert sie die Sünde. Die Sünde ist im Griechischen weiblich, ebenso wie die Begierde. Dann folgt die nächste Generation: Die Sünde gebiert den Tod. Der Tod ist die Folge und die Strafe Gottes für die Sünde in unserem Leben.
Hier meint „Sünde“ nicht die sündige Natur, sondern die einzelne Tatsünde.
Der Enkel ist der Tod, im Griechischen Thanatos, der männlich ist. Deshalb ist das der Sohn. Dann hört es auf.
Römer 6,23 sagt: „Der Lohn der Sünde ist der Tod.“ Das gilt sowohl für die Sünde in uns als auch für die Tatsünde.
Diese Verse helfen uns enorm, weil hier zwischen Begierde und Sünde unterschieden wird.
Gläubige mit einem sehr feinen Gewissen können in große Not geraten, wenn sie feststellen, dass immer wieder Gedanken aufkommen, die sie gar nicht wollen. Dann glauben sie, sie hätten schon gesündigt und seien ständig am Sündigen. Sie können kaum zur Tür gehen, ohne nicht gesündigt zu haben.
Nein! Die Begierde kommt aus dem Fleisch. Dafür können wir nichts. Das ist völlig normal und bei allen Christen bis ans Lebensende so, auch wenn sie 50 oder 60 Jahre bekehrt sind.
Die Sache ist: Was machen wir damit?
Wir sehen die Begierde, wenn sie empfangen hat, folgt die Schwangerschaft, und dann wird die Sünde geboren. In Gedanken kann aus dem anfänglich schlechten Gedanken eine Gedankensünde werden, und es kann noch weitergehen bis zur Tatsünde.
Das müssen wir unterscheiden. Es ist nicht dasselbe.
Daher können wir ganz kategorisch sagen: Wenn etwas Böses in uns aufkommt, dann ist es noch nicht die Sünde. Es kommt darauf an, was wir damit machen.
Dazu lese ich aus Titus 2,11-12: „Denn die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen, und unterweist uns, damit wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnen und besonnen, gerecht und gottselig leben in der jetzigen Zeit, während wir die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus erwarten.“
Hier wird gesagt: Die Gnade Gottes unterweist uns, dass wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden, die aus dem Fleisch kommen, verleugnen.
Das steht nicht so wie beim Teufel, wo es heißt „widersteht“, und auch nicht wie bei den weltlichen Dingen, wo es heißt „flieht“. Am Schluss von 1. Korinther 6 sagt Paulus: „Flieht die Hurerei.“ Das heißt, man muss sich ganz schnell aus gefährlichen Bereichen entfernen, wie Joseph in 1. Mose 39, als die Frau von Potiphar ihn zur Unzucht verführen wollte. Er ließ sein Obergewand fahren und rannte weg – er floh aus der gefährlichen Situation.
So sagt die Bibel also: Flieht die Hurerei.
Oder in 2. Timotheus 2,22: „Fliehe die jugendlichen Lüste, jage aber der Gerechtigkeit, dem Glauben, der Liebe und dem Frieden nach.“
Die jugendlichen Lüste, die von der Welt her angeboten werden, muss man fliehen.
Aber bei Versuchungen aus uns selbst heraus können wir nicht fliehen. Es wird auch nicht gesagt „widersteht“, sondern „verleugnet“.
Verleugnen bedeutet, dass man genau weiß, wie man sich verhalten muss. Man sieht am Bahnhof jemanden, den man nicht treffen will, und versucht, so unauffällig wie möglich durch die Menschenmenge zu gehen, damit diese Person einen nicht erkennt. Man ignoriert ihn, geht nicht darauf ein und zeigt kein Interesse.
Das ist nicht gerade freundlich, aber wenn es um die sündige Natur geht, ist es ein Muss. Gar nicht darauf eingehen, sich nicht mit diesen Gedanken beschäftigen.
In der Seelsorge habe ich extreme Fälle erlebt, wo jemand sagt: „Die Gedanken werden immer stärker.“ Dann sage ich: „Du versuchst dagegen zu kämpfen.“ Und das führt dazu, dass die Gedanken noch stärker werden.
Das ist genau falsch.
Man soll sich nicht damit beschäftigen, sondern sich mit dem Herrn Jesus und seinem Wort beschäftigen. Gar nicht darauf eingehen, verleugnen – und dann vergeht das wieder. Es kommt nicht zur Sünde, auch nicht zur Gedankensünde.
Das ist so wichtig.
Die Bibel macht also klar: Verleugnen bei der Sünde, Fliehen bei der Welt, Widerstehen bei Satan. Man muss auf jede Art von Versuchung anders reagieren.
Jetzt versteht man auch, warum es verhängnisvoll ist, wenn jemand sagt: „Nein, ich habe keine Versuchung aus mir heraus, sondern alles kommt von Satan.“ Bei Versuchung von Satan muss man widerstehen. Wenn man aber verleugnen müsste, ist das die falsche Reaktion.
Ich möchte ein konkretes Beispiel vorlesen von einem legendären Evangelisten, Erino da Pozzo. Wahrscheinlich kennen ihn manche. Er war ein schlichter Mann mit einem wunderbaren Zeugnis. Er war kein Akademiker, hatte aber einmal mit einem Professor zu tun. Dieser sagte, der Durchzug durchs Rote Meer sei ein Märchen, weil das Wasser sehr niedrig war. Erino antwortete: „Herr Professor, es ist aber ein viel größeres Wunder, dass die Ägypter in so wenig Wasser umkamen.“
Eine meiner Cousinen hat einen Sohn von Erino da Pozzo geheiratet, so besteht sogar noch eine familiäre Beziehung.
Nun lese ich kurz vor:
Es ist eine unendlich traurige, aber auch sehr schöne Geschichte. Traurig, weil sie von der entsetzlichen Dunkelheit menschlicher Grausamkeit und Sünde spricht, schön, weil sie uns viel von der menschenverändernden Liebe und Treue des Herrn erfahren lässt.
Erino erzählt:
Während der NS-Regierung wurde ich 1943 von einem deutschen Militärgericht zum Tod verurteilt. Da ich verheiratet war und vier Kinder hatte, wurde das Urteil in eine mildere Strafe umgewandelt. Man brachte mich in ein deutsches Konzentrationslager.
Neun Monate nach meiner Einlieferung ins Lager wog ich nur noch 90 Pfund, also 45 Kilogramm. Mein Körper war mit Wunden bedeckt, dazu hatte man mir den rechten Arm gebrochen und mich ohne ärztliche Behandlung gelassen.
Am Weihnachtsabend 1943 saß ich mit anderen Männern im Lager zusammen, als mich der Kommandant rufen ließ. Ich erschien mit entblößtem Oberkörper und barfuß. Er dagegen saß vor einer reich gedeckten festlichen Tafel.
Ich musste stehend zusehen, wie er eine Stunde lang aß. In dieser Stunde setzte er mir schwer zu, weil ich Christ war und meinen gefangenen Kameraden von der Hoffnung auf das ewige Leben und von Jesus Christus und seiner Liebe predigte.
Dann merkte ich eine Versuchung in mir, die flüsterte: „Da Pozzo, glaubst du immer noch an den Gott des 23. Psalms?“ Ich flehte still zu meinem himmlischen Vater um Kraft und Mut und konnte schließlich sagen: „Ja, ich glaube an ihn.“
Aber der böse Gedanke kam immer wieder, am Herrn und an seiner Treue zu zweifeln. Doch ich sagte erneut: „Ja, ich glaube an ihn.“
Eine Ordonnanz brachte Kaffee und ein Päckchen Kekse herein. Der Lagerkommandant begann auch diese zu essen und wandte sich dann an mich: „Deine Frau ist eine gute Köchin, Da Pozzo.“ Ich verstand nicht, was er meinte.
Dann erklärte er mir: „Seit sieben Monaten schickt dir deine Frau Pakete mit kleinen Kuchen. Ich habe sie mit großem Vergnügen aufgegessen.“
Wieder musste ich gegen die Versuchung ankämpfen, ihn zu hassen. Das kam auf: Ja, Gott anzuklagen.
Ich wusste, dass meine Frau und meine Kinder sehr wenig zu essen hatten. Von ihren ohnehin kargen Rationen hatte sie Mehl, Fett und Zucker abgespart, um mir etwas schicken zu können. Und dieser Mann hatte die Nahrung meiner Kinder gegessen.
Dann hörte ich wieder die Versuchung: „Hasse ihn, Da Pozzo, hasse ihn!“ Und wieder betete ich, und Gott bewahrte mich davor, dass der Hass Besitz von mir ergriff. Also wurde daraus keine Sünde, aber die Versuchung kam.
Dann bat ich den Kommandanten, er möge mir doch einen der Kekse reichen. Ich wollte ihn nicht essen, sondern nur anschauen und an meine Kinder denken.
Doch der Peiniger gewährte mir meine Bitte nicht, stattdessen verfluchte er mich.
Darauf sagte ich zu ihm: „Sie sind ein armer Mann, Kommandant, doch ich bin reich, denn ich glaube an Gott und bin durch das kostbare Blut Jesu Christi erlöst.“
Da wurde er sehr böse und schickte mich ins Lager zurück.
Dann fügte er noch hinzu, wie das nach dem Krieg war:
Als der Krieg vorüber war und ich auf freiem Fuß war, hielt ich Ausschau nach diesem Lagerkommandanten. Die meisten einstmals befehlenden Offiziere waren erschossen worden. Ihm jedoch war es gelungen, zu entkommen und unterzutauchen.
Zehn Jahre lang suchte ich ihn vergebens, doch schließlich fand ich ihn. Eines Tages ging ich ihn besuchen. Er erkannte mich nicht mehr wieder.
Daraufhin sagte ich ihm: „Ich bin Nummer 17.535. Erinnern Sie sich an Weihnachten 1943?“
Nun erinnerte er sich an all das Grauen. Er und seine Frau bekamen plötzlich furchtbare Angst.
„Zittern Sie?“, fragte er. „Sind Sie gekommen, um sich zu rächen?“
„Ja“, antwortete ich und öffnete ein Paket, das ich mitgebracht hatte. Ein großer Kuchen kam zum Vorschein.
Ich bat seine Frau, Kaffee zu kochen. Dann tranken wir zusammen Kaffee und aßen Kuchen.
Der Mann sah mich völlig verwirrt an. Er konnte nicht verstehen, warum ich so handelte.
Schließlich begann er zu weinen und bat mich um Verzeihung.
Daraufhin sagte ich, dass ich ihm um der Liebe Jesu willen vergeben hätte.
„Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“, heißt es in 1. Johannes 4,19.
Ein Jahr später bekannte der ehemalige Lagerkommandant seine entsetzliche Schuld Jesus Christus, und auch seine Frau übergab ihr Leben Jesus.
Beide durften befreiende Vergebung von allen ihren Sünden erfahren und gehen nun frohen Herzens ihren Weg mit Jesus Christus, ihrem Retter und Erlöser.
Ist das nicht wunderbar? Ein Mann, der wirklich „Haman ans Holz gehängt hatte“, durfte durch dieses Zeugnis so Menschen zum Herrn Jesus bringen.
Wir sehen also: Auch ein solcher Evangelist hat genau dieselben Anfechtungen wie alle anderen Gläubigen. Aber die Frage ist, wie man damit umgeht.
Auf dem Skript habe ich noch auf eine besondere Stelle hingewiesen, Römer 6,11. In diesem Kapitel geht es ständig um die Sünde, eben die sündige Natur in uns.
Der Apostel Paulus erklärt, dass wir durch das Werk des Herrn Jesus von der Macht der Sünde in uns grundsätzlich befreit sind.
Um das aber praktisch zu erleben, sagt Paulus in Römer 6,11: „So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde tot seid, Gott aber lebendig in Christus Jesus.“
„Haltet dafür“ heißt, betrachtet euch als tot in Bezug auf die Sünde.
Warum? Ich lebe ja.
Der Herr Jesus ist am Kreuz gestorben für unsere Sünden und auch für die Sünde in mir.
Dadurch, dass ich mich bekehrt habe und das Opfer des Herrn Jesus bewusst als für mich persönlich geschehen angenommen habe, habe ich mich mit Jesus Christus identifiziert.
Darum rechnet Gott mir und jedem Gläubigen den Tod des Herrn Jesus zu, als wäre ich damals am Kreuz gewesen.
Also kann ich im Prinzip sagen: Ich halte mich für tot.
Jetzt sagt Paulus: „So auch ihr haltet oder betrachtet euch dafür, dass ihr der Sünde tot seid.“
Das heißt, ich muss mich so verhalten, als wäre ich tot.
Wenn die Sünde, die immer noch wirkt, sich durch schlechte Gedanken oder Hass bemerkbar macht, dann muss ich so reagieren wie ein Toter: Gar nicht.
Das ist verleugnen, wie in Titus 2.
Man kann sich das vorstellen, als ob man dicke Whiskyflaschen auf das Grab eines Alkoholikers legt. Was geschieht? Gar nichts. Er ist der Versuchung gestorben, er reagiert nicht.
Wenn wir uns so als tot betrachten, reagieren wir nicht auf die Versuchung von innen, und es kommt auch nicht zur Sünde.
Das ist ein stetes Üben.
Darum sagt Paulus auch in 1. Timotheus 4,7 zu Timotheus: „Übe dich aber zur Gottseligkeit.“
Gottseligkeit bedeutet ein von Gott erfülltes Leben.
„Übe dich“ ist das griechische Wort Gymnazo, Gymnazomai, das mit Gymnastik verwandt ist.
Es bedeutet ein Training, eine Übung.
Der Weg der Nachfolge und des Lebens, das von Gott erfüllt ist, das müssen wir trainieren.
Ganz frei nach Luther: „Ich kann nichts dafür, wenn die Vögel ihre Bedürfnisse auf meinen Kopf abwerfen. Aber ich bin dafür verantwortlich, wenn sie auf meinem Hut ein Nest bauen.“
Das ist der Unterschied.
Ich habe das mal erlebt bei einer Sonntagmorgen-Gemeinde-Anbetungsstunde mit Abendmahl. Es war Sommer, die Tür war offen, und ein Vogel kam herein. Er kreiste in der Gemeinde und traf mich tatsächlich. Mein Anzug war hinten voll. Aber er hat kein Nest auf meinem Kopf gebaut. Das wäre etwas anderes gewesen.
So ist es auch mit all dem, was aus uns herauskommt: schlechte Gedanken, schlechte Gefühle, Zorn, Hass. Man darf nicht darauf eingehen.
Dann können wir Überwinder werden.
Die Füchse haben eine besondere Eigenschaft: Wenn sie von Jägern mit Hunden verfolgt werden, legen sie sich plötzlich regungslos wie tot hin, und die Hunde laufen weiter.
Die Versuchung sind die Hunde hinter uns. Wir müssen nicht so tun wie der Fuchs, sondern wir können wirklich sagen: „Der Tod Christi ist mein Tod. Ich brauche nicht zu reagieren.“ Wir legen uns hin, und die Hunde rasen vorbei.
Das muss man einfach trainieren und praktisch umsetzen.
Wie ist es mit dem Intercity? Wenn der voller Fahrt ist, hält er nicht an kleinen Bahnhöfen. So muss man sich sagen: „Ich bin ein kleiner Bahnhof, und die Versuchung rast vorbei.“
Das wären einige Gedanken, wie man das Buch Esther praktisch ins alltägliche Leben überträgt und wie man die Freude des neutestamentlich übertragenen Purimfestes nicht nur an zwei Tagen im Jahr, sondern das ganze Jahr über immer wieder neu erleben darf, wenn der Herr Jesus die Krone trägt und über uns regiert.
Ich fasse noch einmal zusammen:
Im Zusammenhang mit unserem Thema Buch Esther geht es um die Grundlagen einer neuen Psychologie, wie ich sie am Anfang genannt habe.
Ein Menschenbild, das wirklich auf der Bibel basiert und nicht auf säkularen Ideen, die uns von Gott und seinem Wort wegführen.
Die Bibel lehrt, dass wir aus einem Körper bestehen und eine Seele haben – die griechische Psyche, auch im Neuen Testament. Jesus wird in 1. Petrus 2 als der Aufseher unserer Seelen bezeichnet, der über unser Seelenleben wacht.
Das ist das Ich, die Persönlichkeit.
Dann haben wir den Geist, die Fähigkeit zum höheren Denken und um Gott zu erkennen und seine Botschaft aufzunehmen. Im Griechischen wird das Pneuma genannt.
Die Bibel lehrt aber auch, dass wir das Fleisch in uns haben – diese böse Natur, die das Fleisch, unsere Hände, Füße usw., missbrauchen möchte, um Sünden zu kreieren.
Darum heißt diese Natur „die Sünde“.
Mit der Bekehrung erhält der Gläubige die Gabe des Heiligen Geistes, der die Kraft gibt, gottgemäß zu leben.
Vorbildlich stellt das Buch Esther die Seele durch Ahasveros, das Fleisch durch Haman, den Geist durch Esther und den Heiligen Geist durch Mordechai dar. Mordechai stellt auch den Herrn Jesus dar.
Wenn man sich bekehrt, bekommt man das ewige Leben (Johannes 3,16), damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.
Das ist Gegenwart: Wir haben jetzt ewiges Leben.
Wir wissen, dass das ewige Leben nicht etwas ist, sondern der Herr Jesus selbst, der sagen konnte in Johannes 14,6: „Ich bin das Leben.“
In 2. Petrus 1 erklärt Petrus, dass wir Teilhaber der göttlichen Natur geworden sind.
So haben wir in uns das ewige Leben und den Heiligen Geist.
Das ist ein Unterschied zu den Gläubigen im Alten Testament, die mit der Bekehrung das Leben aus Gott erhielten.
Darum konnte Mose so ein gottgemäßes Leben führen, nicht aus eigener Kraft, ebenso Hiob und Noah.
Die alttestamentlichen Gläubigen hatten normalerweise den Heiligen Geist nicht dauerhaft. Der Heilige Geist kam zeitweise über Propheten, ging wieder weg und kam erneut.
Wir haben den Heiligen Geist ständig.
Der Herr Jesus sagt in Johannes 14, er wird bei euch sein in Ewigkeit und in euch sein.
So haben wir die Kraft des ewigen Lebens, das nur gottgemäß leben möchte.
Wir sehen, das Fleisch wirkt auf Seele, Geist und auch auf den Körper. Hier entsteht der Gegensatz zwischen dem Heiligen Geist und dem Fleisch, was den Konflikt zwischen Fleisch und Geist ausmacht.
Das ist auch der Konflikt mit dem neuen Leben, mit dem ewigen Leben in uns.
Das Fleisch wirkt auf den Körper – dieser Pfeil.
Dann haben wir von außen die Versuchung der Welt, die Versuchung von Satan und die Versuchung von innen heraus durch das Fleisch.
Dazu müssen wir richtig reagieren:
In Bezug auf das Fleisch verleugnen,
in Bezug auf die Welt fliehen
und in Bezug auf Satan widerstehen.
Und er wird von euch fliehen (Jakobus 4).
Damit wollen wir an dieser Stelle schließen.
Irrlehren über die Sünde im Gläubigen
Aber wie gesagt, es gibt die Irrlehre, die besagt, dass wir gar keine Sünde mehr in uns haben. Diese Lehre widerspricht der klaren Aussage der Schrift, insbesondere 1. Johannes 1.
In Vers 10 sagt Johannes: „Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.“ Hier wird deutlich, dass jemand, der behauptet, er sündige nicht mehr, sich sehr irrt. Dabei geht es um Tatsünden, und solche gibt es tatsächlich.
Es gibt zudem eine verdrehte Heiligungslehre, die besagt, dass der Christ immer heiliger wird und irgendwann auf Erden einen Stand erreicht, an dem er sagen kann: „Ich sündige jetzt nicht mehr.“ Wenn dann aber ein solcher Mensch doch einmal unfreundlich zu seiner Frau ist, wird das als Fehler, nicht als Sünde dargestellt.
Das ist jedoch nicht korrekt. Solche Fehler als keine Sünden zu bezeichnen, ist ein totaler Selbstbetrug. Die Bibel sagt eindeutig: „Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.“
Man sollte auch daran denken, dass Jakobus als ein sehr gerechter Mann bekannt war. In der Bibel wird er so beschrieben, und auch außerhalb der Bibel, zum Beispiel bei Josephus Flavius, wird Jakobus, der Bruder des Herrn, erwähnt. Er war ein allseits geachteter Mann in Israel.
Doch dieser Jakobus schreibt in Jakobus 3,1: „Seid nicht viele Lehrer, Brüder, denn ihr wisst, dass wir straucheln oft.“ Das zeigt deutlich, dass niemand behaupten kann, nicht zu sündigen.
Die Wahrheit über die Sünde im Gläubigen
Aber jetzt müssen wir uns 1. Johannes 1,8 anschauen. Dort sagt Johannes noch einmal etwas anderes: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ Er meint nicht, wenn wir behaupten, wir hätten keine Sünden, sondern wenn wir sagen, wir hätten keine Sünde. Das ist jemand, der behauptet: „Ich habe keine Sünde.“
Vor einiger Zeit bekam ich einen Brief von jemandem, der sehr unschön geschrieben war. Er sagte, ich sei ein Irrlehrer, weil ich behaupte, wir hätten immer noch die Sünde. Ich habe ihn dann auf sein unchristliches Verhalten hingewiesen. Wenn er keine Sünde mehr hätte, dann sollte doch auch der Brief ein bisschen anders klingen. Es ist unglaublich, wie das auf zwei Schienen laufen kann: dass man so etwas behauptet, obwohl die Aussage der Schrift klar ist. Wir betrügen uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns, wenn wir das ablehnen.
Nun haben wir das Problem, dass dieser „Hammer“ in uns sich jeden Tag bemerkbar macht – durch schlechte Gedanken, schlechte Gefühle, falschen Zorn und so weiter. Was tun wir dann? Haben wir dann Gott sofort gesündigt?
Wir haben ja schon die Stelle bei Jakobus gelesen, aber es ist wichtig, dass wir da noch detaillierter darauf eingehen. Jakobus 1,14-15 sagt: „Jeder aber wird versucht, wenn er von seiner eigenen Begierde, man kann auch ‚böses Verlangen‘ übersetzen, fortgezogen und gelockt wird. Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.“
Hier haben wir also drei Generationen: Die Großmutter ist die Begierde oder Lust. Man darf nicht denken, dieser Ausdruck meine speziell das Sexuelle. Nein, es geht generell um das Verlangen zum Bösen hin, der Drang zum Bösen. Das ist viel weiter gefasst. Natürlich ist auch sündiges sexuelles Verlangen gemeint, aber eben umfassend das Verlangen nach dem Bösen. Das ist die Großmutter in diesen drei Generationen.
Wenn diese Begierde empfangen hat, also „schwanger geworden“ ist, gebiert sie schließlich die Sünde. Im Griechischen ist „Sünde“ weiblich, ebenso wie „Begierde“. Dann kommt eine nächste Generation: Die Sünde gebiert den Tod. Der Tod ist die Folge, die Strafe Gottes für die Sünde in unserem Leben. Hier meint „Sünde“ in der Einzahl nicht die sündige Natur, sondern die einzelne Tatsünde.
Drei Generationen also: Die Begierde, die Sünde und der Tod. Der Enkel ist der Tod, im Griechischen Thanatos, der männlich ist. Deshalb ist das der Sohn. Dort hört es auf.
Römer 6,23 sagt: „Der Lohn der Sünde ist der Tod.“ Das gilt für die Sünde in uns und auch für die einzelne Tatsünde, wie wir hier lernen.
Diese Verse helfen uns enorm, weil hier zwischen Begierde und Sünde unterschieden wird. Gläubige mit einem feinen Gewissen können sehr in Not geraten, wenn sie merken, dass immer wieder schlechte Gedanken oder Ideen in ihnen aufkommen. Sie denken dann: „Ich möchte das gar nicht, aber ich habe schon gesündigt. Ich bin ständig am Sündigen, ich kann kaum zur Tür gehen, ohne gesündigt zu haben.“
Nein! Wie Will sagt, die Begierde kommt aus dem Fleisch. Daran können wir nichts ändern, das ist völlig normal und bei allen Christen so bis ans Lebensende, auch wenn sie schon 50 oder 60 Jahre bekehrt sind.
Die Sache ist, was wir damit machen. Wir sehen die Begierde, wenn sie empfangen hat, folgt die Schwangerschaft, und dann kommt die Geburt – die Sünde wird geboren. In Gedanken kann es also vom anfänglich schlechten Gedanken zu einer Gedankensünde kommen, und es kann weitergehen zu einer Tatsünde. Aber das müssen wir unterscheiden. Das ist nicht dasselbe.
Darum können wir ganz kategorisch sagen: Wenn etwas Böses in uns aufkommt, dann ist das noch nicht die Sünde. Aber jetzt kommt es darauf an, was wir damit tun.
Dazu lese ich aus Titus 2, Vers 11-12: „Denn die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen, und unterweist uns, damit wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnen und besonnen, gerecht und gottselig leben in dem jetzigen Zeitlauf, indem wir erwarten die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus.“
Hier wird gesagt: Die Gnade Gottes unterweist uns, dass wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden, die aus dem Fleisch kommen, verleugnen. Das steht nicht wie beim Teufel „flieht“, und auch nicht wie bei den weltlichen Dingen. In 1. Korinther 6 am Schluss sagt Paulus: „Flieht die Hurerei.“ Das heißt, man soll sich ganz schnell von Bereichen entfernen, wo Gefahr ist. Man muss sich durch Flucht entziehen, so wie Joseph in 1. Mose 39, als die Frau von Potiphar ihn zur Unzucht verführen wollte. Er ließ sein Oberkleid fahren und rannte weg. Er floh aus der gefährlichen Situation.
Das war Versuchung von außen. So sagt die Bibel also: Flieht die Hurerei. Oder in 2. Timotheus 2,22: „Fliehe die jugendlichen Lüste, aber strebe nach Gerechtigkeit, Liebe usw.“ Hier muss man fliehen.
Aber wenn es um Versuchung aus sich selbst heraus geht, da können wir nicht fliehen. Es wird auch nicht gesagt „widersteht“, sondern „verleugnet“. Verleugnen bedeutet: Man sieht jemanden am Bahnhof und versucht, so gut wie möglich durch die Menschenmenge zu gehen, damit er einen nicht erkennt. Man ignoriert ihn, zeigt kein Interesse – das ist nicht gerade freundlich. Aber wenn es um die sündige Natur geht, ist es ein Muss. Gar nicht darauf eingehen, sich nicht mit diesen Gedanken beschäftigen.
In der Seelsorge habe ich schon extreme Fälle erlebt, wo jemand sagt: „Diese Gedanken werden immer stärker.“ Und ich sage dann: „Du versuchst dagegen zu kämpfen.“ Ja, und dann wird es immer stärker. Das ist genau falsch. Man soll sich gar nicht damit beschäftigen, sondern sich mit dem Herrn Jesus und seinem Wort beschäftigen, etwas anderes tun, gar nicht darauf eingehen, verleugnen. Dann vergeht das wieder. Es kommt nicht zur Sünde, auch nicht zur Gedankensünde.
Das ist so wichtig. Die Bibel macht also klar: Verleugnen bei der Sünde, fliehen bei der Welt, widerstehen bei Satan. Man muss auf jede Art von Versuchung anders reagieren.
Jetzt versteht man auch, warum es verhängnisvoll ist, wenn jemand sagt: „Nein, ich habe keine Versuchung aus mir heraus, sondern sie kommt von Satan.“ Bei Satan muss man widerstehen, und dann ist es die falsche Reaktion. Man muss wissen: In diesem Fall muss man verleugnen, nicht darauf eingehen.
Ich möchte ein konkretes Beispiel vorlesen von einem legendären Evangelisten, Erino da Pozo. Wahrscheinlich kennen ihn manche. Er war ein schlichter Mann mit einem wunderbaren Zeugnis, kein Akademiker. Einmal hatte er mit einem Professor zu tun, der sagte, der Durchzug durchs Rote Meer sei ein Märchen. Erino antwortete, dass es ein Wunder sei, dass die Ägypter alle in so wenig Wasser umkamen.
Eine meiner Cousinen hat einen Sohn von Erino da Pozo geheiratet. So besteht sogar noch eine familiäre Beziehung.
Nun lese ich kurz vor: Es ist eine unendlich traurige, aber auch sehr schöne Geschichte. Traurig, weil sie von der entsetzlichen Dunkelheit menschlicher Grausamkeit und Sünde spricht, schön, weil sie uns viel von der menschenverändernden Liebe und Treue des Herrn erfahren lässt.
Erino erzählt: Während der NS-Zeit wurde ich 1943 von einem deutschen Militärgericht zum Tod verurteilt. Da ich verheiratet war und vier Kinder hatte, wurde das Urteil in eine mildere Strafe umgewandelt. Man brachte mich in ein deutsches Konzentrationslager.
Neun Monate nach meiner Einlieferung wog ich nur noch 90 Pfund, also 45 Kilogramm. Mein Körper war mit Wunden bedeckt, man hatte mir den rechten Arm gebrochen und mich ohne ärztliche Behandlung gelassen.
Am Weihnachtsabend 1943 saß ich mit anderen Männern im Lager, als mich der Kommandant rufen ließ. Ich erschien mit entblößtem Oberkörper und barfuß. Er dagegen saß vor einer reich gedeckten festlichen Tafel.
Ich musste stehend zusehen, wie er eine Stunde lang aß. In dieser Stunde setzte er mir schwer zu, weil ich Christ war und meinen gefangenen Kameraden von der Hoffnung auf das ewige Leben und von Jesus Christus und seiner Liebe predigte.
Dann merkte er eine Versuchung in sich, die flüsterte: „Da Bozo, glaubst du immer noch an den Gott des 23. Psalms?“ Ich flehte still zu meinem himmlischen Vater um Kraft und Mut und konnte schließlich sagen: „Ja, ich glaube an ihn.“ Aber dieser böse Gedanke kam einfach: „Ja, jetzt am Herrn und an seine Treue zu zweifeln.“ Ich antwortete: „Ja, ich glaube an ihn.“
Eine Ordonnanz brachte Kaffee und ein Päckchen Kekse herein. Der Lagerkommandant begann auch diese zu essen, dann wandte er sich an mich: „Deine Frau ist eine gute Köchin, der Bozo.“ Ich verstand nicht, was er meinte. Dann erklärte er mir: „Seit sieben Monaten schickt dir deine Frau Pakete mit kleinen Kuchen. Ich habe sie mit großem Vergnügen aufgegessen.“
Wieder musste ich gegen die Versuchung ankämpfen, ihn zu hassen. Das kam auf, ja, und Gott anzuklagen. Ich wusste, dass meine Frau und meine Kinder sehr wenig zu essen hatten. Von ihren ohnehin kargen Rationen hatte sie nun Mehl, Fett und Zucker abgespart, um mir etwas schicken zu können. Und dieser Mann hier hatte die Nahrung meiner Kinder gegessen.
Dann hörte er wieder diese Versuchung: „Hasse ihn, der Pozzo, hasse ihn!“ Und wieder betete ich, und Gott bewahrte mich davor, dass der Hass Besitz von mir ergriff. Also wurde es nicht zur Sünde. Aber die Versuchung kam, und er konnte nichts dagegen tun.
Dann bat ich den Kommandanten, er möge mir doch einen der Kekse reichen. Ich wollte ihn nicht essen, sondern nur anschauen und an meine Kinder denken. Aber der Peiniger gewährte mir meine Bitte nicht, stattdessen verfluchte er mich.
Darauf sagte ich zu ihm: „Sie sind ein armer Mann, Kommandant, doch ich bin reich, denn ich glaube an Gott und bin durch das kostbare Blut Jesu Christi erlöst.“ Da wurde er sehr böse und schickte mich ins Lager zurück.
Er fügte noch hinzu, wie es nach dem Krieg war: Als der Krieg vorüber war und ich auf freiem Fuß, hielt ich Ausschau nach diesem Lagerkommandanten. Die meisten befehlenden Offiziere waren erschossen worden. Ihm jedoch war es gelungen zu entkommen und unterzutauchen.
Zehn Jahre lang suchte ich ihn vergebens, doch schließlich fand ich ihn. Eines Tages ging ich ihn besuchen. Er erkannte mich nicht mehr. Daraufhin sagte ich ihm: „Ich bin Nummer 17.535. Erinnern Sie sich an Weihnachten 1943?“ Nun erinnerte er sich an all das Grauen.
Er und seine Frau bekamen plötzlich furchtbare Angst. „Zittern Sie?“, fragte er. „Sind Sie gekommen, um sich zu rächen?“ „Ja“, antwortete ich und öffnete ein Paket, das ich mitgebracht hatte. Ein großer Kuchen kam zum Vorschein.
Ich bat seine Frau, Kaffee zu kochen. Dann tranken wir zusammen Kaffee und aßen Kuchen. Der Mann sah mich völlig verwirrt an. Er konnte nicht verstehen, warum ich so handelte. Schließlich begann er zu weinen und bat mich um Verzeihung.
Daraufhin sagte ich, dass ich ihm um der Liebe Jesu willen vergeben hätte. „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1. Johannes 4,19).
Erino fügt noch hinzu: Ein Jahr später bekannte der ehemalige Lagerkommandant seine entsetzliche Schuld vor Jesus Christus, und auch seine Frau übergab ihr Leben Jesus. Beide durften befreiende Vergebung von allen ihren Sünden erfahren. Nun gehen sie ihren Weg frohen Herzens mit Jesus Christus, ihrem Retter und Erlöser.
Ist das nicht wunderbar? Ein Mann, der wirklich „Haman ans Holz gehängt“ hatte, durfte durch dieses Zeugnis Menschen zum Herrn Jesus bringen. So sehen wir, auch ein solcher Evangelist hat genau dieselben Anfechtungen wie alle anderen Gläubigen. Aber die Frage ist, wie man damit umgeht.
Auf dem Skript habe ich noch auf eine besondere Stelle hingewiesen: Römer 6,11. In diesem Kapitel geht es ständig um die Sünde, eben die sündige Natur in uns. Der Apostel Paulus erklärt, dass wir durch das Werk des Herrn Jesus von der Macht der Sünde in uns grundsätzlich befreit sind.
Um das aber in der Praxis zu erleben, sagt Römer 6,11: „So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde tot seid, Gott aber lebendig in Christus Jesus.“
„Haltet dafür“ heißt: Betrachtet euch als tot in Bezug auf die Sünde. Warum? Ich lebe ja. Der Herr Jesus ist am Kreuz gestorben für unsere Sünden und auch für die Sünde in mir. Durch meine Bekehrung und das bewusste Annehmen seines Opfers habe ich mich mit Jesus identifiziert. Gott rechnet mir und jedem Gläubigen den Tod des Herrn Jesus zu, als wäre ich damals am Kreuz gewesen.
Also kann ich im Prinzip sagen: Ich halte mich für tot.
Jetzt sagt Paulus: „So auch ihr haltet oder betrachtet euch dafür, dass ihr der Sünde tot seid.“ Das heißt, ich muss mich so betrachten, als wäre ich tot. Wenn die Sünde sich bemerkbar macht durch schlechte Gedanken oder Hass, dann muss ich so reagieren, wie ein Toter reagiert: gar nicht. Das ist das Verleugnen, wie in Titus 2.
Man muss sich das vorstellen, wie wenn man dicke Whiskyflaschen auf das Grab eines Alkoholikers legt. Was geschieht? Gar nichts. Er ist der Versuchung gestorben, reagiert nicht.
Wenn wir uns so als tot betrachten, reagieren wir nicht auf die Versuchung von innen, und dann kommt es nicht zur Sünde. Aber das ist stetes Üben.
Darum sagt Paulus auch in 1. Timotheus 4,7 zu Timotheus ganz grundsätzlich: „Übe dich aber zur Gottseligkeit.“ Gottseligkeit bedeutet ein von Gott erfülltes Leben. „Übe dich!“ Das Wort „Gymnazo“ bedeutet Gymnastik, Training.
Der Weg der Nachfolge und des gottgefälligen Lebens muss trainiert werden. So einfach nicht zu reagieren.
Ganz frei nach Luther, den ich auch auf dem Skript aufgeführt habe: „Ich kann nichts dafür, wenn die Vögel ihre Bedürfnisse auf meinen Kopf abwerfen. Aber ich bin dafür verantwortlich, wenn sie auf meinem Hut ein Nest bauen.“ Das ist der Unterschied.
Ich habe das mal erlebt an einem Sonntagmorgen in einer Gemeinde während der Anbetungsstunde mit Abendmahl. Es war Sommer, die Tür war offen, und ein Vogel kam herein. Er kreiste in der Gemeinde und traf mich wirklich – mein Anzug war hinten voll. Aber er hat kein Nest auf meinem Kopf gebaut. Das wäre etwas anderes gewesen.
So ist es auch mit all dem, was aus uns herauskommt: schlechte Gedanken, schlechte Gefühle, Zorn, Hass. Wir sollen nicht darauf eingehen. Dann können wir Überwinder werden.
Die Füchse haben auch eine besondere Eigenschaft: Wenn sie von Jägern mit Hunden verfolgt werden, legen sie sich plötzlich regungslos wie tot hin, und die Hunde laufen weiter.
Die Versuchung sind die Hunde hinter uns. Wir müssen nicht so tun wie der Fuchs, sondern wir können wirklich sagen: „Der Tod Christi ist mein Tod.“ Ich brauche nicht mehr zu reagieren, sondern lege mich hin. Die Hunde rasen vorbei.
Das muss man einfach trainieren und praktisch umsetzen.
Wie ist es mit dem Intercity, wenn er voller Fahrt ist? Er hält nicht an kleinen Bahnhöfen. Da muss man sich sagen: „Ich bin ein kleiner Bahnhof, und die Versuchung rast vorbei.“
Das wären ein paar Gedanken, wie man das Buch Esther nun auch praktisch ins alltägliche Leben überträgt und wie man die Freude des neutestamentlich übertragenen Purimfestes nicht nur an zwei Tagen im Jahr, sondern durch das ganze Jahr hindurch immer wieder neu erleben darf, wenn der Herr Jesus die Krone trägt und über uns regiert.
Ich fasse nochmals zusammen: Es geht im Zusammenhang mit unserem Thema Buch Esther um die Grundlagen zu einer neuen Psychologie, wie ich das am Anfang genannt habe – ein Menschenbild, das wirklich auf der Bibel basiert und nicht auf säkularen Ideen, die uns von Gott und seinem Wort wegführen.
Die Bibel lehrt, dass wir aus einem Körper bestehen, und wir haben eine Seele – im Griechischen „Psyche“, auch im Neuen Testament. Jesus wird in 1. Petrus 2 als der Aufseher unserer Seelen genannt, der über unser Seelenleben wacht. Das ist das Ich, die Persönlichkeit.
Dann haben wir den Geist, die Fähigkeit zum höheren Denken und um Gott zu erkennen und seine Botschaft aufzunehmen. Im Griechischen heißt das „Pneuma“.
Die Bibel lehrt aber auch, dass wir das Fleisch in uns haben – diese böse Natur, die das Fleisch, unsere Hände, Füße usw. missbrauchen möchte, um Sünde zu schaffen. Darum heißt diese Natur „die Sünde“.
Der Gläubige bekommt mit der Bekehrung die Gabe des Heiligen Geistes, der die Kraft gibt, gottgemäß zu leben.
Im Bild des Buches Esther sind die Seele durch Asveros, das Fleisch durch Haman, der Geist durch Esther und der Heilige Geist durch Mordechai dargestellt. Mordechai stellt auch den Herrn Jesus dar.
Wenn man sich bekehrt, bekommt man das ewige Leben (Johannes 3,16): „Damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.“ Das ist Gegenwart – wir haben das ewige Leben jetzt. Das ewige Leben ist nicht etwas Abstraktes, sondern der Herr Jesus selbst, der sagt in Johannes 14,6: „Ich bin das Leben.“
In 2. Petrus 1 erklärt Petrus, dass wir Teilhaber der göttlichen Natur geworden sind. So haben wir in uns das ewige Leben und den Heiligen Geist.
Das unterscheidet uns von den Gläubigen im Alten Testament, die mit der Bekehrung das Leben von Gott bekamen. Mose konnte so ein gottgemäßes Leben führen, ebenso Hiob oder Noah, aber die alttestamentlichen Gläubigen hatten normalerweise nicht den Heiligen Geist. Der Heilige Geist kam über Propheten meist zeitweise, ging wieder weg, kam wieder.
Wir haben den Heiligen Geist ständig. Der Herr Jesus sagt in Johannes 14, dass er bei uns sein wird in Ewigkeit und in uns.
So haben wir die Kraft des ewigen Lebens, das nur gottgemäß leben möchte.
Wir sehen den Gegensatz zwischen dem Heiligen Geist und dem Fleisch, der den Konflikt zwischen Fleisch und Geist ausmacht. Das ist auch der Konflikt mit dem neuen Leben, dem ewigen Leben in uns.
Das Fleisch wirkt auf Seele, Geist und Körper. Dann gibt es von außen die Versuchung der Welt, die Versuchung von Satan und die Versuchung von innen durch das Fleisch.
Dazu müssen wir richtig reagieren: in Bezug auf das Fleisch verleugnen, in Bezug auf die Welt fliehen und in Bezug auf Satan widerstehen. „Er wird von euch fliehen“ (Jakobus 4).
An dieser Stelle wollen wir schließen.
Der Umgang mit Versuchungen und Gedanken
Aber die Sache ist, was wir damit machen. Denn wir sehen die Begierde, wenn sie empfangen hat. Darauf folgt die Schwangerschaft, und dann kommt die Geburt – und da wird die Sünde geboren.
Also, in Gedanken kann es von diesem anfänglich schlechten Gedanken zu einer Gedankensünde kommen. Und es kann noch weitergehen zu einer Tatsünde. Aber das müssen wir unterscheiden, das ist nicht dasselbe. Darum können wir ganz kategorisch sagen: Wenn etwas Böses in uns aufkommt, dann ist es noch nicht die Sünde. Jetzt kommt es darauf an, was wir damit machen.
Dazu lese ich aus Titus 2. Wir lesen dort in Vers 11 des Zusammenhangs wegen: „Denn die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen, und unterweist uns, damit wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnend besonnen, gerecht und gottselig leben in dem jetzigen Zeitlauf, indem wir erwarten die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus.“
Hier wird gesagt: Die Gnade Gottes unterweist uns, belehrt uns, dass wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden, die aus dem Fleisch kommen, verleugnen. Das steht nicht so wie beim Teufel, und es steht auch nicht „flieht“, wie bei den weltlichen Dingen.
In 1. Korinther 6, am Schluss, sagt Paulus: „Flieht die Hurerei.“ Das heißt, man wendet sich ganz schnell weg von Bereichen, wo Gefahr ist. Man muss sich durch Flucht entziehen, so wie Joseph in 1. Mose 39, als die Frau von Potiphar ihn zur Unzucht verführen wollte. Sie packte ihm das Kleid, da ließ er das Oberkleid fahren und rannte weg – er floh aus der gefährlichen Situation.
Geflohen – das war Versuchung von außen. So sagt die Bibel also: Flieht die Hurerei. Oder in 2. Timotheus 2, die jugendlichen Lüste aber fliehe, strebe aber nach Gerechtigkeit, Liebe usw. Also bei den jugendlichen Lüsten, die von der Welt her angeboten werden, muss man fliehen.
Aber wenn es um die Versuchung aus sich selbst heraus geht, da können wir nicht fliehen. Und es wird auch nicht gesagt „widersteht“, sondern „verleugnend“. Verleugnen bedeutet, wir wissen ganz genau: Wenn man am Bahnhof jemanden sieht, den man lieber nicht treffen möchte, versucht man, so gut wie möglich durch die Menschenmenge zu gehen, damit derjenige einen nicht erkennt. Man ignoriert ihn, geht gar nicht darauf ein, zeigt kein Interesse. Das ist nicht gerade freundlich, aber wenn es um die sündige Natur geht, dann ist es ein Muss.
Also gar nicht darauf eingehen, sich nicht mit diesen Gedanken beschäftigen. In der Seelsorge habe ich schon extreme Fälle erlebt, wo jemand sagt: „Es wird so schrecklich, diese Gedanken werden immer stärker.“ Dann sage ich: „Ja, aber du versuchst dagegen zu kämpfen?“ – „Ja, natürlich.“ – „Und dann wird es immer stärker?“ – „Ja, natürlich.“ Das ist genau falsch!
Man soll sich gar nicht damit beschäftigen, sondern sich mit dem Herrn Jesus beschäftigen, mit seinem Wort, mit etwas anderem. Gar nicht darauf eingehen, verleugnen. Dann vergeht das wieder. Und es kommt eben nicht zur Sünde, auch nicht zur Gedankensünde.
Das ist so wichtig: Die Bibel macht klar, dass man bei der Sünde „verleugnen“ soll, bei der Welt „fliehen“ und bei Satan „widerstehen“ soll. Man muss also auf jede Art von Versuchung anders reagieren.
Falsche Reaktionen auf Versuchungen
Und jetzt versteht man auch, warum es verhängnisvoll ist, wenn jemand sagt: Nein, ich habe keine Versuchung von Ihnen, sondern sie kommt von Satan.
Ja, aber gegen Satan muss man widerstehen. In diesem Fall ist das jedoch die falsche Reaktion.
Man muss wissen, dass man in solchen Situationen verleugnen muss und eben nicht darauf eingehen darf.
Beispiel eines Evangelisten im Umgang mit Versuchungen
Ich möchte ein konkretes Beispiel vorlesen, von einem legendären Evangelisten, Erino da Pozo. Wahrscheinlich kennen ihn manche. Er war ein schlichter Mann und hatte ein wunderbares Zeugnis. Er war kein Akademiker, aber einmal hatte er mit einem Akademiker zu tun, einem Professor. Dieser sagte ihm, der Durchzug durchs Rote Meer sei ein Märchen. Das Wasser sei dort nämlich sehr niedrig gewesen, und die Israeliten seien nur durch ein kleines Gewässer gewatet.
Darauf antwortete Erino da Pozo dem Professor, der einen speziellen Akzent hatte, eine Mischung aus Französisch und Italienisch: „Das ist ja noch ein viel größeres Wunder, dass die Ägypter alle umgekommen sind in so wenig Wasser.“
Eine meiner Cousinen hat einen Sohn von Erino da Pozo geheiratet, sodass es sogar eine familiäre Beziehung gibt.
Nun lese ich kurz vor: Es ist eine unendlich traurige, aber auch sehr schöne Geschichte. Traurig, weil sie von der entsetzlichen Dunkelheit menschlicher Grausamkeit und Sünde spricht. Schön, weil sie uns viel von der menschenverändernden Liebe und Treue des Herrn erfahren lässt.
Erino erzählt: Während der NS-Zeit wurde ich 1943 von einem deutschen Militärgericht zum Tod verurteilt. Da ich verheiratet war und vier Kinder hatte, wurde das Urteil in eine mildere Strafe umgewandelt. Man brachte mich in ein deutsches Konzentrationslager.
Neun Monate nach meiner Einlieferung ins Lager wog ich nur noch neunzig Pfund, also fünfundvierzig Kilogramm. Mein Körper war mit Wunden bedeckt, dazu hatte man mir den rechten Arm gebrochen und mich ohne ärztliche Behandlung gelassen.
Am Weihnachtsabend 1943 saß ich mit anderen Männern im Lager zusammen, als mich der Kommandant rufen ließ. Ich erschien mit entblößtem Oberkörper und barfuß. Er dagegen saß vor einer reich gedeckten festlichen Tafel. Ich musste stehend zusehen, wie er eine Stunde lang aß.
In dieser Stunde setzte er mir schwer zu, weil ich Christ war und meinen gefangenen Kameraden von der Hoffnung auf das ewige Leben und von Jesus Christus und seiner Liebe predigte. Dann merkte er eine Versuchung in sich, die flüsterte: „Da Bozo, glaubst du immer noch an den Gott des 23. Psalms?“
Ich flehte still zu meinem himmlischen Vater um Kraft und Mut und konnte schließlich sagen: „Ja, ich glaube an ihn.“ Aber dieser böse Gedanke kam einfach: „Ja, jetzt am Herrn und an seine Treue zu zweifeln.“ Doch ich sagte erneut: „Ja, ich glaube an ihn.“
Eine Ordonnanz brachte Kaffee und ein Päckchen Kekse herein. Der Lagerkommandant begann auch diese zu essen, dann wandte er sich an mich: „Deine Frau ist eine gute Köchin, der Bozo.“ Ich verstand nicht, was er meinte. Dann erklärte er mir: „Seit sieben Monaten schickt dir deine Frau Pakete mit kleinen Kuchen. Ich habe sie mit großem Vergnügen aufgegessen.“
Wieder musste ich gegen die Versuchung ankämpfen, ihn zu hassen. Das kam auf, ja, und Gott anzuklagen. Ich wusste, dass meine Frau und meine Kinder sehr wenig zu essen hatten. Von ihren ohnehin kargen Rationen hatte sie nun Mehl, Fett und Zucker abgespart, um mir etwas schicken zu können. Und dieser Mann hier hatte die Nahrung meiner Kinder gegessen.
Dann hörte ich wieder diese Versuchung: „Hasse ihn, der Pozzo, hasse ihn!“ Und wieder betete ich. Gott bewahrte mich davor, dass der Hass von mir Besitz ergriff. Also wurde es nicht zur Sünde. Aber da war es, und da konnte ich nichts dagegen tun.
Dann bat ich den Kommandanten, er möge mir doch einen der Kekse reichen. Ich wollte ihn nicht essen, sondern nur anschauen und an meine Kinder denken. Aber der Peiniger gewährte mir meine Bitte nicht, stattdessen verfluchte er mich.
Darauf sagte ich zu ihm: „Sie sind ein armer Mann, Kommandant, doch ich bin reich, denn ich glaube an Gott und bin durch das kostbare Blut Jesu Christi erlöst.“ Da wurde er sehr böse und schickte mich ins Lager zurück.
Dann fügte er noch hinzu, wie es nach dem Krieg war: Als der Krieg vorüber war und ich auf freiem Fuß war, hielt ich Ausschau nach diesem Lagerkommandanten. Die meisten einstmals befehlenden Offiziere waren erschossen worden. Ihm jedoch war es gelungen, zu entkommen und unterzutauchen.
Zehn Jahre lang suchte ich ihn vergebens, doch schließlich fand ich ihn. Eines Tages ging ich ihn besuchen. Er erkannte mich nicht mehr wieder. Daraufhin sagte ich ihm: „Ich bin in Nummer 17.535. Erinnern Sie sich an Weihnachten 1943?“ Nun erinnerte er sich an all das Grauen.
Er und seine Frau bekamen plötzlich furchtbare Angst. „Zittern“, fragte er, „sind Sie gekommen, um sich zu rächen?“ „Ja“, antwortete ich und öffnete ein Paket, das ich mitgebracht hatte. Ein großer Kuchen kam zum Vorschein.
Ich bat seine Frau, Kaffee zu kochen. Dann haben wir zusammen Kaffee getrunken und Kuchen gegessen. Der Mann sah mich völlig verwirrt an. Er konnte nicht verstehen, warum ich so handle. Schließlich begann er zu weinen und bat mich um Verzeihung.
Daraufhin sagte ich, dass ich ihm um der Liebe Jesu willen vergeben hätte. „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1. Johannes 4,19).
Dann fügt Erino noch hinzu: Ein Jahr später bekannte der ehemalige Lagerkommandant seine entsetzliche Schuld Jesus Christus, und auch seine Frau übergab ihr Leben Jesus. Beide durften befreiende Vergebung von allen ihren Sünden erfahren. Nun gehen sie ihren Weg frohen Herzens mit Jesus Christus, ihrem Retter und Erlöser.
Ist das nicht wunderbar? Ein Mann, der wirklich jemanden ans Holz gehängt hatte, durfte durch dieses Zeugnis so Menschen zum Herrn Jesus bringen. Aber so sehen wir: Auch ein solcher Evangelist hat genau die gleichen Anfechtungen wie alle anderen Gläubigen. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht.
Die Identifikation mit dem Tod Christi als praktische Hilfe
Im Skript habe ich noch auf eine besondere Stelle hingewiesen: Römer 6, Vers 11. In diesem Kapitel geht es ständig um die Sünde, genauer gesagt um die sündige Natur in uns.
Der Apostel Paulus erklärt, dass wir durch das Werk des Herrn Jesus grundsätzlich von der Macht der Sünde in uns befreit sind. Um dies aber in der Praxis zu erleben, sagt Paulus in Römer 6,11: "So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde tot seid, Gott aber lebendig in Christus Jesus."
"Haltet dafür" bedeutet, betrachtet euch als tot in Bezug auf die Sünde. Warum? Weil ich ja lebe. Der Herr Jesus ist am Kreuz für unsere Sünden und auch für die Sünde in mir gestorben. Dadurch, dass ich mich bekehrt habe und das Opfer des Herrn Jesus ganz bewusst als für mich persönlich geschehen angenommen habe, habe ich mich mit Jesus Christus identifiziert.
Darum rechnet Gott mir und jedem Gläubigen den Tod des Herrn Jesus zu, als wäre ich damals am Kreuz gewesen. Im Prinzip kann ich also sagen: Ich halte mich für tot. Paulus sagt: "So auch ihr haltet oder betrachtet euch dafür, dass ihr der Sünde tot seid."
Das heißt, ich muss mich als tot betrachten. Wenn die Sünde, die immer noch wirkt, sich durch schlechte Gedanken oder Hass bemerkbar macht, dann muss ich so reagieren, wie ein Toter reagieren würde: gar nicht. Das ist Verleugnen.
Man kann sich das vorstellen, als ob dicke Whiskyflaschen auf das Grab eines Alkoholikers gelegt werden. Was geschieht? Gar nichts. Er ist der Versuchung gestorben, er reagiert nicht.
Wenn wir uns also als tot betrachten, reagieren wir nicht auf die Versuchung von innen, und dann kommt es auch nicht zur Sünde. Aber das ist ein stetes Üben.
Darum sagt Paulus auch in 1. Timotheus 4 an Timotheus ganz grundsätzlich: "Übe dich aber zur Gottseligkeit." Gottseligkeit bedeutet ein von Gott erfülltes Leben.
"Übe dich" ist das Wort Gymnazo, Gymnazomai, das mit dem deutschen Wort Gymnastik zusammenhängt. Es bedeutet ein Training, eine Gymnastik. Der Weg der Nachfolge und des Lebens, das von Gott erfüllt ist, Gottseligkeit, muss trainiert werden.
Es geht darum, so einfach nicht zu reagieren.
Verantwortung im Umgang mit Versuchungen
Ganz frei nach Luther: „Ich kann nichts dafür, wenn die Vögel ihre Bedürfnisse auf meinen Kopf abwerfen. Aber ich bin dafür verantwortlich, wenn sie auf meinem Hut ein Nest bauen.“ Das ist der Unterschied.
Ich habe das einmal erlebt, an einem Sonntagmorgen in einer Gemeinde während einer Anbetungsstunde mit Abendmahl. Es war Sommer, die Tür stand offen, und da kam ein Vogel herein. Er ist wirklich in der Gemeinde gekreist und hat mich tatsächlich getroffen – meinen Anzug hinten komplett voll gemacht.
Aber er hat kein Nest auf meinem Kopf gebaut. Das wäre etwas ganz anderes gewesen. Dafür konnte ich nichts.
So ist es auch mit allem, was aus uns herauskommt: schlechte Gedanken, schlechte Gefühle, Zorn, Hass. Darauf sollten wir nicht eingehen. Wenn wir das schaffen, können wir zu Überwindern werden.
Bildhafte Vergleiche für den Umgang mit Versuchungen
Und es ist so: Die Füchse haben eine besondere Eigenschaft. Wenn sie von Jägern mit Hunden verfolgt werden, legen sie sich plötzlich regungslos hin, als wären sie tot. Dann springen die Hunde weiter.
Die Versuchung sind hier die Hunde, die uns verfolgen. Wir müssen nicht so tun wie der Fuchs. Stattdessen können wir wirklich sagen: Ja, der Tod Christi ist mein Tod. Ich muss nicht mehr reagieren, mich hinlegen wie ein Fuchs. Die Hunde rasen vorbei.
Das muss man einfach trainieren und praktisch umsetzen.
Wie ist es mit dem Intercity? Wenn er mit voller Fahrt unterwegs ist, hält er nicht an den kleinen Bahnhöfen. Da muss man sich sagen: Ich bin ein kleiner Bahnhof, und die Versuchung rast vorbei.
Das wären ein paar Gedanken, wie man das Buch Esther praktisch in den Alltag überträgt. So kann man die Freude des neutestamentlich übertragenen Purimfestes nicht nur an zwei Tagen im Jahr erleben, sondern immer wieder neu durch das ganze Jahr hindurch.
Das geschieht, wenn der Herr Jesus die Krone trägt und über uns regiert.
Zusammenfassung: Ein biblisches Menschenbild und der Kampf gegen die Sünde
Also, ich fasse nochmals zusammen: Es geht im Zusammenhang mit unserem Thema, dem Buch Esther, um die Grundlagen einer neuen Psychologie, wie ich es am Anfang genannt habe. Es handelt sich dabei um ein Menschenbild, das wirklich auf der Bibel basiert und nicht auf säkularen Ideen, die uns von Gott und seinem Wort wegführen.
Die Bibel lehrt, dass wir aus einem Körper bestehen und eine Seele haben, die im Griechischen Psyche genannt wird, auch im Neuen Testament. Jesus wird in 1. Petrus 2 als der Aufseher unserer Seelen bezeichnet, der also über unser Seelenleben wacht. Die Seele ist das Ich, die Persönlichkeit. Dann haben wir den Geist, die Fähigkeit zum höheren Denken und auch, um Gott zu erkennen und seine Botschaft aufzunehmen. Der Geist wird im Griechischen Pneuma genannt.
Die Bibel lehrt aber auch, dass wir das Fleisch in uns haben, diese böse Natur, die das Fleisch, also unsere Hände, Füße und so weiter, missbrauchen möchte, um Sünden zu begehen. Darum heißt diese Natur „die Sünde“.
Weiterhin bekommt der Gläubige mit der Bekehrung die Gabe des Heiligen Geistes, der die Kraft gibt, gottgemäß zu leben. Im Buch Esther werden die Seele durch Asveros, das Fleisch durch Haman, der Geist durch Esther und der Heilige Geist durch Mordechai dargestellt. Mordechai stellt dabei auch den Herrn Jesus dar.
Es ist so, dass man mit der Bekehrung das ewige Leben erhält. Johannes 3,16 sagt, dass jeder, der an Jesus glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. Dieses ewige Leben ist Gegenwart – wir haben es jetzt schon. Es ist nicht einfach etwas, sondern es ist der Herr Jesus selbst, der in Johannes 14,6 sagt: „Ich bin das Leben.“
In 2. Petrus 1 erklärt Petrus, dass wir Teilhaber der göttlichen Natur geworden sind. So haben wir also in uns das ewige Leben und den Heiligen Geist. Das ist ein Unterschied zu den Gläubigen im Alten Testament, die mit der Bekehrung das Leben aus Gott bekommen haben. Darum konnten Mose, Hiob oder Noah ein gottgemäßes Leben führen, aber nicht aus eigener Kraft.
Die alttestamentlichen Gläubigen haben normalerweise den Heiligen Geist nicht dauerhaft empfangen. Der Heilige Geist kam über Propheten meist zeitweise, ging wieder weg und kam dann wieder. Wir aber haben den Heiligen Geist ständig. Der Herr Jesus sagt in Johannes 14, dass er bei uns in Ewigkeit sein wird und in uns sein wird.
Also haben wir hier die Kraft des ewigen Lebens, das nur gottgemäß leben möchte. Wir sehen, dass das Fleisch auf die Seele, den Geist und auch auf den Körper wirkt. Dort entsteht der Gegensatz zwischen dem Heiligen Geist und dem Fleisch, und daraus ergibt sich der Konflikt zwischen Fleisch und Geist. Das steht auch im Konflikt mit dem neuen Leben, dem ewigen Leben in uns. Das Fleisch wirkt auch auf den Körper, wie ein Pfeil.
Wenn wir das noch weiter vervollständigen wollen, kommen von außen die Versuchungen der Welt, die Versuchungen Satans und von innen das Fleisch. Darauf müssen wir richtig reagieren: in Bezug auf das Fleisch müssen wir es verleugnen, in Bezug auf die Welt fliehen und in Bezug auf Satan widerstehen. Jakobus 4 sagt: „Widersteht dem Teufel, so wird er von euch fliehen.“
An dieser Stelle wollen wir schließen.