Einführung in Jungs psychologischen Ansatz und das kollektive Unbewusste
Der wichtigste Vertreter der Tiefenpsychologie ist C. G. Jung, ein Schweizer, der von 1875 bis 1961 lebte. Er verfolgte einen ganz anderen Ansatz als andere Psychologen seiner Zeit. Für ihn standen okkulte Phänomene im Mittelpunkt. Besonders bedeutend war bei ihm die Traumanalyse, die er noch stärker betonte als Freud. Zudem beschäftigte er sich intensiv mit antiken Mythen sowie mit psychotischen, also krankhaften Phantasien.
Ein zentraler Begriff bei Jung ist das „kollektive Unbewusste“, im Gegensatz zum persönlichen Unbewussten, mit dem sich Freud hauptsächlich auseinandersetzte. Was verstand Jung unter dem kollektiven Unbewussten? Für ihn war es die Zusammenfassung des gesamten psychischen Erfahrungsschatzes der Menschheit. Er stellte sich die Seele des Einzelnen in Verbindung mit der gesamten Menschheit vor.
Eine bestimmte Generation macht seelische Erfahrungen, doch diese gehen nicht verloren. Stattdessen werden sie an die nächste Generation weitervererbt. Für Jung ist die menschliche Seele eine Art „Müllhalde“. Dies soll keine abwertende Bemerkung sein, sondern verdeutlichen, dass jede Generation neuen „Müll“ zur Halde hinzufügt. So tragen die Menschen heute gewissermaßen den gesamten Erfahrungsschatz früherer Generationen in ihrer Psyche.
Das bedeutet, dass alle Symbole und symbolischen Vorstellungen, die Jung „Archetypen“ nannte, durch Vererbung aus früheren Generationen stammen. Jeder Mensch trägt solche Archetypen in sich, die der gesamten Menschheit gemeinsam sind. Diese Symbole umfassen besonders auch religiöse Symbole, die man überall auf der Welt findet.
Allerdings stellte Jung fest, dass viele Menschen mit diesen Archetypen nichts anfangen können, so wie er selbst. Dennoch lehrte er, dass man Archetypen durch Spiritismus erfahrbar machen könne. Begriffe wie Religion, Mythen, Märchen und Phantasien spielten für ihn eine sehr wichtige Rolle.
Für Jung stand die Psychotherapie daher in engem Zusammenhang mit Religion – im weitesten Sinne des Wortes.
Jungs persönliche Erfahrungen und spirituelle Kämpfe
Nun, das hängt auch wieder mit der gesamten persönlichen Entwicklung Jungs zusammen. Jung war stark dämonisch geplagt. Er schreibt autobiografisch über die grauenhaften Kämpfe, die er seelisch durchgemacht hat.
Das hängt damit zusammen, dass in seiner Familie bereits Spiritismus und viel Aberglaube praktiziert wurden. Er selbst war ein Medium. Das heißt, er sah Bilder, die andere Menschen nicht sehen konnten, und hörte Stimmen, die andere nicht hören konnten. Er hatte auch Erscheinungen; ihm begegneten sichtbare Geister. Zudem besaß er das automatische Schreiben. Das bedeutet, er konnte einfach dasitzen, und seine Hand schrieb automatisch einen Text, den er nicht bewusst dachte, sondern der ihm so gegeben wurde.
Er spricht von zwei Dämonen, mit denen er kommunizieren und sprechen konnte. Diese nennt er Elias und Salome. Das Phänomen der Besessenheit war bei ihm zudem mit sehr starken Depressionen verbunden.
Jung versuchte jedoch, seine spiritistischen Erfahrungen als objektive psychische Erfahrungen wissenschaftlich darzustellen. Für ihn bedeutete der Begriff „magisch psychisch“ etwas Bestimmtes. So versteht man, woher dieses Denken kommt.
In der Schweiz liest man zum Beispiel in der Zeitung von zwei Mädchen, die sich von einem Hochhaus stürzten und Selbstmord begingen. Zuvor hatten sie mit anderen Kolleginnen Gläserrücken praktiziert. Die Gläser, eine Form des Spiritismus, hatten ihnen das Todesdatum genannt. An diesem Datum gingen sie freiwillig in den Tod.
Ein solches Ereignis löste große Diskussionen in der Öffentlichkeit der Schweiz aus. Dann wird argumentiert, dass das Gläserrücken natürlich nichts mit Geistern zu tun habe. Dämonen gebe es nicht, das sei ein Denken aus dem Mittelalter. Man sagt, es seien psychische Kräfte.
Ich meine, junge Menschen haben sehr starke psychische Kräfte. Natürlich ist es an sich schon gefährlich, wenn man sich mit solchen Praktiken beschäftigt. Aber es ist nicht so, dass es dämonisch wäre; es ist einfach gefährlich.
Alles wird auf die Ebene des Psychischen verschoben, das eigentlich Dämonische wird geleugnet. Dieses Denken geht stark auf Jung zurück, der aus Dämonie und Okkultismus eine Wissenschaft machen wollte.
Kritik an Jungs Lehre und biblische Warnungen vor Okkultismus
Die Kritik an Jung ähnelt der an Freud. Seine Lehre ist ebenfalls von Reduktionalismus geprägt. Er führt im Grunde alles auf das Dämonische zurück – und zwar im weitesten Sinn. Dabei spielt nicht das Sexuelle, sondern das Dämonische bei ihm die zentrale Rolle als Erklärungsschlüssel für alle menschlichen Vorgänge.
Natürlich gibt es Dämonie, und wir kennen diese Phänomene auch aus der Seelsorge. Das Wissen darüber ist nicht neu. Dennoch ist das Dämonische nicht die einzige Erklärung für psychische Probleme und Nöte des Menschen. Es ist ein Faktor, aber wenn man alles ausschließlich auf dieses Gebiet zurückführt, handelt es sich um reinen Reduktionalismus.
In 5. Mose 18,10 schreibt Mose: „Es soll keiner unter dir gefunden werden, der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen lässt, keiner, der Wahrsagerei treibt, kein Zauberer, Beschwörer, Magier, Bandsprecher, Totenbeschwörer, Wahrsager oder der die Toten befragt. Denn ein Gräuel für den Herrn ist jeder, der diese Dinge tut. Um dieser Gräuel willen treibt der Herr, dein Gott, sie – das heißt die kanaanitischen Ureinwohner – vor dir aus.“
Wir wollen die moderne Psychologie im Licht der Bibel betrachten. Dabei müssen wir feststellen, dass die Bibel die Existenz von Dämonie bejaht, aber zugleich eindringlich davor warnt. Die Bibel bezeichnet diejenigen, die solche Dinge praktizieren, als ein Gräuel für den Herrn. Das liegt nicht nur daran, dass diese Praktiken psychisch gefährlich sind, sondern auch, weil die Bibel von der Realität gefallener, böser Engel und Geister spricht, mit denen der Mensch keine Gemeinschaft haben darf.
Eine weitere relevante Stelle ist 2. Timotheus 4,2.
Wir haben gesehen, dass das Mythische bei Jung eine sehr große Rolle spielt. Durch ihn wurde das Mythische in unserer Gesellschaft wieder stark aufgewertet. So lässt sich tief verstehen, woher der heutige Zeitgeist kommt und warum sich die Massen für Mythen interessieren.
Ein Blick auf die Kinoprogramme zeigt, was die breite Masse anzieht: mythische Filme. Beispiele sind „Herr der Ringe“, „Star Wars“ – beides zutiefst mythologische Werke –, „Narnia“ und ähnliche Filme. All diese sind mythologisch geprägt und spiegeln den heutigen Zeitgeist wider. Der moderne Mensch ist mythologisch geworden.
Biblische Warnungen vor Mythen und Dämonengemeinschaft
Der Apostel Paulus schreibt im Hinblick auf die Endzeit, die Zeit, in der die Juden in das Land ihrer Väter zurückkehren, folgendes in 2. Timotheus 4,2: "Predige das Wort, halte daran, in günstiger und ungünstiger Zeit; überführe, strafe, ermahne mit aller Langmut und Lehre."
Paulus beschreibt eine Zeit, in der die Menschen die gesunde Lehre nicht ertragen werden. Stattdessen werden sie sich nach ihren eigenen Lüsten selbst mit Lehren füllen, die ihnen in den Ohren kitzeln. Sie werden die Ohren von der Wahrheit abwenden und sich Mythen zuwenden.
Mythos bedeutet ganz einfach ein religiöses Märchen. Die Bibel distanziert sich klar von solchen Mythen. So schreibt der Apostel Petrus in seinem zweiten Brief: "Wir haben euch von der Wiederkunft Christi gesprochen, nicht indem wir künstlich erdichteten Mythen gefolgt sind." Paulus fordert in 1. Timotheus 4 Timotheus auf, Mythen abzulehnen und abzuweisen.
In 1. Korinther 10,20 spricht Paulus deutlich im Bezug auf Dämonen: "Ich will aber nicht, dass ihr Gemeinschaft habt mit den Dämonen. Ihr könnt nicht des Herrn Kelch trinken und des Dämonen Kelch. Ihr könnt nicht des Herrn Tisches teilhaftig sein und des Dämonen Tisches. Oder reizen wir den Herrn zur Eifersucht? Sind wir etwas stärker als er?"
Die Bibel erkennt die Realität von Dämonen an, warnt jedoch eindringlich davor, Gemeinschaft mit diesen Geistern zu haben.
Alfred Adler und der Minderwertigkeitskomplex als psychologisches Konzept
Nun gehen wir weiter. In Kürze streifen wir den dritten bedeutenden Tiefenpsychologen Alfred Adler (1870–1937). Interessant ist, dass auch Adler aus einem jüdischen Geschlecht stammt, ähnlich wie Freud, der ebenfalls Jude war.
Seine Tiefenpsychologie konzentriert sich auf den Begriff des Minderwertigkeitskomplexes. Alles wird in Verbindung mit Minderwertigkeitskomplexen gebracht. Das war jedoch sein persönliches Problem. Adler betrachtete sich selbst als äußerlich völlig unattraktiv. Ich kann das nicht nachvollziehen, denn der Mann wirkt so reif und geformt. Trotzdem sah er sich als völlig unattraktiv und stand ständig im Schatten seines älteren Bruders. Das bereitete ihm große Schwierigkeiten.
Natürlich können Minderwertigkeitskomplexe tatsächlich ein Problem sein. Oft gibt es in Familien die Situation, dass ältere Geschwister immer alles besser können und meinen, alles besser zu wissen. Für die Jüngeren ist es manchmal schwieriger, sich zu behaupten und ihren Platz zu finden. Das ist ganz natürlich und normal. Es gibt auch Fälle, in denen Minderwertigkeitskomplexe wirklich zu einem großen Problem werden können.
Aber dass der Minderwertigkeitskomplex nun wirklich der zentrale Begriff in der Psychologie sein soll, das kann man Adler nicht abnehmen. Auch hier müssen wir Kritik üben: Das ist Reduktionismus!
Übrigens, unter uns gesagt: Wer kennt Alfred Adlers Bruder? Alle kennen Alfred, wenn sie überhaupt einen Psychologen kennen. Das ist doch interessant. Man leidet unter etwas, und letztlich müsste man gar nicht darunter leiden.
Spurgeon, der große Evangelist aus dem neunzehnten Jahrhundert, hat gesagt: Zehn Probleme, neun von zehn Problemen sind eigentlich gar nicht real, sie sind einfach Ängste. Und das zehnte Problem, das noch wirklich real ist, das können wir als gläubige Menschen im Vertrauen auf den Herrn werfen.
Behaviorismus: Watsons empirischer Ansatz und die Ablehnung des Bewusstseins
Nun gehen wir weiter und wechseln von der Tiefenpsychologie zum Behaviorismus. Dabei ist zuerst J.B. Watson (1878–1958) ganz wichtig. Er war stark geprägt von den Russen Iwan Pawlow und Viktor Berderew.
Watsons Vorgehensweise war strikt empirisch und objektiv. Er wollte keine subjektiven Beobachtungen zulassen und lehnte den Begriff Bewusstsein ab, da er diesen für ein unwissenschaftliches Relikt hielt. Freud spricht zwar vom Unbewussten, im Gegensatz zum Bewusstsein, doch Watson hielt auch das Bewusstsein für unwissenschaftlich. Hier hatte er noch etwas Altes bei sich behalten.
Für ihn ist der Mensch nichts anderes als eine von Reflexen gesteuerte Maschine. Deshalb entwickelte er eine Reiz-Reaktions-Theorie. In Laborexperimenten wurde das Verhalten streng wissenschaftlich untersucht. Subjektive, introspektive Beobachtungen, wie sie früher üblich waren – etwa bei Wundt – lehnte er ab. Watson wollte, dass Psychologie endlich wirklich wissenschaftlich wird. Alles Frühere hielt er nicht für wissenschaftlich.
Er vertrat den reinsten Materialismus. Das heißt, psychische Erscheinungen sind für ihn hundert Prozent physikalische Prozesse. Es gibt nur die Materie, zum Beispiel das Gehirn, aber keine Seele. Was wir Seele nennen, sind für ihn einfach physikalische und chemische Prozesse im Organismus.
Die Basis seiner Theorie war auch die Evolutionslehre. Er glaubte, menschliches Verhalten müsse von dem der Tiere abgeleitet werden. Watson leugnete angeborene Charaktereigenschaften und Fähigkeiten. Nach seiner Ansicht hätte also jedes Kind die Chance, ein Jehudi Menuhin zu werden. Dass das nicht funktioniert, wissen Sie auch aus Ihrer eigenen Erziehung und bei Ihren Kindern. Das eine Kind entwickelt sich so, das andere anders. Das haben wir nicht einmal in der Hand.
Trotzdem haben wir sechs Kinder, und obwohl wir immer die gleichen Eltern geblieben sind, ist jedes Kind ganz anders herausgekommen.
Watson war in den 1920er-Jahren in den USA sehr populär, und sein Einfluss hielt bis in die 1950er-Jahre an.
Schauen wir uns das Folgende an: Bei Wundt fanden wir eine Bewusstseinslehre. Dann kam Freud mit der Lehre vom Unbewussten. Und jetzt kommt Watson mit der Lehre vom Verhalten – Behaviorismus, das heißt Verhalten auf Englisch. Der Mensch ist eine Maschine: Ein Lichtstrahl trifft auf das Auge, und dann folgt die Reaktion.
Neobehaviorismus und Skinner: Erweiterung des Verhaltensmodells
Später ist daraus der Neobehaviorismus entstanden, der neue Behaviorismus, besonders vertreten durch B. F. Skinner (1904–1990). Er wurde in den 1930er Jahren berühmt durch seine Rattenversuche.
Sie sehen hier die Skinner-Box. Dort hat er Ratten konditioniert und dressiert. Zum Beispiel läutet eine Glocke, wenn das Fressen bereitgestellt wird. Mit der Zeit kann man bei solchen Versuchen feststellen, dass bei der Ratte Speichelfluss einsetzt – nicht erst, wenn sie das Fressen riecht, sondern schon dann, wenn sie nur die Glocke hört. Ganz ohne Fressen. Die Glocke bedeutet Fressen, und schon läuft der Speichel im Mund zusammen.
So wurden viele Versuche durchgeführt, um zu zeigen, dass der Mensch ähnlich wie eine Ratte ist, die sich Mühe gibt, bestimmte Verhaltensformen anzunehmen, wenn daraus ein Vorteil entsteht. Skinner meinte, dass Watson noch zu extrem war. Bewusstsein existiert zwar, aber wir können einfach nicht viel mehr darüber sagen, was es genau ist. Mindestens als Begriff ließ Skinner das Bewusstsein stehen.
Für ihn war der Mensch im Grunde eine dressierte Ratte oder ein dressierter Hund. Im Neobehaviorismus sagt man – im Gegensatz zu Watson – nicht, dass alle psychischen Vorgänge Reaktionen auf äußere Reize sind. Es gibt auch Prozesse, die einfach im Innern des Organismus ablaufen.
Allerdings gibt es in dieser Lehre verschiedene Tabus. Der Begriff Gott hat überhaupt keinen Platz, ebenso wenig Glaube, Liebe, Kreativität oder höhere Werte. Diese spielen keine Rolle. Wie soll man das übrigens mit einer Skinner-Box messen? Die Liebe der Ratte – wie soll man das messen? Solche Dinge werden einfach ausgeblendet, um wissenschaftlich zu bleiben.
Reizreaktionen hingegen kann man wissenschaftlich erfassen. Freude, Liebe und Treue kann man jedoch nicht so einfach messen oder festmachen. An dieser Stelle lässt sich kritisieren, dass dies wieder ein extremer Reduktionalismus ist.
Behavioristen haben nämlich fast nur ein Auge für physische Stimulation, für Lichtstrahlen, Schallwellen, Wärmestrahlen oder Materieteilchen, die auf Druck-, Tast- und Riechsinn wirken. Alles andere wird einfach ausgeblendet. Das ist Reduktionalismus: Die Realität wird auf wenige Elemente zurückgeführt.
Der Dritte Weg: Humanistische Psychologie und Maslows Bedürfnispyramide
Nun kommen wir zu einer ganz neuen Richtung, die man den Dritten Weg nennt. Zu gut Deutsch: Dritter Weg. Im zwanzigsten Jahrhundert gab es den Nachwund, die Tiefenpsychologie und den Behaviorismus. Jetzt tritt eine ganz neue Richtung auf, der Dritte Weg.
Diese neue Richtung ist eher eine psychologisch bestimmte Lebensanschauung als eine experimentelle Wissenschaft. Sie ist eine Reaktion auf die früheren Ansätze. Übrigens nennt man diese Richtung seit etwa 50 Jahren die humanistische Psychologie.
Humanistisch heißt hier nicht, dass es sich um eine humanistische Lehre im üblichen Sinn handelt. Denn humanistisch waren auch alle früheren Lehren, da sie letztlich alle aus dem Humanismus der Renaissance hervorgegangen sind. Nein, humanistisch meint hier: bezogen auf den Homo, auf den Menschen, auf den Homo sapiens.
Die Vertreter dieser Richtung sagten, früher habe man sich mit der Psychologie der Ratten beschäftigt, doch wir sind Menschen. Wir brauchen keine Rattenpsychologie, sondern eine Menschenpsychologie. Der Mensch als Mensch soll besonders im Zentrum dieser Forschungsarbeit stehen.
Ein wichtiger Name ist Abraham Maslow. Er stammte aus einer jüdisch-sozialistischen Familie. Sie sehen, wieder ein Jude. Aber auch wieder ein Jude, der nicht an den Glauben der Väter gebunden oder verbunden war. Maslow selbst war ein utopischer Sozialist. Früher machte er Tierversuche und wollte die Motivation beim Lösen von Problemen erforschen.
Doch er stellte fest, dass die Behavioristen Faktoren wie Neugier oder Einsicht gar nicht einordnen können. So wandte er sich bewusst vom Behaviorismus und der Psychoanalyse ab, um den Dritten Weg zu formen.
Er kritisierte den Behaviorismus, weil die Behavioristen abstraktes Denken, Religion, Kunst und das Sprechen des Menschen nicht erklären können. Im Zentrum steht dort sowieso nur das Tier, die Ratte oder der Hund.
Seine Kritik und die Kritik des Dritten Weges an der Tiefenpsychologie lautete: Man kann doch nicht alles auf infantile Konflikte zurückführen, in Anlehnung an Freud. Im Zentrum der Tiefenpsychologie steht ja sowieso der kranke Mensch.
Aber wir sollten eine Psychologie entwickeln, die den Menschen mit einer gesunden Seele betrachtet. Es geht nicht in erster Linie um das Tier oder um die kranke Seele, sondern um die Frage: Was ist der Mensch?
Maslow entwickelte eine Pyramide, die zur Selbstverwirklichung führt. Er sagte, der Mensch habe Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wasser und Schlaf. Wenn diese nicht gesichert sind, kommt man nicht weiter. Das ist klar: Im Krieg lebt man von einem Tag zum anderen. Es geht um die Frage, was man heute essen kann, wo man trinken und ein wenig ruhig schlafen kann.
Aber, so sagt Maslow, wenn diese Grundbedürfnisse gestillt sind, sucht der Mensch auf einer neuen Ebene Sicherheit und Gewissheit. Er möchte Schutz vor Gefahren und ein geregeltes Einkommen.
Im Krieg oder auf der Flucht denkt niemand darüber nach, wie das Gehalt steigen könnte. Das interessiert niemanden. Aber wenn die Grundbedürfnisse gestillt sind, kommen solche Gedanken auf. Der Mensch möchte Schutz und ein geregeltes Einkommen.
Doch wenn das auch erreicht ist, ist man noch nicht zufrieden. Dann wünscht man sich nicht nur Sicherheit, sondern auch Liebe und Geborgenheit in einer Gruppe.
Wenn auch das gegeben ist – und das sehen wir bei unseren Kindern – was geschieht dann? Plötzlich will jemand aus der Gruppe herausragen und sucht Anerkennung. Er ist nicht zufrieden mit dem einfachen „Wir lieben uns alle in der Familie“. Nein, er möchte ein bisschen besser sein als sein älterer Bruder.
Hier liegt nicht das Problem eines Minderwertigkeitskomplexes, sondern eher das eines Überlegenheitskomplexes.
Wenn auch diese Stufe erfüllt ist, sucht der Mensch die Selbstverwirklichung.
Sie sehen hier die Eigernordwand in der Schweiz, in der Nähe von Interlaken. Wenn man dort hinaufsteigt, kann das zum Beispiel Selbstverwirklichung sein.
Wer die Grundbedürfnisse nicht geklärt hat, wird diese Wand nicht einfach so besteigen. Das war Maslows Vorstellung.
Aber das Ganze ist natürlich sehr egoistisch. Es geht nur um das Ich: Wie kann ich höher aufsteigen? Wie kann ich mich verwirklichen?
Diese Selbstverwirklichung kann bedeuten, dass man andere mit den Ellbogen stößt. Eine Mutter sagt sich: Was soll ich dauernd mit diesen dummen Kindern mich herumschlagen, dabei könnte ich mich beruflich verwirklichen. Dann macht sie das auf Kosten der Kinder.
Übrigens kam der Ausdruck Selbstverwirklichung erst im zwanzigsten Jahrhundert auf. Er wurde geprägt und stammt aus dem Indischen. In Indien wurde der Begriff aus einer indischen Sprache ins Englische als „self-realization“ übersetzt. Über das Englische gelangte der Begriff dann ins Deutsche als „Selbstverwirklichung“.
Dieser Bezug zum Hinduismus ist noch interessant.
Carl Rogers und die nondirektive Therapie im humanistischen Ansatz
Wir sehen nun beim dritten Weg, den Carl Rogers (1902–1987) eingeschlagen hat, die Einführung der nondirektiven, also nicht steuernden Therapie. Ich möchte erklären, was das bedeutet.
Im Mittelpunkt steht der Klient mit seinen Gefühlen. Der Therapeut muss sich in ihn hineinversetzen. Dabei sucht er Lösungen im Rahmen der Wertevorstellungen des Klienten. Persönlich interessiert sich der Therapeut jedoch nicht für die Werte des Klienten.
Ich möchte erläutern, wie das funktioniert. Jemand kommt zur Behandlung und sagt: „Ich habe ein Problem mit meiner Tochter. Ich weiß nicht, wie wir sie erziehen sollen, sie widerspricht ständig.“ Der Psychologe fragt: „Was denken Sie, was man da machen könnte?“ Der Klient antwortet: „Keine Ahnung, darum bin ich ja gekommen.“ Der Psychologe sagt: „Stellen Sie sich mal vor, was man machen könnte.“ Der Klient überlegt: „Ich könnte sagen, du, da bin ich einverstanden, du kannst das machen, aber an diesem Punkt bin ich absolut dagegen.“ Der Psychologe meint: „Ja, das wäre doch eine gute Möglichkeit, probieren Sie das mal.“
Ein anderes Beispiel: Man geht in einen Einkaufsladen, um eine Krawatte zu kaufen. Eine Verkäuferin fragt: „Was kann ich Ihnen helfen?“ Man antwortet: „Ich suche eine Krawatte.“ Die Verkäuferin fragt: „Was stellen Sie sich vor?“ Man sagt: „Ich denke an eine braune.“ Sie sagt: „Die steht Ihnen ausgezeichnet.“ Man erwidert: „Nein, ich habe nur einen blauen Anzug, wahrscheinlich passt die braune nicht.“ Die Verkäuferin: „Doch, nehmen wir die blaue.“ Man: „Nein, ich hatte immer blaue, ich möchte mal etwas anderes.“ Sie sagt: „Genau, Sie brauchen Abwechslung, das macht das Leben interessanter.“
Das ist genau diese Art von Psychologie. Die Verkäuferin interessiert sich gar nicht wirklich für das, was einem am Herzen liegt, sie möchte einfach verkaufen. Genauso möchte der Therapeut einfach helfen.
Rogers führte außerdem die transzendente Psychologie ein. Er integrierte orientalische Mystik, Yoga, Meditation, Hypnose und parapsychologische Methoden in die Psychologie. Er setzte sich für Gruppendynamik ein und für Therapie bei Gesunden, um sie noch gesünder zu machen.
Jetzt wissen Sie, woher das kommt: Eine ganze Gruppe von Managern muss zum Psychologen. Warum? Sie haben keine Probleme – oder meinen zumindest, keine zu haben. Dennoch sollen sie noch besser werden, leistungsfähiger. Deshalb arbeitet man mit ihnen an Gruppendynamik, um zumindest zu erreichen, dass alle das gleiche Ziel verfolgen.
Rogers hat also auch sehr umstrittene Dinge ausprobiert. Er setzte sich zudem für die Zersetzung der Familie ein, die er als veraltete Gruppenverbindung ansah.
Hier kann man Kritik üben: Diese ganze psychologische Richtung ist stark auf das Ich, auf das Ego ausgerichtet. Das ist letztlich nach der Bibel Götzendienst, denn alles, was wichtiger ist als Gott, ist ein Götze.
Kinder, hütet euch vor den Götzen!
Biblische Sicht auf Sünde und psychische Gesundheit
Galater 5,19 ist ebenfalls hilfreich. Paulus schreibt dort: Offenbar sind die Werke des Fleisches, welche Hurerei umfassen. Das griechische Wort pornaia bezeichnet jeglichen Geschlechtsverkehr außerhalb des geschützten Bereichs der Ehe.
Die Sexualität ist nach der Bibel ein Geschenk, das Gott dem Menschen gegeben hat, jedoch nur im geschützten Bereich der Ehe. Dort kann sie sich auch normal über die Jahre entwickeln. Alles andere wird als Sünde angesehen.
Dazu gehören Hurerei, Unreinigkeit, Ausschweifung, Götzendienst und Zauberei. Das griechische Wort Pharmakaia bedeutete bei den alten Griechen Drogenmissbrauch. Später stand es auch für Magie. Jede Beschäftigung mit Esoterik und Okkultismus wird in der Bibel als Sünde dargestellt.
Weiter nennt Paulus Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Zank, Zwietracht, Sekten, Neid, Totschlag, Trunkenheit, Gelage und Ähnliches. Er sagt, dass diejenigen, die solche Dinge tun, das Reich Gottes nicht erben werden. Das ist die Aussage der Heiligen Schrift dazu.
Entwicklung der kognitiven Psychologie und ihre Bedeutung
Nun gehen wir weiter. Eine neue Richtung hat sich entwickelt: die kognitive Psychologie.
Schauen Sie sich Folgendes an: Am Anfang des 20. Jahrhunderts lagen die Zentren der Psychologie in Deutschland, Österreich und den USA. Doch ab 1933 geschahen sehr wichtige Veränderungen. Mit Hitlers Machtergreifung mussten viele Akademiker aus Deutschland fliehen, darunter viele Juden.
In der Pause habe ich ein brandenburgisches Konzert gespielt, dessen Dirigent Emil Kahn war. Emil Kahn war ein großer jüdischer Dirigent in Deutschland, der 1933 in die USA floh, um sich in Sicherheit zu bringen. In den 1950er Jahren kehrte er nach Deutschland zurück und dirigierte hier wieder Konzerte.
So verließen viele Akademiker, Künstler und Psychologen Deutschland und gingen in die USA. Dies löste an den amerikanischen Universitäten neue Diskussionen aus. Die europäischen Psychologen standen nun direkt im Kontakt mit den amerikanischen Kollegen und begannen, sich gegenseitig zu beeinflussen.
Die Folge war, dass man sich immer weniger nur an eine Richtung binden wollte. Stattdessen versuchte man, aus jeder Richtung das Beste herauszuholen. Die verschiedenen Ansätze begannen, sich anzupassen und sich zu nivellieren.
Wenn Sie heute Psychologie an einer Universität studieren, werden Sie nicht nur eine Richtung hören, etwa die Freudianer. Stattdessen hören Sie von verschiedenen Ansätzen. Sie können alles ausprobieren und sogar miteinander kombinieren. Man ist nicht mehr so fixiert auf eine einzelne Richtung.
Ulrich Neisser veröffentlichte 1967 ein Buch, das sehr wichtig für die neue Richtung, die kognitive Psychologie, ist. Der Begriff „kognitiv“ kommt vom Denken und Wahrnehmen. Diese Psychologie sagt: Der Mensch besteht nicht nur aus Trieben und Reflexen, wie es die Tiefenpsychologie oder der Behaviorismus behaupten. Es gibt auch Denken, Kombinieren, Erfassen von Zusammenhängen und Kreativität. Das hatte man früher oft nicht mehr gesehen. Nun wollen wir uns diesen Aspekten wieder zuwenden.
Wegbereiter dieser Richtung waren die Gestaltpsychologen wie E. C. Tollmann, Kurt Lewin – übrigens wieder ein Jude aus dem Stamm Lewi –, Christian Ehrenfels, Kurt Koffka und andere.
Diese Richtung hat etwas Positives bewirkt: Man hat das bewusste Denken neu entdeckt. Das ist ein wichtiger Aspekt unseres Menschseins. Natürlich ist es nicht das Einzige, wie man früher meinte, aber es ist etwas Bedeutendes, oder? Relativ wichtig, hoffe ich.
Jetzt wissen Sie auch, woher das Interesse an Intelligenztests kommt. Es stammt natürlich aus der kognitiven Psychologie, die sich damit beschäftigt, wie der Mensch denkt, lernt und Zusammenhänge wahrnimmt. So wurden viele interessante Zusammenhänge entdeckt.
Ja, das war die Geschichte der Psychologie bis heute.
Wirksamkeit der Psychotherapie und ihre Grenzen
Nun fragen wir uns drittens, welche die beste Therapie ist. Heute gibt es etwa 400 verschiedene Therapien, und in der Psychologie stellt man sich die Frage, ob sie eigentlich etwas nützen.
Eine sehr interessante Studie wurde 1952 von Aysenck veröffentlicht mit dem Titel „The Effects of Psychotherapy“ – also „Die Auswirkungen der Psychotherapie“. Dabei wurden Studien über behandelte Personen und solche, die nicht behandelt wurden, untersucht. Es handelte sich um Neurotiker, also seelisch Kranke.
Aysenck stellte fest, dass zwei Drittel der Betroffenen nach zwei Jahren wieder gesund sind oder eine starke Besserung zeigen. Es gibt keinen Beweis dafür, dass Psychotherapie etwas nützt. Auch bei denjenigen, die nicht behandelt wurden, geht es zu zwei Dritteln nach zwei Jahren besser. Das ist eigentlich eine sehr ermutigende Feststellung.
Das ist ganz ähnlich wie in der Medizin: Der Arzt ist es ja nicht, der uns gesund macht. Der Arzt gibt gewisse Unterstützung. Wenn man zum Beispiel die eigene Nordwand hinaufgeht und sich dabei ein Bein bricht, was dann? Der Arzt kann das Bein nicht selbst zusammenfügen. Aber der Schöpfer hat uns so wunderbar geschaffen, dass der Organismus selbst heilende und reparierende Mechanismen besitzt.
Man muss natürlich die Knochen möglichst gut richten, dann wächst alles von selbst wieder zusammen. Man kann wieder gehen und später die eigene Nordwand erneut hinaufklettern. Ein großer Teil der Medizin besteht eigentlich darin, die Reparaturmechanismen des Körpers zu unterstützen.
Eine bekannte Neurochirurgin in der Schweiz hat mir einmal gesagt, dass Ärzte in ihrer Arbeit nur zu zwei Dritteln effizient sein müssen. Der letzte Drittel hängt sowieso davon ab, dass sie ein gutes Verhältnis zu den Patienten haben, dass ein Vertrauensverhältnis besteht usw.
So ist es auch im seelischen Bereich: Offensichtlich gibt es auch hier Reparaturmechanismen. Es braucht vielleicht Geduld, aber in den meisten Fällen gibt es nach einiger Zeit automatisch eine Besserung. Das hat Aysenck festgestellt.
Diese Erkenntnis wurde jedoch nicht mit Freude aufgenommen. Es gab einen Streit über Jahre, bis in die sechziger Jahre hinein. Dann kam ein kluger Mann, Bergin, der 1966 ein Buch herausgab. Er stellte fest, dass Aysenck uns einigen Unsinn erzählt hat.
Denn viele der sogenannten unbehandelten Personen waren doch behandelt, auch wenn sie nicht zum Psychologen gingen. Sie sprachen mit Lehrern, Priestern, Predigern oder Ärzten über ihre Probleme. Man kann also nicht sagen, sie seien unbehandelt gewesen. Das stimmt nicht, was Aysenck behauptet hat.
Bergin veröffentlichte 1971 eine weitere Studie und schrieb, dass Therapien insgesamt einen mäßigen Nutzen haben. Das ist nicht gerade ermutigend, besonders für die Therapeuten. Aber er stellt auch fest, dass es viele gibt, denen es nach der Therapie schlechter geht.
Er kann also sagen, Behandlung nützt auf jeden Fall etwas. Aber unter Umständen kann Behandlung auch schaden. Das kann man sich gut vorstellen: Auf dem Divan muss man ja oft alles unreflektiert herauslassen. Man fühlt sich danach vielleicht besser, aber das ist nicht immer der Fall.
Bergin betont außerdem, dass die Behauptung über unbehandelte Personen nicht stimmt. Es ist ganz wichtig, über Probleme mit anderen Menschen zu sprechen, sich auszutauschen und eine Beziehung zu Personen zu haben, denen man vertraut.
Später kam es zu einer sehr umfangreichen Studie über die Nützlichkeit der Psychotherapie von Smith, Glass und Miller im Jahr 1980 mit dem Titel „The Benefits of Psychotherapy“ – „Die nützlichen Auswirkungen der Psychotherapie“. Diese Forscher untersuchten Zehntausende von behandelten Personen.
Sie stellten fest: Erstens haben Therapien einen nützlichen Effekt. Zweitens ist keine Therapie besser als eine andere. Das ist interessant: Therapien nützen etwas, aber es kommt nicht darauf an, welche Therapie man wählt. Drittens ist die Art der Ausbildung des Therapeuten unwichtig.
Es spielt also keine Rolle, ob der Therapeut einen Doktortitel hat, Magister ist oder nur einen Kurs besucht hat. Das ist vielleicht schockierend, aber Psychologen selbst sagen das. Die wirklich heilenden Faktoren liegen nicht in den psychologischen Theorien.
Irgendwie muss in allen Therapien etwas vorhanden sein, das hilft – aber es sind gerade nicht diese wichtigen Theorien. J. D. Frank hat herausgearbeitet, was die eigentlich heilenden Faktoren in der Therapie sind. Er listete sechs Punkte auf:
Erstens: Beziehung. Zweitens: Theorie. Drittens: Information. Viertens: die soziale Position des Therapeuten. Fünftens: der Erfolg des Patienten. Sechstens: die Katharsis.
Ich erkläre das: Erstens ist es ganz wichtig, dass jemand, der seelische Not hat, eine Beziehung zu einem anderen Menschen hat, mit dem er darüber sprechen kann. Das hilft auf jeden Fall. Es ist also hilfreich, wenn man über Probleme mit Eltern, Lehrern oder einem guten Onkel spricht.
Zweitens ist es wichtig, dass eine Theorie vorhanden ist. Zum Beispiel sagt jemand: Ich habe so einen Minderwertigkeitskomplex. Andere sagen dann: Ach so, das haben viele andere auch. Ich bin nicht der Einzige.
Oft ist es so, dass ältere Geschwister begabt sind, und man denkt: Warum nicht ich? Man kann das erklären und muss daraus kein Drama machen. Man hat andere Qualitäten, für die man dankbar sein kann. So wird das Problem in eine Theorie eingebaut, und das hilft.
Das hängt auch mit dem dritten Punkt zusammen: Information. Zum Beispiel: Andere haben genau dasselbe Problem. Ich bin nicht der Einzige. Ich habe wirklich gedacht, ich sei der Einzige, der so komisch denkt. Nein, viele haben das und sind wieder darüber hinweggekommen.
Viertens: die soziale Position des Therapeuten. Es ist nicht wichtig, ob er einen Magistertitel hat, aber es ist wichtig, dass der Hilfesuchende zu ihm aufschaut – zum Lehrer, Prediger, Psychologen oder wem auch immer. Die soziale Position ist wichtig, damit man denkt: Der weiß mehr über dieses Gebiet, wo ich das Problem habe, und kann mir helfen.
Fünftens: der Erfolg des Patienten. Zum Beispiel kommt ein Student in Behandlung und sagt: Ich fühle mich völlig am Boden, ich sehe alles schwarz, ich kann nicht mehr lernen. Der Therapeut fragt: Was essen Sie zum Mittagessen? Der Student antwortet: Manchmal McDonald’s, manchmal nichts, nur Brötchen. Abends isst er nicht unbedingt warm, weil er keine Zeit hat.
Der Therapeut fragt weiter: Was machen Sie sonst? Der Student antwortet: Ich muss studieren oder gehe aus. Wann gehen Sie schlafen? Der Student: Ganz verschieden, letzte Nacht zum Beispiel erst um zwei Uhr.
Der Therapeut sagt: Sie sollten etwas Struktur in Ihren Tagesablauf bringen. Das ist eine typische Studentendepression. Er schlägt vor: Gehen Sie für eine Woche nicht mehr zu McDonald’s. Sie dürfen zwischendurch wieder hingehen, aber nicht in dieser Woche. Sie müssen richtig essen, gehen Sie in die Mensa, das ist gesünder.
Zwei Wochen später fragt der Therapeut: Wie geht es Ihnen? Der Student antwortet: Nicht schlecht, viel besser. Das ist der Erfolg des Patienten, und er macht Mut, weiterzumachen.
Sechstens: die Katharsis, das heißt auf Griechisch „Reinigung“. Der Patient muss bereit sein, gewisse Dinge zu bereinigen und zu erkennen, dass manche Probleme erklärbar sind durch die Art, wie er gelebt und gedacht hat. Er muss bereit sein, Änderungen durchzuführen, und das hilft.
Das kann wirklich helfen: normal essen, normal schlafen.
Biblische Seelsorge und die ganzheitliche Sicht auf den Menschen
Jetzt kommen wir natürlich direkt, als Folge von dem, was wir gerade gesehen haben, wieder zur biblischen Seelsorge zurück.
Viertens: biblische Seelsorge und seelische Gesundheit. Sie haben gesehen, dass die Psychologie sich 130 Jahre lang mit der Frage beschäftigt hat, was der Mensch ist, und dennoch keine wissenschaftliche Antwort geben konnte. Man hat nur an der Oberfläche gekratzt, aber wirklich verstehen, was der Mensch ist, konnte man nicht.
Die Frage ist jedoch viel älter. König David fragt vor 3000 Jahren im Psalm 8, Vers 4: Was ist der Mensch? Das ist nicht so wie bei einem Philosophen, der im Park von einem Polizisten gefragt wird: Wer sind Sie? Und antwortet: Ach, wenn ich das wüsste – dabei wollte der Polizist ja nur die Identitätskarte sehen.
Wir haben gesehen, dass die Bibel sich als Gotteswort vorstellt. Die Bibel sagt, der Mensch ist erschaffen im Bild Gottes (1. Mose 1,27). Empirische Wissenschaft kann den Menschen nicht verstehen, weil sie die Existenz Gottes heute ignoriert. Gott ist in den empirischen Wissenschaften heute im Allgemeinen ein Tabu.
Aber wenn der Mensch im Bild Gottes geschaffen ist, wie will man ihn dann verstehen, wenn Gott völlig ein Tabu ist? Die Frage „Was ist der Mensch?“ ist direkt gekoppelt an die Frage „Wer ist Gott?“ Nur Gott kann uns durch Offenbarung zeigen, wer er ist und wer der Mensch ist.
Darum heißt es im Psalm 8, Vers 4: Was ist der Mensch? Die Bibel antwortet auf diese Frage und auch auf die Frage „Wer ist Gott?“ Sprüche 30, Vers 4: Agur Benjake stellt die Frage im Blick auf Gott: „Was ist sein Name und der Name seines Sohnes, wenn du es weißt?“ Der eingeborene Sohn Gottes wird schon im Alten Testament erwähnt. Wer ist das?
Die Bibel spricht darüber, dass der Mensch eine Einheit von Körper, Seele und Geist ist (1. Thessalonicher 5,23). Der Mensch ist mehr als nur Sexualität oder körperliche Reflexe. Die Bibel beschreibt umfassender die Realität von Körper, Seele und Geist und unterscheidet sogar zwischen Seele und Geist.
Diese Unterscheidung hat die Psychologie oft nicht gemacht. Häufig wurde aus Seele und Körper das Gleiche gemacht, alles sei physikalisch oder chemisch erklärbar. Die Bibel sagt: Nein, das ist nicht so. Diese drei Aspekte des Menschen bilden eine totale Einheit.
Wenn man sich zum Beispiel in den Finger klemmt, wirkt sich das mit der Zeit auch auf die Seele aus. Die Bibel spricht weiter über die Notwendigkeit, dass der Mensch eine Beziehung zu Gott haben muss. Fehlt diese Beziehung, sind Probleme vorprogrammiert.
Die Bibel ist eigentlich eine Gebrauchsanweisung zum wirklichen Menschsein. Wir sehen, dass die Missachtung göttlicher Gebote in Zusammenhang steht mit vielen seelischen Krankheiten. Jay Adams sagt dazu: Wenn es wirklich stimmt, was Freud sagt, nämlich dass man unmoralisch leben kann und dabei gesund bleibt, dann ist das heute genau das Gegenteil der Fall.
Menschen machen sich seelisch kaputt, wenn sie so leben. Die göttlichen Gebote, die diese Dinge regeln, sind nicht dazu da, uns zu plagen, sondern um uns zum richtigen Menschsein in der Beziehung zum Schöpfergott zu verhelfen.
Die Bibel zeigt zum Beispiel die Wichtigkeit, dass Ehebeziehungen gepflegt werden müssen. Man ist am Anfang bis über beide Ohren verliebt, aber Jahre später kann man sich hassen wie die Pest. Wie geht das?
Wie bei jedem Feuer: Das Holz ist irgendwann verbraucht. Was muss man tun? Neues Holz nachlegen. Es ist ganz einfach: Man muss die Ehebeziehung pflegen, ständig neues Holz nachlegen, und dann bleibt man zwanzig oder dreißig Jahre verliebt. Das lehrt die Bibel.
Die Bibel zeigt auch, dass Treue ein wichtiger Aspekt in zwischenmenschlichen Beziehungen ist – zwischen Ehepaaren, zwischen Eltern und Kindern. All diese Dinge fördern gesunde Familien.
Sie dürfen mich nicht falsch verstehen: Es gibt viele seelische Nöte und Krankheiten, die nicht mit falschem Verhalten zusammenhängen. Das ist etwas anderes.
Aber ich sage aus meiner Erfahrung in der Seelsorge: Als Seelsorger werde ich oft mit gewaltigen Nöten konfrontiert, manchmal Nöten, bei denen man fast durchdrehen könnte. Diese hängen ganz direkt mit dem Missachten der göttlichen Gebote in der Bibel zusammen.
Zahlenmäßig ist das vordergründig so. Unser ganzes Gesundheitssystem könnte gewaltig saniert werden, wenn unsere Gesellschaft hier eine Umkehr erleben würde. Aber das ist Theorie.
Ich sage nur: Wenn das geschehen würde, wäre das eine große Veränderung. Dennoch blieben immer noch andere Krankheiten, die damit nichts zu tun haben. Aber auch dafür gibt es Hilfe.
Kindererziehung gemäß biblischen Normen ist natürlich eine ganz wichtige Sache, damit Menschen sich gesund entwickeln können.
Gottes Trost in menschlicher Bedrängnis und die Rolle der Seelsorge
Aber was ist dann mit den Nöten, sowohl den selbstverschuldeten als auch den nichtverschuldeten? Die Bibel zeigt uns einen Gott, der mit uns fühlt. Das ist sehr eindrücklich.
In Jesaja 63 heißt es: „Von Gott in all unserer Bedrängnis war er bedrängt.“ Der ewige Gott fühlt sich bedrängt, wenn wir als Menschen bedrängt sind und bei ihm Zuflucht suchen wollen. Ja, Gott ist so groß, dass auch unsere kleinen Nöte, vergleichbar mit Kleinnöten, für ihn nicht zu klein sind.
Der Apostel Paulus schreibt in 2. Korinther 1: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Erbarmungen und Gott allen Trostes, der uns tröstet in all unserer Drangsal, damit wir die trösten können, die in mancherlei Drangsalen sind, mit dem Trost, mit welchem wir selbst von Gott getröstet worden sind.“
Das zeigt auch, dass die Nöte, die wir erleben, gar nicht einfach sinnlos sind. Es ist schwierig, aber wir müssen hindurch. Dann sehen wir plötzlich, dass es doch einen Sinn hat. So kann ich auch anderen helfen, die Ähnliches oder sogar dasselbe erleben.
Die Bibel gibt sehr konkrete Anweisungen für die Seelsorge. Es nützt sowieso, wenn man mit jemandem spricht, mit wem auch immer. Aber wenn man das Bewusstsein hat, dass Gott wirklich existiert und sich unserer Nöte annehmen will, dann haben wir in der Seelsorge weit mehr als all diese Theorien, die ja oft nichts genützt hätten.
In der Seelsorge haben wir alle heiligen Faktoren der Psychologie plus diesen allmächtigen Gott, der sich um uns kümmert. Er will uns nicht einfach die Nöte schnell wegnehmen, sondern uns durch die Nöte hindurchführen und helfen. Er will uns auch wirklich seine Hilfe und seine Lösung zukommen lassen.
Ich danke für das lange Zuhören.