Einführung und persönliche Begrüßung
Grüßt Sie miteinander! So sagt man, dort, wo ich studiere, in Basel, am theologischen Seminar Sankt Grishona. Dort bin ich seit drei Jahren, und jetzt darf ich bis nächsten Juni bei euch sein und den Pastorendienst ein bisschen besser kennenlernen.
Was für ein Segen, hier in dieser Gemeinde tätig sein zu dürfen – meine Frau, ich und, soweit ich das einschätzen kann, auch unsere kleine Tochter, sechs Monate alt. Wir fühlen uns hier sehr wohl.
In der Lesung ist es bereits angeklungen: Es geht heute um Weisheit. Jetzt weiß ich nicht, wie es euch geht, aber mir fällt es sehr viel leichter, unweise zu handeln als weise. Das habe ich erst gestern wieder gemerkt.
Wir leben gerade bei der Familie Lohmann im Haus. Zu diesem All-inclusive-Paket gehört auch der VW Passat der Familie. Und Matthias, falls du uns aus Amerika zuhörst: Jetzt wäre es gut, kurz wegzuhören.
Also, wir sind mit diesem VW Passat gestern zu meiner Familie gefahren, 200 Kilometer von hier auf die Schwäbische Alb. Zwanzig Kilometer vor dem Ziel, also am Fuße der Schwäbischen Alb, meldet sich der VW Passat mit der Stimme der Weisheit des Bordcomputers und sagt: „Das Öl ist leer, bitte sofort anhalten!“ Dazu ein lautes Piepen.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es keine Vorwarnung gegeben, kein Lämpchen geleuchtet, nichts. Und so habe ich mir gedacht: Ja, ja, red du mal, ich fahre jetzt schön weiter.
Ich habe also die Tankstelle rechts liegen lassen, den Parkplatz links liegen lassen und bin gemütlich die Alb hochgefahren. Der Bordcomputer hatte dann auch Einsehen, die Stimme der Weisheit verstummte. Und tatsächlich, Preis dem Herrn, wir sind oben auf der Schwäbischen Alb angekommen.
Denn mich hat es dann doch nicht ganz ruhig gelassen. Ich habe gedacht, ich muss jetzt doch mal checken, was da dran ist an dieser Stimme der Weisheit. Ich habe den Ölstand geprüft – und er war tatsächlich komplett leer.
Ich habe gedacht, vielleicht habe ich mich verguckt. Deshalb habe ich noch zwei Experten hinzugezogen, beide haben reingeschaut und getestet: leer. Wir haben dann drei Liter, glaube ich, nachgefüllt, und die Kiste war wieder voll.
Aber das ist so eine Geschichte aus der Kategorie „noch mal gut gegangen“. Das Teil hätte es ja auch zerfressen können auf dem Weg nach oben, auf die Schwäbische Alb.
Ich denke, solche Dinge passieren uns immer wieder: Wir verhalten uns unweise, und es geht noch mal glimpflich aus. Aber wahrscheinlich würdet ihr mir Recht geben, dass es früher oder später schiefgehen wird, wenn wir unser Leben auf solche unweisen Entscheidungen bauen und immer die Stimmen der Warnung ausblenden. Da werden wir scheitern.
Weisheit und Torheit im Buch der Sprüche
Unser heutiger Predigttext zeigt uns auf einer noch viel tieferen Ebene die Dynamik von Weisheit und Torheit. Diese geht weit über die Alltagsweisheiten hinaus, von denen ich euch gerade erzählt habe. Die Grundlage dafür finden wir in den Sprüchen Salomos.
Das Buch der Sprüche ist das Weisheitsbuch des Alten Testaments. Es ist so wichtig, dass es etwa hundertmal auch im Neuen Testament zitiert wird. Die Sprüche werden von Jesus und den Aposteln wieder aufgegriffen, weil sie so viel Weisheit enthalten – Gottes Weisheit für unser Leben.
Vor diesem Hintergrund möchte ich uns das Kapitel 9 vorlesen. Ihr findet es auf Seite 637 in den Lutherbibeln:
Die Weisheit hat ihr Haus gebaut und ihre sieben Säulen behauen. Sie hat ihr Vieh geschlachtet, ihren Wein gemischt und ihren Tisch bereitet. Dann sandte sie ihre Mägde aus, um zu rufen: „Oben auf den Höhen der Stadt, wer noch unverständlich ist, der kehre hier ein!“
Und zum Toren spricht sie: „Kommt, esst von meinem Brot und trinkt von dem Wein, den ich gemischt habe! Verlasst die Torheit, so werdet ihr Leben, und geht auf dem Weg der Klugheit!“
Wer den Spötter belehrt, der trägt Schande davon, und wer den Gottlosen zurechtweist, holt sich Schmach. Rüge nicht den Spötter, damit er dich nicht hasse. Rüge den Weisen, der wird dich lieben. Gib dem Weisen, so wird er noch weiser werden; lehre den Gerechten, so wird er in der Lehre zunehmen.
Der Anfang der Weisheit ist die Furcht des Herrn, und den Heiligen erkennen, das ist Verstand. Denn durch mich werden deine Tage viel werden, und die Jahre deines Lebens sich mehren.
Bist du weise, so bist du es dir zu gut; bist du ein Spötter, so musst du es alleine tragen.
Frau Torheit ist ein unbändiges Weib, verführerisch und weiß nichts von Scham. Sie sitzt vor der Tür ihres Hauses auf einem Thron, auf den Höhen der Stadt, und lädt alle ein, die vorübergehen und richtig auf ihrem Wege wandeln.
Wer noch unverständlich ist, der kehre hier ein! Und zum Toren spricht sie: „Gestohlenes Wasser ist süß, und heimliches Brot schmeckt fein!“
Er weiß aber nicht, dass dort nur die Schatten wohnen, dass ihre Gäste in der Tiefe des Todes hausen.
Struktur der Predigt und erste Betrachtungen zur Weisheit
Fünf Schritte entfalten sich, wobei ich ziemlich linear am Text entlanggehen werde. Einige kleine Ausnahmen werde ich machen.
Der erste Punkt ist die Einladung der Weisheit in den Versen 1 bis 6. Der zweite Punkt behandelt den Anfang aller Weisheit, die Furcht des Herrn, in Vers 10. Der dritte Punkt beschreibt die Dynamik von Weisheit und Torheit in den Versen 7 bis 9. Danach folgt die Einladung oder auch Versuchung der Torheit in den Versen 13 bis 18. Zum Schluss steht die Verheißung der Weisheit in den Versen 11 und 12.
Ich habe die Kernpunkte rot und etwas fetter markiert, damit die Predigt auch im Text leicht wiederzufinden ist.
In der Lesung ist es bereits angedeutet worden. Ja, das hatten wir schon, wir gehen weiter. Was für ein einladender und süffiger Text zu Beginn! Was für eine verlockende Einladung und Beschreibung der Weisheit, wie sie ruft und sagt: „Ich habe alles vorbereitet. Das Vieh ist geschlachtet, gutes Fleisch, guter Wein, der Tisch ist gedeckt.“ Auch die Säulen sind behauen, das heißt, es ist ein wunderschönes Haus, das in Perfektion erstrahlt.
Die Weisheit möchte ihre Party nicht alleine feiern. Nein, sie will sie mit anderen teilen und gemeinsam feiern – das ist schöner. Sie will sie mit Menschen teilen, die im übertragenen Sinn einen guten Tropfen lieben, die gerne ein Stück Fleisch essen und gutes Brot mögen.
Aber wo sind solche Leute, die dieser Einladung gerne folgen? Die erstmals ziemlich ernüchternde Antwort lautet: Wäre Gott kein gnädiger Gott, dann nirgendwo auf dieser ganzen Welt. Und wäre das Buffet der Weisheit noch so prächtig und die Einladung noch so herrlich, jeder würde lieber bei seiner eigenen Weisheit bleiben – bei seinem eigenen Konservenfraß.
Das lesen wir zum Beispiel bei Paulus im Römerbrief 3. Dort heißt es: Über die gesamte Menschheit – da ist keiner, der verständig ist, da ist keiner, der nach Gott fragt. Sie sind allesamt abgewichen und verdorben, da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer.
Wir sollten uns bewusst sein, dass die Rebellion gegen unseren Schöpfer unseren Geschmackssinn wirklich verdorben hat. Wir mögen Gottes Weisheit von Natur aus nicht, wir mögen unsere eigene Weisheit. Und weil wir uns vor Gottes Weisheit regelrecht ekeln, entsteht ein Leben in Unweisheit mit ganz furchtbaren Früchten.
Paulus beschreibt das ebenfalls im Römerbrief 3. Dort sagt er weiter über die gesamte Menschheit: „Ihr Rachen ist ein offenes Grab, mit ihren Zungen betrügen sie. Otterngift ist unter ihren Lippen, ihr Mund ist voll Fluch und Bitterkeit. Ihre Füße eilen, Blut zu vergießen, auf ihren Wegen ist lauter Schaden und Jammer, und den Weg des Friedens kennen sie nicht. Es ist keine Gottesfurcht bei ihnen.“
Das ist unser natürlicher Zustand.
Die Einladung der Weisheit an die Toren
Und jetzt die gute Nachricht aus Sprüche 9. Es gibt Weisheit für die Toren. Die Weisheit lädt selbst ein und schickt ihre Mägde aus, weil sie es nicht ertragen kann, dass wir in unserer Torheit verharren.
Sie schickt ihre Mägde. Und zu wem schickt sie diese Mägde? Schickt sie sie zu den Weisen und Verständigen dieser Welt, zu den Philosophen und zu den großen Bossen? Nicht wirklich. Es ist interessant, dass sie gerade zu den Unverständigen und zu den Törichten schickt.
Man könnte meinen, dass die Gelehrten viel empfänglicher für ihre guten Argumente, für die Argumente der Weisheit, sind. Aber nein, sie sind nicht empfänglich. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass die Intellektuellen oder diejenigen, die selbst wissen, was weise ist, ihren eigenen Weg gewählt haben.
Wir sehen es zum Beispiel bei den Intellektuellen unserer heutigen Zeit, die oft dem Atheismus anhängen und sagen: „Ich habe meine Weisheit gefunden. Leute waren auf dem Mond und haben festgestellt, da ist kein Gott.“ Deshalb glauben sie nicht an ihn, sondern sagen: „Ich bin mein eigener Gott.“
Aber es gibt auch eine fromme Unweisheit, von der wir oft im Neuen Testament lesen. Sie betrifft die Schriftgelehrten und Pharisäer. Diese meinten, Gott ganz genau zu kennen und haben Gott in eine kleine Box gepackt. Sie wussten genau: So ist Gott, so ist er nicht. Auf dieser Basis haben sie ihre eigenen Gesetze und Regeln gemacht und sich in ihrer Weisheit über Gottes Weisheit gestellt.
Jesus hat verschiedene Bilder für jene gebraucht, die sich für weise halten. Er nannte sie die Starken, die scheinbar keinen Arzt brauchen. Er bezeichnete sie als Blinde, die sich aber selbst für sehend halten und deshalb in ihrer Sünde gefangen bleiben.
Wir erkennen in der Einladung der Weisheit, dass nur der Weisheit bekommen kann, der sich von Gott an den Tisch der Weisheit einladen lässt. Keiner kann das durch seine intellektuellen Bestrebungen erreichen. Wir brauchen Gottes Offenbarung an seinem Tisch der Weisheit.
Der Anfang der Weisheit: Gottesfurcht
Und wo fängt die Weisheit an? Laut Vers 10 ist der Anfang der Weisheit die Furcht des Herrn und den Heiligen erkennen, das ist Verstand. Es heißt also, Gottesfurcht steht am Anfang unserer Weisheit.
Wir müssen Gottesfurcht verstehen. Das ist ein alter Begriff, den wir nicht mit Angst verwechseln dürfen. Gottesfurcht bedeutet, dass ich Gottes Platz kenne, dass ich weiß, was ihm gebührt, wo er steht, und dass ich mich im Verhältnis zu Gott einordnen kann – in aller Demut.
Ein Theologe hat es einmal so beschrieben, was Gottesfurcht ist: Er sagte, Gott fürchten heißt, Gott als Gott anzuerkennen in seiner Erhabenheit und Macht. Gott ist der Schöpfer, von dem unser Leben in jedem Augenblick abhängt, und der Richter, vor dem nichts verborgen bleibt.
Gott zu fürchten heißt, dass ich das Verhältnis richtig sehe und erkenne, dass alles bei ihm anfängt. Jesus Christus hat das selbst gesagt. In Matthäus 11, wo er sagt: „Niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will.“ Deshalb erkennen wir Gott und lernen, ihn zu fürchten – auch dort, wo Jesus das Größte getan hat, was er für uns Menschen tun konnte: am Kreuz auf Golgatha.
Wir lernen Gott dort zu fürchten und ihn auf mindestens drei unterschiedliche Weisen kennen. Wenn wir auf das Kreuz schauen, erkennen wir erstens, dass Gott so heilig und gerecht ist, dass er unsere Sünde, unsere Gottesferne und unsere Rebellion gegen den Schöpfer nicht einfach übersehen kann. Er kann sie auch nicht ungestraft lassen und will es auch nicht.
Wenn ich auf das Kreuz schaue, erkenne ich: Ja, so schlimm ist es um mich bestellt, so verdorben bin ich, dass der Tod notwendig ist. Zweitens erkenne ich, wenn ich auf das Kreuz schaue, auch Gottes Liebe und seine Gnade. Er sagt nicht: „Du, Matthias, oder du, Christine, oder du, Johann, ihr müsst das erleiden, auch wenn ihr es verdient hättet.“ Sondern er sagt: „Ich trage es für dich, was du nicht tragen kannst.“ Jesus trägt unsere Last am Kreuz – welche Liebe und Gnade für uns!
Drittens begegnet uns dort auf Golgatha am Kreuz auch Gottes vollkommene Weisheit. Im 1. Korinther 1,18 heißt es: Das, was da passiert ist, halten die Weisen für töricht. Sie fragen sich: Was soll mir dieser Jesus am Kreuz bringen? Was soll mir der Tod eines Menschen nützen? Ich muss es selbst auf die Reihe kriegen, oder es gibt keinen Gott.
Aber wer auf das Kreuz schaut, dort seine eigene Sündhaftigkeit erkennt und Gottes Liebe und Gnade sieht, der erkennt auch, was für ein vollkommen weiser Weg das ist – der einzige weise Weg, der dich und mich retten und zum Vater bringen kann.
Deshalb lernen wir auf Golgatha zuallererst Gottesfurcht – erst dort, durch die Begegnung mit Jesus Christus. Es ist wichtig, dass wir diesen Vers vor die anderen Verse sieben bis neun stellen, denn sonst würden wir sie ganz allgemein lesen.
Die Dynamik von Weisheit und Torheit im Umgang mit Ermahnung
Wer von uns kennt nicht Menschen, mit denen es sehr mühsam ist, sich zu unterhalten oder sie zu belehren? Sie blocken sofort und sagen: „Ach, ich will nichts von deinen Belehrungen hören, mir doch egal, ich mache mein Ding.“ Diese Haltung steckt in uns Menschen drin; es ist eine allgemeine Dynamik.
In den Versen 7 bis 9 geht es direkt um die Dynamik zwischen dem Gottlosen, der nicht glaubt und deshalb töricht ist, und dem Weisen, der sich Gott anvertraut hat und die Einladung gehört hat. Wir leben in einem Land, in dem nur wenige nach Gottes Willen fragen. Vielleicht habt ihr schon erlebt, dass ihr jemanden mit Gottes Willen konfrontiert habt, der aber gar nichts von Gott wissen will.
Vielleicht habt ihr einen Sohn, der unehelich mit seiner Freundin zusammenlebt, und ihr habt ihm gesagt: „Hey, Gott will das nicht, Gott möchte, dass Mann und Frau in der Ehe zusammenleben.“ Aber der Sohn lacht nur und sagt: „Ihr Alten, erzählt mir doch was Neues, heute macht man das eben so.“ Und er lässt euch blöd dastehen.
Vielleicht habt ihr Freunde, die sich regelmäßig die Kante geben und sich bis zum Delirium besaufen. Ihr sagt ihnen: „Hey, Gott hat etwas Besseres für dich vorbereitet. Benebel doch nicht deine Sinne mit Alkohol, das will Gott nicht.“ Aber sie lachen euch aus, wenden sich ab und machen ihr eigenes Ding. Ihr habt nichts gewonnen.
Ich glaube, bevor wir Menschen über ein gutes Leben oder ethische Maßstäbe belehren, sollten wir uns den Vers 10 zu Herzen nehmen. Wir sollten sagen: Nach dem, was die Bibel an Geboten und Weisungen für das Leben bereithält, kann erst einer fragen, der Jesus Christus kennt, der Gott kennt. Deshalb ist es viel wichtiger, Menschen zu Jesus einzuladen, dorthin ans Kreuz.
Wir sollten nicht nur Symptome oder einzelne Verfehlungen bekämpfen. Das werden sie selbst erkennen; der Geist wird sie überführen. Es kann sein, dass es auch mal an uns ist, ein Wort der Ermahnung zu sprechen, wenn sie mit Jesus unterwegs sind. Aber zuerst und vor allem kommt die Beziehung zum lebendigen Gott.
In den Versen 7 bis 9 erkennen wir auch einen Auftrag an uns selbst, wie wir uns gegenüber Ermahnungen verhalten können und sollten, wenn wir weise sein wollen. Es heißt: „Rüge den Weisen, der wird dich lieben. Gib dem Weisen, so wird er noch weiser werden. Lehre den Gerechten, so wird er in der Lehre zunehmen.“
Es gibt ein falsches Verständnis vom Leben aus der Gnade, das sagt: Es kommt nur auf die Gnade an und auf den Glauben, was du tust, ist egal. Warum ist dieses Verständnis falsch? Weil es Glauben und Tat gegeneinander ausspielt. Es sagt, nur der Glaube an Jesus Christus zählt, und deine Taten sind egal.
Unser Glaube zeigt sich jedoch darin, wie wir leben und handeln, indem wir nach Gottes Willen fragen. Nicht immer perfekt, denn wir können gar nicht alles erfüllen, was Gott uns an Weisungen für das Leben gibt. Wir werden immer wieder scheitern. Wahrscheinlich merken wir, je länger wir mit Jesus unterwegs sind, desto schwerer fällt es uns, in seinen Wegen zu wandeln.
Aber Glaube und Tat gehören zusammen. Das hat Jesus in der Bergpredigt deutlich gemacht, als er Wegweisung für die, die mit ihm unterwegs sind, gab. Die Tat ist nicht egal oder sinnlos, sondern dient uns zur Weisheit und Gott zur Ehre.
Ich kenne selbst sehr gut den Reflex, Ermahnungen von mir wegzudrücken und zu sagen: „Werde doch erst mal selber perfekt, bevor du mir irgendwas an Ermahnung mit auf den Weg gibst.“ Vielleicht kennt ihr das auch. Ich glaube, das ist zutiefst in uns drin: Wir wollen uns rechtfertigen und Ermahnungen nicht annehmen.
Selbstverständlich ist auch nicht jede Ermahnung in unserem Leben berechtigt. Es gibt sehr wohl Ermahnungen, die fehl am Platz sind. Doch in fast jeder Ermahnung steckt auch ein Fünkchen Weisheit, ein Fünkchen Wahrheit. Wenn wir das finden, können wir auf dem Weg der Heiligung vorangehen. Wenn wir es nicht von uns wegdrücken, sondern es vor Gott bringen, prüfen, auch an der Schrift prüfen und ernsthaft über die Ermahnung nachdenken.
Der Prediger Charles Spurgeon hat einmal gesagt: „Bring einen Freund dazu, dass er dir deine Fehler vorhält, oder besser noch, lad einen Feind ein, der genau auf die Finger schaut und dich roh mit deinen Schwächen konfrontiert.“ Was für ein Segen wird ein solcher scharfer Kritiker für einen Weisen sein! Ziemlich heftige Worte eigentlich.
Ich bitte meine Frau und Freunde immer mal wieder darum, mir solche Wegweisung zu geben und mich mit meinen Schwächen zu konfrontieren. Vor kurzem habe ich ein sehr schönes Erlebnis gehabt. Ein Freund, der mich vor ein oder zwei Jahren ermahnt hat, sagte: „Du, wenn du in der Gruppe auftrittst, bist du sehr rechthaberisch. Alle sind irgendwann ruhig, aber nicht, weil sie dir zustimmen, sondern weil sie sich denken: ‚Besser jetzt nichts mehr sagen, damit es ein schnelles Ende findet.‘“
Dieser Freund kam vor wenigen Wochen zu mir und sagte: „Hey, ich sehe, es hat sich wirklich was getan. Ich sehe, es ist noch ein weiter Weg, es gibt immer noch viel zu tun, aber es ist etwas passiert.“ Es wäre nichts passiert, wenn er nicht seinen Mund aufgemacht hätte. Und wenn ich es nicht geprüft hätte.
Ich möchte euch damit Mut machen, Ermahnungen ernst zu nehmen, darüber nachzudenken und sie wirklich vor Gott zu bringen. Was ist dran? Kann ich in diesem Bereich wachsen? Wenn wir Ermahnungen als Chance zum Wachstum sehen, als Gottes Stimme, dann kann wirklich etwas passieren.
Weisheit durch das Studium der Schrift
Ein zweiter Gedanke, wie wir in der Weisheit wachsen können, ist ziemlich naheliegend: im Studium seines Wortes.
Wir können bei den Sprüchen anfangen, denn dort finden sich sehr praktische Hinweise für den Alltag. Danach können wir in den anderen 65 Büchern weiterlesen. Dort werden wir viel Wegweisung und viel Weisheit finden.
Mir ist dabei der Reformator Martin Luther ein großes Vorbild. Er hat mit 62 Jahren auf seinem Sterbebild sein letztes Werk geschrieben. Es war kein großes Buch, kein Roman, sondern einfach ein kleiner Zettel. Darauf hat er sinngemäß geschrieben: Wer Vergil verstehen will – das ist ein Autor, der über Landwirtschaft geschrieben hat – der muss mindestens fünf Jahre selbst Landwirt gewesen sein, um zu verstehen, was Vergil geschrieben hat.
Oder wer Cicero verstehen will, einen römischen Politiker, der auch viel veröffentlicht hat, der sollte ihn nicht nur lesen, sondern selbst zwanzig Jahre Politiker gewesen sein, mindestens, um Cäsars Werke wirklich zu verstehen.
Und wer die Bibel verstehen will, wer die Weisheit der Bibel erkennen will, der muss mindestens hundert Jahre Christ gewesen sein, um die Weisheit der Bibel zu erkennen. Keiner von uns schafft das.
Es gibt hier eine alte Schwester, Gisela Schürmann, 93 Jahre alt. Ich habe einmal zu ihr gesagt: „Gisela, du könntest das vielleicht schaffen.“ Darauf hat sie geantwortet: „Ach, ich bin erst sechzig Jahre mit dem Herrn unterwegs.“ Selbst die Gisela mit ihren dreiundneunzig Jahren schafft das nicht.
Die Versuchung der Torheit
Wir sehen, dass aber noch jemand um uns wirbt, und zwar in den Versen dreizehn bis achtzehn. Das ist die Torheit. Sie wird ähnlich verlockend beschrieben wie die Weisheit.
Die Torheit hängt vor ihrem Haus ab, macht den Männern wahrscheinlich schöne Augen und zeigt den Frauen vielleicht ein bisschen Schmuck. Sie lädt ein: „Kommt zu mir rein, bei mir ist es gut.“ Wörtlich sagt sie: „Gestohlenes Wasser ist süß und heimliches Brot schmeckt fein.“
Sie spielt mit dem Reiz des Anrüchigen, des Verbotenen, und sie weiß genau, dass wir Menschen dafür empfänglich sind. Das lernen wir schon als Kinder: Wir sind empfänglich für das Verbotene.
Ich erinnere mich noch gut an meine Kindheit. Mir wurden verschiedene Serien verboten, die ich nicht zu Hause schauen durfte. Das hinderte mich aber nicht daran, zu Freunden zu gehen und sie dort anzusehen. Das war das Verbotene, und das machte es interessant.
Auch der Alkohol schmeckte am besten, als er noch nicht erlaubt war – mit fünfzehn Jahren war es am besten. Doch nicht nur Kinder und Jugendliche sind anfällig für den Reiz des Verbotenen, auch Erwachsene sind es.
Erst letzte Woche gab es auf Spiegel Online eine große Überschrift: „32 Millionen Adressen geklaut von einer Seitensprung-Firma“. Diese Firma wirbt im Internet mit dem Slogan: „Wir arrangieren deinen Seitensprung und sorgen dafür, dass er heimlich bleibt.“
32 Millionen Menschen haben sich dort angemeldet und wollten diesen Service nutzen. Der Slogan der Firma lautet auch passend: „Das Leben ist kurz – gönn dir eine Affäre.“ Das klingt ganz ähnlich wie das, was die Torheit uns hier zuruft: „Gönn dir eine Affäre!“
Egal wie die Versuchung aussieht, im Tiefsten steckt dahinter die Aussage: „Sei dein eigener Herr, mach dein eigenes Ding.“ Ich kann mir gut vorstellen, dass sich von dieser Seitensprung-Firma auch Kirchgänger haben einladen lassen.
Wir sind alle anfällig für die Torheit. Wenn nicht in dieser Form, dann doch auf irgendeine andere Art und Weise. Es ist eine Einladung, die auch uns nicht kaltlässt und uns immer wieder versucht. Deshalb sollten wir uns bewusst sein, dass auch die Torheit in dieser Welt einlädt.
Schutz vor der Torheit durch Gottes Weisheit und Gnade
Danken wir Gott, dass wir der Torheit nicht schutzlos ausgeliefert sind. Wir sind nicht schutzlos, denn es gibt mindestens drei gute Gründe, warum Gott uns selbst beschützt.
Den ersten erkennen wir in Sprüche 9, in dem Text selbst, in diesen Versen. Dort zeigt uns Gott die Wahrheit über die Torheit. Im letzten Vers, Vers 18, stellt Gott uns vor Augen, was im Haus der Torheit letztendlich auf uns wartet: der Tod. Letztendlich das Verderben, wenn wir auf die Lügen hereinfallen, die uns die Torheit einflüstern möchte. Was für ein Geschenk, dass Gott uns das auf diese Weise vor Augen führt.
Als zweites ist uns Gottes Weisheit auch ein Schutz vor der Torheit, weil er uns eine mächtige Waffe gegeben hat: sein eigenes Wort. In Epheser 6, Vers 17 heißt es, dass das Wort das Schwert ist, mit dem wir kämpfen können. So können wir den Angriffen der Torheit und der Versuchung des Satans kraftvoll widerstehen. Ja, im Glauben geführt, kann dieses Schwert wirklich Wunder bewirken. Das sehen wir bei unserem Herrn Jesus Christus selbst, der den Angriffen der Torheit und der Versuchung in der Wüste kraftvoll begegnen konnte – mit dem Wort Gottes.
Merken wir, wie wichtig es ist, das Wort Gottes zu kennen. Nicht nur oberflächlich, nicht nur meine zehn Punkte, an denen ich mich festhalten kann, sondern wirklich tief.
Am wichtigsten aber ist Gottes Weisheit auch unser Schutz, weil er dort, wo wir der Lüge der Torheit verfallen sind und den Weg der Torheit gegangen sind, Gnade für uns bereithält. Gnade für unseren verfehlten Weg. Denn er sagt: „Hey, du bist der Torheit verfallen.“ Aber in den ersten sechs Versen ruft die Weisheit: „Wer töricht ist, der kehre hier ein.“ Das heißt: Wenn du deine Torheit erkennst, wenn du erkennst, es war töricht, mich bei dem Seitensprung-Portal anzumelden oder andere Dinge zu tun, die du vielleicht nicht für so töricht hältst, wie dich bei so einem Portal anzumelden, dann komm zurück an den Tisch der Weisheit Gottes.
Gnade reicht jetzt, heute. Sie reicht.
Deshalb gefällt mir auch dieser Spruch so gut von deinem Kühlschrankmagnet: „Wenn ein Tor fällt, dann richtet Gott ihn wieder auf.“ Das ist der Punkt: Seine Gnade reicht. Und die Gnade entspringt seiner Weisheit – oder seine Weisheit der Gnade, ich kann es gar nicht sagen.
Verheißungen für die Weisheitssuchenden
Zum Schluss zwei Verheißungen für diejenigen, die sich der Weisheit an den Hals werfen und der Torheit einen Korb geben. Ich lese noch einmal die Verse elf und zwölf:
Denn durch mich werden deine Tage viel werden, und die Jahre deines Lebens sich mehren.
Bist du weise, so bist du es dir zu gut; bist du ein Spötter, so musst du es allein tragen.
Das Erste ist: Wenn wir mit Weisheit, wenn wir nach Gottes Weisheit suchen und mit ihr unterwegs sind, dann wird sich das Segensreich für unser Leben hier auf Erden auswirken – in guten und in schweren Zeiten. Es wird gut sein, mit Gottes Weisheit unterwegs zu sein.
Jesus hat in der Bergpredigt entfaltet, was es heißt, ein Leben nach Gottes Weisheit zu führen. Am Ende seiner Predigt sagt er:
Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.
Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein, denn es war auf Fels gegründet.
Ja, wer sich nach Gottes Wort richtet, der profitiert selbst davon. So heißt es auch in Sprüche 9: Bist du weise, dann bist du es dir zu gut. Du bist der Erste, der etwas davon hat, nach Gottes Weisheit zu leben. Und dann gibt es ganz viele, die gesegnet sind, wenn du ihnen in Gottes Weisheit begegnest.
Zweitens liegt eine noch größere Verheißung auf dem Weg der Weisheit. Das lesen wir in Vers elf, wo es heißt, dass sie deine Tage mehren wird.
Heute Abend sind nicht so viele ältere Geschwister da. Es ist ein Segen, alt werden zu dürfen hier auf dieser Erde. Es ist ein großer Segen, wenn Gott das schenkt. Aber wir wissen auch, dass gläubige Menschen manchmal früh sterben. Es ist keine Versicherung für ein langes Leben, mit Gott unterwegs zu sein.
Und doch, wenn wir diese Verse als eine Ewigkeitsperspektive verstehen, dann mehren sich die Tage deines Lebens ins Unendliche, wenn du auf Gottes Weg gehst. In alle Ewigkeit werden wir mit unserem Schöpfer und unserem Heiland vereint sein.
Haben wir diese Perspektive, wenn wir unseren Alltag leben? Haben wir den Blick auf das Beste, was noch kommt? Wenn wir diese Perspektive öfter einnehmen, glaube ich, wird das uns helfen, unser Leben weiser zu gestalten, auf Dinge zu verzichten, der Torheit einen Korb zu geben und mit der Weisheit unterwegs zu sein.
Ich möchte euch dazu ermutigen: Schaut auf Gottes Weisheit, schaut nicht auf das, was ihr auf dieser Erde verpasst. Schaut auf ihn und werdet klug. Amen.