Einführung in das Buch Ruth und seine historische Einordnung
Wir haben heute Morgen das Buch Ruth vor uns. Es ist quasi eine Pflicht, die wir nachholen müssen, denn bisher haben wir alle historischen Bücher in der Übersicht behandelt – von 1. Mose bis 1. und 2. Könige, Ezra und Nehemia. Alles haben wir in der Übersicht gesehen, außer das kleine Buch Ruth, das eigentlich eine Art Anhang zum Buch der Richter ist.
Ich lese zu Beginn das erste Kapitel vor:
„Und es geschah in den Tagen, als die Richter richteten, da entstand eine Hungersnot im Lande. Ein Mann von Bethlehem in Juda zog hin, um sich in den Gefilden Moabs aufzuhalten – er und seine Frau und seine beiden Söhne. Der Name des Mannes war Elimelech, der Name seiner Frau Noomi und die Namen seiner beiden Söhne Machlon und Kiljon. Sie waren Ephratiter von Bethlehem in Juda. Sie kamen in die Gefilde Moabs und blieben dort. Elimelech, der Mann Noomis, starb, und sie blieb mit ihren beiden Söhnen übrig.
Diese nahmen sich moabitische Frauen. Der Name der einen war Orpa, der der anderen Ruth. Sie wohnten dort zehn Jahre. Dann starben auch die beiden Söhne, Machlon und Kiljon, und die Frau blieb allein übrig – von ihren beiden Söhnen und von ihrem Mann.
Sie machte sich auf, sie und ihre Schwiegertöchter, und kehrte aus den Gefilden Moabs zurück. Denn sie hatte im Gefilde Moabs gehört, dass der Herr sein Volk heimgesucht habe, um ihnen Brot zu geben. So zogen sie aus dem Ort, wo sie gewesen waren, und ihre beiden Schwiegertöchter zogen mit ihr. Sie machten sich auf den Weg, um in das Land Juda zurückzukehren.
Da sprach Naomi zu ihren beiden Schwiegertöchtern: ‚Geht, kehrt um, jede zu dem Haus ihrer Mutter! Der Herr erweise Güte an euch, so wie ihr sie an den Verstorbenen und an mir erwiesen habt. Der Herr gebe euch, dass ihr Ruhe findet, jede in dem Haus ihres Mannes.‘
Sie küsste sie, und sie erhoben ihre Stimme und weinten. Sie sprachen zu ihr: ‚Doch wir wollen mit dir zu deinem Volk zurückkehren.‘
Naomi sprach: ‚Kehrt um, meine Töchter, warum wollt ihr mit mir gehen? Habe ich noch Söhne in meinem Leib, dass sie euch zu Männern werden könnten? Kehrt um, meine Töchter, geht! Denn ich bin zu alt, um eines Mannes zu werden. Wenn ich auch heute Nacht eines Mannes würde und Söhne gebären sollte – wolltet ihr deshalb warten, bis sie groß würden? Wolltet ihr euch deshalb abschließen, dass ihr keines Mannes würdet? Nicht doch, meine Töchter! Denn mir ergeht es viel bitterer als euch, denn die Hand des Herrn ist gegen mich ausgegangen.‘
Da erhoben sie ihre Stimme und weinten wiederum. Orpa küsste ihre Schwiegermutter, Ruth aber hing ihr an.
Naomi sprach: ‚Siehe, deine Schwägerin ist zu ihrem Volk und zu ihren Göttern zurückgekehrt. Kehre um, deine Schwägerin nach.‘
Aber Ruth sprach: ‚Dringe nicht in mich, dich zu verlassen und hinter dir wegzugehen! Denn wohin du gehst, will ich gehen, und wo du weilst, will ich weilen. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, will ich sterben, und dort will ich begraben werden. So soll mir der Herr tun und so hinzufügen – nur der Tod soll scheiden zwischen mir und dir.‘
Als Naomi sah, dass sie fest darauf bestand, mit ihr zu gehen, ließ sie ab, ihr zuzureden. So gingen beide, bis sie nach Bethlehem kamen.
Es geschah, als sie nach Bethlehem kamen, da geriet die ganze Stadt ihretwegen in Bewegung. Sie sprachen: ‚Ist das Naomi?‘
Sie sprach zu ihnen: ‚Nennt mich nicht Naomi, meine Liebliche! Nennt mich Mara, die Bittere! Denn der Allmächtige hat es mir sehr bitter gemacht. Voll bin ich gegangen, und leer hat mich der Herr zurückkehren lassen. Warum nennt ihr mich Naomi, da der Herr gegen mich gezeugt und der Allmächtige mir Übles getan hat?‘
So kehrte Naomi zurück, und Ruth, die Moabitin, ihre Schwiegertochter, kehrte mit ihr aus den Gefilden Moabs zurück. Sie kamen nach Bethlehem beim Beginn der Gerstenernte.“
Die Zeit der Richter und die Bedeutung des Buches Ruth
Das Buch Ruth lässt sich wie folgt zusammenfassen: Es spielt in der von Anarchismus geprägten Zeit der Richter, und zwar in den Tagen, als die Richter richteten. Die Zeit der Richter war eine Zeit der Anarchie. Der letzte Vers, der als Refrain viermal im Richterbuch vorkommt, lautet: „In jenen Tagen war kein König in Israel. Ein jeder tat, was recht war in seinen Augen“ (Ri 21,25).
Das Buch Ruth bildet eine Brücke von dieser Periode bis zur Einführung des Königtums unter David. Auf diese Weise verbindet es das Buch der Richter mit den Büchern Samuel, Könige und Chroniker. Es ist ein wichtiges Bindeglied in der Heilsgeschichte.
Die Geschichte Ruths zur Zeit der Richter ist wie eine Perle auf schwarzem Hintergrund. Als wir das Buch Richter durchgenommen haben, haben wir gesehen, dass es eine Zeit des totalen Zerfalls war, und zwar immer tiefer, eine Zeit der Perversion und eben der Anarchie. Vor diesem Hintergrund erscheint die Geschichte Ruths besonders lieblich.
Das Buch Ruth zeigt, wie eine Familie aus dem Volk Gottes, die den ihnen von Gott angewiesenen Platz verlassen und gegen göttliche Verbote verstoßen hatte, unweigerlich unter Gottes Zucht kommen musste. Dies wird in Kapitel 1 dargestellt.
Auf der anderen Seite erzählt es die Geschichte einer jungen Frau, die nicht zum Volk Gottes gehörte und dem wahren Gott einst fern war. Doch weil sie sich von ihren falschen Göttern abwandte und ihr Herz ganz dem Gott Israels weihte, kam sie unter den gewaltigen Segen des Herrn.
Wir haben in Kapitel 1 gelesen, wie Ruth entschlossen war, nach Israel auszuwandern. Vers 16 sagt: „Aber Ruth sprach: Dringe nicht in mich, dich zu verlassen und von dir umzukehren. Denn wohin du gehst, will ich gehen, und wo du bleibst, will ich bleiben. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“
Diese Entscheidung brachte sie unter den Segen Gottes. Sie wurde im Volk Gottes aufgenommen, konnte also als Moabitin ins Judentum übertreten. Sie durfte eine glückliche Ehe mit Boas eingehen, einem Großgrundbesitzer in Bethlehem, wie wir noch sehen werden. Schließlich wurde sie in Bethlehem Stammmutter des Königs David.
Ruth als Stammmutter Davids und des Messias
Das ist doch erstaunlich. Wir lesen dazu in Kapitel 4, Verse 17-22: Ruth heiratet schließlich Boas, einen Juden, und wird dadurch selbst Jüdin. Sie bekommt ein Kind. Die Nachbarinnen gaben dem Kind einen Namen und sagten: „Ein Sohn ist der Naomi geboren, also quasi der Großmutter zugerechnet.“ Sie gaben ihm den Namen Obed. Er ist der Vater Isais, des Vaters Davids, des Königs David.
Und dies sind die Geschlechter des Peretz: Peretz zeugte Hetzron, Hetzron zeugte Ram, Ram zeugte Aminadab, Aminadab zeugte Nachschon, Nachschon zeugte Salma, Salmon zeugte Boas, Boas zeugte Obed, Obed zeugte Isai, und Isai zeugte David.
Ruth wurde also die Urgroßmutter von König David.
In diesem Zusammenhang ist das eine interessante Sache, denn heute ist die Frage „Wer ist Jude?“ eine sehr brennende Frage – gerade auch, wenn es darum geht, wer heute israelisches Bürgerrecht erhalten darf. Hierüber ist man sich nie einig geworden. Ben Gurion sagte einmal, Jude sei, wer sich jüdisch fühlt. Üblicherweise wird heute aber gesagt, Jude ist, wer eine jüdische Mutter oder eine jüdische Großmutter hat.
Das führt jedoch zu Problemen, wenn man sagen muss, dass König David eine nichtjüdische Großmutter hatte. Bei der Abstammung über den Vater gilt heute, dass man nur dann Jude ist, wenn man das Judentum praktiziert, falls nur der Vater Jude ist, die Mutter aber nicht. Hat man dagegen eine jüdische Mutter, ist man automatisch Jude.
Natürlich hängt das auch damit zusammen, dass man heute keine Geschlechtsregister mehr führt. Die Mutterschaft ist einfacher zu überprüfen als die Vaterschaft – das liegt in der Natur der Sache. Man kann außerdem argumentieren, dass die Mutter die Kinder seelisch und in ihren Ansichten oft mehr prägt als der Vater. Deshalb gilt: Wenn die Mutter jüdisch ist, ist man automatisch Jude, unabhängig davon, ob man das Judentum praktiziert oder nicht.
Nun, bei König David müsste man sagen, dass sein Jude-Sein nach dieser Definition sogar problematisch ist, denn seine Urgroßmutter war eine Moabitin. Aber das nur am Rande.
Ruth wurde also Stammmutter des Königs David und damit auch Stammmutter des Herrn Jesus Christus. Das gilt sowohl über die Königslinie von Joseph, die in Matthäus 1,1-17 beschrieben wird, als auch über die biologische Linie Marias, die in Lukas 3,23-32 aufgeführt ist.
Über Boas und Ruth führt die Linie auf König David zurück. Von dort zweigt die Königslinie ab über Salomo. Aus dieser Linie stammen alle jüdischen Könige, die ein Recht auf den Thron hatten. Später stammt auch Joseph aus dieser Linie.
Maria hingegen kam aus einer Seitenlinie. Ein Sohn Davids hieß Nathan, ein Bruder Salomos. Über diese Linie kommt Maria. Daher ist Ruth Stammmutter des Messias, sowohl über die Königslinie Josephs, die die gesetzliche Linie darstellt, als auch über die biologische Linie Marias.
Nebenbei sei gesagt: Joseph, obwohl er aus der Königslinie stammte, hatte kein Anrecht auf den Königsthron. Der letzte König in dieser Linie vor der babylonischen Gefangenschaft war Jechonia. Dieser wurde wegen seines gottlosen Lebens unter einen göttlichen Fluch gesetzt (Jeremia 22, letzter Abschnitt). Dort heißt es, dass niemals ein Same, also ein biologischer Nachkomme Jechonias, auf dem Thron sitzen wird.
Deshalb hätte Joseph nie König werden können, obwohl er aus der gesetzlich berechtigten Königslinie stammte. Maria hingegen kam nicht aus dieser Linie, aber durch ihre Linie war der Herr Jesus im biologischen, wirklichen Sinn ein Nachkomme Davids. Das war eine Voraussetzung für den Messias.
Im Psalm 132 wird David zugesichert, dass der Messias ein Same von ihm sein wird. Auch Jeremia 23, Vers 5, und verschiedene weitere Stellen sagen das. So ist der Herr Jesus Sohn Davids im wirklichen Sinn.
Dadurch, dass Joseph Maria heiratete, bekam der Herr Jesus juristischen Anspruch auf die Königslinie. Weil er kein biologischer Nachkomme Jechonias ist, gilt der Fluch nicht für ihn. So hat er das Anrecht auf den Thron. Deshalb mussten Maria und Joseph heiraten.
Das ist wirklich ein beeindruckendes Geheimnis, das hier so großartig gelöst wurde – und zwar durch die Jungfrauengeburt. Anders wäre es gar nicht möglich gewesen.
Das zeigt uns schon einmal die neutestamentliche Bedeutung des Buchs Ruth auf. Es führt uns nicht nur auf David, sondern letztlich auf den Messias.
Das ist wirklich bewegend: Eine Frau, die einfach Sehnsucht nach dem wahren und einzigen Gott hatte, kommt auf völlig unerwartete Weise unter den Segen Gottes. Sie wird sogar Stammmutter des Messias – also des Erlösers für Israel und für die Heidenwelt.
Chronologie der Richterzeit und Autorenschaft des Buches Ruth
Ein kurzes Wort zur Chronologie der Richterzeit
Aus Apostelgeschichte 13,18-22 sehen wir, dass die Zeit der Richter 450 Jahre gedauert hat. Die Chronologie ab dem Auszug aus Ägypten gestaltet sich folgendermaßen: Die Wüstenreise dauerte 40 Jahre. Danach folgte die Eroberung des Landes, deren genaue Dauer nicht angegeben wird – wir nennen sie x Jahre.
Von der Eroberung Kanaans bis zum ersten Richter, Othniel, wird ebenfalls keine genaue Zeitspanne genannt. Diese nennen wir y Jahre. Danach begann die Zeit der Richter, die 450 Jahre umfasste. Darauf folgte König Saul, der König, den sich das Volk gewünscht hatte, mit einer Regierungszeit von 40 Jahren. Anschließend kam David, der König, den Gott einsetzen wollte, ebenfalls mit einer Regierungszeit von 40 Jahren.
Die Werte für x und y lassen sich jedoch ermitteln. Vergleicht man 4. Mose 9,1 mit Josua 14,7-10, ergibt sich für x, die Zeit der Eroberung des Landes, eine Dauer von sechs Jahren. Aus Richter 11,26 und den vorhergehenden Kapiteln ergibt sich für y eine Dauer von 14 Jahren.
So lässt sich das Buch Ruth zeitlich einordnen – in die Zeit zwischen der Landnahme und dem Beginn des Königtums in Israel. Ruth war dabei die Urgroßmutter Davids.
Wer hat das Buch Ruth geschrieben? Der babylonische Talmud im Traktat Baba Batra 14b sagt ausdrücklich, dass Samuel das Buch der Richter sowie die nach ihm benannten Bücher Samuel geschrieben hat. Er wird auch als Verfasser des Buches Ruth genannt. Da Samuel ein von Gott beglaubigter Prophet war, wurde das Buch Ruth im Judentum als kanonisches Buch bewahrt.
Samuel als Autor ist besonders interessant. Wenn Samuel das Buch Ruth verfasst hat, war er der Prophet, der David zum König gesalbt hatte (1. Samuel 16). Gerade durch das Buch Ruth zeigt Samuel, woher König David stammt. Er dokumentiert damit die genaue Herkunft des ersten von Gott eingesetzten Königs, wie wir am Schluss von Ruth 4 sehen können.
Besondere Charakteristika und Personen im Buch Ruth
Ruth und Esther als Frauenfiguren in der Bibel
Nun einige Besonderheiten zum Buch Ruth. Zunächst zur Person: Es gibt zwei Bibelbücher, in denen jeweils eine Frau die Hauptperson ist. Diese Bücher sind Ruth und Esther, beide nach Frauen benannt.
Ruth war eine Heidin, die einen jüdischen Königsahnen heiratete. Esther hingegen war eine Jüdin, die einen heidnischen König heiratete.
Herkunft der Moabiter und Ruths Vorbildcharakter
Ruth stammt aus einem Volk, das durch die Blutschande Lots mit einer seiner Töchter entstanden ist (1. Mose 19,37). Lot war ein Neffe Abrahams, der mit ihm aus Ur in Chaldäa, dem heutigen Südirak, ausgezogen war. Dies geschah entgegen dem Willen Gottes, denn Abraham sollte seine ganze Verwandtschaft verlassen. Dennoch begleitete Lot ihn.
Lot wählte schließlich das Land Kanaan, genauer gesagt Sodom, als seinen Wohnort. Dort wurden seine Töchter moralisch völlig verdorben. Als Gott Sodom zerstören wollte, floh Lot, der eigentlich diese Unmoral in Sodom stark ablehnte. In 2. Petrus 2 wird beschrieben, dass Lot täglich seine Seele durch das sah und hörte, was in Sodom geschah, gequält hätte.
Nachdem Lot in Sicherheit im Gebirge vor der Zerstörung Sodoms gebracht worden war, gaben seine Töchter, die keine Männer hatten, ihrem Vater Alkohol. In zwei Nächten trieb jeweils eine der Töchter Blutschande mit ihm. Aus diesen Beziehungen entstanden zwei Söhne. Der eine war Moab, der Stammvater der Moabiter, und der andere war Stammvater der Ammoniter. Die Ammoniter siedelten sich in Nordjordanien an; der Städtename Amman erinnert noch heute an Ammon.
So entstanden also die Nordjordanier ursprünglich aus dieser Verbindung. Moab selbst liegt in Mitteljordanien, zwischen Ammon im Norden und Edom im Süden. Aus einem solchen Volk, das seinen Ursprung in Blutschande hatte, stammt Ruth. Dieses Volk hatte Israel kurz vor der Landnahme am Ende der Wüstenwanderung zum Götzendienst und zur Hurerei verleitet, wie in 4. Mose 25,1 beschrieben.
Die Moabiter sahen, dass sie militärisch keine Chance gegen Israel hatten, das seit Ägypten alle Hindernisse überwunden hatte. Deshalb holten sie einen bösartigen Propheten und Wahrsager namens Bileam. Dieser sagte: „Ich kann dieses Volk nicht verfluchen, aber ich gebe euch einen Tipp: Ihr müsst sie einfach verführen, dann kommen sie automatisch unter Gottes Gericht.“ Die Moabiter luden die Israeliten zu ihren Festen und Götzendiensten ein und führten sie so in Unmoral.
Moab und die Moabiter hatten also eine sehr negative Wirkung auf Israel. Doch Ruth, die Moabiterin, stammt aus diesem Volk und ist dennoch ein Vorbild für reine Liebe und Treue. Das ist großartig und zeigt, dass wir uns niemals Sorgen über unsere Herkunft machen müssen.
Es gibt Menschen, die sich selbst in Schubladen stecken und denken: „Ich komme aus dieser Herkunft, deshalb bin ich so und so.“ Manche psychologische Richtungen fördern sogar das Gefühl, in einem Käfig gefangen zu sein. Die Bibel zeigt jedoch, dass jeder eine Chance hat, ein von Gott erfülltes und gesegnetes Leben zu führen – so wie Ruth. Die Herkunft spielt dabei keine Rolle.
Gesetzliche Einschränkungen für Moabiter und Ruths Integration
Dritter Punkt zu Ruth: Die Moabiter waren aufgrund ihrer Feindschaft gegen das auserwählte Volk Gottes bis zur zehnten Generation aus der Versammlung des Herrn ausgeschlossen. Dieses Gesetz wird in 5. Mose 23,3-6 beschrieben. Demnach soll bis zur zehnten Generation kein Moabiter in die Versammlung des Herrn kommen, also nicht zum Tempeldienst in Israel zugelassen werden.
Ruth stammt offensichtlich aus einer Generation, die noch vor der zehnten Generation seit Erlass dieses Gesetzes durch Mose lag. Man muss jedoch davon ausgehen, dass sich dieses Gesetz nur auf die Männer bezog.
Dennoch ist es bemerkenswert: Ein so ausdrückliches Gesetz, das speziell für die Moabiter galt und für andere Nationen nicht in diesem Maße, macht es umso besonderer, dass Ruth in diesem Buch als Moabiterin beschrieben wird, die vollständig in das jüdische Volk integriert wurde.
Ruth als Frau im Geschlechtsregister des Messias
Vierter Punkt, den haben wir eigentlich schon gesehen: Ruth wurde, obwohl sie eine Heidin war, Stammmutter des Messias. Das wird ausdrücklich in Matthäus 1,5 erwähnt. Es ist ungewöhnlich, wenn in Geschlechtsregistern Frauen genannt werden, denn die legale Linie verläuft in der Bibel normalerweise über die Väter.
Gerade in Matthäus 1 werden jedoch vier Frauen im Geschlechtsregister erwähnt. Wenn man diesen vier Frauen nachgeht, erkennt man einen guten Grund dafür: In Verbindung mit jeder Frau zeigt sich das Problem der Sünde und im Gegensatz dazu Gottes Gnade, die dem sündigen Menschen entgegenkommen kann.
Das Matthäusevangelium beginnt also genau mit dem Geschlechtsregister und betont, dass uns im Kommen des Messias diese Gnade Gottes entgegenkommt. Diese Gnade strahlte schon im Alten Testament besonders durch diese vier Frauen hervor.
Ich lese Matthäus 1,5: Salmon zeugte Boas von der Rahab, Boas zeugte Obed von der Rut, Obed zeugte Jesse, das ist Isai, Jesse zeugte David, den König.
Nun sehen wir, aus welcher Linie Boas stammt. Er ist ein Nachkomme von Salmon, und dieser war der Mann der Rahab, jener Hure, die bei der Zerstörung Jerichos verschont wurde, als das Land eingenommen wurde. Wie man in Josua 2 nachlesen kann, hatte diese Frau auch den Gott Israels, den einzig wahren Gott, erkannt.
Darum verschonte Gott sie und ihre Familie, sogar im letzten Moment, als Gottes Gericht über die kanaanitische Kultur kommen musste – wegen ihrer Perversion und wegen der Kindermorde. Im letzten Moment erfährt diese Rahab Gottes Gnade. Auch sie wurde ins Judentum aufgenommen als kanaanitische Heidin, die moralisch ganz unten stand.
Sie war eine Prostituierte. Manche sagen, im Alten Testament, in Josua 2, bedeute dieses Wort eigentlich nur „Wirtschaftsinhaberin“. Nein, im Hebräerbrief 11 wird für Ruth das ganz eindeutige griechische Wort Pornä verwendet. Daraus stammt auch das Wort Pornografie. Sie war eine Pornä, eine Hure, die zur Bekehrung kam.
Sie wurde in den Stamm Juda aufgenommen und durfte Salmon heiraten. Noch mehr: Dadurch wurde sie Stammmutter von Boas, David und dem Messias. Das ist gewaltig – das ist Gottes Gnade, die hier hervorleuchtet.
Orpa und Ruth als Gegenbilder
Nächster Punkt: Wenn Ruth die Hauptperson im vorliegenden Buch ist, werden dennoch zwei weitere Frauen erwähnt, die sehr wichtig sind. Orpa steht für die weltliche Frau, deren Herz an den Götzen dieser Welt hängt. Sie wollte zwar auch mit Noomi zurück nach Israel gehen, doch Noomi überzeugte sie schließlich mit den Worten: „Geh doch zu deinem Volk, heirate dort einen Mann und geh zurück zu deinen Göttern.“
Das ist eigentlich unerhört, denn Noomi, die den wahren Gott kannte, wurde so für Orpa zum Fallstrick, indem sie ihr sogar riet, zu ihren Göttern zurückzukehren. Orpa ging diesen Weg, im Gegensatz zu Ruth. Ruth hingegen steht für die Treue, die bereit ist, alles zu geben, um mit dem lebendigen Gott Gemeinschaft zu haben.
Noomi ist die Frau, die vom Weg abkam, aber durch viel Leiden hindurch wiederhergestellt wurde. Zu Orpa möchte ich eine Stelle aus 2. Timotheus 4 lesen. Sie kannte den wahren Gott und wollte eigentlich auch, dass er sich nicht in die Verwirrung richtet. Sie wollte ins Land des wahren Gottes gehen, doch die Argumente von Noomi überzeugten sie schließlich, dass es nicht unbedingt nötig sei.
In 2. Timotheus 4, Vers 9 schreibt Paulus aus der Todeszelle in Rom an seinen Freund Timotheus: „Befleißige dich, bald zu mir zu kommen, denn Demas hat mich verlassen, da er den jetzigen Zeitlauf liebgewonnen hat und ist nach Thessalonich gegangen.“ Demas war ein missionarischer Mitarbeiter von Paulus. Plötzlich fand er das Leben in dieser Welt so attraktiv, dass er die Missionsarbeit aufgab. Für Paulus war es eine tragische Erfahrung, in der Todeszelle so etwas erleben zu müssen. Hier haben wir gewissermaßen den Geist von Orpa.
In Verbindung mit Ruth möchte ich eine Stelle aus 2. Korinther 5, Vers 15 lesen: „Und er ist für alle gestorben, auf dass die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist und auferweckt worden ist.“ Das war wirklich Ruths Anliegen. Sie wollte sich mit dem Volk Gottes vereinigen und dem Gott Israels anhangen. Das Risiko war, dass sie nie mehr heiraten könnte, obwohl sie eine junge Frau war.
Noomi wollte sie überzeugen: „Geh doch zu deinem Volk zurück, dann kannst du wieder einen Mann finden und Ruhe finden.“ Sie formulierte es sogar so schön in Kapitel 1, Vers 9: „Der Herr gebe euch, dass ihr Ruhe findet, jede in dem Haus ihres Mannes.“ Also sollte Ruth nach Moab zurückkehren, in die moabitische Gesellschaft, um dort wieder einen Mann zu heiraten und innerlich zur Ruhe zu kommen.
Aber Ruth war bereit, Nein zu sagen. Sie wollte dem Gott Israels nachfolgen, auch wenn sie nicht mehr heiraten konnte. Für sie hatte das Heiraten keine erste Priorität im Leben. Für Orpa war das ein Argument, wieder zu heiraten, und so ging sie zurück zu ihren Göttern.
Es ist eindrücklich, dass Gott Ruth trotzdem einen Mann gab – und zwar nicht irgendeinen, sondern einen Mann, der wirklich ein Mann Gottes war. Das zeigt Gottes Güte und Souveränität. Damit hatte Ruth nicht gerechnet.
Natürlich bringt Heiraten eine innere Beruhigung. Solange man nicht verheiratet ist und die Frage „Wer könnte es sein? Wann? Wie?“ offen ist, besteht eine gewisse Beunruhigung. Wenn man heiratet und die Sache dadurch eindeutig wird, ist es keine Frage mehr. Es kommt keine andere Person mehr in Frage, und das Thema ist abgeschlossen. So kann man innerlich zur Ruhe kommen.
In diesem Zusammenhang ist es vielleicht ein guter Hinweis: Wenn jemand einen vollzeitlichen missionarischen Dienst tun möchte, ist es sehr nützlich, wenn die Frage des Heiratens vorher geklärt ist. Wenn jemand wirklich ruhig ist, ehelos zu bleiben – was nach 1. Korinther 7 möglich ist, sofern Gott diese innere Ruhe schenkt – oder wenn jemand den Eindruck hat, bestimmt zu sein, zu heiraten, dann kann der Dienst für Gott viel besser getan werden. Die innere Ruhe, die aus der Klärung dieser Frage entsteht, ist entscheidend.
Darum hat das Ruhefinden schon eine besondere Bedeutung, wie es in Ruth 1, Vers 9 erwähnt wird. Im Verlauf des Buchs sehen wir schließlich, wie Ruth tatsächlich innere Ruhe findet, in ihrer Verbindung mit Boas. Aber das war nicht das alleinige Thema ihres Lebens. Vielmehr bestimmte die Frage der Gemeinschaft mit Gott ihr Leben.
Ruth im Gegensatz zu Tamar
Letzter Punkt zum Thema Ruth als Person:
Ruth steht in leuchtendem Gegensatz zu Tamar, die zur Erfüllung der Leviratspflicht Judas schändliche Methoden angewendet hatte. Boas stammte von Juda ab, und Tamar befand sich genau in der Situation, kinderlos zu sein. Eigentlich hätte Juda dann die Pflicht gehabt, Tamar zu heiraten, damit aus dieser Linie Nachkommen entstehen konnten.
Doch Juda wollte das nicht. Tamar verkleidete sich daraufhin als Hure und brachte Juda dazu, mit ihr Verkehr zu haben. Aus dieser Linie setzte sich die Abstammung fort – bis zu Boas, David und darüber hinaus. Diese Vorgehensweise war also ganz schrecklich.
Tamar gehörte gewissermaßen zu der auserwählten Familie Gottes. Die Leviratspflicht wurde jedoch auf eine schändliche Weise realisiert. Im Gegensatz dazu handelte Ruth, die eine Heidin war, auf eine gottgemäße Weise.
Was die Leviratspflicht genau ist, wird für diejenigen, die es noch nicht wissen, im weiteren Verlauf ausführlich erklärt.
Nun wenden wir uns Kapitel 1 zu.
Kapitel 1: Die Flucht nach Moab und die Rückkehr nach Bethlehem
Es beginnt also damit, dass in der Richterzeit eine Hungersnot im Land Israel herrschte. Elimelech wohnte in Bethlehem in Juda. Er dachte sich: „Wenn wir hier Hungersnot haben und auf der anderen Seite, in Moab am Jordan, genügend zu essen ist, dann gehen wir ins Nachbarland. Wir könnten ja später immer noch zurückkehren.“ So war seine Überlegung, und er zog mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen, Machlon und Kilion, dorthin.
Dieser Aufenthalt wurde jedoch lang – zehn Jahre lang. In dieser Zeit wollten seine Söhne auch heiraten. Das hätte Elimelech vorher bedenken müssen. Wenn er nach Moab geht, ist es nicht möglich, innerhalb des Volkes Gottes zu heiraten. Dieses Risiko nahm er auf sich, obwohl es ganz deutlich gegen Gottes Gedanken war. Nach dem Gesetz Mose, zum Beispiel in 5. Mose 7, sollte die Heirat eines Israeliten immer innerhalb Israels stattfinden, niemals mit heidnischen Nationen.
Das entspricht auch dem neutestamentlichen Gebot in 2. Korinther 6. Dort heißt es in Vers 14: „Seid nicht in einem ungleichen Joch mit Ungläubigen. Denn welche Gemeinschaft haben Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit, oder welches Zusammenwirken Licht und Finsternis? Welche Übereinstimmung hat Christus mit Belial“ – ein Name für den Teufel – „oder welches Teil hat ein Gläubiger mit einem Ungläubigen?“
Ein Gläubiger darf also nicht in einem ungleichen Joch mit einem Ungläubigen stehen. In Israel war es gemäß dem Gesetz verboten, zwei verschiedene Tiere zusammen bei der Arbeit zu jochten, zum Beispiel einen Ochsen und einen Esel. Das war ein ungleiches Joch (3. Mose 19,19 und 5. Mose 22,10). Dieses Bild wird hier aufgenommen: Ein Gläubiger darf nicht mit einem Ungläubigen verbunden sein, das heißt, keine Ehe mit einem Ungläubigen eingehen.
Es können auch andere Verbindungen gemeint sein, außer der Ehe. Aber die Ehe ist ganz klar ein göttliches Gebot: Ein Gläubiger darf keinen Ungläubigen heiraten. Es geht dabei nicht um den Fall, dass ein Ehepaar bereits besteht und sich dann einer bekehrt. In 1. Korinther 7 wird deutlich gesagt, dass das kein Scheidungsgrund ist. Dort wird auch erklärt, dass es eine besondere Chance für den ungläubigen Ehepartner ist, zum Glauben zu kommen.
Darum geht es hier nicht. Es geht darum, wenn ein Gläubiger vor der Frage der Eheschließung steht. Dann sagt die Bibel ausdrücklich: „Seid nicht in einem ungleichen Joch mit Ungläubigen.“ Das ist ein göttliches Gebot. Wer es nicht einhält, verstößt gegen ein göttliches Gebot.
In der Seelsorge kam es vor, dass jemand dieses Problem hatte und eine Ehe mit einem Ungläubigen eingehen wollte. Ich verwies dann nochmals auf 2. Korinther 6. Die Antwort lautete: „Ja, das stimmt im Prinzip, aber ich habe durch eine Vision eine Bestätigung, dass in meinem Fall der Weg doch richtig ist.“ Es handelte sich um eine Ehe mit einem Moslem. Kurz nach der Eheschließung kam dann die Katastrophe und die Tränen.
Es ist also ein göttliches Gebot, das man nicht mit angeblichen Visionen von Gott aufheben kann. Elimelech machte sich in dieser Hinsicht offensichtlich keine Gedanken. Ihm war wichtig, der Hungersnot zu entfliehen. Aber er hätte sich als Israelit, als Jude, überlegen können, warum es überhaupt eine Hungersnot gab.
In 5. Mose 11 hatte Mose Generationen zuvor erklärt, wann eine Hungersnot kommt. Dort heißt es in Vers 13: „Und es wird geschehen, wenn ihr fleißig auf meine Gebote hört, die ich euch heute gebiete, den Herrn, euren Gott, zu lieben und ihm zu dienen mit eurem ganzen Herzen und mit eurer ganzen Seele, so werde ich den Regen eures Landes geben zu seiner Zeit, den Frühregen und den Spätregen.“
Der Frühregen ist der Regen, der im Herbst einsetzt – etwa in der zweiten Hälfte des Oktobers nach dem Laubhüttenfest. Dann folgt die Regenzeit, die den Winter bis zum Frühjahr dauert. Die letzten Regengüsse vor dem Frühjahr werden Spätregen genannt. Der Frühregen markiert den Beginn der Regenzeit, der Spätregen das Ende im Frühjahr. Danach folgt die Gerstenernte und etwas später die Weizenernte.
Weiter heißt es: „Den Frühregen und den Spätregen, damit du dein Getreide und deinen Most und dein Öl einsammelst, und ich werde deinem Vieh Kraut geben auf deinem Felde, und du wirst essen und satt werden. Hütet euch, dass euer Herz nicht verführt werde und ihr abweicht und anderen Göttern dient und euch vor ihnen bückt. Dann entbrennt der Zorn des Herrn gegen euch, und ihr verschließt den Himmel, sodass kein Regen fällt, und der Erdboden seinen Ertrag nicht gibt. Dann werdet ihr bald aus dem guten Land vertilgt, das der Herr euch gibt.“
Es war also ganz klar in der Tora vorausgesagt: Wenn das Volk Gottes untreu wird, dann gibt Gott Hungersnot. Elimelech hätte sich fragen müssen, wie weit er sich persönlich verschuldet hatte, dass es eine Hungersnot gab.
Es wäre darum gegangen, dass das Volk umkehrt – das war die Zucht Gottes. Aber Elimelech versuchte, der Zucht Gottes zu entfliehen. Das können wir auch. Wir können unter die Zucht Gottes kommen. Das müssen uns nicht die anderen Leute sagen, denn die können sich irren und uns etwas anhängen, was gar nicht ist. Aber wir selbst wissen im Tiefsten genau, wann es Gottes Zucht ist.
Es gibt auch Möglichkeiten, wie man dieser Zucht elegant oder geschickt entgehen kann. Das hat Elimelech getan, obwohl sein Name bedeutet: „Eli“ – mein Gott, „Melech“ – mein Gott ist König! Sein Name war also ein Bekenntnis zur Autorität Gottes. Doch er wollte der Autorität Gottes entgehen und wich nach Moab aus.
Man kann das übrigens auch auf eine gemeine Situation anwenden: Bethlehem war ihr Wohnort. Bethlehem bedeutet „Haus des Brotes“, Bet Lechem, oder auf Deutsch „Brothausen“. Bethlehem hat sehr fruchtbare Felder rundherum, liegt aber gerade an der Grenze zur Wüste Judäa. So kann man in Bethlehem den krassen Unterschied zwischen Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit sehen.
Bethlehem war eben das Brothaus im Gegensatz zur Wüste. Eine örtliche Gemeinde ist auch ein Brothaus, ein Bethlehem – ein Ort, an dem wir von Gott genährt werden. Aber in einer Gemeinde kann plötzlich Hungersnot entstehen, sodass man sich sagt: Ich bekomme nichts mehr, keine Nahrung.
Dann wäre der Punkt nicht, einfach davonzulaufen, sondern sich zu fragen – auch die Geschwister zu fragen: Was ist eigentlich der Grund für diese Zucht Gottes? Wir müssen umkehren. Aber Elimelech machte keine Anstalten, die gemeinsame Verantwortung für die Gemeinde in Bethlehem wahrzunehmen. Er ging einfach. „Tschüss, ich gehe an einen anderen Ort, wo es Nahrung gibt.“
Er wollte nicht an dem von Gott angewiesenen Platz bleiben. Er ging woanders hin, und seine ganze Familie kam unter eine bittere Zucht des Allmächtigen, die noch bitterer war, als man sie in Bethlehem erlebte.
Es ist Zeit für eine Pause.
Die Rückkehr von Naomi und Ruth nach Bethlehem
Wir sind stehen geblieben bei der Familie Elimelechs, die der Zucht Gottes elegant entgehen wollte. Es kam, wie es kommen musste: Die beiden Söhne wollten heiraten und brachten moabitische Frauen mit nach Hause. Schließlich starb Elimelech, und auch die beiden Söhne starben. Noomi blieb als Witwe völlig allein mit ihren Schwiegertöchtern zurück.
In dieser Zeit hört sie, dass Gott Israel heimgesucht hat (Ruth 1,6). Am Schluss heißt es: „Denn sie hatte in den Gefilden Moabs gehört, dass der Herr sein Volk heimgesucht habe, um ihnen Brot zu geben“ – Brot in Brothausen. Übrigens ist es kein Zufall, dass der Herr Jesus später in Bethlehem geboren werden sollte, wie es der Prophet Micha im 8. Jahrhundert vor Christus bereits vorhergesagt hatte (Micha 5,1). Aus Brothausen sollte der kommen, der später von sich sagen konnte:
Jesus aber sprach zu ihnen: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, wird nimmermehr dürsten“ (Johannes 6,35).
Oder in Vers 32: „Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, nicht Mose hat euch das Brot aus dem Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahrhaftige Brot aus dem Himmel. Denn das Brot Gottes ist der, welcher aus dem Himmel herniederkommt und der Welt das Leben gibt.“
Also hatte Gott damals Bethlehem heimgesucht, um Brot zu geben. Jahrhunderte später hat er wieder Bethlehem heimgesucht, um seinem Volk Brot zu geben, indem er das Brot aus dem Himmel nach Bethlehem sandte.
Noomi sieht also, dass die Zucht im Land vorbei ist und möchte zurückkehren. Das muss man positiv werten, denn sie hätte sich auch sagen können: „Gut, ich bin weggegangen, die anderen habe ich in der Not zurückgelassen, und jetzt, wo es plötzlich besser geht, komme ich wieder zurück.“ Aber gerade dieser Punkt, das Zurückkommen und das Eingeständnis, dass der vorherige Weg falsch war, zeigt Größe.
So war sie bereit, zurückzukehren und nicht einfach im Land der Moabiter zu bleiben. Ihr geistlicher Zustand ist jedoch nach wie vor fragwürdig, denn sie schickt die Schwiegertöchter zurück zu ihren Göttern. Das ist eigentlich unglaublich. Es ist so, als würde sie sagen: „Das sind eure Götter, das sind unsere Götter – jeder kann nach seiner eigenen Fasson selig werden.“
Wir müssen uns jedoch im Klaren sein: Diese Frau ist vom Weg abgekommen. Im Verlauf der Kapitel sehen wir, wie Gott sie wiederherstellt. Ruth ist dagegen ein umso leuchtenderes Beispiel. Sie will um jeden Preis dem Gott Israels treu sein und Gemeinschaft mit ihm haben.
In Vers 19 kommen sie beide nach Bethlehem. Die ganze Stadt kommt in Bewegung, denn sie kennen sie noch nach all den Jahren: „Ist das nicht Noomi?“ Noomi ist ein schöner Name, er bedeutet „meine Liebliche“. Aber sie sagt: „Nennt mich nicht mehr so, nennt mich Mara, Bittere.“ Die Erklärung in Vers 20 ist traurig: „Denn der Allmächtige hat es mir sehr bitter gemacht.“
Und in Vers 21b: „Warum nennt ihr mich Noomi, da der Herr gegen mich gezeugt und der Allmächtige mir Übles getan hat?“ Sie sagt nicht, dass sie auf einem falschen Weg war und deshalb viel Bitterkeit erfahren musste. Es klingt fast so, als ob sie Gott für all das Bittere im Land der Moabiter verantwortlich macht.
Übrigens sind die Namen der Söhne interessant: Machlon hieß der eine, was „der Kranke“ bedeutet. Kiljon, der andere, heißt „der Verschmachtende“. Beide starben im Land der Moabiter. Orpa bedeutet „die Hartnäckige“ und blieb im Götzendienst. Ruth hingegen kann man mit „Freundin“ übersetzen. Sie hat sich förmlich an den Gott Israels gehängt und kam so unter den Segen Gottes.
Nun kommt sie also zu Beginn der Gerstenernte nach Bethlehem. Wir sind im Monat Nisan. Die Gerstenernte beginnt in der Passahwoche. Dann wird zum ersten Mal Gerste geschnitten, und zwar die Erstlinge der Gerste, und zwar am Tag nach dem Sabbat, wie es in 3. Mose 23 beschrieben wird. Erst danach darf man überall im Land Gerste ernten, vorher nicht.
Wir sind hier also genau Mitte Nisan. Der Monat Nisan fällt auf März/April. Nun lese ich Kapitel zwei.
Kapitel 2: Ruth auf dem Feld Boas’ und Gottes Versorgung
Und Naomi hatte einen Verwandten ihres Mannes, einen vermögenden Mann aus dem Geschlecht Elimelechs, und sein Name war Boas. Boas bedeutet „in ihm ist Stärke“, beziehungsweise: Ihm, das heißt dem Gott Israels, ist Stärke.
Ruth, die Moabitin, sprach zu Naomi: „Lass mich doch aufs Feld gehen und unter den Ähren lesen, hinter dem her, in dessen Augen ich Gnade finden werde.“ Und Naomi sprach zu ihr: „Gehe hin, meine Tochter.“ So ging sie hin, kam und las auf dem Feld hinter den Schnittern her.
Sie traf zufällig das Feldstück des Boas, der aus dem Geschlecht Elimelechs war. Und siehe, Boas kam von Bethlehem und sprach zu den Schnittern: „Der Herr sei mit euch!“ Sie antworteten ihm: „Der Herr segne dich!“ Boas sprach zu seinem Knecht, der über die Schnitter bestellt war: „Wessen ist dieses Mädchen?“ Der Knecht antwortete: „Es ist ein moabitisches Mädchen, das mit Naomi aus den Gefilden Moabs zurückgekehrt ist. Sie sprach: ‚Lass mich doch auflesen und unter den Gaben sammeln, hinter den Schnittern her!‘ So ist sie gekommen und geblieben von Morgen an bis jetzt, und was sie im Hause gesessen hat, ist wenig.“
Boas sprach zu Ruth: „Hörst du, meine Tochter, geh nicht auf ein anderes Feld zum Auflesen und geh auch nicht von hier weg, sondern halte dich hier bei meinen Mädchen. Deine Augen sollen auf das Feld gerichtet sein, das man schneidet. Gehe hinter ihnen her! Habe ich nicht den Jünglingen geboten, dich nicht anzutasten? Und wenn dich dürstet, so gehe zu den Gefäßen und trinke von dem, was die Knaben schöpfen.“
Da fiel sie auf ihr Angesicht, beugte sich zur Erde nieder und sprach zu ihm: „Warum habe ich Gnade gefunden in deinen Augen, dass du mich achtest, da ich doch eine Fremde bin?“ Boas antwortete ihr: „Es ist mir alles wohl berichtet worden, was du an deiner Schwiegermutter getan hast nach dem Tod deines Mannes, indem du deinen Vater, deine Mutter und das Land deiner Geburt verlassen hast und zu einem Volk gezogen bist, das du früher nicht kanntest. Der Herr vergelte dir dein Tun, und voll sei dein Lohn von dem Herrn, dem Gott Israels, unter dessen Flügeln du Zuflucht gesucht hast.“
Sie sprach: „Möge ich Gnade finden in deinen Augen, mein Herr, denn du hast mich getröstet und hast zum Herzen deiner Magd geredet, und doch bin ich nicht wie eine deiner Mägde.“ Boas sprach zu ihr zur Zeit des Essens: „Tritt hierher und iss von dem Brot und tunke deinen Bissen in den Essig.“ Da setzte sie sich zur Seite der Schnitter, erreichte ihre gerösteten Körner, aß und wurde satt, ließ aber übrig. Dann stand sie auf, um weiter aufzusammeln.
Boas gebot seinen Knaben und sprach: „Auch zwischen den Garben mag sie auflesen, und ihr sollt sie nicht beschämen. Ihr sollt ihr auch aus den Bündeln Ehren herausziehen und liegen lassen, damit sie sie aufsammeln kann, und sollt sie nicht schelten.“ Sie las auf dem Feld auf bis zum Abend und schlug aus, was sie aufgesammelt hatte. Es war bei einem Epha Gerste, das sind 36,4 Liter. Sie nahm es auf und kam in die Stadt, und ihre Schwiegermutter sah, was sie aufgesammelt hatte. Sie zog hervor und gab ihr, was sie übriggelassen hatte, nachdem sie sich gesättigt hatte.
Da sprach ihre Schwiegermutter zu ihr: „Wo hast du heute aufgesammelt und wo hast du gearbeitet? Gesegnet sei der, der dich beachtet hat!“ Sie berichtete ihrer Schwiegermutter, bei wem sie gearbeitet hatte, und sprach: „Der Name des Mannes, bei dem ich heute gearbeitet habe, ist Boas.“ Naomi sprach zu ihrer Schwiegertochter: „Gesegnet sei er von dem Herrn, dessen Güte nicht abgelassen hat von den Lebenden und von den Toten!“ Naomi sagte zu ihr: „Der Mann ist uns nahe verwandt, er ist einer von unseren Blutsverwandten.“
Ruth, die Moabitin, sprach: „Er hat auch zu mir gesagt, du sollst dich zu meinen Knechten halten, bis sie meine ganze Ernte beendigt haben.“ Naomi sprach zu Ruth, ihrer Schwiegertochter: „Es ist gut, meine Tochter, dass du mit seinen Mädchen ausgehst, damit man dich nicht anfalle auf einem anderen Feld.“ So hielt sie sich bei den Mädchen des Boas, um aufzulesen, bis die Gerstenernte und die Weizenernte beendet waren. Sie wohnte bei ihrer Schwiegermutter bis dahin.
Ruth musste nun für den Lebensunterhalt selbst sorgen und nahm wahr, was das Gesetz möglich gemacht hatte. In 3. Mose 23,22 heißt es: „Und wenn ihr die Ernte eures Landes erntet, sollst du den Rand deines Feldes nicht gänzlich abernten und sollst keine Nachlese deiner Ernte halten. Für den Armen und für den Fremdling sollst du sie lassen; ich bin der Herr, euer Gott.“
Es gab also eine Sozialeinrichtung in Israel für Fremdlinge, für Ausländer – ein aktuelles Thema heute. So war es möglich, nach Israel zu kommen, ohne zu verhungern. Man konnte auf den Feldern, die geschnitten wurden, eine Nachlese halten, und das durfte man für sich nehmen.
Wenn man das ganze Wirtschaftssystem Israels anschaut, wie es im Gesetz Mose festgelegt ist, ist man überwältigt. Es steht hoch erhaben über jeglichem kapitalistischen und auch über jedem kommunistischen System.
Zum Kommunismus: Das Gesetz gab jeder Familie in Israel einen Grundbesitz. Jede Familie, ab der Landnahme, sollte ein eigenes Grundstück haben. Es ist eine Lüge, was man in der Ideologie des Kommunismus lehrt: „Eigentum ist Diebstahl.“ Gott will das Privateigentum. Es ist kein Diebstahl, sondern wir nehmen es aus der Hand. Dieses Privateigentum wird durch das Gesetz auch geschützt, indem bereits in den Zehn Geboten das Stehlen und das Begehren des Besitzers des Nächsten ganz klar untersagt ist.
Gott will Privateigentum, und Gott schützt das Privateigentum. Aber es gab Regelungen im Gesetz, dass der Großgrundbesitz sich nicht beliebig ausdehnen konnte. Wenn eine Familie durch Krankheit oder Schicksalsschläge in Bedrängnis geriet, konnte sie ihren Grundbesitz verkaufen. Doch es gab eine Einrichtung, dass nahe Verwandte, der nächste Verwandte, die Möglichkeit hatte, dieses veräußerte Grundstück wieder zurückzukaufen und für die Familie zu retten.
Nach 3. Mose 25 konnte nach 50 Jahren, mit dem Jubeljahr, der verkaufte Besitz wieder an die alte Familie zurückgegeben werden. Das verhinderte, dass reiche Leute beliebig Grundstücke anhäufen konnten. Nach 50 Jahren war das sowieso wieder vorbei; sie mussten das Alte zurückgeben. So wurde übermäßiger Kapitalismus verhindert, dass nur wenige alles haben und die anderen nichts.
Auf der anderen Seite gab es weitere Regelungen: Man durfte den Armen zwar Geld leihen, aber keine Zinsen erheben. Gerade arme Leute müssen oft alles verkaufen und Geld aufnehmen. Wenn sie aber Zinsen bezahlen müssen, geraten sie noch mehr in Schuld. So entsteht das Proletariat, die arme Masse, die nichts hat und von den Großkapitalisten unterdrückt werden kann. Das Gesetz Mose hat dies so geregelt, dass es nicht zur Entstehung eines Proletariats in Israel kommen konnte. Das ist wunderbar.
Es gab noch viele weitere Einrichtungen für Ausländer und Arme, ganz bestimmte Sozialversicherungsbestimmungen. Das ist großartig und einzigartig. In der ganzen Weltgeschichte gibt es keine Kultur, die Entsprechendes hat wie das Gesetz Mose. Darum sagte schon Mose in 5. Mose 4: „Die heidnischen Völker um euch herum werden euch bewundern wegen dieser Weisheit, die der Herr euch gegeben hat in der Tora, im Gesetz.“
Das Buch Ruth hat nun sehr viel mit diesen Einrichtungen zu tun, die weit über jeglichen Kapitalismus, auch über sozialistischen Kapitalismus und Kommunismus, stehen.
Ein wichtiges Schlüsselwort: Ruth kam ja zufällig auf das Feld von Boas. Als Naomi hört, wird sie hellhörig. In Kapitel 2, Vers 21 heißt es: „Der Mann ist uns nahe verwandt, er ist einer von unseren Blutsverwandten.“
Nun schauen wir auf Blatt zwei, unter dem Untertitel „Löser, Erlöser“. Dort finden wir das Wort Goel, das heißt Löser, man kann auch übersetzen mit Erlöser, Blutsverwandter oder Bluträcher. Es ist eigentlich ein Begriff aus dem Erbrecht im Israelitischen.
Dieser Löser oder nahe Blutsverwandte konnte vier Aufgaben wahrnehmen. Diese folgen auf dem Blatt:
Freikauf des Eigentums eines verarmten Verwandten nach 3. Mose 25,25. Jemand hatte seinen Grundbesitz verloren, und der nächste Verwandte konnte diesen Grundbesitz, da er das Erstkaufsrecht hatte, zurückholen für den Verarmten. Dadurch wurde er zum Erlöser für den Verarmten.
Freikauf eines verarmten Verwandten. Nach 3. Mose 25,47-49 konnte ein Israelit, der nichts mehr abzugeben hatte, sich gewissermaßen als Knecht verkaufen. Der nächste Verwandte hatte das Recht, diesen Knecht freizukaufen. Damit wurde er sein Erlöser, der ihn von der Knechtschaft befreite.
Rache am Mörder eines Verwandten. In 4. Mose 35,19 wird das Wort Goel, Löser, Erlöser, Blutsverwandter mit Bluträcher übersetzt. Wenn ein Israelit ermordet wurde, war es die Pflicht des nächsten Blutsverwandten, ihn zu rächen. Er sollte als Erster Hand an den Mörder legen.
Heirat der Witwe eines kinderlos verstorbenen Verwandten oder Bruders, um seine Erblinie zu erhalten. 5. Mose 25 regelt das. 3. Mose 25,5 sagt: „Wenn Brüder beisammen wohnen und einer von ihnen stirbt und keinen Sohn hat, soll die Frau des Verstorbenen nicht auswärts eines fremden Mannes werden. Ihr Schwager soll zu ihr eingehen und sie sich zur Frau nehmen und ihr die Schwagerpflicht leisten.“ Das ist die Leviratsehe, wie man sie im Judentum nennt. Der Erstgeborene, den sie gebiert, soll nach dem Namen seines verstorbenen Bruders aufstehen, damit dessen Name nicht ausgelöscht werde aus Israel.
Schließlich wird Boas diese Pflicht übernehmen als naher Verwandter. Er heiratet Ruth, um damit dem verstorbenen Ehemann von Ruth die Erblinie weiterzuführen. Damit war gesichert, dass das Grundstück, das der Familie Elimelechs gehörte, nicht verloren ging. Das war eine erbrechtliche Regelung zur Fortsetzung und Sicherung des Familienbesitzes.
Ich lese weiter: „Wenn aber der Mann keine Lust hat, seine Schwägerin zu nehmen, soll seine Schwägerin ins Tor hinaufgehen zu den Ältesten und sprechen: ‚Mein Schwager weigert sich, seinem Bruder einen Namen in Israel zu erwecken. Er will mir die Schwagerpflicht nicht leisten.‘ Die Ältesten seiner Stadt sollen ihn rufen und mit ihm reden. Besteht er darauf und spricht: ‚Ich habe keine Lust, sie zu nehmen‘, so soll seine Schwägerin vor den Ältesten zu ihm hintreten, ihm den Schuh vom Fuß ausziehen, ihm ins Angesicht speien und sprechen: ‚Also soll dem Mann getan werden, der das Haus seines Bruders nicht bauen will, und sein Name soll in Israel das Haus des Barfüßigen heißen.‘“
Wir werden dann sehen in Kapitel 4: Es gibt einen näheren Verwandten als Boas. Er sagt nicht: „Ich habe keine Lust zu lösen“, sondern: „Ich kann nicht lösen.“ Bei ihm lag ein handfester Hinderungsgrund vor, dass er nicht die Ehe eingehen konnte. Wir lesen auch nichts davon, dass er dann angespuckt wird. Die Sache mit dem Schuh kommt dann in Kapitel 4.
Die Sache mit dem Schuh ist folgende: Der nächste Verwandte nimmt gewissermaßen das Grundstück, das verlorene Grundstück der Familie, in Besitz. Das Symbol für die Inbesitznahme ist, dass man mit seinen Sandalen, seinen Füßen, auf das Grundstück tritt. Dazu Psalm 60, Vers 8: Dort geht es um Israel in der Zukunft, das Jordanien in Besitz nehmen wird im Kampf. Es heißt: „Moab ist mein Waschbecken, auf Edom will ich meine Sandale werfen, Philistea jauchzt sie mir zu.“ Auf Edom will ich meine Sandale werfen, das heißt, ich nehme das edomitische Land in Besitz.
Der Mann, der den Besitz nicht lösen konnte, musste vor dem Gerichtshof im Tor der Stadt die Schuhe, die Sandalen, ausziehen und damit zeigen: „Ich kann oder ich will den Besitz nicht in Anspruch nehmen.“ Darum das Haus des Barfüßigen.
Noemi realisiert, dass Boas ein naher Blutsverwandter ist, der zum Löser werden könnte. Die Sache ist natürlich etwas problematisch: Ruth war ja eine Moabitin. Kann man das Gesetz dann auch auf diese Situation anwenden oder nicht? Das sind offene Fragen.
Hinzu kommt: Es gibt jemanden, der näher verwandt ist. Aber Gottes Führung ist gewaltig. Ruth will einfach für den Unterhalt sorgen für sich und ihre Schwiegermutter. Da kommt sie zufällig, heißt es in Kapitel 2, Vers 3, auf das Feldstück des Boas. Also gibt es doch Zufall.
Die Bibel sagt ausdrücklich „zufällig“. Aber wir müssen unterscheiden zwischen objektivem und subjektivem Zufall. Einen objektiven Zufall gibt es nicht, weil Gott über allem steht. In Kolosser 1, Vers 16 heißt es von dem Herrn Jesus Christus: „Er ist der Schöpfer aller Dinge.“ In Vers 17: „Alle Dinge werden durch ihn zusammengehalten.“ Das heißt, der Herr Jesus hält letztlich die ganze Materie im Weltall zusammen, auch die Atome.
Heute können wir genau berechnen, welche Kräfte wirken, die Ladung eines Elektrons und so weiter. Aber im tiefsten Wesen gibt es keinen Physiker und keinen Chemiker, der uns sagen könnte, was ein Elektron ist. Niemand weiß es. Das Wesen hat niemand erfasst. Man weiß um die Kräfte, kann sie genau messen und berechnen, aber im tiefsten Wesen ist da ein Geheimnis. Wir dürfen wissen: Jesus Christus hält alles zusammen.
Einmal nach dem Tausendjährigen Reich wird die ganze Welt aufgelöst. Petrus schreibt in 2. Petrus 3, vor zweitausend Jahren: Die Elemente, die Stoichoia – ein Begriff aus der Chemie für die Zusammensetzung von Atomen – werden aufgelöst. Er benutzt nicht das Wort „Atom“, das „das Unteilbare“ heißt, sondern ein anderes Wort für Element, das nicht „das Unteilbare“ bedeutet. Gott wird alle Elemente auflösen, im Brand zerschmelzen, und einen neuen Himmel und eine neue Erde machen.
Der Herr Jesus wird dann einmal dieses Zusammenhalten aufgeben. Aber jetzt ist er nicht nur der Schöpfer, sondern auch der Erhalter der ganzen Welt. Er hält alles zusammen.
Nach Daniel 5 sagt Daniel zu Belsazar: „Gott hat deinen Atem in seiner Hand.“ Auch unseren Lebensatem hat Gott in der Hand bis zu dem Moment, wo wir zum letzten Mal ausatmen. Gott hält diesen Atem in der Hand und lässt ihn dann los. Einen objektiven Zufall gibt es also nicht. Alle Naturgesetze sind letztlich Gottes regelmäßiges Handeln.
Hier heißt es aber „zufällig“, und das ist subjektiver Zufall. Ruth hatte nicht auf etwas Besonderes geachtet. Sie dachte einfach: „Gut, das wäre jetzt eine Möglichkeit.“ Das war für sie ohne Plan und darum zufällig. Von Gott her war jedoch ein Plan da, denn er wollte, dass sie schließlich Boas heiratet und Stammmutter des Messias wird.
Das ist großartig. So sieht man das Leben ganz anders. Wie viele Dinge im Leben haben wir ohne speziellen Plan erlebt, und doch müssen wir rückblickend sagen: Das war genau Gottes Führung. Für uns war es subjektiver Zufall, aber objektiv nicht – Gottes Führung.
Dazu möchte ich noch aus Römer 8, Vers 28 lesen: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken, denen, die nach Vorsatz berufen sind.“ Das ist so beruhigend. Man kann sich wirklich unter Gottes Souveränität und Autorität in allen Dingen des Lebens stellen.
Ruth kommt also zufällig dahin. Boas hat bereits gehört, was für eine Frau sie ist, und ist darum sehr positiv eingestellt. Er weiß, wie sie sich gegenüber ihrer Schwiegermutter verhalten hat. Übrigens eine gute Sache, wenn es ums Heiraten geht: Junge Frauen sollen darauf achten, wie der mögliche Anwärter sich seiner Mutter gegenüber verhält. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er sich später gegenüber seiner Frau ähnlich verhalten wird. Wenn jemand schändlich gegenüber seiner Mutter ist, muss man nicht erwarten, dass er gegenüber seiner Frau anders sein wird.
Boas wusste genau, wie Ruth sich gegenüber ihrer Schwiegermutter verhielt. Das gab bereits eine Basis, Vertrauen zu ihr zu haben. Wir bekommen da gute Ratschläge, die auch nach über dreitausend Jahren hochaktuell sind.
In Kapitel 2, Vers 8 sagt Boas, der alles auf seinem Bauernhof regelt: „Gehe auch nicht von hier weg, sondern halte dich hier bei meinen Mädchen.“ Er sagt nicht: „Halte dich bei meinen Jungs.“ Und er sagt ihr, sie solle hinter den Jungs hergehen und auflesen. Naturgemäß musste sie hinten auflesen. Er sagt sogar den Knechten, sie sollen Korn aus den Gaben herausnehmen und hinwerfen, damit sie es aufsammeln kann. Sie hätte also auch vorne auflesen können, aber sie sollte kein Blickfang für die Jungs sein. Später lobt Boas sie und sagt: „Du bist nicht den Jungs nachgegangen.“ Sie wollte nicht um jeden Preis alles selbst machen, sondern stellte sich unter Gottes Führung. Das wurde reich belohnt.
In Boas sehen wir ein Bild des Herrn Jesus Christus als unseren Erlöser. In ihm ist Stärke. Nun kommt Ruth, die den wahren Gott sucht, mit Boas zusammen und findet in seinen Augen Gnade (Kapitel 2, Vers 10): „Warum habe ich Gnade gefunden in deinen Augen, dass du mich beachtest?“ Das ist gewaltig. Wie kommt es, dass wir in Jesus Christus Gottes Gnade finden dürfen?
Ich lese aus Epheser 2, Vers 8: „Denn durch die Gnade seid ihr errettet mittels des Glaubens, und das nicht aus euch – Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit niemand sich rühme.“ Die Gnade ist also die absolute Basis, auch in der Beziehung von Ruth und Boas.
Besonders möchte ich auf Kapitel 2, Vers 9 am Schluss hinweisen: „Und wenn dich dürstet, so gehe zu den Gefäßen und trinke von dem, was die Knaben schöpfen.“ Jesus sagt in Johannes 7,37: „Wenn jemand dürstet, der komme zu mir und trinke.“ Hier haben wir Boas, der der durstigen Ruth zu trinken gibt. Auch darin ein Hinweis auf den kommenden Erlöser, der aus dieser Linie kommen sollte.
Er gibt ihr auch Nahrung. Vers 14: „Tritt hierher, iss von dem Brot und tunke deinen Bissen in den Essig.“ Johannes 6 können wir nochmals aufschlagen, zwei Verse lesen:
Johannes 6, Vers 51: „Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel herniedergekommen ist. Wenn jemand von diesem Brot isst, wird er leben in Ewigkeit.“
Vers 54: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben, und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag. Denn mein Fleisch ist wahrhaftig Speise, und mein Blut ist wahrhaftig Trank.“
Nun hat sie zu trinken bekommen: Wasser und Essig. Essig ist verdünnter Wein. Das hat eine interessante Verbindung zum Blut Christi. Im Altertum war das als Durstlöscher beliebt, heute nicht mehr so, aber es löscht stark den Durst. Auch die römischen Soldaten löschten sich mit verdünntem Essig den Durst.
Jesus sagte: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben.“ Hier haben wir Brot und Trank.
In Johannes 6,51 bedeutet das griechische Wort „aorist“ eine einmalige Handlung. Wer diesen Akt des Essens vollbringt, wird leben in Ewigkeit. Das ist die Bekehrung.
In Vers 54 benutzt Johannes eine andere Wortform, das griechische Präsens, das einen andauernden Zustand ausdrückt. Wer „mein Fleisch isst“, das heißt „immer wieder isst“ und „mein Blut trinkt“, hat ewiges Leben. Er ist bereits der Bekehrte, der ewiges Leben hat durch den Glauben an Jesus Christus. Er ernährt sich ständig von Jesus Christus, dem Brot aus dem Himmel, der sein Blut auf Golgatha gegeben hat. Auch das ist eine schöne Verbindung zum Neuen Testament.
In Ruth sehen wir noch etwas Besonderes: Sie wird schließlich die Frau von Boas. Damit ist sie ein schöner Hinweis auf die Gemeinde. Die Gemeinde besteht hauptsächlich aus Menschen, die nicht jüdischer Abstammung sind, sondern aus den heidnischen Völkern kommen. Nur ein kleiner Teil der Gemeinde ist jüdisch. Seit Apostelgeschichte 2 besteht die Gemeinde und das geht bis zur Entrückung bei der Wiederkunft Christi.
So ist Ruth ein Hinweis auf die Gemeinde, die Gott aus den heidnischen Völkern sammelt und die mit Jesus Christus in eine Eheverbindung tritt. In Epheser 5 wird Jesus Christus als der Ehemann der Gemeinde beschrieben.
Epheser 5, Vers 22 bis zum Schluss: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, gleich wie auch der Christus die Gemeinde geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, auf dass er sie heiligte, sie reinigend durch die Waschung mit Wasser durch das Wort, auf dass die Gemeinde sich selbst verherrlicht darstellte, die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen hat, sondern dass sie heilig und tadellos sei.“
Die Beziehung der Gemeinde zu Christus wird auch als Verlobung beschrieben, dazu 2. Korinther 11,1-2. Nach Offenbarung 19 kommt es in der Zukunft nach der Entrückung der Gemeinde zur Heirat. Dort wird von der Hochzeit der Frau des Lammes gesprochen.
Das sind zwei Perspektiven: Einerseits wird die Gemeinde als bereits verheiratet mit Christus gesehen, andererseits als verlobt. Die Verlobung beschreibt einen Zustand, in dem ein Paar noch keine sexuelle Beziehung hat. Sie sind getrennt, wohnen nicht zusammen. Das ist heute die Situation. Jesus Christus wird wiederkommen, und dann wird die Gemeinde mit ihm vereinigt werden – das ist die Hochzeit.
Andererseits ist Jesus Christus uns heute schon so nahe. In Matthäus 28 am Schluss sagt er: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.“ Als ewiger Gott ist er allgegenwärtig, als Mensch ist er im Himmel. Das gibt diese beiden Beziehungen.
Insofern ist seine Nähe so real, dass Epheser 5 die Beziehung als Ehe beschreibt. Beides finden wir in der Beziehung von Ruth und Boas.
Auf Blatt zwei in der Mitte, nach den Erklärungen über den Löser beziehungsweise Erlöser, steht der Begriff „Typologie“, also Vorbildlehre. Der nächste Verwandte, der nicht lösen konnte (Ruth 3,12; 4,6), versinnbildlicht das Gesetz, das weder retten noch Leben spenden konnte.
In Apostelgeschichte 13,39 wird gesagt: „Niemand konnte durch das Gesetz vor Gott gerecht werden.“ Römer 8,3 sagt: „Das, was dem Gesetz unmöglich war, hat Gott getan, indem er seinen Sohn als Sündopfer gesandt hat.“ In Hebräer 7,19 heißt es: „Das Gesetz hat nichts zur Vollendung gebracht im Gegensatz zu Christus.“
Der nächste Verwandte, der hätte lösen sollen, sagt: „Ich kann nicht lösen.“ Er war nicht ehefähig. So war es auch mit dem Gesetz. Gott gab es und sagte in 3. Mose 19: „Wer alle diese Gebote einhält, wird durch sie leben.“ 1500 Jahre versuchte man, das Gesetz einzuhalten, und alle Generationen starben. Das zeigte: Das Gesetz kann uns nicht mit Gott verbinden und Leben bringen, sondern verurteilt uns vielmehr.
Nicht, weil das Gesetz schlecht wäre, sondern weil wir schlecht sind. Man hätte Michelangelo einen Sandhaufen geben können und sagen: „Mach daraus etwas Schönes.“ Er hätte gesagt: „Was soll ich damit? Gib mir Granit, dann mache ich etwas Schönes.“ Das Material ist wertlos.
Dass dem Gesetz unmöglich war (Römer 8,3), weil es durch das Fleisch kraftlos war, tat Gott. Das Gesetz ist gut, aber wir sind nicht gut, darum konnte das Gesetz uns nicht mit Gott verbinden und zum Leben führen.
Der nächste Verwandte sagt: „Ich kann nicht.“ Dann kam Boas, der nächste Verwandte.
Damit ist er, ich lese weiter auf dem Blatt, ein Hinweis auf Jesus Christus, der unser nächster Verwandter wurde, indem er Fleisch und Blut annahm, um uns zu erlösen. Hebräer 2,14: „Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch Christus gleicherweise an denselben teilgenommen, damit er durch den Tod den zunichte mache, der die Macht des Todes hat, das ist der Teufel, und alle befreie, die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren.“
So ist er unser Erlöser geworden. Er musste unser nächster Blutsverwandter werden, um uns erlösen zu können.
Das versinnbildlicht die Gemeinde, die hauptsächlich aus heidnischen Völkern stammt und ohne Rechtsansprüche in den vollen Segen Gottes eingeführt wurde.
Dazu möchte ich aus Epheser 2, Vers 11 lesen. Dort werden nichtjüdische Christen angesprochen: „Seid eingedenk, dass ihr einst die Nationen oder die Heiden im Fleisch, welche Vorhaut genannt werden, von der sogenannten Beschneidung, wie im Fleisch mit Händen geschieht, dass ihr zu jener Zeit ohne Christus wart, entfremdet dem Bürgerrecht Israels und fremd hinsichtlich der Bündnisse der Verheißung, keine Hoffnung habend und ohne Gott in der Welt. Jetzt aber in Christus Jesus seid ihr, die ihr einst fern wart, durch das Blut des Christus nahe geworden.“
Das ist genau die Situation von Ruth, die so in den Segen Gottes eingeführt wurde.
Im Judentum spielt das Buch Ruth an einem besonderen Fest eine wichtige Rolle. Für die Feste gibt es bestimmte Schriftrollen, die gelesen werden. Zum Beispiel wird am Purimfest das Buch Esther gelesen. Am Pfingstfest, dem Fest der Wochen, wird immer Ruth gelesen.
Das hängt damit zusammen, dass man bis zum Pfingstfest den Weizen in Israel nicht ernten darf. An Pfingsten werden die Erstlinge der Weizenernte geschnitten und zum Tempel gebracht als Brote, und dann darf man das ganze Land ernten.
Die Weizenernte ist etwas früher als bei uns, etwa 50 Tage nach der Gerstenernte, die im März oder April stattfindet.
In Ruth haben wir gelesen, dass sie von der Gerstenernte bis zur Weizenernte aufgelesen hat (Kapitel 2, am Schluss). Das macht die Beziehung zum Pfingstfest im Judentum sehr direkt, denn das Pfingstfest ist ein Erntefest.
Ausgerechnet an Pfingsten (Apostelgeschichte 2) entstand die Gemeinde, die aus den Völkern der Welt gesammelt werden sollte. Darum ist diese Beziehung eindrücklich: Das Buch Ruth ist das Buch der Gemeinde, die ursprünglich rechtlos in den Segen Gottes eingeführt wurde.
Noch etwas Wichtiges: Auf dem Blatt sind die Stellen im Buch Ruth angegeben, wo Goel, der Erlöser oder Löser, vorkommt, ebenso das Tätigkeitswort Ga'al. Goel kommt von Ga'al, lösen, erlösen.
Wenn man das anschaut, sieht man, dass das Buch förmlich geprägt ist von diesem Begriff, der etwa zwanzig Mal vorkommt.
In der Prophetie wird Gott sehr oft der Goel Israels genannt, der Erlöser. Ich habe in Verbindung mit den vier Aufgaben des Löser auf dem Blatt Stellen aus den Propheten aufgeführt.
Zum Beispiel:
Freikauf des Eigentums eines verarmten Verwandten: Jesaja 41,9; 14; 44,24; 26; 29; 49,7-9. Diese Stellen zeigen, dass Gott für Israel das Land zurückrettet. Das ist hochaktuell, denn Israel als Volk hat in den vergangenen 2000 Jahren das Land der Väter verloren. Jetzt kommt es zurück, und es gibt Protest in der Welt. Wie wollen sie Anrecht auf dieses Land geltend machen? Gott stellt sich in der Prophetie als Goel Israels vor und sorgt dafür, dass sie das Land bekommen, das ihnen als Erbteil zusteht.
Freikauf eines verarmten Verwandten: Jesaja 43,14; 48,17; 20 usw. Hier geht es darum, dass Gott Israel, das unter die Knechtschaft heidnischer Völker gekommen ist, freikauft und ihnen Freiheit schenkt.
Rache am Mörder eines Verwandten: Jesaja 41,14; 47; 49; 46; 26; 59,16-20. Diese Stellen zeigen Gott, der die Feinde Israels am Ende der Tage bestrafen wird. Gott nimmt die Aufgabe des Bluträchers an Israel wahr, immer als der Goel.
Heirat der Witwe eines kinderlos verstorbenen Verwandten, um seine Erblinie zu erhalten: Jesaja 54,1-8. Israel wird als Witwe gesehen, die in den vergangenen zweitausend Jahren einsam war. Gott sagt: „Ich werde dich zur Frau nehmen.“ In diesem Zusammenhang nennt er sich wieder Goel, der Löser oder Erlöser Israels, der sie aus der Vereinsamung herausführt in eine glückliche Eheverbindung.
Das Buch Ruth hat somit Bedeutung sowohl im Blick auf Israel als auch auf die Gemeinde und für uns auch ganz praktisch.
Wir lernen, was geschieht, wenn wir uns der Zucht Gottes in unserem Leben entziehen wollen. Gott möchte uns erziehen, aber wenn wir davonlaufen aus einer Schule, können wir ihm nicht entkommen. Er bringt uns zurück, so wie er Naomi zurückgebracht hat.
Ruth sehen wir als eine Frau mit moralischen Vorstellungen, einfach weil sie den wahren Gott erkannt hat. Obwohl ihr Hintergrund schlecht war, spielt das keine Rolle. Gott schaut auf das Herz.
In Kapitel 3, Vers 11 nennt Boas sie am Schluss „eine wackere Frau, ein wackeres Weib“. Das ist der Ausdruck aus Sprüche 31,10, Eschet Chayil – sehr schwierig zu übersetzen, aber es heißt eine tüchtige Frau in jeder Hinsicht.
Sie wird in Sprüche 31,10 beschrieben, das ist die Krönung des Sprüchebuches, die Beschreibung der idealen Frau. Manche Frauen werden vielleicht etwas deprimiert, wenn sie das lesen. Aber das Ideal muss immer höher stehen als das, was wir gerade sind. Das ist der Ansporn.
Wenn Gott eine Frau vorstellen würde, die man ohne Probleme kopieren kann, was bringt uns das? Er zeigt uns dort eine Frau, aber wir sollten nicht zu ideal denken. Boas konnte sie tatsächlich so nennen: Eschet Chayil. Es gibt diesen Ausdruck auch als Schmuck in Israel, man kann ihn als Silberschmuck kaufen. Ob man sich so beschreiben soll, ist eine andere Frage. Es geht mehr um das Sein als um die Schrift.
Ruth nimmt gewissermaßen schon vor der Entstehung des Sprüchebuches vorweg, was es heißt, eine Frau nach Gottes Herzen zu sein.
Noch ganz kurz zum Schluss: Gott im Buch Ruth wird beschrieben als ein Gott, der sein Volk durch Hungersnot züchtigt (Kapitel 1), aber auch als der Gott, der Brot gibt (Kapitel 1, Vers 6).
Er führt Ruth nicht nur in die Ehebeziehung mit Boas, sondern bewirkt schließlich die Schwangerschaft (Kapitel 4, Vers 13). Das ist wichtig.
Etwas vom Übelsten, was ich finde, ist der Ausdruck „Kinder machen“. Das ist unsinnig. Ich muss das immer wieder meinen Kindern erklären. Wir Menschen können keine Kinder machen. Dass wir überhaupt Kinder bekommen, ist jedes Mal ein Wunder.
Man muss sich überlegen, wie das überhaupt geht. Es ist ein Wunder, wenn es zu einer Schwangerschaft kommt. In unserer Gesellschaft sind heute etwa zehn Prozent unfruchtbar. Viele leiden darunter und fragen: „Warum haben wir keine Kinder?“ Wir können keine Kinder machen. Das ist Gottes Wirken in der Natur. Er hält alle Dinge zusammen.
Das wird uns auch schön im Buch Ruth beschrieben: Gott bewirkt die Schwangerschaft. Das ist nicht in unseren Händen. Wir dürfen uns einfach unter seinen souveränen Willen stellen, so wie er es für uns vorgesehen oder nicht vorgesehen hat.
Schließlich der Aufbau des Buches in vier Teilen:
Kapitel 1: Ruth entscheidet sich, und zwar in Moab.
Kapitel 2: Ruth dient, und zwar auf den Feldern des Boas.
Kapitel 3: Ruth findet Ruhe, und zwar auf der Tenne. Sie kommt zu Boas und bittet ihn, ob er nicht die Leviratsehe nach dem Gesetz eingehen möchte. Es ist übrigens nicht normal, dass eine Frau um die Ehe bittet, obwohl wir hier das Beispiel haben. Es geht um einen Spezialfall. Die Rabbiner erklärten, warum der Mann die Frau suchen muss und nicht umgekehrt: Wie war das mit Adam? Ihm fehlte etwas, das er suchen musste, nicht der Frau.
Kapitel 4: Ruth wird belohnt, und zwar im Stadttor, wo die Richter, die Ältesten, entscheiden, dass die Erlösung durch Boas möglich wird. So kommt Ruth in den vollen Segen, auch der Nachkommenschaft, und sie wird Stammmutter des Erlösers.
Das Buch der Erlösung weist letztlich hin auf den Erlöser aus Bethlehem.
Die Rolle des Blutsverwandten als Erlöser (Goel) im Buch Ruth
Nun ein wichtiges Schlüsselwort: Ruth kam ja zufällig auf das Feld von Boas. Und da Noomi das hört, wird sie hellhörig. In 4. Mose 3,21 heißt es am Schluss: „Der Mann ist uns nahe verwandt, er ist einer von unseren Blutsverwandten.“
Jetzt schauen wir auf Blatt zwei. Unter dem Untertitel „Löser, Erlöser“ finden wir das Wort Goel. Es bedeutet Löser, man kann es auch mit Erlöser, Blutsverwandter oder Bluträcher übersetzen. Dieser Begriff stammt aus dem Erbrecht der Israeliten.
Dieser Löser oder nahe Blutsverwandte konnte vier Aufgaben wahrnehmen. Diese folgen auf dem Blatt:
Freikauf des Eigentums eines verarmten Verwandten nach 3. Mose 25,25. Wenn jemand seinen Grundbesitz verloren hatte, konnte der nächste Verwandte diesen Grundbesitz zurückkaufen, da er das Erstkaufsrecht besaß. Dadurch wurde er zum Erlöser für den Verarmten.
Freikauf eines verarmten Verwandten nach 3. Mose 25,47-49. Wenn ein Israelit nichts mehr abzugeben hatte, konnte er sich gewissermaßen als Knecht verkaufen. Der nächste Verwandte hatte das Recht, diesen Knecht freizukaufen und wurde dadurch sein Erlöser, der ihn von der Knechtschaft befreite.
Rache am Mörder eines Verwandten. In 4. Mose 35,19 wird das Wort Goel als Bluträcher übersetzt. Wenn ein Israelit ermordet wurde, war es die Pflicht des nächsten Blutsverwandten, den Mord zu rächen. Er sollte als Erster die Hand an den Mörder legen.
Heirat der Witwe eines kinderlos verstorbenen Verwandten oder Bruders, um seine Erblinie zu erhalten. In 5. Mose 25 lesen wir dazu in 3. Mose 25,5: „Wenn Brüder beisammen wohnen und einer von ihnen stirbt und keinen Sohn hat, so soll die Frau des Verstorbenen nicht auswärts eines fremden Mannes werden. Ihr Schwager soll zu ihr eingehen und sie sich zur Frau nehmen und ihr die Schwagerpflicht leisten.“ Dies ist die sogenannte Leviratsehe, wie man sie im Judentum nennt.
Es heißt weiter: „Der Erstgeborene, den sie gebiert, soll nach dem Namen seines verstorbenen Bruders aufstehen, damit dessen Name nicht ausgelöscht werde aus Israel.“ Boas wird schließlich diese Pflicht übernehmen als naher Verwandter. Er heiratet Ruth, um damit dem verstorbenen Ehemann von Ruth die Erblinie fortzusetzen. So war gesichert, dass das Grundstück, das der Familie Elimelechs gehörte, nicht verloren ging.
Das war also eine erbrechtliche Regelung zur Fortsetzung und Sicherung des Familienbesitzes.
Ich lese weiter: „Wenn aber der Mann keine Lust hat, seine Schwägerin zu nehmen, so soll seine Schwägerin ins Tor hinaufgehen zu den Ältesten und sprechen: ‚Mein Schwager weigert sich, seinem Bruder einen Namen in Israel zu erwecken. Er will mir die Schwagerpflicht nicht leisten.‘ Die Ältesten seiner Stadt sollen ihn rufen und mit ihm reden. Und besteht er darauf und sagt: ‚Ich habe keine Lust, sie zu nehmen‘, so soll seine Schwägerin vor den Ältesten zu ihm hintreten, ihm den Schuh vom Fuß ausziehen und ihm ins Angesicht spucken. Sie soll antworten und sprechen: ‚Also soll dem Mann getan werden, der das Haus seines Bruders nicht bauen will, und sein Name soll in Israel das Haus des Barfüßigen heißen.‘“
Wir werden dann in Kapitel 4 sehen, dass es einen näheren Verwandten als Boas gibt. Er sagt nicht: „Ich habe keine Lust zu lösen“, sondern: „Ich kann nicht lösen.“ Bei ihm lag also ein handfester Hinderungsgrund vor, dass er die Ehe nicht eingehen konnte. Wir lesen auch nichts davon, dass er angespuckt wird. Die Sache mit dem Schuh kommt erst in Kapitel 4.
Die Sache mit dem Schuh ist diese: Der nächste Verwandte nimmt gewissermaßen das verlorene Grundstück der Familie in Besitz. Das Symbol dafür ist, mit seinen Sandalen den Boden zu betreten. Psalm 60, Vers 8 beschreibt das schön: „Moab ist mein Waschbecken, auf Edom will ich meine Sandale werfen, Philister jauchzen mir zu.“ Das bedeutet, das edomitische Land wird in Besitz genommen.
Der Mann, der den Besitz nicht lösen konnte, musste vor dem Gerichtshof im Tor der Stadt die Schuhe ausziehen und damit zeigen: Ich kann oder ich will den Besitz nicht in Anspruch nehmen. Darum heißt es: das Haus des Barfüßigen.
Noomi realisiert also, dass Boas ein naher Blutsverwandter ist, der zum Löser werden könnte. Die Sache ist aber etwas problematisch, denn Ruth war eine Moabitin. Kann man das Gesetz auf diese Situation anwenden oder nicht? Das sind offene Fragen.
Hinzu kommt, dass es einen näheren Verwandten gibt. Aber Gottes Führung ist gewaltig. Ruth will einfach für den Unterhalt von sich und ihrer Schwiegermutter sorgen. Und da kommt sie zufällig – so heißt es in Kapitel 2, Vers 3 – auf das Feldstück von Boas. Also gibt es doch Zufall.
Die Bibel sagt ganz ausdrücklich „zufällig“. Aber wir müssen unterscheiden: Es gibt einen objektiven und einen subjektiven Zufall. Einen objektiven Zufall gibt es nicht, weil Gott über allem steht. In Kolosser 1, Vers 16 heißt es von Jesus Christus: „Er ist der Schöpfer aller Dinge.“ Und in Vers 17: „Alle Dinge werden durch ihn zusammengehalten.“ Das heißt, Jesus hält letztlich die ganze Materie im Weltall zusammen, auch die Atome.
Wir können heute genau berechnen, welche Kräfte wirken, man kann die Ladung eines Elektrons bestimmen und so weiter. Aber im tiefsten Wesen gibt es keinen Physiker oder Chemiker, der uns sagen könnte, was ein Elektron wirklich ist. Niemand weiß es. Das Wesen hat niemand erfasst. Man kennt die Kräfte, kann sie messen und berechnen, aber im tiefsten Wesen bleibt es ein Geheimnis.
Wir dürfen wissen: Jesus Christus hält alles zusammen. Nach dem Tausendjährigen Reich wird die ganze Welt aufgelöst. Petrus schreibt in 2. Petrus 3, vor etwa zweitausend Jahren: Die Elemente, die Stoichoia – ein Begriff, der in der Chemie noch als Stöchiometrie bekannt ist, also die Lehre vom Zusammenbau der Atome – werden aufgelöst. Petrus benutzt nicht das Wort „Atomos“ (das Unteilbare), sondern ein anderes Wort für Elemente. Er sagt, Gott wird alle Elemente auflösen.
Entgegen dem damaligen Wissensstand werden alle Elemente im Feuer zerschmolzen, und Gott wird einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen. Der Herr Jesus wird dann das Zusammenhalten aufgeben. Aber jetzt ist er nicht nur der Schöpfer, sondern auch der Erhalter der Welt. Er hält alles zusammen.
Nach Daniel 5 sagt Daniel zu Belsazar: „Gott hat deinen Atem in seiner Hand.“ Auch unseren Lebensatem hat Gott in der Hand, bis zu dem Moment, in dem wir zum letzten Mal ausatmen. Das ist üblich, dass am Schluss die letzte Luft ausgestoßen wird. Gott hält diesen Atem in der Hand und lässt ihn dann los.
Einen objektiven Zufall gibt es also nicht. Alle Naturgesetze sind letztlich Gottes regelmäßiges Handeln.
Hier aber heißt es „zufällig“. Das ist subjektiver Zufall, denn Ruth hatte nicht auf etwas Besonderes geachtet. Sie dachte einfach: „Gut, das wäre jetzt eine Möglichkeit.“ Für sie war es ohne Plan, also zufällig. Aber von Gottes Seite war ein Plan da. Er wollte, dass sie schließlich Boas heiratet und Stammmutter des Messias wird.
Das ist großartig. So sieht man das Leben ganz anders. Wie viele Dinge im Leben haben wir ohne speziellen Plan erlebt, und doch müssen wir rückblickend erkennen: Das war genau Gottes Führung. Subjektiv war es Zufall, objektiv aber Gottes Führung.
Dazu möchte ich noch aus Römer 8 lesen, einem bekannten Vers: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken, denen, die nach Vorsatz berufen sind.“ (Römer 8,28)
Das ist so beruhigend. Man kann sich wirklich unter Gottes Souveränität und Autorität in allen Dingen des Lebens stellen.
Ruth kommt also zufällig auf das Feld, und Boas hat bereits gehört, was für eine Frau sie ist. Er ist darum sehr positiv eingestellt. Er weiß, wie sie sich gegenüber ihrer Schwiegermutter verhalten hat.
Übrigens eine gute Sache, wenn es ums Heiraten geht: Junge Frauen sollten darauf achten, wie sich ein möglicher Partner gegenüber seiner Mutter verhält. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er sich später gegenüber seiner Ehefrau ähnlich verhalten wird. Wenn jemand schändlich gegenüber seiner Mutter ist, muss man nicht erwarten, dass er gegenüber seiner Frau anders ist.
Boas wusste genau, wie sie sich gegenüber ihrer Schwiegermutter verhielt. Das gab eine Basis, um Vertrauen zu Ruth zu haben. Wir bekommen da ganz gute Rezepte, die auch nach über dreitausend Jahren hochaktuell sind.
In Kapitel 2, Vers 8 sagt Boas, der auf seinem Bauernhof alles regelt: „Und gehe auch nicht von da weg, sondern halte dich hier zu meinen Mädchen.“ Er sagt nicht: „Halte dich zu meinen Jungs.“ Ruth geht hinter den Jungs her und liest auf.
Naturgemäß musste sie hinten auflesen. Aber Boas sagt sogar den Knechten, sie sollen von dem Korn Gaben herausnehmen und hinwerfen, damit sie sie auflesen kann. So hätte sie auch vorne auflesen können, aber sie sollte kein Blickfang für die Jungs sein.
Später lobt Boas sie und sagt: „Du bist nicht den Jungs nachgegangen.“ Sie wollte also nicht um jeden Preis alles selbst machen, sondern stellte sich unter Gottes Führung. Das wurde reich belohnt.
Boas ist eigentlich ein Bild des Herrn Jesus Christus als unser Erlöser. In ihm ist Stärke.
Nun kommt Ruth, die den wahren Gott sucht, mit Boas zusammen und findet in seinen Augen Gnade. In 2. Mose 2,10 heißt es: „Warum habe ich Gnade gefunden in deinen Augen, dass du mich beachtest?“ Das ist das Gewaltige.
Wie kommt es, dass wir in Jesus Christus Gottes Gnade finden dürfen? Ich lese aus Epheser 2, Vers 8: „Denn durch die Gnade seid ihr errettet mittels des Glaubens. Und das nicht aus euch – Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit niemand sich rühme.“
Die Gnade ist also die absolute Basis, auch in der Beziehung von Ruth und Boas.
Besonders möchte ich noch auf Kapitel 2, Vers 9 am Schluss hinweisen: „Und wenn dich dürstet, so gehe zu den Gefäßen und trinke von dem, was die Knaben schöpfen.“
Jesus sagt in Johannes 7,37: „Wenn jemand dürstet, der komme zu mir und trinke.“ Hier haben wir Boas, der der durstigen Ruth zu trinken gibt. Auch darin ein Hinweis auf den kommenden Erlöser, der aus dieser Linie kommen sollte.
Er gibt ihr auch Nahrung. In Vers 14 heißt es: „Tritt herzu und iss von dem Brot und tunke deinen Bissen in den Essig.“
Dazu passt Johannes 6, wo ich zwei Verse lesen möchte:
Johannes 6, Vers 51: „Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel herniedergekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird leben in Ewigkeit.“
Vers 54: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben, und ich werde ihn am letzten Tag auferwecken. Denn mein Fleisch ist wahrhaftig Speise und mein Blut wahrhaftig Trank.“
Nun hat Ruth zu trinken bekommen: Wasser und Essig. Essig, natürlich verdünnt, war im Altertum als Durstlöscher beliebt, heute nicht mehr so. Er löscht sehr stark den Durst. Auch die römischen Soldaten löschten ihren Durst mit verdünntem Essig.
So sagte Jesus: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben.“ Hier haben wir sowohl Brot als auch Trank.
In Johannes 6,51 steht im Griechischen ein Aorist, eine einmalige Handlung. Wer also den Akt des Essens vollbringt, wird leben in Ewigkeit. Das ist die Bekehrung.
In Vers 54 benutzt Johannes eine andere Wortform, das griechische Präsens, das einen andauernden Vorgang beschreibt: „Wer mein Fleisch isst“ – also immer wieder isst – „und mein Blut trinkt“, hat ewiges Leben. Das bedeutet, der Gläubige, der ewiges Leben hat durch den Glauben an Jesus Christus, ernährt sich beständig von Jesus, dem Brot aus dem Himmel, der sein Blut auf Golgatha gegeben hat.
Auch hier eine schöne Verbindung zum Neuen Testament.
Ruth als Bild der Gemeinde und ihre Beziehung zu Christus
Nun sehen wir in Ruth noch etwas Besonderes: Sie wird schließlich die Frau von Boas. Damit ist sie ein schöner Hinweis auf die Gemeinde. Die Gemeinde besteht ja hauptsächlich aus Menschen, die nicht jüdischer Abstammung sind, sondern aus den heidnischen Völkern kommen. Nur ein ganz kleiner Teil der Gemeinde ist jüdisch. Seit Apostelgeschichte 2 besteht die Gemeinde, und das geht bis zur Entrückung bei der Wiederkunft Christi für die Gemeinde.
So ist Ruth ein schöner Hinweis auf die Gemeinde, die Gott hauptsächlich aus den heidnischen Völkern sammelt und die mit Jesus Christus in eine Eheverbindung eingetreten ist. In Epheser 5 wird Jesus Christus als der Ehemann der Gemeinde beschrieben. Ich gebe nur die Stelle an: Epheser 5,22 bis zum Schluss. Jesus Christus ist der Mann, die Gemeinde die Frau.
Ich lese aus Epheser 5,25: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, gleichwie auch der Christus die Gemeinde geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, auf dass er sie heiligte, sie reinigend durch die Waschung mit Wasser durch das Wort, auf dass er die Gemeinde sich selbst verherrlicht darstellte, die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei.“
Die Beziehung der Gemeinde zu Christus wird auch als eine Verlobung beschrieben, dazu 2. Korinther 11,1-2. Nach Offenbarung 19 kommt es dann in der Zukunft, nach der Entrückung der Gemeinde, zur Heirat. Darum wird dort von der Hochzeit der Frau des Lammes gesprochen.
Das sind zwei verschiedene Perspektiven: Einerseits wird die Gemeinde als bereits verheiratet mit Christus gesehen, andererseits als verlobt. Dies dient dazu, zwei Dinge zu beschreiben. Einerseits ist es ein Verlobungszustand, denn Christus ist heute im Himmel und die Gemeinde ist hier auf Erden. Die Verlobungszeit ist die Zeit, in der ein Paar nach der Bibel noch keine sexuelle Beziehung haben darf. Sie sind getrennt und wohnen nicht zusammen. Das ist die Situation heute.
Jesus Christus wird wiederkommen, und dann wird die Gemeinde mit ihm vereinigt werden – das ist die Hochzeit. Andererseits ist es so, dass Jesus Christus uns heute schon so nahe ist. In Matthäus 28, am Schluss, sagt er: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.“ Als der ewige Gott ist er allgegenwärtig, als Mensch ist er im Himmel. Das erklärt diese beiden Beziehungen.
Seine Nähe ist so real, dass Epheser 5 über die Beziehung als eine Ehebeziehung spricht. Beides finden wir in der Beziehung von Ruth und Boas.
Wir können dazu auf Blatt zwei in der Mitte nach diesen Erklärungen über den Löser beziehungsweise Erlöser schauen. Dort haben wir den Begriff Typologie, also Vorbildlehre. Der nächste Verwandte, der nicht lösen konnte, ist in Ruth 3,12 und 4,6 versinnbildlicht. Das Gesetz konnte weder retten noch Leben spenden.
In Apostelgeschichte 13,39 wird gesagt: Niemand konnte durch das Gesetz vor Gott gerecht werden. Römer 8,3 sagt: „Das, was dem Gesetz unmöglich war, hat Gott getan, indem er seinen Sohn gesandt hat als Sündopfer.“ Und in Hebräer 7,19 wird gesagt: „Das Gesetz hat nichts zur Vollendung gebracht, im Gegensatz zu Christus.“
Der nächste Verwandte, der eigentlich hätte lösen sollen, sagt: „Ich kann nicht lösen.“ Er war also nicht ehefähig.
So war es auch mit dem Gesetz. Gott hat das Gesetz gegeben und gesagt in 3. Mose 19: „Wer alle diese Gebote einhält, wird durch sie leben.“ Darum hat man 1500 Jahre versucht, das Gesetz einzuhalten, und alle Generationen sind gestorben. Das hat gezeigt, dass das Gesetz uns Menschen nicht mit Gott verbinden kann und uns kein Leben bringt. Vielmehr verurteilt das Gesetz uns.
Das Gesetz ist nicht schlecht, sondern wir sind schlecht. Man hätte Michelangelo einen Sandhaufen bringen können und sagen: Mach daraus etwas Schönes. Er hätte gesagt: Was soll ich mit dem? Gib mir Granit, dann mache ich etwas Schönes. Das Material ist wertlos.
Dass dem Gesetz unmöglich war, Römer 8,3, weil es durch das Fleisch kraftlos war, tat Gott. Das Gesetz ist gut, aber wir sind nicht gut. Darum konnte das Gesetz uns nicht mit Gott verbinden und zum Leben führen.
Der nächste Verwandte sagt: „Ich kann nicht.“ Dann kam Boas, der nächste Verwandte. Damit ist er – ich lese weiter auf dem Blatt – ein Hinweis auf Jesus Christus, der unser nächster Verwandter wurde, indem er Fleisch und Blut annahm, um uns zu erlösen.
Hebräer 2,14 sagt: „Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch Christus gleicherweise an denselben teilgenommen, damit er durch den Tod den zunichte machte, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel, und alle befreite, welche durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren.“
So ist er unser Erlöser geworden. Er musste unser nächster Blutsverwandter werden, um uns erlösen zu können.
Wie gesagt, Ruth versinnbildlicht die Gemeinde, die hauptsächlich aus den heidnischen Völkern stammt und obwohl völlig ohne Rechtsansprüche in den vollen Segen Gottes eingeführt wurde.
Dazu möchte ich etwas lesen aus Epheser 2,11. Dort werden nichtjüdische Christen angesprochen: „Darum gedenkt daran, dass ihr einst die Nationen oder die Heiden im Fleisch, welche Vorhaut genannt werden, von der sogenannten Beschneidung, wie im Fleisch mit Händen geschieht, gewesen seid, dass ihr zu jener Zeit ohne Christus wart, entfremdet dem Bürgerrecht Israels und Fremdlinge bezüglich der Bündnisse der Verheißung, ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt. Jetzt aber seid ihr in Christus Jesus, die ihr einst fern wart, durch das Blut Christi nahe geworden.“
Das ist genau die Situation von Ruth, die so in den Segen Gottes eingeführt wurde.
Das Buch Ruth im jüdischen Festkalender und seine prophetische Bedeutung
Und nun ist es erstaunlich: Im Judentum spielt das Buch Ruth an einem besonderen Fest eine wichtige Rolle. Es gibt für die Feste ganz bestimmte Schriftrollen, die gelesen werden. Zum Beispiel wird am Purimfest das Buch Esther gelesen – das ist klar.
Am Pfingstfest, dem Fest der Wochen, wird immer das Buch Ruth gelesen. Das hängt natürlich damit zusammen, dass man bis zum Pfingstfest den Weizen in Israel nicht ernten darf. An Pfingsten werden die Erstlinge der Weizenernte geschnitten. Diese werden zum Tempel gebracht und als Brote dargebracht. Erst danach darf man das ganze Land ernten.
Die Weizenernte fällt also etwas früher als bei uns, nämlich etwa 50 Tage nach der Gerstenernte, die im März oder April stattfindet. Im Buch Ruth lesen wir, dass Ruth vom Beginn der Gerstenernte bis zur Weizenernte aufgelesen hat (Ruth 2, am Schluss). Das macht die Beziehung zum Pfingstfest im Judentum sehr direkt, denn das Pfingstfest ist eigentlich ein Erntefest.
Doch ausgerechnet an Pfingsten, in Apostelgeschichte 2, entstand die Gemeinde, die aus den Völkern der ganzen Welt gesammelt werden sollte. Daher ist diese Beziehung sehr eindrücklich: Das Buch Ruth steht für die Gemeinde, die ursprünglich rechtlos in den Segen Gottes eingeführt wurde.
Noch etwas Wichtiges: Ich habe auf dem Blatt die Stellen im Buch Ruth angegeben, in denen Goel, der Erlöser oder Löser, vorkommt. Ebenso das Tätigkeitswort Ga’al. Goel kommt von Ga’al, was „lösen“ oder „erlösen“ bedeutet. Wenn man das anschaut, sieht man, dass das Buch Ruth förmlich geprägt ist von dem etwa zwanzig Mal vorkommenden Begriff Goel beziehungsweise Ga’al.
In der Prophetie wird Gott sehr oft als der Goel Israels bezeichnet, der Erlöser. Ich habe in Verbindung mit den vier Aufgaben des Löser auf dem Blatt Stellen aus den Propheten aufgeführt. Zum Beispiel den Freikauf des Eigentums eines verarmten Verwandten (Jesaja 41,9; 44,24; 44,26; 44,29; 49,7-9 usw.). Diese Stellen zeigen, dass Gott für Israel das Land zurückrettet.
Das ist natürlich hochaktuell, denn Israel als Volk, das jüdische Volk, hat in den vergangenen 2000 Jahren das Land der Väter verloren. Nun kommt es zurück, und weltweit gibt es Protest dagegen. Wie wollen sie Ansprüche auf dieses Land geltend machen? In der Prophetie stellt sich Gott in Jesaja als der Goel Israels vor. Er sorgt dafür, dass sie das Land erhalten, das ihnen als Erbteil zusteht.
Ein zweiter Punkt ist der Freikauf eines verarmten Verwandten. Hierauf habe ich mit Verweis auf Jesaja 43,14; 48,17; 48,20 usw. hingewiesen. Es geht darum, dass Gott Israel, das unter die Knechtschaft heidnischer Völker geraten ist, freikauft und ihnen Freiheit schenkt.
Die dritte Aufgabe ist die Rache am Mörder eines Verwandten. In Jesaja 41,14; 47,49; 46,26; 59,16-20 sieht man Gott, der die Feinde Israels am Ende der Tage bestrafen wird. Gott nimmt also die Aufgabe des Bluträchers für Israel wahr – und zwar immer als der Goel.
Schließlich, was im Buch Ruth besonders deutlich wird: die Heirat der Witwe eines kinderlos gestorbenen Verwandten, um dessen Erbteil zu erhalten. Vergleiche Jesaja 54,1-8. Dort wird Israel als Witwe dargestellt, die in den vergangenen zweitausend Jahren einsam und verlassen war. Gott sagt: „Ich werde dich zur Frau nehmen.“ In diesem Zusammenhang nennt er sich erneut Goel, der Löser oder Erlöser Israels, der Israel aus der Vereinsamung herausführt in eine glückliche Eheverbindung.
So sehen wir, dass das Buch Ruth sowohl in Bezug auf Israel als auch auf die Gemeinde Bedeutung hat – und auch für uns ganz praktisch. Wir lernen, was geschieht, wenn wir uns der Zucht Gottes in unserem Leben entziehen wollen. Gott möchte uns erziehen, aber wenn wir aus dieser Schule davonlaufen, können wir ihm nicht entkommen. Er bringt uns zurück – so wie er Noomi zurückgebracht hat.
Wir sehen Ruth als eine Frau, die wirklich moralische Vorstellungen hat – einfach weil sie den wahren Gott erkannt hat. Obwohl ihr Hintergrund sehr schlecht war, spielt das keine Rolle, denn Gott schaut auf das Herz. Es ist so schön, dass Boas sie in Kapitel 3, Vers 11 am Schluss nennt: „Denn du bist eine wackere Frau, ein wackeres Weib.“
Das ist genau der Ausdruck aus Sprüche 31,10: Eschet Chayil. Sehr schwierig zu übersetzen, aber es bedeutet eine tüchtige Frau in jeder Hinsicht. Diese Frau wird dann in Sprüche 31,10 beschrieben. Das ist die Krönung des Sprüchebuches – die Beschreibung der idealen Frau.
Ich weiß, manche Frauen werden ein bisschen depressiv, wenn sie das lesen. Aber es ist so: Das Ideal muss immer höher stehen als das, was wir gerade sind. Das ist der Ansporn. Wenn Gott eine Frau vorstellen würde, die man ohne Probleme kopieren kann, was würde uns das bringen?
Er zeigt uns dort eine Frau, aber wir sollten nicht zu idealistisch denken. Denn Boas konnte sie tatsächlich so nennen: Eschet Chayil. Es gibt diesen Ausdruck auch als Schmuck. Man kann in Israel Silberschmuck kaufen, auf dem „Eschet Chayil“ steht. Ob man sich das so anstecken sollte, ist eine andere Frage.
Es ist doch eine Frage des Seins anstatt der Schrift. Ruth nimmt gewissermaßen schon vor der Entstehung des Sprüchebuches vorweg, was es heißt, eine Frau nach Gottes Herzen zu sein.
Gott im Buch Ruth: Zucht und Segen
Noch ganz kurz zum Schluss: Gott im Buch Ruth.
Er wird beschrieben als ein Gott, der sein Volk durch Hungersnot züchtigt (Ruth 1). Aber er ist auch der Gott, der Brot gibt (Ruth 1,6).
Er führt Ruth nicht nur in die Ehe mit Boas, sondern bewirkt schließlich auch die Schwangerschaft. Gott sorgt für die Schwangerschaft (Ruth 4,13). Das ist sehr wichtig.
Etwas vom Übelsten, was ich finde, ist der Ausdruck „Kinder machen“. Das ist so unsinnig, und ich muss das immer wieder meinen Kindern erklären. Wir Menschen können keine Kinder „machen“. Dass wir überhaupt Kinder bekommen, ist jedes Mal ein Wunder. Man muss sich einmal überlegen, wie das überhaupt funktioniert. Es ist wirklich ein Wunder, jedes Mal, wenn es zu einer Schwangerschaft kommt.
Hinzu kommt, dass in unserer Gesellschaft heute etwa zehn Prozent unfruchtbar sind. Viele Menschen leiden darunter und fragen sich: Warum haben wir keine Kinder? Wir können keine Kinder „machen“. Das ist auch Gottes Wirken in der Natur. Er ist es, der alle Dinge zusammenhält.
Das wird uns auch schön im Buch Ruth beschrieben: Es ist Gott, der eine Schwangerschaft bewirkt. Das liegt nicht in unseren Händen. Wir dürfen uns einfach unter seinen souveränen Willen stellen, so wie er es für uns vorgesehen hat oder auch nicht.
Aufbau des Buchs Ruth
Schließlich gliedert sich das Buch in vier Teile:
Kapitel 1: Ruth entscheidet sich – und zwar in Moab.
Kapitel 2: Ruth dient – und zwar auf den Feldern des Boas.
Kapitel 3: Ruth findet Ruhe – und zwar auf der Tenne. Sie kommt zu Boas und bittet ihn, ob er nicht die Leviratsehe nach dem Gesetz eingehen möchte.
Es ist übrigens nicht üblich, dass eine Frau um die Ehe bittet, obwohl wir hier genau dieses Beispiel haben. Es handelt sich jedoch um einen Spezialfall. Die Rabbiner haben dies so erklärt: Warum muss der Mann die Frau suchen und nicht die Frau den Mann? Sie verweisen auf Adam, dem etwas fehlte und den er suchen musste – nicht die Frau.
Kapitel 4: Ruth wird belohnt – und zwar im Stadttor, wo die Richter und Ältesten entscheiden, dass die Erlösung durch Boas möglich ist. So erhält Ruth den vollen Segen, auch in der Nachkommenschaft, und wird Stammmutter des Erlösers.
Das Buch der Erlösung weist letztlich auf den Erlöser aus Bethlehem hin.