Einführung und Kontext zu Johannes dem Täufer
Nun kommen wir zu Johannes 3, Verse 22 und folgende. Es geht jetzt um Johannes den Täufer.
Noch einmal: Wir hatten bereits in Kapitel 1 den Täufer vor uns. Vielleicht möchten wir an dieser Stelle ganz kurz in Erinnerung rufen, wie er den Herrn Jesus in Israel eingeführt hat. In Johannes 1, Vers 29 heißt es: „Des folgenden Tages sieht er Jesus zu sich kommen und spricht: Siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt wegnimmt.“
Weiter sagt Johannes: „Dieser ist es, von dem ich sagte, nach mir kommt ein Mann, der mir vor ist; denn er war vor mir.“ Und: „Ich kannte ihn nicht, aber auf dass er Israel offenbar werde, deswegen bin ich gekommen mit Wasser taufend.“
Er hat sich also ganz klar nur als Vorläufer gesehen, der den Messias Israel bekannt machen sollte. Dabei hat er deutlich auf den Auftrag des Messias hingewiesen, nämlich als Opferlamm das Problem der Sünde zu lösen.
Nun wird uns überraschend erklärt, dass auch der Herr Jesus taufte – genauso wie Johannes. Das heißt allerdings nicht, dass Jesus selbst taufte, sondern die Jünger führten die Taufe jeweils durch.
Dies führte zu einem Konkurrenzdenken bei den Schülern – oder man kann sagen, bei den Jüngern von Johannes. Sie dachten, wenn Jesus mehr tauft und mehr Erfolg hat, gefährdet das ihre eigene Position.
Hier wird sehr deutlich, wie schlicht Johannes war und wie klar er seinen Auftrag einstufen konnte. Es war seine Freude, wenn Menschen von ihm weggingen und zum Messias kamen. Das war seine Aufgabe, nicht Menschen um sich zu scharen.
Schauen wir uns die Antwort von Johannes genauer an, besonders Vers 27. Was sagt Johannes? Gerade wenn es um Konkurrenz oder scheinbare Konkurrenz geht, wie argumentiert er?
Man kann sich nichts nehmen, wenn es ihm nicht vom Himmel gegeben ist. Es geht ihm also überhaupt nicht um persönlichen Erfolg. Er sagt: Wenn ich überhaupt Erfolg in meiner Arbeit hatte, dann ist das einfach von Gott gegeben. Das kann man sich nicht selbst nehmen, das ist von Gott gegeben.
Weiter, in Vers 28: „Ihr selbst seid meine Zeugen, dass ich gesagt habe, ich sei nicht der Christus, sondern vor ihm her gesandt.“
Jawohl, das hat er ja schon immer gesagt, auch früher, dass er nicht der Messias ist – das heißt Christus. Er ist nicht der Messias, sondern lediglich sein Vorbote. So wie es prophetisch angekündigt war in Jesaja 40 und in Maleachi 3. Wir können das kurz aufschlagen.
Prophetische Ankündigungen und Erfüllung
Johannes als Stimme in der Wüste
In Jesaja 40 finden wir die Stimme eines Rufenden: „In der Wüste bereitet den Weg des Herrn, ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott.“ Jedes Tal soll erhöht, jeder Berg und Hügel erniedrigt werden. Das Zögerricht soll zur Ebene werden und das Hügelige zur Niederung. Die Herrlichkeit des Herrn wird sich offenbaren, und alles Fleisch miteinander wird sie sehen, denn der Mund des Herrn hat gesprochen.
Johannes der Täufer hat seinen Dienst am Jordan in der jüdischen Wüste begonnen. Damit war er eben dieser Rufende in der Wüste. Sein Wirken war eine Vorbereitung auf das Kommen Gottes. In der Wüste bereitete er den Weg des Herrn, in der Steppe ebnete er eine Straße für unseren Gott. Gott sollte sichtbar werden. In Jesaja 40, Vers 5 heißt es: „Und die Herrlichkeit des Herrn wird sich offenbaren.“ Durch das Kommen des Herrn Jesus als Mensch wurde Gottes Herrlichkeit sichtbar.
Übrigens hat die Qumran-Gemeinschaft, deren Siedlung ausgegraben wurde und von der man elf Höhlen mit Handschriften entdeckt hat, diesen Vers auf sich bezogen. In ihrer Gemeinschaftsregel wird diese Stelle als Begründung angeführt, warum sie sich aus dem Judentum zurückgezogen hatten. Sie gingen in die Wüste, nach Qumran, das ganz nahe am Jordan liegt, um dort auf den Messias zu warten. Genau diesen Vers bezogen sie auf ihre Situation.
Im Neuen Testament wird dieser Vers jedoch ganz eindeutig und klar auf Johannes den Täufer angewandt. Johannes selbst hat das auch so getan, wie es in Johannes 1, Vers 23 heißt.
Johannes als Bote des Herrn gemäß Maleachi
Es gibt aber noch eine zweite Stelle, die auf Johannes hinweist, im letzten Prophetenbuch des Alten Testaments, Maleachi. Dort hört man die Stimme des Messias im Kapitel 3, Vers 1. Wer liest?
„Siehe, ich sende meinen Boten, dass er den Weg vor mir bereite, und plötzlich kommt zu seinem Tempel der Herr, nach dem er verlangt, und der Bundesengel, nach dem er begehrt. Siehe, er kommt, spricht der Herr der Herrscher.“
Der Messias sagt hier selbst, dass er vor sich her seinen Boten schickt. Diese Stelle wird ganz eindeutig in Matthäus 11 auf Johannes den Täufer bezogen. Der Messias ist dann der, der plötzlich zu seinem Tempel kommt, der Herr, den ihr sucht, und der Engel – oder man kann auch übersetzen: der Bote des Bundes. Denn der Messias sollte als Bote kommen, um den neuen Bund zu stiften.
Das war also die Stelle zu Johannes.
Jetzt weiter zu Johannes 3, Vers 29: Eine dritte Begründung von ihm. Es ist keine Konkurrenz, wenn die Jünger Jesu taufen und sogar noch mehr Jünger machen als er. Was ist das Argument in Vers 29?
„Der, der die Braut hat, ist der Bräutigam.“
Ja, und? Er selbst ist der Freund des Bräutigams. Das heißt also, in unserem Sprachgebrauch würde man sagen, er ist der Freund der Braut.
Das Bild von Braut und Bräutigam als biblischer Hintergrund
Aber worauf spielt er an, wenn er sagt: Der, der die Braut hat, ist der Bräutigam? Die Gemeinde. Ja, natürlich wissen wir aus dem Neuen Testament, dass die Gemeinde die Braut ist. Aber worauf bezieht sich Johannes, wenn er den Messias als Bräutigam vergleicht und sich selbst als Freund des Bräutigams sieht? Worauf spielt er an? Auf etwas Bekanntes? Warum?
Ich meine speziell, wenn er dieses Bild von Braut und Bräutigam benutzt, dann muss er ja auf etwas zurückgreifen, das damals seinen Hörern vertraut war. Er hat eine Hochzeitsfeier im Sinn. Aber warum kommt er überhaupt auf die Idee, diesen Vergleich zu verwenden?
Es geht um die Hauptrolle. Wer hat die Hauptrolle? Das ist schon ein Argument, aber es steckt noch mehr dahinter. Er hätte auch ein anderes Beispiel nehmen können, in dem jemand die Hauptrolle spielt. Warum gerade Braut und Bräutigam? Wegen des Bundes, weil Braut und Bräutigam ja einen Bund schließen?
Ja, das könnte man sagen. Aber der alttestamentliche Rückbezug liegt auf einem besonderen Bibelbuch: dem Hohelied, Salomo und Sulamit. Diese sind gleichzeitig ein Bild für den Messias, den großen Salomo, den großen Friedensfürsten. Die Braut ist im Neuen Testament die Gemeinde, im Alten Testament ist es der gläubige Überrest aus Israel.
Die Gemeinde sieht Johannes natürlich noch nicht. Er sieht in der Braut diejenigen aus Israel, die bereit sind, den Messias zu empfangen. Und er sieht sich gewissermaßen als Brautführer. Für ihn ist es wichtig, dass der Bräutigam die Hauptrolle spielt. Es gibt keine Konkurrenz mit dem Taufen.
Nicht wahr, die Jünger von Johannes hatten schon in Vers 25 eine Streitfrage mit einem Juden über die Reinigung. Es wird uns nicht gesagt, worum genau die Streitfrage ging. Man könnte sich vorstellen, ob es um die Frage ging, ob die Taufe des Johannes eine einmalige Handlung war, während Ritualbäder immer wieder genommen werden sollten. Oder ob es um den Unterschied zwischen der Taufe der Jünger Jesu und der Jünger Johannes ging.
Aber all diese Streitigkeiten haben keinen Sinn, wenn man nicht weiß, was die wahre Bedeutung dieser Handlung ist. Johannes wollte, dass durch diese Taufe, bei der man persönliche Schuld bekennt und bereut, Menschen bereit werden, den Messias empfangen zu können.
Wir haben in Jesaja 40 gelesen: Jeder Hügel soll erniedrigt werden, jedes Tal soll aufgeschüttet werden, als Bahn für Gott, der kommt. Ja, all diese Hindernisse, diese Blockaden in den Herzen der Menschen, müssen entfernt werden. Die Sünde muss beseitigt werden, damit offene Herzen und offene Bahnen da sind für den kommenden Erlöser.
Darum: Der, der die Braut hat, ist der Bräutigam. Der Freund des Bräutigams, der aber da steht und ihn hört, ist hocherfreut über die Stimme des Bräutigams. Diese Freude ist nun erfüllt.
Johannes war also am Abschluss seines Dienstes angekommen. Wir haben ja schon in Vers 24 gelesen, dass Johannes noch nicht ins Gefängnis geworfen war.
Johannes’ Dienst und seine Gefangennahme
Diese Bemerkung im Johannesevangelium setzt die drei anderen Evangelien voraus. Dort wird erklärt, dass Johannes der Täufer ins Gefängnis kam, weil er Herodes gesagt hatte: „Die Frau, die du hast, die ist von deinem Bruder; die darfst du nicht haben.“ Und das hat er ihm immer wieder gesagt, nicht nur einmal. Die griechische Zeitform im Grundtext drückt aus, dass es eine wiederholte Handlung war. Er hat es ihm immer wieder gesagt.
Das hat Herodes so geärgert, weil Johannes sich in seine Privatsachen und die Moral eingemischt hat. Moral und Politik muss man ja trennen, nicht wahr? Zumindest nach Herodes und einigen Leuten heute. Aber gerade das hat Johannes das Gefängnis gekostet und schließlich sogar die Enthauptung.
Das wird in den synoptischen Evangelien ausführlich beschrieben. Das Johannesevangelium ist hingegen das späteste Evangelium, das vermutlich um 98 nach Christus verfasst wurde. Dort wird bereits vorausgesetzt, dass die Leser die anderen Evangelien kennen. So wissen sie, worum es geht, denn Johannes war noch nicht ins Gefängnis geworfen worden. Das wird nicht mehr weiter ausführlich beschrieben.
Dann folgt eine schöne Begründung in Vers 30: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ Jawohl, das ist das Ziel. Und das sollte auch unser Ziel sein, dass der Herr Jesus Christus immer wichtiger wird und wir in unseren eigenen Augen an Bedeutung verlieren.
Wir sollten sagen können wie Paulus im Galaterbrief 2, Vers 20: „Ich bin mit Christus gekreuzigt; und doch lebe ich, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir. Was ich aber jetzt im Fleisch lebe, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat.“
Jawohl, also ich lebe, aber nicht mehr ich. Nicht mehr mein Ego ist das, was das Leben ausmacht, sondern Christus.
Eine zweite Stelle ist der 2. Korintherbrief 5, Vers 15: „Und er ist darum für alle gestorben, damit die, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist.“
Jawohl, nicht mehr sich selbst leben. Das darf man aber nicht falsch verstehen. Das hat nichts damit zu tun, dass unsere Persönlichkeit ausgelöscht werden soll, um den „richtigen Stand“ zu erreichen. Das wäre östliche Religion.
In der östlichen Mystik geht es letztlich um die Auflösung der eigenen Person. Dort wird angenommen, der Mensch solle durch Meditation und ähnliches den Stand erreichen, dass sein Ich aufgelöst wird und er mit dem Allgeist vereinigt wird.
Aber das ist eine Feindlichkeit gegenüber unserer Personenhaftigkeit, die wir von Gott bekommen haben. Gott hat uns so geschaffen, in seinem Bild, dass wir Persönlichkeiten sind – mit einer Seele, einem Geist und einem Körper. Das negiert die Bibel nicht.
Wenn es hier heißt „Er muss wachsen, ich muss abnehmen“, geht es einfach darum, dass Christus in allem den Vorrang hat und nicht wir im Zentrum stehen. Das ist wichtig.
Die Beziehung der Erlösten zu Christus ist eine Beziehung wie Braut und Bräutigam. Auch in der tiefsten Nähe der Ehe gibt es keine Auflösung der Person. Die Beziehung bleibt immer eine von Ich und Du. Das ist ganz wichtig.
Die Mystik hat Europa so beeinflusst, dass man meint, richtig religiöses Empfinden sei eigentlich die Auflösung des Ichs. In der Ekstase wird das angestrebt. Die ganze Rockmusik ist nichts anderes als das Streben nach dieser Ekstase, oft auch im Drogenrausch. Das ist alles von unten.
Die Beziehung des Erlösten zu Gott ist jedoch die Beziehung von Braut und Bräutigam. Dabei steht Christus im Vordergrund und nicht wir. „Er muss wachsen, ich aber abnehmen.“
Johannes’ Zeugnis über Jesus und die Präexistenz Christi
Johannes erklärt nun, dass wir nicht einfach zwei verschiedene Personen sind – ich taufe hier und er tauft dort –, sondern dass es grundsätzlich anders ist. Er kommt von oben und steht über allem. Von sich selbst kann er als Prophet sagen: Wer von der Erde ist, ist von der Erde und redet von der Erde aus. Er weiß also ganz klar, dass er ein reiner Mensch ist, aber der Messias ist der Sohn Gottes, der vom Himmel hergekommen ist und über allem steht.
Dann erklärt er weiter: „Und der vom Himmel kommt, dieser Sohn Gottes, ist über allem.“ Was er gesehen und gehört hat, das bezeugt er. Damit verweist er auf die Präexistenz Jesu. Der Herr Jesus ist aus der Ewigkeit hergekommen und aus der ewigen Gemeinschaft mit dem Vater. Das hat er uns gebracht, und das kann kein Prophet bringen. Was er gesehen und gehört hat, das bezeugt er.
Wir können hier einen Rückbezug machen zur Rede, zum Gespräch mit Nikodemus in Johannes 3,11-13. Dort heißt es: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, was wir wissen, und wir bezeugen, was wir gesehen haben; und doch nehmt ihr unser Zeugnis nicht an. Wenn ihr nicht glaubt, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sage? Und niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer dem, der aus dem Himmel herabgestiegen ist, der Menschensohn, der im Himmel ist.“
Das ist genau die Entsprechung: In Vers 11 ist der Sohn Gottes gemeint und der Heilige Geist, der auf dem Menschen Jesus war. In Vers 32 heißt es: „Sein Zeugnis nimmt niemand an.“ Das ist nicht absolut zu verstehen, als hätte sich kein Mensch bekehrt, aber es beschreibt die allgemeine Ablehnung.
Das wird auch im nächsten Vers deutlich: „Wer sein Zeugnis angenommen hat, hat besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist; denn der, den Gott gesandt hat, redet die Worte Gottes.“ Es gibt also Menschen, die im Gegensatz zur Masse dieses Zeugnis angenommen haben und damit Gott Recht gegeben haben.
Nun erklärt Johannes noch: „Denn Gott gibt den Geist nicht nach Maß.“ Was meint er damit? Die Kinder Gottes hatten auch den Geist Gottes, aber nur zu einem bestimmten Maß. Der Geist Gottes ist wieder weggegangen, wie bei Hesekiel, und kam dann wieder zurück für bestimmte Dienste. Aber beim Sohn Gottes war der Heilige Geist immer da in seiner vollen Wirksamkeit.
Ein Schlüsselwort für das Johannesevangelium ist: „Der Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegeben.“ Die Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn wird in Kapitel 10, Vers 17, weiter erläutert. Dort heißt es: „Warum liebt mich der Vater? Weil ich mein Leben lasse und es wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst.“
Auch hier zeigt sich die Liebe des Vaters zum Sohn. Weiter in Kapitel 15, Vers 9: „Gleichwie mich der Vater liebt, so liebe ich euch. Bleibt in meiner Liebe.“ Das ist gewaltig. Der ewige Sohn Gottes, der von Ewigkeit die Liebe des Vaters erfahren hat, kommt in diese Welt. Der Herr Jesus bezeugt selbst: Der Vater liebt mich. Nun sagt Jesus, dass er diese Liebe, die er vom Vater bekommen hat, an seine Nachfolger weitergibt: „Wie ich euch geliebt habe, so bleibt in meiner Liebe.“
In Kapitel 17, Vers 23, im Gebet Jesu für die Jünger vor der Kreuzigung bittet er um Einheit: „Damit die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie geliebt hast, gleichwie du mich geliebt hast.“ Was erfahren wir hier? Dieser Vers hat eine andere Aussage als in 15,9. Der Vater hat die Menschen geliebt, so wie seinen Sohn. Es geht nicht um Menschen allgemein, sondern um die Jünger Jesu. Sogar Judas ist nicht dabei, denn von ihm heißt es im Vers 12 zuvor, dass nur einer verloren gegangen ist, der Sohn des Verderbens.
Es geht also um die wirklich Gläubigen. Der Vers sagt, dass der Vater, der den ewigen Sohn so geliebt hat, nun die Erlösten genauso liebt wie den Sohn. Johannes drückt es so aus: Jesus liebt uns, wie der Vater ihn geliebt hat, und jetzt liebt der Vater uns so, wie er den Sohn geliebt hat.
In Vers 24 heißt es: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir sind, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt.“ Hier haben wir die ewige Liebe des Vaters zum Sohn, vor der Erschaffung der Welt, in der Ewigkeit.
Das Johannesevangelium gibt uns einen tiefen Einblick in diese ewige Beziehung in der Gottheit zwischen Vater und Sohn.
In Vers 26 heißt es: „Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn noch kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.“ Jesus ist gekommen, um den Namen Gottes bekannt zu machen. Welcher Name ist gemeint? Welcher Name Gottes ist das?
Im Gebet spricht Jesus ständig den Vater an: Vers 24 „Vater, ich will...“, Vers 25 „gerechter Vater“. Darum heißt es: „Ich habe in deinem Namen kundgetan.“ Hier ist nicht der Vater als Schöpfer gemeint, wie im Alten Testament (Jesaja 63, Micha 1 usw.), sondern Gott als der ewige Vater des ewigen Sohnes.
Jesus sagt, diesen Namen habe er bekannt gemacht und wird ihn weiter kundtun, damit die Liebe, mit der der Vater ihn liebt, in den Gläubigen sei und Jesus in ihnen. Es geht darum, dass die Erlösten wissen, wer der Vater ist, weil sie als Kinder Gottes (Johannes 1,12) das Recht haben, Kinder Gottes zu sein, wenn sie an seinen Namen glauben. So werden sie in die Beziehung als Kinder zum Vater hineingeführt, so wie Jesus als Sohn von Ewigkeit her in dieser Liebe zum Vater war.
Dann gibt es noch eine Stelle, Johannes 5,20, die ich bisher nicht erwähnt habe. Dort heißt es: „Denn der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er selbst tut.“ In der Elberfelder Übersetzung wird zur Unterscheidung der Wörter übersetzt: „Denn der Vater hat den Sohn lieb.“ Es sind zwei verschiedene Wörter für Liebe, aber sie bewegen sich auf der gleichen Linie.
So finden wir die Liebe des Vaters zu seinem Sohn siebenmal im Johannesevangelium.
Kehren wir zurück zu Johannes 3, Vers 35: „Der Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegeben.“ Jesus ist der wahre Bräutigam, der nicht nur ein Großreich hatte und die Braut Sulamit, sondern der Bräutigam, der die Braut hat und dem der Vater die Herrschaft über die ganze Schöpfung gegeben hat.
Nun kommt ein zentraler Vers, Vers 36: „Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm.“ Was ist das Gegenteil von Glauben in diesem Vers? Es ist „nicht gehorchen“. In der Übersetzung heißt es „nicht gehorchen“, obwohl im Text „nicht glauben“ steht. Die Fußnote erklärt, dass es auch „nicht unterwerfen“ oder „nicht gehorchen“ bedeuten kann.
Was lernen wir daraus? Der Gegensatz zwischen Glauben und Nicht-Gehorsam zeigt, dass Glaube gleichbedeutend mit Gehorsam ist. Glaube ist nicht nur, zu sagen, dass Jesus Gottes Sohn ist oder dass die Bibel wahr ist. Wenn jemand dem Sohn Gottes nicht nachfolgt und seinen Geboten nicht gehorcht, dann ist das kein echter Glaube.
Der Glaube, der ewiges Leben hat, ist ein gehorsamer Glaube. Im Römerbrief wird das eindrücklich dargestellt. Der Brief beginnt und endet mit dem Ausdruck „Glaubensgehorsam“. Schauen wir kurz nach.
Römer 1, Vers 5: „Durch ihn haben wir Gnade und Apostelamt empfangen, um für seinen Namen den Gehorsam des Glaubens unter allen Nationen zu bewirken.“
Am Ende des Briefes, Kapitel 16, Vers 26, heißt es: „Jetzt aber ist es offenbart und durch prophetische Schriften nach Befehl des ewigen Gottes zum Glaubensgehorsam allen Nationen bekannt gemacht worden.“
Das zeigt eindrücklich, dass dieser Brief, der wie kein anderer das Heil in Christus darstellt, mit dem Glaubensgehorsam unter allen Nationen beginnt und mit dem Glaubensgehorsam an alle Nationen endet.
Das zeigt, dass Gott von den Erlösten Gehorsam fordert. Durch Gehorsam zeigen wir den echten Glauben, der ewiges Leben hat.
Glaube, Buße und Neugeburt im Johannesevangelium
Ja, dann gehen wir weiter zu Kapitel vier. Herr Moshe, ich habe eine Frage: Fordert es Gott vom alten Menschen oder vom neuen Menschen?
Im Johannesevangelium wird so oft über Glauben gesprochen. Zum Beispiel heißt es: „Wer an ihn glaubt, wird nicht verloren gehen, sondern hat ewiges Leben“ – und so weiter. Aber wo findet man im Johannesevangelium etwas über Buße? Das ist schwierig zu finden. Im Johannesevangelium wird die Buße bereits vorausgesetzt.
Paulus sagt in der Apostelgeschichte 20, er umschreibt seinen Dienst. Schlagen wir das auf: Apostelgeschichte 20, Vers 20. Dort heißt es: „Wie ich nichts zurückgehalten habe von dem, was nützlich ist, dass ich es euch nicht verkündigt und euch gelehrt hätte – öffentlich und in den Häusern – bezeugen sowohl Juden als Griechen die Buße zu Gott und den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus.“
Die Reihenfolge ist wichtig: zuerst die Buße zu Gott und dann der Glaube an unseren Herrn Jesus Christus. Buße bedeutet reumütiges Umdenken, verbunden mit dem Bekenntnis der eigenen Schuld. Und wer das tut, bekommt von Gott den Glauben, den rettenden Glauben, geschenkt. Diesen Glauben müssen wir nicht selbst erzeugen; er wird uns geschenkt. Epheser 2, Vers 8 bezeugt das ganz klar.
Dort steht: „Denn durch die Gnade seid ihr errettet mittels des Glaubens, und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, auf dass niemand sich rühme.“ Also: „nicht aus euch“ bezieht sich auf den Glauben. Der Glaube ist nicht aus euch, sondern Gottes Gabe.
Darum also zuerst Buße zu Gott und dann der Glaube. Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben – die Buße ist dabei bereits vorausgesetzt, also erfolgt.
Übrigens: Nikodemus war schon gläubig. Er kam ja nachts und begann das Gespräch in Johannes 3, Vers 2: „Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen, denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn, Gott ist mit ihm.“
Bezüglich dieser Zeichen, die der Herr in Jerusalem getan hatte, lesen wir in Johannes 2, Vers 23: „Als er aber zu Jerusalem war und Passah auf dem Fest, glaubten viele an seinen Namen, als sie seine Zeichen sahen, die er tat.“
Nikodemus war also einer dieser vielen, die geglaubt haben. Nun, was sollen wir davon halten? Das erklärt uns Johannes 2, Vers 24: „Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an, weil er alle kannte und nicht nötig hatte, dass jemand Zeugnis gebe von dem Menschen, denn er selbst wusste, was in dem Menschen war.“
Von diesem Glauben war überhaupt nichts zu halten, denn er war nicht rettend. Darum erklärt der Herr Jesus dann dem Nikodemus in Johannes 3, Vers 3: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“
Du musst von neuem geboren werden. Du hast das Leben nicht, obwohl du gläubig bist, aber die gottgemäße Buße war noch nicht erfolgt.
In diesem Kapitel finden wir übrigens drei wichtige „Muss“.
Erstens: „Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde“ (Johannes 3, Vers 3).
Zweitens: „Verwundere dich nicht, dass ich dir sagte, ihr müsst von neuem geboren werden“ (Johannes 3, Vers 7). Das ist ein göttliches Muss. Diese Neugeburt gründet sich auf die Buße.
Drittens, Johannes 3, Vers 14: „Und gleichwie Mose in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss der Sohn des Menschen erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.“
Und wo haben wir ein drittes Muss? Ja, ich höre es: Johannes 3, Vers 30, bitte lesen. Ja, eindrücklich – das sind also göttliche Muss.
Johannes und Jesus – Verwandtschaft und göttliches Zeugnis
Ja, noch eine Frage zu Kapitel drei, oder sollen wir weitermachen? Johannes war ja ein Verwandter von Jesus.
Ja. Und ich nehme an, dass er so gesagt hat: Herr, ich habe das auch nicht gewusst. Denn nachdem die Mütter ja irgendwie doch einen engen Kontakt hatten und Jesus ja dreißig Jahre lang immer in der Heimat gewohnt hat, könnte man denken, dass sie zumindest immer wieder voneinander gehört haben. Auch als Jesus seinen Dienst aufnahm, könnte man annehmen, dass es zwischen Johannes und Jesus ein besonderes Verhältnis gab, weil sie verwandt waren.
Ja, das stimmt schon, aber die Distanz war trotzdem vorhanden. Die Eltern von Johannes wohnten ja in den judäischen Bergen, nach Lukas 1, während Maria und Joseph im galiläischen Nazareth lebten. Das sind schon große Entfernungen. Außerdem wird in Lukas 1 am Schluss gesagt, dass Johannes in der Wüste aufgewachsen ist. Die Eltern waren schon sehr alt, und er muss sie früh verloren haben. Dann wurde er offensichtlich von Leuten in der Wüste aufgezogen. Es steht, dass er in der Wüste aufwuchs.
Es war sogar so, dass in Qumran diese Leute tatsächlich Kinder aus anderen Familien aufgezogen haben. Das heißt aber nicht, dass Johannes in Qumran aufgewachsen wäre. Wir müssen nicht davon ausgehen, dass Qumran die einzige Wüstengemeinschaft damals war. So kann man sich vorstellen, dass er möglicherweise in der jüdischen Wüste aufgezogen wurde, nach dem Tod seiner sehr alten Eltern.
Er war nie groß bei Maria und Joseph, aber es gab doch eine Verwandtschaftsbeziehung zu Maria. Vielleicht hat Johannes ihn ja einfach vom Äußeren her nicht erkannt, nach so vielen Jahren, als Jesus plötzlich kam.
Ja gut, dort wird mehr betont, dass Johannes ganz klar ein göttliches Zeugnis brauchte, um zu erkennen, dass Jesus wirklich der Messias ist. Darum hat Gott das auch mit der Taube so besonders bezeugt, ebenso mit der Stimme aus dem Himmel, mit dieser Bat Kol, wie man das im Judentum nennt.
Die Prophetie endete mit Maleachi, etwa 400 v. Chr. Es gab keine Schriftpropheten mehr. Aber man erlebte, dass man plötzlich Stimmen aus dem Himmel hören konnte. Das nannte man im Judentum eine Bat Kol, quasi wie ein Echo. Bat Kol heißt wörtlich „Tochter der Stimme“, also Echo.
Im Neuen Testament finden wir mehrere Fälle von solchen Bat Kol, von solchen Stimmen aus dem Himmel, zum Beispiel am Jordan. Durch diese Bat Kol wurde Johannes ganz klar gemacht, dass dieser Mann aus Nazareth, dieser Verwandte, der Messias Gottes ist.
Also war es weniger ein Problem, ihn als Person zu kennen, sondern ihn als den Messias zu erkennen.
Die Taufe bei Johannes und Jesus
In Apostelgeschichte 19 gibt es die Frage an die Gläubigen, worauf sie alle getauft worden seien. In Vers 4 heißt es dann, sie seien auf die Taufe des Johannes getauft worden. Wenn nun jemand von Jesus getauft worden wäre, wäre er dann auch unter diese Rubrik gefallen? War das die gleiche Taufe?
Ja, darüber könnte man einen Streit anfangen, besonders über die Bedeutung der Reinigung. Was war das Symbol des Untertauchens? Im Judentum war es üblich, dass ein Nichtjude, der ins Judentum übertreten wollte, eine einmalige Taufe auf sich nehmen musste – übrigens auch heute noch. Ein Mann musste dieses Untertauchen vollziehen und zusätzlich die Beschneidung über sich ergehen lassen; eine Frau, die ins Judentum übertrat, musste einfach das Untertauchen vollziehen.
Was Johannes getan hat, war für die Juden ein Schock, denn er taufte plötzlich Massen von Juden, als wären sie unreine Heiden. Damit wollte er erreichen, dass jeder, der bereit war, seine persönliche Schuld zu bekennen, bezeugte: „Ich bin unrein, obwohl ich Jude bin, und ich muss Buße tun, damit ich fähig werde, dem Messias zu begegnen.“
Wenn nun die Jünger Jesu unterwegs Menschen getauft haben, muss es genau die gleiche Taufe gewesen sein. Die Menschen bezeugten dadurch, dass sie bereit waren, dem Messias zu folgen.
Aber das ist noch nicht dasselbe wie die christliche Taufe. Diese wurde erst durch den Auferstandenen eingesetzt, wie in Matthäus 28 beschrieben. Dort gibt der Herr den Auftrag, die frohe Botschaft in die ganze Welt hinauszutragen. Die, die zum Glauben kommen, sollen getauft werden – und zwar auf den dreieinigen Gott, auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Die christliche Taufe ist also nicht dasselbe wie die Taufe Johannes’. Deshalb hat Paulus jene Johannesjünger, die sagten, sie seien auf Johannes getauft worden, nochmals getauft. Damit war er aber kein Wiedertäufer, denn es war nicht dieselbe Taufe. Es hatte also nichts mit Wiedertaufe zu tun.
Sie mussten die christliche Taufe empfangen, nachdem der Messias gestorben und auferstanden war. Dadurch bezeugten sie: „Ich bin mit ihm gestorben.“ Das Untergetauchtwerden ist das Bild des Begrabenseins und der Auferstehung mit ihm. Das war bei der Taufe Johannes’ und auch bei der Taufe der Jünger Jesu noch nicht das Thema.
Johannes hatte gesagt, er taufe mit Wasser, aber der Messias werde mit dem Heiligen Geist taufen. Das bezieht sich auf Pfingsten, denn dort geschah diese Taufe. Nur an einer Stelle wird erklärt, was diese Taufe mit dem Heiligen Geist genau bedeutet: 1. Korinther 12,13. Dort heißt es: „Denn auch in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden, seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist erfüllt worden.“
Die Taufe mit dem Geist ist also eine Taufe zu einem Leib. Durch die Taufe mit dem Heiligen Geist wird ein Mensch als Glied in den Leib Christi eingegliedert. Das hat nichts mit einer mystischen Erfahrung zu tun. Es ist der Moment, in dem jemand Christ wird.
Wer nicht mit dem Geist Gottes getauft ist, ist kein Christ. Es ist lehrmäßig widersinnig zu glauben, jemand habe sich bekehrt und sei Christ, habe aber noch nicht die Taufe mit dem Heiligen Geist empfangen. Denn er ist kein Glied am Leib Christi.
Paulus sagte das den Korinthern, einer großen Gemeinde mit einigen Problemen im Glauben. Er sagte nicht: „Einige von euch sind mit dem Heiligen Geist getauft.“ Sondern: „Denn auch in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden.“ Das ist ein eindrückliches Statement: Es gibt keine Zweiteilung.
An keiner Stelle geht es um eine mystische Erfahrung. Mystik ist sowieso nicht christlich, sondern heidnisch. Es geht um die Eingliederung in den Leib Christi, und das ist das Werk des Messias.
Die Jünger haben getauft, aber der Herr Jesus selbst hat nicht mit Wasser getauft. Er hat an Pfingsten die Taufe durch die Ausgießung des Heiligen Geistes vollzogen.
Damit sind wir genau richtig für die Pause. Wir fahren weiter mit Kapitel 4 und lesen bis einschließlich Vers 30.
Hintergrund zu Samaria und die Feindschaft mit den Juden
Eine kleine Frage noch, wenn ich darf: Diese Proselyten-Taufe gab es, wenn man ins Judentum eintrat. Ist das irgendwo im Alten Testament vorgeschrieben?
Nein, das ist nicht ausdrücklich vorgeschrieben. Man hat das vielmehr daraus abgeleitet, dass viele Ritualbäder vorgeschrieben sind. Ein Heide galt als Inbegriff von Unreinheit, und deshalb hat man die Ritualbäder aus 3. Mose und anderen Stellen darauf bezogen. In diesem Sinne ist der Ursprung schon in der Bibel zu finden. Diese Waschungen wurden dann Taufe genannt, obwohl die Ritualbäder selbst nicht so bezeichnet wurden. Bei Bruce Lüttentaufe hat man den Begriff Taufe verwendet.
Im Hebräerbrief gibt es ein ähnliches Wort, das meistens mit „Waschungen“ übersetzt wird. Es gibt aber auch Übersetzer, die es mit „taufen“ übersetzt haben, zum Beispiel in Hebräer 6, wo von der Lehre der Taufen beziehungsweise Waschungen die Rede ist. Dabei handelt es sich jedoch um Ritualbilder.
Nun lesen wir Johannes 4,1 und folgende. In Kapitel 3 haben wir gesehen, wie die Jünger von Johannes feststellten, welchen Zulauf Jesus hatte. Sie sagten, alle kämen zu ihm. Am Ende von Kapitel 3, Vers 26, heißt es: „Siehe, der tauft, und alle kommen zu ihm.“
Es wird nun berichtet, dass auch die Pharisäer allgemein davon erfuhren, dass Jesus mehr Jünger machte und taufte als Johannes. Das führte offensichtlich zu einem Konflikt. Deshalb verließ Jesus Judäa, den Ort, wo die Pharisäer waren, und ging in den nördlichen Teil nach Galiläa, zu dem auch Jerusalem gehört. Er wich aus, weil dieser große Erfolg eine Konfrontation auslöste.
In Vers 4 heißt es: „Er musste aber durch Samaria ziehen.“ Wie sollen wir dieses „musste“ verstehen? Worin liegt die Dringlichkeit oder Notwendigkeit? Vielleicht, weil er dieser Frau begegnen sollte. Oder könnte man sagen, dass das eben der Weg von Judäa nach Galiläa war, und dazwischen lag Samaria. Dieses Gebiet wurde gern gemieden, oder?
Ja, das ist der Punkt. Das war nicht der normale Weg. Man ging rundherum, so wie heute, wenn man möglichst nicht durchs Westjordanland geht. Das Gebiet Samaria entspricht dem nördlichen Teil des Westjordanlands, während der südliche Teil jüdisches Gebiet war. Man mied damals dieses gefährliche Gebiet mit Sichem, heute Nablus, und machte einen Umweg, um nach Galiläa zu gelangen.
Dennoch sagt der inspirierte Text, dass Jesus durch Samaria ziehen musste. Dieses Muss ist ein göttliches Muss, denn die Frau in Sichem musste erreicht werden.
Jetzt haben wir schon ein viertes „Muss“, nach den drei in Kapitel 3, hier wieder neu. Wer waren eigentlich die Samariter? Das wollte ich jetzt genau fragen.
Die Wegführung hatte ja von Lade oder irgendwo her Leute angesiedelt. Wann war das?
Jawohl, wir schlagen Zweite Könige 17 auf, um das zu klären. Wir sind etwa um 722 v. Chr. Damals wurden die zehn Stämme durch die Assyrer deportiert. Das wird in diesem Kapitel beschrieben. Im Gegenzug wurden andere Völker deportiert und in Nordisrael angesiedelt.
Zweite Könige 17, Vers 24: „Die Königin von Assyrien aber ließ Leute von Babel, Kuta, Awa, Hamath und Zephar kommen und sie anstelle der Israeliten in den Ortschaften Samarias ansiedeln. Sie nahmen Samaria in Besitz und wohnten in den Städten des Landes.“
Dann gab es Probleme, unter anderem durch ein ökologisches Ungleichgewicht. Die Löwen vermehrten sich offensichtlich und es kam ständig zu Unfällen. Es heißt, der Herr sandte Löwen unter sie, die unter ihnen wirkten.
Sie fragten sich, ob sie sich nicht richtig gemäß dem Lokalgott verhalten hätten. Deshalb wurde aus der assyrischen Gefangenschaft ein Priester geschickt, der diese Leute lehren sollte, wie man den Gott Israels verehrt.
So begannen sie, eine Mischreligion auszuüben. Sie hatten das Herkömmliche und zusätzlich die Verehrung des Gottes Israels. Im weiteren Verlauf der Geschichte entwickelte sich diese Mischpopulation so, dass sie die fünf Bücher Mose als heilige Schrift annahmen und sich als das eigentliche wahre Israel sahen – übrigens noch heute, als Nachfahren der Samariter.
In Bezug auf die Juden sagen sie, sie seien die Richtigen, die Juden dagegen die Falschen.
Dann ging es auch um die Frage, wie sie ihre Opfer praktizieren sollten, denn sie wohnten in Nordisrael, nicht in Jerusalem. Sie akzeptierten den Tempel in Jerusalem nicht. In den fünf Büchern Mose steht ja auch nichts von Jerusalem, sondern im fünften Buch Mose wird mehrfach der Ort genannt, den der Herr auserwählen wird, um seinen Namen dorthin zu setzen.
Ein Beispiel dafür ist 5. Mose 12,13-14. Bitte lesen Sie das:
„Hüte dich, dass du deine Brandopfer nicht an irgendeinem Ort opferst, den du hier siehst, sondern an dem Ort, den der Herr in allen deinen Stämmen erwählt. Dort sollst du deine Brandopfer opfern und alles tun, was ich dir gebiete.“
Diese Worte stammen aus den Abschiedsreden, bevor Israel unter Josua ins Land einzog. Der Name dieses Ortes wird allerdings nirgends genannt. Es ist aber klar, dass es sich um einen Ort in den Bergen handelt, denn in Kapitel 17 heißt es: „Wenn du hinaufgehst zu dem Ort, den der Herr auserwählen wird.“
Im fünften Buch Mose spielen die Berge Garizim und Ebal eine besondere Rolle. Mose sagte, wenn ihr ins Land kommt, sollen bestimmte Leute, die Leviten, sich auf dem Ebal aufstellen und andere auf dem Garizim. Auf dem Garizim sollen die Segnungen aus dem Gesetz laut verkündet werden, auf dem Ebal die Worte des Fluches.
Da der Berg Garizim in Nordisrael liegt, im Gebiet der zehn Stämme, haben die Samariter sich gesagt, das sei der auserwählte Ort, der Berg des Segens aus 5. Mose 27.
Sie haben sogar die Bibel ein wenig gefälscht: Im zweiten Buch Mose, in den Zehn Geboten, haben sie noch ein Gebot eingefügt, das besagt, man solle den Herrn auf dem Berg Garizim anbeten.
Die samaritanische Bibel gibt es noch heute. Sie ist im Schriftcharakter der vorexilischen Zeit, also vor der babylonischen Zeit, verfasst und weicht in Nuancen vom jüdischen Text ab.
Offensichtlich haben sie Texte gefälscht, um ihre Ideen zu beweisen. Das ist also keine Neuerfindung der Zeugen Jehovas, dass man Texte fälschen kann.
Diese Mischpopulation wurde von den Juden abgelehnt, weil sie laut Gesetz keine Verbindung mit nichtjüdischen Völkern eingehen durften. Das erklärt hier in Johannes 4, warum die Juden mit den Samaritern keinen Umgang hatten.
Noch etwas: Die zehn Stämme sind verschwunden, diese Bevölkerung wurde in Samaria angesiedelt. Später wurden die Juden im Süden nach Babylon deportiert, durften aber nach einigen Jahrzehnten zurückkehren. Sie wollten den Tempel und die Stadt wieder aufbauen.
Die Samariter wollten dabei helfen, wie man im Buch Esra nachlesen kann. Die Juden lehnten das klar ab und sagten, das gehe nicht. Sobald die Samariter das erfuhren, wandten sie sich gegen die Juden und bedrängten sie ständig.
So entstand eine sehr bittere Feindschaft zwischen Juden und den samaritanischen Mischbewohnern Samarias.
Kurze Frage noch: Als die Assyrer die zehn Stämme wegführten, blieb da nicht noch eine kleine Restpopulation?
Ja, damit ist zu rechnen. In Zweite Könige 17 wird das nicht erwähnt, weil die Hauptsache aus dem assyrischen Reich kam. Es ist aber anzunehmen, dass einige wenige sozial niedrigstehende Israeliten übrigblieben und sich mit den Samaritanern vermischten. Sicher ist also noch ein bisschen israelitisches Blut vorhanden.
Die Samaritaner sind als Volk bis heute erhalten geblieben, aber in den vergangenen Jahrhunderten stark dezimiert worden. Im zwanzigsten Jahrhundert gab es vielleicht noch ein paar hundert Samaritaner.
Sie heirateten nur unter sich, auch in dieser kleinen Population, was zu schweren Erbkrankheiten führte. Zehn Prozent der Geburten waren behindert.
Ein israelischer Ministerpräsident – ich weiß nicht mehr, welcher genau – hatte dann die Idee, den Genpool genetisch aufzufrischen. Er ermutigte Jüdinnen, zum samaritanischen Glauben überzutreten.
Das wurde gemacht, und in den vergangenen Jahrzehnten verbesserte sich die Situation deutlich.
Man hört darüber kaum etwas, aber so erholten sie sich von der schwierigen Situation durch den engen Genpool. Dabei handelte es sich nicht um Inzucht im engeren Sinn, dass nahe Verwandte heirateten, sondern der Genpool war durch die kleine Population stark eingeschränkt.
Das ist also der Hintergrund zu Johannes 4: eine tiefe Feindschaft.
Noch etwas: Im zweiten Jahrhundert vor Christus führte einer der degenerierten makkabäischen Könige einen Feldzug gegen die Samariter und zerstörte ihren Tempel auf dem Berg Garizim.
Dieser Tempel wurde erst im zweiten Jahrhundert nach Christus wieder aufgebaut. Er wurde in den vergangenen Jahren archäologisch ausgegraben und ist für uns heute recht greifbar – der samaritanische Tempel.
Gespräch Jesu mit der samaritanischen Frau am Jakobsbrunnen
Jetzt schauen wir mal, was in Johannes 4,20 steht, was die Frau sagt. Lest jemand?
„Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll.“
Es fällt uns auf, dass sie nicht sagt „Wir beten auf diesem Berg an“, also einen Hinweis auf den Garizim nahe von sich aus gesehen, sondern sie sagt: „Unsere Väter haben auf diesem Berg angebetet“, also damals, nicht mehr jetzt. Natürlich war der Tempel Ende des zweiten Jahrhunderts vor Christus zerstört.
Ihr sagt, dass in Jerusalem der Ort sei, wo man anbeten müsse. Die Frage, wo der richtige Ort der Anbetung ist, war ein ganz fundamentaler Streitpunkt zwischen diesen zwei Völkern. Das war für die Samariter nicht klar, weil sie nur die fünf Bücher Mose als Gottes Wort angenommen haben und nicht das ganze Alte Testament. In den späteren Büchern, bei David, wird ja ganz klar offenbart, dass dies der Ort ist, den der Herr auserwählt hat.
Können wir das mal aufschlagen? Ja, 2. Chronik 6,6. Da geht es um die Einweihung des Salomon-Tempels. Wer liest uns das vor?
„Aber Jerusalem habe ich erwählt, dass mein Name dort sei, und David habe ich erwählt, dass er über mein Volk Israel König sei.“
Jawohl, hier sagt Gott von diesem Ort in Jerusalem: Das ist der Ort. Und in Kapitel 7, Vers 12 steht:
„Danach erschien ihm der Herr in der Nacht und sprach zu ihm: Ich habe dein Gebet erhört und mich an diesen Ort zur Opferstätte geweiht.“
In 2. Chronik steht das also ganz klar. Aber die Samariter haben eben nicht die ganze Bibel übernommen, nur das Gesetz. Das ist der Hintergrund, warum in diesem Gespräch die ganze Frage, wo der Ort der Anbetung sei, vorgebracht wird.
Nun, die Situation war die: Der Herr kommt an die Quelle, müde, Johannes 4,6: „Jesus nun, ermüdet von der Reise, setzte sich also an die Quelle nieder.“ Besonders erstaunlich ist hier, dass der Herr ermüdet ist. Im Johannesevangelium wird betont, dass der Herr Jesus der ewige Gott ist. Und jetzt heißt es: „Jesus ermüdet von der Reise.“ Aber das ist eigentlich nur die Hälfte der Wahrheit.
Das Johannesevangelium betont die Gottheit Christi, aber auch, dass der Sohn Gottes, der ewige Gott, ein wirklicher Mensch geworden ist: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ (Johannes 1,14). Das wird hier deutlich gemacht. Er war müde von der Reise, als ein wirklicher Mensch, und er hatte auch Durst. Darum bittet er die Frau: „Gib mir zu trinken“ (Vers 7).
Die Jünger waren weggegangen, um in der Stadt für die ganze Reisegruppe Essen einzukaufen, und so war der Herr allein mit dieser Frau. Das war auch eigentlich wieder ein Timing. Er musste durch Samaria gehen, und als er dort ankommt, wo diese Frau ist, mussten gerade die Jünger einkaufen gehen. Sie waren nicht dabei. Das war ungewöhnlich.
Wir sehen das auch in Vers 27. Als die Jünger zurückkommen, wer liest nochmals?
„Unterdessen kamen seine Jünger und verwunderten sich, dass er mit einer Frau redete, und sagte keiner: Was fragst du sie, oder was redest du mit ihr?“
Das war also nicht üblich, dass ein Mann allein mit einer Frau ein Gespräch führte. Die Rabbiner haben gesagt, ein Mann und eine Frau, die nicht verheiratet sind, sollen sich nicht allein in einem Raum aufhalten. Das wird im Judentum auch bis heute beachtet.
Unter den Orthodoxen war das ein Problem, um Autofahren zu lernen, denn da mussten ja orthodoxe Frauen mit einem Fahrlehrer zusammen in einem Raum allein sein. Das hat man dann so gelöst, dass eben Frauen auch Fahrlehrer geworden sind, und nun geht das ohne Problem.
Jesus setzt sich darüber hinweg und spricht trotzdem mit dieser Frau. Es war also ganz ungewöhnlich. Der Herr hat sich manches Mal über menschliche Festlegungen hinweggesetzt. Nur dürfen wir nicht zu schlecht darüber denken, denn die Rabbiner haben sehr wohl gewusst, warum sie das so angeordnet haben. Es besteht eine Gefahr.
Das Beispiel, das Jesus zeigt, ist, dass man nicht sagen kann, dass solche Regeln ausnahmslos gelten müssen. Jesus hält sich immer an ausdrücklich göttliche Gebote, aber wenn es menschliche Gebote sind, die nicht absolut sind, kann er sich auch darüber hinwegsetzen, so wie hier.
Das setzt die rabbinische Weisheit, die dahinter steckt, gar nicht herab.
Nun bittet der Herr sie: „Gib mir zu trinken.“ Warum hat er das gemacht? Er hatte kein eigenes Schöpfgefäß. Er hätte ja sagen können: „Kann ich deines schnell haben?“ Um Zugang zum Herzen dieser samaritischen Frau zu finden, ist alles ganz ungewöhnlich.
Dass er mit ihr allein spricht, dann dass er als Jude überhaupt mit dieser Samariterin spricht – denn sie ist ja überrascht (Vers 9): „Wie bittest du, der du ein Jude bist, von mir zu trinken, da ich eine samaritische Frau bin?“ Sie hat das sofort erkannt an der Kleidung. Es gab unterschiedliche Kleidungsarten. Auch heute erkennt man einen Samariter sofort an seiner Kleidung.
Welche Sprache sprachen die Samariter? Aramäisch. Aber die Bibel, die sie haben, die samaritanische Bibel, ist hebräisch. Eine Verständigungsschwierigkeit bestand also nicht.
Sie merkt durch die Frage „Gib mir zu trinken“, dass sie einen Wert hat, dass sie ihm etwas geben kann. Das überrascht sie völlig. Wie ist das möglich? Nicht nur ein Mann, der ihr Wertschätzung gibt, sondern sogar ein Jude!
Dann sagt der Herr in Vers 10: „Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du die Gabe Gottes erkennen würdest und wer der ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken, so würdest du ihn bitten, und er gäbe dir lebendiges Wasser.“
Was ist hier wohl gemeint mit der Gabe Gottes? Wer oder was ist hier die Gabe Gottes? In 2. Korinther 9,15 heißt es: „Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe.“ Das ist der Herr Jesus. Hier geht es aber darum, dass man ihn bitten soll, und er gibt lebendiges Wasser, also den Heiligen Geist, das lebendige Wasser.
Wenn die Frau den Ausdruck „lebendiges Wasser“ hörte, was stellte sie sich darunter vor? Fließendes Quellwasser. Es ist kein Ausdruck mit einer geistlichen Bedeutung, sondern „mayim chayim“ (lebendiges Wasser) ist auch heute im modernen Hebräisch der Ausdruck für Quellwasser.
Darum sagt sie: „Du hast ja nicht mal ein Schöpfgefäß, woher willst du mir jetzt frisches Quellwasser geben?“ Dann Vers 12: „Du bist doch nicht größer als unser Vater Jakob, der uns den Bund gab, und er selbst trank aus demselben Wasser, seine Söhne und sein Vieh.“
Für sie ist Jesus ein Jude (Vers 9). Was sagt sie? „Herr“ – das ist natürlich wie französisch „Monsieur“. Nicht, dass er Autorität über sie hat, sondern einfach eine höfliche Anrede, auch heute noch „mein Herr“, aber im Sinne von „Monsieur“. Es ist eine Steigerung, eine höfliche Anrede, nicht unbedingt Bewunderung.
In Vers 12 wird aber deutlich: „Aber du bist einfach ein Jude, aber sicher nicht größer als der Stammvater Jakob, der Stammvater Israels.“ Da sagt sie aber „uns“. Durch diese Vermischung betrachten sie sich gewissermaßen als mit dieser Linie verbunden, ganz genau.
Oder hat ein Übersetzer das reingenommen? Bei uns steht „Bist du größer als...?“ und hier wurde gesagt „Du bist doch nicht größer.“ Es ist eine rhetorische Frage, die die Antwort „Nein“ erfordert. Darum sagt man auf Deutsch: „Du bist doch nicht größer“, und man weiß, die Antwort ist „Nein, natürlich nicht.“
Für sie ist klar: Er ist nicht größer als der Stammvater. Wie kann er dann so etwas anbieten? Jakob war zufrieden mit dem Brunnen, mit dem Wasser. Jetzt sagt Jesus ihr, er könnte ihr besseres Wasser geben, nämlich fließendes Quellwasser.
War der Brunnen Jakobs Grundwasser? Ja, das ist davon auszugehen. Es gab auch Brunnen, die aus einer Quelle gespeist wurden, aber hier ist davon auszugehen, dass es Grundwasser war. Der Herr bietet ihr quasi ein noch besseres Wasser an.
Dann kommt die Erklärung des Herrn in Vers 13: „Von dem Wasser, das du wieder trinkst, wirst du wieder Durst bekommen.“ Ganz deutlich: Es ist nicht nur besseres Wasser, weil es fließendes Quellwasser ist und nicht stehendes Brunnenwasser, sondern es ist ein Wasser, das wirkliche Durststillung bringt.
In Vers 15 bekommt sie Sehnsucht: „Herr, gib mir dieses Wasser!“ Das ist ein wunderbares Beispiel, wie der Herr einen Menschen gewinnt, indem er zuerst diesem Menschen Wertschätzung gibt und auch zu spüren gibt, dass er sie nicht ablehnt.
Dann weckt er ihr Interesse, ihre Neugier, und es greift bei ihr. Jetzt kommt der Wunsch: „Ja, das möchte ich doch!“ Und dann spricht der Herr ihr tiefstes Problem an. Hätte er damit begonnen, wäre sie wiedergegangen.
Zum Vers 15: Man könnte sagen, sie sieht den geistlichen Hintergrund von dem, was Jesus gesagt hat, noch nicht ganz. Der geistliche Hintergrund wird jetzt immer deutlicher in Vers 14, wenn sie sagt, dieses Wasser wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das ins ewige Leben quillt.
Jetzt merkt sie, dass es nicht mehr um gewöhnliches Wasser geht, sondern um ein Wasser, das ewige Durststillung bringt und in einem selbst zu einer Quelle wird. Sie merkt schon, dass er ein Angebot macht, das alles Natürliche übersteigt, und sagt: „Herr, gib mir dieses Wasser!“
Nun kommt ihr Problem: „Rufe deinen Mann.“ Kann man sagen, dass sie den geistlichen Teil relativ stark ignoriert, wenn nicht ganz, wenn sie sagt in Vers 15, „damit ich nicht mehr Durst habe und nicht mehr hierher kommen muss“? Ja, unbedingt. Aber sie merkt doch irgendwie, dass das, was er bringt, nicht mehr nur natürlich ist.
Dann ihre Antwort: „Ich habe keinen Mann.“ Warum sagt sie das? Sie hat ja einen Mann. Weil sie nicht verheiratet ist. Der Sinn ist: Rufe deinen Mann, rufe deinen Ehemann. Sie sagt: „Ich habe keinen Ehemann.“ Und dann sagt Jesus: „Du hast fünf Ehemänner gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann.“
Sie war fünfmal verheiratet und jetzt lebte sie in einer Konkubinatsverbindung. Das ist nicht dasselbe wie verheiratet sein; sie ist nicht seine Frau. Manche sagen, früher war das sowieso anders, man hatte ja kein Standesamt, und diesen Unterschied gab es nicht. Natürlich gibt es den Unterschied ganz klar.
Eine Ehe war ein Bundesschluss mit Vertrag. Es gibt sogar schriftliche Verträge aus vorchristlicher Zeit, die archäologisch entdeckt wurden. Aber sie hatte keinen Bundesschluss, das war keine Ehe, sondern ein Konkubinat.
Konkubinat heißt unverheiratet zusammen wohnen. Heute sagt man Lebensgefährte oder Lebensabschnittspartner.
Die Frau hatte ein riesiges Männerproblem, aber das hing offensichtlich zusammen mit einem unglaublichen Lebensdurst. Ich muss mir das mal konkret vorstellen: Sie ging die erste Ehe ein, und sie ging in Brüche. Dann sagte sie sich nicht, jetzt ist das Leben vorbei, sondern sie dachte, vielleicht mit einem anderen wird es schön.
Aber bei ihr ging es immer wieder in Brüche. Sie hatte die Hoffnung, mit jeder neuen Beziehung würde es lebenserfüllend. Und jedes Mal ging es wieder schief. Das übersteigt schon Hollywood mit fünf Ehen.
Das sind führende Politiker, aber das ist schon recht extrem. Sie gab nicht auf. Sie hatte einen Durst nach Befriedigung, aber sie bekam ihn nie.
Darum hat natürlich dieses Angebot, „Ich werde dir Wasser geben, wo du wirklich in Ewigkeit Durststillung bekommst“, sie so direkt angesprochen. Das war ihr innerstes Problem: Ich habe keine innere Befriedigung, ich habe Durst.
Es gibt Leute, die haben das Gefühl: Es geht ihnen ja gut, was sollen sie? Aber diese Frau ist an den Punkt gekommen, wo sie effektiv merkt: Ich habe Durst, ich versuche und versuche, aber es bringt nichts.
Was hat das ausgelöst? Die Erklärung des Herrn: „Fünf hast du gehabt, und der, den du hast, ist nicht dein Mann.“ Vers 19: Das war die Vorstufe zum Bekenntnis: „Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.“ Das ist eine deutliche Steigerung von „Jude“ und „Herr“ zu „Prophet“.
Jetzt wechselt sie das Thema, um von ihren Problemen abzulenken: „Unsere Väter haben auf diesem Berg angebetet, und ihr sagt, dass in Jerusalem der Ort sei.“ Da muss man nicht mehr über die privaten Probleme sprechen.
Man kann sagen, sie lenkt ab, aber zu ihrer Verteidigung kann man auch sagen: Jetzt merkt sie, das ist ein Prophet. Dem könnte sie endlich mal diese Streitfrage zwischen Juden und Samaritern stellen.
Religiöse Themen waren für sie wichtig, sonst wäre sie nicht darauf gekommen. Heute in unserer Gesellschaft ist man so säkularisiert, dass man bei so einem Leben keine Fragen auf religiösem Gebiet hätte. Dann würde man höchstens sagen: „Das ist jetzt der Richtige, der Sechste.“ Oder eine politische Frage stellen, zum Beispiel: Wie ist es mit Irak? War es gut, dass die Amerikaner gegangen sind oder nicht?
Aber die Frau hatte wirklich Fragen. Darum stellt sie die Frage: „Unsere Väter haben gesagt, auf diesem Berg, ihr Juden in Jerusalem. Jetzt möchte ich gerne mal die Antwort haben.“ Der Herr geht darauf ein und erklärt, dass eine ganz neue Zeit kommt.
In dieser neuen Zeit wird nicht mehr Jerusalem der Anbetungsort sein, aber auch nicht der Berg Garizim. Es kommt die neue Periode, wo die wirklichen Anbeter, die wahrhaftigen Anbeter, den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden.
Die wirklichen Anbeter im Alten Testament mit den Opfern und so weiter – das war alles nur ein Vorbild, ein Schattenbild. Jetzt kommt der eigentliche Gottesdienst, der nicht nur symbolisch ist, sondern die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater in der Kraft des Heiligen Geistes und in Wahrheit anbeten, ohne Falschheit.
So kann ihr Leben natürlich nicht bestehen, aber er sagt es ganz fein. Er sagt es nicht so, dass es verletzend ist für sie. Das ist ganz wichtig. Es darf nicht verletzend sein, und trotzdem kann er ihr die Wahrheit sagen.
Ich habe mal vor einiger Zeit ein Seelsorgergespräch geführt mit jemandem, der schlimm in der Sünde gelebt hat. Sie hat sich bekehrt, war alleinerziehend mit drei Kindern von drei verschiedenen Männern, und sie sagte: „Ein katholischer Priester hätte mit dir gesprochen und dich so tief verletzt.“ Aber wir haben auch gesprochen und diese Dinge geklärt, und es ist angenommen worden.
Man kann über dasselbe Thema sprechen, und es kann verletzen, oder es kann nicht verletzen. Da müssen wir vom Herrn lernen, wie wir über solche delikaten Themen offen und klar sprechen und trotzdem nicht verletzen. Das hat der Herr so gemacht.
In Vers 25 sagt die Frau: „Ich weiß, wenn der Messias kommt, wird er uns alle offenen Fragen beantworten.“ Sie geht also noch nicht ganz auf seine Antwort ein. Sie sagt also: „Du bist ein Prophet, aber wenn dann der Messias kommt, wird alles ganz klar.“
Der Herr sagt: „Ich bin’s, der mit dir redet.“ Das ist eindrücklich. Wir verweisen hier auf Johannes 1,1: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ Ich bin’s, der mit dir redet. Das Wort ist in diese Welt gekommen und spricht mit dieser samaritischen Frau.
Dann kommen die Jünger genau in dem Moment. Das wesentliche Gespräch ist durch. Niemand fragt: „Wieso sprichst du mit ihr?“ Die Frau geht in die Stadt, völlig überwältigt, und beginnt, die Leute einzuladen: „Kommt her, bitte! Ein Mensch ist da, der hat mir alles gesagt, was ich je getan habe.“
Hat er alles gesagt, was sie je getan hat? Er hat nur gesagt: „Fünf hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann.“ Aber das ist eine Frau, die völlig ins Licht Gottes gekommen ist. Für sie war alles aufgedeckt. Darum sagt sie: „Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe.“
Wir werden dann nächstes Mal sehen, wie durch diese Einladung der vom Messias überwältigten Frau eine große Erweckung unter den Samaritanern losging.
Das ist ein wunderbares Beispiel, wie der Herr mit einzelnen Menschen spricht. Ganz anders als mit Nikodemus. Nikodemus war ein führender Richter Israels, eine angesehene Person. Sie war eine Frau, er war ein Mann – das kann auf der gleichen Stufe sein. Aber Nikodemus war Jude, sie eine verachtete Samariterin. Das Gespräch mit Nikodemus war nachts, das mit der Samariterin war am Tag.
Es gibt interessante Gegensätze zwischen diesen beiden Gesprächen, die zeigen, wie der Herr Jesus ganz individuell auf Menschen eingegangen ist. Sowohl Nikodemus als auch sie wurden gepackt, es brauchte aber noch Zeit.
Wir werden später im Johannesevangelium sehen, wo Nikodemus wieder vorkommt. Bei ihr braucht es auch noch Zeit. Sie sagte: „Dieser ist doch nicht der Christus.“ Die Samariter hatten auch erwartet oder zumindest gehofft, dass der große Prophet aus 5. Mose 18,15 kommen würde – der Messias. Andere Stellen im Gesetz Mose weisen auf den Messias hin.
Für sie war noch nicht ganz klar: „Dieser ist doch nicht der Christus, der Messias.“ Die Antwort wäre: „Nein, natürlich nicht“, wenn sie sagt: „Dieser ist doch...“ War das wieder so eine Frage, die man mitnehmen darf?
Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wird die samaritanische Bibel heute noch von Menschen gebraucht? Die Samariter üben ja ihren Gottesdienst aus, sie schlachten Passalämmer, im Gegensatz zu den Juden, eben auf dem Garizim. Haben sie sich dort wieder etwas hingebaut oder gehen sie zu den Ruinen? Sie gehen einfach auf den Berg, aber sie haben keinen Tempel.
War es normal, dass man am Mittag zum Wasser schöpfen ging? Nein, aber es ist auch fraglich, ob es wirklich mittags war. Um die sechste Stunde nach römischer Zeitrechnung ist das sechs Uhr früh von Mitternacht gerechnet. Nach jüdischer Rechnung wäre das zwölf Uhr mittags.
Im Johannesevangelium ist davon auszugehen, dass die römische Rechnung benutzt wird, denn später sagt Johannes, um die sechste Stunde war Jesus vor Pilatus. In den synoptischen Evangelien wurde er um die dritte Stunde gekreuzigt. Die Synoptiker haben die jüdische Zählung, die dritte Stunde war neun Uhr morgens, und Johannes benutzt die römische Zählung, die sechste Stunde war dann sechs Uhr morgens.
Aber warum war Jesus dann um sechs Uhr morgens müde? Das würde bedeuten, dass sie durch die Nacht gewandert sind. Bei Vollmond ist das kein Problem, aber es ist natürlich auch sicherer, weil dann weniger Steine geworfen werden.
Eine Nachtwanderung von den feindlichen Samaritanern mit einer jüdischen Reisegruppe. Haben die Samariter damals auch schon Steine geworfen? Ja.
Bei Josephus Flavius liest man sogar, dass die Samaritaner um etwa sechs nach Christus, wenn ich mich richtig erinnere, eine Gruppe zum Tempel in Jerusalem schickten, die dort tote Gebeine zerstreuten, um den jüdischen Tempel zu entweihen. Das war eine schlimme Feindschaft.
Ja, wir wollen noch beten.
