Begrüßung und Einführung in die Themen
Ja, ich weiß nicht, wo ich euch gerade antreffe. Wir, wie gesagt, stehen hier in Hückeswagen und haben heute zwei Themen vor uns.
Man muss dazu sagen, dass in den Programmheften Frida Tröps und Andi Vett angekündigt waren. Leider ist Frida Tröps erkrankt. Wir grüßen dich herzlich, Frida. Ich nehme an, du schaust zu, und wir wünschen dir allen gute Besserung.
In Folge dessen haben wir heute zwei Themen. Das erste lautet: Kraftstoff oder Kunststoff – hier schon wieder das unvermeidliche Wortspiel. Das zweite Thema wird lauten: Kolonie oder Parodie.
Rückblick auf das Jahr und die Herausforderungen
Kraftstoff oder Kunststoff – wie war eigentlich dein Jahr? Bei mir geht jetzt langsam das Tempo ein bisschen runter, die Adventszeit steht vor der Tür. Wie war dein Jahr 2020?
Ist es bei dir auch so, dass all das, worauf du dich gefreut hast und in das du deine Hoffnungen gesetzt hast, in den letzten Monaten wie Sand zerronnen ist? Feiern wurden verschoben, Freizeiten abgesagt, Urlaube sind geplatzt – so vieles, was uns Zuversicht und Lebensfreude gibt, war einfach futsch. Schöne Erlebnisse, außergewöhnliche Ereignisse – alles flachgefallen. Wo bekommt man da überhaupt noch Freude her?
Wie reagierst du darauf? Wie war dein Jahr? Ich habe mir gedacht: Viele werden neurotisch, werden dadurch wirklich krank. Sie werden nicht zu Freuropäern, sondern zu Neuropäern.
Aber wie sieht es bei dir aus? Bist du im letzten Jahr wirklich gefrustet? Dann wäre es wahrscheinlich so wie bei den meisten. Denn ich habe hier eine Umfrage: 40 Prozent der Schüler im Alter von etwa elf bis siebzehn sagen, dass ihr Leben durch die Isolationen und Beschränkungen einsamer geworden ist. Sie haben ihre Freunde aus dem Blick verloren.
65 Prozent sagen: Entschuldigung, ich bin hier vorausgeeilt, aber das Leben wurde anstrengender. Die Schule ist viel komplizierter, alles ist anstrengender als vor der Krise.
Und 70 Prozent behaupten sogar: Ich bin ängstlicher geworden, ich bin viel schneller gereizt und mache mir große Sorgen, wie es weitergeht.
70 Prozent der Jugendlichen – und das merkt man auch an den psychischen Erkrankungen. Diese sind in dieser Altersgruppe von sieben auf 27 Prozent hochgeschnellt. Genau die Jugendlichen, die jetzt hier an den Zapfsäulen sitzen.
Die Frage nach der Hoffnung und der Blick auf den Philippabrief
Aber meine Frage ist: Setzt du deine Hoffnung, deine Erwartung nur auf diese Welt, dann hast du wirklich Grund zur Panik und Paranoia. Wenn unsere ganze Hoffnung auf dieser Erde begründet ist – auf diese 70, 80 Jahre, die wir hier leben –, dann kann uns auch ein Karl Lauterbach nichts sagen, was in drei Monaten oder in dreißig Jahren sein wird. Auch kein Söder, kein Schröder kann das vorhersagen. Was wird aus dieser Welt?
Dafür haben wir einen Brief im Neuen Testament, den Philippabrief. Paulus hat ihn uns geschrieben. Und ich frage euch mal ganz ernsthaft: Wenn ihr die Bibel aufschlagt, was soll uns ein Brief aus uralten Zeiten heute noch bedeuten? Warum sollte dieses Schriftstück deinen Alltag und deine Lebenssorgen berühren?
Paulus schrieb ihn in Haft. Er sitzt im Gefängnis. Ich habe mich gefragt: Warum schrieb Paulus nicht folgenden Brief an die Philippa? Hallo, ich bin immer noch in Haft, mal wieder seit Monaten eingelocht. Euer Gefängnis kenne ich ja auch ganz gut von innen. Was macht eigentlich Lucius, der Ex-Gefängnisdirektor?
Paulus schreibt an ein Publikum, das er kennt und wo er selbst schon im Gefängnis saß. Ich sitze hier und kann nichts tun, außer warten – warten auf meinen Prozess, der auf ein Todesurteil hinauslaufen könnte. Und dann? Wie gerne würde ich euch alle mal wiedersehen. Stattdessen darf mich immer nur einer besuchen. Festgesetzt, eingesperrt, kaltgestellt.
Ich fühle mich so überflüssig. Ich könnte da draußen so viel erreichen, aber ich kann Gott einfach nicht verstehen. Erst beruft er mich als Heidenapostel, und dann, als ich endlich die Welthauptstadt erreicht habe, werde ich eingelocht. Locked in, im Lockdown. Könnt ihr euch vorstellen, wie ich mich fühle?
Zwei Jahre Knastquarantäne statt bloß zwei Wochen. Wenn das so weitergeht, fürchte ich um meine Psyche. Betet für mich, ich glaube, ich komme hier nur als Leiche raus. Euer frustrierter Paulus.
Warum ist das nicht der Philippabrief? So hätte er wahrscheinlich bei uns, bei mir, geklungen.
Der wahre Geist des Philippabriefes
Und jetzt öffnet bitte das Original, falls ihr eure Bibeln dabei habt. Schlagt den Text auf und prüft ihn nach. Der Philippabrief umfasst nur dürftige vier Seiten und besteht aus lediglich vier Kapiteln in eurer Bibel. Doch diese vier Kapitel haben es in sich.
Es ist keine Spur von Knastkoller zu finden, ganz im Gegenteil. Paulus schreibt: Alles ist gut. Selbst hinter Gittern wird er nicht bitter, sondern ganz im Gegenteil. Wenn ihr den Brief vergleicht, ist der Philippabrief der fröhlichste Brief, den Paulus unter diesen Bedingungen geschrieben hat. Das finde ich beeindruckend.
Das bedeutet doch, dass Christen eine Freude haben, die von außen nicht zerstört werden kann. Und dabei konnte Paulus hinter Gittern nicht einmal twittern, denn er war völlig isoliert.
Zur Orientierung: Der Philippabrief setzt dort an, wo die Apostelgeschichte in ihrer Erzählung aufhört. Es ist ein Gruß aus Paulus’ Haftzeit. Woher wissen wir das?
Wenn ihr eure Bibel öffnet, steht in Kapitel 1, Vers 13, dass Paulus im Praetorium sitzt, einer Art kaiserlicher Gefängniskaserne. Am Ende des Philippabriefes, in Kapitel 4, Vers 22, steht: „Es grüßen euch alle Heiligen, besonders die aus dem Haus des Kaisers.“ Das zeigt, dass Paulus Kontakt zum kaiserlichen Haus hatte.
Deshalb geht man davon aus, dass der Brief in Rom aus der Haft verfasst wurde. An vier Stellen spricht Paulus von seinen Fesseln, die man auch als Ketten übersetzen könnte. Er war also nicht nur in loser Haft oder unter Hausarrest, sondern in Haft, möglicherweise sogar in Sicherheitsverwahrung.
Denn um ihn herum war eine persönliche Wachmannschaft. Deshalb heißt es in Philippa 1, Vers 13, dass in der ganzen kaiserlichen Kaserne und bei allen anderen bekannt geworden ist, dass Paulus wegen Christus im Gefängnis sitzt. Er hatte also Wächter und Wachpersonal um sich.
Die erstaunliche Freude des Paulus im Gefängnis
Was ist das für ein Gigant, für ein Übermensch, dass dieser Paulus uns so einen Brief schreiben kann, der vor Freude trieft? Wie geht das? Er ist eingelocht, aber er ist nicht frustriert.
Und das wäre meine Leidenschaft für heute Vormittag: Auch du, in all diesen Corona-Beschränkungen, dem ganzen Durcheinander und der Unabsehbarkeit – wie kommt es, dass uns die Freude nicht abhandenkommt? Gibt es Glück und Zufriedenheit außerhalb der Umstände?
Ich bekam letzte Woche auch einen Knastbrief, ehrlich, von einem Björn aus dem Gefängnis. Und der ist nicht so fröhlich wie der Philipperbrief, sondern er trieft vor Selbstmitleid. Da lamentiert der Björn, und er bittet um Unterstützung. Es ist so traurig zu lesen.
Warum ist der Philipperbrief nicht so? Wie geht das? Man könnte sagen, den Philipperbrief kann man in sieben Worten zusammenfassen: Ich freue mich, freut euch mit mir. Das wäre eine Überschrift über dem ganzen Philipperbrief.
Ich freue mich, freut euch mit mir, ihr Philipper. Und das ist ein Brief, der frisch aus dem Knast kommt.
Die Freude als zentrales Thema im Philippabrief
Diese vier Kapitel lassen sich vielleicht ein bisschen zusammenfassen.
Im ersten Kapitel schreibt Paulus: „Freut euch mit mir.“ Im zweiten Kapitel, ab Vers 19, sagt er: „Freut euch an Timotius und an Epaphroditus. Freut euch an den Brüdern, die euch bald besuchen werden und euch diesen Brief mitbringen.“
In den Kapiteln drei und vier fordert er auf: „Freut euch im Herrn.“ Das sagt er sogar doppelt und dreifach. Freut euch im Herrn, an Jesus selbst.
Diese drei Gründe – ich weiß nicht, ob du sie kennst – kannst du dich an Vorbildern aufrichten? So wie Paulus sagt: „Freut euch mit mir.“ Kannst du dich an den Geschwistern um dich herum freuen? Sind Timotius und Epaphroditus für dich eine Zuversicht, eine Motivation? Und kennst du Freude an Jesus selbst? Freude im Herrn – das ist der Grundton in diesem kurzen Brief.
Vierzehn Mal kommen Wörter wie Freude, freut euch oder seid froh vor – vierzehn Mal in wenigen Versen. In jedem Kapitel hat Paulus die Freude eingestreut.
Die Quelle der Freude trotz widriger Umstände
Warum hat dieser Mann einen Geborgenheitsraum mitten im Gefängnis, obwohl die Umstände elend sind? Schlechtes Essen, keine Heizung, keine Matratze – wie ist das möglich? Warum hat er trotzdem eine Heimat, eine Hoffnung? Warum ist er dem Himmel so nah?
Warum kann er schreiben: „Ich freue mich und ich werde mich weiter freuen“ in Kapitel 1, Vers 18? Und warum sagt er: „Ich habe alles, ich habe sogar Überfluss“ in Kapitel 4, Vers 18? Überfluss im Gefängnis – das scheint doch unmöglich.
„Ich freue mich, freut euch mit mir“, sagt Paulus. Und du kannst dich heute anstecken lassen. Du kannst diese Freude genauso entdecken.
Das englische Wort für Freude lautet „Joy“. Wisst ihr, woher das Wort „Joy“ stammt? Wahrscheinlich aus dem Griechischen, denn dort lautet es „Chairo“. Es klingt ein bisschen wie „Joy“.
„Chairo“ bedeutet umfassende Freude, tiefes Glück, echtes Hochgefühl – das ist „Chairo“.
Die Advents- und Auferstehungsbotschaft der Freude
Und jetzt ist mir etwas aufgefallen, und das ist eine tolle Adventsbotschaft. So beginnt die Geschichte von Jesus, und so endet sie auch. Nämlich jeweils kommt ein Bote und sagt: „Cairo, freu dich!“ In unseren Übersetzungen steht oft „Sei gegrüßt“, aber wörtlich heißt es „Los, Hochfreude! Grund zur Freude!“
Das Erste ist, als Maria dem Engel begegnet. Er sagt in Lukas 1,28: „Sei gegrüßt, freu dich, Begnadete, der Herr ist mit dir.“ Und wie endet die Geschichte mit Jesus? Die Jünger verzweifeln. Die Frauen gehen noch einmal zum Grab, wollen Blumen und Kränze niederlegen. Dann kommt der Herr selbst – in Matthäus 28 – und sagt: „Jairo, seid gegrüßt, freut euch!“ Weil sie es nicht fassen können, umfassen sie seine Füße und wollen die Auferstehungsbotschaft irgendwie begreifen.
Genauso hat auch Lukas sein Evangelium eingepackt. In Lukas 2,10 verkündet der Engel den Hirten auf dem Feld: „Siehe, ich verkündige euch nicht nur eine Minimalfreude, sondern große Freude. Ich verkündige euch große Freude.“ Und so endet auch das Lukas-Evangelium in Kapitel 24. Nachdem der Herr in den Himmel aufgenommen wurde, kehren die Jünger zurück in die Stadt nach Jerusalem, und es heißt: „Und sie kehrten nach Jerusalem zurück mit großer Freude.“
Das ist die Klammer um die Geschichte von Jesus: Grund zur Freude, „Freut euch! Große Freude! Joy!“ Genau dieses Wort, „Jairo“, ist es auch, das immer wieder im Philipperbrief auftaucht – neunmal als Substantiv und fünfmal in der Verbform.
Die Rolle des Lukas und die Freude im Evangelium
Jetzt ist mir noch eine schöne Sache aufgefallen: Freue dich, die Adventsbotschaft, freut euch, und wenn Weihnachten dieses Jahr vielleicht ganz anders verläuft und Silvester abgesagt ist, freut euch. Und die Auferstehungsbotschaft: Du hast Grund zur Freude, zu ewiger Freude, die sogar den Tod überdauert. Freut euch!
Lukas, der dieses Evangelium schreibt, das mit Freude beginnt und endet – wie kam er darauf? Dann ist mir bewusst geworden: Schaut mal hier auf dieser Karte die zweite Missionsreise. Paulus war mit seinem Begleiter Silas unterwegs, und offenbar ist ab Troas er nicht mehr alleine, sondern Lukas ist auch bei ihnen. Das finden wir in der Apostelgeschichte.
Denn ab da ist die Apostelgeschichte nicht mehr ein neutraler Bericht, sondern es wird ein Wir-Bericht. Ein Beteiligter ist dabei. Lukas, der Autor selbst, ist ab Kapitel 16 dabei, und das Erste, was er erlebt, ist Philippi – diese Stadt, an die dieser Brief gerichtet ist. Deshalb wimmelt es auch bei Lukas von Freude.
Er sagt zum Beispiel, als der Zachäus vom Baum steigt und Jesus aufnimmt: Da kehrte Freude ein, er nahm ihn auf mit Freude. Lukas schreibt auch, dass der Kämmerer, nachdem er Jesus kennenlernte, seinen Weg mit Freuden fortsetzte.
Ich nehme an, das hat Lukas unter anderem auch an Paulus gesehen und erlebt. Warum konnte der selbst im Gefängnis singen? Warum konnte er trotz aller Entmutigungen durchziehen? Was hatte Paulus? Lukas hat es an Paulus gesehen, und Paulus hat es auch an seinem Herrn gesehen.
Freude als Kennzeichen des Glaubens
Übrigens: Wenn dein Glaube dich nicht glücklich macht, dann stimmt etwas nicht. Jesus sagte, dass er gekommen ist, damit unsere Freude völlig wird und wir uns in ihm freuen können.
Alles, was wir tun, sollte von Freude durchdrungen sein, vom Grundton der Freude, denn ein kraftloses Leben ist ein freudloses Leben. Die Freude am Herrn ist unsere Stärke. Wenn wir diese Freude nicht haben, sind wir schlapp.
Sehr nachdrücklich sagt Paulus dreimal in seinem kleinen Brief an die Philipper: „Freut euch im Herrn“, „freut euch im Herrn alle Wege“ und „freut euch an ihm“, an seiner unmittelbaren Gegenwart, die sogar im Gefängnis da ist. Das nahm niemand von Paulus.
Es ist doch so: Ich bin zutiefst glücklich, wenn ich da sein darf, wo meine Geliebte ist, wo der Mensch ist, der mich liebt. Genauso war es bei Paulus. Derjenige, der ihn liebt, mit dem darf er zusammen sein, und das macht ihn einfach froh.
Die Liebe Jesu als Quelle der Sehnsucht
Woher weiß ich das? Öffnet bitte Philipper 1, Vers 8. Dort steht es nur in einem Nebensatz:
„Gott ist mein Zeuge, wie ich mich nach euch allen sehne, nach den Philippianern in der herzlichen Liebe Jesu Christi.“
Paulus weiß: Genauso wie ich mich nach euch sehne, sehnt sich Jesus noch viel mehr nach euch, nach uns, nach mir. Seine Liebe gilt mir.
Kann ich das glauben? Lebendiger Glaube an den Herrn Jesus ist eine frohmachende Sache. Das zeigt Paulus sogar online. Er ist ja nicht bei den Philippianern, aber er sagt: „Freut euch mit mir!“
Wir können gemeinsam Freude haben – und hoffentlich auch heute bei diesem Kraftstoffjugendtag.
Freude trotz Leid und Herausforderungen
Aber Andreas, trag nicht so dick auf. Kennst du nicht auch Schweres und Bitteres? Ja, wahre Freude schließt auch den Ernst mit ein. Es geht nicht um irgendeine Belustigung oder billigen Spaß, sondern um eine innere, tiefe Glücklichkeit, die unabhängig von den Umständen ist.
Und wisst ihr, hier schreibt ein Gefangener. Er schreibt an Geprüfte, ein Leidender schreibt an ebenfalls Leidende. Das lesen wir in diesem Vers hier in Philippa 1, Vers 29: Euch ist es im Blick auf Christus geschenkt worden, nicht allein an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden. Da ihr denselben Kampf habt, wie ihr ihn an mir gesehen habt und jetzt, also durch diesen Brief, von mir hört.
Paulus weiß, auch in Philippi ist das Leben kein Zuckerschlecken. Ihr Leben wird angefeindet, sie haben Probleme als Christen. Wenn ein Leidender einem Leidenden schreibt, dann ist das besonders berührend.
Authentizität der Freude im Philippabrief
Meine Frau sagte, als sie im Krankenhaus lag, nachdem ihr Arm amputiert worden war, dass sie die Briefe von anderen Menschen mit Behinderung viel mehr berührt hätten. Das war glaubhaft und kraftvoll. Deshalb ist dieser Philipperbrief Kraftstoff und kein Kunststoff.
Hier steckt echte, gedeckte Freude dahinter, verbürgte Freude.
Vor kurzem habe ich einem Freund ein großes Kompliment gemacht und ihn gelobt. Daraufhin sagte er: „Du schmierst mir da Honig um den Bart. Hoffentlich ist das kein Kunsthonig.“ Meinst du das ernst?
Was Paulus hier schreibt, ist kein Kunststoff und kein Kunsthonig. Es ist von seinem Leben gedeckt, und das kann man sogar an seinen Narben ablesen.
Die Parallele zu Dietrich Bonhoeffer
Ich möchte euch kurz eine Begebenheit mit Dietrich Bonhoeffer näherbringen – nicht sein Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, sondern seine Erfahrung im Gefängnis.
Bonhoeffer, frisch verlobt, wird eingekerkert. Er kann sich bereits ausmalen und ausrechnen, dass es mit einem Todesurteil enden wird. In dieser Situation schreibt er ein Gedicht mit dem Titel „Wer bin ich?“.
„Sie sagen mir oft, ich trete aus meiner Zelle gelassen und heiter und fest wie ein Gutsherr aus seinem Schloss. Wer bin ich?
Sie sagen mir oft, ich spreche mit meinen Bewachern frei, freundlich und klar, als hätte ich zu gebieten. Wer bin ich?
Sie sagen mir auch, ich trüge die Tage des Unglücks gleichmütig, lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist. Wer bin ich?
Bin ich das wirklich, was die anderen von mir sagen, oder bin ich nur das, was ich von mir selber weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank wie ein Vogel im Käfig, hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen, dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe, zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung, umgetrieben vom Warten auf große Dinge, ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne.
Müde und leer zum Beten, zum Danken, zum Schaffen. Wer bin ich?
Der oder jener? Bin ich denn heute dieser und morgen ein anderer? Bin ich beides zugleich? Vor Menschen nur ein Heuchler? Wer bin ich?
Einsames Fragen treibt mit mir Spott. Wer ich auch bin, du kennst mich, dein bin ich, oh Gott!“
Ich glaube, dieselben Kämpfe hat auch Paulus im Gefängnis durchgemacht. Doch er hat überwunden. Gottes Freude hält auch in den Prüfungen stand (vgl. 1. Korinther 5,3-12).
Freude und Leid gehören zusammen
Deshalb heißt es zum Beispiel im Jakobusbrief: Haltet es doch für lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Prüfungen geratet. Dann wird sich zeigen, ob unser Glaube echt ist. Freude und Leid gehören immer zusammen und gehen Hand in Hand. Das zeigt sich gerade auch im Philipperbrief.
Paulus sitzt im Gefängnis, die Philipper sind fern, und trotzdem haben sie eine echte, eine bleibende Freude. Wenn dein Herz mehr und mehr im Himmel zu Hause ist, dann bist du krisensicher. Du weißt, du hast Grund zur Hoffnung, die dir keiner nehmen kann. Sie ist sicher – siehe Paulus.
Paulus kann sagen in Kapitel 1, Vers 3: „Deshalb rühmen wir uns wegen Jesus Christus. Er ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit.“ Er sagt in Kapitel 4, Vers 4: „Deshalb freuen wir uns im Herrn allezeit.“ Oder in Kapitel 2, Vers 2: „Lasst euch doch von meiner Freude anstecken, ihr Philipper.“
Ihm geht es wirklich gut, und diese Freude war nicht aufgesetzt wie unsere Masken. Es war kein gemaltes Lächeln, sondern echt – kein Kunststoff.
Die Kraftquelle der Freude: Jesus Christus
Woher hat Paulus diesen Kraftstoff? Wie hat er ihn angezapft? Er besitzt so viel Kraft, dass er sagen kann: „Ich habe Überfluss.“
Ein Teil der Antwort findet sich in Kapitel drei, Vers zehn. Dort sagt er: „Ich will ihn mehr erkennen, die Kraft seiner Auferstehung.“ Paulus glaubt an einen Herrn, der die Todesmauer durchbrochen hat.
In Vers 21 heißt es weiter: „Er wird auch unseren Leib der Niedrigkeit, der Vergänglichkeit, umgestalten, sodass er gleichförmig sein wird mit seinem Leib der Herrlichkeit – vermöge der Kraft, durch die er sich selbst auch alles unterwerfen kann.“
Paulus sieht Jesus als seine Kraftquelle, als seinen Zapfhahn. Jesus ist der Auferstandene, den Paulus leibhaftig gesehen hat – damals auf dem Weg nach Damaskus. Er hat diesen herrlichen Leib gesehen, diesen Auferstandenen, an den er zunächst nicht glauben konnte und den er verfolgt hatte.
Diese Begegnung bewirkte in ihm Kraft.
Die Grenzen menschlicher Leistung und die Überlegenheit von Jesus
Und jetzt für alle, die sich einbilden, man könnte sich selbst fromm motivieren und aufpusten: Wenn das einer konnte, dann war es Paulus. Er nennt in Kapitel 3, Vers 5 seine fromme Karriere. Schaut mal, was ich alles vorzuweisen hatte.
Dann beginnt er mit dieser Bewertung: Na, wie viele Sterne kriegst du, Paulus?
Als Erstes, Kapitel 3, Vers 5: Schaut doch mal, ich bin am achten Tag beschnitten worden. Meine Eltern nahmen es ganz buchstäblich, denn so sagte es Mose in 3. Mose 12: Am achten Tag soll jeder männliche Jude beschnitten werden. Das haben meine Eltern peinlich genau befolgt.
Als Zweites sagt er: Ich bin vom Geschlecht Israel, ich gehöre zum auserwählten Volk, ich bin privilegiert. Ich bin kein Proselyt, kein Übergetretener. Auch wenn ich in Tarsus geboren bin, bin ich Vollblutjude.
Als Drittes weist er darauf hin: Ich bin vom Stamm Benjamin. Versteht ihr, was das bedeutet? Ich kann sogar meine Abkunft zurückverfolgen und nachweisen, aus welchem Stamm ich bin – aus dem Wolfsstamm Benjamin. Und das war immerhin der Lieblingssohn der Rahel, der Lieblingsfrau. Ich bin kein Sohn der Magd, sondern der Rahel.
Mein Geburtsort, Benjamins Geburtsort, war Bethlehem, die Stadt Davids. Dort wurde Benjamin, der Stammvater, geboren. Ich, Paulus, bin sogar benannt nach dem größten Benjaminiten, nach Saul, dem ersten König Israels, Saulus.
Man könnte heute sagen: Was Bayern für die Deutschen ist, das war Benjamin für die Israeliten. Das hat einen mit Stolz erfüllt, dazu zu gehören.
Dann führt er ins Feld: Ich bin Hebräer von Hebräern, kein Dreivierteljude, echter Vollblutjude. Nicht so wie du, Timotheus, dessen Vater Grieche war. Ich bin Hebräer von Hebräern, ich habe keine Rahab im Stammbaum.
Diese vier Auszeichnungen führt Paulus hier ins Feld. Dann sagt er aber: Das ist mir ja alles nur angeboren, da kann ich ja nichts für, das ist ja alles nur mein Blut. Aber jetzt zeige ich euch noch meinen Schweiß.
Es geht weiter in Kapitel 3: Ich bin unterwiesen im Gesetz, hundertprozentig Pharisäer. Ich nahm es ganz genau und wörtlich. Ich war Experte der Heiligen Schrift, ich bin kein Sadduzäer, ich nahm es sehr bibeltreu, hundertprozentig.
Und was ich noch dazu tat: Ich war ein Eiferer. Ich war einer, der die Sache so ernst nahm, dass ich alle Falschgläubigen ausrotten wollte. Ich war den Christen hinterher als Sektenbeauftragter, ich bekämpfte die Häresie.
Wenn ihr mal Galater 1, Vers 14 aufschlagt, da sagt er: „Im Judentum habe ich viele meiner Altersgenossen übertroffen durch meinen übermäßigen Eifer.“ Ich habe mich hervorgetan, ich war der Überflieger, der absolute Eiferer.
Als Siebtes nennt er noch: Meine Gerechtigkeit war so tadellos, da konnte man nichts daran aussetzen. Mir machte keiner etwas vor. Ich war der Musterschüler Gamaliels, der Überflieger, der Überzeugungstäter.
Das sind meine Pluspunkte, die ich gesammelt habe. Damit könnte Paulus protzen und prahlen. Aber was passiert?
Schaut es euch mal an: All diese Sterne, die er ins Feld führt, begegnen einem Licht, das buchstäblich alles in den Schatten stellt.
Als Paulus vor Damaskus diesem Jesus begegnet, da umstrahlt ihn ein solches Licht, dass er erblindet. Ab da ist diese Prahlerei vorbei. Das ließ alle seine Glanzpunkte verblassen.
Und das ist auch ein Stück der Botschaft an dich: Wenn du denkst, deine Freude kommt zustande dadurch, dass du als Christ treu bist, dass du dich ereiferst, dass du hundertprozentig bist – vergiss es!
Deine Freude muss in Jesus selbst begründet sein. Er ist deine Freude. In ihm freut euch im Herrn!
Paulus’ Neubewertung seiner Leistungen
Paulus geht sogar so weit zu sagen, dass das, was er früher für seine Pluspunkte hielt, in Wahrheit nur Verlust, Schaden und Minus war.
All seine Vorzüge – was bringen sie ihm vor Gott? Sie haben ihn nur stolz gemacht. Er drückt es noch drastischer aus: Es war nicht nur Minus, sondern sogar ein einziger Misthaufen.
Das bringt doch gar nichts; es ist Mist, was er Gott zu bieten hat. Paulus hätte heute wahrscheinlich dieses Emoji geschickt, denn wörtlich sagt er: „Ich achte das alles für Dreck, für den letzten Mist, was ich zuwegegebracht habe im Vergleich zu dem, was ich an Jesus gefunden habe, wie er ist.“
Die zentrale Rolle Jesu im Leben des Paulus
Eine Beobachtung, die mich sehr, sehr froh gemacht hat: Paulus nennt sieben Vorzüge von sich selbst. Aber in diesem kurzen Philippabrief nennt er siebenmal Jesus, seinen Herrn. Prüft das mal nach: Er nennt Jesus Christus neunundvierzig Mal. Das ist meine Freude.
In nur hundertvier Versen, also in fast jedem zweiten Vers, spricht er über Jesus. So erfüllt und so froh ist er wegen ihm. Das ist doch erstaunlich. Paulus sagt: All meine Vorzüge achte ich für Verlust, für Schaden. Das bringt mich nicht weiter, im Gegenteil, es hat mich nach unten gezogen, wenn ich auf mich schaue. Ich achte das alles für Verlust, damit ich Christus gewinne.
Hat er Jesus noch nicht? Muss er ihn noch gewinnen? Fehlt Paulus noch etwas? Ja, vielleicht ein kleines Beispiel: Als ich mich in diese süße Frau hier verliebte – damals war sie noch ein Mädchen, schöne Grüße, Gabi – da hat sie mein Herz gewonnen. Sie hat mich einfach überwältigt. Aber jetzt war es meine Aufgabe, nach und nach auch sie zu gewinnen, diese Liebe zu erwidern, dieses gegenseitige Gewinnen.
Ich glaube, das meint Paulus, wenn er sagt: Ich will Christus gewinnen. Ich will durch mein verändertes Leben, das nicht mehr auf eigenem Stolz beruht, zeigen, dass ich eine ganz neue Lebenseinstellung habe, eine ganz neue Gesinnung.
Das führt Paulus im Philipperbrief Kapitel 2 aus, und das haben wir auch eben gesungen. Da sagt er: Ihr Philipper, seid so in eurer Grundeinstellung, wie es der Herr Jesus war.
Das Vorbild Jesu und die Demut
Paulus nennt dann wieder sieben Punkte und sagt: Schaut euch doch einmal diese Treppe an – die Treppe nach unten, die Jesus gegangen ist. Ich habe euch von meiner Karriereleiter erzählt, von meinen sieben Punkten als Pharisäer und übereifriger Jude. Aber was tat Jesus?
Er ließ freiwillig los und machte sich selbst zu nichts. Er nahm die Gestalt eines Knechts an und wurde wie wir Menschen, in seinem Aussehen wie wir. Er hat sich selbst erniedrigt und wurde gehorsam bis zum Tod, nämlich bis zum Tod am Kreuz. Das ist die Treppe nach unten, die in Kapitel 2, Vers 5 beschrieben wird.
Deshalb stößt Paulus seine Karriereleiter in Kapitel 3, Vers 5 um. Es gibt nur einen Weg, unser fettes Ich, unser Ego vom Thron zu stoßen: nämlich, indem wir uns diesen Gottessohn vor Augen halten. Er ist unser Vorbild, unser Meister, der sich freiwillig so klein machte, so zu nichts machte.
Diese Grundhaltung möchte ich auch haben.
Zeugnisse von gelebtem Glauben und bleibender Freude
Wir haben vor kurzem das Buch „Bomber – die Lebensgeschichte von Andi Bühne“ herausgebracht. Dieses Buch haben wir auch an ehemalige Weggefährten geschickt. Einer von ihnen, der leider wegen Glaubenszweifeln auf Abstand gegangen ist, schrieb uns zurück. Der Brief kam erst vorletzte Woche.
Bei ihm sind viele schöne Erinnerungen an Schoppen aufgekeimt. Die Freizeiten waren für ihn eine sehr prägende Zeit, die sein Leben in hohem Maße beeinflusst hat. Für einen Großteil dieser Prägung ist er sehr dankbar. Er vermisst die intensive Zeit. Bisher hat er in seinem Leben nichts Vergleichbares gefunden.
Dabei ist dieser Mensch sehr, sehr erfolgreich. Er ist der Inhaber einer tollen Firma, aber er hat nie wieder etwas gefunden, das so viel Sinnhaftigkeit stiftet. Die Abende, an denen er nach einem anstrengenden Tag im Bett lag und so tief davon überzeugt war, dass Gott ihn an genau diesem Ort haben möchte – so etwas hat er nie wieder erlebt.
Das ist es doch. Paulus muss nicht bedauern, der sagt: „Ich sitze im Gefängnis, wozu das Ganze?“, sondern er wusste: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Glauben bewahrt, für mich ist eine Krone bereit.“ Es geht nämlich nicht darum, dass wir Ich-Stärke haben, sondern Jesus-Stärke.
Dann hast du bleibende Freude. Nicht Selbstbewusstsein, sondern Gottesbewusstsein. Das eine ist Frust, das andere ist Freude. Paulus sagt: „Es ist Dreck, es ist Kot, aber das andere ist unsere Kostbarkeit.“
Beispiele aus China: Watchman Nee und John Sung
Und ich möchte euch zum Schluss zwei kurze Geschichten erzählen von zwei Männern aus dem Land, wo dieser China-Virus herkommt.
Die erste Geschichte handelt von Watchman Nee, einem Vorbild und sehr intelligenten jungen Mann. Im Jahr 1929 war er nach einem missionarischen Einsatz so entkräftet und ausgezehrt, dass er sich nur noch auf Krücken gestützt in seinen Heimatort schleppen konnte. So sehr hatte er sich für evangelistische Einsätze aufgerieben.
Er schreibt: „Ich ging die Straße entlang, da begegnete mir mein früherer College-Professor. Er erkannte mich fast nicht. Dann lud er mich ins Teehaus ein, und wir setzten uns. Nachdem er mich eine Weile prüfend betrachtet hatte, sagte er: ‚Ich verstehe das nicht. Als Sie im College waren, haben wir große Hoffnungen in Sie gesetzt. Wir waren uns sicher, Sie würden Großes erreichen. Und nun? Wollen Sie im Ernst behaupten, dass nicht mehr aus Ihnen geworden ist als das?‘“
Bei dieser zugespitzten Frage muss ich gestehen, bin ich beinahe zusammengebrochen und hätte am liebsten geweint. Meine Karriere, meine Gesundheit, meine Kraft – alles war dahin. Und nun wurde ich das von meinem alten Professor gefragt.
Aber im nächsten Augenblick erkannte ich, was es bedeutet, dass der Geist der Herrlichkeit auf mir ruht. Bei dem Gedanken, mein Leben für meinen Herrn ausschütten zu können, wurde meine Seele buchstäblich von Herrlichkeit überflutet. Ich konnte still aufblicken und sagen: „Ich preise dich, Herr, dies ist das Beste, was überhaupt möglich ist. Der Weg, den ich gewählt habe, der ist der richtige.“
So hat auch Watchman Nee sein weiteres Leben verbracht, und er hat einen ewigen Lohn erhalten. Er sagt: „Es ist gut, dass ich mein Leben ausschütte“ – genau das, was Paulus auch im Philipperbrief Kapitel 2, Vers 17 sagt: „Und wenn ich auch wie ein Trankopfer ausgegossen werde über den Dienst, dann bin ich froh, ich freue mich, das ist es wert. Ich bin doch nur Nebensache, ihr seid die Hauptsache.“
Diese Haltung hat Watchman Nee bei Jesus gelernt, und das wird er nie bedauern – ebenso wenig wie Paulus.
Die Geschichte von John Sung: Vom Erfolg zur lebendigen Hoffnung
Ich möchte euch noch John Sung vorstellen. Seine Geschichte liegt noch keine hundert Jahre zurück. Er starb 1944 und bekehrte sich mit 26 Jahren in China – nein, nicht in China, sondern das erzähle ich gleich. John Sung wurde der bekannteste Evangelist in Ostasien. Man schätzt, dass etwa hunderttausend Menschen allein durch ihn zum lebendigen Glauben fanden.
Er predigte in Burma, Kambodscha, Singapur, Korea, Indonesien und auf den Philippinen. Abertausende, die sich bekehrten, blieben auch treu, obwohl zu dieser Zeit der kommunistische Umbruch stattfand und es starke Repressalien gab – ähnlich wie in Philippi. Die Menschen blieben fest in Jesus.
John Sung schreibt: „Ich war so ein kleiner, aussichtsreicher Schüler, dass man mich in die USA sandte zum Studium.“ Dort wuchs er unter Methodisten auf. Er war ein sehr brillanter Kopf, aber sein Herz blieb unzufrieden. Seine Leistungen an der Universität beschreibt er so: spektakulär wie das Blau in der Feder eines Pfaus, reichlich wie die Blätter am Baum im Sommer, aber ohne jede wirkliche Frucht, um sie dem Herrn Jesus anzubieten.
So beginnt auch der Philipperbrief. Paulus sagt am Anfang, dass er für die Gemeinde in Philippi betet, dass sie erfüllt sein sollen mit der Frucht der Gerechtigkeit, die durch Jesus Christus zur Herrlichkeit Gottes wirkt. Aber das war bei John Sung überhaupt nicht zu finden. Er hatte nur seinen eigenen Vorteil im Blick. Er galt als einer der besten Studenten seines Jahrgangs, sammelte Goldmedaillen in Physik und Chemie und schaffte es als erster Chinese in Amerika, in nur einundzwanzig Monaten den Doktor der Chemie zu erlangen.
Jesus war für ihn ein Vorbild, aber noch kein Retter. Und ich glaube, so geht es vielen. Dann sagt Doktor Sung: „Ich habe zudem noch liberale Theologie studiert, mit allen Kräften meines Intellekts. Wieder errang ich vortreffliche Noten, aber ich wandte mich mehr und mehr vom Glauben ab. Ich studierte Buddhismus und Taoismus, aber mein Leben wurde unerträglich. Ich konnte weder schlafen noch essen, mein Herz war zutiefst unglücklich.“
Dann passiert etwas Kurioses: Er ist abends eingeladen zu einer Evangelisationsveranstaltung bei einem bibeltreuen Mann, Dr. Haldeman, in New York. Doch dieser Haldeman ist verhindert. Stattdessen geht ein fünfzehnjähriges Mädchen auf die Bühne und gibt ihr kurzes Zeugnis. Ein Mädchen von fünfzehn, fast so alt wie du, liest etwas vor und spricht über den stellvertretenden Tod des Herrn Jesus am Kreuz.
Sofort spürt Sung die Anwesenheit Gottes im Gottesdienst. Seine Mitstudenten lästern nur, aber er wird von dem Vers umgehauen: „Was würde es einem Menschen nützen, wenn er die ganze Welt gewinnt und doch an seiner Seele Schaden nimmt?“ Er stand im Begriff, die ganze Welt zu gewinnen – mit Auszeichnungen, Medaillen und Diplomen. Dieser Vers durchbohrte ihn.
Am 10. Februar 1927 erlebte er seine Bekehrung. Danach rannte er nachts durchs Studentenheim und rief: „Ich habe Gott gefunden, ich habe eine lebendige Hoffnung!“ Man dachte, er sei übergeschnappt wegen seiner vielen Anstrengungen. Wahrscheinlich hatte er sich überarbeitet, und man ließ ihn sogar in die Psychiatrie einweisen.
John Sung kam in die geschlossene Abteilung und blieb dort ein halbes Jahr. Er nutzte die Zeit jedoch nur, um die Bibel vierzig Mal durchzulesen. Er sagte: „Das war meine wahre theologische Hochschule, diese ungestörte Zeit dort in der Klinik.“
Von da an wollte er nur noch nach China zurück. Er sagte: „Ich weiß jetzt meine Lebensaufgabe.“ Er fuhr mit einem Schiff zurück nach China. Kurz vor dem Ziel der Überfahrt stieg John in seine Kabine, nahm alle Diplome, Medaillen und Auszeichnungen aus seinem Koffer und warf sie über Bord. Denn er merkte: Das bedeutet doch gar nichts, es ist nichts.
John Sung wirkte 15 Jahre als Evangelist in China und den umliegenden Ländern mit einer einzigartigen Kraft. Im Alter von 42 Jahren starb er an Krebs.
Die Herausforderung zur Nachfolge und Abschlusslied
Und jetzt meine Herausforderung an euch: Da ist ein 15-jähriges Mädchen, das ganz schlicht und kurz aus ihrem Leben berichtet. Dieser Mann wird dadurch für Jesus begeistert und gewinnt Hunderttausende.
Das kannst auch du erreichen, wenn diese Freude in dir steckt und du verstanden hast, wer Jesus ist.
Deshalb wollen wir jetzt noch das Lied Nummer vier singen: „Er ist mein in Ewigkeit“. Damit setzen wir jetzt fort.