Der heutige Gute Rat trägt den Titel „In Not geratene Leute“.
Wo ein Aas ist, da sammeln sich die Geier. Das Schicksal eines Menschen ist erst dann vollkommen bekannt, wenn er gestorben ist. Ein immerwährender Wechsel des Glücks ist nun einmal unser Los auf Erden.
Wer heute im Wagen fährt, muss ihn vielleicht morgen waschen. Brettschneider wechseln ihre Plätze, und wer hoch oben steht, kann bald an der Reihe sein, unten in der Grube zu stehen. In weniger als tausend Jahren werden wir alle eine Glatze haben.
Wer weiß, was uns noch vor der Zeit widerfahren mag? Auch wir könnten einmal unter einem Fenster stehen. Darum sollten wir beim Ausgießen unseres schmutzigen Wassers Vorsicht walten lassen.
Mit welchem Maß wir messen, werden auch wir wieder gemessen werden. Deshalb lasst uns darauf achten, die Unglücklichen so zu behandeln, wie es Recht ist.
Nichts ärgert mich mehr an der menschlichen Natur, als die Art und Weise, wie Menschen andere behandeln, wenn sie vom Glück verlassen werden. „Geschieht ihm recht“, rufen sie dann, „er hat nie etwas getaugt.“ Ein Hund frisst den anderen nicht auf, aber die Menschen verzehren einander wie Kannibalen und rühmen sich dabei noch ihrer Taten.
Es gibt Tausende auf dieser Welt, die, sobald ein Kaufmann oder Händler in Schwierigkeiten gerät, wie Geier herabfliegen, um an ihm zu nagen. Wo ein Aas liegt, da sammeln sich die Geier. Anstatt ihm ein wenig Hilfe zu leisten, sind sie hart zu ihm und schreien: „Selber schuld!“
Alle Welt schlägt auf einen Menschen ein, der Unglück hat. Trifft ihn ein Schicksalsschlag, fangen alle an, mit der Peitsche zu knallen. Der Baum ist gefallen, und jedermann läuft, um seinen Beil zu holen. Das Haus brennt, und die Nachbarn wärmen sich daran. Der Mann macht schlechte Geschäfte, und schon behandeln ihn seine Freunde schlecht.
Ist jemand nach unten geraten, schreit die Selbstsucht: „Lasst uns dafür sorgen, dass er unten bleibt. So ist desto mehr Platz für die, die oben sind.“
Besonders traurig ist das Schicksal derjenigen, die jemand hinuntergestoßen haben und ihm dann noch zusätzliche Stöße versetzen, sodass er nicht wieder aufsteht.
Es ist nicht sehr angenehm, hören zu müssen, was für ein großer Narr er gewesen sei und dass es mindestens fünfzig Mittel gegeben habe, um aus der Schwierigkeit herauszukommen. Man habe aber nicht den Verstand besessen, dies zu bemerken. Hätte er ihn gehabt, dann hätte er die Stalltür verschließen sollen.
Jedermann kann das einsehen, aber niemand bietet sich an, dir einen neuen Gaul statt des verlorenen zu schenken. Wie schade, dass er sich so weit aufs Eis vorgewagt hat. Das ist vollkommen richtig, wird aber dem Ertrinkenden nicht das Leben retten.
Es ist leicht, in einen fadenscheinigen Rock ein Loch zu machen. Gute Ratschläge sind für eine hungrige Familie schlechte Nahrung. Leihe mir jetzt ein Stück Bindfaden, um die Stränge wieder zusammenzubinden, und tadle das alte Geschirr, wenn ich wieder zu Hause bin.
Gib meinem alten Gaul ein wenig Hafer und heiße ihn dann getrost schneller laufen. Fühle Mitleid mit mir, und ich werde dir sehr dankbar dafür sein. Aber lass auch deine Tasche Mitleid fühlen, oder du kannst mir mit all deinen Gefühlen gestohlen bleiben.
Menschen, die bergab gehen müssen, treffen auf Judas, ehe sie den Fuß des Berges erreicht haben. Diejenigen, denen sie in besseren Tagen geholfen haben, vergessen meist ihre Schuld oder zahlen sie mit Undank zurück.
Der junge Schössling stiehlt dem alten Stamm den Saft. Das junge Füllen saugt seiner Mutter die Milch ab und schlägt dann mit der Hufe nach ihr aus. Wie oft wird das Sprichwort wahr: „Ich habe dich schwimmen gelehrt, und nun willst du mich ertränken?“
Der Hund wedelt mit dem Schwanz, bis er den Knochen bekommt, und dann schnappt und beißt er nach dem Mann, der ihn ihm gegeben hat. Gegessen, vergessen – und die Hand, die das Brot gab, wird verachtet. Die Kerze gibt anderen Licht und verzehrt sich dabei selbst.
Nichts wird meist schneller aus dem Gedächtnis gelöscht als ein guter Dienst, den man einem anderen geleistet hat. Jeder ist sich selbst der Nächste – das ist die goldene Regel der Welt. Und wir wissen alle, wer den letzten Platz bekommt.
Der Fuchs sorgt für seine eigene Haut und ist keineswegs bereit, aus Dankbarkeit seinem Freund gegenüber seinen Schwanz zu verlieren.
Ein edler Charakter ergreift Partei für den Schwächeren. Doch edle Charaktere sieht man nicht oft auf unserer Straße entlanggehen. Sie sind so selten wie Adler. Elstern und Krähen gibt es hingegen in großer Zahl. Edlere Vögel bekommt man dagegen selten im Leben zu Gesicht.
Hat man je gesehen, dass Krähen einem toten Schaf, ehe sie es auffressen, eine Grabrede halten? „Wie traurig, wie ist es nur zugegangen? Welch ein Unglück!“, schreien die Nachbarn. Doch dann fallen sie über die Beute her und versuchen, sich einen Anteil zu sichern.
Die meisten Menschen bieten ihre Hilfe denen an, die keine Hilfe brauchen. Alle Köche verstehen es, ein fettes Schwein zu rösten, aber das magere lassen sie anbrennen. Wenn der Wind günstig ist, helfen alle. Solange der Topf kocht, blüht auch die Freundschaft.
Doch die Schmeichler finden sich nicht in den Hütten des Elends ein, und die verblühte Rose hat keinen Freier. Alle Nachbarn sind des reichen Mannes Vettern, aber den Armen kennt nicht einmal sein eigener Bruder.
Der Gutsherr wird eine halbe Meile weit verstanden, selbst wenn er nur lispelt. Die bedürftige Witwe hingegen kann man nicht einmal diesseits der Parkmauer verstehen, selbst wenn sie noch so laut schreit.
Die Menschen gießen gern Wasser in ein volles Fass. Sie geben Feste für diejenigen, die nicht hungrig sind, weil sie hoffen, ebenso gute oder sogar noch bessere Gäste zu haben, die mitfeiern dürfen.
Hast du erst eine Gans, so bekommst du noch eine Gans dazu. Hast du ein eigenes Pferd, so kannst du dir ein weiteres leihen. Gerste zu leihen, wenn die Scheune voll Weizen ist, ist sicher.
Aber wer leidet oder gibt, wo nichts ist – ja, wer außer vielleicht einer altmodischen guten Seele, die an die Bibel glaubt, ihren Herrn liebt und dem Wort gemäß handelt – wohl dem, der barmherzig ist, gerne leidet und das Seine tut, wie es recht ist (Psalm 112,5).
Gewisse vornehme Leute verhalten sich gegenüber einem in Schwierigkeiten geratenen Geschäftsmann äußerst freundlich, weil sie noch etwas von seinen Knochen abzunagen haben. Der Advokat und der Geldverleiher bedecken den armen Schlucker mit ihren Flügeln und picken dann mit den Schnäbeln an ihm herum, bis nichts mehr übrig ist.
Wenn diese Leute sehr höflich und teilnehmend auftreten, ist es für arme Leute höchste Zeit, auf der Hut zu sein.
Es war kein gutes Zeichen, als der Fuchs mit den Worten „Schönen guten Morgen, meine innig geliebten Freundinnen!“ in den Hühnerstall spazierte.
Menschen, die ganz unten sind, müssen nicht verzweifeln, denn Gott lebt noch und ist ein Freund der Freundlosen. Es gibt keinen anderen, der den Gefallenen die Hand entgegenstreckt. Der Herr wird niemals versäumen, denen Hilfe zu bringen, die auf ihn vertrauen.
Ein gottseliger Mensch kann zwar ins Feuer kommen, aber er kann nicht verbrennen. Seine Hoffnung kann überflutet werden, doch sie kann nicht ertrinken. Er fasst immer neuen Mut. Ist der Hügel steil, so ist sein Herz stark. Damit überwindet er Schwierigkeiten, bei denen andere sich niederlegen und sterben.
Solange man noch lebt, kann man auch hoffen. Bist du vom Rücken des Glücks heruntergefallen, so bleibe nicht im Graben liegen. Stehe wieder auf, lieber Freund, lässt dir der Pflüger Hans sagen, und versuche es noch einmal.
Jona geriet bis auf den Meeresgrund, doch er kam wieder ans Ufer zurück und hatte keine Nachteile von seiner Wasserfahrt. Ist der Vogel auch gefangen, kann er dennoch Freiheit erlangen. Liege ich jetzt auch tief im Staub? Mein Glaube hält sich an Gott!
Hoffnung will ich zu ihm fassen und alles still ihm überlassen, denn er wird gewiss erscheinen, und mein Weinen wird ein Ende haben.
Gelesen von Glaubensgerechtigkeit. Dieses Buch sowie viele weitere Hörbücher, Andachten und Predigten gibt es auf dem Youtube-Kanal von Glaubensgerechtigkeit